[190] Die Gum
Ein Abenteuer aus der Sahara von Karl May

1. Assad Bei, der Heerdenwürger

1.

Assad Bei, der Heerdenwürger

Zwischen dem Gebiete des Mittelmeeres und der eigentlichen Sahara, also zwischen dem Sinnbilde der Fruchtbarkeit, der Civilisation und dem Zeichen der Unfruchtbarkeit, der Barbarei, liegt die nordafrikanische Steppe, welche vom atlantischen Oceane bis zum indischen Meere reicht. Eine breite Reihe von Hochebenen und nackten Höhenzügen bildend, deren kahle Berge aus den unbelebten Gewässern salziger Seen emporsteigen, ist sie im Sommer von den Zelten und Heerden wandernder Araberstämme bedeckt, während sie im Winter öde und verlassen unter der Decke des auch hier fallenden Schnee's liegt.

Die Cultur hat es nicht vermocht, hier eine bleibende Ruhestätte aufzuschlagen; auf diesen Höhen bringt höchstens die Gerste ihre Körner zu einer nothdürstigen Reife, und die hungernden Heerden nagen jede Erscheinung aus dem Pflanzenreiche mit gierigem Zahne bis an die Wurzel ab. Kein Haus, kein Baum bietet dem umherschweifenden Auge einen wohlthätigen Ruhepunkt; Kieselbruch und Geröll bedeckt den Boden, oder wandernde Dünen schleichen sich, von dem fliegenden Sande genährt, Schritt um Schritt über die traurige Fläche, und wo sich irgend ein Wasser zeigt, da liegt es in seinem Becken wie eine todte Masse, aus der jeder lebendige, blaue Ton verschwunden ist, um einem unbelebten schmutzigen Grau zu weichen.

Ich hatte die Küstengegend verlassen, um einen Ausflug in die trübe Einsamkeit dieser Strecke zu machen und dann über Augila und Siwah Egypten zu erreichen. Nur mein Diener Mahmud begleitete mich. Er war weit im Oriente herumgekommen, sprach ein wunderliches Mischmasch aller arabischen und türkischen Dialecte, hatte zuletzt als Fremdenführer in Algier fungirt und war in seine gegenwärtige Stellung getreten, um endlich einmal zu wissen, wem er angehöre. Er hatte eine wahrhaft riesige Goliathgestalt, wie sie bei den meist schlank gebauten Arabern höchst selten ist, und besaß eine dem entsprechende Muskelkraft, die mich eigentlich veranlaßt hatte, ihn zu engagiren. Seine Stärke konnte mir bei den gefahrvollen Wanderungen durch die Wüstenländer von Nutzen sein. Leider machte ich aber bald die Erfahrung, daß seine Muthlosigkeit ebenso groß war, [190] wie seine ungewöhnliche Körperstärke; er war trotz seiner Enacksfigur ein Hasenfuß und wurde von mir nur deshalb beibehalten, weil er die Verhältnisse des Landes genau kannte und ein munterer, lebhafter Gesellschafter war, mit dem man sich die Zeit verkürzen konnte.

Er ritt ein zwar sehr ausdauerndes aber kleines, dürftiges beduinisches Pferdchen, so daß seine lang herabhängenden Füße fast die Erde schleiften, halle seine respectgebietende Gestalt mit allen möglichen Waffensorten behangen und besteckt und verstand es trefflich, seinem Gesichte einen so martialischen Ausdruck zu geben, daß er mir bei geeigneter Gelegenheit recht gut als Abschreckungsmittel zu dienen vermochte.

Wir waren den ganzen Tag geritten. Jetzt neigte sich die Sonne dem Horizonte näher, und einige durch die dünne Luft schießende Schwalben, welche der poetische Araber »Thiuhr el Djinne, Vögel des Paradieses« nennt, bestätigten uns das Nahen der abendlichen Ruhezeit.

»Hamdulillah, Preis sei Gott. Sihdi,« seufzte Mahmud und warf die Kaputze seines Burnus, welche sein Gesicht vor dem Sonnenstrahl geschützt hatte, in den Nacken zurück. Dieser Burnus war früher ein Mal weiß gewesen, sah jetzt aber aus, als habe er ein halbes Jahrhundert in der Feueresse gehangen und sei darauf mit einer fetten Speckschwarte ganz tüchtig eingerieben worden. »Mahmud el kebihr, Mahmud der Große, wie Dein tapferer Diener von Allen, die ihn kennen, genannt wird, ist müde wie eine Wachtel, die über das Meer geflogen kommt. Wann werden wir vom Pferde steigen?«

Ich mußte lächeln, daß Mahmud der Große es nicht verschmähte, sich mit einer Wachtel zu vergleichen. Ich machte den Versuch, ihn zu trösten:

»Der Mueddihn ruft sein: ›Hai aal el sallah, ja rüste Dich zum Gebete,‹ erst wenn die Sonne in das Sandmeer taucht. Und auf das Gebet folgt die Ruhe!«

»Mahlesch, das ist Nichts, o Herr! Jetzt ist ja erst das ›Assr‹, die Zeit des Karawanenaufbruchs, zwei Stunden vor dem Abende. Dein Knecht Mahmud Ben Mustafa Jussuf Jaakub Ebn Baschar fällt vom Pferde, wenn er noch so lange reiten soll. Sein Serdj, der Sattel, brennt ihm zwischen den Beinen, als hätte er einen abgerissenen Zipfel von der Hölle unter sich! Hab Erbarmen mit ihm und laß ihn auf die Erde steigen!«

Statt aller Antwort setzte ich meine Berberstute in Galopp. Er mußte folgen und ich that, als ob ich die aus allen orientalischen Sprachen zusammengesuchten Kraftwörter, welche er in den Bart murmelte, nicht vernehme.

Ich hatte nämlich bemerkt, daß mein Pferd die Nüstern aufbließ; es mußte feuchte Luft schmecken, und vielleicht war eines jener oben erwähnten Wasser, welche »Birket el fehlate, todte See« genannt werden, in der Nähe. Wir ritten eine sanft abfallende, sandige Höhe hinab, welche sich unten zu einer ziemlich ausgestreckten Ebene ausbreitete, und als ich mein Glas hervornahm, um dieselbe abzusuchen, gewahrte ich eine Reihe von Zelten, in deren Nähe Schafe und Rinder weideten. Wir hatten ein arabisches Wanderdorf vor uns und konnten sicher sein, eine gastfreundliche Aufnahme zu finden.

In kurzer Zeit hatten wir den trüben See erreicht, in dessen Nähe es lag und hielten unsre Pferde gleich beim ersten Zelte an. Es wäre eine ganz unverzeihliche Beleidigung für den Besitzer desselben gewesen, wenn wir in einem der folgenden Aufnahme gesucht hätten. Der Bewohner der Wüste ist ein geborener Dieb und Räuber, aber das Gastrecht hält er so hoch, daß er es nie verletzt.

Das alte, vielfach zerfetzte Tuch, welches den Eingang bedeckte, wurde bei Seite geschoben, und es trat ein alter Mann hervor, der uns mit neugierigen und verwunderten Blicken musterte. Sein sonngebräuntes Gesicht war voller Falten und seine ausgedorrte Gestalt tief gebeugt; er mochte wohl an die neunzig Jahre zählen.

»Sallam aaleïkum!« grüßte ich, die Hand zur Brust erhebend. »Hast Du ein Wenig Raum für uns, wo wir das Haupt zur Ruhe legen können?«

»Marhaba ia Sihdi, Du sollst willkommen sein, o Herr!« antwortete er einfach, trat zu meinem Pferde heran und faßte es beim Zügel, damit ich absteigen möge.

Ich that es. Es ließ sich ringsum keine Menschenseele erblicken, und nur einige wißbegierige Frauenköpfe blickten durch die leise zurückgezogenen Thürvorhänge.

»Wo sind die Männer, denen diese Zelte gehören?« frug ich.

»Das will ich Dir sagen,« antwortete er und trat darauf mit plötzlich sehr ernst gewordener, geheimnißvoller Miene an mich heran. Er hielt die zwei hohl ausgebogenen Hände an mein Ohr, legte den Mund an sie und flüsterte so leise, daß ich es kaum verstehen konnte:

»Kennst Du Assad, den Aufruhrerregenden? Kennst Du Assad-Bei, den Heerdenwürger?«

Ich nickte bejahend mit dem Kopfe.

»Er ist unserer Heerde gefolgt schon lange Zeit, raubt uns die besten Thiere und hat sich erst in der vergangenen Nacht wieder ein Rind geholt, aaïb aaleihu, Schande über ihn!«

Ich konnte den leisen Flüsterton begreifen. Der Araber hat einen außerordentlichen Respect vor dem Löwen; so lange das gewaltige Thier noch lebt, nennt er es mit den hochtrabendsten Namen, um es ja nicht zu beleidigen und so zur Rache herauszufordern; ist es aber getödtet worden, so bewirft er es mit den demüthigendsten Schimpfworten, deren die Sprache seines Landes eine überaus reiche Zahl besitzt. Er läßt sich lange Zeit die besten Stücke seiner Heerde rauben, ehe er sich zu einem Angriffe entschließen kann, denn dieser kostet stets wenigstens ein, meistens aber mehrere Menschenleben.

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[204] Der sonst so tapfere Sohn der Wüste wagt es nämlich nie, wie es der kühne europäische Jäger zu thun stets vorzieht, den Löwen allein anzugreifen; es treten die sämmtlichen waffenfähigen Männer des Dorfes zusammen, suchen das Lager des Thierkönigs auf, locken ihn durch lärmendes Brüllen, Rufen, Pfeifen und Schießen aus demselben hervor, und jagen ihm, sobald er erscheint, aus ihren langen, unsicher treffenden Flinten so viel Kugeln wie möglich auf den Leib. Der Löwe stürzt nie sofort. Selbst wenn er zum Tode verwundet ist, besitzt er noch so viel Kraft, sich auf Einen oder auch Mehrere zu werfen und den an ihm verübten Mord blutig zu rächen.

Die Furcht, welche man vor ihm hegt, geht sogar so weit, daß man bei dem Entschlusse eines Angriffes nur leise spricht; man meint, er könne es hören. Darum theilte mir der Alte die Nachricht auch nur heimlich mit und warf dabei ganz besorgte Blicke nach der Gegend, in welcher das Abenteuer stattfinden sollte. Assad-Bei, der Löwe, hätte ja seine Worte vernehmen können!

Bei seiner Mittheilung war alle Müdigkeit in mir verschwunden. Im »wilden Westen« von Amerika hatte ich so mancher wilden Bestie gegenüber gestanden und dabei dem Tode in das Auge geschaut; jetzt war ich nach Nordafrika gekommen, um den Löwen zu sehen; aber dieser Wunsch war mir trotz aller Mühe bisher unerfüllt geblieben. Heut nun war ganz ohne alle Erwartung seine Erfüllung möglich; sollte ich furchtsam zaudern?

»Nimm unsre Thiere auf,« bat ich. »Ich werde gehen, um den ›Sihdi el salssali, den Herrn des Erdbebens‹ aufzusuchen!«

Ich wußte, daß der Löwe wegen der Macht seiner Stimme so genannt wird.

»Sprich leise!« bat der Alte ängstlich. »Wenn er es hört, so bist Du verloren. Er kommt herbei und reißt Dich in Stücke.«

»Allah akbar, Gott ist groß!« lamentirte Mahmud, der Goliath. »Bist Du toll, Herr, daß Du Dein Fleisch zerreißen und Deine Knochen zermalmen lassen willst von der fürchterlichen Katze, die mehr Kraft hat als zehn Scheidans, als hundert Teufel zusammen genommen?«

»Hat Mahmud el kebihr Angst und Furcht im Herzen?« frug ich ihn.

»Ich? Sihdi, wenn mich ein Anderer so fragte, so würde ich ihn auf der Stelle erwürgen. Mahmud Ben Mustafa Jussuf Jaakub Ebn Baschar hat niemals Angst und Furcht, das weißt Du ganz genau; aber er ist nicht jung und auch nicht fett genug; der Löwe mag ihn gar nicht fressen!«

»Er soll Dich auch nicht fressen: Du bleibst bei den Pferden!«

Niemand war froher über diesen Befehl, als er; um auch mich abzuhalten, erging er sich in der kräftigsten Schilderung der Gefahr, welche mich erwartete. Es half ihm Nichts; ich zog meine Doppelbüchse hervor. Es war ein »Bärentödter«, gekauft in Front-Street, St. Louis; sie hatte mich niemals im Stiche gelassen, und jede der aus ihr geschossenen konischen Kugeln war ihrer Schuldigkeit nachgekommen. Ich wußte, daß sie mir nicht versagen würde und das war die Hauptsache.

»Hamdulillah, Preis sei Gott,« meinte der Alte mit frohem Gesichte. »Allah ist barmherzig und gnädig; er hat Dich zu uns gesendet und wird Deine Waffe segnen!«

Er hatte mich als einen Europäer erkannt. Der Morgenländer hält jeden Franken, der ein Gewehr trägt, für einen ausgezeichneten Schützen und hat Respect vor ihm, denn er weiß, daß der Franke den Muth besitzt, jedem wilden Thiere ganz allein entgegen zu treten.

Nachdem ich zu meiner Erquickung nach dem angestrengten Ritte einen Schluck Wasser aus dem dargereichten Schlauche genommen hatte, ließ ich mir den Ort bezeichnen, an welchem die Seinen zu finden seien. Vom See aus zog sich eine immer breiter werdende Vertiefung den Hügel hinan; es war eines jener Thäler, welche, Wadi genannt, sich bei den seltenen, dann aber desto stärkeren Regengüssen plötzlich mit Wasser füllen, sonst aber ausgetrocknet und nur an ihren Rändern mit einem dürftigen Pflanzenwuchse bestanden sind.

[204] »Ganz oben in diesem ›battn el hadjar in diesem Bauch der Steine‹ hat der ›Herr mit dem dicken Kopfe‹ sein Lager,« flüsterte der Alte, auf die mit Steingerölle besäete Schlucht deutend. »Er wird bald hervortreten, denn die Sonne geht zur Rüste, und dann soll er in die Tschehenna, in die Hölle gehen! Lauf schnell. Du bist berühmt unter den Söhnen der Jagd und wirst ihn tödten!«

Es war spaßhaft, mit welcher Schmeichelei er es zu bewerkstelligen suchte, daß der Löwe mich statt einen der in das Dorf Gehörigen verspeisen möchte. Ich gab Mahmud dem Großen noch einige kurze Verhaltungsmaßregeln und ging dann fort.

Hatte der Löwe sein Lager wirklich in der Schlucht, so befand es sich jedenfalls in dem oberen Theile derselben. Um diesen so bald wie möglich zu erreichen, vermied ich die Windungen, welche sie machte, und schritt von den Zelten aus gleich direct nach der Richtung, in welcher ich das Ziel vermuthete.

Ich hatte richtig gerechnet, denn kaum befand ich mich in der Nähe des oberen Wadi, so vernahm ich einen ganz entsetzlichen Lärm, welcher aus der Tiefe scholl. Rasch eilte ich dem vor mir liegenden Rande zu und konnte dann die Situation vollständig überblicken.

Grad mir gegenüber zog sich ein stacheliges Mimosengebüsch die steile Böschung hinan, welches von den schreienden Arabern vollständig umzingelt war. Es mußte den Löwen verbergen, denn die oberhalb des Gestrüppes Befindlichen rollten große Steine in dasselbe, um das Thier herauszutreiben. Ich empfing einen eigenthümlichen Eindruck von dieser untaktischen Art und Weise, ein Wild zu jagen, welches sich am Besten des Nachts, Auge in Auge und ohne allen Lärm erlegen läßt. Die Männer schwangen die Flinten und Messer, tanzten dabei vor Aufregung und suchten sich durch kreischende Zurufe zu ermuthigen.

Da bemerkte ich eine leise Bewegung inmitten des Gebüsches; sie wurde stärker, und in wenigen Augenblicken trat er hervor, nicht schnell, nicht nach Katzenart springend und schnellend, sondern langsam, mit sicheren, majestätischen Schritten. Die reiche, dunkle Mähne hing ihm wirr um Kopf und Vorderleib; den starkbequasteten Schwanz zog er langgestreckt hinter sich her; es war ein wirklich prachtvoller Anblick, das edle Thier so selbstbewußt und ruhig inmitten der schnell auf seinen Leib gerichteten Gewehre stehen zu sehen, und es wollte mir wirklich scheinen, als bemerke ich ein verächtliches Funkeln der großen rollenden Augen.

Da blitzte es aus allen Läufen auf; die Schüsse, krachten. Mich packte die Jagdlust, und mehr gleitend als steigend fuhr ich in die Tiefe hinab. Man bemerkte mein Kommen gar nicht. Der Löwe war von mehreren Kugeln, aber nur leicht getroffen worden und mit zwei weiten Sätzen auf den nächststehenden seiner Feinde losgesprungen. Er hatte diesen niedergerissen, ihm die beiden Vordertatzen auf die Brust gesetzt und hob nun den Kopf zu einem Brüllen, wie man es niemals in einer Menagerie, sondern nur aus der Kehle des wirklich freien Thieres zu hören vermag. Im nächsten Momente mußte der Mann zerrissen sein.

Ich bekümmerte mich nicht um die Andern, welche theils entflohen waren oder mit leeren Flinten und vor Schreck bewegungslos dastanden, sondern eilte grad auf den Löwen zu. Dieser bemerkte mich und trat, ein Umstand, welcher nur außerordentlich selten vorzukommen pflegt, von seinem Opfer zurück. Ich knieete nieder und legte an. Es war nicht Furcht und nicht Angst, was ich empfand; es gibt keine Bezeichnung für das Gefühl, welches in diesem Augenblicke jede Faser in mir anspannte. Die rollenden Augen glühten mir vernichtend entgegen, der Schwanz krümmte sich verrätherisch; die kraftvollen Pranken zogen sich zum Sprunge zusammen; ein kurzes Zucken ging über den sich niederduckenden Leib. Ich drückte los, und der zweite Schuß traf das Thier, als es schon in der Luft schwebte.

Zurückspringend riß ich das Messer aus der Scheide. Der Löwe war mitten im Sprunge gestürzt, wälzte sich zuckend noch einige Male hin und her und hatte dann verendet.

»Hamdulillah, Allah akbar, Preis sei Gott, der Herr ist groß!« erscholl es aus allen Kehlen. »Hasa nessieb, das hat Gott geschickt, der kelb, der Hund, der Sohn von einem Hunde, der Enkel von einem Hundesohne ist todt; er ist schmachvoll gefallen, gestürzt und gestorben ohne Ruhm und Ehre. El Thibb, der Schakal und el Tabäa, die Hyäne mag ihn fressen, el Büdj, der gewaltige Bartgeier mag ihm das feige Herz zerhacken, und el Rhassahl, die Gazelle mag ihn und seine Väter verschimpfen, ihn, der ohne Blut und Kampf und Gegenwehr aus dem Lande der Lebendigen gegangen ist. Holt die Hariri, die Musikanten herbei; sie werden ihm auf der Rababa seine Schmach vorpfeifen!«

So klang es jubelnd und verhöhnend von allen Seiten. Man trat den todten Körper mit Füßen, man schlug ihn mit den Fäusten, stieß ihn mit den Kolben und spieh ihm verächtlich in das Gesicht. Die Spannung hatte mich verlassen; es war mir, als sei ich einer unvermeidlichen Todesgefahr entgangen oder aus einer langen, langen Gefangenschaft befreit, und tief athmend sah ich dem Treiben der sanguinischen Söhne einer gluthüberflutheten Länderstrecke zu.

»Ama die bacht, welch ein Glück, daß Du zur rechten Zeit gekommen bist!« klang es da neben mir.

Es war Derjenige, welcher unter dem Löwen gelegen hatte. Von langer, hagerer aber sehniger Figur, besaß er ein Gesicht, welches von der Sonne fast schwarz gebrannt war. Seine großen, scharfen, dunklen Augen hatten ein eigenthümliches Licht. Ein zorniger Blick aus ihnen konnte auch einen beherzten Mann aus dem inneren Gleichgewichte bringen; das war ihnen leicht anzumerken.

»Nicht ich, sondern Allah hat es gethan,« antwortete ich. »Ihm allein die Ehre!«

»Ja, ihm die Ehre und Dir den Dank!« berichtigte er, indem sein Auge scharf und forschend über mich glitt. »Du bist rhaschihm, fremd unter den Kindern der Wüste?«

[205] »Ich komme aus Frankhistan, um Assad-Bei, den Heerdenwürger zu tödten.«

»Du hast ihn getödtet; Allah gab Dir Heil und Gnade. Sei mein Gast. Ich bin der Bei el Urdi, der Herr des Lagers, welches da unten am Wasser steht; Du hast mir das Leben gerettet und sollst Gnade und Vergeltung finden.«

Ich sah ihm bei diesen räthselhaften Worten erstaunt in das Gesicht. Er bemerkte es.

»Die Haut des ›Herrn mit dem dicken Kopfe‹ ist Dein Eigenthum; Du wirst sie erhalten. Laß diese Männer hier; komm mit, ich will Dich leiten!«

Ohne sich nach den Andern umzusehen, schritt er davon. Ich folgte ihm in das Wadi hinab. Am Ausgange desselben, da, wo es sich gegen den See öffnete, war eine bedeutende Anzahl von Kameelen angepflockt. Es waren nicht die gewöhnlichen Lastthiere, wie man sie für 400 Piaster bekommt, sondern ohne Ausnahme Reitkameele, echte Hedjihn, wie man sie in solcher Anzahl selten findet und mit mehreren Tausend Piaster bezahlt. Er blieb stehen.

»Du willst in das ›Bahr billa ma,‹ in das ›Meer ohne Wasser,‹ welches Ihr Sahara nennt?«

»Ja.«

»Hast Du schon ein Djemmel, ein Kameel, wie Du es brauchst?«

»Nein!«

»So sieh dieses Thier hier an! Es ist ein Hedjihn, ein Bischarinhedjihn, wie es in der ganzen Sahel kein zweites gibt. Es ist Dein, ich schenke es Dir!«

Ich wollte widersprechen, denn ich hatte von dem Werthe eines Bischarin gehört, er aber winkte mit einem so gebieterischen Blicke zum Schweigen, daß ich meinen Einspruch für später aufhob, und setzte, mir voranschreitend, seinen Weg fort.

Warum waren diese Kameele hier in dem Bereiche des Löwen versteckt? Woher hatten diese augenscheinlich armen Hirten diese Menge so kostbarer Thiere? Aus welchem Grunde waren es lauter Reit-und keine Lastthiere? Weshalb hatte er von Gnade und Vergebung gesprochen, wo er mir doch nur Dank schuldig war? Der Mann hatte ein böses Auge: ich konnte mir diese Fragen nicht beantworten und beschloß, vorsichtig zu sein. –

2. Hedjahn-Bei, der Karavanenwürger

2.

Hedjahn-Bei, der Karavanenwürger

Die Karavane hatte vor längerer Zeit Augila verlassen, und nach meiner Berechnung konnten wir längst Siwah erreicht haben. Der alte Schech el Djemali, wie der Aelteste der Kameeltreiber genannt wird, wollte mir gar nicht gefallen; sein finsteres, schroffes Wesen war nicht Vertrauen erweckend. Schon vorgestern hatte er uns versichert, daß Siwah nahe sei und doch sahen wir heute noch keine Spur, welche auf die Nähe einer Oase oder, wie der Araber sagt, einer »Uah,« deutete. Der letzte Tropfen Wasser war verzehrt, die Schläuche dorrten zusammen; wir mußten das widerliche Durrha-Mehl trocken essen, so wie es in dem Beutel war, und dazu lag die Atmosphäre wie flüssiges Erz um unsre Glieder und die Erde brannte wie glühendes Eisen.

Da plötzlich kam freudige Bewegung in die langsam dahinschleichende Reihe der Wanderer, denn über dem dichtumflorten Horizonte hoben sich die scharfen Umrisse der erwünschten Uah empor. Auf schlanken Säulen bauten sich die stattlichen Wipfel der Dattelpalmen über einander und ihre leichten, vollen Fliederkronen wehten in dem frisch sich erheben den Wüstenwinde. Zwischen grünen Hainen schimmerte es wie das Wellengekräusel eines lieblichen See's, und die Luft schien sich von der Ausdünstung des Wassers zu feuchten. Die Palmenkronen spiegelten sich in der glitzernden Wasserfläche und Kameele wateten in der Fluth, ihren langen Hals herunterstreckend, um das belebende Naß zu schlürfen.

»Hamdulillah, Preis sei Gott!« rief es. »Das ist Siwah; der Herr hat uns errettet, ihm sei Lob und Dank!«

»Hauehn aaleihu ia Allah, hilf ihnen, o Gott,« bat Mahmud der Große, welcher an meiner Seite ritt; »sie haben vor Hitze und Durst den Verstand verloren und sehen die Fata morgana, die gefährliche Spiegelung für Wirklichkeit an!«

Er zog die Flasche hervor, welche schon vor vier Tagen leer geworden war und setzte sie zum tausendsten Male vergebens an den Mund, um ihr noch einen Tropfen des mit Zibib gewürzten Wassers zu entlocken.

»Sie bleibt leer,« klagte er seufzend. »Mahmud Ben Mustafa Jussuf Jaakub Ebn Baschar wird an seiner trockenen Kehle sterben!«

Er hatte Recht; es war eine Fata morgana. Ich zog die Karte und den Compas hervor, wie ich schon öfters gethan hatte. Meine Berechnung brachte mich immer wieder zu der Ueberzeugung, daß wir uns nicht mehr auf dem rechten Wege befanden. Ich ritt zum zehnten oder zwanzigsten Male vor an die Spitze des Zuges zum alten Schech el Djemali und machte ihm Vorstellungen. Er hörte sie schweigend an, gab keine Antwort und ritt weiter.

»Ist Dein Ohr taub geworden,« frug ich ihn, »oder willst Du nicht hören?«

»Allah kerim, Gott ist gnädig, aber die Geduld eines Menschensohnes hat ein Ende,« ließ er sich endlich vernehmen. »Wer ist der Bei, der Oberste hier, Du oder ich?«

»Keiner von Beiden. Du bist der Führer; wir haben uns Dir anvertraut, und Jeder darf Dich nach dem Wege fragen!«

»So geh, wenn Du einen bessern weißt! Ich bin ein Hadschi, der Gott gefällt, Du aber bist ein Giaur, ein Ungläubiger, den Gott zur Hölle fahren läßt. Geh fort, Du machst mich unrein!«

Im nächsten Augenblicke fuhr meine Kameelpeitsche durch die Luft und ihm so kräftig über das Gesicht, daß [206] ihm sofort eine dicke Schwiele in dasselbe schwoll. Er riß die lange Flinte von der Schulter und legte auf mich an.

»Kelb, Hund, stirb!«

Er drückte nicht los. Der Revolver, welchen ich ihm entgegenstreckte, hielt ihn davon ab, aber kaum war eine Minute vergangen, so hatte die Karavane einen für mich drohenden Kreis um uns gebildet.

»Er hat einen Gläubigen, einen Hadschi geschlagen; er muß sterben!« rief der Schech. »Ich war zwölf Mal in Mekka, der Stadt des Propheten, drei Mal in Medina, der Ruhmbedeckten und habe zu Dschidda gebetet, wo Eva, die Mutter der Menschheit begraben liegt, fünfhundert Fuß lang und zwölf Fuß breit. Was aber hat er gethan, und an welchem gottgefälligen Orte ist er gewesen? Er ist ein Franke, welcher Isa Ben Marryam, Jesus, den Sohn Mariens anbetet, und hat mich in das Gesicht geschlagen. Er muß sterben!«

Ich wußte, daß ich unter gewöhnlichen Umständen mit dem raschen Hiebe mein Leben gewagt hätte, aber ich hatte nicht Lust, mich, wie leider so viele europäische Reisende, von einem bigotten und unwissenden Menschen nur allein deshalb ungestraft beleidigen zu lassen, weil ich ihm und den Seinen allein gegenüber stand. Der Angehörige einer civilisirten Nation hat die Ehre derselben unter allen Umständen zu vertreten und ich brauchte mich vor den halb verschmachteten Leuten wenig oder gar nicht zu fürchten. Ich war verhältnißmäßig noch gut bei Kräften und hatte für nur meine Person, Mahmud gar nicht mitgerechnet, mehr sichre Kugeln zu versenden, als sie aus allen ihren langen und ungefährlichen Schießgewehren.

»Mach Deinen Mund zu, Du Ausbund aller Frömmigkeit,« antwortete ich daher, »sonst werde ich Dir ihn schließen! Du bist ein Hadschi, ein Pilger, der nur von Augila nach Mekka und von Mekka nach Augila gewandert ist, ich aber bin in allen Ländern der Erde gewesen und habe Städte und Menschen gesehen, deren Namen Du nicht einmal kennst. Glaubst Du, ein Franke fürchtet sich vor Dir? Ein einziger Mann aus Frankhistan ist weiser und klüger als hundert Schechs el Djemali, denn er hat einen Geist bei sich, der ihm alle Orte nennt und alle Wege führt, auch wenn er sie noch nie betreten hat. Schau her, Du Inbegriff aller Klugheit! Siehst Du, wie der Geist bebt vor Zorn darüber, daß Du uns einen falschen Weg geführt hast?«

Ich zeigte ihm den Kompaß vor, auf den er sein Auge mit unendlichem Staunen richtete. Der Orientale ist im höchsten Grade abergläubisch und liebt es, sich in vulminanter Weise auszudrücken. Ich wußte daher, was ich that, wenn ich hier ein Eigenlob gebrauchte, für welches ich in der Heimath herzhaft ausgelacht worden wäre. Darum fuhr ich fort:

»Sieh her! Diese zwei Revolver, von denen Du noch niemals gehört hast, fressen zwölf Männer auf, diese Büchse nimmt zwei von ihnen weg und dieser Henry-Stutzen, dessen Namen noch kein einziges Mal an Dein Ohr gedrungen ist, kostet fünfundzwanzig Gläubigen das Leben, wenn Ihr es wagt, mich anzutasten. Gott erhalte Dir Deinen Verstand und gebe Dir Besserung, sonst versammle ich Dich zu Deinen Vätern, obgleich Du zwölf Mal in der Stadt des Propheten gewesen bist. Ein Schech el Djemali, der seinen Weg nicht kennt, ist schlimmer für den Wanderer als der Smum, der giftige Wüstenwind. Nimm Deine Flinte weg, sonst schieße ich Dich von dem Rücken Deines Djemmels herunter, welches klüger ist und weiser, als sein Herr!«

Diese Worte hatten eine sofortige Wirkung. Er warf das Gewehr wieder über den Rücken und machte Miene, den unterbrochenen Weg wieder aufzunehmen.

»Halt, ia Ibn Suleiman, Du Nachkomme Salomo's; wir sind noch nicht fertig! Du sagst, wir seien auf dem richtigen Wege. Wann werden wir Siwah erreichen?«

»Morgen noch vor Sonnenuntergang.«

»Gut! Wir werden Dir noch folgen; aber wenn wir die Uah bis morgen beim Niedergang der Sonne noch nicht sehen, so geht die Sonne Deines Lebens unter, ich schwöre es Dir bei dem Barte Eures Propheten und bei Jesus, dem Gekreuzigten, den Ihr Isa Ben Marryam nennt!«

Ich drehte mein Kameel herum und lenkte es an das Ende des Zuges zurück. Die Gefahr war für den Augenblick von mir abgewendet, aber sie konnte wiederkehren. Ich wußte, daß der Schech Alles thun werde, den an ihm begangenen Schimpf zu rächen. Seine Mitgläubigen fühlten diesen Letzteren, als sei er ihnen selbst angethan worden, aber einestheils waren sie von der Anstrengung und Entbehrung kraft- und muthlos geworden und anderntheils hatte ich durch die Behauptung, daß wir in falsche Richtung geführt worden seien, ihr Mißtrauen gegen ihn rege gemacht. Schweigend und finster folgten sie ihm. Er war ein Moslemin; sie hätten ihm gern vertraut; aber sie kannten auch die Ueberlegenheit europäischer Bildung und durften es daher mit meiner Anklage nicht so leichthin nehmen. Jedenfalls waren sie still entschlossen, jetzt nicht Partei zu ergreifen, sondern den Verlauf der Dinge ruhig abzuwarten.

Die gewöhnliche Lagerzeit war noch nicht herangekommen, aber die allgemeine Ermüdung hatte einen solchen Grad erreicht, daß bald Halt gemacht werden mußte. Die Kameele wurden entlastet und angepflockt, die Zelte errichtet und das mehr als spärliche Mahl gehalten. Einige legten sich dann zur Ruhe, während die Andern sich in der durch das Unterschlagen der Beine erreichten Stellung, welche der Türke »Rahat oturmak, Ruhm der Glieder« nennt, im Kreise hockten, um ihrer trüben Stimmung Ausdruck zu geben. Es war eine schreckliche Befürchtung in ihnen wach geworden. Schon öfters hatten Karavanen, welche von Augila nach Siwah gingen, ihr Ziel nicht erreicht; sie waren von dem berüchtigten Hedjahn-Bei mit seiner »Gum,« wie die Räuberkaravane heißt, überfallen und vernichtet worden. Aber niemals hatte man die Gebeine der Ermordeten auf dem Wege, sondern weit abseits in der Wüste gefunden. Die Unglücklichen waren entweder von dem Räuber aus der Richtung gelockt oder von einem bestochenen Führer in das Verderben geleitet worden. Wie nun, wenn wir einem gleichen [207] Schicksale entgegengingen? Es war ein gräßlicher Gedanke, denn man wußte, daß der Hedjahn-Bei keinen Menschen leben ließ und nannte ihn darum nicht anders, als den »Karavanenwürger.«

Die traurige Unterhaltung währte nicht lange; die Erschöpfung machte sich geltend und bald schlief außer den aufgestellten Wachen Alles den Schlaf der Gerechten. Auch ich streckte mich auf meine Decke, konnte aber zu keiner Ruhe kommen, denn die Sorge über unsre Lage öffnete mir immer wieder die müden Augen.

Da hörte ich aus der Ferne Laute an mein Ohr dringen, die mich sofort vollständig munter werden ließen. Zwar durch die Entfernung gedämpft, dem geschärften Gehör aber doch vernehmbar, klang es wie das bellende »J-au« des Schakals und dazwischen hinein brummte das tiefe, heisere »Ommu« der Hyäne. Ich horchte mit Anstrengung, bemerkte, daß ich mich nicht getäuscht habe, und sprang auf. Es mußte Wasser in der Nähe sein, denn diese Thiere bedürfen täglich desselben, wenn sie nicht verschmachten sollen, und wagen sich daher nie weit in die wasserleere Wüste hinein.

Ich schlug den Vorhang des Zeltes zurück und trat hinaus. Mahmud der Große stand draußen; die Laute hatten auch ihn aufmerksam gemacht.

»Hörst Du die Djinns, die bösen Geister der Wüste, Sihdi?« frug er leise. »Sie locken den Wanderer in das Verderben, aber Mahmud Ben Mustafa Jussuf Jaakub Ebn Baschar läßt sich nicht betrügen. Er hört, daß die Stimmen nicht vom Schakal und von der Hyäne kommen und bleibt in seinem Zelte liegen.«

Er kroch wieder unter das niedrige Leinwanddach, welches er sich errichtet hatte; ich aber blieb horchend stehen. Wieder erklangen die Laute, aber ich vernahm jetzt auch, daß es nicht natürliche waren. Doch weit entfernt, sie bösen Geistern zuzuschreiben, war ich vielmehr überzeugt, daß sie irgend einer menschlichen Kehle entsprangen.

Was hatte dies zu bedeuten? Wir waren vom richtigen Wege abgelenkt worden, und ich mußte an den Hedjahn-Bei denken. Ich nahm die Waffen zu mir und schritt nach dem Zelte des Schech el Djemali. Er war nicht zu finden. Ich suchte die nächste Wache auf. Der Mann war vor Ermüdung niedergesunken und schlief.

»Be issm lillahi radjal, um Gottes willen, auf, Ihr Männer!« rief ich. »Der Hedjahn-Bei, die Gum ist in der Nähe!«

[208]

[221] Im Nu war das Lager belebt und Alles drängte sich zu den Kameelen, um die augenblickliche Flucht zu ergreifen. Ich widerstrebte den Unbesonnenen. Sie mußten ja zu Grunde gehen, wenn sie sich von ihrer Furcht in die todte Oede zerstreuen ließen. Nur nach langem Mahnen und Bitten brachte ich sie zum Bleiben; aber sie hatten eine solche Furcht vor dem »Karavanenwürger,« daß sie nur widerstrebend zu den Waffen griffen. Die Ruhe, welche ich mir zu bewahren suchte, imponirte ihnen endlich doch; sie gehorchten meiner Mahnung und kehrten in ihre Zelte zurück, um sich unter deren Deckung zu vertheidigen. Mir aber ließ es hinter der Leinwand keine Ruhe; es trieb mich hinaus, um mich zu überzeugen, ob ich mit meiner Vermuthung das Richtige getroffen habe. Ich steckte nur das Messer und die Revolver zu mir; die langrohrigen Waffen konnten mir nur hinderlich sein.

Es war finstere Nacht, doch spendeten die Sterne des südlichen Himmels immerhin ein Licht, bei welchem man einen nicht zu kleinen Gegenstand noch auf einige Entfernung hin erblicken konnte. Alles Geräusch vermeidend, schlich ich mich der Richtung zu, in welcher ich das Bellen gehört hatte. Noch war ich nicht gar weit gekommen, so vernahm ich leise nahende Schritte. Ich warf mich zu Boden. Zwei Männer nahten und blieben nahe bei mir halten. Ich hatte mich in den Prairieen Nordamerika's oft in einer ähnlichen Lage befunden, nur daß ich hier statt der Rothhäute zwei Araber beschlich. Ich machte mich auf einen Angriff gefaßt und zog das Messer.

In dem Einen erkannte ich den Schech el Djemali. Wer war der Andere? Ich sollte es gleich erfahren.

»Ein Franke ist dabei, sagst Du? Ist er stark und tapfer?«

»Er hat Muth und viele Waffen, auch besitzt er einen guten Geist, der ihm die Wege zeigt. Du aber wirst ihn bezwingen, o Hedjahn-Bei!«

»Schläft er?«

»Er schläft und alle Männer schlafen. Wenn Deine Gum die Kameele verläßt und sich heimlich zu Fuße naht, so kann Euch Keiner entgehen. Eure Zahl ist größer als die unsrige, aber der laute Ueberfall würde Euch doch wohl Mehrere kosten.«

»Dein Mund sagt die Wahrheit. Komm, zeig mir das Lager; dann kehre ich zurück und hole die Würger der Karavanen herbei!«

Der Schech el Djemali konnte ihm nicht folgen. Ich sprang empor, faßte ihn beim Nacken und stieß ihm das [221] Messer bis an das Heft zwischen die Schultern. Es war in's Herz gedrungen. Der Verräther stieß nur einen kurzen, hauchenden Laut aus und stürzte dann zu Boden.

Der Hedjahn-Bei hatte das Geräusch vernommen und drehte sich um. Das sofort wieder aus der Wunde gezogene Messer in der Faust, warf ich mich auf ihn. Unter dem unvermutheten Anpralle schlug er zu Boden. Ich kniete über ihm, faßte mit der Linken seine Kehle und hielt ihm die scharfe Klinge nahe vor die Augen.

»Hedjahn-Bei, der Tod wird Dich verschlingen, wenn Du nur ein einziges Glied rührst!«

Der Schreck hatte den gefürchteten Mann ergriffen. Er lag vollständig bewegungslos unter mir.

»Ich bin der Franke, von dem der Schech zu Dir gesprochen hat. Mein Messer hat ihm den Lohn gegeben und wird auch Dein Herz zerschneiden, wenn Du mir nicht gehorchst!«

»Was willst Du?« gurgelte er aus der zusammengepreßten Kehle.

»Höre mich an! Ich trachte nicht nach dem Tode eines menschlichen Bruders, und Du kannst Deine Seele retten, wenn Du thust, was ich von Dir begehre! Du kennst den Weg der Karavanen nach Siwah?«

»Ja,« antwortete er. Ich ließ ihm nur am Schlusse jeder meiner Fragen so viel Luft, als er zur Antwort bedurfte.

»Du wirst uns ungehindert und unberaubt ziehen lassen?«

Er schwieg und machte eine Anstrengung, sich zu befreien. Sofort setzte ich die Spitze des Messers auf seine Brust.

»Willst Du sterben, Hedjahn-Bei?«

Er gab den Versuch auf; es war mir Ernst mit der Drohung, das sah er.

»Also Du lässest uns unberaubt ziehen? Antworte, ich warte nicht drei Secunden!«

»Ja.«

»Du begleitest und beschützest uns mit Deiner Gum, bis wir nicht mehr irren können?«

Es wiederholte sich das vorige Manöver; aber er mußte sich fügen.

»Ja.«

»Und versiehst uns mit Speise und Trank aus Euren Beuteln und Schläuchen?«

»Ja,« knirrschte er.

»Und machst keinen Versuch, Dein Wort zu brechen?«

»Keinen!«

»Schwöre mir, daß Du hältst, was Du versprichst!«

Er hatte jedenfalls gehofft, daß ich ihn ohne Schwur loslassen werde, und dann hätte er sich um das Versprochene natürlich nicht gekümmert. Als er sich getäuscht sah, vereinigte er alle seine Kräfte zu einem Stoße, der mich fast abgeworfen hätte. Jetzt faßte ich ihn um so fester und setzte ihm die Spitze des Messers etwas fühlbarer auf die Gegend des Herzens.

»Schwörst Du es?«

»Ich schwöre,« flüsterte er ingrimmig, da er keinen Ausweg sah.

»Beim Barte des Propheten?«

»Beim Barte des Propheten!«

»Gut! Erhebe Dich, Hedjahn-Bei und komm mit mir zum Lager. Du stehst unter meinem Schutze, und es wird kein Haar Deines Hauptes gekrümmt werden!«

Er stand vom Boden auf. Es war vielleicht das erste Mal, daß der »Karavanenwürger« unter einem Feinde gelegen hatte, und die außerordentlichen Zugeständnisse, mit denen er sein Leben erkauft hatte, mußten ihm im höchsten Grade demüthigend vorkommen. Er stand unter dieser Last eine Weile fast regungslos vor mir; als ich aber frug:

»Fürchtest Du Dich, mit mir zu gehen?« erklang ein kurzes, barsches:

»Komm!« und er schritt an meiner Seite ruhig den Weg zurück, den ich gekommen war.

Meine Vermuthung, die mich vorhin zur Recognition getrieben hatte, war also vollständig bestätigt. Der Schech el Djemali hatte im Dienste des Hedjahn-Bei gestanden, und die Thierstimmen waren für ihn ein verabredetes Zeichen gewesen.

Als wir bei meinem Zelte ankamen, blieb der bezwungene Räuber überrascht stehen. Mein Kameel hatte sich aus seiner liegenden Stellung erhoben, und seine hohe Gestalt zeichnete sich sehr deutlich gegen den sternenreichen Horizont ab.

»Ein Bischarin – ein Bischarinhedjihn? Der Araber verkauft kein solches Thier! Wie ist es in Deine Hand gekommen, Franke?«

Er hatte laut gesprochen. Bei dem Klange seiner Stimme hob das Thier schnaubend den Kopf und kam so weit auf ihn zu, als es der Strick, welcher es am Pflocke hielt, erlaubte. Rasch trat er herbei und faßte es am Halfter.

»Bei allen Scheidans, die in der Hölle wohnen, das ist ja mein Bischarin, welches ich – –« er unterbrach sich und trat auf mich zu, um mich genauer zu betrachten, als es bisher geschehen war. »Du bist es – Du bist es wahrlich! Hasa nessieb, das ist Gottes Schickung, denn nun ist die Schmach, daß ich Dir unterlegen bin, von mir genommen. Der Hedjahn-Bei braucht sich nicht zu schämen, wenn er einen Mann begleitet und beschützt, der das heilige Gastrecht bei ihm genossen und den ›Herrn mit dem dicken Kopfe‹ getödtet hat. Er wird sein Wort jetzt gern und willig halten!«

Auch ich erkannte erst jetzt den Bei el Urdi, welcher damals unter dem Löwen gelegen hatte und durch mein Einschreiten vom Tode errettet wurde. Ich war mehrere Tage bei ihm geblieben und hatte bei meinem Abschiede das Kameel mitnehmen müssen. Erst jetzt vermochte ich mir die Fragen zu beantworten, welche ich mir an jenem Tage auf dem Gange durch das Wadi vorgelegt hatte. Also darum hatte er von Gnade und Vergebung gesprochen, weil es gefährlich war, sein Lager zu betreten. Und darum besaß er lauter schnellfüßige Reitthiere, weil der Wüstenräuber keine [222] langsamen und schwerfälligen Lastkameele gebrauchen konnte, und er hatte sie in das Wadi versteckt, um einen etwaigen Besucher seines Dorfes nicht auf sein eigentliches Handwerk aufmerksam zu machen.

Meine Rückkehr veranlaßte Mahmud den Großen, unter seinem Dache hervorzukriechen.

»Sihdi, sag, wen bringst Du hier?«

»Sieh Dir ihn an!«

Er that es.

»Allah akbar, Gott ist groß! Das ist ja der edle Bei el Urdi, bei dem Mahmud Ben Mustafa Jussuf Jaakub Ebn Baschar das fetteste Schaf erstochen und verzehrt hat, das ihm jemals vorgekommen ist!«

»Er ist es,« bestätigte ich, über die Erinnerung des hungrigen Dieners lächelnd. »Er liegt mit seiner Karavane ganz hier in der Nähe und wird uns nach Siwah bringen!«

»Bismillah, das ist gut! Dann bekomme ich auch wieder Etwas in meine Flasche; sie ist bom bosch, ganz leer!«

Ich rief die Männer herbei und theilte ihnen mit, so viel ich für gut befand. Von ihnen ungesehen wurde der Körper des Schech el Djemali beseitigt. Sie erfuhren von dem Vorgefallenen Nichts, ich mußte es dem Bei el Urdi versprechen, und hielten den Schech für entsprungen, weil er uns falsch geleitet hatte. Allerdings hätte es ein ungeheures Aufsehen erregt, wenn man in Siwah erfahren hätte, daß der Hedjahn-Bei gezwungen gewesen sei, den Beschützer Derer zu machen, auf deren Untergang er es vorher abgesehen hatte, aber ich konnte mich gern zur Schweigsamkeit verstehen, weil ich froh sein mußte, der uns überlegenen Gum so leichten Kaufs entgangen zu sein.

Der mit dem Messer erzwungene Schwur wurde gehalten. Wir erhielten alles Nöthige und gelangten wohlbehalten in Siwah an. Eine halbe Tagereise vorher aber verabschiedete sich unsre, unter andern Umständen so gefährliche Begleitung. Ihr Anführer liebkoste zum letzten Male sein Bischarinhedjihn und meinte dann mit ernstem Gesichte:

»Rabbena chaliëk, Gott erhalte Dich! Du hast zwei große Bei's bezwungen, Assad-Bei, den Heerdenwürger und Hedjahn-Bei, den Karavanenwürger. Schieß auf den ›Herrn mit dem dicken Kopfe‹ so viel Mal Du noch willst, aber hüte Dich in Zukunft vor der Gum, denn Allah giebt nur selten zu, daß einer seiner Gläubigen dem Fremdling unterliegt. Sallam aaleïkum, Friede und Heil sei mit Dir!«

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). May, Karl. Einzelne Erzählungen. Die Gum. Die Gum. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-310C-A