Friedrich Heinrich Jacobi
Wider Mendelssohns Beschuldigungen, betreffend die Briefe über die Lehre des Spinoza
[247]Vorbericht
Der Mensch empfindet ein natürliches Verlangen, seine eigene Denkungsart auch in andern wahrzunehmen, oder sie denselben einzuflössen; in den mehrsten Fällen erträgt er es geduldiger, wenn gegen seinen Vorteil gehandelt, als wenn wider seine Meinung geurteilt wird. Je lebhafter und ausführlicher die Vorstellung von den Gründen unserer Meinung ist, je mehr unser Bewusstsein nur das Bewusstsein unserer Einsichten geworden, desto grösser wird unser Abscheu gegen alles, was sie zweifelhaft zu machen droht; denn unser Bewusstsein selbst, unsere ganze Existenz scheint dabei Gefahr zu laufen.
Ebenso natürlich ist deswegen die Verfolgung, welche derjenige erfährt, der mit Wahrheiten, die herrschenden [247] Lehrgebäuden zuwiderlaufen, auftritt. Diejenigen, welche ihn nicht fassen, verachten ihn und höhnen ihn aus; sie begreifen nicht, wie ein Mensch so wenig begreifen, so blind und so verkehrt sein kann. Die andern ergrimmen, und zwar in demselben Masse, wie sie ihre Wahrheit durch die entgegengesetzten Gründe angegriffen, ihre Überzeugung minder oder mehr erschüttert fühlen 1.
Hierdurch aber darf sich niemand abschrecken lassen. Einigen Beifall erhält die gründlich vorgetragene Wahrheit immer. Hier und da finden sich Köpfe, die,[248] wenn kein äusserliches Interesse sie daran verhindert, wenigstens soviel davon aufnehmen, als sich mit ihren Grundsätzen, ihren Vorurteilen oder Lieblingsmeinungen zusammenreimen lässt. Nicht von allen wird derselbe Teil, sondern beinah von jedwedem ein anderer gewählt, in Schutz genommen, und in einen Zusammenhang gebracht, der einen andern Zusammenhang aufhebt. So kommt nach und nach das Ganze in Umlauf, bildet sich aus und um, läutert und verbessert sich, und die Erkenntnis gewinnt allmählich Vollkommenheit und Fortgang.
Was in einen Spinoza und Antispinoza angeht: da ich in demselben grösstenteils nur an vergessene Dinge erinnert, und andere nicht genug erwogene, wiewohl auch schon gesagte, bloss in neue Verbindungen gebracht habe; darauf aber nun der unerhörtesten Paradoxie beschuldigt werde: so kann es wohl nichts Ungebührliches an sich haben, wenn ich in der eben angeführten Geschichtswahrheit einigen Trostsuche, und sie – nicht auf mich, sondern – auf die Begebenheit mit mir, rückwärts und vorwärts einigermassen beziehe.
Ein ausserordentliches Glück ist in dieser Absicht mir zuteil geworden. Die nachstehende Schrift war vollendet und über die Hälfte schon gedruckt, als mir eine kritische Untersuchung der Resultate Jacobischer und Mendelssohnscher Philosophie mitgeteilt wurde, welche meine wahre Meinung, ganz und von Grund ausgefasst, mit bewundernswürdiger Klarheit darstellt, und einen Selbstdenker vom ersten Range, einen Mann, im edelsten Sinne des Wortes, durchaus verrät. Diese kritische Untersuchung wird in der nächsten Jubilatemesse noch erscheinen, und was ich in meiner Schrift über Lessing und Spinoza (S. 177 dies. Ausg.) versprach, [249] und zu erfüllen seitdem zu wiederholten Malen schon bin aufgefordert worden, besser leisten, als ich es selbst zu tun imstande gewesen wäre.
Ob es diesem vortrefflichen Mann, vor dessen philosophischem Genius der meinige sich neigt, nicht noch schlimmer als mir selbst ergehen wird, steht dahin. Viel besser kann es unmöglich ihm ergehen, da sich die öffentlichen Richter deutscher Nation fast durchgängig auf eine Weise kompromittiert haben, die ihnen keinen Rückweg offen lässt; hat man sich doch nicht gescheut, sogar zu behaupten, der Atheismus lasse sich aus der Lehre des Spinoza nur erzwingen. Selbst diejenigen, welche Mendelssohns Philosophie an allen Ecken, und auch seinen missgetanen Spinozismus angriffen, lobten dennoch dieses Misstun selbst, das Anständige und Menschenfreundliche der Handlung. Daneben wurden alle Zeremonien seiner Sokratisierung und Vergötterung nachahmend wiederholt, und zwar auf eine Weise, die nur zu viel von der Betriebsamkeit jenes Demetrius zu Ephesus verriet, der voll Zornes wurde, schrie und sprach: »Gross ist die Diana der Epheser! und ein grosses Getümmel und einmütiges Stürmen erregte« 2 – in welchem es einem Dritten übel gehen sollte.
Mag es doch geschehen, dass nach der Erscheinung dieser Schrift und der Resultate das Geschrei an der einen Seite sich verdopple und an der andern nun erst recht ausbreche: endlich wird doch eine Stille kommen. Was auf diese Stille folgen muss, weiss ich mit der innigsten Gewissheit.
[250] Unterdessen lasse ich mein Straussenei im Sande ruhig liegen; Meisen und Elstern werden es nicht zertreten, Stare und Krähen es weder aufhacken noch auf die Seite bringen: seinen Inhalt zu offenbaren, sei dem Lichte, das den Tag regiert, überlassen.
Düsseldorf, den 19. April 1786.
[251] [Vignette]
Die Leser dieser Schrift mögen am Ende derselben urteilen, was mir leichter geworden, mich zu einer Rechtfertigung zu entschliessen oder sie wirklichdarzulegen.
Nun ich endlich mich entschlossen habe, zu reden, so begehre ich von euch, denen allein ich mich hier und ganz freiwillig stelle – da ich wegen einer kindischen Anklage, durch die niedrigsten Mittel unterstützt, keinem mich zu stellen nötig hätte –. So begehre ich von euch, ihr männlichen Denker, nicht ein geneigtes, sondern im Gegenteil ein äusserst strenges Ohr; nicht ein gewogenes, sondern ein unerbittliches Herz.
Ich werde Urkunden darlegen, Fakta zusammenstellen und nirgends das bange Siegel der Wahrheit vermissen lassen, dessen reiner Abdruck auf meinem Briefwechsel meinen Gegner so rot und so blass gemacht hat.
Und so sei denn der Anfang meiner Verteidigung selbst eine Urkunde früherer Verteidigung, ein Antwortschreiben, das ich schon am 7. November des entwichenen Jahres an Mendelssohn und meine gemeinschaftliche [252] Freundin, die ich hierfüro Emilie nennen werde, abgehen liess.
Liebste Emilie!
Das Beziehen meines Winterquartiers und die damit verknüpften Unruhen haben mich verhindert. Ihr Schreiben vom 24. Oktober gleich mit der ersten Post zu beantworten.
Dass die öffentliche Erscheinung meiner Briefe an Mendelssohn Ihnen unangenehm auffallen würde, konnte ich voraussehen... Die Vorwürfe aber, welche Sie mir machen, hatte ich – von Ihnen nicht erwartet, sondern ich sah ihnen nur in Bibliotheken, Monatsschriften und anderen öffentlichen Blättern entgegen.
»Unser Lessing«, schreiben Sie, »musste allerdings bei der Nachwelt nicht anders erscheinen als er war, das heisst, nicht als Deist, wenn wir wissen, dass er ein Spinozist war, – aber das ganze Detail eines freundschaftlichen Gespräches« usw.
Hierauf antworte ich.
Erstens. Das durch mich bekanntgemachte Gespräch war kein vertrauliches Gespräch im engeren Verstande. Das Widrigste darin ist der Anfang, wo Lessing den Prometheus adoptiert. Bei diesem Auftritte war meine Schwester zugegen; und Wolke kam dazu, ohne dass Lessing seine Rede unterbrach oder sehr veränderte. Wolke bekam auch bei dieser Gelegenheit (wenn mein Gedächtnis mich nicht sehr betrügt) das Gedicht zu lesen. Ich könnte ähnliche Fakta beibringen, wo Lessing in Gegenwart von Leuten, die gewiss nicht [253] »die Vertrauten seines Kopfes und seiner Seele« waren, seinen Spinozismus zutage legte. Er verhehlte ungern seine Meinungen. Wenn er eine Maske vorhielt, so war es nicht, um sich unkenntlich zu machen, sondern bloss, um sich damit zu schützen; und es ärgerte ihn ebensosehr, wenn man die Maske für sein Gesicht ansah, als wenn man glaubte, er wolle sie im Ernst dafür gehalten wissen. Das aber lag tief in seinem Charakter, dass er von keinem Menschen und von keinem Dinge der Narre sein wollte. Niemand sollte ihn auslachen, am wenigsten er sich selbst; und er hätte geglaubt, sich selbst auslachen zu müssen, wenn er sich auf irgendeine Art zum Märtyrer selbst befördert hätte.
Zweitens. Sehe ich nicht ein, wie man Lessing bei der Nachwelt als einen Spinozisten darstellen will, ohne irgend etwas, woraus. Nehmen Sie meinem Bericht die Teile, welche Sie gern unterdrückt gesehen hätten; was bleibt übrig als eine Sage, der das Siegel der Geschichte und der bestimmte eigentliche Inhalt mangelt? – Desto besser! werden Sie sagen, und mit Ihnen Mendelssohn. – So hat aber Mendelssohn vorher nicht gesprochen, und es ist sonderbar genug, dass seine anfangs so heroische Philosophie nach und nach so zärtlich geworden ist, dass sie nun in alle Mäntel eines frommen Betruges sich einwickelt, um von dem rauchen Winde der Wahrheit oder der Zugluft der Geschichte nicht verschnupft zu werden. Im Jahre 1783 schrieb er Ihnen: »Auch unseres besten Freundes Name soll bei der Nachwelt nicht mehr und nicht weniger glänzen, als er es verdient. Die Wahrheit kann auch hier nur gewinnen. Sind seine Gründe seicht, so dienen sie zu ihrem (der Wahrheit) Triumph, sind sie aber gefährlich, so mag die gute Dame für ihre [254] Verteidigung sorgen. – Überhaupt setze ich mich dann (wenn ich über Lessings Charakter schreibe) ein halbes Jahrhundert weiter hinaus, wo alle Parteilichkeiten aufgehört haben, alle unsere jetzige Trakasserie vergessen sein wird«. 3
Und nun – wahrhaftig, ich wusste nicht, ob ich meinen Augen trauen sollte, da ich in den Morgenstunden, nachdem ich die Vorrede gelesen hatte, das XIII., XIV. und XV. Hauptstück durchlief. Ich legte das Buch weg und habe es bis diese Stunde noch nicht wieder in die Hand nehmen mögen. Heisst das auf jede Gefahr der Wahrheit Zeugnis geben, oder sie nach Willkür seinem Eigendünkel unterwerfen? Offenbar wollte Mendelssohn, dass sie nicht an den Tag käme. Wenn ja etwas von ihr verlautet hätte, so sollte es nun wieder vertuscht und allem künftigen Gerücht von ihr gesteuert werden. Darum, vermutlich, wollte Mendelssohn auf meine Frage auch nicht antworten: Ob es nicht gut, und gerade in dem gegenwärtigen Zeitpunkte von Nutzen sein würde, den Spinozismus in seiner wahren Gestalt und nach dem notwendigen Zusammenhange seiner Teile öffentlich darzustellen? Denn Mendelssohn war gerade in dem gegenwärtigen Zeitpunkte eines leidlichen Spinozismus bedürftig, der zu einem noch mehr leidlichen Pantheismus geläutert, [255] und dann im Falle der Not Lessing zugeschrieben werden könnte.
Von allen diesem – überhaupt, dass Mendelssohn die Sache drechseln und nach seinem Sinne formen würde – war ich nicht ohne Ahnung. Ich wollte nicht mich und Lessing ihm aufs Geratewohl überlassen, nicht mir das Heft aus den Händen winden lassen, nicht das Nachsehen und Nachlaufen haben. Mir ist Lessing, so wie er war, gut genug; ich schäme mich seiner nicht, sondern werde, solange ich lebe, ihm als Freund treu und stolz zur Seite stellen. Mit dem geläuterten Pantheismus, den er zu seiner Genesung einnehmen soll, wäre er nach meinem Urteil nur ein Halbkopf, und dazu will ich ihn nach seinem Tode nicht durch Mendelssohn erziehen lassen. Meine Wenigkeit möchte Mendelssohn mit seinen Knaben immer zu sich in die Schule nehmen, und an uns lieben Kindern sein Bestes tun; aber Lessing muss so gut als Kant zu Hause bleiben dürfen, und nur, so Gott will, von selbst in sich kehren.
Wie Sie fürchten können, liebe Emilie, dass bei diesem Anlasse, wenn er in eine Fehde ausgehen sollte, die Feinde Lessings und der Wahrheit allein den Sieg davontragen würden, ist mir unbegreiflich. Ich habe für dergleichen Ängstlichkeiten keinen Sinn; ich empfinde sie nicht und verstehe sie nicht. Lessing dachte darüber geradeso wie ich. Sie wissen, dass er wünschte, man möchte den Bemühungen, spekulative Wahrheiten gemeinnütziger und dem bürgerlichen Leben erspriesslicher zu machen, einmal eine entgegengesetzte Richtung geben, und sich von der Praxis des bürgerlichen Lebens zur Spekulation erheben. »Dort, dachte er, würde untersucht, was unter dem Wahren brauchbar, [256] und hier, was unter dem Brauchbaren wahr wäre«. 4 – Es muss gar keine Wahrheit geben, wenn Lüge oder Bemäntelung zu etwas gut sein kann.
Lessings Feinde gehen mich nichts an. Schrieb doch Mendelssohn selbst an **: »Mögen die, welche draussen sind, sich betrüben oder freuen, wir bleiben unbekümmert, wir wollen ja keine Partei machen usw.« – Ich an meinem Teile bin von ganzem Herzen unbekümmert. Ich weiss, dass ich ein nützliches und verdienstliches Werk getan habe, indem ich die eigentliche wahrhafte Philosophie eines Mannes wie Lessing unverhüllt ans Licht stellte. – So wird auch jedermann, wenngleich nicht in diesem Augenblick, wenigstens nach einiger Zeit urteilen.
Nach diesem Eingange zum Text, dem Schreiben des Herrn Mendelssohns an die Freunde Lessings. Ich werde mich, soviel ich kann, an den Faden der Geschichte halten, um mit geringerer Gefahr das Labyrinth von Hypothesen und Gedächtnisfehlern meines Gegners zu durchwandern.
Unter den Anschuldigungen desselben wäre folgende demnach
die erste.
»Ich habe Herrn Mendelssohn die Nachricht, Lessing sei ein Spinozist gewesen, zugenötigt, und zwar dergestalt, dass Mendelssohn wohl sah, man sei geneigt, Lessing auf diese Weise den Prozess zu machen.«
In meiner Schrift über Lessing und Spinoza wird die Sache folgender Gestalt erzählt:
»Die Wahrscheinlichkeit von der einen Seite, dass mehrere von Lessings Spinozismus unterrichtet wären, und die Gewissheit von der andern, dass Mendelssohn [257] davon nichts Zuverlässiges bekannt geworden, bewogen mich, letzterem einen Wink darüber zu verschaffen.«
Ich hatte keine Abschrift von dem Briefe, worin ich zuerst meiner Freundin den Vortrag getan und schrieb also obige Nachricht aus dem Gedächtnis. Nun aber die harte Beschuldigung in Mendelssohns Schrift, und das Geschrei in allen Zeitungen von meiner Zudringlichkeit, da doch schwerlich ein Mensch lebt, der weniger zudringlich ist, als ich es von Kindesbeinen an gewesen bin – der unangenehme Eindruck, den dieses auf mich machte, brachte mich auf den Gedanken, die Antwort meiner Freundin auf das Schreiben, wovon ich keine Abschrift hatte, nachzusehen, wo ich denn gleich hinter Mendelssohns Fragestücken folgende Worte fand: »Sehen Sie, liebster Jacobi, dieses ist das Resultat ihrer mitgeteilten Nachricht, die ich Mendelssohn unmöglich verschweigen konnte, und davon Ihnen auch das weitere mitzuteilen nicht gereuen darf. Denn was würden Sie gesagt haben, wenn einmal Mendelssohn mit dem, was er über Lessings Charakter zu sagen denkt, zum Vorschein kommt, und von ähnlichen wichtigen Dingen stände nichts darin? Sie hätten sich's alsdann zum Vorwurf machen müssen, die Sache der Wahrheit (denn die ist's am Ende mehr, als unseres Freundes) verstümmelt zu haben«.
So zudringlich bin ich gewesen!
Ob ich es in der Folge mehr geworden bin, wird sich zeigen. – Hier ist der Brief, mit dem ich mein erstes Schreiben an Mendelssohn Emilie übersandte.
Pempelfort, den 4. November 1783.
Ich verlasse heute meine ländliche Wohnung, um in der Stadt den Winter anzufangen, ehe denn es Zeit [258] ist, denn wir haben noch die schönste Witterung. Aber die Ordnung will es einmal so. Um nun in die böse Stadt nicht auch noch gar ein böses Gewissen mitzunehmen, so erhalten Sie hierbei, was ich zu meinem eigenen Verdrusse solange schuldig blieb. Sie werden nichts dagegen haben, dass mein Brief geradezu an Mendelssohn gerichtet ist, und Mendelssohn wird nicht vor übel nehmen, dass ich ihn nicht ganz mit eigener Hand geschrieben habe. Ich überlasse Ihnen, mich deswegen bei ihm zu entschuldigen.
Dass Sie das Paket erhalten und versendet haben, und Ihre Gedanken über den Inhalt, melden Sie mir, wenn Sie können, mit der Post am Montag. WasMendelssohn dazu sagt, davon lassen Sie mich künftig, was ich wissen darf, erfahren. Ich erwarte eben nicht den besten Dank von ihm für meine Mühe, weil meine Art zu sehen von der seinigen etwas verschieden ist, und die Morgue berlinoise, das dort eingerissene meisterische süffisante Wesen, wovon auch Mendelssohn nicht ganz unangesteckt geblieben ist, dergleichen nicht verträgt, ich bin aber ein für allemal darein ergeben, was aus dem Scheine meines Seins erfolgt, zu tragen, und nur immer dieses so zu zeigen, wie es ist. Etwas Mut und Verleugnung wird dazu erfordert, aber dafür hat man auch die innere Ruhe, die sonst nie erhalten werden kann usw. 5 –
[259]Zweite Beschuldigung.
»Die Erläuterung, die ich Herrn Mendelssohn gemäss denen von ihm mir vorgelegten Fragen in meinem Schreiben vom 4. November 1783 gegeben, war in so vollem Masse, dass er jetzt nur noch besser einsieht, man sei geneigt, Lessingen auf diese Weise den Prozess zu machen, und vollkommen überzeugt wird, die Nachricht von Lessings Anhänglichkeit an Spinoza sei blosse Anekdotenkrämerei. 6 Ich lasse in dieser Schrift Lessing keinen gesunden Gedanken vorbringen, sondern nur hier und da einen gezwungenen Einfall, der mehrenteils auf eine Gotteslästerung hinausläuft – lasse ihn schlechte Verse von abenteuerlichem Inhalt, eine wahre Armseligkeit, gut finden, [260] so dass man durchaus seinen Scharfsinn und seine Laune, seine Philosophie und seine Kritik verkennt.«
Ein Mann, den Herr Mendelssohn nicht weniger verehrte, als er von mir verehrt wird, den er einen der gründlichsten Weltweisen dieser Zelt nennt, und ihm seine Morgenstunden zur Zensur überschickte; von dem er in seinem Anhange sagt: Ich habe keinen philosophischen Freund, dem ich mehr Freimütigkeit, Wahrheitsliebe und Beurteilungskraft zutraute: dieser Mann, der auch mit Lessing seit langen Jahren eng verbunden war – dieser urteilte über den von Mendelssohn so unbarmherzig gerichteten Aufsatz wie folgt, und würde – ich kenne den Rechtschaffenen – sein Urteil auch noch heute nicht zurücknehmen.
Aus einem Briefe von Emilie.
Freitag, den 14. November 1783.
»So gern ich es gewollt, mein lieber Jacobi, so hab' ich es nicht möglich machen können, diesen Brief schon am Montage fortzuschicken... Dafür kann ich Ihnen aber auch jetzt des * * Gedanken über Ihr Gespräch mit Lessing und das Ganze mitteilen. Er findet das Gespräch höchst interessant, ist, im philosophischen Verstande, äusserst davon erbaut; sagt, wie ich, es wäre, als ob man Sie beide wirklich reden hörte, mit all dem Scharfsinn und eigentümlicher Laune. Er ist völlig überzeugt, dass Lessing dem System zugetan war, worüber Sie mit ihm disputiert, und erinnert sich... * * hat dieses mit ein paar Worten an Mendelssohn zu meinem Briefe geschrieben und schliesst mit diesen Worten: –
›Was soll ich sagen? Die Neigung zur Paradoxie, altes zu behaupten oder zu bestreiten, macht endlich [261] Zweifelsucht eingewurzelt, und dagegen das klare Judicium veri et falsi verlieren......‹
Dass übrigens Lessing sich weder gegen * * noch gegen Mendelssohn je deutlich über jenes System geäussert, kommt wohl daher, weil er beider Art, zu denken, kannte, die sie bei ihrer Wahrheitsforschung das Paradoxe ebensosehr vermeiden lässt, als Lessing es behilflich auf seinem Wege zu halten schien. Er hätte da manchen Schritt vor- und zurücktun müssen, um die Starrköpfe neben sich zu behalten, und das war Lessings Sache nicht. Aber auf so eine Art, wie Sie mit ihm disputierten, das mochte er wohl, das war beides seinem Geist und seiner witzigen Laune recht. Ich kann mir vorstellen, wie Ihr Salto mortale ihn gefreut hat, und ich weiss aus seinem Munde, wie lieb er Sie seit Ihrer persönlichen Bekanntschaft hatte.«
Nach diesem Zeugnisse eines würdigen geistvollen Mannes wollen wir auch Herrn Mendelssohn selbst hören. [...] 7
Man sieht, dass * * schon damals bei der Übersendung meines ersten Schreibens an Mendelssohn der Meinung gewesen, es sei besser, wenn Lessings Spinozismus nicht öffentlich bekannt werde. Er fürchtete von den verschiedenen Gattungen unphilosophischer Köpfe, Frömmlern und Witzlingen, eine unedle Schadenfreude, und vielleicht noch andere schlimme Folgen. Mendelssohn widerspricht ihm, winkt auf die eigene Bemerkung seines Freundes, wie das Judicium veri et falsi verloren gehe, zurück, und bleibt dabei,[262] »dass es nötig und nützlich sei, die Liebhaber der Spekulation treulich zu warnen, und ihnen durch eklatante Beispiele zu zeigen, welcher Gefahr sie sich aussetzten, wenn sie sich derselben ohne allen Leitfaden überliessen.« – Dies sei das Wichtigste, Dringendste. »Es möchten alsdann die, welche draussen wären, sich darüber freuen oder betrüben usw.«
So schrieb, so äusserte sich Mendelssohn über einen Aufsatz, »der ihm die Erläuterung in vollem Masse gab, es sei mit der Nachricht von Lessings Anhänglichkeit an Spinoza blosse Anekdotenkrämerei.« Über einen Aufsatz, aus dem er nur noch deutlicher erkannte, »dass es darauf angesehen sei, Lessingen auf diese Weise den Prozess zu machen.« – Er hat nicht aus einer so verächtlichen Angabe, aus einer so albernen Geschichte ein eklatantes Beispiel ziehen, und die Liebhaber der Spekulation treulich warnen wollen. – Dergleichen Treuherzigkeiten sind nur meine Sache; ich bin der Mann, der gegen die Spekulanten zu Felde zieht, und ihnen einen Leitfaden aufdringen will; ich habe Lessingen, und Mendelssohn, und Hemsterhuis, und * * und meine Freundin zurechtbringen wollen; gehe offenbar darauf aus, meine Nebenmenschen zu bekehren, und – nehme mich dabei, im Falle der Not, wieder Patriarch im Nathan usw. usw.
Aber die Sache muss sich noch besser aufklären. Ich fahre fort.
Aus einem Briefe von Emilie,
den 2. April 1784.
Was aber sagen Sie zu ...? Nicht wahr, Sie haben sich darüber, so wie wir, geärgert...? L. J., was will aus allem Denken, aus aller Wahrheit werden, [263] wenn solche Paradoxien mehr in Gang kommen? Denn was greifen die Nichtdenker eher auf, als Paradoxien, glänzende Irrtümer, von irgendeinem grossen Manne glänzend vorgetragen? Ich muss es Ihnen gestehen, unser * * ist durch diese Geburt von N. N. sehr dahingebracht, dass Mendelssohn Lessings Spinozismus der Welt so sehr verhehle, als die Heiligkeit der Wahrheit es immer verstattet. Denn was würde vollends ein Beispiel, wie das von Lessing, der Schale für einen Ausschlag geben? Ich zittere vor den Folgen. »Wie gross, wie klein ist der Mensch in seinem Denken!«
Des Briefes, den ich etwas länger als drei Monate nachher von meiner Freundin erhielt, habe ich in meiner Schrift über die Lehre des Spinoza gedacht, und den Erfolg erzählt.
Von dem Briefe des Herrn Mendelssohn, der, sehr unerwartet, mich zu Hofgeismar überraschte, ist nur der Schluss mitgeteilt worden. Das Fehlende mag hier seine Stelle finden.
Berlin, den 1. August 1784.
Emilie hat Ihnen bereits in meinem Namen zu erkennen gegeben, wie sehr ich durch Ihre philosophische Zuschrift beschämt worden bin, und Sie waren so gütig, mir auf das Vorwort, das diese würdige Freundin zu meinem Besten eingelegt, die Übereilung zu vergeben, mit welcher ich über Ihren ersten Antrag hergefahren bin. Man ist so sehr gewohnt, philosophische Masken und Larvengesichter auftreten zu sehen, dass man, wie jener Äthiopier, beim Shaftesbury, am Ende in Gefahr ist, jedes ehrliche Menschengesicht für eine Maske zu nehmen. 8
[264] Ich habe Ihren Aufsatz seitdem mehr als einmal gelesen, um mich mit dem eigenen Gang Ihrer Ideen bekanntzumachen. Nach dem fünfzigsten Jahre mag wohl unsere Seele sich nicht leicht einen neuen Weg führen lassen. Wenn sie auch einem Führer eine Strecke lang nachfolgt, so ist ihr doch jede Gelegenheit, in ihr gewöhnliches Gleis einzulenken, willkommen, und unvermerkt verliert sie ihren Vorgänger aus den Augen. Dieses mag vielleicht die Ursache sein, warum mir so manche Stelle in Ihrem Briefe schlechterdings unverständlich ist, und bei mancher ich die Bündigkeit vermisse, mit welcher die Gedanken in Ihr System passen.
Da ich vor der Hand von dem Vorsatze usw.
Dritte Beschuldigung.
»Ich habe gesagt, Mendelssohn sei über die Nachricht, dass Lessing ein Spinozist gewesen, erstaunt; und er war nicht erstaunt: diese Entdeckung konnte bei ihm in Wahrheit keine Bewegung von dieser Art versursachen, denn:
1. Er wusste, dass es auch einen geläuterten Spinozismus gibt... und dass Spinoza, seiner spekulativen Lehre ungeachtet, ein orthodoxer Jude hätte bleiben können, wenn er nicht in andern Schriften das echte Judentum bestritten und sich dadurch dem Gesetze entzogen hätte. Die Lehre des Spinoza kommt dem Judentum offenbar weit näher, als die orthodoxe Lehre der Christen.
[265] 2. Er wusste, dass Lessing in seiner frühesten Jugend dem Pantheismus geneigt gewesen, und solchen mit seinem Religionssystem nicht nur zu verbinden gewusst, sondern auch die Lehre des Athanasius daraus zu demonstrieren gesucht hatte. 9 – Die Stelle aus einem jugendlichen Aufsatze usw.
Die Nachricht also, dass Lessing ein Spinozist sei, konnte für Herrn Mendelssohn weder erstaunlich noch befremdlich sein. Aber höchst unangenehm war ihm der Antrag von seiten des Herrn Jacobi. Im Grunde hatte er Herrn Jacobi nie gekannt. Er wusste von sei nen Verdiensten als Schriftsteller, aber im metaphysischen Fache hatte er nie etwas von ihm gesehen. Auch wusste er nicht, dass er Leasings Freundschaft und persönlichen Umgang genossen habe. Er hielt also die Nachricht für eine Anekdote, die ihm etwa ein Reisender möchte zugeführt haben usw. – Sie war ihm also höchst unwillkommen, die Äusserung des Herrn Jacobi, und er drang auf nähere Erklärung, wie? bei welcher Gelegenheit? und mit welchen Ausdrücken Lessing seinen Spinozismus zu erkennen gegeben? Die Fragen, die er Herrn Jacobi vorlegte, sind [266] vielleicht etwas zu lebhaft ausgedrückt, aber doch der Sache angemessen und ohne Empfindlichkeit.«
Die zwei Hauptgründe von dem Nichterstaunen meiners Gegners beruhen auf einer unaufhörlichen unverantwortlichen Verwechslung der wirklichen Lehre des Spinoza, wie sie unwiderleglich (nicht unwidersprechlich) aus seinen Schriften dargetan kann werden; mit der willkürlich ersonnenen, und von Herrn Mendelssohn, ohne allen anderen Beweis, als seinautos epha, vorgetragenen Lehre eben dieses Mannes. Diese unablässige Verwechslung ist die wahre goldene Hüfte des Meisters, deren Metall vor allen Dingen geprüft werden muss. Meine Briefe über die Lehre des Spinoza sind zu einer solchen Prüfung vollkommen hinreichend, und sie ist durch die von Herrn Mendelssohn selbst nunmehr bekanntgemachten Erinnerungen noch um ein Merkliches erleichtert worden. Nur aus einem solchen platterdings erdichteten – (nicht einmal erschlichenen) Spinozismus konnte jener Pantheismus von ganz eigener Erfindung geläutert werden, der zu Lessings Kopfe geradeso passt, wie der Eifer für die Lehre des Athanasius. Der unsterbliche Bibliothekar Gotthold Ephraim Lessing wusste wohl, dass sich aus dem Spinozismus ebensowenig ein Pantheismus läutern lässt, als aus klarem Wasser trübes, und dass sich die Sache gerade umgekehrt verhalte.
»Dass er aber Herrn Mendelssohn höchst unangenehm war, der Antrag (wie er es nennt) von meiner Seite – dieses gesteht er« – und dies begreife ich vollkommen. – Aber warum schlug er ihn denn nicht von der Hand? Ich an seiner Stelle – der ich doch lange nicht so gewohnt bin, vornehm zu tun, ich hätte [267] von meiner Seite geantwortet: Anekdötchen! und damit gut.
»Im Grunde hatte Herr Mendelssohn mich nie gekannt.« – Nicht doch! Er kannte mich nur zu gut, und das allein ist zu verwundern von seiten eines so wahrhaften Mannes, dass er am Schlüsse seiner Fragen die Schmeichelei anbrachte: »er sei von mir (den er im Grunde nie gekannt hatte) fest 10 überzeugt, dass ich, sowohl Lessing ganz verstanden, als auch von einer so wichtigen Unterredung jeden Umstand im Gedächtnis behalten haben würde.« Was brauchte er mir dergleichen weiszumachen, und vollends meinen armen Kopf zu verrücken?
»Herr Mendelssohn wusste von meinen Verdiensten als Schriftsteller, aber im methaphysischen Fache hatte er nie etwas von mir gesehen. Auch wusste er nicht, dass ich Lessings Freundschaft und persönlichen Umgang genossen habe.«
Die Schrift: Etwas was Lessing gesagt hat, hatte Herr Mendelssohn wenigstens gesehen, denn er hatte Bemerkungen darüber aufgesetzt, auch dem Verfasser Richtigkeit des Urteils und selbst Tiefsinn beigemessen. 11 Er hatte Anteil an den »Gedanken Verschiedener [268] über eine merkwürdige Schrift«, und war mit meinen Erinnerungen 12 dagegen zufrieden gewesen. In diesen Erinnerungen steht eine ziemlich lange Note 13 über Lessings Paradoxie, die einer Anmerkung von Mendelssohn über eben diese Paradoxie, in den Gedanken Verschiedener, einigermassen widerspricht, und den Missverstand, der meinem Freunde diesen Vorwurf zugezogen, wegzuräumen sucht. Meine Erklärung muss Herrn Mendelssohn nicht unrichtig geschienen haben, da sich dieselbige Ansicht in den Morgenstunden wieder findet.
Genug hievon. Herr Mendelssohn konnte dies alles schon vergessen haben, auch was ihm Emilie mündlich gesagt. Sechs Monate, die seitdem verstrichen waren, sind eine lange Zeit, und er wusste nun nicht mehr, was er von meiner Freundschaft und persönlichen Bekanntschaft mit Lessing gewusst hatte.
»Sie war ihm also höchst unwillkommen, meine Äusserung, und er drang auf eine nähere Erklärung, wie? bei welcher Gelegenheit? und mit welchen Ausdrücken Lessing seinen Spinozismus zu erkennen gegeben? Die Fragen, die er mir vorlegte, sind vielleicht etwas zu lebhaft ausgedrückt, aber doch der Sache angemessen und ohne Empfindlichkeit.«
Ich sehe keine Spur von Lebhaftigkeit in diesen Fragen, auch eben keine Empfindlichkeit; aber angemessen – sind sie einzig und allein der Unbekanntschaft meines Gegners mit den Schriften des Spinoza. – Auch ich erstaunte nicht, war nicht sehr befremdet, [269] denn ich hatte Herrn Mendelssohns Dialogen über den Spinoza lange schon gelesen. 14
Sollte ich dem verdienten, und von so mancher Seite ehrwürdigen Manne Unwissenheit vorwerfen – Unwissenheit, und zwar von der derbsten Gattung in einer Sache, über die er mit so vieler Selbstgenügsamkeit Fragen vorlegte? Oder sollte ich mit feinem Hohne zu ihm kommen? Mir ziemte keins von beiden, und so ergriff ich das Mittel, mich selbst als den Beleidigten anzusehen und machte Vorwürfe. Jeder, der mit den Schriften des Spinoza bekannt ist, und die Mendelssohnschen Fragen gelesen hat, mag urteilen, ob mein Fall ein anderer als der hier angegebene sein konnte, ob ich sie lebhaft oder nur lächerlich finden musste.
Vierte Beschuldigung.
»Ich gehe offenbar darauf aus, meine Nebenmenschen, die sich in der Einöde der Spekulation verloren haben, auf den ebenen und sicheren Pfad des Glaubens zurückzuführen. Dahin zielen alle meine Unterhaltungen mit Lessing, dahin auch mein Briefwechsel mit Hemsterhuis und der mit Emilie und Mendelssohn.«
»Was zuvörderst Lessing betrifft,« – sagt Herr Mendelssohn, »so glaubte Jacobi vielleicht selber nicht, dass ihm dieser ein sonderliches Geheimnis anvertrauet hätte, sondern hielt ihn vielmehr für einen Mann (Es ist notwendig, dieses sorgfältig ausgemalte Bild hier von neuem auszustellen) von unsteten Grundsätzen, [270] der bald dieses, bald jenes, heute den Theismus, morgen Atheisterei, und vielleicht Tages darauf Aberglauben mit gleichem Scharfsinne zu behaupten das Talent hat, der auch seine Behauptungen niemals zu verheimlichen sucht, sondern so, wie sie ihm die Laune, oder der Geist des Widerspruchs eingibt, auch öffentlich zu erkennen zu geben kein Bedenken trägt. Er hielt ihn für einen irrigen in seinen Subtilitäten verlorenen Sophisten, der Wahrheit und Irrtum in gleichem Lichte oder in gleicher Dunkelheit erblickt, dem am Ende Witz soviel als Philosophie gilt, und dem, wenn er in der Stimmung ist, Gotteslästerung Stärke des Geistes zu sein scheint.«
Meisterhaft! Man nehme das unmittelbar folgende hinzu, wo es heisst: »Als geschickter Arzt hätte Jacobi es gewagt, das Übel anfangs etwas zu verschlimmern – hätte Lessingen tiefer hinein in die Irrgänge des Spinozismus geführt, ihn verleitet in die dornichten Hecken des Pantheismus.« – Und dann die vorbereitenden Worte. »Er (Jacobi) klagt endlich diesen seinen Freund an, ohne von dem Vergehen desselben einen anderen Zeugen anführen zu können, als seine eigene Person. Seine eigene Person, indem er gesteht, Mitschuldiger gewesen zu sein; ja sogar den wichtigsten Anteil an der Sache gehabt, und seinen Freundmehr verleitet, als auf unrechtem Wege gefunden zu haben. 15 Er ist endlich vorsichtig genug, sich selbst[271] eine Hintertüre zum Rückzuge offen zu halten, durch welche er dem Atheismus entläuft« –: Man nehme dies zusammen und zweifle noch, wer in dem so sorgfältig ausgemalten Bilde getroffen sein soll. Der Mann, wofür ich Lessingen gehalten haben soll – der bin ich selbst. Das ist mein esoterischer Charakter, und der eines Gläubigen nur mein exoterischer.
Ich muss gestehen, diese esoterische Hypothese meines Gegners hat vor seiner exoterischen einen grossen Vorzug. Sie empfiehlt sich durch eine gewisse innere Wahrscheinlichkeit, die mehr aus Entwickelung nur hervorzugehen, als sich aus Erdichtung und verschobenen Umständen mürbe, faul und brüchig zu entspinnen scheint. Vermutlich würde sie auch die herrschende ausdrücklich geworden sein, wenn ihre unverhohlene ausführliche Behauptung mit der Menschenfreundlichkeit eines Mendelssohns verträglich gewesen wäre. In dieser Absicht ist der letzte Wille meines Gegners in der Tat ein Meisterstück der Kunst. Jeder kann nach der Ansicht, die er hat, nach seiner Denkart und Gemütsbeschaffenheit, Vorurteilen und Neigungen, mich auf seine eigene Art, auch nach Belieben so hassenswürdig und abscheulich finden, als es ihm gefällt. Selbst für diejenigen ist gesorgt, die es sich nicht möchten ausreden lassen, dass ich die Wahrheit geschrieben habe. Sie finden gleich auf der zwölften Seite, was alsdenn von mir zu halten ist. Eine wirklich [272] schöne und rührende Stelle. – Nach S. 17 habe ich in diesem Fall »ein Bekenntnis, das mein Freund in meinen Schoss niederlegte, dem Publikum verraten. Mein Freund macht mich in den letzten Tagen seines Lebens zum Vertrauten seiner Schwachheit (Schwachheit?) und ich suche damit dessen Andenken bei der Nachwelt zu brandmarken(zu brandmarken? suche damit zu brandmarken!) Ich klage endlich diesen Freund an (klage an?) usw.« – Aber von dem allen glaubt mein Gegner selbst am Ende nichts; es ist bloss Hypothese, wie der Patriarch im Nathan sich ausdrückt, die man sich etwa so erdenkt, um pro und contra zu disputieren – Hypothese, die nicht gelten soll. Der gutmütige Weise will mich durch eine Hintertür entschlüpfen lassen, und mir das Glaubensfähnlein in die Hand geben, dass ich immer an eine solche Hintertür zu lehnen pflege, um damit dem Atheismus zu entlaufen, und es dann hinter mir zuzuschlagen. – Das Gerücht, für einen Gottesleugner erkannt zu werden, dem ich durch die Herausgabe meiner Schrift nicht zu entgehen brauchte, das soll auch jetzt nicht – (etwa gar doppelt und dreifach?) über mich kommen. Nein, ich soll entrinnen. Doch wehe mir, wenn ich die Wohltat ausschlage, meine Ohren allein, dem Sapienti sat! verstopfe und auf das patriarchisch freundliche Wort: »Ein Problema?« - nicht antworte: »Ein Problema!«
Aber die Sache buchstäblich genommen, und ich würde nur beschuldigt. Lessing für den Mann nach jenem Bilde gehalten zu haben, nicht weil ich selbst dieser Mann war, sondern weil ich es nicht war. Wo ist in meiner Geschichtserzählung auch nur die geringste Spur davon? Alles ist vielmehr dawider, Anfang, [273] Mittel und Ende; alles, alles! Man sehe im Gegenteil in Emiliens Briefe vom 14. November 1783, was an Mendelssohn * * über Lessing schrieb, und im folgenden Briefe, was Mendelssohn antwortete. Hier möchten sich eher, wenigstens die Grundzüge zu dem Bilde finden. Und das schüttet mir, der ich nicht den entferntesten Anlass dazu gab, der sich überall alsMitschuldiger so offenherzig darstellte – das schüttet mir der gute Mann nun weislich in die Schuhe!
Hingegen bin ich geständig, dass ich nicht geglaubt habe und auch noch nicht glaube, Lessing würde sich gegen gar keinen anderen Menschen herausgelassen haben, wie er gegen mich sich herausliess, dass er mir eine Schwachheit gebeichtet, ein Bekenntnis in den Schoss gelegt habe – und wie es in der Pfaffensprache weiter lauten mag. Ich habe vermutet, dass mehrere von seinem Spinozismus wüssten, und bin überzeugt, dass er nicht minder offenherzig gegen jeden Mann von Ehre gewesen wäre, den er ebenso vertraut mit dem System, welches er für das älteste und festeste hielt, und mit einer ähnlichen Anlage, sich in jede Sinnesart hineinzudenken, gefunden hätte. Seine Gewogenheit gegen mich gründete sich auf diese Anlage, die er bei niemand so natürlich angetroffen haben wollte. Lessing hasste alles schnöde, unwillige Wegwerfen; dem pan in seiner Seele war ein weibischer Ekel über alles ekelhaft, und er verachtete den Mann, bei dem er diesen Ekel bis zum Abscheu steigen sah.
Nicht weil er einen solchen Ekel oder gar einen solchen Abscheu von seinem Freunde Mendelssohn befürchtete, verschwieg er ihm seine geheime Meinung – sondern aus einer Ursache, die uns Mendelssohn selbst in der Vorrede zu den Morgenstunden und in dem [274] Briefe an mich vom 1. August 1784 vor Augen legt. Mendelssohn hatte sich in die Leibniz-Wolfsche Philosophie allein, ganz hineingedacht und war steif darin geworden. Damit entschuldigte ihn auch Lessing in Absicht des tautologischen 16 Beweises vom Dasein Gottes – er entschuldigte ihn mit dem, was er mir vorhin, und auf das erste Wort schon zugegeben hatte, dass Mendelssohn zwar ein heller, richtiger, vorzüglicher, aber kein metaphysischer Kopf sei. Mendelssohn brauchte Philosophie, fand, was er brauchte in der herrschenden Lehre seiner Zeit, und hielt sich daran. Anderen Systemen nachzuforschen, sie einzusaugen und in Saft und Blut zu verwandeln, hatte er weder Beruf noch Lust. Ihm mangelte jener philosophische Kunsttrieb, der gerade der auszeichnende eigentümlichste Charakter Lessings war. 17
Herr Mendelssohn fährt fort: »Unser Freund (Lessing), der die ehrliche Absicht des Herrn Jacobi gar bald mochte gewittert haben, war schalkhaft genug, ihn in der Meinung, die er von ihm gefasst hatte, zu bestärken.« – (In dieser schönen Meinung, die ich von ihm gefasst hatte, wollte Lessing mich bestärken! So schalkhaft macht diesen Sokrates sein Xenophon und [275] Plato.) – »Teils auch kann er an dem Scharfsinne Vergnügen gefunden haben, mit welchem Jacobi die Lehre des Spinoza vorzutragen und zu verteidigen wusste. Sie wissen, dass unser Freund mehr Vergnügen fand, einen ungereimten Satz mit Scharfsinn behaupten, als die Wahrheit schlecht verteidigen zu hören. Er spielte daher vollkommen den aufmerksamen Schüler usw.«
Man begreift nicht recht, wie mich Lessing in der Meinung, die ich von ihm gefasst hatte, bestärken und zugleich den aufmerksamen Schüler vollkommen spielen konnte. Er musste wohl sehr schalkhaft sein, wenn er das konnte. Doch mit dergleichen Widersprüchen scheint Herr Mendelssohn nur die Absicht zu haben, mir die Hände recht voll zu tun zu geben. Ich halte mich aber an der durch äusseren und inneren Zusammenhang exoterisch genug gewordenen – esoterischen Hypothese meines Gegners, nach welcher Lessing nicht den Gläubigen, sondern den Atheisten zum besten hatte – und frage: wo spielt in meiner Erzählung Lessing den aufmerksamen Schüler – und noch gar vollkommen? Wo spielt er in derselben nicht vielmehr den Meister, nicht den Mann von Würde, der seinen jüngeren Freund ohne viel Umstände in die Prüfung nimmt, ihn an allen Seiten ausforscht und in dieser Absicht dem Gespräch mit der ihm eigenen Laune und Geistesbehändigkeit die glücklichsten Wendungen verschafft? Alle, die Lessingen gekannt haben, und die Wahrheit reden wollen, versichern, dass sie Lessing zu sehen und zu hören glauben. Dergleichen Urteile habe ich nicht erst vernommen, seit meine Schrift öffentlich bekannt geworden. Der Aufsatz, wovon die Rede ist, war damals schon zwei Jahre alt und ist unterdessen in mehr als einer sehr guten Hand gewesen.
[276] Weiter! »Daher«, sagt Herr Mendelssohn, »musste auch ich, ob ich gleich sein vertrautester Freund war, von diesem grossen Geheimnisse nichts wissen (dieser Umstand ist Herrn Mendelssohn wirklich doch zu nahe gegangen); darum konnte auch Gleimen kein Anteil an dieser metaphysischen Komödie gegeben werden. Der offene jovialische Gastfreund, dem die Philosophie und die Laune seines Gastes nicht unbekannt war, würde der Schäkerei bald ein Ende gemacht haben. Daher auch endlich die gezwungenen Einfalle und Plattheiten, das Wohlgefallen an schlechten Versen, das einem Lessing so unnatürlich ist.«
Dass ich reden dürfte! – »Endlich?« – »Daher auch endlich?« – Doch wohl nicht der Zeit nach, wie es die Stellung zu verlangen scheint? Denn das Wohlgefallen an den schlechten Versen, das einem Lessing so unnatürlich ist, kam doch wohl nicht erst endlich; wenn anders meinem Bericht, der (ich weiss selbst nicht, wenn oder wie) bald gelten und bald nicht gelten soll, nur das mindeste zu trauen ist. So viel Grund muss er doch haben, dass auf seinem Ungrunde die Hypothesen, die er tragen soll, nicht von selbst übereinander fallen. Nach diesem Bericht also fängt die ganze Sache mit dem Wohlgefallen an den schlechten Versen an. Eine Bemerkung, die den mächtigen Grund a priori meines Gegners wider die Glaubwürdigkeit meiner Geschichte, selbst von meiner Seite unterstützt. Aber, leider! bin ich einmal in der Klemme; muss bekennen; und will – um mein Gewissen wenigstens zu lösen, zu dem Grunde a priori meines Gegners noch mit folgendem behilflich sein. Ich sage aus: Lessing habe nicht allein mehrgedachte schlechte Verse gut gefunden, sondern sie öfter wieder [277] begehrt, sie ein Gedicht genannt, das Gedicht gelobt, und – sogar bewundert. Noch an dem Morgen unseres Abschiedes zu Halberstadt beim Frühstücken, da vonnicht schlechten Versen die Rede kam, forderte Lessing den Prometheus mir noch einmal ab – lobte und bewunderte – den echten lebendigen Geist des Altertums, nach Form und Inhalt darin von neuem. – »Diese Armseligkeit im Ernste gut zu finden! Armer Kunstrichter, wie tief musstest du gesunken sein!«
Unglücklicher Laokoon! Wir wissen, wie es ihm erging, da er unvorsichtig mit seinem Speer den hohlen Bauch versuchte.
Also:
Dividimus muros, et moenia pandimus urbis.
Schon steht es mitten in der Burg, das verderbliche Ross; und sobald die Nacht finster genug geworden, mögen sie hervorbrechen, die wackeren Krieger, coeco lateri inclusi.
Doch es soll ja diese ganze Geschichte vom Trojanischen Pferde nur ein Märchen, nur ein lächerliches Märchen sein, so prächtig auch die Verse klingen.
[278] Und darum passten ihre Züge nicht? – Was? Unser Gotthold Ephraim Lessing – Der ein solcher alberner Schäker, wie der letzte Wille Mendelssohns ihn haben will? Der, ein liederlicher Bube der Gotteslästerungen (das behauptet Mendelssohn. Ich weiss von keinen Gotteslästerungen) der Gotteslästerungen ausstösst, um sich einen Spass zu machen? Mit demGläubigen, oder mit dem Atheisten, das ist eins. Und wie nichtswürdig, geckenhaft und bübisch muss er, seinem losen Mutwillen zu Gefallen, durchaus handeln? Mir ekelt vor einer weiteren Ausführung. Freilich ist das Märchen zu abscheulich, um nur lächerlich zu sein.
Einen solchen Lessing hätten wir, wenn eine von den beiden angeführten Hypothesen Mendelssohns bestehen sollte.
Und zu einem solchen Lessing, was für einen Mendelssohn? Einen Mendelssohn, der das alles gar nicht übel fände; sich ein Ähnliches wohl auch erlauben dürfte.
So sind denn beide Hypothesen, die feine und die gröbere, wohl am Ende nur zum Scheine da! – Zwei Masken für eine, um die Glaubwürdigkeit der Geschichte in Verdacht zu bringen. Ziemlich gleichgültig wird es nun zu dieser Absicht, ob man mich für einen Schwärmer in der Religion oder in der Irreligion nehmen will; das Interesse zu betrügen, ist in beiden Fällen eben gross. Die erste Mutmassung sei für die guten Leute, die nur alles gern zum Besten kehren, die andere für den Weisen. Dabei gewinnt der Weise auch noch dieses, dass man sich um mein Gewissen weniger zu kümmern hat.
Gut! Aber wie legen wir Mendelssohns Betragen während der zwei Jahre vor der Erscheinung meiner[279] Schrift in diesem Falle aus? – Wie seine ersten Briefe, die er nie widerrufen hat, denen seine folgenden nie widersprachen? Wie die Anlage des Lessingen betreffenden Teiles der Morgenstunden? Wie vollführen wir diesen angelegten Plan? – Im zweiten Teile sollte die besondere Veranlassung zur jetzigen Bekanntmachung dieser Schrift näher angezeigt – von meinem Briefwechsel Gebrauch gemacht werden. – Doch wohl nicht, um mich der Welt als einen Betrüger darzustellen, als einen vorsätzlichen Lügner? – Mich, der ich Herrn Mendelssohn, da er mir die Morgenstunden übersandte, noch ein verehrungswerter Mann und sein teuerster Freund war? –
Und dann noch eins. Nachdem meine Schrift über die Lehre des Spinoza schon heraus war, den 2. Nov. des verwichenen Jahres, erhielt ich einen Brief von Emilie, worin sie mir wegen des Schrittes, den ich getan, Vorwürfe machte. 18 Meine Freundin schloss mit einem herzlichen Grusse »auch von * *, unverhohlen, dass auch dieser mit der Herausgabe meiner Briefe nicht ganz zufrieden sei.« – »Darf ich's Ihnen gestehen, lieber Mann (schrieb meine Freundin), dass Unwille das erste war, was mich dabei ergriff? O ja, ich muss, ich kann nicht anders als ehrlich mit Ihnen sein. Sei es immer Vorurteil, was mich lenkte, ich erschrak, als ich unsern Lessing da so bloss vor einer Welt gestellt sah, die ihn nicht versteht, nicht wert ist, ihn ohne Schleier zu sehen. – Nicht, dass ich nicht mit Mendelssohn einig wäre: unser Freund müsse bei der Nachwelt nicht anders erscheinen als er war; das heisst nach meinem Bedünken: nicht als Deist, wann[280] wir wissen, dass er Spinozist war; aber das Detail eines vertraulichen Gesprächs, jene kleinen Scherzreden, die man sich nur gegen den Vertrauten seiner Seele und seines Kopfes erlaubt, und die ausser diesem engen Kreise sich sogleich in Blasphemie verwandeln. – Ich wiederhole es usw. – Nie war der Gedanke mir gekommen, dass Sie aus Argwohn gegen Mendelssohn sich bewegen lassen würden, Sachen (ich nehme das Gedicht mit) ans Licht zu stellen, von denen ich mir schmeichelte, dass sie ewig nur für dieintimsten Freunde Lessings, oder für die Stärkeren im Volk bleiben sollten – kurz, Sie könnens mir nicht verdenken, dass Ich erschrak, ja, dass ich in einen wehmütigen Kummer versinke, wenn ich mir vorstelle, dass aus einem Wettstreit um Wahrheit, wo zwei der edelsten Wahrheitsforscher, zwei der vertrautesten Freunde Lessings sich treulich vor aller Welt die Hand bieten wollten, nun ein Privatstreit werden kann usw.«
So dachte Emilie und so dachte vermutlich auch * * selbst nach der Herausgabe meiner Schrift. Sie hatten gegen die historische Wahrheit meines Berichtes nicht den geringsten Zweifel, und tadelten nur, dass ich Lessingen ohne Schleier gewiesen hatte. Sie hielten mich vor wie nach für den Vertrauten von Lessings Kopf und Seele; gewährten mir auch für sich selbst nicht weniger Hochachtung und Liebe als vorhin. – Kurz alles stand noch gerade so, wie es im November 1783 gestanden hatte. – Wie! Und Mendelssohn hat im Verlauf dieser zwei Jahre weder Emilien, noch seinen Freund * * auf andere Gedanken gebracht? sie nicht überzeugt, dass die Sache voll Betrug sei? – »Er hatte keinen philosophischen [281] Freund, dem er mehr Freimütigkeit, Wahrheitsliebe und Beurteilungskraft zutraute, als * * - «, und eben dieser Mann konnte doch (nach Herrn Mendelssohns Angabe, nicht nach der meinigen) Lessing und Dummkopf zusammen denken. – Er konnte das, und Mendelssohn konnte dazu schweigen? – In Wahrheit, je mehr man es betrachtet und entwickelt: ein höchst sonderbares Rätsel!
Fünfte Beschuldigung.
»Ich habe angeklagt. Lessingen angeklagt, als heimlichen Gotteslästerer, mithin auch als Heuchler«. –
Des Wortes anklagen bedient Herr Mendelssohn sich überall. Ich soll meine Anklage sogar einem Ketzergericht vorgelegt, und Herrn Mendelssohn zuerst in Privatbriefen und nunmehr öffentlich aufgefordert haben, die Sache Lessings zu übernehmen.
Ist denn wirklich schon meine Schrift unterdrückt, wirklich schon zu einer unbedeutenden Scharteke, durch Bundesgenossen und Mitläufer so ganz herunter rezensiert und skribliert, dass sie kein Mensch mehr lesen wird, und M. auf diese Weise reden darf? Ich erzähle auf die schlichteste Weise, mache auf Veranlassung und durch Umstände genötigt, nur früher öffentlich bekannt, was Herr Mendelssohn (wie ich, seinen Äusserungen gemäss, nicht anders wissenkonnte und glauben durfte) selbst bekannt zu machen willens war: Und habe angeklagt! Habe die Absicht an den Tag gelegt. Lessingen vor das Ketzergericht im Publiko zu ziehen. Habe sogar Mendelssohn aufgefordert, die Sache Lessings zu übernehmen! – War [282] ich es denn nicht selbst, der Lessings Sache übernommen hatte; und war es nicht Herr Mendelssohn, der gegen diese Sache handeln, durch ein eklatantes Beispiel warnen wollte? Oder habe ich vielleicht Herrn Mendelssohn aufgefordert, also die Sache Lessings zu übernehmen, dass er dartäte. Lessing sei kein Spinozist gewesen? – Für dergleichen Aussagen: Was ist das eigentliche Wort – und Beiwort?
»Ich klage Lessingen als heimlichen Gotteslästerer an?« – Wo? Vermutlich gleich zu Anfang meines Berichts, wo die schlechten Verse vorkommen! – Dieser aus einem dramatischen Gedicht genommene Monolog beweist also schon, dass der Dichter selbst ein Gotteslästerer war? Ich dächte doch wohl nicht! – Nicht? Und Lessing, der nur sagt, ich finde das Gedicht gut; der Gesichtspunkt, aus welchem es genommen ist, ist mein eigener Gesichtspunkt, oder mit andern Worten: Ich selbst glaube, keine persönliche Gottheit; keinen freien Urheber der Welt; keine Entwickelung der Dinge mit Absicht; keine Providenz. – Lauter Sätze, wovon der eine immer gerade soviel wie der andere sagt. – Der wäre darum ein Gotteslästerer? zu geschweigen, dass bei einer solchen Meinung heimliche Gotteslästerung sich nicht einmal gedenken lässt. – Oder ist Lessing darum nach meinem Bericht ein heimlicher Gotteslästerer, weil er einmal mit halbem Lächeln sagt: »er selbst wäre vielleicht das höchste Wesen, und gegenwärtig nur in dem Zustande der äussersten Kontraktion« – und hernach über Tische, bei einfallendem Regen: »Jacobi, das tue ich vielleicht.« In Wahrheit, dies wäre doch ein wenig allzu hart! So wäre ja der spekulative [283] Egoismus, und auf diese Art gedachte Pantheismus auch an sich schon Gotteslästerung?
Unmittelbar vorher sagt Mendelssohn: »Lessing ist ein Anhänger des Spinoza? Je nun! Was haben die spekulativen Lehrsätze mit dem Menschen gemein? Wer würde sich nicht freuen, Spinozen selbst zum Freunde gehabt zu haben, so sehr er auch Spinozist gewesen? Wer sich weigern, Spinozens Genie und vortrefflichem Charakter Gerechtigkeit widerfahren zu lassen?«
Gerade was ich selbst denke und auch überall geäussert habe. Wer vor mir hat mit Beisetzung seines Namens von Spinoza mit der Hochachtung, mit der Bewunderung und Liebe gesprochen, womit ich von ihm gesprochen habe? Man sehe die Stelle, wo mich Lessing mit den Worten unterbricht: »Und Sie sind kein Spinozist, Jacobi?« – Man sehe den Anfang des Briefes an Hemsterhuis und das ganze Werk durchaus. Mit gleicher Unbefangenheit liess ich mich in früheren Schriften, besonders in dem Etwas, was Lessing gesagt hat, heraus; und nicht allein über Spinoza, sondern auch über andere nicht minder verdächtige Schriftsteller, einen Machiavell und Hobbes. – Und mir darf Mendelssohn doch sagen, in Verbindung mit den eben angeführten Worten: »Der Name Jude und Spinozist konnte mir bei weitem weder so auffallend, noch so ärgerlich sein, als er etwa dem Herrn Jacobi sein mag!« – Was ist unredlich (die Sprache hat kein gelinderes [284] Wort) – was ist offenbarunredlich, wenn es dies nicht ist?
Dieser Meinung also ist Herr Mendelssohn, »dass die spekulativen Lehrsätze mit dem Menschen nichts gemein haben – und solange man seinen Freund noch nicht als heimlichen Gotteslästerer, mithin als Heuchler anklagte, war ihm die Nachricht, Lessing sei ein Spinozist gewesen, so ziemlich gleichgültig.« Das ist des geraden Mannes gerade Meinung und aufrichtige Geschichte.
Warum denn aber unmittelbar dahinter diese Worte: »Ich wusste, dass es auch einen geläuterten Spinozismus gibt, der sich mit allem, was Religion und Sittenlehre Praktisches haben, gar wohl verträgt, wie ich selbst in den Morgenstunden weitläufig gezeigt; wusste, dass sich dieser geläuterte Spinozismus hauptsächlich mit dem Judentume sehr gut vereinigen lässt und dass Spinoza, seiner spekulativen Lehre ungeachtet, ein orthodoxer Jude hätte bleiben können, wenn er nicht in anderen Schriften das echte Judentum bestritten und sich dadurch dem Gesetze entzogen hätte.«
Also; wenn es keinen geläuterten Spinozismus gäbe, wie der in den Morgenstunden; wenn Spinoza bei seiner spekulativen Lehre kein orthodoxer Jude hätte bleiben können: so hätten die spekulativen Lehrsätze mit dem Menschen doch etwas gemein? so würde man sich nicht freuen, Spinozen selbst mit einem solchen ungeläuterten Spinozismus zum Freunde zu haben? So würde man sich weigern, Spinozens Genie und vortrefflichem Charakter Gerechtigkeit widerfahren zu lassen? – so wäre Herr Mendelssohn über die Nachricht, Lessing sei ein Spinozist gewesen, [285] dann auch wohl erstaunt? sie hätte Einfluss gehabt auf seine Freundschaft für Lessing? seine Begriffe von Lessings Genie und Charakter hätten dadurch gelitten? – Oder nicht? Man wähle! Mir fehlt es an dem Geist und an der Seele, womit man in dergleichen Schwierigkeiten sich zu finden weiss.
Der Beweis, dass Lessing in meiner Erzählung nicht als ein Gotteslästerer erscheine, befreit mich noch nicht von dem Vorwurfe, einen Heuchler aus ihm gemacht zu haben: denn das soll er sein, nach Herrn Mendelssohn, wenn er in seinem Herzen keine verständige erste Ursache der Welt, keine Ursache geglaubt hat, da er öffentlich für diese Wahrheiten geeifert, sich als einen grossen bewunderungswürdigen Verteidiger des Theismus dargestellt und für die Lehre von der Vorsehung sogar als ein Märtyrer den Geist aufgegeben hat. 19
Zur Prüfung der Gründe meines Gegners kann ich das Beispiel von Spinoza schwer entbehren. Dieses Beispiel aber würde mir soviel als gar nichts nützen, wenn die sonderbare Behauptung des Herrn Mendelssohn: Spinoza hätte seiner spekulativen Lehre ohngeachtet ein orthodoxer Jude bleiben können – nicht eine ganz grundlose Behauptung wäre.
Ich bin zwar nicht berechtigt, zu entscheiden, was alles mit der geläuterten jüdischen Orthodoxie eines Mendelssohns verträglich gewesen sein mag: aber soviel gibt mir doch gewiss ein jeder zu, dass es schlechterdings zu dieser Orthodoxie gehöre, der göttlichen Natur Verstand und Willen, und ein von der Kreatur unterschiedenes Dasein beizumessen.
[286] Nun habe ich In meinem letzten an Herrn Mendelssohn gerichteten Aufsätze nicht allein die Worte des Spinoza, womit er klar und deutlich diese Sätze leugnet, teils unter meinem Texte angeführt, teils darauf verwiesen, sondern auch vorwärts und rückwärts, einzeln und im Zusammenhange dargetan, wie Spinoza seinen Grundideen zufolge schlechterdings diese Sätze leugnen, oder ein Mann ohne allen Sinn und Verstand sein musste, ein elender Wirrkopf, der selbst nicht wusste, was er dachte und was er schrieb. Herr Mendelssohn, der einen andern Gesichtspunkt hatte, will meinen Aufsatz, im buchstäblichen Sinne, nicht verstanden haben. 20 Da ihn aber alle, welche mit Herrn [287] Mendelssohn nicht in gleichem oder einem ähnlichen Falle waren, sehr gut verstanden, und vollkommen bündig gefunden haben, so kann ich mit gutem Gewissen meine Leser und mich selbst bei dem Unbegreiflichen der eben gedachten Mendelssohnschen Behauptung nicht aufhalten, sondern muss als eine Wahrheit, die ehrlicherweise nicht geleugnet werden kann, voraussetzen, dass der Spinozismus des Spinoza Atheismus war.
Zur Sache! Lessing hat sich als einen Verteidiger des Theismus öffentlich dargestellt,
1. Indem er die Fragmente herausgab.
2. Indem er den Nathan dichtete.
»Wem mussten die Wahrheiten der Vernunftreligion [288] unverletzlicher sein« (lässt Herr M. seinen Freund D. sagen) »als Lessing, dem Beschützer des Fragmentisten?... Mit der Verteidigung des Fragmentisten scheint Lessing auch seine ganze Gesinnung übernommen zu haben. Man erkennt zwar schon an seinen frühesten Schriften, dass ihm die Vernunftwahrheiten der Religion und Sittenlehre allezeit heilig und unverletzlich gewesen sind; allein nach seiner Bekanntschaft mit dem Fragmentisten bemerkt man in seinen Schriften, in allen den Aufsätzen, die er zur Beschützung seines Freundes oder Gastes, wie er ihn nennt, geschrieben, dieselbige ruhige Überzeugung, die diesem so eigen war, dieselbige unbefangene Entfernung von aller Zweifelsucht, denselbigen planen Gang des gesunden Menschenverstandes in Absicht auf die Wahrheiten der Vernunftreligion. –«
Ich möchte antworten, wie Lessing selbst einmal antwortete: »Ein anderes ist ein Pastor, ein anderes ein Bibliothekar.. Ich machte das Unbekannte bekannt... heute eine sehr christliche Schrift des Berengarius; morgen sehr unchristliche Fragmente: – und bin ganz gleichgültig dabei, ob es dieser für wichtig, oder jener für unwichtig erklärt, ob es dem einen frommet, oder dem andern schadet. Nützlich und verderblich sind eben so relative Begriffe, als gross und klein«. 21
Aber Lessing hat die Verteidigung des Fragmentisten, »und mit ihr, wie es scheint, seine ganze Gesinnung übernommen - «.
Das versteh' ich nicht genug. Auf der vorhergehenden Seite heisst es: »Seine (des Fragmentisten) Anhänglichkeit an der natürlichen Religion ging so weit, [289] dass er aus Eifer für dieselbe keine geoffenbarte neben ihr leiden wollte.« – Sollte man Lessings Anhänglichkeit an der natürlichen Religion bloss aus seinem Eifer gegen alle geoffenbarte schliessen wollen? Nur schliessen! Nur auf eine solche Weise schliessen! Dann könnte eine ähnliche Anhänglichkeit auch Spinoza zugeschrieben werden, der in seinem Tr. Theol. Pol. ein viel wichtigeres Denkmal seines Eifers gegen alle geoffenbarte Religion gestiftet hat, als Lessing; mit sorgfältiger Beibehaltung aller religiösen Worte und Redensarten, und ohne den Namen eines Christen zu verleugnen. – Soll aber Lessings Anhänglichkeit an der natürlichen Religion auf diese Weise nicht geschlossen werden: woraus will man sie alsdenn beweisen? Wo findet sich auch nur eine Stelle – geschweige ein Aufsatz, oder eine Schrift von ihm, die zur Absicht hätte, Wahrheiten des Theismus darzutun? Ich weiss, mit welchem Auge ich, so oft von Lessing etwas erschien, darnach gesucht habe, seitdem sein Leibniz über die ewigen Strafen, und sein Wissowatius, meine Aufmerksamkeit in einem nicht geringen Grade, auf diesen Punkt gerichtet hatten. – Sie wurde noch mehr gespannt, da die philosophischen Aufsätze des jungen Jerusalem herauskamen, und Lessing seinen Zusatz zu der Abhandlung von der Freiheit mit diesen Worten schloss: »Also von der Seite der Moral ist dieses System (einer absoluten Notwendigkeit der menschlichen Handlungen) 22 geborgen. Ob aber die Spekulation nicht noch ganz andere Einwendungen dagegen [290] machen könne? Und solche Einwendungen, die sich nur durch ein zweites, gemeinen Augen ebenso befremdendes System heben liessen? das war es, was unser Gespräch so oft verlängerte, und mit wenigem hier nicht zu fassen steht« – Genug, ich suchte vergebens, was mir über Lessings eigentliches System einen befriedigenden Aufschluss hätte geben können. Fand den Theismus überall vorausgesetzt, ohne eigenes Bekenntnis; ohne irgendeinen bedeutenden Beitritt; irgendein entscheidendes Wort für seine Lehrsätze – Alles war von dieser Seite, man kann nicht unbestimmter, nichtschwebender erhalten. – »Ganz recht!« erwidert M. oder D., »das kommt von seiner ruhigen Überzeugung; von seiner unbefangenen Entfernung von aller Zweifelsucht; seinem planen Gange des gesunden Menschenverstandes, in Absicht auf die Wahrheit der Vernunftreligion.« – O der klugen Haushalter! O der Weisen ohne Heuchelei und Trug!
Aber Nathan? Nathan! »dieser Anti-Candide; dieses herrliche Lobgedicht auf die Vorsehung, voll der seligen Bemühung, die Wege Gottes vor den Menschen zu rechtfertigen!.. Wo ist die Lehre von der Vorsehung und Regierung Gottes, auf der einen Seite mit mehrerer Überzeugung und Darstellung in einzelnen Fällen; auf der andern Seite mit mehr Inbrunst und frommer Begeisterung vorgetragen worden usw.?«
Herr Mendelssohn weiss diesen Nathan nicht oft genug zu nennen; und ich kann nicht dafür, dass mir endlich jener berühmte Engländer (der Herzog von Marlborough) dabei einfiel, der sich auf ein Faktum der Geschichte seines Vaterlandes gegen Burnet berief, das niemand bekannt war, und zuletzt mit der unverwerflichen Autorität des Shakespears hervorrückte.[291] – So könnte ja wohl auch Voltaire, wegen seiner Alzire und Zaire, als ein Eiferer und Zeuge für diechristliche Religion herausgestrichen werden.
Doch es wäre mir leid, wenn ich von dieser Seite allein die Sache fassen müsste.
Nathan, ein Lobgedicht auf die Vorsehung? – Wer, vor Herrn Mendelssohn, hat es jemals dafür angesehen? Die Absicht dieses Gedichts liegt ja so klar zutage, dass sie jedem Leser von selbst entgegenkommt; die Absicht, den Geist aller Offenbarung verdächtig zu machen, und jedes System von Religion, ohne Unterschied, als System, in einem gehässigen Lichte darzustellen. Der Theismus, sobald er System, sobald erförmlich wird, ist davon nicht ausgeschlossen. Was gegen die andern Parteien, gilt auch wider ihn. Ja, er muss noch fanatischer machen, als alle auf Tradition gegründete Religionen, weil sein Eigendünkel, sein Hochmut und seine Geringschätzung, der Natur der Dinge gemäss, über alles gehen muss. – Darum weg mit aller Form! Und der Satz allein stehe fest: dass der beste Mann auch immer die beste Religion habe. – »Alles Wähnen über Gott ist Verwegenheit und Torheit; Ergebenheit in ihn Frömmigkeit und Weisheit.«
Eben diese Frömmigkeit und Weisheit empfiehlt Spinoza noch weit dringender und herzlicher als Nathan. Auch er verehrte eine Vorsehung, ob sie ihm gleich nichts anderes war, als jene Ordnung selbst der Natur, die aus ihren ewigen Gesetzen notwendig entspringt; auch er bezog alles auf Gott, den Einzigen der da ist, und setzte das höchste Gut darin, den Unendlichen zu erkennen, und über alles ihn zu lieben. Eh, proh dolor! ruft er aus, res eo jam pervenit, ut, qui [292] aperte fatentur, se Dei ideam non habere, et Deum non nisi per res creatas (quarum causas ignorant) cognoscere, non erubescant Philosophos Atheismi accusare. 23
[293] Vor dem Nathan, und zugleich mit den Fragmenten machte Lessing die erste Hälfte seiner Erziehung des Menschengeschlechts bekannt; eine Schrift, welche Mendelssohns Beifall nicht erhalten hat, und über die er in den Morgenstunden, wie über glühende Kohlen hinwegeilt. Des § 73 dieser Schrift hatte ich in meinem ersten Briefe an Mendelssohn ausführlicher gedacht, und dieser Stelle ihre wahre Auslegung gegeben. Die Richtigkeit dieser Auslegung zeigt nach gewesener Spur das Ganze dieses tief durchdachten Aufsatzes so klar, dass ich bei Sachkundigen kein Wort darüber zu verlieren brauche. Wie Mendelssohn dem Dinge durch eine selbsterfundene Läuterung abzuhelfen suchte, darüber habe ich vorhin mich schon mit wenigem herausgelassen. Mendelssohn beweist dem guten Lessing, dass Eins nicht alles sein [294] kann, weil Eins nicht zwei, und zwei nicht Eins ist: das hatte Lessing nicht bedacht; er hatte nicht bedacht, dass wenn Gott ein Selbstbewusstsein zukommt, gleich uns einzelnen Wesen, dass er dann auch selbst ein einzelnes Ding sein müsse, und man nicht umhin könne (nach Voraussetzung seiner Unendlichkeit) ihm ein ausserweltliches Dasein zuzuschreiben; womit dann das ganze hen kai pan dahin fällt: das führt ihm Mendelssohn nun zu Gemüt, und der reuige Sünder geht stumm und beschämt davon. – Männer! dürft Ihr mich bestrafen, dass mir die Feder in der Hand vor Unwillen bebt, indem ich dieses schreibe? Ich unterdrücke ihn ja, diesen bittern Unwillen; sag es ja nicht heraus, was mein Inwendiges in diesem Augenblicke um und umwendet.
Lessing konnte über noch mehr Dinge von Mendelssohn zurechtgewiesen werden. Wahrlich, es ist nicht zu leugnen, dass er ziemlich in die Irre geraten war. Er sagt in eben dieser Erziehung des Menschengeschlechts: § 32.
»Lasst uns auch bekennen, dass es ein heroischer Gehorsam ist, die Gesetze Gottes beobachten, bloss weil es Gottes Gesetze sind, und nicht weil er die Beobachter derselben hier und dort zu belohnen verheissen hat; sie beobachten, ob man schon an der künftigen Belohnung ganz verzweifelt, und der zeitlichen auch nicht so ganz gewiss ist.«
Und hernach hinter der von mir kommentierten Stelle: »Es ist nicht wahr, dass Spekulationen über diese Dinge jemals Unheil gestiftet, und der bürgerlichen Gesellschaft nachteilig geworden. – Nicht den Spekulationen; dem Unsinn, der Tyrannei, diesen Spekulationen zu steuern, Menschen, die ihre eigenen[295] hatten, nicht ihre eigenen zu gönnen, ist dieser Vorwurf zu machen.«
»Vielmehr sind dergleichen Spekulationen –mögen sie im einzelnen doch ausfallen wie sie wollen – unstreitig die schicklichsten Übungen des menschlichen Verstandes überhaupt, solange das menschliche Herz überhaupt höchstens nur vermögend ist, die Tugend wegen ihrer ewigen glückseligen Folgen zu lieben.«
»Denn bei dieser Eigennützigkeit des menschlichen Herzens, auch den Verstand nur an solchen Dingen üben wollen, was unsere körperlichen Bedürfnisse betrifft, würde ihn mehr stumpfen als wetzen heissen. Er will schlechterdings an geistigen Gegenständen geübt sein, wenn er zu seiner völligen Aufklärung gelangen, und diejenige Reinigkeit des Herzens hervorbringen soll, die uns die Tugend um ihrer selbst willen zu lieben fähig macht.« 24
Dagegen Mendelssohn: »Ohne Gott und Vorsehung und künftiges Leben ist Menschenliebe eine angeborne Schwachheit, und Wohlwollen wenig mehr als eine Geckerei, die wir uns einander einzuschwatzen suchen, damit der Tor sich placke, und der Kluge sich gütlich tue, und auf jenes Unkosten sich lustig machen könne«.
Ich habe mit dieser Äusserung von Mendelssohn nie reimen können, dass er vorhin zum Behuf seiner Theorie des Rechts, sich auf ein natürliches Wohlwollen und den Satz stützt: durch dieses Wohlwollen werde alles wiedergegeben, was der Eigennutz verliere. [296] Habe nie begreifen können, wenn ohne Gott und Vorsehung und künftiges Leben ein solches Wohlwollen nur Geckerei, und Menschenliebe eine angeborne Schwachheit sei – wie wir dann, natürlicherweise, zu einer solchen Gotteserkenntnis gelangen können, durch welche das Wohlwollen aufhört, eine Geckerei zu sein, und Tugend anfängt, vernünftig zu werden.
Eh, proh dolor... Und sei du mir gesegnet, grosser, ja heiliger Benedictus! Wie du auch über die Natur des Höchsten Wesens philosophieren und in Worten dich verirren mochtest: seine Wahrheit war in deiner Seele, und seine Liebe war dein Leben!
Was ist euer Gott, ihr, die ihr öffentlich bekennt, es nicht genug zu wiederholen wisst: Religion, das ist Gotteserkenntnis und Verehrung sei nur Mittel: – Zweck allein dem Toren, dem Schwärmer. Was kann er sein, euer Gott, als ein totes Werkzeug, eine dumme Kraft zu eurer Seele, um sie zum Dienste des Leibes nur williger und fähiger zu machen? Wahrlicham Ende sind es nur die äusseren Bedürfnisse; euerFleisch, und eine kluge Ökonomie seiner Lüste und Begierden, was die Summa eurer Philosophie, eurer so hoch gepriesenen Weisheit des gesunden Menschenverstandes ausmacht. Religion, wie billig, dieser klugen Ökonomie untergeordnet, in ihren Dienst gebracht. Sie mag froh sein, dass sie noch zu soviel nütze ist. Können wir einmal ohne den Namen Gottes unsere bürgerliche Verhältnisse sichern, und unsere Theorien fertig bringen – dann nur weg mit diesem leidigen Behülf unserer Unwissenheit und Ungeschicklichkeit; weg mit dem sperrigen [297] Hausrat, der nur Raum einnimmt, und an sich zu gar nichts taugt. 25
[298] Und es wäre Schwachheit von Lessing gewesen – ja Dummheit, Tollheit, und Ruchlosigkeit, dass er einem solchen Theismus den unendlich frömmerenAtheismus eines Spinoza vorzog?
Und er wäre mit dem Feuer dieser Lehre im Busen – das jene, wie der Sopranist im Candide jammernden, oder in gleichem Falle jubilierenden Wesen – immer auch Schwärmerei nennen mögen – er wäre damit nicht ein zehnmal besserer Mann gewesen, als mit jener andern Lehre, die das Muttermal tierischer Lüsternheit, und Unbesonnenheit an der Stirne trägt?
Und weil er, was er dachte, nur nicht mit ganz [299] dürren Worten, heraussagte: darum wollt Ihr ihn für einen Heuchler schimpfen? – »Er tat ja nichts mehr und nichts weniger, als was alle alten Philosophen in ihrem exoterischen Vortrage zu tun pflegten. Er beobachtete eine Klugheit, für die freilich unsere neuesten Philosophen viel zu weise geworden sind. Er setzte willig sein System beiseite, und suchte einen jeden auf demjenigen Wege zur Wahrheit zu führen, auf welchem er ihn fand.« 26
So urteilte Lessing über Leibniz, und verlangte wahrscheinlich, dass man ebenso über ihn selbst urteilen sollte.
In den Gesprächen für Freimaurer sagt Falk: »Weisst du, Freund, dass du schon ein halber Freimaurer bist. Ernst. Ich? Falk. Du! denn du erkennest ja schon Wahrheiten, die man besser verschweigt.Ernst. Aber doch sagen könnte. Falk. Der Weise kann nicht sagen, was er besser verschweigt.«
Mit noch mehr Nachdruck und rührender sagt Lessing in der Erziehung des Menschengeschlechts: »Hüte dich, du fähigeres Individuum, der du an dem letzten Blatte dieses Elementarbuches stampfest und glühest, hüte dich, es deine schwächeren Mitschüler merken zu lassen, was du witterst, oder schon zu sehen beginnest.«
Dann fügt der bescheidene edle Mann noch hinzu: »Bis sie dir nach sind, diese schwächeren Mitschüler. – Kehre lieber noch einmal selbst in dieses Elementarbuch zurück, und untersuche, ob das, was du nur für Wendungen der Methode, für Lückenbüsser der [300] Didaktik hältst, auch wohl nicht etwas Mehreres ist.« (§ 69). 27
Stehenzubleiben auf halbem Wege, war Lessingenfür sich unmöglich, und er war eben kein grosser Verehrer derer, die es können. Eine in mehr als einer Absicht merkwürdige Äusserung hierüber findet sich in dem Aufsatz über Wissowatius. Dort heisst es von Leibniz: »An einer andern Stelle sagt er von Locke, den er auch mit ein wenig andern Augen ansah, als noch jetzt gewöhnlich: Inclinavit ad Socinianos, quorum paupertina semper fuit de Deo et mente philosophia. War es der seichtere Philosoph, welcher den Sozinianer? oder der Sozinianer, welcher den seichteren Philosophen gemacht hatte? Oder ist es die nämliche Seichtigkeit des Geistes, welche macht, dass man eben so leicht in der Theologie, als in der Philosophie auf halbem Wege stehen bleibt?«
Verschweigen darf der Rechtschaffene, und muss oft der Weise: lügen aber muss und darf er nie; nie seiner trüglichen Weisheit; nie seinem Willen, wierein er ihn auch halte, die Wahrheit unterwerfen, und es unternehmen, was ihm gut oder das Bessere dünkt, durch Betrug in die Höhe zu bringen. Nicht weniger als der Hochmut eines Satans gehört dazu, sich über die Wege Gottes zu erheben, und die Wahrheit, die nicht unser ist, eigenmächtig in Verwaltung zu nehmen. Vor Gott, dem Heiligen, kann ich es beschwören, dass eben dies auch die Gesinnungen Lessings waren; dass er nichts in dem Grade verachtete und hasste, wie den Eigendünkel, der durch Gewalt [301] oder Betrug Erkenntnis und Glückseligkeit befördern will. Der Torheit eines solchen Unternehmens gehörte seine Verachtung; der Ungerechtigkeit sein Hass.
Lessings Methode darf mit einer sehr entgegengesetzten nicht verwechselt werden, und ist auch leicht von ihr zu unterscheiden. Denn was kann mehr voneinander abstechen, als die weise Bescheidenheit, »die ein eigenes System willig beiseite setzt,« und der dumme Stolz, der es durchsetzen, überall einführen, und durchaus kein andres gelten lassen will. Dieser, da er seine Meinung für die Wahrheit selbst ansieht, und die Vernunft in Person zu sein glaubt, hört keine Gründe mehr, sucht sie, als unwürdig, bloss zu unterdrücken, und allen Widerspruch, durch was für Mittel es auch sei, zu hemmen. Das entschiedenste Talent, wenn es ihm nicht dienstbar ist, verliert seine Würde, kommt um seinen Namen, und käme, wenn es möglich wäre, um sein Dasein. Dennoch weiss er nichts von Ungerechtigkeit, und freuet sich aller seiner Werke, weil er das Gutfinden seiner Weisheit zum einzigen Gesetz hat; und sein fanatischer Eifer, mehr um der Sache als um der Person willen. Recht und Billigkeit unter die Füsse tritt. Seine Herrschsucht ist Wohlwollen, sein Unterdrückungsgeist väterliche Strenge – Regententugend; seine Einsicht der Verstand, den alle Menschen haben müssen.
*
Ich komme nun zu denen Beschuldigungen und Vorwürfen, die mir allein aus der Person und der Philosophie des Herrn Mendelssohn erwachsen, und ich wüsste keine schicklichere Stelle, einen Ruhepunkt zu machen. Während ich mich erhole, mag der Leser [302] sich mit gegenwärtigen Blättern beschäftigen; so gewinnen wir beide, er und ich, Zeit, um Atem zu holen, und frische Luft zu schöpfen.
Wohl könnte es bei dieser ersten Sitzung sein Bewenden haben, wenn Verteidigung meiner selbst die Sache wäre. Sie war es kaum bisher, und soll es je länger je weniger sein. Wie oft habe ich unter dem Schreiben dieser Bogen an eine Stelle des letzten Briefes, den ich von Lessing erhielt, gedacht, mit der ich anzufangen einige Versuchung hatte. »Ich wüsste nicht« – schrieb mir der edle Mann bei einer nicht unerheblichen Gelegenheit – »ich wüsste nicht, was ich nicht lieber von Ihnen lesen wollte, als eine Rechtfertigung Ihrer selbst.« – Und fügte die herzerhöhenden Worte hinzu, die ich bei einem minderen Anlasse als der gegenwärtige anzuführen, mir nicht herausnehmen würde; – diese Worte: »der Mann wie Sie hat bei mir niemals unrecht, wenn er es auch gegen eine ganze Welt haben könnte – in die er sich nicht hätte mischen sollen!«
Sind meine Gegner Leute, die um Wahrheit sich bekümmern, und durch Gründe sich beschämen lassen? Es war ja eben das, was sie erbitterte, und nun ihre Wut mit jedem Tage neu erhitzt? Je mehr durch Entwicklung und Beweise meine Sache als die beste, die ihrige als die schlimmste, die man haben kann, sich offenbart, desto aufgebrachter werden sie sich zeigen; mit desto zudringlichern Griffen werden sie an mich setzen, und der Kniffe und Pfiffe immer mehr ersinnen. Denn wovor sollten sie sich fürchten? Sie haben in der Seele, was in Voltairens verschwenderischem Sohne den Fier-en-fat so herzhaft macht; [303] denselbigen Mut und dasselbige Gefühl von Ehre, womit er ausruft:
Soyons hardis, nous sommes dix contre un!
Und um wieviel muss nicht die Herzhaftigkeit jener Fier-en-fat die Herzhaftigkeit von diesem übertreffen, da sie mit hunderten gegen einen stehen. »Sie werden fortreden, und durch alles, womit ich sie unterbreche, sich nicht für unterbrochen halten, fortreden, ohne sich zu bekümmern, ob unsere Worte zusammenklappen oder nicht. Sie sind aufgezogen und müssen ablaufen.« 28
Mögen Sie doch. Ich will nicht allein, wie Lessing, mich überschreien lassen, sondern auch zugeben, herzlich gerne zugeben, was Lessing nicht wollte: dass man auch mich überschreibe. Je mehr sie schreiben und mich überschreiben, desto mehr werden sie die Geheimnisse ihres Herzens kundtun. Desto mehr werden die Fäden eines – nicht erträumten, oder zum Behuf eines eigenen weit ausgebreiteten Schleichhandels gar nur erdichteten. – sondern wirklichen Hypercrypto-Jesuitismus und philosophischen Papismus hervorkommen und in sehr mannigfaltigen Verschlingungen sehen lassen, wie weit sie reichen. Ich fürchte nicht, dass diese Warnung meinem Zwecke Abbruch tue. Dieses genus irritabile hominum, suique impotens, mag wohl auf einen Augenblick stutzen, aber nicht sich massigen. Man darf kühn auf ihre Eitelkeit und Rachsucht sich verlassen. Anstatt zurückzufahren, fahren sie nur auf, »und rennen blind auf den Spiess«.
Wie lehrreich in dieser Absicht ist ein kurzer Zeitraum von noch nicht drei Monaten schon gewesen![304] Wie auffallend ist es nicht geworden, dass philosophischer Dogmatismus und Parteigeist nicht weniger hitzig, ansteckend, polternd und brausend sei, als der priesterliche. Wie auffallend, dass jener Fanatismus noch ungerechter, tückischer und grausamer – sein Aberglaube noch blinder und hartnäckiger mache, als dieser. – Was für Winke wurden nicht schon gegen mich gegeben? Winke, von denen Lessing mit Grund sagt, dass sie Meuchelmord 29 sind. Wie hat man meine Worte nicht verdreht, meine Rede auf alle Weise nicht verfälscht? »Ich habe die Vernunft ,gelästert' – weil ich behaupte, dass sie das Dasein Gottes, nach der Lehre der Theisten, nicht apodiktisch dartun, und die Einwürfe dagegen nicht befriedigend widerlegen kann: – ich habe damit gesagt, dass alle Philosophie zum Atheismus führe«. 30 [305] – »Ich bin ein Schwärmer – und will dem blinden oder gar dem Wunderglauben 31 forthelfen«, – weil ich behaupte, man könne an Gott nur glauben, und nur praktisch sich in diesem Glauben unbeweglich machen.
Wie, darum? – und Kant, der dasselbige seit mehr als sechs Jahren lehrt, hat die Vernunft nicht gelästert, ist kein Schwärmer, will nicht einem blinden oder Wunderglauben forthelfen?
Man schlage die Kritik der reinen Vernunft S. 828 auf, und lese: »Auf solche Weise bleibt uns nach Vereitelung aller ehrsüchtigen Absichten einer, über die Grenzen aller Erfahrung hinaus herumschweifenden Vernunft noch genug übrig: dass wir damit in praktischer Absicht zufrieden zu sein Ursache haben. Zwar wird freilich sich niemand rühmen können: [306] er wisse, dass ein Gott, und dass ein künftig Leben sei; denn, wenn er das weiss, so ist er gerade der Mann, den ich längst gesucht habe. Alles Wissen (wenn es einen Gegenstand der blossen Vernunft betrifft) kann man mitteilen, und ich würde also auch hoffen können, durch seine Belehrung mein Wissen in so bewunderungswürdigem Masse ausgedehnt zu sehen. Nein, die Überzeugung ist nicht logische, sondern moralische Gewissheit, und, da sie auf subjektiven Gründen (der moralischen Gesinnung) beruht, so muss ich nicht einmal sagen, es ist moralisch gewiss, dass ein Gott sei usw. usw., sondern ich bin moralisch gewiss usw. usw. Das heisst: der Glaube an einen Gott und eine andere Welt ist mit meiner moralischen Gesinnung so verwebt, dass, so wenig ich Gefahr laufe, die erstere einzubüssen, ebensowenig besorge ich, dass mir der zweite jemals entrissen werden könne.«
Ferner die Note S. 829: »Das menschliche Gemüt nimmt (so wie ich glaube, dass es bei jedem vernünftigen Wesen notwendig geschieht) ein natürliches Interesse an der Moralität, ob es gleich nicht ungeteilt und praktisch überwiegend ist. Befestigt und vergrössert dieses Interesse, und ihr werdet die Vernunft sehr gelehrig und selbst aufgeklärter finden, um mit dem praktischen auch das spekulative Interesse zu vereinigen. Sorget ihr aber nicht davor, dass ihr vorher, wenigstens auf dem halben Wege, gute Menschen macht, so werdet ihr auch niemals aus ihnen aufrichtig gläubige Menschen machen!«
Endlich S. 830 und 831. »Ist das aber alles, wird man sagen, was reine Vernunft ausrichtet, indem sie über die Grenzen der Erfahrung hinaus Aussichten [307] eröffnet? nichts mehr, als zwei Glaubensartikel? Soviel hätte auch wohl der gemeine Verstand, ohne darüber den Philosophen zu Rate zu ziehen, ausrichten können?..... Aber verlangt ihr denn, dass ein Erkenntnis, welches alle Menschen angeht, den gemeinen Verstand übersteigen und euch nur von Philosophen entdeckt werden solle? Eben das, was ihr tadelt, ist die beste Bestätigung von der Richtigkeit der bisherigen Behauptungen, da es das, was man anfangs nicht vorhersehen konnte, entdeckt, nämlich, dass die Natur in dem, was Menschen ohne Unterschied angelegen ist, keiner parteiischen Austeilung ihrer Gaben zu beschuldigen sei, und die höchste Philosophie in Ansehung der wesentlichen Zwecke der menschlichen Natur es nicht weiter bringen könne, als die Leitung, welche sie auch dem gemeinsten Verstande hat angedeihen lassen.« 32
Soweit Kant. Und nun Hemsterhuis, den ich vertraulicher bei der Hand fassen darf, ihres Gegendruckes gewiss. Gern wird er mit mir, so wie ich mit ihm ins Elend wandern, und mit dem Ruhme des [308] philosophischen Geistes und Titels diejenigen allein sich krönen lassen, die über uns, einer gemeinschaftlichen Sünde wegen – die nicht eine Sünde bloss des Verstandes, sondern des ganzen Menschen ist – das Verbannungsurteil zusammenlosen und aussprechen wollen.
»Der Mensch« – sagt Hemsterhuis – »ist dem Anschein nach zweierlei Arten von Überzeugung fällig; die eine ist ein inneres Gefühl, unauslöschlich, in dem bis ins Herz gesunden, durchaus wohlbeschaffenen Menschen; die andre fliesst aus Gedankenverknüpfung, das heisst, aus einer mit Ordnung fortgesetzten Arbeit des Verstandes. Diese zweite kann nicht bestehen, ohne die erstere zur einzigen Grundlage zu haben.... In dem gesunden durchaus wohlbeschaffenen Menschen ist ein einziges heisses Verlangen der Seele, das sich in ihr von Zeit zu Zeit nach dem Besseren, Zukünftigen und Vollkommenen offenbaret, eine mehr als geometrische Demonstration von der Natur der Gottheit. – Aber, so wie die Menschen ihre Bedürfnisse vervielfältiget haben, so haben sie auch ihre Fähigkeiten des Verstandes mehr ausgearbeitet, und das innere Gefühl hat dabei von seiner Lebhaftigkeit verloren. 33 Der sichere und geometrische [309] Gang des Verstandes hat seiner bestimmten und genauen Überzeugung den Vorzug verschafft vor der Überzeugung der Empfindung, die unendlich einfach, und aus diesem Grunde, dem Anschein nach, unbestimmt und schwankend ist. Die erstere dieser Überzeugung ist denjenigen unserer Organen, die wir gegenwärtig am mehrsten zu brauchen gelehrt werden, und die folglich die geübtesten sind, vorzüglich angemessen; die zweite steht im Verhältnis mit den Graden der Höhe, der Vortrefflichkeit und innern Fälligkeit der Seele eines jeden Individuums. Die mathematische Überzeugung lässt sich, so bestimmt als man sie selber hat, auch andern durch die Sprache mitteilen: nicht die innere der Empfindung, die ganz wesenhaft ist, und in dem Wesen selbst allein entspringen kann....«
»Ein freies Wesen, welches das Vermögen hat, sich selbst zu betrachten und zu verändern, muss imstande sein, wenn man einige Erkenntnis von der Natur der Gottheit in ihm voraussetzt, seine Beziehung auf dieselbe vollkommner zu machen, daran zu mindern und zu mehren....«
[310] »Zwei Dinge können nicht aufeinander sich beziehen, wenn sie nicht eine homogene oder homologe Seite mit einander gemein haben. Haben wir also eine Beziehung auf Gott, so müssen wir auch etwas mit ihm gemein haben. Unsere Beziehung auf einen Gott, unser Zug nach ihm ist aber offenbar. Nicht dass man ihn aus dem Geschrei des Schmerzes, der Furcht oder Ohnmacht herzuleiten habe, welches nicht Gott, sondern nur irgendein Ende der Leiden fordert; nicht dass du etwa mir, oder der begeisterten Pythia glauben sollst, oder dem schmeichlerischen Priester des Jupiter Ammon, der im Alexander den Sohn seines Gottes sieht: Nein, dem Sokrates, dir selbst sollst du glauben; dir selbst, wenn du jenem Organ seine Reinheit wirst gegeben haben, das auf göttliche Dinge, wie das Auge auf das Licht, gerichtet ist. Dann wirst du diesen Zug, diese Homogenität in der Leichtigkeit gewahr werden, mit der das Gute von Menschen verrichtet werden kann....«
»Es scheint, als ob im Menschen, wenn er, es sei durch seine Bemühungen, oder durch die Vortrefflichkeit seiner Natur, zur Harmonie seiner uns bekannten Kräfte und Fälligkeiten gelangt ist, andere bis jetzt noch unbekannte Fähigkeiten anfingen, sich zu entwickeln, und seine Homogenität mit der Gottheit dergestalt vermehrten, dass ein Schatten der göttlichen Macht gleichsam sichtbar in ihm wird...«. 34
[311] Genug! »Wie weit würde der Schutz, den die Werke dieser grossen Männer mir durchaus anbieten, über mich hinausreichen, wenn ich Schutz zu suchen nötig hätte! Aber das brauche ich nicht: und noch weniger habe ich die Sitte boshafter Bettelleute hiemit nachmachen wollen, die sich einen hastigen Hund nicht anders vom Leibe zu halten wissen, als dadurch, dass sie ihn auf einen andern hetzen. Denn wie ich meine Gegner kenne, so verstehen sie ihren Vorteil zu wohl, [312] dass sie nicht lieber mich festhalten, als frischerdings auf einen Kant oder Hemsterhuis losgehen sollten«. 35
Doch ich soll ja »durch Autoritäten und Machtsprüche alle Zweifel niedergeschlagen, und meine kindliche Wiederkehr (meinen Rückzug unter die Fahne des Glaubens) durch Worte aus dem frommen engelreinen Munde Lavaters gesegnet und versiegelt haben!« – Mendelssohn sagt es, und ein ganzes Heer von Schreiern schreit es nach.
Wo habe ich Zweifel durch Autoritäten und Machtsprüche niedergeschlagen? – Wo eine kindliche Wiederkehr mit Worten Lavaters versiegelt?
Ich schliesse ein Werk, welches die freiesten Untersuchungen enthält, mit einer Stelle aus Lavater, die den freiesten Untersuchungen der Vernunft das Wort redet; worin von Glaube nicht eine Silbe vorkommt, die nichts empfiehlt als Wahrheit, und es einem jeden Menschen gestattet, sie auf seine eigene Weise zu erkennen, die nichts verbietet als Lüge, und diese zu keinem Gebrauche gestatten will: – und diese Stelle soll ich doch als eine Autorität für meine Glaubensmethode angeführt, meinen Rückzug damit gedeckt haben.
[313] Angeführt soll ich sie haben, »als eine Autorität aus einem engelreinen Munde, von der ich abhängen will!«
Dem redlichen Lavater habe ich einen engelreinen Mund zugeschrieben; das ist, einen Mund, der mit Vorsatz nie trügt oder täuscht, dem Manne, der gewissenhaft die Grundsätze befolgt, die in der von ihm angeführten herrlichen Stelle ausgedrückt sind; dem Manne, welcher der Wahrheit, soweit er sie erkennt, überall sich, nie sich selbst die Wahrheit unterwirft, und dem allein deswegen – wenn er auch alle die Torheiten, die ihr ihm vorwerft, und noch ärgere beginge – dem allein deswegen ihr Lästerer 36, nicht wert seid, die Schuhriemen aufzulösen.
Wisst ihr den Ausdruck für das, was ich hier entlarvte? Ich weiss keinen andern dafür, als wissentliche Unwahrheit, vorsätzlichen Betrug. Nennt es immer ungesittet, wenn ich den Dingen ihren eigentlichen Namen gebe. »Einen solchen ungesitteten Gegner möcht ihr an mir finden, aber sicherlich keinenunmoralischen. Dieser Unterschied zwischen ungesittet und unmoralisch, der sehr wichtig ist, obgleich beide Wörter, ihrer Abkunft nach, vollkommen das nämliche bedeuten müssten, soll ewig unter uns bleiben. Nur eure unmoralische Art, zu disputieren, will ich in ihr möglichstes Licht zu setzen suchen, und sollte es auch nicht anders, als auf die ungesitteste Weise geschehen können?«
[314] »Warum passt ihr mir in allen hohlen Wegen so tückisch auf?... Ist das guter Krieg, wenn ihr den Männern des Landes aus dem Wege geht, um die Weiber und Kinder desselben ungestört würgen zu können? Der Begriff ist der Mann, das sinnliche Bild des Begriffes ist das Weib, und die Worte sind die Kinder, welche beide hervorbringen. Ein schöner Held, der sich mit Bildern und Worten herumschlägt, und immer tut, als ob er den Begriff nicht sehe«! 37
Das Geschrei dieser Männer zum Lobe und zum Schutze der Vernunft mag zum Teil ganz unschuldig sein. Sie glauben in der Tat, dass ihre Meinung die Vernunft, und die Vernunft ihre Meinung sei. Schwärmer soll man sie darum nicht nennen, da Schwärmerei nur übertriebener Enthusiasmus ist; dieser aber einen wahren Gegenstand voraussetzt. Der Begeisterte für einen nicht wahren Gegenstand, für ein Unwesen heisst nicht Schwärmer, sondern nur Phantast. Und das ist der eigentliche Name für dies Geschlecht: sie sind Phantasten. Geschieht es aber, dass der Eifer für ein Hirngespinst bis zur Predigt seiner Wahrheit, seines Wortes und seiner Wunder, jaseiner allein seligmachenden Religion entflammt: dann heisst seine Gabe Fanatismus.
»An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!«
Hätten diese Männer Einsicht in das Wesen der Vernunft: wie könnten sie jene Ängstlichkeiten des Aberglaubens fühlen, die nächst der Eitelkeit und Selbstsucht die unmittelbaren Ursachen der Intoleranz und der Verfolgung sind? Hätten sie die Liebe der Vernunft, wie könnten sie in ihre engen Tempel sie[315] vermauern, ihrer Hohenpriesterschaft sie unterwerfen wollen? Aber sie ist ihnen nur das Bild des Götzen, dem sie opfern, in jeder andern Gestalt ein Greuel, und sie selbst schlagen sie ans Kreuz.
Die Ursache dieses schrecklichen Irrsals ist, dass ihnen eine objektive Wahrheit vorschwebt, die sie für die Einzige halten, und mit der Vernunft sogar verwechseln, oder wie ich eben sagte, und gern wiederhole: dass sie ihre Meinung für die Vernunft, und die Vernunft für ihre Meinung halten. Wahrlich sie sind die Leute, die die Vernunft am Glauben prüfen, darnach allein sie zu- oder absprechen, ausserdem von ihr nichts wissen, und sich nicht bekümmern weder um ihr Wesen noch um ihren Willen. Da erhebt sich dann mittels einer solchen objektiven Wahrheit das angenommene oder eigene System über alle Gerechtigkeit, und der hypostasierte Eigendünkel spricht Orakel aus, die alles meistern und von nichts gemeistert werden dürfen, die den Geist in Fesseln schlagen, und das Gewissen irreleiten und verführen.
»Es tut mir leid,« sagt Kant, »Unlauterkeit, Verstellung und Heuchelei sogar in den Äusserungen der spekulativen Denkungsart wahrzunehmen.... Man hält es nicht allein der Klugheit gemäss, sondern auch erlaubt und wohl gar rühmlich, der guten Sache eher durch Scheingrunde zu Hilfe zu kommen, als den vermeintlichen Gegnern derselben auch nur den Vorteil zu lassen, unsern Ton zu einer billigen Mässigung herabzustimmen... Indessen sollte ich denken, dass sich mit der Absicht, eine gute Sache zu behaupten, in der Welt wohl nichts übler, als Hinterlist, Verstellung und Betrug vereinigen lasse«. 38
[316] Setzen wir den Fall: ein Zergliederer untersuchte, nach Sömmerring, den Neger, und gäbe von dem, was er gefunden, eine solche Rechenschaft, die zwar ganz quer und leer, aber so beschaffen wäre, dass es am Ende hiesse, der Neger wäre dem Europäer nicht ungleich, sondern im ganzen wohl noch über ihn: Und nun kämen die Vorsteher der göttlichen Vernunft des Menschen, und priesen die Weisheit, die Frömmigkeit, das philosophische und moralische Verdienst dieser Operation, mit Seitenblicken auf Sömmerings böses Gemüt und unbesonnenen Kunsteifer, und wie man ihn aus Gewissenhaftigkeit heruntersetzen, und, nach höheren Gründen des Rechts, ihm ja nicht Recht lassen müsse: – würden wir nicht alle lachen und uns ärgern! – Und wir lachen und ärgern uns nicht, wenn gerade dasselbe in Absicht anderer wichtiger Gegenstände der menschlichen Erkenntnis, ja der wichtigsten von allen geschieht. Sehen mit Gelassenheit, wohl gar mit Beifall, Fakta, Geschichte, die bündigsten Schlussfolgen und einleuchtendsten Resultate unter die Füsse treten, nach einem gewissen Wahn des Nützlichen, und Kraft einer mehr als päpstlichen Untrüglichkeit, deren Despotismus und frommer Eifer sich bis zur Seelsorge eines Gross-Inquisitors erhebt. Wollte Gott, ich könnte meinen Unwillen gegen diese sinnlose, törichte Phantasterei, diese schnöde Selbstvergötterung auch in andern Männern, vornehmlich in solchen bis zur Tätigkeit erregen, die an der rechten Stelle sich befinden, mit Nachdruck dagegen zu wirken, und, vor den Augen der Welt, einer Weisheit, die aller Erkenntnis und jedem Gebrauch der Vernunft den Weg weisen will, die grosse Narrenkappe aufzusetzen. Denn kann etwas Verkehrteres, [317] und das mehr empörte, wohl gedacht werden, als eine menschliche Weisheit, die über die Wahrheit selbst herrschen; was, wie und wann sie gelten darf, entscheiden will?
»Die Philosophie geht ihren ewigen allmähligen Schritt, und Verfinsterungen bringen die Planeten aus ihrer Bahn nicht. Aber die Sekten der Philosophie sind die Phases derselben, die sich nicht anders erhalten können, als durch Stockung der ganzen Natur, wenn Sonn und Planet und Betrachter auf dem nämlichen Punkte verharren. Gott bewahre uns vor dieser schrecklichen Stockung«! 39
Als Hieronymus eine, seinem eigenen Urteile nach, der wahren Religion höchst verderbliche Schrift aus dem Griechischen übersetzte – in der Absicht übersetzte, um sie von den Verkleisterungen und Verstümmlungen eines andern Übersetzers, des Rufinus, zu retten, d.i., um sie ja in ihrer ganzen Stärke, mit allen ihren Verführungen, der lateinischen Welt vorzulegen, und ihm hierüber eine gewisse Schola tyrannica Vorwürfe machte, als habe er ein sehr strafbares Ärgernis auf seiner Seele: was war seine Antwort? O impudentiam singularem! Accusant medicum, quod venena prodiderit. – Nun weiss ich freilich nicht, was er mit jener Schola tyrannica eigentlich sagen wollen. Und es wäre doch erstaunlich, wenn es auch damals schon.... – Aber eine ähnliche Antwort habe ich doch schon für mich auch gegeben. »Weil ich das Gift, das im Finstern schleicht, dem Gesundheitsrate [318] anzeige, soll ich die Pest in das Land gebracht haben«? 40
Was mir bevorsteht, weiss ich. Ich bin allein gegen eine Legion, und die Menge lässt sich von der Menge leicht betören. Es wird auch nicht einmal viel Mühe kosten, einen, der ja schon so niedrig steht, vollends herunterzubringen. Wer achtet mich denn? Wohl niemand, als der sich durch Oberfläche täuschen lässt. Man braucht ja nur meine Schriften zu untersuchen, um den Augenblick zu finden, dass ich meiner Materie nie gewachsen bin, dass ich sie nie durchstudiert, die Quellen nie erforscht habe; geschweige dass mir, was zu ihr gehört, wie Eigenes, geläufig wäre. Ich kann ja nicht einmal ordentlich lesen, denn wenn ich ordentlich zu lesen – zu behalten und zu durchdenken wüsste: verstünde sich's denn nicht von selbst, dass ich auch den rechten Glauben haben, zu der echten Kirche mich bekennen würde? – Und schreiben? Ja,schöne Worte kann ich machen, aber schreiben? Gott bewahre uns vor einem solchen Vortrage!
So steht es um mich; so wird es um mich stehen; so werde ich nach der Wahrheit, die weise ist, beschaffen sein. Und wenn ich nun so, wie ich bin, in jeder Fortsetzung des paraphrasierten allgemeinen Messkatalogus des Herrn Nikolai bei jeder Gelegenheit, wo es passt und nicht passt, mit Gravität und ohne Gravität, verdeckt und offenbar – verzeichnet werde – und alle verbrüderten Zeitschriften und Blätterhallen es nach: wer wird es denn zuletzt nicht [319] begreifen, erkennen, und der Wahrheit, die weise ist, allein die Ehre geben?
Desto mehr Grund habe ich, den Augenblick, wo ich noch gehört werden möchte, zu nützen.
Strenge Prüfung, unerbittliche Gerechtigkeit habe ich gefodert, und fodre sie von neuem.
Man halte meine Verteidigung gegen Mendelssohns Beschuldigungen, gegen die Aufsätze derer, die sie unterstützten, und urteile, wie es mir ergangen wäre, wenn einige Schuld an mir haftete; wenn man anstatt Erdichtungen, Schmähungen und unwürdiger Schikanen Beweise hätte stellen können! Wäre meine Sache die Sache meiner Gegner – Barmherziger Gott! mir schaudert vor dem Gedanken! – Oh, mögen sie nur über mich siegen: genug, dass sie nicht über meine Sache siegen können. Genug, dass auch diese eine Wendung genommen hat, die nicht lehrreicher sein könnte. Je weniger ich selbst dazu getan habe, desto reiner ist meine Freude; desto vollkommener wird auf alle Fälle meine Ruhe sein.
Auch diese Schrift werde mit Worten Lavaters (meines Mitschächers) versiegelt. Ich nehme sie aus demselbigen Pontius Pilatus, Teil IV. Kap. VI. Hohenpriester und Dienerwut, sechster Abschnitt.
»Es gibt unbelehrliche, unüberzeugbare, grundschiefe Charaktere. Je klarer sie sehen, desto lauter rufen sie: welche Dunkelheit! Je bestimmter man mit ihnen spricht, desto starrsinniger sprechen sie von leidiger Unbestimmtheit. Sobald du den Mund öffnest, so machen sie sich auf Widerspruch gefasst. Denke nie, durch Einfalt und Aufrichtigkeit sie zu gewinnen, Sie haben keinen Sinn als für Schiefheit. Sie sind[320] wahre Visionärs alles Krummen und Unedeln. Sie sehen's, wo es ist, und wo es nicht ist. Sie lauern immer, und beobachten nichts«.
[321]Fußnoten
1 Lorsque le préjugé ou les idées préponderantes dans deux têtes diffèrent totalement, les idées de l'une voulant entrer dans l'autre, s'en écoulent tout de suite sans y faire proprement ni du bienni du mal, et tout l'effet que cette différence pourra produire sera ou la pitié ou le mépris, selon les gens; mais lorsque les idées ne sont pas si hétérogènes ou disparates, elles entrent plus ou moins dans l'autre tête, et entament que! – ques unes des idées qui s'y trouvent en se mêlant plus ou moins avec elles, et en mettant ainsi le desordre parmi les autres. C'est la sensation désagréable de ce desordre: la perception tacite de la possibilité que l'idée préponderante, l'idée Reine elle même pût courir risque jusqu'au fond de son thrône, qui fait naitre, non les passions inertes de la pitié ou du mépris, mais les fureurs de la haine, et les plus cruelles persécutions. ALEXIS, ou de l'Age d'Or. (7.) Ich habe mich entschlossen, diese vortreffliche Schrift meines Freundes Hemsterhuis ins Deutsche zu übersetzen, und werde, gemäss der Bewilligung, die ich schon habe, zugleich das französische Original bekanntmachen. Auch darf ich zu einer neuen Ausgabe des Briefes sur l'homme et ses rapports, mit Erläuterungen und Zusätzen des Verfassers Hoffnung machen, die, wo nicht mit dem ALEXIS, doch in diesem Jahre noch, unter DIOTIMENS Obhut erscheinen wird.
2 Apostelgeschichte C. XIX. v. 23-32.
3 Ich habe diese Stelle in meiner Schrift abgekürzt, weil ich von einer Privat-Korrespondenz nicht mehr als durchaus nötig war, und ich vor dem strengsten Richter verantworten konnte, mitteilen wollte. Da aber, nach Hrn. M. eigener Entscheidung »der Richter alles in Händen haben muss, was zur Streitsache gehört,« so werde ich nun von meiner Seite, was ich einzuliefern habe, mit pünktlicher Gewissenhaftigkeit darlegen.
4 Gespräche für Freimaurer, V. Gesp. S. 57.
5 Ohngefähr dasselbige, nämlich: Ergebung in mein Sein und in den Schein meines Seins, mache das Herz meiner Philosophie aus – schrieb ich ohnlängst einem meiner Freunde, bediente mich aber anstatt Ergebung des Wortes Resignation, mit dem Vorworteauf, welches zu folgender Antwort über diesen Punkt Gelegenheit gab. »Resignation auf allen Schein des Seins zum Besten des wahren Seins, übersetze ich Ihr Prinzipium. Das Sein lässt sich nicht resignieren, ist nicht unser Eigentum; ist es destoweniger, je mehr der Schein des Seins Eigentum der Kunst und Politik ist. Innerliche Ruhe = Sein. Beim Schein ist alles wandelbar, Schatten und Unruhe. Habe ich recht, und meinen Sie es nicht so? Ein Sein lässt sich im Schein nicht denken, aber wohl neben und mit demselben, wie jeder Schatten nicht im Licht noch im Körper, sondern mit jenem, und neben diesem da ist.« Diese Worte scheinen mir des Aufbewahrens nicht unwürdig, und ich gebe ihnen deswegen hier eine Stelle.
6 Wenn man auf den Übergang zu diesem Absatz und auf den Conjunctivum achtgibt, dessen M. sich in demselben bedient, so kann man nicht zweifeln, dass ich die Sache nehme, wie er sie genommen haben wollte.
7 Hier folgt im Texte der Brief Emiliens vom 15. Dez. 1783, den Jacobi nachher in die zweite Ausgabe des Spinoza-Büchleins aufnahm und der darum schon auf S. 94 unserer Ausgabe zu lesen war. [Anmerkung von Fritz Mauthner.]
8 Hier stellt sich Mendelssohn also selbst als den Äthiopier des Shaftesbury dar, und verwechselte nur nachher, den Umständen gemäss, die Rollen.
9 Und das in vollem Ernst? Und Mendelssohn glaubte das in vollem Ernst? Mendelssohn hielt dieser pantheistischen Demonstration wegen unsern Gotthold Ephraim Lessing für einen strengen Anhänger des Athanasius? Und Lessing, der sich dafür halten liess, hatte den, der ihn in vollem Ernste dafür hielt, auf keine Art zum besten? – Zuverlässig nicht! denn wer wollte einen Mendelssohn zum besten haben? und wer könnte diesen schlauen Sokrates zum besten haben? – Und der Israelite, in dem kein Falsch ist, wird doch nicht etwa selbst mit dieser Anekdote seine Leser nur zum besten haben?
10 Das Wort fest steht in der Handschrift.
11 Diese Bemerkungen wurden mit Mendelssohn Genehmigung mir mitgeteilt. Ich verband mit seinen Einwürfen die eines andern würdigen Mannes, und schickte den Aufsatz einem gemeinschaftlichen Freunde, der ihn, meinem Wunsche gemäss, mit Mendelssohns Bewilligung dem Drucke übergab; unter dem von ihm gewählten Titul: Gedanken Verschiedener über eine merkwürdige Schrift (S. deutsches Museum, Januar 1783). Von den Worten an (S. 8). »Auch geht unser Verfasser über alles dies sehr schnell hinweg« – gehört alles Mendelssohn bis ans Ende.
12 Deutsches Museum, 1783, Februar. S. 98.
13 S. 101.
14 Verschiedene Stellen meines ersten Briefes an Mendelssohn beziehen sich auf diese Dialogen. Mendelssohn brauchte ich nicht darauf zu verweisen, und andere darauf zu verweisen, deuchte mich bei der ersten Ausgabe meiner Schrift nicht schicklich.
15 »Denn alle Vernunftgründe in der Unterredung fallen, nach S. 15, auf das Anteil des Herrn Jacobi. Dieser verteidigt den Spinozismus mit allem Scharfsinne, dessen dieses System fähig sein mag.« – (Darum ist wahrscheinlich die Rolle Lessings nur erdichtet, höchst ungeschickt erdichtet: »Denn wie L. hier erscheint, ist er nur ein schaler Atheist; nicht aus der Schule eines Hobbes oder Spinoza, sondern irgendeines kindischen Witzlings, der sich eine Freude macht, das mit Füssen von sich zu stossen, was seinen Nebenmenschen so wichtig und so teuer ist.«)
16 S. Kants Kritik der reinen Vernunft.
17 Dem seligen Mendelssohn scheint meine Aussage, Lessing habe ihn entschuldigt, sehr empfindlich gewesen zu sein, und ich würde ihn, wenn er noch lebte, mit der Erläuterung nicht kränken. Nun aber glaube ich, ohne gegen das Sittliche zu verstossen, sie aufmeine Gefahr geben zu dürfen. Anlängen, verspülen, ist nicht ergründen, und mag oft den Anwachs wirklich deutlicher Begriffe mehr aufhalten als befördern.
18 Der Brief, den ich zum Eingange dieser Schrift genommen, ist die Antwort darauf.
19 S. die Morgenstunden, das XV. Hauptstück
20 Denn nach Herrn M. Briefe vom 24. Mai 1785 (der mir nicht mitgeteilt worden ist, von dem ich durch sein nachgelassenes Schreiben das erste Wort erfuhr), hat er diesen Aufsatz noch weniger, als den Brief an Hemsterhuis verstanden, den er im buchstäblichen Sinne nicht verstand. Es ist merkwürdig, dass Herr Mendelssohn am 28. Januar desselben Jahres denselben Brief noch sehr verständlich gefunden zu haben scheint, denn er bat an diesem 28. Januar um die Erlaubnis, »von meinen philosophischen Briefen öffentlichen Gebrauch zu machen, indem es ihm bei seiner Widerlegung des Spinozistischen Lehrgebäudes von einer grossen Bequemlichkeit, und auch für viele Leser von grossem Nutzen sein würde, wenn er sich meines lebhaften Vortrags dabei bedienen, und mich an Spinozens Statt sprechen lassen konnte. Er wünschte dieses aber bald zu erfahren, weil er seinen Vortrag hiernach einrichten müsste.« – Nun steht freilich in dem Schreiben an Lessings Freunde: »Anfangs war ich zwar willens, mit dem philosophischen Dispute sogleich herauszurücken, und erhielt auch des Herrn J. Erlaubnis, von seinem Briefe den beliebigen Gebrauch zu machen usw.« (Ich übergehe die Worte:Anfangs und beliebigen Gebrauch, übergehe die Verwirrung der Zeitpunkte, und wie diese wenigen Worte den ganzen Lauf der Geschichte entstellen): Aber der hier angebrachte Singularis, wenn er anders auf die nach Mendelssohns Schreiben vom 28. Januar 1785 (im zweiten Jahre nach Anfangs) von mir erteilte Erlaubnis, (die eine Erlaubnis des begehrten freien, nicht eines beliebigen Gebrauchs war) gehen soll, so lässt sich die Sache auf keine Art erklären. Denn mein erster Brief an Mendelssohn ist allein zu der angegebenen Absicht weder hinreichend noch geschickt, und der in dem Plurali des Schreibens vom 28. Januar 1785 klar mit ausgedrückte Brief an Hemsterhuis musste folglich, sowohl den ausdrücklichen Worten, als einem vernünftigen Sinne gemäss, mit verstanden sein. Was das aber für eine lebhafte Dunkelheit, oder dunkle Lebhaftigkeit des Vortrags sein mag, die Herr M. für sich so bequem und für seine Leser so nützlich finden wollte, wie er seinen eigenen Vortrag darnach einzurichten gedachte, wie dabei eine Widerlegung des Spinoza herauskommen, und auch die jüdische Orthodoxie in seiner spekulativen Lehre gerettet werden sollte – das mag der Gott einer allgemeinen Kritik oder sein Erzengel uns bedeuten.
21 Bitte hinter der Parabel.
22 Wer die Stelle nachschlagen und urteilen will, darf nicht bloss den Zusatz, sondern muss auch die Abhandlung selbst lesen, dann auch mit der Schrift bekannt sein, auf welche diese Abhandlung sich bezieht.
23 Tractatus Theologico-Politicus C. II. p. 16. Die Gottesverehrung des Spinoza, in Vergleichung mit dem, was im eigentlichen Verstande Religion heisst, und, wenn die Begriffe nicht sollen verwirrt werden, auch allein so heissen muss, verdiente eine besondere Abhandlung, die nicht nur ein neues Licht über das System dieses grossen Mannes, sondern auch über noch manche andre sehr wichtige Dinge verbreiten könnte.
In einem seiner Briefe (dem XLIX.) zürnt Spinoza sehr über einen Mann, der ihm wegen seines Tractatus Theol. Pol. alle Religion abgesprochen hatte. »Ist der ohne Religion (schreibt Spinoza), der Gott als das höchste Gut anerkennt, und ihn darum mit freier Seele zu lieben anbefiehlt? Dessen Lehre ist: hierin allein bestehe unsere höchste Glückseligkeit und unsere höchste Freiheit? Weiter: der Lohn der Tugend sei die Tugend selbst; die Strafe des Lasters das Laster. Endlich, dass ein jeder seinen Nächsten lieben und der Obrigkeit gehorchen müsse. Und dieses habe ich nicht allein ausdrücklich gesagt, sondern mit unumstösslichen Gründen dargetan. Man sieht, woran es bei jenem Manne liegt. Er findet nichts in der Tugend und der Vernunft an sich, was ihn erfreut, und möchte lieber seinen Trieben folgen, wenn dies Eine nicht wäre, dass er die Strafe fürchtet. Von bösen Handlungen enthält er, wie ein Sklave, sich ungern, und mit wankendem Gemüte. So erfüllt er die göttlichen Gebote, und erwartet für diesen Dienst weit süssere Belohnungen als die göttliche Liebe selbst. Er hofft um so mehr von Gott geehrt und belohnt zu werden, je mehr ihm das Gute, was er tut, zuwider ist, und er ihm gegen seinen Willen folgt. Darum muss er von allen denen, welche die Furcht nicht zurückhält, glauben, dass sie zügellos leben, und von keiner Gottesverehrung wissen.«
Den Atheisten (das Wort Gottesleugner hatte bei ihm eigentlich keinen Sinn) charakterisiert er in demselbigen Briefe als einen Menschen, dessen Begierde nach Reichtümern und Ehrenstellen die herrschende ist. Er glaubte, wer Gott nur suche als Mittel zu andern Zwecken – wäre dieser Zweck auch Unsterblichkeit der Seele – habe, wenn man die Sache recht beim Lichte besähe, nur seinen Bauch in Gedanken. Homo liber (bonum directe cupiens) de nulla re minus, quam de morte cogitat, et ejus sapientia non mortis, sed vitae meditatio est. Man sehe den V. Teil der Ethik am Ende, wo auf diese und noch andre Stellen zurückgewiesen wird.
24 Erziehung des Menschengeschlechts, §§ 78-80.
25 In einem Aufsatze, den ich vor drei Jahren dem deutschen Museo übergab, berührte ich eben diese Materie, und ich wage es, diese Stelle hier noch einmal erscheinen zu lassen. »Eine Staatsverfassung muss auf Tugend und Religion förmlich – ich sageförmlich – weder gegründet sein, noch dieselben sich zum Ziele setzen. Tugend und Religion sind die Sache des Menschen und nicht des Bürgers; sie sind die allgemeinen und ewigen Triebfedern im Reiche der Geister, zu edel und zu erhaben, um nur Räderwerk in einer Maschine zu vergänglichen Zwecken vorzustellen. Und das ist vollends widersinnig, wenn man mit den elenden Gewichten einer solchen Maschine jene Triebfedern selbst in Bewegung setzen will. Solange in diesem Zirkel herumgelaufen wird, muss die Religion den Staat, und der Staat die Religion verderben. Einen Gott sich darum nur zu wünschen, dass er unsere Schätze hüte, unser Haus in Ordnung halte, ein bequemes Leben uns verschaffe, das scheint mir ein Greuel.
Wer aber sieht nicht täglich, dass man die Religion mit solchen Trägern unterfangen will? Und sie muss als Dienerin des Staats soweit hinunter sinken, hinunter bis zum Menschenwerke, zum Betrüge, zum Gespötte der Vernunft. Wahre, göttliche Religion hat nie der Erde fröhnen wollen, auch wollte sie dieselbe nie beherrschen. Dafür ist ein andrer Geist, und an ihn auch ein andrer Glaube. Von den Übeln, welche dieser angerichtet, zeugen alle Blätter der Geschichte. – ›Siehe da, euer Gott und eures Gottes Dienst!‹ - ruft der Spötter der Religion. Und der törichte Priester eifert und bemühet sich, die Schande abzuwaschen:Gott will er retten, und er rettet nur den Teufel – jenen schwärzesten von allen, den der Himmel weist auf seiner Bahn.
Wer kann leugnen, wenn er Geschichte, Erfahrung und Vernunft zusammennimmt, dass Religion, als äusserliches Mittel gebraucht, von Schwärmerei und Aberglauben unbegleitet, nichts, in dieser Begleitung aber lauter Böses wirket. Solange unsere Priester also eine andere als die reine, heilige, innerliche wahre Lehre predigen, und nicht Gott allein das übrige befehlen, solange sie uns nach dem Himmel sehen heissen, nur darum, weil er uns die Erde düngt – den Geist erniedrigen zum Kot, solange sie die Finsternis nur schmücken wollen mit dem Lichte, und anstatt den Satan zu vertilgen, ihn zum gütlichen Vertrage überreden, ihn befreunden wollen mit der Gottheit, solange hasse ich sie mehr, als ich den Gottesleugner hasse. Dieser zeigt mir wenigstens sein höchstes Gut da, wo es liegt; er will mich nicht betrügen und betrügt mich nicht, er gibt mir seine Wahrheit rein, und ist vielleicht ein zehnmal frömmerer Mann, als der ihm flucht.
Was ich von der Gottesfurcht gesagt, das gilt in seinem Masse auch von der Tugend. Wer nicht an sie selber glauben, ihre überirdische Natur nicht fassen, nicht sie ehren kann in ihrer wesentlichen Unabhängigkeit, der soll leugnen, dass es eine gibt, denn er muss es leugnen nach der Wahrheit.« S. April des Museum 1783. S. 392-394.
26 Lessing, zur Geschichte und Literatur, I. Beitrag. S. 216.
27 Gerade dies Mehrere suchte Lessing in der Erziehung des Menschengeschlechts mit möglichster Klugheit darzustellen.
28 Lessings Axiomata, S. 56.
29 Axiomata, S. 8.
30 S. Allg. deutsche Bibliothek, des LXV. Bandes, 2. Stück, S. 630. Herr Nikolai wird mir die 13. und 14. Seite meines ersten Briefes an Mendelssohn, auch den III. meiner kurzen Sätze vorhalten und Schlüsse formieren, die mich sehr drücken, und wohl nötigen werden. Für die Zukunft »die Arzenei mitsamt der Schachtel zu verschlingen.« Aber kommt Zeit, kommt Rat, denken wir leichtsinnigen Leute. Wenn mich nur nicht wirklich schon etwas viel Schlimmeres drückte! Dieses nämlich: »dass Herr Nikolai am gewissesten sagen kann, dass ich Lessingen sicherlich missverstanden habe.« – Andre und sehr nahe Freunde von Lessing bezeugen zwar, und, wie ich höre, öffentlich und ohne Scheu, das Gegenteil. Aber was wollen alle Zeugnisse, alle innerlichen und äusserlichen Beweise tagen – wenn Herr Nikolai sagt, dass Er sagen kann! – (am gewissesten sagen kann er immer, und sagt nie anders) - wenn er sagt, dass er selbst über eine Materie disseriert hat! – Dergestaltsagt Herr Nikolai auch, dass ich geglaubt habe, in Leasings Meinung etwas (er weiss nicht, was) Gefährliches gefunden zu haben. Sagt, und kann sagen, dass ich meine Materie nicht recht durchgedacht habe, und mich nun wohl in die Finger beissen werde, nachdem die Morgenstunden erschienen sind. – Wenn doch nur auch Kant, der alles zermalmende, die Morgenstunden lesen, und es einmal mit sich zumDurchbruch kommen lassen wollte! – Ach, und der alte Moses, wenn der doch anstatt seiner Gesetze undunausführlichen Reisebeschreibung Morgenstunden herausgegeben hätte!
Folgendes Sinngedicht des Herrn Nikolai, welches in verschiedenen Zeitungen schon gelesen worden, verdient hier noch einmal gelesen zu werden.
»Es ist ein Gott, das sagte Moses schon,
Doch den Beweis gab Moses Mendelssohn.«
31 Ich bin in diesen Materien so unbewandert, dass ich in Wahrheit nicht einmal recht weiss, was man mir aufbürdet.
32 Ich habe nicht die Absicht, hiermit die Kantische Philosophie zu der meinigen erniedrigen, oder die meinige zu der Kantischen erhöhen zu wollen. Mir gnügt, dass dieser Herkules unter den Denkern die angezeigten Punkte betreffend, bei meinen Gegnern billigerweise, in noch grösserer Verdammnis stehen muss als ich, und dass sich dies so klar, wie die hellste Mittagssonne, machen lässt. Aber eben dies möchte leicht zu meiner ärgsten Gefahr ausschlagen, und schon haben sich bedenkliche Zeichen davon in zwei verschiedenen Gegenden des litterarischen Horizonts gehen lassen. – O meiner philosophischen Mitbrüder, rechts und links, vorne und hinten, und zwischen Tür und Angel!
33 Man vergleiche hiermit die Stelle meines dritten Briefes an Mendelssohn, die vornehmlich einer gewissen Klasse von Philosophen ein so unverzeihliches Ärgernis zu sein scheint, dass sie noch nicht wissen, wie man mich empfindlich genug dafür zu züchtigen hat. Doch ich erwarte, es sei aus welcher philosophischen Schule es wolle, ganz getrost auch den grössten Gegner, der sich zu behaupten getraut – dass die Vernunft, mit dem Fortgange ihrer spekulativen Erkenntnis, verhältnismässig an der Überzeugung von einer weisen Vorsehung und einer persönlichen Fortdauer nach dem Tode gewinne, unter den Menschen überhaupt diese Überzeugung befestige, sie allgemeiner und sicherer mache. Lässt sich aber dieses nicht behaupten, und es bliebe wahr, was ich gesagt habe, dass die im höchsten Grade spekulativ gewordene Vernunft der Religion und ihren Gütern nur nachzukrüppeln – ach, so kaum und kümmerlich nur nachzukrüppeln wisse, wo ist dann das Verbrechen, vor den geheimen Artikeln eines Römisch-Punischen Friedens zu warnen? Es wäre denn, dass man sich dadurch eines Hochverrats an der Philosophie überhaupt – oder einer böslichen Verräterei an den Philosophen selbst schuldig machte, welches ich nicht hoffen will.
34 Aristée, ou de la Divinité, p. 167, 184, 195, 199.
Noch ein Mann, in dessen Gesellschaft ich mich unbedenklich aus jeder philosophischen Synagoge gern verbannen lasse, und von dem ich bekenne, dass ich ihn für einen grossen und heiligen Mann halte, Johann Georg Hamann aus Königsberg sagt: »Ist wohl menschliche Liebe ohne Bekanntschaft und Sympathie möglich? – Ihr rühmt euch, Gott zu kennen, wie seid ihr zu dieser rühmlichen Erkenntnis gekommen? – Durch Betrachtung seiner Werke. – Woher wisst ihr, dass diese Werke ihn besser kennen als ihr selbst, und sind sie nicht weit unfähiger als ihr selbst, dieser hohen Offenbarung, und euch solche mitzuteilen? Um einen blossen Menschen – und den vertraulichsten von allen – euch selbst kennen zu lernen, würdet ihr euch wohl auf äusserliche Werke verlassen? Wie wenig ähnlich, wie entfernt und fremde, ja wie widersprechend sind selbige nicht den Tiefen desinwendigen im Herzen verborgenen Menschen..... Der Gegenstand eurer Betrachtungen und Andacht ist nicht Gott, sondern ein blosses Bildwort, wie eure allgemeine Menschenvernunft, die ihr durch eine mehr als poetische Lizenz zu einer wirklichen Person vergöttert, und dergleichen Götter und Personen macht ihr durch die Transsubstantiation eurer Bildwörter so viel, dass das gröbste Heidentum und blindste Papsttum in Vergleichung eurer philosophischen Idolatrie am jüngsten Gericht gerechtfertigt und vielleicht losgesprochen sein wird.« – Neue Apologie des Buchstaben H. Ich weiss nicht, ob wir in unserer Sprache etwas aufzuweisen haben, das an Tiefsinn, Witz und Laune, überhaupt an Reichtum von eigentlichem Genie, sowohl was den Inhalt als die Form angebt, diese kleine Apologie eines zweideutigen Buchstaben überträfe.
35 Lessings Axiomata, Schluss. Voltaire erzählte mir einmal bei sehr guter Laune von einem berühmten grossen Manne, dass man ihm in seiner Kindheit einen kleinen Husaren gehalten, der aller Vergehungen des vornehmen Kindes schuldig werden, alle seine Unarten hätte müssen an sich kommen lassen, um dafür in seiner Gegenwart gescholten und gezüchtigt zu werden. »Je suis devenu son petit housard,« sagte Voltaire, il fait les sottises, et l'on me fouette.
36 S. Adelungs Wörterbuch, erste Bedeutung dieses Wortes.
37 Lessings notgedrungene Beiträge, zweiter S. 15. Achter, S. 10 u. 11.
38 Kritik der reinen Vernunft. S. 748.
39 Lessings Bitte hinter der Parabel, S. 15.
40 Lessings notgedrungener Beiträge, Sechster. S. 5.