Jakob Michael Reinhold Lenz
Der Hofmeister
oder
Vorteile der Privaterziehung
Eine Komödie

Personen

[10] Personen.

    • Herr von Berg, Geheimer Rat.

    • Der Major, sein Bruder.

    • Die Majorin.

    • Gustchen, ihre Tochter.

    • Fritz von Berg.

    • Graf Wermuth.

    • Läuffer, ein Hofmeister.

    • Pätus,
    • Bollwerk, Studenten.

    • Herr von Seiffenblase.

    • Sein Hofmeister.

    • Frau Hamster, Rätin.

    • Jungfer Hamster.

    • Jungfer Knicks.

    • Frau Blitzer.

    • Wenzeslaus, ein Schulmeister.

    • Marthe, alte Frau.

    • Lise.

    • Der alte Pätus.

    • Der alte Läuffer, Stadtprediger.

    • Leopold, Junker des Majors, ein Kind.

    • Herr Rehaar, Lautenist.

    • Jungfer Rehaar, seine Tochter.
    • [10]

1. Akt

1. Szene
Erste Szene
Zu Insterburg in Preußen.

LÄUFFER.

Mein Vater sagt: ich sei nicht tauglich zum Adjunkt. Ich glaube, der Fehler liegt in seinem Beutel; er will keinen bezahlen. Zum Pfaffen bin ich auch zu jung, zu gut gewachsen, habe zu viel Welt gesehn, und bei der Stadtschule hat mich der Geheime Rat nicht annehmen wollen. Mag's! er ist ein Pedant und dem ist freilich der Teufel selber nicht gelehrt genug. Im halben Jahr hätt ich doch wieder eingeholt, was ich von der Schule mitgebracht, und dann wär ich für einen Klassenpräzeptor noch immer viel zu gelehrt gewesen, aber der Herr Geheime Rat muß das Ding besser verstehen. Er nennt mich immer nur Monsieur Läuffer, und wenn wir von Leipzig sprechen, fragt er nach Händels Kuchengarten und Richters Kaffeehaus, ich weiß nicht: soll das Satire sein, oder – Ich hab ihn doch mit unserm Konrektor bisweilen tiefsinnig genug diskurieren hören; er sieht mich vermutlich nicht für voll an. – Da kommt er eben mit dem Major; ich weiß nicht, ich scheu ihn ärger als den Teufel. Der Kerl hat etwas in seinem Gesicht, das mir unerträglich ist. Geht dem Geheimen Rat und dem Major mit viel freundlichen Scharrfüßen vorbei.

2. Szene
Zweite Szene
Geheimer Rat. Major.

MAJOR.
Was willst du denn? Ist das nicht ein ganz artiges Männichen?
GEHEIMER RAT.
Artig genug, nur zu artig. Aber was soll er deinen Sohn lehren?
[11]
MAJOR.
Ich weiß nicht, Berg, du tust immer solche wunderliche Fragen.
GEHEIMER RAT.

Nein aufrichtig! du mußt doch eine Absicht haben, wenn du einen Hofmeister nimmst und den Beutel mit einemmal so weit auftust, daß dreihundert Dukaten herausfallen. Sag mir, was meinst du mit dem Geld auszurichten; was foderst du dafür von deinem Hofmeister?

MAJOR.

Daß er – was ich – daß er meinen Sohn in allen Wissenschaften und Artigkeiten und Weltmanieren – Ich weiß auch nicht, was du immer mit deinen Fragen willst; das wird sich schon finden; das werd ich ihm alles schon zu seiner Zeit sagen.

GEHEIMER RAT.

Das heißt: du willst Hofmeister deines Hofmeisters sein; bedenkst du aber auch, was du da auf dich nimmst – Was soll dein Sohn werden, sag mir einmal?

MAJOR.
Was er ... Soldat soll er werden; ein Kerl, wie ich gewesen bin.
GEHEIMER RAT.

Das letzte laß nur weg, lieber Bruder; unsere Kinder sollen und müssen das nicht werden, was wir waren: die Zeiten ändern sich, Sitten, Umstände, alles, und wenn du nichts mehr und nichts weniger geworden wärst, als das leibhafte Kontrefei deines Eltervaters – –

MAJOR.
Potz hundert! wenn er Major wird und ein braver Kerl wie ich und dem König so redlich dient als ich!
GEHEIMER RAT.

Ganz gut, aber nach funfzig Jahren haben wir vielleicht einen andern König und eine andre Art ihm zu dienen. Aber ich seh schon, ich kann mich mit dir in die Sachen nicht einlassen, ich müßte zu weit ausholen und würde doch nichts ausrichten. Du siehst immer nur der graden Linie nach, die deine Frau dir mit Kreide über den Schnabel zieht.

MAJOR.

Was willst du damit sagen, Berg? Ich bitt dich, misch dich nicht in meine Hausangelegenheiten, so wie ich mich nicht in die deinigen. – Aber sieh doch! da läuft ja [12] eben dein gnädiger Junker mit zwei Hollunken aus der Schule heraus. – Vortreffliche Erziehung, Herr Philosophus! Das wird einmal was Rechts geben! Wer sollt es in aller Welt glauben, daß der Gassenbengel der einzige Sohn Sr. Excellenz des königlichen Geheimen Rats – –

GEHEIMER RAT.

Laß ihn nur – Seine lustigen Spielgesellen werden ihn minder verderben als ein galonierter Müßiggänger, unterstützt von einer eiteln Patronin.

MAJOR.
Du nimmst dir Freiheiten heraus. – Adieu.
GEHEIMER RAT.
Ich bedaure dich.
3. Szene
Dritte Szene
Der Majorin Zimmer.
Frau Majorin auf einem Kanapee. Läuffer in sehr demütiger Stellung neben ihr sitzend. Leopold steht.

MAJORIN.

Ich habe mit Ihrem Herrn Vater gesprochen und von den dreihundert Dukaten stehenden Gehalts sind wir bis auf hundert und funfzig einig worden. Dafür verlang ich aber auch Herr – Wie heißen Sie? – Herr Läuffer, daß Sie sich in Kleidern sauber halten und unserm Hause keine Schande machen. Ich weiß, daß Sie Geschmack haben; ich habe schon von Ihnen gehört, als Sie noch in Leipzig waren. Sie wissen, daß man heut zu Tage auf nichts in der Welt so sehr sieht, als ob ein Mensch sich zu führen wisse.

LÄUFFER.

Ich hoff, Euer Gnaden werden mit mir zufrieden sein. Wenigstens hab ich in Leipzig keinen Ball ausgelassen und wohl über die funfzehn Tanzmeister in meinem Leben gehabt.

MAJORIN.

So? lassen Sie doch sehen. Läuffer steht auf. Nicht furchtsam, Herr ... Läuffer! nicht furchtsam! Mein Sohn ist buschscheu genug; wenn der einen blöden [13] Hofmeister bekommt, so ist's aus mit ihm. Versuchen Sie doch einmal, mir ein Kompliment aus der Menuet zu machen; zur Probe nur, damit ich doch sehe. – Nun, nun, das geht schon an! Mein Sohn braucht vor der Hand keinen Tanzmeister! Auch einen Pas, wenn's Ihnen beliebt. – Es wird schon gehen; das wird sich alles geben, wenn Sie einmal einer unsrer Assembleen werden beigewohnt haben ... Sind sie musikalisch?

LÄUFFER.
Ich spiele die Geige, und das Klavier zur Not.
MAJORIN.

Desto besser: wenn wir aufs Land gehn und Fräulein Milchzahn besuchen uns einmal; ich habe bisher ihnen immer was vorsingen müssen, wenn die guten Kinder Lust bekamen zu tanzen: aber besser ist besser.

LÄUFFER.

Euer Gnaden setzen mich außer mich: wo wär ein Virtuos auf der Welt, der auf seinem Instrument Euer Gnaden Stimme zu erreichen hoffen dürfte.

MAJORIN.
Ha ha ha, Sie haben mich ja noch nicht gehört ... Warten Sie; ist Ihnen die Menuet bekannt?

Singt.
LÄUFFER.
O ... o ... verzeihen Sie dem Entzücken, dem Enthusiasmus, der mich hinreißt.

Küßt ihr die Hand.
MAJORIN.

Und ich bin doch enrhumiert dazu; ich muß heut krähen wie ein Rabe. Vous parlez français, sans doute?

LÄUFFER.
Un peu, Madame.
MAJORIN.
Avez-vous déjà fait votre tour de France?
LÄUFFER.
Non Madame ... Oui Ma dame.
MAJORIN.
Vous devez donc savoir, qu'en France on ne baise pas les mains, mon cher! ...
BEDIENTER
tritt herein.
Der Graf Wermuth ...

Graf Wermuth tritt herein.
GRAF
nach einigen stummen Komplimenten setzt sich zur Majorin aufs Kanapee.

Läuffer bleibt verlegen stehen. Haben Euer Gnaden den neuen Tanzmeister schon gesehn, der aus Dresden angekommen? Er ist ein Marchese aus Florenz und heißt ... Aufrichtig: ich habe nur zwei auf meinen Reisen angetroffen, die ihm vorzuziehen waren.

[14]
MAJORIN.

Das gesteh ich, nur zwei! In der Tat, Sie machen mich neugierig; ich weiß, welchen verzärtelten Geschmack der Graf Wermuth hat.

LÄUFFER.

Pintinello ... nicht wahr? ich hab ihn in Leipzig auf dem Theater tanzen sehen; er tanzt nicht sonderlich ...

GRAF.

Er tanzt – on ne peut pas mieux. – Wie ich Ihnen sage, gnädige Frau, in Petersburg hab ich einen Beluzzi gesehn, der ihm vorzuziehen war: aber dieser hat eine Leichtigkeit in seinen Füßen, so etwas Freies, Göttlichnachlässiges in seiner Stellung, in seinen Armen, in seinen Wendungen – –

LÄUFFER.
Auf dem Kochischen Theater ward er ausgepfiffen, als er sich das letztemal sehen ließ.
MAJORIN.

Merk Er sich, mein Freund! daß Domestiken in Gesellschaften von Standespersonen nicht mitreden. Geh Er auf Sein Zimmer. Wer hat Ihn gefragt?


Läuffer tritt einige Schritte zurück.
GRAF.
Vermutlich der Hofmeister, den Sie dem jungen Herrn bestimmt? ...
MAJORIN.

Er kommt ganz frisch von der hohen Schule. – Geh Er nur! Er hört ja, daß man von Ihm spricht; desto weniger schickt es sich, stehen zu bleiben. Läuffer geht mit einem steifen Kompliment ab. Es ist was Unerträgliches, daß man für sein Geld keinen rechtschaffenen Menschen mehr antreffen kann. Mein Mann hat wohl dreimal an einen dasigen Professor geschrieben, und dies soll doch noch der galanteste Mensch auf der ganzen Akademie gewesen sein. Sie sehen's auch wohl an seinem links bordierten Kleide. Stellen Sie sich vor, von Leipzig bis Insterburg zweihundert Dukaten Reisegeld und jährliches Gehalt fünfhundert Dukaten, ist das nicht erschröcklich?

GRAF.
Ich glaube, sein Vater ist der Prediger hier aus dem Ort ...
MAJORIN.

Ich weiß nicht – es kann sein – ich habe nicht [15] darnach gefragt, ja doch, ich glaub es fast: er heißt ja auch Läuffer; nun denn ist er freilich noch artig genug. Denn das ist ein rechter Bär, wenigstens hat er mich ein für allemal aus der Kirche gebrüllt.

GRAF.
Ist's ein Katholik?
MAJORIN.

Nein doch, Sie wissen ja, daß in Insterburg keine katholische Kirche ist: er ist lutherisch, oder protestantisch wollt ich sagen; er ist protestantisch.

GRAF.

Pintinello tanzt ... Es ist wahr, ich habe mir mein Tanzen einige dreißig tausend Gulden kosten lassen, aber noch einmal so viel gäb ich drum, wenn ...

4. Szene
Vierte Szene
Läuffers Zimmer.
Läuffer. Leopold. Der Major. Erstere sitzen an einem Tisch, ein Buch in der Hand, indem sie der letztere überfällt.

MAJOR.

So recht; so lieb ich's; hübsch fleißig – und wenn die Kanaille nicht behalten will, Herr Läuffer, so schlagen Sie ihm das Buch an den Kopf, daß er's Aufstehen vergißt, oder wollt ich sagen, so dürfen Sie mir's nur klagen. Ich will dir den Kopf zurecht setzen, Heiduck du! Seht da zieht er das Maul schon wieder. Bist empfindlich, wenn dir dein Vater was sagt? Wer soll dir's denn sagen? Du sollst mir anders werden, oder ich will dich peitschen, daß dir die Eingeweide krachen sollen, Tuckmäuser! Und Sie, Herr, sein Sie fleißig mit ihm, das bitt ich mir aus, und kein Feriieren und Pausieren und Rekreïeren, das leid ich nicht. Zum Plunder, vom Arbeiten wird kein Mensch das Malum hydropisiacum kriegen. Das sind nur Ausreden von euch Herren Gelehrten. – Wie steht's, kann er seinen Cornelio? Lippel! ich bitt dich um tausend Gottes willen, den Kopf grad. [16] Den Kopf in die Höhe, Junge! Richtet ihn. Tausend Sackerment den Kopf aus den Schultern! oder ich zerbrech dir dein Rückenbein in tausendmillionen Stücken.

LÄUFFER.
Der Herr Major verzeihen: er kann kaum Lateinisch lesen.
MAJOR.

Was? So hat der Racker vergessen – Der vorige Hofmeister hat mir doch gesagt, er sei perfekt im Lateinischen, perfekt ... Hat er's ausgeschwitzt – aber ich will dir – Ich will es nicht einmal vor Gottes Gericht zu verantworten haben, daß ich dir keinen Daumen aufs Auge gesetzt habe und daß ein Galgendieb aus dir geworden ist wie der junge Hufeise oder wie deines Onkels Friedrich, eh du mir so ein gassenläuferischer Taugenichts – Ich will dich zu Tode hauen – Gibt ihm eine Ohrfeige. Schon wieder wie ein Fragzeichen? Er läßt sich nicht sagen. – Fort mir aus den Augen. – Fort! Soll ich dir Beine machen? Fort, sag ich. Stampft mit dem Fuß. Leopold geht ab. Major setzt sich auf seinen Stuhl. Zu Läuffern. Bleiben Sie sitzen, Herr Läuffer; ich wollte mit Ihnen ein paar Worte allein sprechen, darum schickt ich den jungen Herrn fort. Sie können immer sitzen bleiben; ganz, ganz. Zum Henker Sie brechen mir ja den Stuhl entzwei, wenn Sie immer so auf einer Ecke ... Dafür steht ja der Stuhl da, daß man drauf sitzen soll. Sind Sie so weit gereist und wissen das noch nicht? – Hören Sie nur: ich seh Sie für einen hübschen artigen Mann an, der Gott fürchtet und folgsam ist, sonst würd ich das nimmer tun, was ich für Sie tue. Hundert und vierzig Dukaten jährlich hab ich Ihnen versprochen: das machen drei – Warte – Dreimal hundert und vierzig: wieviel machen das?

LÄUFFER.
Vier hundert und zwanzig.
MAJOR.

Ist's gewiß! Macht das soviel? Nun damit wir gerade Zahl haben, vierhundert Taler preußisch Courant hab ich zu Ihrem Salarii bestimmt. Sehen Sie, das ist mehr als das ganze Land gibt.

[17]
LÄUFFER.

Aber mit Eurer Gnaden gnädigen Erlaubnis, die Frau Majorin haben mir von hundert funfzig Dukaten gesagt; das machte gerade vierhundert funfzig Taler, und auf diese Bedingungen hab ich mich eingelassen.

MAJOR.

Ei was wissen die Weiber! – Vierhundert Taler, Monsieur; mehr kann Er mit gutem Gewissen nicht fodern. Der vorige hat zweihundert funfzig gehabt und ist zufrieden gewesen wie ein Gott. Er war doch, mein Seel! ein gelehrter Mann auch und ein Hofmann zugleich: die ganze Welt gab ihm das Zeugnis, und Herr, Er muß noch ganz anders werden, eh Er so wird. Ich tu es nur aus Freundschaft für Seinen Herrn Vater, was ich an Ihm tue, und um Seinetwillen auch, wenn Er hübsch folgsam ist, und werd auch schon einmal für Sein Glück zu sorgen wissen; das kann Er versichert sein. – Hör Er doch einmal: ich hab eine Tochter, das mein Ebenbild ist, und die ganze Welt gibt ihr das Zeugnis, daß ihres gleichen an Schönheit im ganzen Preußenlande nichts anzutreffen. Das Mädchen hat ein ganz anders Gemüt als mein Sohn, der Buschklepper. Mit dem muß ganz anders umgegangen werden! Es weiß sein Christentum aus dem Grunde und in dem Grunde, aber es ist denn nun doch, weil sie bald zum Nachtmahl gehen soll und ich weiß wie die Pfaffen sind, so soll Er auch alle Morgen etwas aus dem Christentum mit ihr nehmen. Alle Tage morgens eine Stunde, und da geht Er auf ihr Zimmer; angezogen, das versteht sich: denn Gott behüte, daß Er so ein Schweinigel sein sollte wie ich einen gehabt habe, der durchaus im Schlafrock an Tisch kommen wollte. – Kann Er auch zeichnen?

LÄUFFER.
Etwas, gnädiger Herr. – Ich kann Ihnen einige Proben weisen.
MAJOR
besieht sie.

Das ist ja scharmant! – Recht schön; gut das: Er soll meine Tochter auch zeichnen lehren. – Aber hören Sie, werter Herr Läuffer, um Gottes willen ihr nicht scharf begegnet; das Mädchen hat ein ganz [18] ander Gemüt als der Junge. Weiß Gott! es ist als ob sie nicht Bruder und Schwester wären. Sie liegt Tag und Nacht über den Büchern und über den Trauerspielen da, und sobald man ihr nur ein Wort sagt, besonders ich, von mir kann sie nichts vertragen, gleich stehn ihr die Backen in Feuer und die Tränen laufen ihr wie Perlen drüber herab. Ich will's Ihm nur sagen: das Mädchen ist meines Herzens einziger Trost. Meine Frau macht mir bittre Tage genug: sie will alleweil herrschen, und weil sie mehr List und Verstand hat als ich. Und der Sohn, das ist ihr Liebling; den will sie nach ihrer Methode erziehen; fein säuberlich mit dem Knaben Absalom, und da wird denn einmal so ein Galgenstrick draus, der nicht Gott, nicht Menschen was nutz ist. – Das will ich nicht haben. – Sobald er was tut oder was versieht, oder hat seinen Lex nicht gelernt, sag Er's mir nur und der lebendige Teufel soll drein fahren. – Aber mit der Tochter nehm Er sich in Acht; die Frau wird Ihm schon zureden, daß Er ihr scharf begegnen soll. Sie kann sie nicht leiden, das weiß ich; aber wo ich das geringste merke. Ich bin Herr vom Hause, muß Er wissen, und wer meiner Tochter zu nahe kommt – Es ist mein einziges Kleinod, und wenn der König mir sein Königreich für sie geben wollt: ich schickt ihn fort. Alle Tage ist sie in meinem Abendgebet und Morgengebet und in meinem Tischgebet, und alles in allem, und wenn Gott mir die Gnade tun wollte, daß ich sie noch vor meinem Ende mit einem General oder Staatsminister vom ersten Range versorgt sähe – denn keinen andern soll sie sein Lebtage bekommen – so wollt ich gern ein zehn Jahr eher sterben. – Merk Er sich das – und wer meiner Tochter zu nahe kommt oder ihr worin zu Leid lebt – die erste beste Kugel durch den Kopf. Merk Er sich das. – Geht ab.

[19]
5. Szene
Fünfte Szene
Fritz von Berg. Augustchen.

FRITZ.

Sie werden nicht Wort halten Gustchen: Sie werden mir nicht schreiben, wenn Sie in Heidelbrunn sind, und dann werd ich mich zu Tode grämen.

GUSTCHEN.

Glaubst du denn, daß deine Juliette so unbeständig sein kann? O nein; ich bin ein Frauenzimmer; die Mannspersonen allein sind unbeständig.

FRITZ.

Nein, Gustchen, die Frauenzimmer allein sind's. Ja wenn alle Julietten wären! – Wissen Sie was? Wenn Sie an mich schreiben, nennen Sie mich Ihren Romeo; tun Sie mir den Gefallen: ich versichere Sie, ich werd in allen Stücken Romeo sein, und wenn ich erst einen Degen trage! O ich kann mich auch erstechen, wenn's dazu kommt.

GUSTCHEN.

Gehn Sie doch! Ja Sie werden's machen, wie im Gellert steht: Er besah die Spitz' und Schneide, und steckt' ihn langsam wieder ein.

FRITZ.

Sie sollen schon sehen. Faßt sie an die Hand. Gustchen – Gustchen! wenn ich Sie verlieren sollte oder der Onkel wollte Sie einem andern geben. – Der gottlose Graf Wermuth! Ich kann Ihnen den Gedanken nicht sagen Gustchen, aber Sie könnten ihn schon in meinen Augen lesen – Er wird ein Graf Paris für uns sein.

GUSTCHEN.
Fritzchen – – so mach ich's wie Juliette.
FRITZ.
Was denn? – Wie denn? – Das ist ja nur eine Erdichtung; es gibt keine solche Art Schlaftrunk.
GUSTCHEN.
Ja, aber es gibt Schlaftrünke zum ewigen Schlaf.
FRITZ
fällt ihr um den Hals.
Grausame!
GUSTCHEN.

Ich hör meinen Vater auf dem Gange – Laß uns in den Garten laufen! – Nein; er ist fort. – Gleich nach dem Kaffee Fritzchen reisen wir, und sowie der Wagen dir aus den Augen verschwindt, werd ich dir auch schon aus dem Gedächtnis sein.

[20]
FRITZ.

So mag Gott sich meiner nie mehr erinnern, wenn ich dich vergesse. Aber nimm dich für den Grafen in Acht, er gilt soviel bei deiner Mutter, und du weißt, sie möchte dich gern aus den Augen haben, und eh ich meine Schulen gemacht habe und drei Jahr auf der Universität, das ist gar lange.

GUSTCHEN.

Wie denn Fritzchen! Ich bin ja noch ein Kind: ich bin noch nicht zum Abendmahl gewesen, aber sag mir. – O wer weiß, ob ich dich sobald wiederspreche! – Wart, komm in den Garten.

FRITZ.

Nein, nein, der Papa ist vorbei gegangen. – Siehst du, der Henker! er ist im Garten. – Was wolltest du mir sagen?

GUSTCHEN.
Nichts ...
FRITZ.
Liebes Gustchen ...
GUSTCHEN.
Du solltest mir – Nein, ich darf das nicht von dir verlangen.
FRITZ.
Verlange mein Leben, meinen letzten Tropfen Bluts.
GUSTCHEN.
Wir wollten uns beide einen Eid schwören.
FRITZ.

O komm! Vortrefflich! Hier laß uns niederknien, am Kanapee, und heb du so deinen Finger in die Höh und ich so meinen. – Nun sag, was soll ich schwören?

GUSTCHEN.

Daß du in drei Jahren von der Universität zurückkommen willst und dein Gustchen zu deiner Frau machen; dein Vater mag dazu sagen, was er will.

FRITZ.
Und was willst du mir dafür wieder schwören, mein engliches ...

Küßt sie.
GUSTCHEN.

Ich will schwören, daß ich in meinem Leben keines andern Menschen Frau werden will als deine, und wenn der Kaiser von Rußland selber käme.

FRITZ.

Ich schwör dir hunderttausend Eide – Der geheime Rat tritt herein: beide springen mit lautem Geschrei auf.

[21]
6. Szene
Sechste Szene
Geheimer Rat. Fritz von Berg. Gustchen.

GEHEIMER RAT.

Was habt ihr, närrische Kinder? Was zittert ihr? – Gleich, gesteht mir alles. Was habt ihr hier gemacht? Ihr seid beide auf den Knien gelegen. – Junker Fritz, ich bitte mir eine Antwort aus; unverzüglich: – Was habt ihr vorgehabt?

FRITZ.
Ich, gnädigster Papa?
GEHEIMER RAT.

Ich? und das mit einem so verwundrungsvollen Ton? Siehst du: ich merk alles. Du möchtest mir itzt gern eine Lüge sagen, aber entweder bist du zu dumm dazu oder zu feig und willst dich mit deinem Ich? heraushelfen ... Und Sie Mühmchen? – Ich weiß, Gustchen verhehlt mir nichts.

GUSTCHEN
fällt ihm um die Füße.
Ach, mein Vater – –
GEHEIMER RAT
hebt sie auf und küßt sie.

Wünschst du mich zu deinem Vater? Zu früh, mein Kind, zu früh Gustchen, mein Kind. Du hast noch nicht kommuniziert. – Denn warum soll ich euch verhehlen, daß ich euch zugehört habe. – Das war ein sehr einfältig Stückchen von euch beiden; besonders von dir, großer vernünftiger Junker Fritz, der bald einen Bart haben wird wie ich und eine Perücke aufsetzen und einen Degen anstecken. Pfui, ich glaubt einen vernünftigern Sohn zu haben. Das macht dich gleich ein Jahr jünger und macht, daß du länger auf der Schule bleiben mußt. Und Sie, Gustchen, auch Ihnen muß ich sagen, daß es sich für Ihr Alter gar nicht mehr schickt, so kindisch zu tun. Was sind das für Romane, die Sie da spielen? Was für Eide, die Sie sich da schwören, und die ihr doch alle beide so gewiß brechen werdet als ich itzt mit euch rede. Meint ihr, ihr seid in den Jahren, Eide zu tun, oder meint ihr, ein Eid sei ein Kinderspiel, wie es das Versteckspiel oder die blinde Kuh ist? Lernt erst einsehen, was ein Eid ist: lernt erst zittern dafür, und alsdenn wagt's, ihn zu schwören. Wißt, daß [22] ein Meineidiger die schändlichste und unglücklichste Kreatur ist, die von der Sonne angeschienen wird. Ein solcher darf weder den Himmel ansehen, den er verleugnet hat, noch andere Menschen, die sich unaufhörlich vor ihm scheuen und seiner Gesellschaft mit mehr Sorgfalt ausweichen als einer Schlange oder einem tückischen Hunde.

FRITZ.
Aber ich denke meinen Eid zu halten.
GEHEIMER RAT.

In der Tat Romeo? Ha! du kannst dich auch erstechen, wenn's dazu kommt. Du hast geschworen, daß mir die Haare zu Berg standen. Also gedenkst du deinen Eid zu halten?

FRITZ.
Ja Papa, bei Gott! ich denk ihn zu halten.
GEHEIMER RAT.

Schwur mit Schwur bekräftigt! – Ich werd es deinem Rektor beibringen. Er soll Euch auf vierzehn Tage nach Sekunda herunter transportieren, Junker: inskünftige lernt behutsamer schwören. Und worauf? Steht das in deiner Gewalt, was du da versicherst? Du willst Gustchen heiraten! Denk doch! weißt du auch schon, was für ein Ding das ist, Heiraten? Geh doch, heirate sie: nimm sie mit auf die Akademie. Nicht? Ich habe nichts dawider, daß ihr euch gern seht, daß ihr euch lieb habt, daß ihr's euch sagt, wie lieb ihr euch habt; aber Narrheiten müßt ihr nicht machen; keine Affen von uns Alten sein, eh ihr so reif seid als wir; keine Romane spielen wollen, die nur in der ausschweifenden Einbildungskraft eines hungrigen Poeten ausgeheckt sind und von denen ihr in der heutigen Welt keinen Schatten der Wirklichkeit antrefft. Geht! ich werde keinem Menschen was davon sagen, damit ihr nicht nötig habt, rot zu werden, wenn ihr mich seht. – Aber von nun an sollt ihr einander nie mehr ohne Zeugen sehen. Versteht ihr mich? Und euch nie andere Briefe schreiben als offene, und das auch alle Monate oder höchstens alle drei Wochen einmal, und sobald ein heimliches Briefchen an Junker Fritz oder Fräulein Gustchen entdeckt [23] wird – so steckt man den Junker unter die Soldaten und das Fräulein ins Kloster, bis sie vernünftiger werden. Versteht ihr mich? – Jetzt – nehmt Abschied, hier in meiner Gegenwart. – Die Kutsche ist angespannt, der Major treibt fort; die Schwägerin hat schon Kaffee getrunken. – Nehmt Abschied: ihr braucht euch vor mir nicht zu scheuen. Geschwind, umarmt euch. Fritz und Gustchen umarmen sich zitternd. Und nun mein Tochter Gustchen, weil du doch das Wort so gern hörst,Hebt sie auf und küßt sie. leb tausendmal wohl, und begegne deiner Mutter mit Ehrfurcht; sie mag dir sagen was sie will. – Jetzt geh, mach! – Gustchen geht einige Schritte, sieht sich um; Fritz fliegt ihr weinend an den Hals. Die beiden Narren brechen mir das Herz! Wenn doch der Major vernünftiger werden wollte, oder seine Frau weniger herrschsüchtig! –

2. Akt

1. Szene
Erste Szene
Pastor Läuffer. Der Geheimer Rat.

GEHEIMER RAT.
Ich bedaure ihn – und Sie noch vielmehr, Herr Pastor, daß Sie solchen Sohn haben.
PASTOR.

Verzeihen Euer Gnaden, ich kann mich über meinen Sohn nicht beschweren; er ist ein sittsamer und geschickter Mensch, die ganze Welt und Dero Herr Bruder und Frau Schwägerin selbst werden ihm das eingestehen müssen.

GEHEIMER RAT.

Ich sprech ihm das all nicht ab, aber er ist ein Tor und hat alle sein Mißvergnügen sich selber zu danken. Er sollte den Sternen danken, daß meinem Bruder [24] das Geld, das er für den Hofmeister zahlt, einmal anfängt zu lieb zu werden.

PASTOR.

Aber bedenken Sie doch: nichts mehr als hundert Dukaten; hundert arme Dukätchen; und dreihundert hatt er ihm doch im ersten Jahr versprochen: aber beim Schluß desselben nur hundert und vierzig ausgezahlt, jetzt beim Beschluß des zweiten, da doch die Arbeit meines Sohnes immer zunimmt, zahlt' er ihm hundert, und nun beim Anfang des dritten wird ihm auch das zu viel. – Das ist wider alle Billigkeit! Verzeihn Sie mir.

GEHEIMER RAT.

Laß es doch – Das hätt ich euch Leuten voraussagen wollen, und doch sollt Ihr Sohn Gott danken, wenn ihn nur der Major beim Kopf nähm und aus dem Hause würfe. Was soll er da, sagen Sie mir Herr? Wollen Sie ein Vater für Ihr Kind sein und schließen so Augen, Mund und Ohren für seine ganze Glückseligkeit zu? Tagdieben und sich Geld dafür bezahlen lassen? Die edelsten Stunden des Tages bei einem jungen Herrn versitzen, der nichts lernen mag und mit dem er's doch nicht verderben darf, und die übrigen Stunden, die der Erhaltung seines Lebens, den Speisen und dem Schlaf geheiligt sind, an einer Sklavenkette verseufzen; an den Winken der gnädigen Frau hängen und sich in die Falten des gnädigen Herrn hineinstudieren; essen, wenn er satt ist, und fasten, wenn er hungrig ist, Punsch trinken, wenn er p-ss-n möchte, und Karten spielen, wenn er das Laufen hat. Ohne Freiheit geht das Leben bergab rückwärts, Freiheit ist das Element des Menschen wie das Wasser des Fisches, und ein Mensch der sich der Freiheit begibt, vergiftet die edelsten Geister seines Bluts, erstickt seine süßesten Freuden des Lebens in der Blüte und ermordet sich selbst.

PASTOR.

Aber – Oh! erlauben Sie mir; das muß sich ja jeder Hofmeister gefallen lassen; man kann nicht immer seinen Willen haben, und das läßt sich mein Sohn auch gern gefallen, nur –

[25]
GEHEIMER RAT.

Desto schlimmer, wenn er sich's gefallen läßt, desto schlimmer; er hat den Vorrechten eines Menschen entsagt, der nach seinen Grundsätzen muß leben können, sonst bleibt er kein Mensch. Mögen die Elenden, die ihre Ideen nicht zu höherer Glückseligkeit zu erheben wissen, als zu essen und zu trinken, mögen die sich im Käfigt zu Tode füttern lassen, aber ein Gelehrter, ein Mensch, der den Adel seiner Seele fühlt, der den Tod nicht so scheuen sollt als eine Handlung, die wider seine Grundsätze läuft ...

PASTOR.

Aber was ist zu machen in der Welt? Was wollte mein Sohn anfangen, wenn Dero Herr Bruder ihm die Kondition aufsagten?

GEHEIMER RAT.

Laßt den Burschen was lernen, daß er dem Staat nützen kann. Potz hundert Herr Pastor, Sie haben ihn doch nicht zum Bedienten aufgezogen, und was ist er anders als Bedienter, wenn er seine Freiheit einer Privatperson für einige Handvoll Dukaten verkauft? Sklav ist er, über den die Herrschaft unumschränkte Gewalt hat, nur daß er so viel auf der Akademie gelernt haben muß, ihren unbesonnenen Anmutungen von weitem zuvorzukommen und so einen Firnis über seine Dienstbarkeit zu streichen: das heißt denn ein feiner artiger Mensch, ein unvergleichlicher Mensch; ein unvergleichlicher Schurke, der, statt seine Kräfte und seinen Verstand dem allgemeinen Besten aufzuopfern, damit die Rasereien einer dampfigten Dame und eines abgedämpften Offiziers unterstützt, die denn täglich weiter um sich fressen wie ein Krebsschaden und zuletzt unheilbar werden. Und was ist der ganze Gewinst am Ende? Alle Mittag Braten und alle Abend Punsch, und eine große Portion Galle, die ihm Tags über ins Maul gestiegen, abends, wenn er zu Bett liegt, hinabgeschluckt wie Pillen; das macht gesundes Blut, auf meine Ehr! und muß auch ein vortreffliches Herz auf die Länge geben. Ihr beklagt euch so viel übern Adel und über seinen Stolz, [26] die Leute sähn Hofmeister wie Domestiken an, Narren! was sind sie denn anders? Stehn sie nicht in Lohn und Brod bei ihnen wie jene? Aber wer heißt euch ihren Stolz nähren? Wer heißt euch Domestiken werden, wenn ihr was gelernt habt, und einem starrköpfischen Edelmann zinsbar werden, der sein Tage von seinen Hausgenossen nichts anders gewohnt war als sklavische Unterwürfigkeit?

PASTOR.

Aber Herr Geheimer Rat – Gütiger Gott! es ist in der Welt nicht anders: man muß eine Warte haben, von der man sich nach einem öffentlichen Amt umsehen kann, wenn man von Universitäten kommt; wir müssen den göttlichen Ruf erst abwarten, und ein Patron ist sehr oft das Mittel zu unserer Beförderung: wenigstens ist es mir so gegangen.

GEHEIMER RAT.

Schweigen Sie, Herr Pastor, ich bitt Sie, schweigen Sie. Das gereicht Ihnen nicht zur Ehr. Man weiß ja doch, daß Ihre selige Frau Ihr göttlicher Ruf war, sonst säßen Sie noch itzt beim Herrn von Tiesen und düngten ihm seinen Acker. Jemine! daß ihr Herrn uns doch immer einen so ehrwürdigen schwarzen Dunst vor Augen machen wollt. Noch nie hat ein Edelmann einen Hofmeister angenommen, wo er ihm nicht hinter eine Allee von acht neun Sklavenjahren ein schön Gemälde von Beförderung gestellt hat, und wenn ihr acht Jahr gegangen waret, so macht' er's wie Laban und rückte das Bild um noch einmal so weit vorwärts. Possen! lernt etwas und seid brave Leut. Der Staat wird euch nicht lang am Markt stehen lassen. Brave Leut sind allenthalben zu brauchen, aber Schurken, die den Namen vom Gelehrten nur auf den Zettel tragen und im Kopf ist leer Papier ...

PASTOR.

Das ist sehr allgemein gesprochen, Herr Rat! – Es müssen doch, bei Gott! auch Hauslehrer in der Welt sein; nicht jedermann kann gleich Geheimer Rat werden, und wenn er gleich ein Hugo Grotius wär. Es gehören heutiges Tags andere Sachen dazu als Gelehrsamkeit.

[27]
GEHEIMER RAT.

Sie werden warm, Herr Pastor! – Lieber, werter Herr Pastor, lassen Sie uns den Faden unsers Streits nicht verlieren. Ich behaupt: es müssen keine Hauslehrer in der Welt sein! das Geschmeiß taucht den Teufel zu nichts.

PASTOR.

Ich bin nicht hergekommen mir Grobheiten sagen zu lassen: ich bin auch Hauslehrer gewesen. Ich habe die Ehre – –

GEHEIMER RAT.

Warten Sie; bleiben Sie, lieber Herr Pastor! Behüte mich der Himmel! Ich habe Sie nicht beleidigen wollen, und wenn's wider meinen Willen geschehen ist, so bitt ich Sie tausendmal um Verzeihung. Es ist einmal meine üble Gewohnheit, daß ich gleich in Feuer gerate, wenn mir ein Gespräch interessant wird: alles übrige verschwindt mir denn aus dem Gesicht und ich sehe nur den Gegenstand, von dem ich spreche.

PASTOR.

Sie schütten – verzeihen Sie mir, ich bin auch ein Cholerikus und rede gern von der Lunge ab – Sie schütten das Kind mit dem Bade aus. Hauslehrer taugen zu nichts – wie können Sie mir das beweisen? Wer soll euch jungen Herrn denn Verstand und gute Sitten beibringen! Was wär aus Ihnen geworden, mein werter Herr Geheimer Rat, wenn Sie keinen Hauslehrer gehabt hätten?

GEHEIMER RAT.

Ich bin von meinem Vater zur öffentlichen Schul gehalten worden und segne seine Asche dafür, und so, hoff ich, wird mein Sohn Fritz auch dereinst tun.

PASTOR.

Ja – da ist aber noch viel drüber zu sagen Herr! Ich meinerseits bin Ihrer Meinung nicht; ja wenn die öffentlichen Schulen das wären, was sie sein sollten – Aber die nüchternen Subjecta, so oft den Klassen vorstehen; die pedantischen Methoden, die sie brauchen, die unter der Jugend eingerissenen verderbten Sitten –

GEHEIMER RAT.

Wes ist die Schuld? Wer ist schuld dran, als ihr [28] Schurken von Hauslehrern? Würde der Edelmann nicht von euch in der Grille gestärkt, einen kleinen Hof anzulegen, wo er als Monarch oben auf dem Thron sitzt und ihm Hofmeister und Mamsell und ein ganzer Wisch von Tagdieben huldigen, so würd er seine Jungen in die öffentliche Schule tun müssen; er würde das Geld, von dem er jetzt seinen Sohn zum hochadlichen Dummkopf aufzieht, zum Fonds der Schule schlagen: davon könnten denn gescheite Leute salariert werden und alles würde seinen guten Gang gehn; das Studentchen müßte was lernen, um bei einer solchen Anstalt brauchbar zu werden, und das junge Herrchen, anstatt seine Faulenzerei vor den Augen des Papas und der Tanten, die alle keine Argusse sind, künstlich und manierlich zu verstecken, würde seinen Kopf anstrengen müssen, um es den bürgerlichen Jungen zuvorzutun, wenn es sich doch von ihnen unterscheiden will. – Was die Sitten anbetrifft, das findt sich wahrhaftig – wenn er gleich nicht wie seine hochadliche Vettern die Nase von Kindesbeinen an höher tragen lernt als andere und in einem nachlässigen Ton von oben herab Unsinn sagen und Leuten ins Gesicht sehen, wenn sie den Hut vor ihm abziehen, um ihnen dadurch anzudeuten, daß sie auf kein Gegenkompliment warten sollen. Die feinen Sitten hol der Teufel! Man kann dem Jungen Tanzmeister auf der Stube halten und ihn in artige Gesellschaften führen, aber er muß durchaus nicht aus der Sphäre seiner Schulkamraden herausgehoben und in der Meinung gestärkt werden, er sei eine bessere Kreatur als andere.

PASTOR.

Ich habe nicht Zeit, Zieht die Uhr heraus. mich in den Disput weiter mit Ihnen einzulassen, gnädiger Herr; aber so viel weiß ich, daß der Adel überall nicht Ihrer Meinung sein wird.

GEHEIMER RAT.

So sollten die Bürger meiner Meinung sein – Die Not würde den Adel schon auf andere Gedanken bringen, und wir könnten uns bessere Zeiten versprechen. [29] Sapperment, was kann aus unserm Adel werden, wenn ein einziger Mensch das Faktotum bei dem Kinde sein soll, ich setz auch den unmöglichen Fall, daß er ein Polyhistor wäre, wo will der eine Mann Feuer und Mut und Tätigkeit hernehmen, wenn er alle seine Kräfte auf einen Schafskopf konzentrieren soll, besonders wenn Vater und Mutter sich kreuz und die Quer immer mit in die Erziehung mengen und dem Faß, in welches er füllt, den Boden immer wieder ausschlagen?

PASTOR.

Ich bin um zehn Uhr zu einem Kranken bestellt. Sie werden mir verzeihen. – Im Abgehen wendt er sich um. Aber wär's nicht möglich, gnädiger Herr, daß Sie Ihren zweiten Sohn nur auf ein halb Jährchen zum Herrn Major in die Kost täten? Mein Sohn will gern mit achtzig Dukaten zufrieden sein, aber mit sechzigen, die ihm der Herr Bruder geben wollen, da kann er nicht von subsistieren.

GEHEIMER RAT.

Laß ihn quittieren – Ich tu es nicht, Herr Pastor! Davon bin ich nicht abzubringen. Ich will Ihrem Herrn Sohn die dreißig Dukaten lieber schenken; aber meinen Sohn geb ich zu keinem Hofmeister. Der Pastor hält ihm einen Brief hin. Was soll ich damit? Es ist alles umsonst, sag ich Ihnen.

PASTOR.
Lesen Sie – lesen Sie nur. –
GEHEIMER RAT.

Je nun, Ihm ist nicht – Liest. »– – wenden Sie doch alles an, den Herrn Geheimen Rat dahin zu vermögen – Sie können sich nicht vorstellen, wie elend es mir hier geht; nichts wird mir gehalten, was mir ist versprochen worden. Ich speise nur mit der Herrschaft, wenn keine Fremde da sind – – das ärgste ist, daß ich gar nicht von hier komme und in einem ganzen Jahr meinen Fuß nicht aus Heidelbrunn habe setzen – man hatte mir ein Pferd versprochen, alle viertel Jahr einmal nach Königsberg zu reisen, als ich es foderte, fragte mich die gnädige Frau, ob ich nicht lieber zum Karneval nach Venedig wollte –« Wirft den Brief an die Erde. [30] Je nun, laß ihn quittieren; warum ist er ein Narr und bleibt da?

PASTOR.
Ja das ist eben die Sache. Hebt den Brief auf. Belieben Sie doch nur auszulesen.
GEHEIMER RAT.

Was ist da zu lesen? – Liest. »Dem ohngeachtet kann ich dies Haus nicht verlassen, und sollt es mich Leben und Gesundheit kosten. So viel darf ich Ihnen sagen, daß die Aussichten in eine selige Zukunft mir alle die Mühseligkeiten meines gegenwärtigen Standes« – Ja, das sind vielleicht Aussichten in die selige Ewigkeit, sonst weiß ich keine Aussichten, die mein Bruder ihm eröffnen könnte. Er betrügt sich, glauben Sie mir's; schreiben Sie ihm zurück, daß er ein Tor ist. Dreißig Dukaten will ich ihm dies Jahr aus meinem Beutel Zulage geben, aber ihn auch zugleich gebeten haben, mich mit allen fernern Anwerbungen um meinen Karl zu verschonen: denn ihm zu Gefallen werd ich mein Kind nicht verwahrlosen.

2. Szene
Zweite Szene
In Heidelbrunn.
Gustchen. Läuffer.

GUSTCHEN.
Was fehlt Ihnen denn?
LÄUFFER.

Wie steht's mit meinem Porträt? Nicht wahr, Sie haben nicht dran gedacht? Wenn ich auch so saumselig gewesen wäre – Hätt ich das gewußt: ich hätt Ihren Brief so lang zurückgehalten, aber ich war ein Narr.

GUSTCHEN.
Ha ha ha. Lieber Herr Hofmeister! ich habe wahrhaftig noch nicht Zeit gehabt.
LÄUFFER.
Grausame!
GUSTCHEN.

Aber was fehlt Ihnen denn? Sagen Sie mir doch! So tiefsinnig sind Sie ja noch nie gewesen. Die [31] Augen stehn Ihnen ja immer voll Wasser: ich habe gemerkt, Sie essen nichts.

LÄUFFER.
Haben Sie? In der Tat? Sie sind ein rechtes Muster des Mitleidens.
GUSTCHEN.
O Herr Hofmeister – –
LÄUFFER.
Wollen Sie heut nachmittag Zeichenstunde halten?
GUSTCHEN
faßt ihn an die Hand.

Liebster Herr Hofmeister! verzeihen Sie, daß ich sie gestern aussetzte. Es war mir wahrhaftig unmöglich zu zeichnen; ich hatte den Schnuppen auf eine erstaunende Art.

LÄUFFER.

So werden Sie ihn wohl heute noch haben. Ich denke, wir hören ganz auf zu zeichnen. Es macht Ihnen kein Vergnügen länger.

GUSTCHEN
halbweinend.
Wie können Sie das sagen, Herr Läuffer? Es ist das einzige, was ich mit Lust tue.
LÄUFFER.

Oder Sie versparen es bis auf den Winter in die Stadt und nehmen einen Zeichenmeister. Überhaupt werd ich Ihren Herrn Vater bitten, den Gegenstand Ihres Abscheues, Ihres Hasses, Ihrer ganzen Grausamkeit von Ihnen zu entfernen. Ich sehe doch, daß es Ihnen auf die Länge unausstehlich wird, von mir Unterricht anzunehmen.

GUSTCHEN.
Herr Läuffer –
LÄUFFER.

Lassen Sie mich – Ich muß sehen, wie ich das elende Leben zu Ende bringe, weil mir doch der Tod verboten ist –

GUSTCHEN.
Herr Läuffer –
LÄUFFER.
Sie foltern mich. –

Reißt sich los und geht ab.
GUSTCHEN.
Wie dauert er mich!
[32]
3. Szene
Dritte Szene
Zu Halle in Sachsen.
Pätus' Zimmer.
Fritz von Berg. Pätus, im Schlafrock an einem Tisch sitzend.

PÄTUS.

Ei was Berg! du bist ja kein Kind mehr, daß du nach Papa und Mama – Pfui Teufel! ich hab dich allezeit für einen braven Kerl gehalten, wenn du nicht mein Schulkamerad wärst: ich würde mich schämen, mit dir umzugehen.

FRITZ.

Pätus, auf meine Ehr, es ist nicht Heimweh, du machst mich bis über die Ohren rot mit dem dummen Verdacht. Ich möchte gern Nachricht von Hause haben, das gesteh ich, aber das hat seine Ursachen – –

PÄTUS.

Gustchen – Nicht wahr? Denk doch, du arme Seele! Hundertachtzig Stunden von ihr entfernt – Was für Wälder und Ströme liegen nicht zwischen euch? Aber warte, wir haben hier auch Mädchen; wenn ich nur besser besponnen wäre, ich wollte dich heut in eine Gesellschaft führen – Ich weiß nicht, wie du auch bist; ein Jahr in Halle und noch mit keinem Mädchen gesprochen: das muß melancholisch machen; es kann nicht anders sein. Warte, du mußt mir hier einziehen, daß du lustig wirst. Was machst du da bei dem Pfarrer? Das ist keine Stube für dich –

FRITZ.
Was zahlst du hier?
PÄTUS.

Ich zahle – Wahrhaftig, Bruder, ich weiß es nicht. Es ist ein guter ehrlicher Philister, bei dem ich wohne; seine Frau ist freilich bisweilen ein bißchen wunderlich, aber mag's. Was geht's mich an? Wir zanken uns einmal herum und denn laß ich sie laufen: und die schreiben mir alles auf, Hausmiete, Kaffee, Tabak, alles was ich verlange, und denn zahl ich die Rechnung alle Jahre, wenn mein Wechsel kommt.

[33]
FRITZ.
Bist du jetzt viel schuldig?
PÄTUS.

Ich habe die vorige Woche bezahlt. Das ist wahr, diesmal haben sie mir's arg gemacht: mein ganzer Wechsel hat herhalten müssen bis auf den letzten Pfennig, und mein Rock, den ich Tags vorher versetzt hatte, weil ich in der äußersten Not war, steht noch zu Gevattern. Weiß der Himmel, wenn ich ihn wieder einlösen kann.

FRITZ.
Und wie machst du's denn itzt?
PÄTUS.

Ich? – Ich bin krank. Heut morgen hat mich die Frau Rätin Hamster invitieren lassen, gleich kroch ich ins Bett ...

FRITZ.
Aber bei dem schönen Wetter immer zu Hause zu sitzen.
PÄTUS.

Was macht das? des Abends geh ich im Schlafrock spazieren, es ist ohnedem in den Hundstagen am Tage nicht auszuhalten – Aber Potz Mordio! Wo bleibt denn mein Kaffee? Pocht mit dem Fuß. Frau Blitzer! – Nun sollst du sehn, wie ich meinen Leuten umspringe – Frau Blitzer! in aller Welt Frau Blitzer. Klingelt und pocht. – Ich habe sie kürzlich bezahlt: nun kann ich schon breiter tun – Frau ...

FRAU BLITZER
tritt herein mit einer Portion Kaffee.
PÄTUS.

In aller Welt, Mutter! wo bleibst du denn? Das Wetter soll dich regieren. Ich warte hier schon über eine Stunde –

FRAU BLITZER.

Was? Du nichtsnutziger Kerl, was lärmst du? Bist du schon wieder nichts nutz, abgeschabte Laus? Den Augenblick trag ich meinen Kaffee wieder herunter –

PÄTUS
gießt sich ein.
Nun, nun, nicht so böse Mutter! aber Zwieback – Wo ist denn Zwieback?
FRAU BLITZER.

Ja, kleine Steine dir! Es ist kein Zwieback im Hause. Denk doch, ob so ein kahler lausigter Kerl nun alle Nachmittag Zwieback frißt oder nicht – –

PÄTUS.

Was tausend alle Welt! Stampft mit dem Fuß. Sie [34] weiß, daß ich keinen Kaffee ohne Zwieback ins Maul nehme – Wofür gebe ich denn mein Geld aus –

FRAU BLITZER
langt ihm Zwieback aus der Schürze, wobei sie ihn an den Haaren zupft.

Da siehst du, da ist Zwieback, Posaunenkerl! Er hat eine Stimme wie ein ganzes Regiment Soldaten. Nu, ist der Kaffee gut? Ist er nicht? Gleich sag mir's, oder ich reiß Ihm das letzte Haar aus Seinem kahlen Kopf heraus.

PÄTUS
trinkt.
Unvergleichlich – Aye! – Ich hab in meinem Leben keinen bessern getrunken.
FRAU BLITZER.

Siehst du Hundejunge! Wenn du die Mutter nicht hättest, die sich deiner annähme und dir zu essen und zu trinken gäbe, du müßtest an der Straße verhungern. Sehen Sie ihn einmal an, Herr von Berg, wie er daher geht, keinen Rock auf dem Leibe und sein Schlafrock ist auch, als ob er darin wär aufgehenkt worden und wieder vom Galgen gefallen. Sie sind doch ein hübscher Herr, ich weiß nicht wie Sie mit dem Menschen umgehen können, nun freilich unter Landsleuten da ist immer so eine kleine Blutsverwandtschaft, drum sag ich immer, wenn doch der Herr von Berg zu uns einlogieren täte. Ich weiß, daß Sie viel Gewalt über ihn haben: da könnte doch noch was Ordentliches aus ihm werden, aber sonst wahrhaftig –


Geht ab.
PÄTUS.

Siehst du, ist das nicht ein gut fidel Weib. Ich seh ihr all etwas durch die Finger, aber potz, wenn ich auch einmal ernsthaft werde, kusch ist sie wie die Wand – Willst du nicht eine Tasse mit trinken? Gießt ihm ein. Siehst du, ich bin hier wohl bedient; ich zahle was Rechts, das ist wahr, aber dafür hab ich auch was ...

FRITZ
trinkt.
Der Kaffee schmeckt nach Gerste.
PÄTUS.

Was sagst du? – Schmeckt gleichfalls. Ja wahrhaftig, mit dem Zwieback hab ich's nicht so –Sieht in die Kanne. Nun so hol dich! Wirft das Kaffeezeug zum Fenster hinaus. Gerstenkaffee und fünfhundert Gulden jährlich! –

[35]
FRAU BLITZER
stürzt herein.
Wie? Was zum Teufel, was ist das? Herr, ist Er rasend oder plagt Ihn gar der Teufel? –
PÄTUS.
Still Mutter!
FRAU BLITZER
mit gräßlichem Geschrei.

Aber wo ist mein Kaffeezeug? Ei! zum Henker! aus dem Fenster – Ich kratz Ihm die Augen aus dem Kopf heraus.

PÄTUS.

Es war eine Spinne darin und ich warf's in der Angst – Was kann ich dafür, daß das Fenster offen stand?

FRAU BLITZER.

Daß du verreckt wärst an der Spinne, wenn ich dich mit Haut und Haar verkaufe, so kannst du mir mein Kaffeezeug nicht bezahlen, nichtswürdiger Hund! Nichts als Schaden und Unglück kann Er machen. Ich will dich verklagen; ich will dich in Karzer werfen lassen.


Läuft heraus.
PÄTUS
lachend.
Was ist zu machen, Bruder! man muß sie schon ausrasen lassen.
FRITZ.
Aber für dein Geld?
PÄTUS.

Ei was! – Wenn ich bis Weihnachten warten muß, wer wird mir sogleich bis dahin kreditieren? Und denn ist's ja nur ein Weib und ein närrisch Weib dazu, dem's nicht immer so von Herzen geht: wenn mir's der Mann gesagt hätte, das wär was anders, dem schlüg ich das Leder voll – Siehst du wohl!

FRITZ.
Hast du Feder und Tinte?
PÄTUS.
Dort auf dem Fenster –
FRITZ.
Ich weiß nicht, das Herz ist mir so schwer – Ich habe nie was auf Ahndungen gehalten.
PÄTUS.

Ja mir auch – Die Döbblinsche Gesellschaft ist angekommen. Ich möchte gern in die Komödie gehn und habe keinen Rock anzuziehen. Der Schurke mein Wirt leiht mir keinen, und ich bin eine so große dicke Bestie, daß mir keiner von all euren Röcken passen würde.

FRITZ.
Ich muß gleich nach Hause schreiben.

Setzt sich an ein Fenster nieder und schreibt.
[36]
PÄTUS
setzt sich einem Wolfspelz gegenüber, der an der Wand hängt.

Hm! nichts als den Pelz gerettet von allen meinen Kleidern, die ich habe und die ich mir noch wollte machen lassen. Grade den Pelz, den ich im Sommer nicht tragen kann und den mir nicht einmal der Jude zum Versatz annimmt, weil sich der Wurm leicht hineinsetzt. Hanke, Hanke! das ist doch unverantwortlich, daß du mir keinen Rock auf Pump machen willst. Steht auf und geht herum. Was hab ich dir getan, Hanke, daß du just mir keinen Rock machen willst? Just mir, der ich ihn am nötigsten brauche, weil ich jetzo keinen habe, just mir! – Der Teufel muß dich besitzen, er macht Hunz und Kunz auf Kredit und just mir nicht! Faßt sich an den Kopf und stampft mit dem Fuß. Just mir nicht, just mir nicht! –

BOLLWERK
der sich mittlerweile hineingeschlichen und ihm zugehört, faßt ihn an: er kehrt sich um und bleibt stumm vor Bollwerk stehen.

Ha ha ha ... Nun du armer Pätus – ha ha ha! Nicht wahr, es ist doch ein gottloser Hanke, daß er just dir nicht – Aber wo ist das rote Kleid mit Gold, das du bei ihm bestellt hast, und das blauseidne mit der silberstücknen Weste, und das rotsammetne mit schwarz Sammet gefüttert, das wär vortrefflich bei dieser Jahrszeit. Sage mir! antworte mir! Der verfluchte Hanke! Wollen wir gehn und ihm die Haut vollschlagen? Wo bleibt er so lang mit deiner Arbeit? Wollen wir?

PÄTUS
wirf sich auf einen Stuhl.
Laß mich zufrieden.
BOLLWERK.

Aber hör Pätus, Pätus, Pä Pä Pä PätusSetzt sich zu ihm. Döbblin ist angekommen. Hör Pä Pä Pä Pä Pätus, wie wollen wir das machen? Ich denke, du ziehst deinen Wolfspelz an und gehst heut abend in die Komödie. Was schadt's, du bist doch fremd hier – und die ganze Welt weiß, daß du vier Paar Kleider bei Hanke bestellt hast. Ob er sie dir machen wird, ist gleich [37] viel! – Der verfluchte Kerl! Wollen ihm die Fenster einschlagen, wenn er sie dir nicht macht!

PÄTUS
heftig.
Laß mich zufrieden, sag ich dir.
BOLLWERK.

Aber hör ... aber ... aber ... hör hör hör Pätus; nimm dich in Acht Pätus! daß du mir des Nachts nicht mehr im Schlafrock auf der Gasse läufst. Ich weiß, daß du bange bist vor Hunden; es ist eben ausgetrummelt worden, daß zehn wütige Hunde in der Stadt herumlaufen sollen; sie haben schon einige Kinder gebissen: zwei sind noch davon kommen, aber vier sind auf der Stelle gestorben. Das machen die Hundstage! Nicht wahr Pätus? es ist gut, daß du jetzt nicht ausgehen kannst. Nicht wahr? du gehst itzt mit allem Fleiß nicht aus? Nicht wahr Pä Pä Pätus?

PÄTUS.
Laß mich zufrieden ... oder wir verzürnen uns.
BOLLWERK.
Du wirst doch kein Kind sein – Berg, kommen Sie mit in die Komödie?
FRITZ
zerstreut.
Was? – Was für Komödie?
BOLLWERK.

Es ist eine Gesellschaft angekommen – Legen Sie die Schmieralien weg. Sie können ja auf den Abend schreiben. Man gibt heut Minna von Barnhelm.

FRITZ.
O die muß ich sehen. – – Steckt seine Briefe zu sich. Armer Pätus, daß du keinen Rock hast. –
BOLLWERK.

Ich lieh' ihm gern einen, aber es ist hol mich der Teufel mein einziger, den ich auf dem Leibe habe –


Gehn ab.
PÄTUS
allein.

Geht zum Teufel mit eurem Mitleiden! Das ärgert mich mehr als wenn man mir ins Gesicht schlüge – Ei was mach ich mir draus. Zieht seinen Schlafrock aus. Laß die Leute mich für wahnwitzig halten! Minna von Barnhelm muß ich sehen und wenn ich nackend hingehen sollte! Zieht den Wolfspelz an. Hanke, Hanke! es soll dir zu Hause kommen! Stampft mit dem Fuß. Es soll dir zu Hause kommen! Geht.

[38]
4. Szene
Vierte Szene
Frau Hamster. Jungfer Hamster. Jungfer Knicks.

JUNGFER KNICKS.

Ich kann's Ihnen vor Lachen nicht erzählen, Frau Rätin, ich muß krank vor Lachen werden. Stellen Sie sich vor: wir gehen mit Jungfer Hamster im Gäßchen hier nah bei, so läuft uns ein Mensch im Wolfspelz vorbei, als ob er durch Spießruten gejagt würde; drei große Hunde hinter ihm drein. Jungfer Hamster bekam einen Schubb, daß sie mit dem Kopf an die Mauer schlug und überlaut schreien mußte.

FRAU HAMSTER.
Wer war es denn?
JUNGFER KNICKS.
Stellen Sie sich vor, als wir ihm nachsahen, war's Herr Pätus – Er muß rasend worden sein.
FRAU HAMSTER.
Mit einem Wolfspelz in dieser Hitze!
JUNGFER HAMSTER
hält sich den Kopf.

Ich glaube noch immer, er ist aus dem hitzigen Fieber aufgesprungen. Er ließ uns heut morgen sagen, er sei krank.

JUNGFER KNICKS.

Und die drei Hunde hinter ihm drein, das war das lustigste. Ich hatte mir vorgenommen heut in die Komödie zu gehen, aber nun mag ich nicht, ich würde doch da nicht soviel zu lachen kriegen. Das vergeß ich mein Lebtage nicht. Seine Haare flogen ihm nach wie der Schweif an einem Kometen, und je eifriger er lief, desto eifriger schlugen die Hunde an, und er hatte das Herz nicht, sich einmal umzusehen ... Das war unvergleichlich!

FRAU HAMSTER.
Schrie er nicht? Er wird gemeint haben, die Hunde sein wütig.
JUNGFER KNICKS.

Ich glaub, er hatte keine Zeit zum Schreien, aber rot war er wie ein Krebs und hielt das Maul offen wie die Hunde hinter ihm drein – O das war nicht mit Geld zu bezahlen! Ich gäbe nicht meine Schnur echter Perlen darum, daß ich das nicht gesehen.

[39]
5. Szene
Fünfte Szene
In Heidelbrunn.
Augustchens Zimmer.
Gustchen liegt auf dem Bette. Läuffer sitzt am Bette.

LÄUFFER.

Stell dir vor Gustchen, der Geheime Rat will nicht. Du siehst, daß dein Vater mir das Leben immer saurer macht: nun will er mir gar aufs folgende Jahr nur vierzig Dukaten geben. Wie kann ich das aushalten? Ich muß quittieren.

GUSTCHEN.

Grausamer, und was werd ich denn anfangen? Nachdem beide eine Zeitlang sich schweigend angesehen. Du siehst: ich bin schwach und krank; hier in der Einsamkeit unter einer barbarischen Mutter – Niemand fragt nach mir, niemand bekümmert sich um mich: meine ganze Familie kann mich nicht mehr leiden; mein Vater selber nicht mehr: ich weiß nicht warum.

LÄUFFER.
Mach, daß du zu meinem Vater in die Lehre kommst; nach Insterburg.
GUSTCHEN.

Da kriegen wir uns nie zu sehen. Mein Onkel leidt es nimmer, daß mein Vater mich zu deinem Vater ins Haus gibt.

LÄUFFER.
Mit dem verfluchten Adelstolz!
GUSTCHEN
nimmt seine Hand.
Wenn du auch böse wirst, Herrmannchen! Küßt sie. O Tod! Tod! warum erbarmst du dich nicht!
LÄUFFER.

Rate mir selber – Dein Bruder ist der ungezogenste Junge den ich kenne: neulich hat er mir eine Ohrfeige gegeben und ich durft ihm nichts dafür tun, durft nicht einmal drüber klagen. Dein Vater hätt ihm gleich Arm und Bein gebrochen und die gnädige Mama alle Schuld zuletzt auf mich geschoben.

GUSTCHEN.
Aber um meinetwillen – Ich dachte, du liebtest mich.
LÄUFFER
stützt sich mit der andern Hand auf ihrem Bett, [40] indem sie fortfährt seine eine Hand von Zeit zu Zeit an die Lippen zu bringen.
Laß mich denken ...

Bleibt nachsinnend sitzen.
GUSTCHEN
in der beschriebenen Pantomime.

O Romeo! wenn dies deine Hand wäre – Aber so verlässest du mich, unedler Romeo! Siehst nicht, daß deine Julie für dich stirbt – von der ganzen Welt, von ihrer ganzen Familie gehaßt, verachtet, ausgespien. Drückt seine Hand an ihre Augen. O unmenschlicher Romeo!

LÄUFFER
sieht auf.
Was schwärmst du wieder?
GUSTCHEN.

Es ist ein Monolog aus einem Trauerspiel, den ich gern rezitiere, wenn ich Sorgen habe.Läuffer fällt wieder in Gedanken, nach einer Pause fängt sie wieder an. Vielleicht bist du nicht ganz strafbar. Deines Vaters Verbot, Briefe mit mir zu wechseln; aber die Liebe setzt über Meere und Ströme, über Verbot und Todesgefahr selbst – Du hast mich vergessen ... Vielleicht besorgtest du für mich – Ja, ja, dein zärtliches Herz sah, was mir drohte, für schröcklicher an als das, was ich leide.Küßt Läuffers Hand inbrünstig. O göttlicher Romeo!

LÄUFFER
küßt ihre Hand lange wieder und sieht sie eine Weile stumm an.
Es könnte mir gehen wie Abälard –
GUSTCHEN
richtet sich auf.

Du irrst dich – Meine Krankheit liegt im Gemüt – Niemand wird dich mutmaßen – Fällt wieder hin. Hast du die Neue Heloïse gelesen?

LÄUFFER.
Ich höre was auf dem Gang nach der Schulstube. –
GUSTCHEN.

Meines Vaters – Um Gotteswillen! – Du bist drei Viertelstund zu lang hiergeblieben.Läuffer läuft fort.

[41]
6. Szene
Sechste Szene
Die Majorin. Graf Wermuth.

GRAF.

Aber gnädige Frau! kriegt man denn Fräulein Gustchen gar nicht mehr zu sehen? Wie befindt sie sich auf die vorgestrige Jagd?

MAJORIN.

Zu Ihrem Befehl; sie hat die Nacht Zahnschmerzen gehabt, darum darf sie sich heut nicht sehen lassen. Was macht Ihr Magen, Graf! auf die Austern?

GRAF.

O das bin ich gewohnt. Ich habe neulich mit meinem Bruder ganz allein auf unsre Hand sechshundert Stück aufgegessen und zwanzig Bouteillen Champagner dabei ausgetrunken.

MAJORIN.
Rheinwein wollten Sie sagen.
GRAF.

Champagner – Es war eine Idee und ist uns beiden recht gut bekommen. Denselben Abend war Ball in Königsberg, mein Bruder hat bis an den andern Mittag getanzt und ich Geld verloren.

MAJORIN.
Wollen wir ein Piquet machen?
GRAF.

Wenn Fräulein Gustchen käme, macht ich ein paar Touren im Garten mit ihr. Ihnen, gnädige Frau, darf ich's nicht zumuten; mit Ihrer Fontenelle am Fuß.

MAJORIN.

Ich weiß auch nicht, wo der Major immer steckt. Er ist in seinem Leben so rasend nicht auf die Ökonomie gewesen; den ganzen ausgeschlagenen Tag auf dem Felde, und wenn er nach Hause kommt, sitzt er stumm wie ein Stock. Glauben Sie, daß ich anfange mir Gedanken drüber zu machen.

GRAF.
Er scheint melancholisch.
MAJORIN.

Weiß es der Himmel – Neulich hatt er wieder einmal den Einfall bei mir zu schlafen, und da ist er mitten in der Nacht aus dem Bett' aufgesprungen und hat sich – He he, ich sollt's Ihnen nicht erzählen, aber Sie kennen ja die lächerliche Seite von meinem Mann schon.

GRAF.
Und hat sich ...
[42]
MAJORIN.

Auf die Knie niedergeworfen und an die Brust geschlagen und geschluchst und geheult, daß mir zu grauen anfing. Ich hab ihn aber nicht fragen mögen, was gehen mich seine Narrheiten an? Mag er Pietist oder Quacker werden. Meinethalben! Er wird dadurch weder häßlicher noch liebenswürdiger in meinen Augen werden, als er ist.


Sieht den Grafen schalkhaft an.
GRAF
faßt sie ans Kinn.
Boshafte Frau! – Aber wo ist Gustchen? Ich möchte gar zu gern mit ihr spazieren gehn.
MAJORIN.
Still da kommt ja der Major ... Sie können mit ihm gehen, Graf.
GRAF.
Denk doch – Ich will nun aber mit Ihrer Tochter gehn.
MAJORIN.
Sie wird noch nicht angezogen sein: es ist was Unausstehliches, wie faul das Mädchen ist –

Major von Berg kommt im Nachtwämschen, einen Strohhut auf.
MAJORIN.

Nun wie steht's, Mann? Wo treiben Sie sich denn wieder herum? Man kriegt Sie ja den ganzen Tag nicht zu sehen. Sehn Sie ihn nur an Herr Graf; sieht er doch wie der Heautontimorumenos in meiner großen Madame Dacier abgemalt – Ich glaube, du hast gepflügt, Herr Major? Wir sind itzt in den Hundstagen.

GRAF.

In der Tat, Herr Major, Sie haben noch nie so übel ausgesehen, blaß, hager, Sie müssen etwas haben, das Ihnen auf dem Gemüt liegt, was bedeuten die Tränen in Ihren Augen, sobald man Sie aufmerksam ansieht? Ich kenne Sie doch zehn Jahr schon und habe Sie nie so gesehen, selbst da nicht, als Ihr Bruder starb.

MAJORIN.

Geiz, nichts als der leidige Geiz, er meint, wir werden verhungern, wenn er nicht täglich wie ein Maulwurf auf dem Felde wühlt. Bald gräbt er, bald pflügt er, bald eggt er. Du willst doch nicht Bauer werden? Du mußt mir vorher einen andern Mann geben, der die Aufsicht über dich führt.

[43]
MAJOR.
Ich muß wohl schaffen und scharren, meiner Tochter einen Platz im Hospital auszumachen.
MAJORIN.

Was sind das nun wieder für Phantasien! – Ich muß wahrhaftig den Doktor Würz noch aus Königsberg holen lassen.

MAJOR.

Du siehst nimmer nichts, vornehme Frau! daß dein Kind von Tag zu Tag abfällt, daß sie Schönheit, Gesundheit und den ganzen Plunder verliert und dahergeht, als ob sie, hol mich der Teufel – Gott verzeih mir meine schwere Sünde – als ob der arme Lazarus sie gemacht hätte – Es frißt mir die Leber ab –

MAJORIN.
Hören Sie ihn nur! Wie er mich anfährt! Bin ich schuld daran? Bist du denn wahnwitzig?
MAJOR.

Ja freilich bist du schuld daran, oder was ist sonst schuld daran? Ich kann's, zerschlag mich der Donner! nicht begreifen. Ich dacht immer, ihr eine der ersten Partien im Reich auszumachen; denn sie hat auf der ganzen Welt an Schönheit nicht ihres gleichen gehabt, und nun sieht sie aus wie eine Kühmagd – Ja freilich bist du schuld daran mit deiner Strenge und deinen Grausamkeiten und deinem Neid, das hat sie sich zu Gemüt gezogen und das ist ihr nun zum Gesicht herausgeschlagen, aber das ist deine Freude, gnädige Frau, denn du bist lang schalu über sie gewesen. Das kannst du doch nicht leugnen? Solltst dich in dein Herz schämen, wahr haftig!


Geht ab.
MAJORIN.

Aber ... aber was sagen Sie dazu, Herr Graf! Haben Sie in Ihrem Leben eine ärgere Kollektion von Sottisen gesehen?

GRAF.
Kommen Sie; wir wollen Piquet spielen, bis Fräulein Gustchen angezogen ist ...
[44]
7. Szene
Siebente Szene
In Halle.
Fritz von Berg im Gefängnis. Bollwerk, von Seiffenblase und sein Hofmeister stehn um ihn.

BOLLWERK.

Wenn ich doch den Jungen hier hätte, das Fell zög ich ihm über die Ohren. Es ist mit alledem doch infam gehandelt, einen ehrlichen Jungen wie Berg ins Karzer zu bringen; da sich keiner sein hat annehmen wollen. Denn das ist ja wahr, kein einziger Landsmann hat den Fuß vor die Tür seinethalben gesetzt. Wenn Berg nicht gut für ihn gesagt hätte, wär er im Gefängnis verfault. Und in vierzehn Tagen soll das Geld hier sein, und wo er den Berg in Verlegenheit läßt, soll man ihn für einen ausgemachten Schurken halten. O du verdammter Pä Pä Pä Pä Pätus! Wart du verhenkerter Pätus, wart einmal! –

HOFMEISTER.

Ich kann Ihnen nicht genug beschreiben, lieber Herr von Berg, wie leid es mir besonders um Ihres Herrn Vaters und der Familie willen tut, Sie in einem solchen Zustande zu sehen und noch dazu ohne Ihre Schuld, aus bloßer jugendlicher Unbesonnenheit. Es hat schon einer von den sieben Weisen Griechenlandes gesagt, für Bürgschaften sollst du dich in Acht nehmen, und in der Tat es ist nichts unverschämter, als daß ein junger Durchbringer, der sich durch seine lüderliche Wirtschaft ins Elend gestürzt hat, auch andere mit hineinziehen will, denn vermutlich hat er das gleich anfangs im Sinne gehabt, als er auf der Akademie Ihre Freundschaft suchte.

HERR VON SEIFFENBLASE.

Ja ja, lieber Bruder Berg! nimm mir nicht übel, da hast du einen großen Bock gemacht. Du bist selbst schuld daran; dem Kerl hättst du's doch gleich ansehen können, daß er dich betrügen würde. Er ist bei mir auch gewesen und hat mich angesprochen: er [45] wär aufs Äußerste getrieben, seine Kreditores wollten ihn wegstecken lassen, wo ihn nicht Sonn noch Mond beschiene. Laß sie dich, dacht ich, es schadt dir nichts. Das ist dafür, daß du uns sonst kaum über die Achsel ansahst, aber wenn ihr in Not seid, da sind die Adelichen zu Kaventen gut genug. Er erzählte mir langes und breites; er hätte seine Pistolen schon geladen, im Fall die Kreditores ihn angriffen – Und nun läßt der lüderliche Hund dich an seiner Stelle prostituieren. Das ist wahr, wenn mir das geschehen wäre, ich könnte so ruhig nicht dabei sein: zwischen vier Mauren der Herr von Berg, und das um eines lüderlichen Studenten willen.

FRITZ.

Er war mein Schulkamerad – – Laßt ihn zu frieden. Wenn ich mich nicht über ihn beklage, was geht's euch an? Ich kenn ihn länger als ihr; ich weiß, daß er mich nicht mit seinem guten Willen hier sitzen läßt.

HOFMEISTER.

Aber Herr von Berg, wir müssen in der Welt mit Vernunft handeln. Sein Schade ist es gewiß nicht, daß Sie hier für ihn sitzen, und seinethalben können Sie noch ein Säkulum so sitzen bleiben –

FRITZ.

Ich hab ihn von Jugend auf gekannt: wir haben uns noch niemals was abgeschlagen. Er hat mich wie seinen Bruder geliebt, ich ihn wie meinen. Als er nach Halle reiste, weint' er zum erstenmal in seinem Leben, weil er nicht mit mir reisen konnte. Ein ganzes Jahr früher hätt er schon auf die Akademie gehn können, aber um mit mir zusammen zu reisen, stellt' er sich gegen die Präceptores dummer als er war, und doch wollt es das Schicksal und unsre Väter so, daß wir nicht zusammen reisten, und das war sein Unglück. Er hat nie gewußt mit Geld umzugehen und gab jedem was er verlangte. Hätt ihm ein Bettler das letzte Hemd vom Leibe gezogen und dabei gesagt: mit Ihrer Erlaubnis, lieber Herr Pätus! er hätt's ihm gelassen. Seine Kreditores gingen mit ihm um wie Straßenräuber, und sein Vater [46] verdiente nie, einen verlornen Sohn zu haben, der bei all seinem Elend ein so gutes Herz nach Hause brachte.

HOFMEISTER.

O verzeihn Sie mir, Sie sind jung und sehen alles noch aus dem vorteilhaftesten Gesichtspunkt an: man muß erst eine Weile unter den Menschen gelebt haben um Charaktere beurteilen zu können. Der Herr Pätus, oder wie er da heißt, hat sich Ihnen bisher immer nur unter der Maske gezeigt; jetzt kommt sein wahres Gesicht erst ans Tageslicht: er muß einer der feinsten und abgefeimtesten Betrüger gewesen sein, denn die treuherzigen Spitzbuben ...

PÄTUS
in Reisekleidern, fällt Berg um den Hals.
Bruder Berg – –
FRITZ.
Bruder Pätus – –
PÄTUS.

Nein – laß – zu deinen Füßen muß ich liegen – Dich hier – um meinetwillen. Rauft sich das Haar mit beiden Händen und stampft mit den Füßen. O Schicksal! Schicksal! Schicksal!

FRITZ.
Nun wie ist's? Hast du Geld mitgebracht? Ist dein Vater versöhnt? Was bedeutet dein Zurückkommen?
PÄTUS.

Nichts, nichts – Er hat mich nicht vor sich gelassen – Hundert Meilen umsonst gereist! – Ihr Diener, ihr Herren. Bollwerk wein nicht, du erniedrigst mich zu tief, wenn du gut für mich denkst – O Himmel, Himmel!

FRITZ.

So bist du der ärgste Narr, der auf dem Erd boden wandelt. Warum kommst du zurück? Bist du wahnwitzig? Haben alle deine Sinne dich verlassen? Willst du, daß die Kreditores dich gewahr werden – Fort! Bollwerk, führ ihn fort; sieh daß du ihn sicher aus der Stadt bringst – Ich höre den Pedell – Pätus, ewig mein Feind, wo du nicht im Augenblick –

PÄTUS
wirft sich ihm zu Füßen.
FRITZ.
Ich möchte rasend werden. –
BOLLWERK.

So sei doch nun kein Narr, da Berg so großmütig ist und für dich sitzen bleiben will; sein Vater [47] wird ihn schon auslösen: aber wenn du einmal sitzest, so ist keine Hoffnung mehr für dich; du mußt im Gefängnis verfaulen.

PÄTUS.
Gebt mir einen Degen her ...
FRITZ.
Fort! –
BOLLWERK.
Fort! –
PÄTUS.
Ihr tut mir eine Barmherzigkeit, wenn ihr mir einen Degen –
SEIFFENBLASE.
Da haben Sie meinen ...
BOLLWERK
greift ihn in den Arm.

Herr – Schurke! Lassen Sie – Stecken Sie nicht ein! Sie sollen nicht umsonst gezogen haben. Erst will ich meinen Freund in Sicherheit und dann erwarten Sie mich hier – Draußen, wohl zu verstehen; also vor der Hand zur Tür hinaus! Wirft ihn zur Tür hinaus.

HOFMEISTER.
Mein Herr Bollwerk –
BOLLWERK.

Kein Wort, Sie – Gehen Sie Ihrem Jungen nach und lehren Sie ihn, kein schlechter Kerl sein – Sie können mich haben wo und wie Sie wollen.


Der Hofmeister geht ab.
PÄTUS.
Bollwerk! ich will dein Sekundant sein.
BOLLWERK.

Narr auch! Du tust als – Willst du mir den Handschuh vielleicht halten, wenn ich vorher eins übern Daumen pisse? – Was braucht's da Sekundanten. Komm nur fort und sekundiere dich zur Stadt hinaus, Hasenfuß.

PÄTUS.
Aber ihrer sind zwei.
BOLLWERK.

Ich wünschte, daß ihrer zehn wären und keine Seiffenblasen drunter – So komm doch und mach dich nicht selbst unglücklich, närrischer Kerl.

PÄTUS.
Berg! – Bollwerk reißt ihn mit sich fort.
[48]

3. Akt

1. Szene
Erste Szene
In Heidelbrunn.
Der Major im Nachtwämschen. Der Geheime Rat.

MAJOR.

Bruder, ich bin der alte nicht mehr. Mein Herz sieht zehnmal toller aus als mein Gesicht – Es ist sehr gut, daß du mich besuchst; wer weiß, ob wir uns so lang mehr sehen.

GEHEIMER RAT.

Du bist immer ausschweifend, in allen Stücken – Dir ein Nichts so zu Herzen gehen zu lassen! – Wenn deiner Tochter die Schönheit abgeht, so bleibt sie doch immer noch das gute Mädchen, das sie war; so kann sie hundert andre liebenswürdige Eigenschaften besitzen.

MAJOR.

Ihre Schönheit – Hol mich der Teufel, es ist nicht das allein, was ihr abgeht; ich weiß nicht, ich werde noch den Verstand verlieren, wenn ich das Mädchen lang unter Augen behalte. Ihre Gesundheit ist hin, ihre Munterkeit, ihre Lieblichkeit, weiß der Teufel, wie man das Dings all nennen soll; aber obschon ich's nicht nennen kann, so kann ich's doch sehen, so kann ich's doch fühlen und begreifen, und du weißt, daß ich aus dem Mädchen meinen Abgott gemacht habe. Und daß ich sie so sehn muß unter meinen Händen hinsterben, verwesen. –Weint. Bruder Geheimer Rat, du hast keine Tochter; du weißt nicht, wie einem Vater zu Mut sein muß, der eine Tochter hat. Ich hab dreizehn Bataillen beigewohnt und achtzehn Blessuren bekommen und hab den Tod vor Augen gesehen und bin – O laß mich zufrieden; pack dich zu meinem Haus hinaus; laß die ganze Welt sich fortpacken. Ich will es anstecken und die Schaufel in die Hand nehmen und Bauer werden.

GEHEIMER RAT.
Und Frau und Kinder –
[49]
MAJOR.

Du beliebst zu scherzen: ich weiß von keiner Frau und Kindern, ich bin Major Berg gottseligen Andenkens und will den Pflug in die Hand nehmen und will Vater Berg werden, und wer mir zu nahe kommt, dem geb ich mit meiner Hack über die Ohren.

GEHEIMER RAT.
So schwärmerisch-schwermütig hab ich ihn doch nie gesehen.

Die Majorin stürzt herein.
MAJORIN.
Zu Hülfe Mann – Wir sind verloren – Unsere Familie! unsere Familie!
GEHEIMER RAT.
Gott behüt Frau Schwester! Was stellen Sie an? Wollen Sie Ihren Mann rasend machen?
MAJORIN.
Er soll rasend werden – Unsere Familie – Infamie! – – O ich kann nicht mehr –

Fällt auf einen Stuhl.
MAJOR
geht auf sie zu.
Willst du mit der Sprach heraus? – Oder ich dreh dir den Hals um.
MAJORIN.
Deine Dochter – Der Hofmeister. – Lauf!

Fällt in Ohnmacht.
MAJOR.

Hat er sie zur Hure gemacht? Schüttelt sie. Was fällst du da hin; jetzt ist's nicht Zeit zum Hinfallen. Heraus mit, oder das Wetter soll dich zerschlagen. Zur Hure gemacht? Ist's das? – Nun so werd denn die ganze Welt zur Hure, und du Berg nimm die Mistgabel in die Hand – Will gehen.

GEHEIMER RAT
hält ihn zurück.

Bruder, wenn du dein Leben lieb hast, so bleib hier – Ich will alles untersuchen – Deine Wut macht dich unmündig.Geht ab und schließt die Tür zu.

MAJOR
arbeitet vergebens sie aufzumachen.

Ich werd dich beunmündig – Zu seiner Frau. Komm, komm, Hure, du auch! sieh zu. Reißt die Tür auf. Ich will ein Exempel statuieren – Gott hat mich bis hieher erhalten, damit ich an Weib und Kindern Exempel statuieren kann – Verbrannt, verbrannt, verbrannt! Schleppt seine Frau ohnmächtig vom Theater.

[50]
2. Szene
Zweite Szene
Eine Schule im Dorf.
Es ist finstrer Abend.
Wenzeslaus. Läuffer.

WENZESLAUS
sitzt an einem Tisch, die Brill auf der Nase und lineïert.
Wer da? Was gibt's?
LÄUFFER.
Schutz! Schutz! werter Herr Schulmeister! Man steht mir nach dem Leben.
WENZESLAUS.
Wer ist Er denn?
LÄUFFER.

Ich bin Hofmeister im benachbarten Schloß. Der Major Berg ist mit all seinen Bedienten hinter mir und wollen mich erschießen.

WENZESLAUS.

Behüte – Setz Er sich hier nieder zu mir – Hier hat Er meine Hand: Er soll sicher bei mir sein – Und nun erzähl Er mir, derweil ich diese Vorschrift hier schreibe.

LÄUFFER.
Lassen Sie mich erst zu mir selber kommen.
WENZESLAUS.

Gut, verschnauf Er sich, und hernach will ich Ihm ein Glas Wein geben lassen und wollen eins zusammen trinken. Unterdessen sag Er mir doch – Hofmeister – Legt das Lineal weg, nimmt die Brille ab und sieht ihn eine Weile an. Nun ja, nach dem Rock zu urteilen. – Nun nun, ich glaub's Ihm, daß Er der Hofmeister ist. Er sieht ja so rot und weiß drein. Nun sag Er mir aber doch, mein lieber Freund, Setzt die Brille wieder auf. wie ist Er denn zu dem Unstern gekommen, daß Sein Herr Patron so entrüstet auf Ihn ist? Ich kann mir's doch nimmermehr einbilden, daß ein Mann wie der Herr Major von Berg – Ich kenne ihn wohl; ich habe genug von ihm reden hören; er soll freilich von einem hastigen Temperament sein; viel Cholera, viel Cholera – Sehen Sie, daß muß ich meinen Buben selber die Linien ziehen, denn nichts lernen die Bursche so schwer als das Gradeschreiben, das Gleichschreiben – [51] Nicht zierlich geschrieben, nicht geschwind geschrieben, sag ich immer, aber nur grad geschrieben, denn das hat seinen Einfluß in alles, auf die Sitten, auf die Wissenschaften, in alles, lieber Herr Hofmeister. Ein Mensch, der nicht grad schreiben kann, sag ich immer, der kann auch nicht grad handeln – Wo waren wir?

LÄUFFER.
Dürft ich mir ein Glas Wasser ausbitten?
WENZESLAUS.

Wasser? – Sie sollen haben. Aber – ja wovon redten wir? Vom Gradschreiben; nein vom Major – he he he – Aber wissen Sie auch Herr – Wie ist Ihr Name?

LÄUFFER.
Mein – Ich heiße – Mandel.
WENZESLAUS.

Herr Mandel – Und darauf mußten Sie sich noch besinnen? Nun ja, man hat bisweilen Abwesenheiten des Geistes; besonders die jungen Herren weiß und rot – Sie heißen unrecht Mandel; Sie sollten Mandelblüte heißen, denn Sie sind ja weiß und rot wie Mandelblüte – Nun ja freilich, der Hofmeisterstand ist einer von denen, unus ex his, die alleweile mit Rosen und Lilien überstreut sind und wo einen die Dornen des Lebens nur gar selten stechen. Denn was hat man zu tun? Maß ißt, trinkt, schläft, hat für nichts zu sorgen; sein gut Glas Wein gewiß, seinen Braten täglich, alle Morgen seinen Kaffee, Tee, Schokolade, oder was man trinkt, und das geht denn immer so fort – Nun ja, ich wollt Ihnen sagen: wissen Sie auch, Herr Mandel, daß ein Glas Wasser der Gesundheit eben so schädlich auf eine heftige Gemütsbewegung als auf eine heftige Leibesbewegung; aber freilich, was fragt ihr jungen Herren Hofmeister nach der Gesundheit – Denn sagt mir doch Legt Brille und Lineal weg und steht auf. wo in aller Welt kann das der Gesundheit gut tun, wenn alle Nerven und Adern gespannt sind und das Blut ist in der heftigsten Cirkulation und die Lebensgeister sind alle in einer – Hitze, in einer –

[52]
LÄUFFER.
Um Gotteswillen der Graf Wermuth –Springt in eine Kammer.

Graf Wermuth mit ein paar Bedienten, die Pistolen tragen.
GRAF.
Ist hier ein gewisser Läuffer – Ein Student im blauen Rock mit Tressen?
WENZESLAUS.

Herr, in unserm Dorf ist's die Mode, daß man den Hut abzieht, wenn man in die Stube tritt und mit dem Herrn vom Hause spricht.

GRAF.
Die Sache pressiert – Sagt mir, ist er hier oder nicht?
WENZESLAUS.

Und was soll er denn verbrochen haben, daß Ihr ihn so mit gewaffneter Hand sucht?Graf will in die Kammer, er stellt sich vor die Tür. Halt Herr! Die Kammer ist mein, und wo Ihr nicht augenblicklich Euch aus meinem Hause packt, so zieh ich nur an meiner Schelle und ein halb Dutzend handfester Bauerkerle schlägt Euch zu morsch Pulver-Granatenstücken. Seid ihr Straßenräuber, so muß man euch als Straßenräubern begegnen. Und damit Ihr Euch nicht verirrt und den Weg zum Haus' hinaus so gut findt als Ihr ihn hinein gefunden habt – Faßt ihn an die Hand und führt ihn zur Tür hinaus; die Bedienten folgen ihm.

LÄUFFER
springt aus der Kammer hervor.
Glücklicher Mann! Beneidenswerter Mann!
WENZESLAUS
in der obigen Attitude.

In – Die Lebensgeister sagt ich, sind in einer – Begeisterung, alle Passionen sind gleichsam in einer Empörung, in einem Aufruhr – Nun wenn Ihr da Wasser trinkt, so geht's, wie wenn man in eine mächtige Flamme Wasser schüttet. Die starke Bewegung der Luft und der Krieg zwischen den beiden entgegengesetzten Elementen macht eine Effervescenz, eine Gärung, eine Unruhe, ein tumultuarisches Wesen –

LÄUFFER.
Ich bewundere Sie ...
WENZESLAUS.

Gottlieb! – Jetzt können Sie schon allgemach trinken – Allgemach – und denn werden Sie auf den [53] Abend mit einem Salat und Knackwurst vorlieb nehmen – Was war das für ein ungeschliffener Kerl, der nach Ihnen suchte?

LÄUFFER.

Es ist der Graf Wermuth, der künftige Schwiegersohn des Majors; er ist eifersüchtig auf mich, weil das Fräulein ihn nicht leiden kann –

WENZESLAUS.

Aber was soll denn das auch? Was will das Mädchen denn auch mit Ihm Monsieur Jungfernknecht? Sich ihr Glück zu verderben um eines solchen jungen Siegfrieds willen, der nirgends Haus oder Herd hat? Das laß Er sich aus dem Kopf und folg Er mir nach in die Küche. Ich seh, mein Bube ist fortgangen, mir Bratwürste zu holen. Ich will Ihm selber Wasser schöpfen, denn Magd hab ich nicht und an eine Frau hab ich mich noch nicht unterstanden zu denken, weil ich weiß, daß ich keine ernähren kann – geschweige denn eine drauf angesehen, wie ihr junge Herren weiß und rot – Aber man sagt wohl mit Recht, die Welt verändert sich.

3. Szene
Dritte Szene
In Heidelbrunn.
Der Geheime Rat. Herr von Seiffenblase und sein Hofmeister.

HOFMEISTER.

Wie haben uns in Halle nur ein Jahr aufgehalten, und als wir von Göttingen kamen, nahmen wir unsere Rückreise über alle berühmte Universitäten in Deutschland. Wir konnten also in Halle das zweitemal nicht lange verweilen; zudem saß Ihr Herr Sohn grade zu der Zeit in dem unglücklichen Arrest, wo ich ihn nur einigemal zu sprechen die Ehre haben konnte: also könnt ich Ihnen aufrichtig von der Führung Dero [54] Herrn Sohns draußen keine umständliche Nachricht geben.

GEHEIMER RAT.

Der Himmel verhängt Strafen über unsre ganze Familie. Mein Bruder – ich will's Ihnen nur nicht verhehlen, denn leider ist Stadt und Land voll davon – hat das Unglück gehabt, daß seine Tochter ihm verschwunden ist, ohne daß eine Spur von ihr anzutreffen – Ich höre itzt von meinem Sohn – Wenn er sich gut geführt hätte, wie wär's möglich gewesen, ihn ins Gefängnis zu bringen? Ich hab ihm außer seinem starken Wechsel noch alle halbe Jahr außerordentliche geschickt; auf allen Fall –

HOFMEISTER.
Die bösen Gesellschaften; die erstaunenden Verführungen auf Akademien.
SEIFFENBLASE.

Das seltsamste dabei ist, daß er für einen andern sitzt; ein Ausbund aller Lüderlichkeit, ein Mensch, für den ich keinen Groschen ausgäbe und [wenn] er auf meinem Misthaufen Hungers krepierte. Er ist hier gewesen, Sie werden von ihm gehört haben; er suchte Geld bei seinem Vater, unter dem Vorwand, Ihren Herrn Sohn auszulösen; vermutlich wär er damit auf eine andere Akademie gegangen und hätte von frischem angefangen zu wirtschaften. Ich weiß schon, wie's die lüderlichen Studenten machen, aber sein Vater hat den Braten gerochen und hat ihn nicht vor sich kommen lassen.

GEHEIMER RAT.
Doch wohl nicht der junge Pätus, des Ratsherrn Sohn?
SEIFFENBLASE.
Ich glaub, es ist derselbe.
GEHEIMER RAT.
Jedermann hat dem Vater die Härte verdacht.
HOFMEISTER.

Ja was ist da zu verdenken, mein gnädiger Herr Geheimer Rat; wenn ein Sohn die Güte des Vaters zu sehr mißbraucht, so muß sich das Vaterherz wohl ab von ihm wenden. Der Hohepriester Eli war nicht hart und brach den Hals.

GEHEIMER RAT.

Gegen die Ausschweifungen seiner Kinder kann man nie zu hart sein, aber wohl gegen ihr Elend. Der [55] junge Mensch soll hier haben betteln müssen. Und mein Sohn sitzt um seinetwillen?

SEIFFENBLASE.

Was anders? Er war sein vertrautester Freund und fand niemand würdiger, mit ihm die Komödie von Damon und Pythias zu spielen. Noch mehr, Herr Pätus kam zurück und wollte seinen Platz wieder einnehmen, aber Ihr Sohn bestund drauf, er wollte sitzen bleiben: Sie würden ihn schon auslösen; und Pätus mit einem andern Erzrenommisten und Spieler wollten die Flucht nehmen und sich zu helfen suchen, so gut sie könnten. Vielleicht überfallen sie wieder so irgend einen armen Studenten mit Masken vor den Gesichtern auf der Stube und nehmen ihm die Uhr und Goldbörse, mit der Pistol auf der Brust, weg, wie sie's in Halle schon einem gemacht haben.

GEHEIMER RAT.
Und mein Sohn ist der dritte aus diesem Kleeblatt?
SEIFFENBLASE.
Ich weiß nicht, Herr Geheimer Rat.
GEHEIMER RAT.

Kommen Sie zum Essen, meine Herren! Ich weiß schon zuviel. Es ist ein Gericht Gottes über gewisse Familien; bei einigen sind gewisse Krankheiten erblich, bei andern arten die Kinder aus, die Väter mögen tun was sie wollen. Essen Sie: ich will fasten und beten, vielleicht hab ich diesen Abend durch die Ausschweifungen meiner Jugend verdient.

4. Szene
Vierte Szene
Die Schule.
Wenzeslaus und Läuffer an einem ungedeckten Tisch, speisend.

WENZESLAUS.

Schmeckt's? Nicht wahr, es ist ein Abstand von meinem Tisch und des Majors? Aber wenn der [56] Schulmeister Wenzeslaus seine Wurst ißt, so hilft ihm das gute Gewissen verdauen, und wenn der Herr Mandel Kapaunenbraten mit der Schampignonsauce aß, so stieß ihm sein Gewissen jeden Bissen, den er hinabschluckte, mit der Moral wieder in Hals zurück: Du bist ein – Denn sagt mir einmal, lieber Herr Mandel; nehmt mir nicht übel, daß ich Euch die Wahrheit sage, das würzt das Gespräch wie Pfeffer den Gurkensalat; sagt mir einmal, ist das nicht hundsföttisch, wenn ich davon überzeugt bin, daß ich ein Ignorant bin und meine Untergebenen nichts lehren kann und also müßig bei ihnen gehe und sie müßig gehen lasse und dem lieben Gott ihren Tag stehlen, und doch hundert Dukaten – war's nicht soviel? Gott verzeih mir, ich hab in meinem Leben nicht so viel Geld auf einem Haufen beisammen gesehen! – hundert funfzig Dukaten, sag ich, in Sack stecke, für nichts und wieder nichts!

LÄUFFER.

O! und Sie haben noch nicht alles gesagt, Sie kennen Ihren Vorzug nicht ganz, oder fühlen ihn, ohn ihn zu kennen. Haben Sie nie einen Sklaven im betreßten Rock gesehen? O Freiheit, güldene Freiheit!

WENZESLAUS.

Ei was Freiheit! Ich bin auch so frei nicht; ich bin an meine Schule gebunden und muß Gott und meinem Gewissen Rechenschaft von geben.

LÄUFFER.

Eben das – Aber wie, wenn Sie den Grillen eines wunderlichen Kopfs davon Rechenschaft ablegen müßten, der mit Ihnen umginge hundertmal ärger als Sie mit Ihren Schulknaben?

WENZESLAUS.

Ja nun – dann müßt er aber auch an Verstand so weit über mich erhaben sein wie ich über meine Schulknaben, und das trifft man selten, glaub ich wohl; besonders bei unsern Edelleuten; da mögt Ihr wohl recht haben: wenigstens der Flegel da, der mir vorhin in meine Kammer wollte, ohne mich vorher um Erlaubnis zu bitten. Wenn ich zum Herrn Grafen käme und wollt ihm mir nichts, dir nichts die Zimmer visitieren – Aber [57] potz Millius, so eßt doch; Ihr macht ja ein Gesicht, als ob Ihr zu laxieren einnähmt. Nicht wahr, Ihr hättet gern ein Glas Wein dazu? Ich hab Euch zwar vorhin eins versprochen, aber ich habe keinen im Hause. Morgen werd ich wieder bekommen, und da trinken wir Sonntags und Donnerstags, und wenn der Organist Franz zu uns kommt extra. Wasser, Wasser, mein Freund, αριστον μεν το ύδωρ, das hab ich noch von der Schule mitgebracht, und da eine Pfeife dazu geraucht nach dem Essen im Mondenschein und einen Gang ums Feld gemacht; da läßt sich drauf schlafen, vergnügter als der große Mogul – Ihr raucht doch eins mit heut?

LÄUFFER.
Ich will's versuchen; ich hab in meinem Leben nicht geraucht.
WENZESLAUS.

Ja freilich, ihr Herren weiß und rot, das verderbt euch die Zähne. Nicht wahr? und verderbt euch die Farbe; nicht wahr? Ich habe geraucht, als ich kaum von meiner Mutter Brust entwöhnt war; die Warze mit dem Pfeifenmundstück verwechselt. He he he! Das ist gut wider die böse Luft und wider die bösen Begierden ebenfalls. Das ist so meine Diät: des Morgens kalt Wasser und eine Pfeife, dann Schul gehalten bis eilfe, dann wieder eine Pfeife bis die Suppe fertig ist: die kocht mir mein Gottlieb so gut als eure französische Köche, und da ein Stück Gebratenes und Zugemüse und dann wieder eine Pfeife, dann wieder Schul gehalten, dann Vorschriften geschrieben bis zum Abendessen; da eß ich denn gemeiniglich kalt etwas, eine Wurst mit Salat, ein Stück Käs oder was der liebe Gott gegeben hat, und dann wieder eine Pfeife vor Schlafengehen.

LÄUFFER.
Gott behüte, ich bin in eine Tabagie gekommen –
WENZESLAUS.
Und da werd ich dick und fett bei und lebe vergnügt und denke noch ans Sterben nicht.
LÄUFFER.

Es ist aber doch unverantwortlich, daß die Obrigkeit nicht dafür sorgt, Ihnen das Leben angenehmer zu machen.

[58]
WENZESLAUS.

Ei was, es ist nun einmal so; und damit muß man zufrieden sein: bin ich doch auch mein eigner Herr und hat kein Mensch mich zu schikanieren, da ich alle Tage weiß, daß ich mehr tu als ich soll. Ich soll meinen Buben lesen und schreiben lehren; ich lehre sie rechnen dazu und Lateinisch dazu und mit Vernunft lesen dazu und gute Sachen schreiben dazu.

LÄUFFER.
Und was für Lohn haben Sie dafür?
WENZESLAUS.

Was für Lohn? – Will Er denn das kleine Stückchen Wurst da nicht aufessen? Er kriegt nichts Bessers; wart Er auf nichts Bessers, oder Er muß das erstemal seines Lebens hungrig zu Bette gehn – Was für Lohn? Das war dumm gefragt, Herr Mandel. Verzeih Er mir; was für Lohn? Gottes Lohn hab ich dafür, ein gutes Gewissen, und wenn ich da vielen Lohn von der Obrigkeit begehren wollte, so hätt ich ja meinen Lohn dahin. Will Er denn den Gurkensalat durchaus verderben lassen? So eß Er doch; so sei Er doch nicht blöde: bei einer schmalen Mahlzeit muß man zum Kuckuck nicht blöde sein. Wart Er, ich will Ihm noch ein Stück Brod abschneiden.

LÄUFFER.
Ich bin satt überhörig.
WENZESLAUS.

Nun so laß Er's stehen; aber es ist Seine eigne Schuld wenn's nicht wahr ist. Und wenn es wahr ist, so hat Er unrecht, daß Er sich überhörig satt ißt, denn das macht böse Begierden und schläfert den Geist ein. Ihr Herren weiß und rot mögt's glauben oder nicht. Man sagt zwar auch vom Toback, daß er ein narkotisches, schläfrigmachendes, dummachendes Öl habe, und ich hab's bisweilen auch wohl so wahrgefunden und bin versucht worden, Pfeife und allen Henker ins Kamin zu werfen, aber unsere Nebel hier herum beständig und die feuchte Winter- und Herbstluft alleweile und denn die vortreffliche Wirkung, die ich davon verspüre, daß es zugleich die bösen Begierden mit einschläfert – Holla, wo seid Ihr denn, lieber Mann? Eben da ich [59] vom Einschläfern rede, nickt Ihr schon; so geht's, wenn der Kopf leer ist und faul dabei und niemals ist angestrengt worden. Allons! frisch, eine Pfeife mit mir geraucht! Stopft sich und ihm. Laßt uns noch eins mit einander plaudern!Raucht. Ich hab Euch schon vorhin in der Küche sagen wollen: ich sehe, daß Ihr schwach in der Latinität seid, aber da Ihr doch eine gute Hand schreibt, wie Ihr sagt, so könntet Ihr mir doch so abends an die Hand gehen, weil ich meiner Augen muß anfangen zu schonen, und meinen Buben die Vorschriften schreiben. Ich will Euch dabei Corderii Colloquia geben und Gürtleri Lexicon; wenn Ihr fleißig sein wollt. Ihr habt ja den ganzen Tag für Euch, so könnt Ihr Euch in der lateinischen Sprache was umtun, und wer weiß wenn es Gott gefällt mich heute oder morgen von der Welt zu nehmen – Aber Ihr müßt fleißig sein, das sag ich Euch, denn so seid Ihr ja noch kaum zum Kollaborator tüchtig, geschweige denn –


Trinkt.
LÄUFFER
legt die Pfeife weg.
Welche Demütigung!
WENZESLAUS.

Aber ... aber ... aber Reißt ihm den Zahnstocher aus dem Munde. was ist denn das da? Habt Ihr denn noch nicht einmal so viel gelernt, großer Mensch, daß Ihr für Euren eignen Körper Sorge tragen könnt. Das Zähnestochern ist ein Selbstmord; ja ein Selbstmord, eine mutwillige Zerstörung Jerusalems, die man mit seinen Zähnen vornimmt. Da, wenn Euch was im Zahn sitzen bleibt: Nimmt Wasser und schwängt den Mund aus. So müßt Ihr's machen, wenn Ihr gesunde Zähne behalten wollt, Gott und Eurem Nebenmenschen zu Ehren, und nicht einmal im Alter herumlaufen wie ein alter Kettenhund, dem die Zähne in der Jugend ausgebrochen worden und der die Kinnbacken nicht zusammenhalten kann. Das wird einen schönen Schulmeister abgeben, will's Gott, wenn ihm aufs Alter die Worte ungeboren zum Munde herausfallen und er [60] zwischen Nase und Oberlippen da was herausschnarcht, das kein Hund oder Hahn versteht.

LÄUFFER.
Der wird mich noch zu Tode meistern – Das unerträglichste ist, daß er recht hat –
WENZESLAUS.

Nun wie geht's? Schmeckt Euch der Toback nicht? Ich wette, nur ein paar Tage noch mit dem alten Wenzeslaus zusammen, so werdt Ihr rauchen wie ein Bootsknecht. Ich will Euch nach meiner Hand ziehen, daß Ihr Euch selber nicht mehr wieder kennen sollt.

4. Akt

1. Szene
Erste Szene
Zu Insterburg.
Geheimer Rat. Major.

MAJOR.

Hier Bruder – Ich schweife wie Kain herum, unstät und flüchtig – Weißt du was? Die Russen sollen Krieg mit den Türken haben; ich will nach Königsberg gehn, um nähere Nachrichten einzuziehen: ich will mein Weib verlassen und in der Türkei sterben.

GEHEIMER RAT.

Deine Ausschweifungen schlagen mich vollends zu Boden. – O Himmel, muß es denn von allen Seiten stürmen? – Da lies den Brief vom Professor M-r.

MAJOR.
Ich kann nicht mehr lesen; ich hab meine Augen fast blind geweint.
GEHEIMER RAT.

So will ich dir vorlesen, damit du siehst, daß du nicht der einzige Vater seist, der sich zu beklagen hat: »Ihr Sohn ist vor einiger Zeit wegen Bürgschaft gefänglich eingezogen worden: er hat, wie er mir vorgestern mit Tränen gestanden, nach fünf vergeblich geschriebenen Briefen keine Hoffnung mehr, von Eurer Excellenz [61] Verzeihung zu erhalten. Ich redte ihm zu, sich zu beruhigen, bis ich gleichfalls in dieser Sache mich vermittelt hätte: er versprach es mir, ist aber ungeachtet dieses Versprechens noch in derselben Nacht heimlich aus dem Gefängnis entwischt. Die Schuldner haben ihm Steckbriefe nachsenden und seinen Namen in allen Zeitungen bekannt machen wollen; ich habe sie aber dran verhindert und für die Summe gutgesagt, weil ich viel zu sehr überzeugt bin, daß Eure Excellenz diesen Schimpf nicht werden auf Dero Familie kommen lassen. Übrigens habe die Ehre, in Erwartung Dero Entschlusses mich mit vollkommenster ...«

MAJOR.
Schreib ihm zurück: sie sollen ihn hängen.
GEHEIMER RAT.
Und die Familie –
MAJOR.

Lächerlich! Es gibt keine Familie; wir haben keine Familie. Narrenspossen! Die Russen sind meine Familie: ich will Griechisch werden.

GEHEIMER RAT.
Und noch keine Spur von deiner Tochter?
MAJOR.
Was sagst du?
GEHEIMER RAT.
Hast nicht die geringste Nachricht von deiner Tochter?
MAJOR.
Laß mich zufrieden.
GEHEIMER RAT.
Es ist doch dein Ernst nicht, nach Königsberg zu reisen?
MAJOR.
Wenn mag doch die Post abgehn von Königsberg nach Warschau?
GEHEIMER RAT.

Ich werde dich nicht fortlassen; es ist nur umsonst. Meinst du, vernünftige Leute werden sich von deinen Phantasien übertölpeln lassen? Ich kündige dir hiermit Hausarrest an. Gegen Leute, wie du bist, muß man Ernst gebrauchen, sonst verwandelt sich ihr Gram in Narrheit.

MAJOR
weint.

Ein ganzes Jahr – Bruder Geheimer Rat – Ein ganzes Jahr – und niemand weiß, wohin sie gestoben oder geflogen ist.

GEHEIMER RAT.
Vielleicht tot –
[62]
MAJOR.

Vielleicht? – Gewiß tot – und wenn ich nur den Trost haben könnte, sie noch zu begraben – aber sie muß sich selbst umgebracht haben, weil mir niemand Anzeige von ihr geben kann. – Eine Kugel durch den Kopf, Berg, oder einen Türkenpallasch; das wär eine Victorie.

GEHEIMER RAT.

Es ist ja eben so wohl möglich, daß sie den Läuffer irgendwo angetroffen und mit dem aus dem Lande gegangen. Gestern hat mich Graf Wermuth besucht und hat mir gesagt, er sei denselben Abend noch in eine Schule gekommen, wo ihn der Schulmeister nicht hab in die Kammer lassen wollen: er vermutet immer noch, der Hofmeister habe drin gesteckt, vielleicht deine Tochter bei ihm.

MAJOR.

Wo ist der Schulmeister? Wo ist das Dorf? Und der Schurke von Grafen ist nicht mit Gewalt in die Kammer eingedrungen? Komm: wo ist der Graf?

GEHEIMER RAT.
Er wird wohl wieder im Hecht abgestiegen sein, wie gewöhnlich.
MAJOR.

O wenn ich sie auffände – Wenn ich nur hoffen könnte, sie noch einmal wieder zu sehen – Hol mich der Kuckuck, so alt wie ich bin und abgegrämt und wahnwitzig; ja hol mich der Teufel, dann wollt ich doch noch in meinem Leben wieder einmal lachen, das letztemal laut lachen und meinen Kopf in ihren entehrten Schoß legen und denn wieder einmal heulen und denn – Adieu Berg! Das wäre mir gestorben, das hieß' mir sanft und selig im Herrn entschlafen. – Komm Bruder, dein Junge ist nur ein Spitzbube geworden: das ist nur Kleinigkeit; an allen Höfen gibt's Spitzbuben; aber meine Tochter ist eine Gassenhure, das heiß ich einem Vater Freud machen: vielleicht hat sie schon drei Lilien auf dem Rücken. – Vivat die Hofmeister und daß der Teufel sie holt! Amen. Gehn ab.

[63]
2. Szene
Zweite Szene
Eine Bettlerhütte im Walde.
Augustchen im groben Kittel. Marthe, ein alt blindes Weib.

GUSTCHEN.

Liebe Marthe, bleibt zu Hause und seht wohl nach dem Kinde: es ist das erstemal, daß ich Euch allein lasse in einem ganzen Jahr; also könnt Ihr mich nun wohl auch einmal einen Gang für mich tun lassen. Ihr habt Proviant für heut und morgen; Ihr braucht also heute nicht auf der Landstraß auszustehn.

MARTHE.

Aber wo wollt Ihr denn hin, Grete, daß Gott erbarm! da Ihr noch so krank und so schwach seid; laßt Euch doch sagen: ich hab auch Kinder bekommen und ohne viele Schmerzen so wie Ihr, Gott sei Dank! aber einmal hab ich's versucht, den zweiten Tag nach der Niederkunft auszugehen, und nimmermehr wieder; ich hatte schon meinen Geist aufgegeben, wahrlich ich könnt Euch sagen, wie einem Toten zu Mute ist – Laßt Euch doch lehren; wenn Ihr was im nächsten Dorf zu bestellen habt, obschon ich blind bin, ich will schon hinfinden; bleibt nur zu Hause und macht daß Ihr zu Kräften kommt: ich will alles für Euch ausrichten, was es auch sei.

GUSTCHEN.
Laßt mich nur, Mutter; ich hab Kräfte wie eine junge Bärin – und seht nach meinem Kinde.
MARTHE.

Aber wie soll ich denn darnach sehen, heilige Mutter Gottes! da ich blind bin? Wenn es wird saugen wollen, soll ich's an meine schwarze verwelkte Zitzen legen? und es mit zu nehmen, habt Ihr keine Kräfte, bleibt zu Hause, liebes Gretel, bleibt zu Hause.

GUSTCHEN.

Ich darf nicht, liebe Mutter, mein Gewissen treibt mich fort von hier. Ich hab einen Vater, der mich mehr liebt als sein Leben und seine Seele. Ich habe die vorige Nacht im Traum gesehen, daß er sich die weißen Haare ausriß und Blut in den Augen hatte: er wird [64] meinen, ich sei tot. Ich muß ins Dorf und jemand bitten, daß er ihm Nachricht von mir gibt.

MARTHE.

Aber hilf lieber Gott, wer treibt Euch denn? Wenn Ihr nun unterwegens liegen bleibt? Ihr könnt nicht fort ...

GUSTCHEN.

Ich muß – Mein Vater stand wankend; auf einmal warf er sich auf die Erde und blieb tot liegen – Er bringt sich um, wenn er keine Nachricht von mir bekommt.

MARTHE.
Wißt Ihr denn nicht, daß Träume grade das Gegenteil bedeuten?
GUSTCHEN.
Bei mir nicht – Laßt mich – Gott wird mit mir sein. Geht ab.
3. Szene
Dritte Szene
Die Schule.
Wenzeslaus, Läuffer, an einem Tisch sitzend. Der Major, der Geheime Rat und Graf Wermuth treten herein mit Bedienten.

WENZESLAUS
läßt die Brille fallen.
Wer da?
MAJOR
mit gezogenem Pistol.

Daß dich das Wetter! da sitzt der Has im Kohl. Schießt und trifft Läuffern in Arm, der vom Stuhl fällt.

GEHEIMER RAT
der vergeblich versucht hat ihn zurückzuhalten.
Bruder – Stößt ihn unwillig. So hab's denn darnach, Tollhäusler!
MAJOR.

Was? ist er tot? Schlägt sich vors Gesicht. Was hab ich getan? Kann Er mir keine Nachricht mehr von meiner Tochter geben?

WENZESLAUS.

Ihr Herren! Ist das Jüngste Gericht nahe, oder sonst etwas? Was ist das? Zieht an seiner Schelle. Ich will Euch lehren, einen ehrlichen Mann in seinem Hause überfallen.

[65]
LÄUFFER.
Ich beschwör Euch: schellt nicht! – Es ist der Major; ich hab's an seiner Tochter verdient.
GEHEIMER RAT.

Ist kein Chirurgus im Dorf, ehrlicher Schulmeister! Er ist nur am Arm verwundet, ich will ihn kurieren lassen.

WENZESLAUS.

Ei was kurieren lassen! Straßenräuber! schießt man Leute übern Haufen, weil man so viel hat, daß man sie kurieren lassen kann? Er ist mein Kollaborator; er ist eben ein Jahr in meinem Hause: ein stiller, friedfertiger, fleißiger Mensch, und sein Tage hat man nichts von ihm gehört, und Ihr kommt und erschießt mir meinen Kollaborator in meinem eignen Hause! – Das soll gerochen werden, oder ich will nicht selig sterben. Seht Ihr das!

GEHEIMER RAT
bemüht Läuffern zu verbinden.

Wozu das Geschwätz, lieber Mann? Es tut uns leid genug – Aber die Wunde könnte sich verbluten, schafft uns nur einen Chirurgus.

WENZESLAUS.

Ei was! Wenn Ihr Wunden macht, so mögt Ihr sie auch heilen, Straßenräuber! Ich muß doch nur zum Gevatter Schöpsen gehen.


Geht ab.
MAJOR
zu Läuffern.
Wo ist meine Tochter?
LÄUFFER.
Ich weiß es nicht.
MAJOR.
Du weißt nicht?

Zieht noch eine Pistol hervor.
GEHEIMER RAT
entreißt sie ihm und schießt sie aus dem Fenster ab.
Sollen wir dich mit Ketten binden lassen, du –
LÄUFFER.

Ich habe sie nicht gesehen, seit ich aus Ihrem Hause geflüchtet bin; das bezeug ich vor Gott, vor dessen Gericht ich vielleicht bald erscheinen werde.

MAJOR.
Also ist sie nicht mit dir gelaufen?
LÄUFFER.
Nein.
MAJOR.

Nun denn; so wieder eine Ladung Pulver umsonst verschossen! Ich wollt, sie wäre dir durch den Kopf gefahren, da du kein gescheutes Wort zu reden weißt Lumpenhund! Laßt ihn liegen und kommt bis ans Ende der Welt. Ich muß meine Tochter wieder haben, und [66] wenn nicht in diesem Leben, doch in jener Welt, und da soll mein hochweiser Bruder und mein hochweiseres Weib mich wahrhaftig nicht von abhalten.


Läuft fort.
GEHEIMER RAT.

Ich darf ihn nicht aus den Augen lassen. Wirft Läuffern einen Beutel zu. Lassen Sie sich davon kurieren, und bedenken Sie, daß Sie meinen Bruder weit gefährlicher verwundet haben als er Sie. Es ist ein Bankozettel drin, geben Sie Acht drauf und machen ihn sich zu Nutz so gut Sie können.


Gehn alle ab.
Wenzeslaus kömmt mit dem Barbier Schöpsen und einigen Bauerkerlen.
WENZESLAUS.
Wo ist das Otterngezüchte? Redet!
LÄUFFER.

Ich bitt Euch, seid ruhig. Ich habe weit weniger bekommen, als meine Taten wert waren. Meister Schöpsen, ist meine Wunde gefährlich?


Schöpsen besieht sie.
WENZESLAUS.

Was denn? Wo sind sie? Das leid ich nicht; nein, das leid ich nicht, und sollt es mich Schul und Amt und Haar und Bart kosten. Ich will sie zu Morsch schlagen, die Hunde – Stellen Sie sich vor, Herr Gevatter; wo ist das in aller Welt in iure naturae und in iure civili und im iure canonico und im iure gentium und wo Sie wollen, wo ist das erhört, daß man einem ehrlichen Mann in sein Haus fällt und in eine Schule dazu; an heiliger Stätte. – Gefährlich; nicht wahr? Haben Sie sondiert? Ist's?

SCHÖPSEN.
Es ließe sich viel drüber sagen – nun doch wir wollen sehen – am Ende wollen wir schon sehen.
WENZESLAUS.

Ja Herr, he he, in fine videbitur cuius toni; das heißt, wenn er wird tot sein, oder wenn er völlig gesund sein wird, da wollen Sie uns erst sagen, ob die Wunde gefährlich war oder nicht: das ist aber nicht medizinisch gesprochen; verzeih Er mir. Ein tüchtiger Arzt muß das Dings vorher wissen, sonst sag ich ihm ins Gesicht: er hat seine Pathologie oder Chirurgie nur so halbwege studiert und ist mehr in die Bordells [67] gangen als in die Kollegia: denn in amore omnia insunt vitia, und wenn ich einen Ignoranten sehe, er mag sein aus was für einer Fakultät er wolle, so sag ich immer: er ist ein Jungfernknecht gewesen; ein Hurenhengst; das laß ich mir nicht ausreden.

SCHÖPSEN
nachdem er die Wunde noch einmal besichtigt.
Ja die Wunde ist, nachdem man sie nimmt – Wir wollen sehen, wir wollen sehen.
LÄUFFER.

Hier, Herr Schulmeister! hat mir des Majors Bruder einen Beutel gelassen, der ganz schwer von Dukaten ist und obenein ist ein Bankozettel drin – Da sind wir auf viel Jahre geholfen.

WENZESLAUS
hebt den Beutel.

Nun das ist etwas – Aber Hausgewalt bleibt doch Hausgewalt und Kirchenraub Kirchenraub – Ich will ihm einen Brief schreiben, dem Herrn Major, den er nicht ins Fenster stecken soll.

SCHÖPSEN
der sich die Weil über vergessen und eifrig nach dem Beutel gesehen, fällt wieder über die Wunde her.
Sie wird sich endlich schon kurieren lassen, aber sehr schwer, hoff ich, sehr schwer –
WENZESLAUS.

Das hoff ich nicht, Herr Gevatter Schöpsen; das fürcht ich, das fürcht ich – aber ich will Ihm nur zum voraus sagen, daß wenn Er die Wunde langsam kuriert, so kriegt Er auch langsame Bezahlung; wenn Er ihn aber in zwei Tagen wieder auf frischen Fuß stellt, so soll Er auch frisch bezahlt werden; darnach kann Er sich richten.

SCHÖPSEN.
Wir wollen sehen.
4. Szene
Vierte Szene
GUSTCHEN
liegend, an einem Teich mit Gesträuch umgeben.

Soll ich denn hier sterben? – Mein Vater! Mein Vater! gib mir die Schuld nicht, daß du nicht Nachricht [68] von mir bekömmst. Ich hab meine letzten Kräfte angewandt – sie sind erschöpft – Sein Bild, o sein Bild steht mir immer vor den Augen! Er ist tot, ja tot – und für Gram um mich – Sein Geist ist mir diese Nacht erschienen, mir Nachricht davon zu geben – mich zur Rechenschaft dafür zu fodern – Ich komme, ja ich komme.


Rafft sich auf und wirft sich in Teich.
Major von weitem. Geheimer Rat und Graf Wermuth folgen ihm.
MAJOR.

Hei! hoh! da ging's in Teich – Ein Weibsbild war's, und wenn gleich nicht meine Tochter, doch auch ein unglücklich Weibsbild – Nach, Berg! Das ist der Weg zu Gustchen oder zur Hölle!


Springt ihr nach.
GEHEIMER RAT
kommt.
Gott im Himmel! Was sollen wir anfangen?
GRAF WERMUTH.
Ich kann nicht schwimmen.
GEHEIMER RAT.

Auf die andere Seite! – Mich deucht, er haschte das Mädchen ... Dort – dort hinten im Gebüsch. – Sehen Sie nicht? Nun treibt er den Teich mit ihr hinunter – Nach!

5. Szene
Fünfte Szene
Eine andere Seite des Teichs.
Hinter der Szene Geschrei.

Hülfe! 's meine Tochter! Sackerment und all das Wetter! Graf! reicht mir doch die Stange: daß Euch die schwere Not.


Major Berg trägt Gustchen aufs Theater. Geheimer Rat und Graf folgen.

MAJOR.

Da! – Setzt sie nieder. Geheimer Rat und Graf suchen sie zu ermuntern. Verfluchtes Kind! habe ich das an dir erziehen müssen! Kniet nieder bei ihr. Gustel! was fehlt dir? Hast Wasser eingeschluckt? Bist [69] noch mein Gustel? – Gottlose Kanaille! Hättst du mir nur ein Wort vorher davon gesagt; ich hätte dem Lausejungen einen Adelbrief gekauft, da hättet ihr können zusammen kriechen. – Gott behüt! so helft ihr doch; sie ist ja ohnmächtig. Springt auf, ringt die Hände; umhergehend. Wenn ich nur wüßt, wo der maledeite Chirurgus vom Dorf anzutreffen wäre. – Ist sie noch nicht wach?

GUSTCHEN
mit schwacher Stimme.
Mein Vater!
MAJOR.
Was verlangst du?
GUSTCHEN.
Verzeihung.
MAJOR
geht auf sie zu.

Ja verzeih dir's der Teufel, ungeratenes Kind. – Nein Kniet wieder bei ihr. fall nur nicht hin, mein Gustel – mein Gustel! Ich verzeih dir; ist alles vergeben und vergessen – Gott weiß es: ich verzeih dir – Verzeih du mir nur! Ja aber nun ist's nicht mehr zu ändern. Ich hab dem Hundsfott eine Kugel durch den Kopf geknallt.

GEHEIMER RAT.
Ich denke, wir tragen sie fort.
MAJOR.

Laßt stehen! Was geht sie Euch an? Ist sie doch Eure Tochter nicht. Bekümmert Euch um Euer Fleisch und Bein daheime. Er nimmt sie auf die Arme. Da Mädchen – Ich sollte wohl wieder nach dem Teich mit dir Schwenkt sie gegen den Teich zu. – aber wir wollen nicht eher schwimmen als bis wir's Schwimmen gelernt haben, mein ich. – Drückt sie an sein Herz. O du mein einzig teurester Schatz! Daß ich dich wieder in meinen Armen tragen kann, gottlose Kanaille! Trägt sie fort.

[70]
6. Szene
Sechste Szene
In Leipzig.
Fritz von Berg. Pätus.

FRITZ.

Das einzige, was ich an dir auszusetzen habe, Pätus. Ich habe dir's schon lang sagen wollen: untersuche dich nur selbst; was ist die Ursach zu all deinem Unglück gewesen? Ich tadle es nicht, wenn man sich verliebt. Wir sind in den Jahren; wir sind auf der See, der Wind treibt uns, aber die Vernunft muß immer am Steuerruder bleiben, sonst jagen wir auf die erste beste Klippe und scheitern. Die Hamstern war eine Kokette, die aus dir machte, was sie wollte; sie hat dich um deinen letzten Rock, um deinen guten Namen und um den guten Namen deiner Freunde dazu gebracht: ich dächte, da hättest du klug werden können. Die Rehaarin ist ein unverführtes unschuldiges jugendliches Lamm: wenn man gegen ein Herz, das sich nicht verteidigen will noch verteidigen kann, alle mögliche Batterien spielen läßt, um es – was soll ich sagen? zu zerstören, einzuäschern, das ist unrecht, Bruder Pätus, das ist unrecht. Nimm mir's nicht übel, wir können so nicht gute Freunde zusammen bleiben. Ein Mann, der gegen ein Frauenzimmer es so weit treibt, als er nur immer kann, ist entweder ein Teekessel oder ein Bösewicht; ein Teekessel, wenn er sich selbst nicht beherrschen kann, die Ehrfurcht, die er der Unschuld und Tugend schuldig ist, aus den Augen zu setzen: oder ein Bösewicht, wenn er sich selbst nicht beherrschen will und wie der Teufel im Paradiese sein einzig Glück darin setzt, ein Weib ins Verderben zu stürzen.

PÄTUS.

Predige nur nicht, Bruder! Du hast recht; es reuet mich, aber ich schwöre dir, ich kann drauf fluchen, daß ich das Mädchen nicht angerührt habe.

FRITZ.

So bist du doch zum Fenster hineingestiegen und [71] die Nachbarn haben's gesehen, meinst du, ihre Zunge wird so verschämt sein, wie deine Hand vielleicht gewesen ist? Ich kenne dich, ich weiß, so dreust du scheinst, bist du doch blöde gegen's Frauenzimmer, und darum lieb ich dich: aber wenn's auch nichts mehr wäre, als daß das Mädchen ihren guten Namen verliert, und eine Musikantentochter dazu, ein Mädchen, das alles von der Natur empfing, vom Glück nichts; der ihre einzige Aussteuer, ihren guten Namen, zu rauben – du hast sie unglücklich gemacht, Pätus. –


Herr Rehaar kommt, eine Laute unterm Arm.
REHAAR.

Ergebener Diener von Ihnen; ergebener Diener, Herr von Berg, wünsche schönen guten Morgen. Wie haben Sie geschlafen und wie steht's Konzertchen? Setzt sich und stimmt. Haben Sie's durchgespielt? Stimmt. Ich habe die Nacht einen häßlichen Schrecken gehabt, aber ich will's dem eingedenk sein – Sie kennen ihn wohl, es ist einer von Ihren Landsleuten. Twing, twing. Das ist eine verdammte Quinte! Will sie doch mein Tage nicht recht tönen; ich will Ihnen nachmittag eine andere bringen.

FRITZ
setzt sich mit seiner Laute.
Ich hab das Konzert noch nicht angesehen.
REHAAR.

Ei ei, faules Herr von Bergchen, noch nicht angesehen? Twing! nachmittag bring ich Ihnen eine andre. Legt die Laute weg und nimmt eine Prise. Man sagt: die Türken sind über die Donau gegangen und haben die Russen brav zurückgepeitscht, bis – Wie heißt doch nun der Ort! Bis Otschakof, glaub ich; was weiß ich? So viel sag ich Ihnen, wenn Rehaar unter ihnen gewesen wäre, was meinen Sie? er wäre noch weiter gelaufen. Ha ha ha! Nimmt die Laute wieder. Ich sag Ihnen, Herr von Berg, ich hab keine größere Freude, als wenn ich wieder einmal in der Zeitung lese, daß eine Armee gelaufen ist. Die Russen sind brave Leute, daß sie gelaufen sind; Rehaar wär auch gelaufen und alle [72] gescheute Leute, denn wozu nützt das Stehen und sich totschlagen Lassen, ha ha ha.

FRITZ.
Nicht wahr, das ist der erste Griff?
REHAAR.

Ganz recht; den zweiten Finger etwas mehr übergelegt und mit dem kleinen abgerissen, so – Rund, rund den Triller, rund Herr von Bergchen – Mein seliger Vater pflegt' immer zu sagen, ein Musikus muß keine Courage haben und ein Musikus der Herz hat, ist ein Hundsfut. Wenn er sein Konzertchen spielen kann und seinen Marsch gut bläst – Das hab ich auch dem Herzog von Kurland gesagt, als ich nach Petersburg ging, das erstemal in der Suite vom Prinzen Czartorinsky, und vor ihm spielen mußte. Ich muß noch lachen; als ich in den Saal kam und wollt ihm mein tief tief Kompliment machen, sah ich nicht, daß der Fußboden von Spiegel war und die Wände auch von Spiegel, und fiel herunter wie ein Stück Holz und schlug mir ein gewaltig Loch in Kopf: da kamen die Hofkavaliere und wollten mich drüber necken. Leidt das nicht, Rehaar, sagte der Herzog, Ihr habt ja einen Degen an der Seite; leidt das nicht. Ja, sagt ich, Ew. Herzoglichen Majestät, mein Degen ist seit Anno dreißig nicht aus der Scheide gekommen, und ein Musikus braucht den Degen nicht zu ziehen, denn ein Musikus, der Herz hat und den Degen zieht, ist ein Hundsfut und kann sein Tag auf keinem Instrument was vor sich bringen. – Nein, nein, das dritte Chor war's, k, k, so – Rein, rein, den Triller rund und den Daumen unten nicht bewegt, so –

PÄTUS
der sich die Zeit über seitwärts gehalten, tritt hervor und bietet Rehaar die Hand.
Ihr Diener, Herr Rehaar; wie geht's?
REHAAR
hebt sich mit der Laute.

Ergebener Die – Wie soll's gehen, Herr Pätus? Toujours content, jamais d'argent: das ist des alten Rehaars Sprichwort, wissen Sie, und die Herren Studenten wissen's alle; aber darum geben sie mir doch nichts – Der Herr Pätus ist mir auch [73] noch schuldig, von der letzten Serenade, aber er denkt nicht dran ...

PÄTUS.
Sie sollen haben, liebster Rehaar; in acht Tagen erwart ich unfehlbar meinen Wechsel.
REHAAR.

Ja, Sie haben schon lang gewartet, Herr Pätus, und Wechselchen ist doch nicht kommen. Was ist zu tun, man muß Geduld haben, ich sag immer, ich begegne keinem Menschen mit so viel Ehrfurcht als einem Studenten: denn ein Student ist nichts, das ist wahr, aber es kann doch alles aus ihm werden. Er legt die Laute auf den Tisch und nimmt eine Prise. Aber was haben Sie mir denn gemacht, Herr Pätus? Ist das recht; ist das auch honett gehandelt? Sind mir gestern zum Fenster hineingestiegen, in meiner Tochter Schlafkammer.

PÄTUS.
Was denn, Vaterchen? ich? ...
REHAAR
läßt die Dose fallen.

Ja ich will dich bevaterchen und ich werd es gehörigen Orts zu melden wissen, Herr, das sein Sie versichert. Meiner Tochter Ehr ist mir lieb und es ist ein honettes Mädchen, hol's der Henker! und wenn ich's nur gestern gemerkt hätte oder wär aufgewacht, ich hätt Euch zum Fenster hinausgehänselt, daß Ihr das unterste zu oberst – Ist das honett, ist das ehrlich? Pfui Teufel, wenn ich Student bin, muß ich mich auch als Student aufführen, nicht als ein Schlingel – Da haben mir's die Nachbarn heut gesagt: ich dacht ich sollte den Schlag drüber kriegen, augenblicks hat mir das Mädchen auf den Postwagen müssen und das nach Kurland zu ihrer Tante; ja nach Kurland, Herr, denn hier ist ihre Ehr hin und wer zahlt mir nun die Reisekosten? Ich habe wahrhaftig den ganzen Tag keine Laut anrühren können und über die funfzehn Quinten sind mir heut gesprungen. Ja Herr, ich zittere noch am ganzen Leibe, und Herr Pätus, ich will ein Hühnchen mit Ihnen pflücken. Es soll nicht so bleiben; ich will euch Schlingeln lehren ehrlicher Leute Kinder verführen.

PÄTUS.
Herr, schimpf Er nicht, oder –
[74]
REHAAR.

Sehen Sie nur an, Herr von Berg! sehn Sie einmal an – wenn ich nun Herz hätte, ich fodert ihn augenblicklich vor die Klinge – Sehen Sie, da steht er und lacht mir noch in die Zähne obenein. Sind wir denn unter Türken und Heiden, daß ein Vater nicht mehr mit seiner Tochter sicher ist? Herr Pätus, Sie sollen mir's nicht umsonst getan haben, ich sag's Ihnen, und sollt's bis an den Kurfürsten selber kommen. Unter die Soldaten mit solchen lüderlichen Hunden! Dem Kalbsfell folgen, das ist gescheiter! Schlingel seid ihr und keine Studenten!

PÄTUS
gibt ihm eine Ohrfeige.
Schimpf Er nicht; ich hab's Ihm fünfmal gesagt!
REHAAR
springt auf, das Schnupftuch vorm Gesicht.

So? Wart – Wenn ich doch nur den roten Fleck behalten könnte, bis ich vorn Magnifikus komme – Wenn ich ihn doch nur acht Tage behalten könnte, daß ich nach Dresden reise und ihn dem Kurfürsten zeige – Wart, es soll dir zu Hause kommen, wart, wart – Ist das erlaubt? Weint. Einen Lautenisten zu schlagen? weil er dir seine Tochter nicht geben will, daß du Lautchen auf ihr spielen kannst? – Wart, ich will's seiner Kurfürstlichen Majestät sagen, daß du mich ins Gesicht geschlagen hast. Die Hand soll dir abgehauen werden – Schlingel!


Läuft ab, Pätus will ihm nach; Fritz hält ihn zurück.
FRITZ.
Pätus! du hast schlecht gehandelt. Er war beleidigter Vater, du hättest ihn schonen sollen.
PÄTUS.
Was schimpfte der Schurke?
FRITZ.

Schimpfliche Handlungen verdienen Schimpf. Er konnte die Ehre seiner Tochter auf keine andere Weise rächen, aber es möchten sich Leute finden –

PÄTUS.
Was? Was für Leute?
FRITZ.

Du hast sie entehrt, du hast ihren Vater entehrt. Ein schlechter Kerl, der sich an Weiber und Musikanten wagt, die noch weniger als Weiber sind.

PÄTUS.
Ein schlechter Kerl?
[75]
FRITZ.
Du sollst ihm öffentlich abbitten.
PÄTUS.
Mit meinem Stock.
FRITZ.
So werd ich dir in seinem Namen antworten.
PÄTUS
schreit.
Was willst du von mir?
FRITZ.
Genugtuung für Rehaarn.
PÄTUS.
Du wirst mich doch nicht zwingen wollen, einfältiger Mensch –
FRITZ.
Ja, ich will dich zwingen, kein Schurke zu sein.
PÄTUS.
Du bist einer – du mußt dich mit mir schlagen.
FRITZ.
Herzlich gern – wenn du Rehaarn nicht Satisfaktion gibst.
PÄTUS.
Nimmermehr.
FRITZ.
Es wird sich zeigen.

5. Akt

1. Szene
Erste Szene
Die Schule.
Läuffer. Marthe, ein Kind auf dem Arm.

MARTHE.

Um Gotteswillen! helft einer armen blinden Frau und einem unschuldigen Kinde, das seine Mutter verloren hat.

LÄUFFER
gibt ihr was.
Wie seid Ihr denn hergekommen, da Ihr nicht sehen könnt?
MARTHE.

Mühselig genug. Die Mutter dieses Kindes war meine Leiterin; sie ging eines Tags aus dem Hause, zwei Tage nach ihrer Niederkunft, mittags ging sie fort und wollt auf den Abend wiederkommen, sie soll noch wiederkommen. Gott schenk ihr die ewige Freud und Herrlichkeit!

LÄUFFER.
Warum tut Ihr den Wunsch?
[76]
MARTHE.

Weil sie tot ist, das gute Weib; sonst hätte sie ihr Wort nicht gebrochen. Ein Arbeitsmann vom Hügel ist mir begegnet, der hat sie sich in Teich stürzen sehen. Ein alter Mann ist hinter ihr drein gewesen und hat sich nachgestürzt; das muß wohl ihr Vater gewest sein.

LÄUFFER.
O Himmel! Welch ein Zittern – Ist das ihr Kind?
MARTHE.

Das ist es; sehen Sie nur, wie rund es ist, von lauter Kohl und Rüben aufgefüttert. Was sollt ich Arme machen; ich konnt es nicht stillen, und da mein Vorrat auf war, macht ich's wie Hagar, nahm das Kind auf die Schulter und ging auf Gottes Barmherzigkeit.

LÄUFFER.

Gebt es mir auf den Arm – O mein Herz! – Daß ich's an mein Herz drücken kann – Du gehst mir auf, furchtbares Rätsel! Nimmt das Kind auf den Arm und tritt damit vor den Spiegel. Wie? dies wären nicht meine Züge? Fällt in Ohnmacht; das Kind fängt an zu schreien.

MARTHE.

Fallt Ihr hin? Hebt das Kind vom Boden auf. Suschen, mein liebes Suschen! Das Kind beruhigt sich. Hört! was habt Ihr gemacht? Er antwortet nicht: ich muß doch um Hülfe rufen; ich glaube, ihm ist weh worden. Geht hinaus.

2. Szene
Zweite Szene
Ein Wäldchen vor Leipzig.
Fritz von Berg und Pätus stehn mit gezogenem Degen. Rehaar.

FRITZ.
Wird es bald?
PÄTUS.
Willst du anfangen?
FRITZ.
Stoß du zuerst.
PÄTUS
wirft den Degen weg.
Ich kann mich mit dir nicht schlagen.
[77]
FRITZ.
Warum nicht? Nimm ihn auf. Hab ich dich beleidigt, so muß ich dir Genugtuung geben.
PÄTUS.
Du magst mich beleidigen wie du willst, ich brauch keine Genugtuung von dir.
FRITZ.
Du beleidigst mich.
PÄTUS
rennt auf ihn zu und umarmt ihn.

Liebster Berg! Nimm es für keine Beleidigung, wenn ich dir sage, du bist nicht im Stande mich zu beleidigen. Ich kenne dein Gemüt – und ein Gedanke daran macht mich zur feigsten Memme auf dem Erdboden. Laß uns gute Freunde bleiben, ich will mich gegen den Teufel selber schlagen, aber nicht gegen dich.

FRITZ.
So gib Rehaarn Satisfaktion, eh zieh ich nicht ab von hier.
PÄTUS.
Das will ich herzlich gern, wenn er's ver langt.
FRITZ.
Er ist immatrikuliert wie du; du hast ihn ins Gesicht geschlagen – Frisch Rehaar, zieht!
REHAAR
zieht.
Ja, aber er muß seinen Degen da nicht aufheben.
FRITZ.
Sie sind nicht gescheit. Wollen Sie gegen einen Menschen ziehen, der sich nicht wehren kann?
REHAAR.

Ei laß die gegen bewehrte Leute ziehen, die Courage haben. Ein Musikus muß keine Courage haben, und Herr Pätus, Er soll mir Satisfaktion geben Stößt auf ihn zu. Pätus weicht zurück. – Satisfaktion geben. Stößt Pätus in den Arm. Fritz legiert ihm den Degen.

FRITZ.
Jetzt seh ich, daß Sie Ohrfeigen verdienen, Rehaar. Pfui!
REHAAR.
Ja was soll ich denn machen, wenn ich kein Herz habe?
FRITZ.
Ohrfeigen einstecken und das Maul halten.
PÄTUS.

Still Berg! ich bin nur geschrammt. Herr Rehaar, ich bitt Sie um Verzeihung. Ich hätte Sie nicht schlagen sollen, da ich wußte, daß Sie nicht im Stande waren, Genugtuung zu fodern; vielweniger hätt ich Ihnen Ursache geben sollen, mich zu schimpfen. Ich gesteh's, diese [78] Rache ist noch viel zu gering für die Beleidigungen, die ich Ihrem Hause angetan: ich will sehen, sie auf eine bessere Weise gut zu machen, wenn das Schicksal meinen guten Vorsätzen beisteht. Ich will Ihrer Tochter nachreisen; ich will sie heiraten. In meinem Vaterlande wird sich schon eine Stelle für mich finden, und wenn auch mein Vater bei seinen Lebzeiten sich nicht besänftigen ließe, so ist mir doch eine Erbschaft von funfzehntausend Gulden gewiß. Umarmt ihn. Wollen Sie mir Ihre Tochter bewilligen?

REHAAR.

Ei was! Ich hab nichts dawider, wenn Ihr ordentlich und ehrlich um sie anhaltet und im Stand seid, sie zu versorgen – Ha ha ha, hab ich's doch mein Tag gesagt: mit den Studenten ist gut auskommen. Die haben doch noch Honettetät im Leibe, aber mit den Offiziers – Die machen einem Mädchen ein Kind und kräht nicht Hund oder Hahn nach: das macht, weil sie alle kuraschöse Leute sein und sich müssen totschlagen lassen. Denn wer Courage hat, der ist zu allen Lastern fähig.

FRITZ.

Sie sind ja auch Student. Kommen Sie; wir haben lange keinen Punsch zusammen gemacht; wir wollen auf die Gesundheit Ihrer Tochter trinken.

REHAAR.

Ja und Ihr Lautenkonzertchen dazu, Herr von Bergchen. Ich hab Ihnen jetzt drei Stund nach einander geschwänzt, und weil ich auch honett denke, so will ich heute dafür drei Stunden nach einander auf Ihrem Zimmerchen bleiben und wollen Lautchen spielen, bis dunkel wird.

PÄTUS.
Und ich will die Violin dazu streichen.
[79]
3. Szene
Dritte Szene
Die Schule.
Läuffer liegt zu Bette. Wenzeslaus.

WENZESLAUS.

Daß Gott! was gibt's schon wieder, daß Ihr mich von der Arbeit abrufen laßt? Seid Ihr schon wieder schwach? Ich glaube, das alte Weib war eine Hexe – Seit der Zeit habt Ihr keine gesunde Stunde mehr.

LÄUFFER.
Ich werd es wohl nicht lange mehr machen.
WENZESLAUS.
Soll ich Gevatter Schöpsen rufen lassen?
LÄUFFER.
Nein.
WENZESLAUS.

Liegt Euch was auf dem Gewissen? Sagt mir's, entdeckt mir's, unverhohlen. – Ihr blickt so scheu umher, daß es einem ein Grauen einjagt; frigidus per ossa – Sagt mir, was ist's? – Als ob er jemand tot geschlagen hätte – Was verzerrt Ihr denn die Lineamenten so – Behüt Gott, ich muß doch nur zu Schöpsen –

LÄUFFER.
Bleibt – Ich weiß nicht, ob ich recht getan – Ich habe mich kastriert ...
WENZESLAUS.

Wa – Kastrier – Da mach ich Euch meinen herzlichen Glückwunsch drüber, vortrefflich, junger Mann, zweiter Origenes! Laß dich um armen, teures, auserwähltes Rüstzeug! Ich kann's Euch nicht verhehlen, fast – fast kann ich dem Heldenvorsatz nicht widerstehen, Euch nachzuahmen. So recht, werter Freund! Das ist die Bahn, auf der Ihr eine Leuchte der Kirche, ein Stern erster Größe, ein Kirchenvater selber werden könnt. Ich glückwünsche Euch, ich ruf Euch ein Jubilate und Evoë zu, mein geistlicher Sohn – Wär ich nicht über die Jahre hinaus, wo der Teufel unsern ersten und besten Kräften sein arglistiges Netz ausstellt, gewiß ich würde mich keinen Augenblick bedenken. –

LÄUFFER.
Bei alle dem, Herr Schulmeister, gereut es mich.
WENZESLAUS.

Wie, es gereut Ihn? Das sei ferne, werter Herr Mitbruder! Er wird eine so edle Tat doch nicht [80] mit törichter Reue verdunkeln und mit sündlichen Tränen besudeln? Ich seh schon welche über Sein Augenlid hervorquellen. Schluck Er sie wieder hinunter und sing Er mit Freudigkeit: Ich bin der Nichtigkeit entbunden, nun Flügel, Flügel, Flügel her. Er wird es doch nicht machen wie Lots Weib und sich wieder nach Sodom umsehen, nachdem Er einmal das friedfertige stille Zoar erreicht hat? Nein, Herr Kollega; ich muß Ihm auch nur sagen, daß Er nicht der einzige ist, der den Gedanken gehabt hat. Schon unter den blinden Juden war eine Sekte, zu der ich mich gern öffentlich bekannt hätte, wenn ich nicht befürchtet, meine Nachbarn und meine armen Lämmer in der Schule damit zu ärgern; auch hatten sie freilich einige Schlacken und Torheiten dabei, die ich nun eben nicht mitmachen möchte. Zum Exempel, daß sie des Sonntags nicht einmal ihre Notdurft verrichteten, welches doch wider alle Regeln einer vernünftigen Diät ist, und halt ich's da lieber mit unserm seligen Doktor Luther: Was hinaufsteigt, das ist für meinen lieben Gott, aber was hinunter geht, Teufel, das ist für dich – Ja wo war ich?

LÄUFFER.
Ich fürchte, meine Bewegungsgründe waren von andrer Art ... Reue, Verzweiflung –
WENZESLAUS.

Ja, nun hab ich's – Die Essäer, sag ich, haben auch nie Weiber genommen; es war eins von ihren Grundgesetzen, und dabei sind sie zu hohem Alter kommen, wie solches im Josephus zu lesen. Wie die es nun angefangen, ihr Fleisch so zu bezähmen; ob sie es gemacht wie ich, nüchtern und mäßig gelebt und brav Toback geraucht, oder ob sie Euren Weg eingeschlagen – so viel ist gewiß, in amore, in amore omnia insunt vitia, und ein Jüngling, der diese Klippe vorbeischifft, Heil, Heil ihm, ich will ihm Lorbeern zuwerfen; lauro tempora cingam et sublimi fronte sidera pulsabit.

LÄUFFER.
Ich fürcht, ich werd an dem Schnitt sterben müssen.
WENZESLAUS.

Mit nichten, da sei Gott für. Ich will gleich [81] zu Gevatter Schöpsen. Der Fall wird ihm freilich noch nie vorgekommen sein, aber hat er Euch Euren Arm kuriert, welches doch eine Wunde war, die nicht zu Eurer Wohlfahrt diente, so wird ja Gott auch ihm Gnade zu einer Kur geben, die Euer ewiges Seelenheil befördern wird.


Geht ab.
LÄUFFER.

Sein Frohlocken verwundet mich mehr als mein Messer. O Unschuld, welch eine Perle bist du! Seit ich dich verloren, tat ich Schritt auf Schritt in der Leidenschaft und endigte mit Verzweiflung. Möchte dieser letzte mich nicht zum Tode führen, vielleicht könnt ich itzt wieder anfangen zu leben und zum Wenzeslaus wiedergeboren werden.

4. Szene
Vierte Szene
In Leipzig.
Fritz von Berg und Rehaar begegnen sich auf der Straße.

REHAAR.

Herr von Bergchen, ein Briefchen, unter meinem Kuvert gekommen. Herr von Seiffenblase hat an mich geschrieben; hat auch Lautchen bei mir gelernt vormals. Er bittet mich, ich soll doch diesen Brief einem gewissen Herrn von Berg in Leipzig abgeben, wenn er anders noch da wäre – O wie bin ich gesprungen!

FRITZ.
Wo hält er sich denn itzt auf, Seiffenblase?
REHAAR.

Soll es dem Herrn von Berg abgeben, schreibt er, wenn Sie anders diesen würdigen Mann kennen. O wie bin ich gesprungen – Er ist in Königsberg, der Herr von Seiffenblase. Was meinen Sie, und meine Tochter ist auch da und logiert ihm grad gegenüber. Sie schreibt mir, die Kathrinchen, daß sie nicht genug rühmen kann, was er ihr für Höflichkeit erzeigt, alles um meinetwillen; hat sieben Monat bei mir gelernt.

[82]
FRITZ
zieht die Uhr aus.
Liebster Rehaar, ich muß ins Kollegium – Sagen Sie Pätus nichts davon, ich bitte Sie – Geht ab.
REHAAR
ruft ihm nach.
Auf den Nachmittag – Konzertchen! –
5. Szene
Fünfte Szene
Zu Königsberg in Preußen.
Geheimer Rat, Gustchen, Major stehn in ihrem Hause am Fenster.

GEHEIMER RAT.
Ist er's?
GUSTCHEN.
Ja, er ist's.
GEHEIMER RAT.

Ich sehe doch, die Tante muß ein lüderliches Mensch sein, oder sie hat einen Haß auf ihre Nichte geworfen und will sie mit Fleiß ins Verderben stürzen.

GUSTCHEN.
Aber Onkel, sie kann ihm doch das Haus nicht verbieten.
GEHEIMER RAT.

Auf das, was ich ihr gesagt? – Wer will's ihr übel nehmen, wenn sie zu ihm sagte: Herr von Seiffenblase, Sie haben sich auf einem Kaffeehause verlauten lassen, Sie wollten meine Nichte zu Ihrer Mätresse machen, suchen Sie sich andre Bekanntschaften in der Stadt; bei mir kommen Sie unrecht: meine Nichte ist eine Ausländerin, die meiner Aufsicht anvertraut ist; die sonst keine Stütze hat; wenn sie verführt würde, fiel' alle Rechenschaft auf mich. Gott und Menschen müßten mich verdammen.

MAJOR.

Still Bruder! Er kommt heraus und läßt die Nase erbärmlich hängen. Ho, ho, ho, daß du die Krepanz! Wie blaß er ist.

GEHEIMER RAT.
Ich will doch gleich hinüber und sehn was es gegeben hat.
[83]
6. Szene
Sechste Szene
In Leipzig.
Pätus an einem Tisch und schreibt. Berg tritt herein einen Brief in der Hand.

PÄTUS
sieht auf und schreibt fort.
FRITZ.
Pätus! – Hast zu tun?
PÄTUS.
Gleich – Fritz spaziert auf und ab. Jetzt –Legt das Schreibzeug weg.
FRITZ.
Pätus! ich hab einen Brief bekommen – und hab nicht das Herz, ihn aufzumachen.
PÄTUS.
Von wo kommt er? Ist's deines Vaters Hand?
FRITZ.

Nein, von Seiffenblase – aber die Hand zittert mir, so bald ich erbrechen will. Brich doch auf, Bruder, und lies mir vor.


Wirft sich auf einen Lehnstuhl.
PÄTUS
liest.

»Die Erinnerung so mancher angenehmen Stunden, deren ich mich noch mit Ihnen genossen zu haben erinnere, verpflichtet mich, Ihnen zu schreiben und Sie an diese angenehme Stunden zu erinnern« – Was der Junge für eine rasende Orthographie hat.

FRITZ.
Lies doch nur –
PÄTUS.

»Und weil ich mich verpflichtet hielt, Ihnen Nachrichten von meiner Ankunft und den Neuigkeiten, die allhier vorgefallen, als melde Ihnen von Dero wertesten Familie, welche leider sehr viele Unglücksfälle in diesem Jahre erlebt hat, und wegen der Freundschaft, welche ich in Dero Eltern ihrem Hause genossen, sehe mich verpflichtet, weil ich weiß, daß Sie mit Ihrem Herrn Vater in Mißverständnis und er Ihnen lange wohl nicht wird geschrieben haben, so werden Sie auch wohl den Unglücksfall nicht wissen mit dem Hofmeister, welcher aus Ihres gnädigen Onkels Hause ist gejagt worden, weil er Ihre Kusine genotzüchtigt, worüber sie sich so zu Gemüt gezogen, daß sie in einen Teich gesprungen, durch welchen Trauerfall Ihre ganze Familie in den höchsten [84] Schröcken« – Berg! was ist dir – Begießt ihn mit Lavendel. Wie nun Berg? Rede, wird dir weh – Hätt ich dir doch den verdammten Brief nicht – Ganz gewiß ist's eine Erdichtung – Berg! Berg!

FRITZ.
Laß mich – Es wird schon übergehn.
PÄTUS.
Soll ich jemand holen, der dir die Ader schlägt.
FRITZ.
O pfui doch – tu doch so französisch nicht – Lies mir's noch einmal vor.
PÄTUS.
Ja, ich werde dir – Ich will den hundsföttischen maliziösen Brief den Agenblick –

Zerreißt ihn.
FRITZ.

Genotzüchtigt – ersäuft. Schlägt sich an die Stirn. Meine Schuld! Steht auf. meine Schuld einzig und allein –

PÄTUS.
Du bist wohl nicht klug – Willst dir die Schuld geben, daß sie sich vom Hofmeister verführen läßt –
FRITZ.

Pätus, ich schwur ihr, zurückzukommen, ich schwur ihr – Die drei Jahr sind verflossen, ich bin nicht gekommen, ich bin aus Halle fortgangen, mein Vater hat keine Nachrichten von mir gehabt. Mein Vater hat mich aufgeben, sie hat es erfahren, Gram – du kennst ihren Hang zur Melancholei –, die Strenge ihrer Mutter obenein, Einsamkeit auf dem Lande, betrogne Liebe – Siehst du das nicht ein, Pätus; siehst du das nicht ein? Ich bin ein Bösewicht: ich bin schuld an ihrem Tode.


Wirft sich wieder in den Stuhl und verhüllt sein Gesicht.
PÄTUS.

Einbildungen! – Es ist nicht wahr, es ist so nicht gegangen. Stampft mit dem Fuß. Tausend Sapperment, daß du so dumm bist und alles glaubst, der Spitzbube, der Hundsfut, der Bärenhäuter, der Seiffenblase will dir einen Streich spielen – Laß mich ihn einmal zu sehen kriegen. – Es ist nicht wahr, daß sie tot ist, und wenn sie tot ist, so hat sie sich nicht selbst umgebracht ...

FRITZ.
Er kann doch das nicht aus der Luft saugen – Selbst umgebracht – Springt auf. O das ist entsetzlich!
PÄTUS
stampft abermal mit dem Fuß.

Nein, sie hat sich [85] selbst nicht umgebracht. Seiffenblase lügt; wir müssen mehr Bestätigung haben. Du weißt, daß du ihm einmal im Rausch erzählt hast, daß du in deine Kusine verliebt wärst; siehst du, das hat die maliziöse Kanaille aufgefangen – aber weißt du was; weißt du, was du tust? Hust ihm was; pfeif ihm was; pfui ihm was, schreib ihm, Ew. Edlen danke dienstfreundlichst für Dero Neuigkeiten, und bitte, Sie wollen mich im – Das ist der beste Rat, schreib ihm zurück: Ihr seid ein Hundsfut. Das ist das Vernünftigste, was du bei der Sache tun kannst.

FRITZ.
Ich will nach Hause reisen.
PÄTUS.
So reis ich mit dir – Berg, ich laß dich keinen Augenblick allein.
FRITZ.

Aber wovon? Reisen ist bald ausgesprochen – Wenn ich keine abschlägige Antwort befürchtete, so wollt ich es bei Leichtfuß et Compagnie versuchen, aber ich bin ihnen schon hundertfunfzig Dukaten schuldig –

PÄTUS.

Wir wollen beide zusammen hingehn – Wart, wir müssen die Lotterie vorbei. Heut ist die Post aus Hamburg angekommen, ich will doch unterwegs nachfragen; zum Spaß nur –

7. Szene
Siebente Szene
In Königsberg.
Geheimer Rat führt Jungfer Rehaar an der Hand. Augustchen. Major.

GEHEIMER RAT.

Hier, Gustchen, bring ich dir eine Gespielin. Ihr seid in einem Alter, einem Verhältnisse – Gebt euch die Hand und seid Freundinnen.

GUSTCHEN.

Das bin ich lange gewesen, liebe Mamsell! Ich weiß nicht, was es war, das in meinem Busen auf- und [86] abstieg, wenn ich Sie aus dem Fenster sah; aber Sie waren in so viel Zerstreuungen verwickelt, so mit Kutschenbesuchen und Serenaden belästigt, daß ich mit meinem Besuch zu unrechter Zeit zu kommen fürchtete.

JUNGFER REHAAR.

Ich wäre Ihnen zuvorgekommen, gnädiges Fräulein, wenn ich das Herz gehabt. Allein in ein so vornehmes Haus mich einzudrängen, hielt ich für unbesonnen und mußte dem Zug meines Herzens, das mich schon oft bis vor Ihre Tür geführt hat, allemal mit Gewalt widerstehen.

GEHEIMER RAT.

Stell dir vor, Major: der Seiffenblase hat auf die Warnung, die ich der Frau Dutzend tat und die sie ihm wieder erzählt hat, und zwar, wie ich's verlangt, unter meinem Namen, geantwortet: er werde sich schon an mir zu rächen wissen. Er hat alles das so gut von sich abzulehnen gewußt und ist gleich Tags drauf mit dem Minister Deichsel hingefahren kommen, daß die arme Frau das Herz nicht gehabt, sich seine Besuche zu verbitten. Gestern nacht hat er zwei Wagen in diese Straße bestellt und einen am Brandenburger Tor, das wegen des Feuerwerks offen blieb; das erfährt die Madam gestern vormittag schon. Den Nachmittag will er für Henkers Gewalt die Mamsell überreden, mit ihm zum Minister auf die Assemblee zu fahren, aber Madam Dutzend traute dem Frieden nicht und hat's ihm rund abgeschlagen. Zweimal ist er vor die Tür gefahren, aber hat wieder umkehren müssen; da seine Karte also verzettelt war, wollt er's heut probieren. Madam Dutzend hat ihm nicht allein das Haus verboten, sondern zugleich angedeutet: sie sehe sich genötigt, sich vom Gouverneur Wache vor ihrem Hause auszubitten. Da hat er Flammen gespien, hat mit dem Minister gedroht – Um die Madam völlig zu beruhigen, hab ich ihr angetragen, die Mamsell in unser Haus zu nehmen. Wir wollen sie auf ein halb Jahr nach Insterburg mitnehmen, [87] bis Seiffenblase sie vergessen hat, oder so lang als es ihr selber nur da gefallen kann –

MAJOR.

Ich hab schon anspannen lassen. Wenn wir nach Heidelbrunn fahren, Mamsell, so laß ich Sie nicht los. Sie müssen mit, oder meine Tochter bleibt mit Ihnen in Insterburg.

GEHEIMER RAT.

Das wär wohl am besten. Ohnehin taugt das Land für Gustchen nicht, und Mamsell Rehaar laß ich nicht von mir.

MAJOR.
Gut, daß deine Frau dich nicht hört – oder hast du Absichten auf deinen Sohn?
GEHEIMER RAT.

Mach das gute Kind nicht rot. Sie werden ihn in Leipzig oft genug müssen gesehen haben, den bösen Buben. Gustchen, du wirst zur Gesellschaft mit rot? Er verdient's nicht.

GUSTCHEN.
Da mein Vater mir vergeben hat, sollte Ihr Sohn ein minder gütiges Herz bei Ihnen finden?
GEHEIMER RAT.
Er ist auch noch in keinen Teich gesprungen.
MAJOR.

Wenn wir nur das blinde Weib mit dem Kinde ausfündig gemacht hätten, von dem mir der Schulmeister schreibt; eh kann ich nicht ruhig werden – Kommt! ich muß noch heut auf mein Gut.

GEHEIMER RAT.
Daraus wird nichts. Du mußt die Nacht in Insterburg schlafen.
8. Szene
Achte Szene
Leipzig.
Bergs Zimmer.
Fritz von Berg sitzt, die Hand untern Kopf gestützt. Pätus stürzt herein.

PÄTUS.

Triumph Berg! Was kalmäuserst du? – Gott! Gott! Greift sich an den Kopf und fällt auf die Knie. [88] Schicksal! Schicksal! – Nicht wahr, Leichtfuß hat dir nicht vorschießen wollen? Laß ihn dich – Ich hab Geld, ich hab alles – Dreihundert achtzig Friedrichsd'or gewonnen auf einem Zug!Springt auf und schreit. Heidideldum, nach Insterburg! Pack ein!

FRITZ.
Bist du närrisch worden?
PÄTUS
zieht einen Beutel mit Gold hervor und wirft alles auf die Erde.

Da ist meine Narrheit. Du bist ein Narr mit deinem Unglauben – Nun hilf auflesen; buck dich etwas – und heut noch nach Insterburg, juchhe! Lesen auf. Ich will meinem Vater die achtzig Friedrichsd'or schenken, so viel betrug grad mein letzter Wechsel, und zu ihm sagen: Nun Herr Papa, wie gefall ich Ihnen itzt? All deine Schulden können wir bezahlen, und meine obenein, und denn reisen wir wie die Prinzen. Juchhe!

9. Szene
Neunte Szene
Die Schule.
Wenzeslaus. Läuffer. Beide in schwarzen Kleidern.

WENZESLAUS.
Wie hat Ihm die Predigt gefallen, Kollege! Wie hat Er sich erbaut?
LÄUFFER.
Gut, recht gut.

Seufzt.
WENZESLAUS
nimmt seine Perücke ab und setzt eine Nachtmütze auf.

Damit ist's nicht ausgemacht. Er soll mir sagen, welche Stelle aus der Predigt vorzüglich gesegnet an Seinem Herzen gewesen. Hör Er – setz Er sich. Ich muß Ihm was sagen; ich hab eine Anmerkung in der Kirche gemacht, die mich gebeugt hat. Er hat mir da so wetterwendisch gesessen, daß ich mich Seiner, die Wahrheit zu sagen, vor der ganzen Gemeine geschämt habe und dadurch oft fast aus meinem Konzept kommen bin. Wie, dacht ich, dieser junge Kämpfer, der so ritterlich [89] durchgebrochen und den schwersten Strauß schon gewissermaßen überwunden hat – Ich muß es Ihm bekennen: Er hat mich geärgert, σκανδαλον εδιδους, έταιρε! Ich hab's wohl gemerkt, wohin es ging, ich hab's wohl gemerkt; immer nach der mittlern Tür zu, da nach der Orgel hinunter.

LÄUFFER.

Ich muß bekennen, es hing ein Gemälde dort, das mich ganz zerstreut hat. Der Evangelist Markus mit einem Gesicht, das um kein Haar menschlicher aussah als der Löwe, der bei ihm saß, und der Engel beim Evangelisten Matthäus eher einer geflügelten Schlange ähnlich.

WENZESLAUS.

Es war nicht das, mein Freund! bild Er mir's nicht ein; es war nicht das. Sag Er mir doch, ein Bild sieht man an und sieht wieder weg, und dann ist's alles. Hat Er denn gehört, was ich gesagt habe? Weiß Er mir Ein Wort aus meiner Predigt wieder anzuführen? Und sie war doch ganz für Ihn gehalten; ganz kasuistisch – O! o! o!

LÄUFFER.

Der Gedanke gefiel mir vorzüglich, daß zwischen unsrer Seele und ihrer Wiedergeburt und zwischen dem Flachs- und Hanfbau eine große Ähnlichkeit herrsche, und so wie der Hanf im Schneidebrett durch heftige Stöße und Klopfen von seiner alten Hülse befreit werden müsse, so müsse unser Geist auch durch allerlei Kreuz und Leiden und Ertötung der Sinnlichkeit für den Himmel zubereitet werden.

WENZESLAUS.
Er war kasuistisch, mein Freund –
LÄUFFER.

Doch kann ich Ihnen auch nicht bergen, daß Ihre Liste von Teufeln, die aus dem Himmel gejagt worden, und die Geschichte der ganzen Revolution da, daß Luzifer sich für den schönsten gehalten – Die heutige Welt ist über den Aberglauben längst hinweg; warum will man ihn wieder aufwärmen. In der ganzen heutigen vernünftigen Welt wird kein Teufel mehr statuiert –

WENZESLAUS.

Darum wird auch die ganze heutige vernünftige [90] Welt zum Teufel fahren. Ich mag nicht verdammen, lieber Herr Mandel; aber das ist wahr, wir leben in seelenverderblichen Zeiten: es ist die letzte böse Zeit. Ich mag mich drüber weiter nicht auslassen: ich seh wohl, Er ist ein Zweifler auch, und auch solche Leute muß man tragen. Es wird schon kommen; Er ist noch jung – aber gesetzt auch, posito auch, aber nicht zugestanden, unsere Glaubenslehren wären all Aberglauben über Geister, über Höll, über Teufel da – was tut's euch, was beißt's euch, daß ihr euch so mit Händen und Füßen dagegen wehrt? Tut nichts Böses, tut recht, und denn so braucht ihr die Teufel nicht zu scheuen, und wenn ihrer mehr wären wie Ziegel auf dem Dach, wie der selige Lutherus sagt. Und Aberglauben – O schweigt still, schweigt still, lieben Leut. Erwägt erst mit reifem Nachdenken, was der Aberglaube bisher für Nutzen gestiftet hat, und denn habt mir noch das Herz, mit euren nüchternen Spötteleien gegen mich anzuziehen. Reutet mir den Aberglauben aus; ja wahrhaftig der rechte Glaub wird mit drauf gehn und ein nacktes Feld da bleiben. Aber ich weiß jemand, der gesagt hat, man soll beides wachsen lassen, es wird schon die Zeit kommen, da Kraut sich von dem Unkraut scheiden wird. Aberglauben – nehmt dem Pöbel seinen Aberglauben, er wird freigeistern wie ihr und euch vor den Kopf schlagen. Nehmt dem Bauer seinen Teufel, und er wird ein Teufel gegen seine Herrschaft werden und ihr beweisen, daß es welche gibt. Aber wir wollen das bei Seite setzen – Wovon redt' ich doch? – Recht, sag Er mir, wen hat Er angesehen in der ganzen Predigt? Verhehl Er mir nichts. Ich war es nicht, denn sonst müßt Er schielen, daß es eine Schande wäre.

LÄUFFER.
Das Bild.
WENZESLAUS.

Es war nicht das Bild – Dort unten, wo die Mädchen sitzen, die bei ihm in die Kinderlehre gehen – Lieber Freund! es wird doch nichts vom alten Sauerteig [91] in Seinem Herzen geblieben sein – Ei, ei! wer einmal geschmeckt hat die Kräfte der zukünftigen Welt – Ich bitt Ihn, mir stehn die Haare zu Berge – Nicht wahr, die eine da mit dem gelben Haar so nachlässig unter das rote Häubchen gesteckt und mit den lichtbraunen Augen, die allemal unter den schwarzen Augbraunen so schalkhaft hervorblinzen wie die Sterne hinter Regenwolken – Es ist wahr, das Mädchen ist gefährlich; ich hab's nur einmal von der Kanzel angesehn und mußte hernach allemal die Augen platt zudrücken, wenn sie auf sie fielen, sonst wär mir's gegangen wie den weisen Männern im Areopagus, die Recht und Gerechtigkeit vergaßen um einer schnöden Phryne willen. – Aber sag Er mir doch, wo will Er hin, daß Er sich noch bösen Begierden überläßt, da's Ihm sogar an Mitteln fehlt, sie zu befriedigen? Will Er sich dem Teufel ohne Sold dahingeben? Ist das das Gelübd, das Er dem Herrn getan – ich rede als Sein geistlicher Vater mit Ihm –, Er, der itzt mit so wenig Mühe über alle Sinnlichkeit triumphieren, über die Erde sich hinausschwingen und bessern Revieren zufliegen könnte. Umarmt ihn. Ach mein lieber Sohn, bei diesen Tränen, die ich aus wahrer herzlicher Sorgfalt für Ihn vergieße: kehr Er nicht zu den Fleischtöpfen Ägyptens zurück, da Er Kanaan so nahe war! Eile, eile! rette deine unsterbliche Seele! Du hast auf der Welt nichts, das dich mehr zurückhalten könnte. Die Welt hat nichts mehr für dich, womit sie deine Untreu dir einmal belohnen könnte; nicht einmal eine sinnliche Freude, geschweige denn Ruhe der Seelen – Ich geh und überlasse dich deinen Entschließungen. Geht ab. Läuffer bleibt in tiefen Gedanken sitzen.

[92]
10. Szene
Zehnte Szene
Lise tritt herein, ein Gesangbuch in der Hand, ohne daß er sie gewahr wird. Sie sieht ihm lang stillschweigend zu. Er springt auf, will knien; wird sie gewahr und sieht sie eine Weile verwirrt an.

LÄUFFER
nähert sich ihr.
Du hast eine Seele dem Himmel gestohlen. Faßt sie an die Hand. Was führt dich hieher, Lise?
LISE.

Ich komme, Herr Mandel – Ich komme, weil Sie gesagt haben, es würd morgen keine Kinderlehr – weil Sie – so komm ich – gesagt haben – Ich komme, zu fragen, ob morgen Kinderlehre sein wird.

LÄUFFER.

Ach! – – Seht diese Wangen, ihr Engel! wie sie in unschuldigem Feuer brennen, und denn verdammt mich, wenn ihr könnt – – Lise, warum zittert deine Hand? Warum sind dir die Lippen so bleich und die Wangen so rot? Was willst du?

LISE.
Ob morgen Kinderlehr sein wird?
LÄUFFER.

Setz dich zu mir nieder – Leg dein Gesangbuch weg – Wer steckt dir das Haar auf, wenn du nach der Kirche gehst?


Setzt sie auf einen Stuhl neben seinem.
LISE
will aufstehn.

Verzeih Er mir; die Haube wird wohl nicht recht gesteckt sein; es macht' einen so erschrecklichen Wind, als ich zur Kirche kam.

LÄUFFER
nimmt ihre beiden Hände in seine Hand.

O du bist – Wie alt bist du, Lise? – Hast du niemals – Was wollt ich doch fragen – Hast du nie Freier gehabt?

LISE
munter.

O ja einen, noch die vorige Woche; und des Schafwirts Grete war so neidisch auf mich und hat immer gesagt: ich weiß nicht, was er sich um das einfältige Mädchen so viel Mühe macht; und denn hab ich auch noch einen Offizier gehabt; es ist noch kein Vierteljahr.

LÄUFFER.
Einen Offizier?
LISE.

Ja doch, und einer von den recht vornehmen. Ich [93] sag Ihnen, er hat drei Tressen auf dem Arm gehabt: aber ich war noch zu jung und mein Vater wollt mich ihm nicht geben, wegen des soldatischen Wesens und Ziehens.

LÄUFFER.
Würdest du – O ich weiß nicht, was ich rede – Würdest du wohl – Ich Elender!
LISE.
O ja, von ganzem Herzen.
LÄUFFER.
Bezaubernde! – Will ihr die Hand küssen. Du weißt ja noch nicht, was ich fragen wollte.
LISE
zieht sie weg.

O lassen Sie, meine Hand ist ja so schwarz – O pfui doch! Was machen Sie? Sehen Sie, einen geistlichen Herrn hätt ich allewege gern: von meiner ersten Jugend an hab ich die studierte Herren immer gern gehabt; sie sind alleweil so artig, so manierlich, nicht so puff paff wie die Soldaten, obschon ich einewege die auch gern habe, das leugn ich nicht, wegen ihrer bunten Röcke; ganz gewiß, wenn die geistlichen Herren in so bunten Röcken gingen wie die Soldaten, das wäre zum Sterben.

LÄUFFER.

Laß mich deinen mutwilligen Mund mit meinen Lippen zuschließen! Küßt sie. O Lise! Wenn du wüßtest, wie unglücklich ich bin.

LISE.
O pfui, Herr, was machen Sie?
LÄUFFER.
Noch einmal und denn ewig nicht wieder!

Küßt sie. Wenzeslaus tritt herein.
WENZESLAUS.

Was ist das? Proh deum atque hominum fidem! Wie nun, falscher, falscher, falscher Prophet! Reißender Wolf in Schafskleidern! Ist das die Sorgfalt, die du deiner Herde schuldig bist? Die Unschuld selber verführen, die du vor Verführung bewahren sollst? Es muß ja Ärgernis kommen, doch wehe dem Menschen, durch welchen Ärgernis kommt!

LÄUFFER.
Herr Wenzeslaus!
WENZESLAUS.

Nichts mehr! Kein Wort mehr! Ihr habt Euch in Eurer wahren Gestalt gezeigt. Aus meinem Hause, Verführer!

[94]
LISE
kniet vor Wenzeslaus.
Lieber Herr Schulmeister, er hat mir nichts Böses getan.
WENZESLAUS.

Er hat dir mehr Böses getan, als dir dein ärgster Feind tun könnte. Er hat dein unschuldiges Herz verführt.

LÄUFFER.

Ich bekenne mich schuldig – Aber kann man so vielen Reizungen widerstehen? Wenn man mir dies Herz aus dem Leibe risse und mich Glied vor Glied verstümmelte und ich behielt' nur eine Ader von Blut noch übrig, so würde diese verrätrische Ader doch für Lisen schlagen.

LISE.
Er hat mir nichts Leides getan.
WENZESLAUS.
Dir nichts Leides getan – Himmlischer Vater!
LÄUFFER.

Ich hab ihr gesagt, daß sie die liebenswürdigste Kreatur sei, die jemals die Schöpfung beglückt hat; ich hab ihr das auf ihre Lippen gedrückt; ich hab diesen unschuldigen Mund mit meinen Küssen versiegelt, welcher mich sonst durch seine Zaubersprache zu noch weit größeren Verbrechen würde hingerissen haben.

WENZESLAUS.

Ist das kein Verbrechen? Was nennt Ihr jungen Herrn heut zu Tage Verbrechen? O tempora, o mores! Habt Ihr den Valerius Maximus gelesen? Habt Ihr den Artikel gelesen de pudicitia? Da führt er einen Mänius an, der seinen Freigelassenen totgeschlagen hat, weil er seine Tochter ein mal küßte, und die Raison: ut etiam oscula ad maritum sincera perferret. Riecht Ihr das? Schmeckt Ihr das? Etiam oscula, non solum virginitatem, etiam oscula. Und Mänius war doch nur ein Heide: was soll ein Christ tun, der weiß, daß der Ehstand von Gott eingesetzt ist und daß die Glückseligkeit eines solchen Standes an der Wurzel vergiften, einem künftigen Gatten in seiner Gattin seine Freud und Trost verderben, seinen Himmel profanieren – Fort, aus meinen Augen, Ihr Bösewicht! Ich mag mit Euch nichts zu tun haben! Geht zu einem Sultan und laßt Euch zum Aufseher über ein Serail dingen, aber nicht [95] zum Hirten meiner Schafe. Ihr Mietling! Ihr reißender Wolf in Schafskleidern!

LÄUFFER.
Ich will Lisen heiraten.
WENZESLAUS.
Heiraten – Ei ja doch – als ob sie mit einem Eunuch zufrieden?
LISE.
O ja, ich bin's herzlich wohl zufrieden, Herr Schulmeister.
LÄUFFER.
Ich Unglücklicher!
LISE.

Glauben Sie mir, lieber Herr Schulmeister, ich laß einmal nicht von ihm ab. Nehmen Sie mir das Leben; ich lasse nicht ab von ihm. Ich hab ihn gern und mein Herz sagt mir, daß ich niemand auf der Welt so gern haben kann als ihn.

WENZESLAUS.

So – daß doch – Lise, du verstehst das Ding nicht – Lise, es läßt sich dir so nicht sagen, aber du kannst ihn nicht heiraten; es ist unmöglich.

LISE.

Warum soll es denn unmöglich sein, Herr Schulmeister? Wie kann's unmöglich sein, wenn ich will und wenn er will, und mein Vater auch es will? Denn mein Vater hat mir immer gesagt, wenn ich einmal einen geistlichen Herrn bekommen könnte –

WENZESLAUS.
Aber daß dich der Kuckuck, er kann ja nichts – Gott verzeih mir meine Sünde, so laß dir doch sagen.
LÄUFFER.
Vielleicht fodert sie das nicht – Lise, ich kann bei dir nicht schlafen.
LISE.

So kann Er doch wachen bei mir, wenn wir nur den Tag über beisammen sind und uns so anlachen und uns einsweilen die Hände küssen – Denn bei Gott! ich hab ihn gern. Gott weiß es, ich hab Ihn gern.

LÄUFFER.

Sehn Sie, Herr Wenzeslaus! Sie verlangt nur Liebe von mir. Und ist's denn notwendig zum Glück der Ehe, daß man tierische Triebe stillt?

WENZESLAUS.

Ei was – Connubium sine prole, est quasi dies sine sole ... Seid fruchtbar und mehret euch, steht in Gottes Wort. Wo Eh ist, müssen auch Kinder sein.

LISE.

Nein Herr Schulmeister, ich schwör's Ihm, in meinem [96] Leben möcht ich keine Kinder haben. Ei ja doch, Kinder! Was Sie nicht meinen! Damit wär mir auch wohl groß gedient, wenn ich noch Kinder dazu bekäme. Mein Vater hat Enten und Hühner genug, die ich alle Tage füttern muß; wenn ich noch Kinder obenein füttern müßte.

LÄUFFER
küßt sie.
Göttliche Lise!
WENZESLAUS
reißt sie von einander.

Ei was denn! Was denn! Vor meinen Augen? – So kriecht denn zusammen; meinetwegen; weil doch Heiraten besser ist als Brunst leiden – Aber mit uns, Herr Mandel, ist es aus: alle große Hoffnungen, die ich mir von Ihm gemacht, alle große Erwartungen, die mir Sein Heldenmut einflößte – Gütiger Himmel! wie weit ist doch noch die Kluft, die zwischen einem Kirchenvater und zwischen einem Kapaun befestigt ist. Ich dacht, er sollte Origenes der Zweite – O homuncio, homuncio! Das müßt ein ganz andrer Mann sein, der aus Absicht und Grundsätzen den Weg einschlüge, um ein Pfeiler unsrer sinkenden Kirche zu werden. Ein ganz anderer Mann! Wer weiß, was noch einmal geschicht! Geht ab.

LÄUFFER.

Komm zu deinem Vater, Lise! seine Einwilligung noch und ich bin der glücklichste Mensch auf dem Erdboden!

11. Szene
Eilfte Szene
Zu Insterburg.
Geheimer Rat. Fritz von Berg. Pätus. Gustchen. Jungfer Rehaar. Gustchen und Jungfer Rehaar verstecken sich bei der Ankunft der erstern in die Kammer. Geheimer Rat und Fritz laufen sich entgegen.

FRITZ
fällt vor ihm auf die Knie.
Mein Vater!
GEHEIMER RAT
hebt ihn auf und umarmt ihn.
Mein Sohn!
[97]
FRITZ.
Haben Sie mir vergeben?
GEHEIMER RAT.
Mein Sohn!
FRITZ.
Ich bin nicht wert, daß ich Ihr Sohn heiße.
GEHEIMER RAT.

Setz dich; denk mir nicht mehr dran. Aber wie hast du dich in Leipzig erhalten? Wieder Schulden auf meine Rechnung gemacht? Nicht? und wie bist du fortkommen?

FRITZ.
Dieser großmütige Junge hat alles für mich bezahlt.
GEHEIMER RAT.
Wie denn?
PÄTUS.
Dieser noch großmütigere – O ich kann nicht reden.
GEHEIMER RAT.
Setzt euch Kinder; sprecht deutlicher. Hat Ihr Vater sich mit Ihnen ausgesöhnt, Herr Pätus?
PÄTUS.
Keine Zeile von ihm gesehen.
GEHEIMER RAT.
Und wie habt ihr's denn beide gemacht?
PÄTUS.
In der Lotterie gewonnen, eine Kleinigkeit – aber es kam uns zu statten, da wir herreisen wollten.
GEHEIMER RAT.

Ich seh, ihr wilde Bursche denkt besser als eure Väter. Was hast du wohl von mir gedacht, Fritz? Aber man hat dich auch bei mir verleumdet.

PÄTUS.
Seiffenblase gewiß?
GEHEIMER RAT.
Ich mag ihn nicht nennen; das gäbe Katzbalgereien, die hier am unrechten Ort wären.
PÄTUS.
Seiffenblase! Ich laß mich hängen.
GEHEIMER RAT.
Aber was führt dich denn nach Hause zurück, eben jetzt da –?
FRITZ.
Fahren Sie fort – O das eben jetzt, mein Vater! das eben jetzt ist's, was ich wissen wollte.
GEHEIMER RAT.
Was denn? was denn?
FRITZ.
Ist Gustchen tot?
GEHEIMER RAT.
Holla, der Liebhaber! – Was veranlaßt dich, so zu fragen?
FRITZ.
Ein Brief von Seiffenblase.
GEHEIMER RAT.
Er hat dir geschrieben: sie wäre tot?
FRITZ.
Und entehrt dazu.
[98]
PÄTUS.
Es ist ein verleumderscher Schurke!
GEHEIMER RAT.
Kennst du eine Jungfer Rehaar in Leipzig?
FRITZ.
O ja, ihr Vater war mein Lautenmeister.
GEHEIMER RAT.

Die hat er entehren wollen; ich hab sie von seinen Nachstellungen errettet: das hat ihn uns feind gemacht.

PÄTUS
steht auf.
Jungfer Rehaar – Der Teufel soll ihn holen.
GEHEIMER RAT.
Wo wollen Sie hin?
PÄTUS.
Ist er in Insterburg?
GEHEIMER RAT.

Nein doch – Nehmen Sie sich der Prinzessinnen nicht zu eifrig an, Herr Ritter von der runden Tafel! Oder haben Sie Jungfer Rehaar auch gekannt?

PÄTUS.
Ich? Nein, ich habe sie nicht gekannt – Ja, ich habe sie gekannt.
GEHEIMER RAT.
Ich merke – – Wollen Sie nicht auf einen Augenblick in die Kammer spazieren?

Führt ihn an die Tür.
PÄTUS
macht auf und fährt zurück, sich mit beiden Händen an den Kopf greifend.

Jungfer Rehaar – Zu Ihren Füßen – Hinter der Szene. Bin ich so glücklich? oder ist's nur ein Traum? ein Rausch? – eine Bezauberung? – –

GEHEIMER RAT.
Lassen wir ihn! – Kehrt zu Fritz. Und du denkst noch an Gustchen?
FRITZ.
Sie haben mir das furchtbare Rätsel noch nicht aufgelöst. Hat Seiffenblase gelogen?
GEHEIMER RAT.
Ich denke, wir reden hernach davon: wir wollen uns die Freud itzt nicht verderben.
FRITZ
kniend.

O mein Vater, wenn Sie noch Zärtlichkeit für mich haben, lassen Sie mich nicht zwischen Himmel und Erde, zwischen Hoffnung und Verzweiflung schweben. Darum bin ich gereist; ich konnte die qualvolle Ungewißheit nicht länger aushalten. Lebt Gustchen? Ist's wahr, daß sie entehrt ist?

GEHEIMER RAT.
Es ist leider nur eine zu traurige Wahrheit.
[99]
FRITZ.
Und hat sich in einen Teich gestürzt?
GEHEIMER RAT.
Und ihr Vater hat sich ihr nachgestürzt.
FRITZ.
So falle denn Henkers Beil – Ich bin der Unglücklichste unter den Menschen!
GEHEIMER RAT.
Steh auf! Du bist unschuldig dran.
FRITZ.

Nie will ich aufstehn. Schlägt sich an die Brust. Schuldig war ich; einzig und allein schuldig. Gustchen, seliger Geist, verzeihe mir!

GEHEIMER RAT.
Und was hast du dir vorzuwerfen?
FRITZ.

Ich habe geschworen, falsch geschworen – Gustchen! wär es erlaubt, dir nachzuspringen!Steht hastig auf. Wo ist der Teich?

GEHEIMER RAT.
Hier!

Führt ihn in die Kammer.
FRITZ
hinter der Szene mit lautem Geschrei.

Gustchen! – Seh ich ein Schattenbild? – Himmel! Himmel welche Freude! – Laß mich sterben! laß mich an deinem Halse sterben.

GEHEIMER RAT
wischt sich die Augen.
Eine zärtliche Gruppe! – Wenn doch der Major hier wäre!Geht hinein.
12. Szene
Letzte Szene
Der Major, ein Kind auf dem Arm. Der alte Pätus.

MAJOR.

Kommen Sie, Herr Pätus. Sie haben mir das Leben wiedergegeben. Das war der einzige Wurm, der mir noch dran nagte. Ich muß Sie meinem Bruder präsentieren, und Ihre alte blinde Großmutter will ich in Gold einfassen lassen.

DER ALTE PÄTUS.

O meine Mutter hat mich durch ihren unvermuteten Besuch weit glücklicher gemacht als Sie. Sie haben nur einen Enkel wiedererhalten, der Sie an traurige Geschichten erinnert; ich aber eine Mutter, die mich an die angenehmsten Szenen meines Lebens erinnert, und deren mütterliche Zärtlichkeit ich leider [100] noch durch nichts habe erwidern können als Haß und Undankbarkeit. Ich habe sie aus dem Hause gestoßen, nachdem sie mir den ganzen Nachlaß meines Vaters und ihr Vermögen mit übergeben hatte; ich habe ärger gegen sie gehandelt als ein Tiger – Welche Gnade von Gott ist es, daß sie noch lebt, daß sie mir noch verzeihen kann, die großmütige Heilige! daß es noch in meine Gewalt gestellt ist, meine verfluchte Verbrechen wieder gut zu machen.

MAJOR.

Bruder Berg! wo bist du? He! Geheimer Rat kömmt. Hier ist mein Kind, mein Großsohn. Wo ist Gustchen? Mein allerliebstes Großsöhnchen! Schmeichelt ihm. meine allerliebste närrische Puppe!

GEHEIMER RAT.
Das ist vortrefflich! – und Sie, Herr Pätus?
MAJOR.

Sie Herr Pätus hat's mir verschafft – – Seine Mutter war das alte blinde Weib, die Bettlerin, von der uns Gustchen so viel erzählt hat.

DER ALTE PÄTUS.

Und durch mich Bettlerin – – O die Scham bindt mir die Zunge. Aber ich will's der ganzen Welt erzählen, was ich für ein Ungeheuer war –

GEHEIMER RAT.

Weißt du was Neues, Major? Es finden sich Freier für deine Tochter – aber dring nicht in mich, dir den Namen zu sagen.

MAJOR.
Freier für meine Tochter! – Wirft das Kind ins Kanapee. Wo ist sie?
GEHEIMER RAT.
Sacht! ihr Freier ist bei ihr – Willst du deine Einwilligung geben?
MAJOR.
Ist's ein Mensch von gutem Hause? Ist er von Adel?
GEHEIMER RAT.
Ich zweifle.
MAJOR.

Doch keiner zu weit unter ihrem Stande? O sie sollte die erste Partie im Königreich werden. Das ist ein vermaledeiter Gedanke! wenn ich doch den erst fort hätte; er wird mich noch ins Irrhaus bringen.

GEHEIMER RAT
öffnet die Kammer; auf seinen Wink tritt Fritz mit Gustchen heraus.
[101]
MAJOR
fällt ihm um den Hals.

Fritz! Zum Geheimen Rat. Ist's dein Fritz? Willst du meine Tochter heiraten? – Gott segne dich. Weißt du noch nichts, oder weißt du alles? Siehst du, wie mein Haar grau geworden ist vor der Zeit! Führt ihn ans Kanapee. Siehst du, dort ist das Kind. Bist ein Philosoph? Kannst alles vergessen? Ist Gustchen dir noch schön genug? O sie hat bereut. Jung, ich schwöre dir, sie hat bereut wie keine Nonne und kein Heiliger. Aber was ist zu machen? Sind doch die Engel aus dem Himmel gefallen – Aber Gustchen ist wieder aufgestanden.

FRITZ.
Lassen Sie mich zum Wort kommen.
MAJOR
drückt ihn immer an die Brust.

Nein Junge – Ich möchte dich tot drücken – Daß du so großmütig bist, daß du so edel denkst – daß du – – mein Junge bist –

FRITZ.
In Gustchens Armen beneid ich keinen König.
MAJOR.
So recht; das ist recht. – Sie wird dir schon gestanden haben; sie wird dir alles erzählt haben –
FRITZ.

Dieser Fehltritt macht sie mir nur noch teurer – macht ihr Herz nur noch englischer – Sie darf nur in den Spiegel sehn, um überzeugt zu sein, daß sie mein ganzes Glück machen werde, und doch zittert sie immer vor dem, wie sie sagt, ihr unerträglichen Gedanken: sie werde mich unglücklich machen. O was hab ich von einer solchen Frau anders zu gewarten als einen Himmel?

MAJOR.

Ja wohl einen Himmel; wenn's wahr ist, daß die Gerechten nicht allein hineinkommen, sondern auch die Sünder, die Buße tun. Meine Tochter hat Buße getan, und ich hab für meine Torheiten und daß ich einem Bruder nicht folgen wollte, der das Ding besser verstund, auch Buße getan; ihr zur Gesellschaft: und darum macht mich der liebe Gott auch ihr zur Gesellschaft mit glücklich.

[102]
GEHEIMER RAT
ruft zur Kammer hinein.
Herr Pätus, kommen Sie doch hervor. Ihr Vater ist hier.
DER ALTE PÄTUS.
Was hör ich – Mein Sohn?
PÄTUS
fällt ihm um den Hals.

Ihr unglücklicher verstoßener Sohn. Aber Gott hat sich meiner als eines armen Waisen angenommen. Hier, Papa, ist das Geld, das Sie zu meiner Erziehung in der Fremde angewandt; hier ist's zurück und mein Dank dazu: es hat doppelte Zinsen getragen, das Kapital hat sich vermehrt und Ihr Sohn ist ein rechtschaffener Kerl worden.

DER ALTE PÄTUS.

Muß denn alles heute wetteifern, mich durch Großmut zu beschämen. Mein Sohn, erkenne deinen Vater wieder, der eine Weile seine menschliche Natur ausgezogen und in ein wildes Tier ausgeartet war. Es ging deiner Großmutter wie dir: sie ist auch wiedergekommen und hat mir verziehen und hat mich wieder zum Sohn gemacht, so wie du mich wieder zum Vater machst. Nimm mein ganzes Vermögen, Gustav! schalte damit nach deinem Gefallen, nur laß mich die Undankbarkeit nicht entgelten, die ich bei einem ähnlichen Geschenk gegen deine Großmutter äußerte.

PÄTUS.
Erlauben Sie mir, das tugendhafteste süßeste Mädchen glücklich damit zu machen –
DER ALTE PÄTUS.

Was denn? Du auch verliebt? Mit Freuden erlaub ich dir alles. Ich bin alt und möchte vor meinem Tode gern Enkel sehen, denen ich die Treue beweisen könnte, die eure Großmutter für euch bewiesen hat.

FRITZ
umarmt das Kind auf dem Kanapee, küßt's und trägt's zu Gustchen.

Dies Kind ist jetzt auch das meinige; ein trauriges Pfand der Schwachheit deines Geschlechts und der Torheiten des unsrigen: am meisten aber der vorteilhaften Erziehung junger Frauenzimmer durch Hofmeister.

MAJOR.
Ja mein lieber Sohn, wie sollen sie denn erzogen werden?
[103]
GEHEIMER RAT.

Gibt's für sie keine Anstalten, keine Nähschulen, keine Klöster, keine Erziehungshäuser? – – Doch davon wollen wir ein andermal sprechen.

FRITZ
küßt's abermal.

Und dennoch mir unendlich schätzbar, weil's das Bild seiner Mutter trägt. Wenigstens, mein süßer Junge! werd ich dich nie durch Hofmeister erziehen lassen.

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TextGrid Repository (2012). Lenz, Jakob Michael Reinhold. Dramen. Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung. Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E38D-6