Gustav von Moser
Das Stiftungsfest
Schwank in 3 Aufzügen

Personen

[2] Personen.

    • Dr. Scheffler, Advokat.

    • Bertha, seine Frau.

    • Commerzienrath Bolzau.

    • Wilhelmine, dessen Frau.

    • Ludmilla, ihre Nichte.

    • Dr. Steinkirch.

    • Hartwig.

    • Brimborius, Festordner.

    • Schnake, Vereinsdiener.

    • Franz, Diener bei Bolzau.

    • Diener bei Scheffler.

1. Akt

1. Auftritt
1. Auftritt.
Bolzau. Bertha.

BOLZAU
vorn rechts auf einem Fauteuil sitzend.
Dein Mann scheint nicht zu kommen! – Sieht nach der Uhr. Meine Zeit ist um. Steht auf.
BERTHA
hat einen Salonflederwisch in der Hand und ist beschäftigt, einige Gegenstände links auf der Bühne abzustäuben.
Oh, ich glaubte, Du würdest zu Mittag bei uns bleiben, lieber Onkel? Willst Du nicht?
BOLZAU.

Geht nicht, mein Kind – Deine Tante erwartet mich – es giebt, glaube ich, heut etwas extra Gutes – und Du weißt, das kann man keiner Frau anthun und da fortbleiben! Gott befohlen – laßt Euch bald einmal sehn.

BERTHA
munter.
Onkelchen – willst Du mir nicht etwas schenken?
BOLZAU.
Schenken?
BERTHA.
Ja – einen neuen Flederwisch!
BOLZAU.

Einen Flederwisch! Wie bescheiden. Ja, mein Kind – ein Dutzend – recht gern. Das Wort »schenken« war mir in die Glieder gefahren – Deine Tante will nämlich einen Landauer geschenkt [3] haben – als wenn sich das so aus dem Aermel schüttelte – na – Du sollst aber Deinen Flederwisch haben – leb' wohl, mein Kind. Ab durch die Mitte.

2. Auftritt
2. Auftritt.
BERTHA.

So – jetzt habe ich hoffentlich noch Zeit, den Schreibtisch in Ordnung zu bringen – Geht an den Schreibtisch. aber wie sieht das wieder aus – Sodom und Gemorrha. Die Gesetzsammlung durch einander geworfen – das Landrecht mit Staub bedeckt. Ordnet und stäubt ab. Ich möchte wohl wissen, wie weit die Männer kämen, wenn wir nicht immer wieder Ordnung schafften. – Und selten haben sie ein Wort des Dankes dafür – hu – »da stieß ich auf verbrannte menschliche Gebeine« – wenn ich dies Kistchen berühre – wird mir eiskalt – Nimmt ein kleines Kistchen in die Hand. Häßliche Erinnerung an das erste Weh' in unserer Ehe – selbst Dich muß ich mit Sorgfalt behandeln – Stäubt es ab. und ich wünschte Dich mit Staub bedeckt – versunken – auf Nimmerwiedersehen.

3. Auftritt
3. Auftritt.
Schnake. Bertha.

SCHNAKE
steckt den Kopf durch die Thür.
Der Herr Doctor nicht zu sprechen? Ah – allerschönsten Morgen, Frau Doctorin.
BERTHA.
Mein Mann ist auf dem Gericht – doch wenn Sie etwas für ihn zu bestellen haben –
SCHNAKE
seine Mappe öffnend.

Ob ich etwas für ihn habe – alle Hände voll – da sehen Sie nur, Frau Doctor – hier ist erstens die Festordnung – das ist das Programm – ein Verzeichniß der Mitglieder u.s.w., u.s.w. Alles zu unserm Fest.

[4]
BERTHA.
Fest? – Zu welchem Fest, Herr Schnake?
SCHNAKE.
Ah – Frau Doctor – als ob Sie das nicht selbst wüßten – zu unserm Stiftungsfest!
BERTHA.
Welches Stiftungsfest?
SCHNAKE.
Das Stiftungsfest des allgemeinen Sängerbundes!
BERTHA
bei Seite, ernst.
Schon ein Jahr seit jenem Tage.
SCHNAKE
Stirn trocknend.

Ja ja, Sie können glauben, Frau Doctor – es giebt viel zu thun – ehe so ein Stiftungsfest zusammenkommt.

BERTHA
unmuthig.
Ich wollte – daß Ihr ganzes Stiftungsfest –
SCHNAKE.
Was belieben Hochdieselben zu wollen?
BERTHA.
Nichts – nichts – ich bin keine Freundin der Sängerfeste.
SCHNAKE.

Frau Doctor haben Recht wie immer – nur belieben Sie zu unterscheiden zwischen den verschiedenen Sängerfesten. Du lieber Gott – heut zu Tage singt ja alle Welt und begeht auch alle Welt Sängerfeste. Aber es ist kein Schwung darin – nur unser Stiftungsfest – das ist eine Ausnahme.

BERTHA.

Es wird auch nicht anders sein wie die übrigen. Ich sehe gar nicht ein, wozu ein solches Fest nöthig ist.

SCHNAKE.

Oho, Frau Doctor – lassen Sie sich das einmal erzählen. In unsrer Stadt bestanden doch verschiedene Männergesangvereine – da war die Concordia – die Polihymnia – die Euterpe. Jeder hielt sich für den allerbesten – allerersten – was der eine that, tadelte der andere – es gab keine Einigkeit unter ihnen. Da hatte der Herr Doctor den großen Gedanken, die Vereine zu einem zusammenzubringen – so entstand im vorigen Jahr der allgemeine Sängerbund – daher dies Jahr Stiftungsfest – großes Concert – großes Festessen. Unsereins läuft sich die Beine dabei ab – aber der Herr Doctor hat auch keine leichte Arbeit dabei.

BERTHA.
Mein Mann wird – – es ist übrigens noch ganz ungewiß – ob mein Mann zum Stiftungsfest gehn wird.
[5]
SCHNAKE.

Ah – Frau Doctor belieben zu scherzen – das weiß ich besser – der kommt ganz sicher – ohne den ginge es gar nicht – der ist immer so fidel –

BERTHA
aufhorchend.
So?
SCHNAKE.

So fidel, daß er die ganze Gesellschaft aufkratzt. Ah – es ist ein recht lieber Mann – ein herrlicher Mann, der Herr Doctor!

BERTHA
gepreßt.
Oh ja – aber – erzählt nur weiter von dem Fest!
SCHNAKE.

So – nun gerne – wenn Sie's interessirt, Frau Doctor. Es kommen heute also schon die Gäste angereist – es ist zwar heut Abend nur eine Ausschuß-Sitzung – morgen Vormittag aber erste Versammlung im Schießhause zu einem großen Frühstück!

BERTHA.
So – damit fängt es an – nicht wahr – es wird getrunken dabei –?
SCHNAKE.

Na – na – Frau Doctor – manchem wird da schon ein kleiner Haarbeutel angehängt – daß ihm die Zunge zu schwer zum Singen wird. – Na, Sie wissen ja, wie das geht.

HERTHA
seufzend halb für sich.
Ah ja – ich weiß – doch weiter.
SCHNAKE.
Dann wird gesungen – wieder gesungen – und wenn die Kehlen dann heiser sind, dann –
BERTHA.
Wird wieder getrunken.
SCHNAKE.

Und wie – da wird die Einigkeit so recht fest gemacht. Aber die Hauptsache kommt nun noch Abends – gemeinschaftliches Festessen – da wird gesungen – geredet –

BERTHA.
Und wieder getrunken –?
SCHNAKE.

Na – na, Frau Doctorn – da bleiben sie denn bis in die Nacht sitzen – und es geht seelensvergnügt zu. Am andern Morgen – hahaha – Frau Doctor, wenn sie da wieder zusammenkommen – die vielen langen Gesichter – lauter saure Sachen frühstücken sie da – hahaha – das nennen sie das Katerfrühstück – hahaha –

[6]
BERTHA
bei Seite.
Katerfrühstück – schauderhaft!
SCHNAKE.

Dabei wird festgesetzt – wo das nächste Stiftungsfest sein soll – das ist die ganze Geschichte. Der Herr Doctor hat Ihnen das gewiß viel besser und schöner erzählt als ich es kann, Frau Doctor.

BERTHA.

Man hört so etwas gern von verschiedenen Seiten – ich danke Ihnen für Ihre treue Schilderung, lieber Schnake.

SCHNAKE.

Bitte – bitte – na – nun muß ich aber weiter, ich habe noch viele und weite Wege. – Ja noch eins – wegen der Festrede – wenn es der Herr Doctor vergessen haben sollte – Sie erinnern wohl daran.

BERTHA.
Mein Mann soll die Festrede halten?
SCHNAKE.

Aufzuwarten – ja. Oh er hat voriges Jahr auch gesprochen – und wie. Früher hielt Herr Krempelmeier die Reden – der platzte beinah – denken Sie – er meinte – es wäre nur der Johannisberger, der aus ihm spräche – blasser Neid – nur blasser Neid, wir kennen das – ein paar Gläser hatte der Herr Doctor zwar getrunken –

BERTHA
bei Seite.
Das glaube ich –
SCHNAKE.

Aber er hat es doch hier und hier sitzen – Auf Kopf und Herz deutend. Das werden die Frau Doctor besser wissen als ich. Na – mich gehorsamst zu empfehlen. Ab durch die Mitte.

4. Auftritt
4. Auftritt.
BERTHA.

Also das nennt man ein Stiftungsfest – ich habe es mir gedacht – und mein Mann der erste dabei. – Andre werden ebenso darüber reden wie dieser Schnake. – Es kann ihm in seiner Stellung schaden – es ist meine Pflicht, ihn davor zu bewahren – ihn zurückzuhalten. – Meine eigene Schuld wäre es, wenn es heute wieder so würde wie im vorigen Jahre. Nein, nein, nein – aber wie[7] – halt – das Kästchen – es enthält Schleifen – Bänder – Medaillen – die er an dem Tage anlegt – sicher wird er es suchen – dabei kommt die Sache zur Sprache –Nimmt den Kasten. und damit kein Zweifel an meinem Willen sei, will ich die Brücke hinter mir verbrennen – dies Kästchen mit seinem ganzen Inhalt – es sei schnell der Vernichtung geweiht. Ab nach links.

5. Auftritt
5. Auftritt.
Scheffler. Dann Bertha.

SCHEFFLER
durch die Mitte, Acten unter dem Arm.

So – für heute wären die Geschäfte besorgt. Sieht nach der Uhr. Ich habe gerade noch eine Stunde Zeit für das Concept meiner Rede. – Legt an und setzt sich an den Arbeitstisch. Ah – wie ordentlich das hier ist – man sieht gleich, daß der gute Geist meiner Bertha hier gewaltet hat. Nimmt Feder und Papier. Nun also an meine Rede. Schreibend. Geehrte Festgenossen – Sprechend. die Anrede ist gut – heut ist der Jahrestag des freudigen Ereignisses –

BERTHA
von links.
Ah – guten Morgen, Bruno –
SCHEFFLER
aufstehend, Feder in der Hand behaltend.

Meine liebe Bertha sei mir tausendmal gegrüßt – als ich heut ausging, träumtest Du noch sanft – meine kleine Langschläferin.

BERTHA.
Schiltst Du mich zum Morgengruß?
SCHEFFLER.
Schelten – welch' hartes Wort – als ob ich das je thäte –
BERTHA.
Wer weiß?
SCHEFFLER.
Nein nein – von mir wirst Du niemals harte Worte hören.
BERTHA.
Ich weinte mir dann auch die Augen aus, Bruno.
[8]
SCHEFFLER.
Diese schönen Augen – nein, sie sollen nicht weinen, meinethalben nie. Küßt sie.
BERTHA.
Mein lieber Mann – aber da seh' ich schon wieder die Feder in Deiner Hand – die garstige Feder.
SCHEFFLER.

Nur noch eine kurze Arbeit, mein Kind – Geht an den Schreibtisch. gerade in diesen Tagen ist etwas viel zu thun. Du könntest mir aber einen Gefallen – Sucht aus dem Schreibtisch umher. – wo ist denn nur –

BERTHA
bei Seite.
Er sucht das Kästchen! Laut. So will ich Dich nicht stören –
SCHEFFLER.
Du störst nicht – unbegreiflich! Suchend.
BERTHA.
Ich sehe Dich wohl vor Tisch nicht wieder? Will ab.
SCHEFFLER
immer suchend.
Ich begreife nicht – Bertha!
BERTHA
umkehrend.
Lieber Bruno!
SCHEFFLER.

Ich hatte hier ein kleines braunes Kästchen, es enthielt Andenken aus meiner Studienzeit – einige Bänder und Schleifen vom vorjährigen Stiftungsfest – hier stand es immer – Sucht. unbegreiflich! Hat sich gesetzt.

BERTHA
bei Seite.
Wir stehen am Rubikon – jetzt Muth.
SCHEFFLER.
Weißt Du vielleicht, wo es ist?
BERTHA
fest.
Oh ja – ich weiß es!
SCHEFFLER.
So – nun das ist ja gut!
BERTHA.
Oder besser – ich weiß wo es war.
SCHEFFLER
erstaunt.
Wo es war?
BERTHA.

Ja – wo es war – denn ich – – ich habe den ganzen Kasten verbrannt. Bei Seite. Gott sei Dank – es ist heraus!

SCHEFFLER
dreht sich erstaunt herum.
Verbrannt, sagst Du?
BERTHA.
Verbrannt.
SCHEFFLER.
Jedenfalls aus Versehen, liebe Bertha – Steht auf. aus Unvorsichtigkeit.
[9]
BERTHA.
Oh nein – mit Absicht und in aller Seelenruhe.
SCHEFFLER.

Das ist doch stark – all' meine alten Erinnerungszeichen, die mich so manchen wackern Mannes – die mich so schöner Stunden gedenken ließen! Wenn ich fragen darf – weshalb, Bertha?

BERTHA.
Weil Du sie nicht mehr brauchst.
SCHEFFLER.
Gewiß – gerade morgen zum Stiftungsfest.
BERTHA.
Oh – da gehst Du ja nicht hin.
SCHEFFLER.
Zweifelst Du daran?
BERTHA.
Ja – denn ich bitte Dich dringend, es nicht zu thun.
SCHEFFLER.

Erst verbrennst Du meinen Kasten – die Form der Bitte ist wenigstens neu – es ist ungefähr dasselbe, als wenn ich sage: ich werde morgen ganz bestimmt das Stiftungsfest besuchen – wir können ja nachher darüber reden!

BERTHA.
Bruno – das sagst Du nicht.
SCHEFFLER.
Allerdings – ich werde das Stiftungsfest besuchen.
BERTHA.
Oh das ist entsetzlich hart. Weint.
SCHEFFLER.
Glaube nicht, daß Du mich mit Thränen zwingst.
BERTHA
gefaßt und sicher.

Oh! ich weine nicht, um Dich zu zwingen – doch einige Worte habe ich noch zu sagen, zu meiner Rechtfertigung – wir sind unter vier Augen – es wird Dich also nicht geniren. Setzt sich rechts. Bitte setze Dich einen Augenblick zu mir. Auf den Stuhl neben sich zeigend.

SCHEFFLER
geht auf seinen Schreibtisch zu und setzt sich entfernt von ihr.
Ich sitze schon.
BERTHA.

Du entsinnst Dich des Tages, gerade vor einem Jahr, wo auch Euer Stiftungsfest, wie Du es nennst, gefeiert wurde.

SCHEFFLER.
Oh weh – Kleinlaut. ist es das? Sieht sich um. Aber lassen wir das nicht lieber?
BERTHA.
Nein – nein – es hört ja Niemand zu.
SCHEFFLER.
Dann sprich wenigstens etwas leiser.

Nimmt den Stuhl und rückt näher zu Bertha.
[10]
BERTHA.
Am Tage vorher schicktest Du mir einen Boten, ließest sagen – Du würdest nicht zu Tisch kommen.
SCHEFFLER
kleinlaut.
Ja allerdings – ich glaube – –
BERTHA.

Wir waren kurz verheirathet – ich war noch nie des Abends allein gewesen – Du sagtest mir – Du würdest etwas spät nach Hause kommen. Ich wartete bis 11.

SCHEFFLER.
Du solltest ja nicht warten, solltest Dich zur Ruhe legen.
BERTHA.

Kann man das, wenn man seinen Mann in tiefer Nacht draußen weiß – allen Gefahren preisgegeben, ich wartete bis 12 – Du kamst nicht – es stiegen allerlei böse Gedanken in mir auf – was konnte Dir nicht begegnet sein! Du konntest Streit bekommen haben, angefallen worden sein – im Geist sah ich Dich verwundet auf der Straße liegen – blutig – es schlug eins –

SCHEFFLER
bei Seite.
Wenn's nur erst vier geschlagen hätte!
BERTHA.

Meine Furcht wurde immer größer – es schlug 2 – meine Angst stieg immer höher, ich wollte hinaus – wollte Dich suchen – es wurde 3 – ich fieberte heftig – ich konnte kaum athmen da endlich Schritte, ein Trupp Männer kommt die Straße herauf, laut lachend – unter ihnen mein Mann – er schließt die Hausthür auf lärmend rufen seine Genossen ihm: gute Nacht zu – er lacht mich an – er sieht meine Angst – er lacht darüber – meine gebleichten Wangen rufen sein Lachen hervor – über meine Thränen lacht er! – Ich eilte zurück, verschloß meine Thür und brachte den Rest der Nacht weinend zu – am andern Morgen fand ich meinen Mann hier sitzend – eingeschlafen im Lehnstuhl – hier auf dieser selben Stelle. Steht auf.

SCHEFFLER
steht auf.

Ja, ja – ich entsinne mich – ich war allerdings etwas angeheitert – ich habe so oft auf Dein Wohl trinken müssen – liebe Bertha –Will zärtlich sein.

BERTHA
zurückweichend.

Kein Wort des Vorwurfs ist damals über [11] meine Lippen gekommen – mit keiner Sylbe habe ich je diesen Vorfall berührt, aber das hab' ich mir in jener Nacht gelobt: dies entsetzliche Lachen will ich nie wieder hören – deshalb hoffe ich – deshalb glaube ich, daß Du diesmal nicht auf das Stiftungsfest gehen wirst. Nicht wahr, Du bleibst zu Hause?

SCHEFFLER.
Das kann ich ja gar nicht.
BERTHA.
Du kannst nicht?
SCHEFFLER.
Wer soll denn die Festrede halten?
BERTHA.
Was kümmert mich die Festrede – Du hast auch Pflichten gegen Deine Frau!
SCHEFFLER
entschlossen.

Du erinnerst mich an meine Pflichten. Ja, Bertha, ich habe Pflichten gegen Dich, gegen mich – gegen unser Glück – und aus dem Grunde kann ich diesmal nicht nachgeben. Ich muß darauf bestehen – ich werde das Fest besuchen.

BERTHA
böse.
Und ich werde es nicht leiden.
SCHEFFLER.
Aber Bertha, welcher Ton?
BERTHA.
Der Ton meiner Liebe – meiner Besorgniß.
SCHEFFLER.
Mir klang der Ton anders – wie Eigensinn und Rechthaberei.
BERTHA.

Rechthaberei?! – Vorhin erst sagtest Du – Du wüßtest nicht, wie Du ein hartes Wort gegen mich aussprechen könntest, und jetzt hast Du harte Worte in Hülle und Fülle.

SCHEFFLER.
Du reizest mich!
BERTHA.
Durch meine Liebe und Besorgniß?
SCHEFFLER.
Die Besorgniß geht zu weit, ich bin kein Kind mehr, das man nicht unbeachtet ausgehen lassen kann.
BERTHA.

Aber mich hieltest Du für ein Kind, das nur gehorchen – das keinen eignen Willen haben soll. Ich bin Deine Frau, nicht Deine Untergebene – hier bin ich im Recht – und ich will mein Recht vertheidigen – Du wirst nicht das Stiftungsfest besuchen.

[12]
SCHEFFLER.
Aber ich kann nicht anders – ich muß gehn.
BERTHA.
Ist das Dein letztes Wort?
SCHEFFLER.
So höre doch nur –
BERTHA.
Ist das Dein letztes Wort?
SCHEFFLER.
Ja denn – ja, ja, ja, ja!
BERTHA.

Gut denn – mein Entschluß ist gefaßt; ich will keine zweite Nacht erleben – wie damals – ich gehe auch fort.

SCHEFFLER
erstaunt.
Du gehst fort?
BERTHA.
Ja.
SCHEFFLER.
Wohin?
BERTHA.

Das kann Dir ja ganz gleichgültig sein. Zu meiner Freundin nach Lindenhain – zu meinem Bruder nach Rosendorf, wohin es sei – nur fort – daß ich Dich nicht wieder angeheitert sehn muß.Ab nach links.

6. Auftritt
6. Auftritt.
SCHEFFLER.

Bertha – Bertha – sie hört nicht! So habe ich sie noch nie gesehen – aber ich kann nicht nachgeben – gerade jetzt nicht nach der Drohung. Sie wird sich die Sache überlegen, ihr Unrecht einsehn – gewiß – aber mir verbittert das die ganze Stimmung – dabei soll ich die Festrede ausarbeiten. Setzt sich. Geehrte Festgenossen – heut ist der Jahrestag – Absetzend. wenn sie nun aber doch ginge – Ach was – das thut sie nicht! – Der Jahrestag des freudigen Ereignisses – was soll nur ihr Bruder dazu sagen.

7. Auftritt
7. Auftritt.
Schnake. Scheffler.

SCHNAKE.
Wünsche gehorsamst guten Morgen, Herr Doctor.
SCHEFFLER.
Was wollen Sie, Schnake?
[13]
SCHNAKE.
Befehlen Sie, daß die Rednerbühne am Ende des Saales oder an der breiten Seite aufgestellt wird?
SCHEFFLER.
Ist mir gleichgültig.
SCHNAKE.

Erlauben Sie, von der breiten Seite aus können Sie besser sprechen – die Stimme hat da mehr Schwung – die Schallwellen haben einen bessern Fluß.

SCHEFFLER.
Meinen Sie.
SCHNAKE.

Es ist ein großer Unterschied – wenn Sie am Ende des Saales sprechen, klingt es so – Nimmt Schefflers Hut und spricht hinein dumpf. Geehrte Festgenossen – u.s.w. u.s.w. Wenn Sie aber an der breiten Seite sprechen – klingt es so. Laut. Geehrte Festgenossen, heut ist der Jahrestag des freudigen Ereignisses –

SCHEFFLER.
Woher wissen Sie denn meine Rede – so will ich ja anfangen.
SCHNAKE.

Ja, ja, Herr Doctor, das lernt man – ich habe schon viele Festreden gehört – so sangen sie alle an. – Gott, wo soll auch alles Neue herkommen – schließlich sagt ja Jeder doch dasselbe.

SCHEFFLER
verletzt.
So?
SCHNAKE.

Ja, der eine mit Schwung, der andere ohne Schwung – nehmen Sie nur die breite Seite, Herr Doctor – ich werde ein Gewinde von Eichenlaub um die Tribüne ziehn – da sollen Sie mal sehn, was das macht! Ich sehe Sie schon im Geiste da oben stehn: – Theure Sängerbrüder u.s.w. – es wird herrlich sein.

SCHEFFLER.
Was der Mensch schwatzt – es ist gut, Schnake.
SCHNAKE.

Also die breite Seite – gehorsamsten guten Morgen, Herr Doctor. Kehrt um. Ja noch eins – denken Sie nur, ein Mitglied der Polihymnia hat sich beschwert, daß keiner von ihnen reden soll – denken Sie nur, die Polihymnia hat doch ihren Eintritt ganz zuletzt erklärt – da kann jetzt doch noch keiner von ihr als allgemeiner Festredner zugelassen werden – das ist ja doch ganz sonnenklar. – Aber [14] sie wollen womöglich alle reden – sie haben eine wahre Wuth auf's reden – na und wenn zuletzt alle reden – wer bleibt denn da noch zum zuhören – habe ich da nicht Recht?

SCHEFFLER.
Guten Morgen, Schnake.
SCHNAKE.
Gehorsamsten guten Morgen, Herr Doctor. Kehrt wieder um. Doch noch etwas –
SCHEFFLER
bei Seite.
Unausstehlich!
SCHNAKE.
Unter den aufgeführten Gästen steht hier Herr Hartwig, bei Ihnen einquartiert –
SCHEFFLER.
Alle Wetter, Hartwig –
SCHNAKE.
Ist wohl noch nicht angekommen – dann darf ich die Karten für ihn wohl hier lassen.
SCHEFFLER.
Nein – nein – nehmen Sie sie nur wieder mit – vielleicht kommt er gar nicht.
SCHNAKE.

Schade – nun – ich werde nochmals nachfragen. Mich gehorsamst zu empfehlen, Herr Doctor. Ab durch die Mitte.

8. Auftritt
8. Auftritt.
SCHEFFLER.

Alle Wetter Hartwig – den hatte ich ja ganz vergessen. Allerdings hatte ich ihn eingeladen, aber heut – meine Frau in der Stimmung – er würde es merken – bei seiner Art zu schwatzen, würde es die ganze Stadt erfahren. Das geht nicht – ich muß es vermeiden –

9. Auftritt
9. Auftritt.
Scheffler. Hartwig. Steinkirch.
Hartwig eine Reisetasche umgehängt, Steinkirch mit einem kleinen Handkoffer.

HARTWIG.
Scheffler – Bruno – altes Haus! Schnell eintretend umarmt Scheffler.
[15]
SCHEFFLER
etwas kühl.
Lieber Freund – sei willkommen.
HARTWIG.

Oh kein Wort weiter – ein warmer Händedruck zeigt mir, daß wir noch die Alten sind. Da sind alle Worte überflüssig – und Du weißt, ich hasse ja nichts mehr als Redensarten. Eigentlich sollte man das Reden ganz abschaffen – wo man sich mit einem Worte durch ein Zeichen verständigen kann – es würde nicht so viel überflüssiges Zeug geschwatzt werden.

SCHEFFLER.
Ganz recht – Du willst –?
HARTWIG
unterbrechend.
Wieder eine überflüssige Frage – natürlich will ich – und werde Dir schon sagen, was ich will.
SCHEFFLER
auf Steinkirch deutend.
Aber da ist –
HARTWIG
wie oben.

Ein Fremder, den ich mitgebracht habe, den Du kennen lernen sollst – ich werde ihn Dir gleich vorstellen. Nur immer eins nach dem andern, Alles in gehöriger Ordnung. Also Du befindest Dich wohl?

SCHEFFLER.
Ja.
HARTWIG.

Gut – freut mich – damit Du dieselbe Frage ersparst, will ich Dir gleich Antwort geben – ich befinde mich auch wohl, abgerechnet ein bischen Reißen in der linken Schulter. Hatte eine Kahnparthie – es wurde spät Abends – wodurch ich mir eine Erkältung zugezogen – hat aber nichts zu sagen, wird sich bald wieder geben. Zweitens aber ist morgen unser Stiftungsfest –

SCHEFFLER.
Ja – das heißt –
HARTWIG.

Ein einfaches Ja genügt. Du hättest auch nur mit dem Kopf zu nicken brauchen. Du hast mich zum Stiftungsfest eingeladen – hast mir ein Zimmer angeboten, ich habe die Einladung angenommen –

SCHEFFLER.
Und kommst –
HARTWIG.
Ich komme und komme auch nicht – das heißt, ich komme um wieder zu gehn!
[16]
SCHEFFLER.
Wie? Erfreut.
HARTWIG.

Ich weiß, daß Du es sehr bedauern wirst – doch es geht nicht anders alter Freund – ich muß bei meiner alten Tante wohnen.

SCHEFFLER
bei Seite.
Gott sei Dank.
HARTWIG.

Sie hatte von meiner Ankunft gehört, und da ist es Höflichkeit – Rücksicht – es ist nämlich eine Erbtante – da treffe ich unterwegs Jemand, der noch nicht weiß, wo er Quartier finden soll. Hollah sage ich – das paßt ja vortrefflich! – dem Manne kann geholfen werden und so bringe ich Dir denn einen andern Gast mit, damit Du Dein Fremdenzimmer nicht umsonst eingerichtet hast!

SCHEFFLER.
Lieber Freund –
HARTWIG.

Jetzt kommt die Vorstellung – Herr Doctor Steinkirch, junger Gelehrter – sehr viel gelernt – Redacteur einer wissenschaftlichen Zeitschrift – Verbeugen Sie sich – verbeuge Du Dich auch – So, die Bekanntschaft ist gemacht, die Sache ist in Ordnung – ist Dir's recht? –

SCHEFFLER.
Es würde mir –
HARTWIG.

Eine noch größere Freude sein, wenn Ihr beide hier bleibt, willst Du sagen – Ich verstehe – aber das geht nun einmal nicht – die Erbtante –

STEINKIRCH
zu Scheffler.
Sie sehen, es ist kaum möglich, zu Worte zu kommen.
HARTWIG.

Ja Kinder, wenn man Euch nicht im Zaum hielte, wenn man Euch nach Belieben reden ließe – wer sollte da Ohren genug haben zu hören. Ich denke noch daran, als wir zusammen studirten – Du hattest eine förmliche Wuth Reden zu halten, es verging kein Commers – kein Kneipabend – wo Du nicht eine Pauke losließest. – Und ich bin überzeugt, daß Du morgen beim Stiftungsfest auch wieder als Festredner auftreten wirst. –

[17]
SCHEFFLER.
Das heißt – man hat mich ersucht –
HARTWIG.

Na schon gut – ich weiß genug. Alle Achtung – ich finde es sehr natürlich – daß die Euterpe stets die Festredner stellt. Die Euterpe ist ja natürlich besser wie die andern Vereine, treibt ja philosophische Musik – hat die besten Stimmen –Zu Steinkirch. ist nämlich kaum zum Anhören – Da muß sie natürlich den Redner stellen – die andern Vereine stehen immer zurück – wenn sie da auch Jemand haben, der die Sprache in seiner Gewalt hat – Frische – Geist – Alles einerlei – aber das nebenbei. Die Hauptsache ist also gemacht, Sie sind untergebracht – Du hast einen liebenswürdigen Gast, heut Abend treffen wir uns im blauen Roß – lebt wohl. Giebt Beiden die Hände, dann ab – macht kehrt.

STEINKIRCH.
Endlich kann ich Ihnen sagen –
HARTWIG.

Ja, noch eins – vor 15 Monaten hast Du Dich verheirathet. Ich habe die Gesundheit Deiner Frau zwar beim vorigen Stiftungsfest oft getrunken, habe sie aber noch nicht kennen gelernt. Du lebst glücklich in Deiner Ehe?

SCHEFFLER.
Welche seltsame Frage? Allerdings –
HARTWIG.

Ein einfaches Ja hätte genügt. Diese vielen Worte sind verdächtig – es ist eine Umschreibung, die mir das Gegentheil zu sagen scheint. Du kommst mir auch so blaß vor – bist etwas abgemagert, das sind die Folgen des Heirathens – ja ich bin klug und weise – Seht mal, wie ich aussehe – ich habe keine Frau – ich nehme niemals eine Frau!

SCHEFFLER UND STEINKIRCH
lachen laut.
HARTWIG.
Bah – was giebt es da zu lachen?
STEINKIRCH.
Er brennt darauf, eine Frau zu bekommen.
SCHEFFLER.
Ich weiß – ich weiß –
HARTWIG.
Ich denke nicht daran.
SCHEFFLER.
Alter Freund – Du hast Dir manchen Korb geholt!
[18]
HARTWIG.
Warum nicht gar?
STEINKIRCH.
Oh – wie war's mit der schönen Wittwe vor drei Monaten?
HARTWIG.
Wollt' ich nicht.
STEINKIRCH
zu Scheffler.
Er wollte wohl – ist aber abgeblitzt.
HARTWIG.
Dummes Zeug!
SCHEFFLER.
Und bei der kleinen Blondine – entsinnst Du Dich?
HARTWIG.
Was Ihr Alle wollt –
SCHEFFLER.
Ist er auch abgefallen.
HARTWIG.
Ich mag die Blondinen gar nicht.
STEINKIRCH.
Ich könnte auch eine ganze Reihe Brünetten nennen –
HARTWIG
knurrt.
STEINKIRCH.
Ueberall hat er geschmachtet und geworben.
HARTWIG
knurrt.
SCHEFFLER.
Und immer wieder abgeblitzt.
STEINKIRCH.
Abgeblitzt!
HARTWIG.

Hab' ich es nicht gesagt – wenn Ihr einmal zu Worte kommt – nichts als dummes Zeug bringt Ihr vor. – Wenn ich auch kein ganzer Adonis bin, ich habe Geist – das könnt Ihr mir nicht absprechen – und nur mit Geist erobert man die Weiber. Wenn ich also einmal ernstlich will, werde ich nicht schmachten – sondern im Sturm erobern! Nun will ich aber meinen Ohren die Qual nicht anthun, Euer Geschwätz weiter anzuhören – Guten Morgen. Ab durch die Mitte.

STEINKIRCH.

Ich falle Ihnen als Unbekannter so ins Haus, Herr Doctor – wenn ich Ihnen die leiseste Unbequemlichkeit verursache –

SCHEFFLER
verlegen.
Bitte – bitte –
STEINKIRCH.
Ich bin nur mitgekommen, weil Hartwig behauptete, sein Zimmer wäre bereit –
SCHEFFLER.
Allerdings – wenn Sie damit fürlieb nehmen wollen – Bei Seite. es ist gar nicht zu umgehn –
[19]
STEINKIRCH.
Sie sind sehr gütig. Aber wenn Sie erlauben, daß ich mir den Staub von der Reise etwas abschüttle –
SCHEFFLER.

Ja – jawohl – Bei Seite nach einiger Verlegenheit. Haben Sie die Güte hier so lange einzutreten. Auf die Thür rechts deutend.

STEINKIRCH.
Wenn Sie erlauben – ich bin gleich wieder da. Reisetasche beibt an der Thür stehn. Ab nach rechts.
SCHEFFLER
sehr höflich.

Ich bitte sehr – In verändertem Ton. Das ist eine verteufelte Geschichte. Ein mir selbst ganz fremder Gast gerade jetzt! – was wird meine Frau dazu sagen – Halt – oben im dritten Stock ist ein Zimmer zu vermiethen; wenn ich das nehme, sage: es ist mein Fremdenzimmer – da komme ich mit meiner Frau gar nicht in neues Zerwürfniß. Der Gedanke war gut – also schnell ihn ausgesührt. Will fort.

10. Auftritt
10. Auftritt.
Bertha. Scheffler.

BERTHA
von links – im ernsten Tone.
Verzeihe –
SCHEFFLER.
Was hätte ich zu verzeihen –?
BERTHA.
Daß ich Dein Zimmer betrete – ich hatte vorhin hier etwas liegen lassen. Sucht auf dem Tisch links.
SCHEFFLER
für sich.

Dieser kalte gemessene Ton – Indem er sie betrachtet. und doch ist sie so hübsch – auch mit dem Ernst in dem lieben Gesicht. – Am liebsten möcht' ich ihr um dem Hals fallen. –

BERTHA
für sich.
Ich hoffte, er würde mir entgegenkommen – aber er bleibt starr und eigensinnig.
SCHEFFLER
für sich.
Und nun ist der Unglücksmensch im Nebenzimmer – wenn er herauskäme – es würde sie noch mehr reizen.
BERTHA.

Er rührt sich nicht – auch gut – ich thue keinen Schritt entgegen. Sieht die Reisetasche von Steinkirch. Was ist denn das dort –

[20]
SCHEFFLER.
Oh weh! Das? – Eine Reisetasche!
BERTHA.
Willst Du auch verreisen?
SCHEFFLER.
Nein – aber – Bei Seite. was sag' ich nur Laut. es ist – ich habe – da im Nebenzimmer –
BERTHA.
Ich verstehe nicht, was Du sagen willst?
SCHEFFLER.
Ich theilte Dir schon mit, daß ich einen neuen Schreiber anstellen muß – er ist angekommen.
BERTHA.
Das ist ja gut!
SCHEFFLER.
Er ist da drin – da –
BERTHA.
So – nun –? Sieht ihn verwundert an.
SCHEFFLER.

Der Wirth hatte mir versprochen, im dritten Stock für ihn eine Stube abzutreten – ich wollte eben sehn, ob dieselbe für ihn in Ordnung ist. Trocknet sich die Stirn.

BERTHA.
Laß Dich nicht abhalten.
SCHEFFLER.
Die Sache ist in wenigen Minuten abgethan! – Bei Seite, im Abgehen. Oh! Oh! – Ab durch die Mitte.
BERTHA.

Ist es wohl erhört?! An meinen Kummer, meinen Schmerz denkt er nicht – aber das Zimmer für seinen Schreiber – das scheint ihm von der größten Wichtigkeit. Oh – sie verdienen es nicht, diese Männer, daß wir unsere Liebe an sie verschwenden – hart – sehr hart ist es, hinter den Schreiber rangirt zu werden. Weint.

11. Auftritt
11. Auftritt.
Steinkirch. Bertha.

STEINKIRCH
von rechts.
Ah eine Dame. – Hab' ich vielleicht das Glück, die Frau vom Hause zu begrüßen.
BERTHA
kalt.
Allerdings.
STEINKIRCH.
Ich hoffe nicht, daß meine Anwesenheit Ihnen irgend welche Unbequemlichkeit verursacht.
[21]
BERTHA.
Ihre Anwesenheit mir unbequem –? ich wüßte nicht, wie das sein könnte.
STEINKIRCH
für sich.
Entgegenkommend ist sie nicht.
BERTHA.
Ein dreister Herr – der Schreiber!
STEINKIRCH
im Conservationston.
Der Himmel scheint seine Ungerechtigkeit wieder gut machen zu wollen.
BERTHA.
Der Himmel?
STEINKIRCH.

Nachdem er uns durch nasses und kaltes Wetter um den Frühling gebracht hat, läßt sich der Sommer freundlich an.

BERTHA
etwas spitz.
Sie scheinen ein Wetterbeobachter – Herr mein Mann hat mir Ihren Namen nicht genannt.
STEINKIRCH.
Steinkirch heiß ich!
BERTHA.
Dort ist der Schreibtisch meines Mannes!
STEINKIRCH
sich umsehend.

Schreibtisch – ein sehr hübscher Schreibtisch. – Die Kunst, Möbel zu verfertigen, ist in neuer Zeit sehr weit vorgeschritten – wenn ich bedenke –

BERTHA
ihn unterbrechend.
Wollen Sie die Akten meines Mannes nicht einmal durchsehen?
STEINKIRCH.
Akten? – gewiß sehr interessante Akten. Aber ich werde mir nicht erlauben in Ihrer Gegenwart –
BERTHA.
Lassen Sie sich durch meine Gegenwart keinen Zwang auflegen. –
STEINKIRCH.

Oh – bitte, ich kenne meine Schuldigkeit! – Das Stiftungsfest des allgemeinen Sängerbundes wird in diesem Jahr gewiß sehr glänzend ausfallen.

BERTHA
bei Seite.
Fängt er auch schon davon an.Laut. Dort ist der Schreibtisch meines Mannes.
STEINKIRCH
sich umsehend.

Was will sie nur immer mit dem Schreibtisch! Laut. Schade, daß die Damen an dem Fest nicht Theil nehmen können –

[22]
BERTHA
aufstehend, gereizt.
Das fehlte noch!
STEINKIRCH.

Aber es sind leider zu viel Stimmen dagegen – Männergesang, behaupten sie, könne nur in Männergesell-

BERTHA
bei Seite.

Zudringlicher Mensch! Laut. Dort ist der Schreibtisch meines Mannes! Bei Seite. Jetzt wird er wohl endlich seine Stellung begreifen. Ab nach links.

STEINKIRCH
sieht ihr verwundert nach.

Die Frau muß eine fixe Idee mit dem Schreibtisch haben! Oder sollte ich doch nicht willkommen hier im Hause sein? Hartwig behauptete, ich würde eine vortreffliche Aufnahme finden. – Scheffler schien mir schon etwas zerstreut – und die Frau mit ihrem Schreibtisch war nichts weniger wie entgegenkommend. Nein, nein – meine Reisetasche ist noch nicht ausgepackt – das Beste wird sein, ich suche im Gasthof ein Unterkommen. Will ab.

12. Auftritt
12. Auftritt.
Ludmilla. Steinkirch. Diener.

DIENER
durch die Mitte.
Ich will der Frau Doctorin sagen, daß Sie da sind. Links ab.
LUDMILLA
zum Diener.
Nur einen Augenblick will ich sie sprechen!
STEINKIRCH.
Diese Stimme!
LUDMILLA.
Ah ein Herr – seh' ich recht?
STEINKIRCH.
Täuschen mich meine Augen?
LUDMILLA.
Herr Doctor Steinkirch.
STEINKIRCH
lebhaft.
Fräulein Ludmilla.
LUDMILLA.
Sie wissen meinen Namen noch?
STEINKIRCH.
Leider nur den einen schönen Vornamen – der mir seit langer Zeit unaufhörlich in den Ohren klingt.
LUDMILLA.
Warum leider?
[23]
STEINKIRCH.

Weil Sie mir den Familiennamen nicht genannt haben, weil ich nicht weiß, wer Sie sind, wo Sie wohnen – weil ich nicht nach Ihnen forschen, Sie nicht aufsuchen konnte.

LUDMILLA.

Weshalb wollten Sie ein unbedeutendes Mädchen aufsuchen – das einmal flüchtig Ihren Lebenspfad kreuzte?

STEINKIRCH.

Ach ja – es war nur zu flüchtig. Ich gehe in Baden-Baden spazieren, bemerke ein junges Mädchen, das verlegen an einem Bache steht. – Ich eile hinzu, ich helfe ihr über die Steine – die einen Uebergang bilden –

LUDMILLA.
Sie selbst gingen dabei im Wasser!
STEINKIRCH.
Ich glaube ja –! Sie erlaubt mir, sie eine kurze Strecke zu begleiten.
LUDMILLA.
Es war ein Weg von einer Stunde!
STEINKIRCH.

Sie irren sich, es konnten höchstens fünf Minuten sein. Das Mädchen sagt mir, daß sie täglich diesen Weg wandle – ich bin am andern Tage wieder zur Stelle. Sie kommt, wie sie versprochen. Eine Stunde verfliegt rasch – ich scheide mit der seligsten Hoffnung auf den andern Tag, aber sie kommt nicht wieder – auch nicht den zweiten und dritten Tag – Sie kam niemals wieder.

LUDMILLA.
Wir mußten plötzlich abreisen.
STEINKIRCH.
Und ich hatte ihr noch so viel zu sagen – so viel zu fragen.
LUDMILLA.
Ich war mit der plötzlichen Abreise durchaus nicht einverstanden.
STEINKIRCH.
Aber da ich Sie jetzt wiedersehe – sagen Sie mir, wo ich Sie finden kann?
LUDMILLA.
Ich wohne bei meinem Oheim, dem Commerzienrath Bolzau.
STEINKIRCH.
In hiesiger Stadt?
LUDMILLA.
Ja.
[24]
STEINKIRCH.
Commerzienrath Bolzau, in hiesiger Stadt – wann darf ich Ihnen meinen Besuch machen?
LUDMILLA.

Oh das ist nicht so leicht. Meine Tante sucht mich von allem Umgang fern zu halten – ich gleiche beinahe einer verwunschenen Prinzessin –

13. Auftritt
13. Auftritt.
Diener. Vorige.

DIENER
die Thür links öffnend und dabei stehen bleibend.
Frau Doctor lassen bitten.
STEINKIRCH.
Und giebt es kein Mittel, den Zauber zu lösen?
LUDMILLA.
Das käme wohl auf den Ritter an. – Adieu, mein Herr. Schnell ab nach links.
DIENER
ab durch die Mitte.
STEINKIRCH.
Das war eine Zustimmung – oh nein, nein – es war noch mehr!
14. Auftritt
14. Auftritt.
Steinkirch. Dann Hartwig.

HARTWIG
durch die Mitte.
Ah, Steinkirch – gut, daß ich Dich treffe. – Sehr erregt.
STEINKIRCH.
Was giebt es denn?
HARTWIG
ihn bei der Hand fassend – in Aufregung.
Mensch – das war der Inbegriff aller Anmuth, aller Schönheit, aller Holdseligkeit!
STEINKIRCH.
Ja – was hast Du denn?
HARTWIG
ruhig.
Ist hier nicht soeben eine junge Dame eingetreten?
STEINKIRCH
verlegen.
Eine junge Dame – hier?Entschieden. Nein!
HARTWIG.
Nein? – dann habe ich keinen Augenblick zu verlieren? Will fort.
[25]
STEINKIRCH
ihn aufhaltend.
Aber sage doch – was ist Dir begegnet?
HARTWIG.

Du wirst das doch nicht begreifen. – Ich gehe von hier fort, da sehe ich mir entgegenkommen eine junge Dame – Entgegenkommen! – Thörichtes, mattes Wort – schweben – mir entgegenschweben –

STEINKIRCH.
Eine junge Dame –
HARTWIG.

Dame hab' ich gesagt? mattes Wort! Die Grazie, die Anmuth selbst war es – mit einem Wort, ein höheres Wesen – ein Engel.

STEINKIRCH.
Du schwärmst schon wieder!
HARTWIG.

Ich stehe wie gebannt – sie schwebt näher. Der Zephir spielte mit ihren Locken – reizende blonde Locken – in der Hand hielt sie einen kleinen Sonnenschirm – grade wie die Rosenkönigin ihr Scepter halten würde – den Blick niedergeschlagen – da – Faßt heftig Steinkirch am Arm. Mensch –

STEINKIRCH
erschreckt.
Nun?
HARTWIG.

Da schlägt sie die Augen auf. Ich sehe ein blaues Auge – ach was, Auge – ein tiefes, unendliches blaues Meer – ich versank.

STEINKIRCH.
Aber Du bist gerettet.
HARTWIG.

Ich sagte ja gleich, Du würdest das nicht begreifen. Als ich wieder zu mir komme, ist sie vorüber – ich eile ihr nach – sie biegt in dieses Haus –

STEINKIRCH
bei Seite.
Ludmilla?
HARTWIG.
Jetzt gilt es, sie wiederzufinden – Das ist einfach – ich beobachte unten die Hausthür.
STEINKIRCH
bei Seite.

Das wäre – Laut. Wahrscheinlich ist sie oben im dritten Stock. Ja, ganz recht, ich hörte vorhin oben die Glocke [26] ziehn. Wenn Du eine Treppe höher steigst und dort auf dem Flur wartest, kann sie Dir nicht entgehn.

HARTWIG.
Gut – und wenn ich 24 Stunden dort stehn sollte –
STEINKIRCH.
Für alle Fälle werde ich mich unten aufstellen.
HARTWIG.
Ach ja, alter Freund – wir müssen sie wiederfinden.
STEINKIRCH.
Wir werden sie wiederfinden.Beide ab durch die Mitte.
15. Auftritt
15. Auftritt.
Bertha. Ludmilla.

BERTHA
von links.
Aber Du bist ja heut entsetzlich eilig, Ludmilla. Kaum eingetreten und schon wieder fort.
LUDMILLA
nach der Uhr sehend.

Du kennst ja die Tante – ich habe nur eine Stunde Erlaubniß auszubleiben – und ich möchte keine bösen Gesichter sehn –

BERTHA.
Du hast Recht – also leb' wohl – Hand gebend.
LUDMILLA.
Und dann scheinst Du mir heut auch nicht recht bei Laune – Du bist ernst, etwas zerstreut – ja ja –
BERTHA.
Ich – zerstreut – oh – Lachend. Kleine Wirthschaftssorgen, weiter nichts.
LUDMILLA.
Nun, damit wirst Du fertig werden – leb' wohl, Bertha. Giebt ihr die Hand, dann ab durch die Mitte.
BERTHA.

Leb' wohl! – Sehr ernst. Kleine Wirthschaftssorgen – das sag' ich so lachend – während mein Herz blutet – während es sich um mein Lebensglück – vielleicht um meine ganze Zukunft handelt.

16. Auftritt
[27] 16. Auftritt.
Brimborius. Bertha.

BRIMBORIUS
durch die Mitte.

Ah – Verzeihung! Der Diener sagte mir, daß der Herr Doctor zu Hause sei – mein Name ist Brimborius. Ich bin Festordner, beim Stiftungsfest – Sie werden vielleicht meinen Namen gehört haben –

BERTHA
kühl.
Ich bedaure!
BRIMBORIUS.

Ich wollte Ihren Herrn Gemahl nur fragen, was ungefähr der Inhalt seiner Rede sein wird – ob er wünscht, daß bei irgend einer Stelle einige Böllerschüsse oder Kanonenschläge im Garten losgehn – das macht sich ausgezeichnet. Vielleicht können Sie mir sagen, wie er darüber denkt?

BERTHA
halb bei Seite, böse.
Ich wünschte, die Kanonenschläge zer–
BRIMBORIUS.

Ah, Sie wünschen die Kanonenschläge – das ist mir genug! Da brauch' ich ihn gar nicht mehr zu hören. Verlassen Sie sich darauf, Frau Doctor, wenn Ihr Mann seine Rede hält – soll eine Kanonade stattfinden, wie sie in der Schlacht nicht besser sein kann. Verlassen Sie sich auf mich – die Fensterscheiben sollen zittern. – Habe die Ehre, Frau Doctor. Ab durch die Mitte.

17. Auftritt
17. Auftritt.
Bertha. Dann Scheffler.

BERTHA.

Es scheint, die ganze Stadt kommt außer Rand und Band. Dieses unselige Stiftungsfest – es will durchaus feindselig in mein Leben eingreifen – doch ich halte Stand – je mehr die Gefahr auf mich eindringt – desto stärker fühle ich meinen Muth, meine Widerstandskraft [28] wachsen – Stampft mit dem Fuß. Mein Mann darf nicht zum Stiftungsfest!

SCHEFFLER
durch die Mitte.
Unangenehm – wirklich sehr unangenehm!
BERTHA.
Was?
SCHEFFLER.
Das Zimmer im dritten Stock wird erst in drei Tagen fertig.
BERTHA.
Nun, so wird Dein neuer Schreiber doch so lange im Gasthof bleiben können.
SCHEFFLER.

Im Gasthof – jawohl, richtig im Gasthof. Aber grade während des Stiftungsfestes – – ich wünschte, daß er hier bei uns bleiben könnte.

BERTHA.

Ah so, so! – ich verstehe. – Nun, ich will Dich nicht geniren – ich lasse Dir freies Feld für die Tage Deines Stiftungsfestes!

SCHEFFLER
auf sie zutretend.
Aber Bertha –
BERTHA
ihn kalt abweisend.

Bitte, mein Entschluß ist gefaßt – ich gehe zu meinem Bruder nach Rosendorf. Mag es Dir gut gehen – leb' wohl! Ab nach links.

SCHEFFLER.

Eine Frau das Haus ihres Mannes verlassen? – es ist ja kaum möglich – nein nein – sie thut es auch nicht – gewiß nicht!

18. Auftritt
18. Auftritt.
Steinkirch. Scheffler.

STEINKIRCH
durch die Mitte.

Sie ist fort, und er wartet noch oben – Ergreift seine Reisetasche – die immer an der Thür stehen geblieben. Ah – Herr Doctor – Sie sind zurück!

SCHEFFLER.
Ich bitte um Vergebung, daß ich so lange blieb – doch wo wollen Sie hin?
[29]
STEINKIRCH
die Tasche niedersetzend und vortretend.

Offen gestanden, ich hatte das Vergnügen, Ihre Frau Gemahlin zu sprechen – es schien ihr nicht angenehm, einen Fremden beherbergen zu sollen.

SCHEFFLER.
Nicht angenehm – wie können Sie denken?
STEINKIRCH
bei Seite.
Ich zerbreche mir noch vergeblich den Kopf wegen des Schreibtisches!
SCHEFFLER
bei Seite.

Ah – das geht! Laut. Ich muß Ihnen offen gestehn, meine Frau hat soeben eine unangenehme Nachricht von ihrem Bruder erhalten.

STEINKIRCH
halb für sich.
Muß sehr unangenehm gewesen sein.
SCHEFFLER.
Sie muß sogleich zu ihm reisen.
STEINKIRCH.
So ist es das beste, ich gehe auch so gleich in den Gasthof. Will fort.
SCHEFFLER
ihn haltend.
Auf keinen Fall geb' ich das zu. Sie sind mein Gast – ich muß für Sie sorgen –
STEINKIRCH.
Oh – bitte –
SCHEFFLER.

Allerdings, in Abwesenheit meiner Frau kann ich Ihnen in meinem Hause nicht alle Annehmlichkeiten bieten.

STEINKIRCH.
Also lassen Sie mich in den Gasthof.Will fort.
SCHEFFLER
ihn aufhaltend.
Nein – nein – auf keinen Fall! Ich führe Sie zu meinem Oheim!
STEINKIRCH.
Zu Ihrem Oheim? Vielleicht reist dessen Frau auch gerade fort!
SCHEFFLER.
Sie werden dort vortrefflich aufgehoben sein.
STEINKIRCH.
Ich danke wirklich – Will fort.
SCHEFFLER.
Das Haus des Commerzienrath Bolzau ist das gastfreiste weit –
STEINKIRCH
lebhaft.
Wie heißt Ihr Oheim?
SCHEFFLER.
Commerzienrath Bolzau!
STEINKIRCH.
Er hat eine Nichte –
[30]
SCHEFFLER.
Allerdings!
STEINKIRCH
bestimmt und dringend.
Ich nehme Ihr Anerbieten an, wir gehn zu Ihrem Oheim. – Aber – lassen Sie uns schnell gehn.
SCHEFFLER
horcht nach dem Fenster.
Was ist das – ein Wagen Sieht hinaus. Meine Frau mit einem Handkoffer – sie fährt wirklich!
STEINKIRCH.
Was haben Sie denn?
SCHEFFLER
kleinlaut.
Da sehn Sie, Herr Doctor – sie fährt wahrhaftig.
STEINKIRCH.
Ja – ich sehe!
SCHEFFLER
verwirrt.

Ja – es ist mir lieb, daß Sie es selbst sehen, wie sie davon fährt. Für sich. Keinen Blick hat sie für mich – Laut. Da – Sehr niedergeschlagen. Sie ist fortgefahren.

STEINKIRCH.
Richtig, sie ist fortgefahren – aber warum sagen Sie das so jämmerlich?
SCHEFFLER.

Jämmerlich? Sich fassend und gezwungen heiter. Daß ich nicht wüßte – ganz und gar nicht. Bei Seite. Es ist zu thöricht – was nun thun?

STEINKIRCH.
Wollten wir nicht zu Ihrem Oheim gehn?
SCHEFFLER
auffahrend.
Ja, ja so! In Kukuks Namen – Vorwärts zum Onkel. Beide wenden sich zum Gehn.

Der Vorhang fällt.

2. Akt

1. Auftritt
1. Auftritt.
Bolzau. Wilhelmine.

BOLZAU
sitzt auf dem Sopha, hat ein Zeitungsblatt in der Hand.

Alle Bäder wieder überfüllt! Ich begreife die Wuth der Menschen nicht, in die Bäder zu reisen. So recht behaglich zu Hause zu sitzen, ohne Sorgen – in aller Bequemlichkeit – das ist doch der eigentliche Lebensgenuß.

WILHELMINE
rechts am Fenster – sieht ab und zu hinaus.
Welche Zeit ist es wohl?
BOLZAU.
Soll Dir mein Magen oder meine Uhr antworten?
WILHELMINE.
Dein Magen pflegt sehr pünktlich zu gehn.
BOLZAU.

Gott sei Dank – ja. Wenn der alte Bursche nicht zur rechten Zeit seine Bedürfnisse durch ein liebenswürdiges Knurren anzeigt – steht es schlecht mit der Gesundheit. Uhr sehend. Nun, mein Magen meldet Essenszeit – nach meiner Uhr fehlen noch zehn Minuten.

WILHELMINE.
Ich begreife nicht, wo Ludmilla bleibt.
BOLZAU.
Aengstigst Du Dich schon wieder?
WILHELMINE
unruhig.
Sie müßte schon wieder da sein; wenn nur nicht –
[32]
BOLZAU.
Aber Kind, sie ist doch groß genug, um den Wagen auszuweichen!
WILHELMINE.
Oh die Wagen sind nicht die größte Gefahr für ein junges Mädchen.
BOLZAU.
So? Nun, welche Gefahren lauern denn auf die armen holden Geschöpfe?
WILHELMINE.
Das wirst Du wohl am besten wissen. Du warst einst auch eine solche Gefahr.
BOLZAU.
Der Du bereitwillig in die Arme gelaufen bist! Hahaha!
WILHELMINE.
Der ich wenigstens nicht rechtzeitig ausgewichen bin.
BOLZAU.
Und die Gefahr hat Dich in's Unglück gestürzt?
WILHELMINE.
Allerdings.
BOLZAU.
Merkwürdig, daß sich die Mädchen wie blind in diese Gefahr stürzen.
WILHELMINE.
Spotte nur nicht – wir armen Frauen haben schon so viel zu tragen.
BOLZAU.
Viel zu tragen? – da hast Du Recht – Kleider – Spitzen – Schmuck –
WILHELMINE.
Die Launen der Männer –
BOLZAU
gutmüthig.
Habe ich Launen, Wilhelmine –
WILHELMINE.
Na, na –
BOLZAU.
Minettchen!
WILHELMINE.
Hm!
BOLZAU.
Minona – Launen? Hast Du ein Recht, über mich zu klagen?
WILHELMINE.

Das sagt der Mann mit der unschuldigsten Miene von der Welt! – und wie oft habe ich ihn schon gebeten, einen neuen Wagen zu kaufen? Hast Du denn den Landauer ganz vergessen?

BOLZAU.
Oh weh, der Landauer! Rückt herum und nimmt die Zeitung vor.
[33]
WILHELMINE.

Ich schäme mich, wenn ich die Präsidentin, die Baronin Hirschberg und Andre in ihren Landauern fahren sehe und ich habe keinen.

BOLZAU
für sich.

Seltsames Volk, die Weiber! in der Jugend schämen sie sich – wenn sie recht viel angesehen werden – später schämen sie sich, wenn sie keinen Landauer haben und nicht genug angesehen werden! Liest Zeitung.

WILHELMINE.
Bolzau!
BOLZAU.
Hm!
WILHELMINE.
Den Landauer?
BOLZAU
legt die Zeitung fort – steht auf.
Was giebt es denn heut zu essen, Minettchen?
WILHELMINE.
Den Landauer!
BOLZAU
komisch ärgerlich.
Ah – den hab' ich wirklich schon im Magen.
WILHELMINE
besänftigend.
Nun – nun – Kapaunen giebt es –
BOLZAU
freundlich.

Kapaunen – hm! Das paßt mir ja grade heut vortrefflich – Sieht nach der Uhr. Gehn wir denn nicht bald zu Tisch?

WILHELMINE.
Ludmilla ist noch nicht zurück!
BOLZAU.
Ah so –
WILHELMINE
die nach dem Fenster gegangen.
Da kommt sie endlich!
BOLZAU.
Höre, lieber Schatz – das Mädchen behandelst Du doch etwas zu strenge.
WILHELMINE.
Zu strenge? Nein, nur gewissenhaft!
BOLZAU.

Daß Du ihre Lectüre überwachst, sie an Pünktlichkeit und Ordnung gewöhnst – finde ich Alles ganz natürlich. Daß Du sie aber so von aller Gesellschaft fern hältst, ist etwas zu peinliche Sorgfalt – ich glaube, mit einer eignen Tochter könntest Du nicht besorgter sein.

[34]
WILHELMINE.
Das ist es ja eben. Als mein Bruder nach Amerika ging, vertraute er mir das Kind an –
BOLZAU.
Uns an –
WILHELMINE.
Wie?
BOLZAU.
Uns vertraute er das Kind an. Es ist nämlich ein Unterschied –
WILHELMINE.
Nun gut – uns vertraute er das Kind an – band mir die Erziehung auf die Seele –
BOLZAU.
Uns auf die Seele.
WILHELMINE.

Darum bin ich so ängstlich mit dem Mädchen – ein anvertrautes Gut hütet man mit dreifacher Gewissenhaftigkeit.

BOLZAU.
Und doch wird sie einst auch einem Mann, will sagen, einer Gefahr begegnen –
WILHELMINE.

Das ist ja meine ewige Furcht. Mit Schrecken denke ich dran, wie ich sie voriges Jahr in Baden mit einem jungen Manne unbefangen über die Wiese wandeln sah, seinen Worten lauschend. – Ich reiste aber am andern Morgen sofort ab, trotzdem meine Kur noch nicht zu Ende war.

BOLZAU.
Hm! – Aber Schatz, welche Absicht hast Du denn dabei – willst Du das Kind zu einer Nonne erziehen?
WILHELMINE.

Ach was! Ich will sie nur sorgsam bewahren, bis mein Bruder aus Amerika zurückkehrt – er soll sie erhalten, wie er sie mir anvertraut hat.

BOLZAU.

Uns – anvertraut hat – uns. Ich habe auch versprochen, für ihr Wohl zu sorgen, und wenn sie einst einen braven Mann liebt – so gebe ich sie ihm, denn ein braver Mann ist das wahre Wohl für ein Mädchen.

WILHELMINE.
Das sind Ansichten.
BOLZAU.
Willst Du leugnen? Bin ich nicht Dein wahres Wohl?
WILHELMINE.
Nun ja –
[35]
BOLZAU.
Also was fehlt Dir?
WILHELMINE.
Hm – der Landauer –
BOLZAU
bei Seite.
Schon wieder der Landauer!
2. Auftritt
2. Auftritt.
Ludmilla. Vorige.

LUDMILLA
durch die Mitte – legt ab.
Da bin ich, Tante – guten Morgen, lieber Oheim.
WILHELMINE.
Du bist sehr lange ausgeblieben, liebes Kind!
LUDMILLA.

Ich hatte so viel zu besorgen – das Stickmuster – die Perlen – die Wolle – überall wurde ich aufgehalten.

WILHELMINE
tritt zu ihr.
Du siehst erhitzt aus, bist Du so rasch gegangen?
LUDMILLA.
Es ist so schwül – wir bekommen sicher ein Gewitter!
WILHELMINE.
Deine Augen leuchten auch so ungewöhnlich – ist Dir etwas begegnet?
BOLZAU
für sich.
Vielleicht eine Gefahr?
LUDMILLA.
Nichts, Tante – nichts – was sollte mir denn begegnen?
WILHELMINE.
Nun, man kann erschreckt werden – kann sich ängstigen –
BOLZAU.

Ueberfahren werden – ja ja – die Welt ist voller Gefahren, mein Kind! – Aber Schatz, jetzt zeigen meine Uhr und mein Magen übereinstimmend eine Zeit – die höchste Zeit, daß angerichtet wird!

WILHELMINE
zupft an Ludmilla herum.
Nimm Dich ja immer in Acht, Ludmilla – befolge meine guten Lehren –
BOLZAU.
Gieb mir Deinen Arm – wir wollen endlich zu Tische gehn! Will Wilhelmine abführen.
3. Auftritt
[36] 3. Auftritt.
Franz. Vorige. Dann Schnake.

FRANZ.
Herr Schnake wünscht den Herrn Commerzienrath zu sprechen.
BOLZAU
ärgerlich.
Er soll wiederkommen – habe jetzt keine Zeit.
WILHELMINE.
Er hat doch nur eine kurze Bestellung – laß den armen Menschen den Weg nicht zweimal machen.
BOLZAU
unwillig.
So mag er kommen – aber rasch!

Franz öffnet Schnake die Thür.
SCHNAKE.
Wünsche ergebenst wohl gespeist zu haben, Herr Commerzienrath.
BOLZAU
kurz.
Ich habe noch nicht gespeist!
SCHNAKE.

Freilich – freilich – die vornehmen Herrschaften pflegen später zu Tisch zu gehen, als unsereiner, der oft garnicht an einen Tisch kommt – sein Stückchen Brod und Fleisch aus der Hand im Gehn und Stehn essen muß!

BOLZAU.
Aber ich möchte zu Tisch gehn, Schnake, und zwar gleich – also sagen Sie rasch, was Sie wollen.
SCHNAKE.
Will nur die Liste vorlegen und um gnädige Unterschrift bitten.
BOLZAU.
Wozu – wozu?
SCHNAKE.
Ah – Herr Commerzienrath – als wenn Sie das nicht wüßten.
BOLZAU
ungeduldig.
Lassen Sie Ihre Querreden – also wozu?
SCHNAKE.

Nun zum Stiftungsfest des allgemeinen Sängerbundes – Festtafel – ob und wie viel Gäste Sie mitbringen werden – hier – Legt die Liste vor.

BOLZAU.
Wissen Sie denn, ob ich überhaupt Theil nehme?
[37]
SCHNAKE.

Ah – Herr Commerzienrath! daran zu zweifeln, würde ich für ein Verbrechen halten. Sie, das langjährige Mitglied der Concordia – haben fast immer im Vorstand gegessen – gesessen, wollte ich sagen – waren immer Solobariton – Ach, wie schön sangen Sie die Reichardt'sche Kanzonette mit Chorbegleitung – Wenn ich daran denke!

BOLZAU
für sich, seufzend.
Ich denke an meine Kapaunen!
SCHNAKE.

Eine berühmte Größe unserer Stadt sollte beim Stiftungsfest fehlen – das geht ja gar nicht! Und es wird diesmal so schön – feierlicher Zug nach dem Saale – zwei Musikcorps – Herr Brimborius hat Alles vortrefflich geordnet – großes Concert – Festtafel! – Es wird prachtvoll, Herr Commerzienrath!

BOLZAU.
Mag sein – ich komme doch nicht, Schnake!
SCHNAKE.
Ah – nein –
WILHELMINE.
Aber warum willst Du nicht gehn, lieber Mann – ich dächte doch –
BOLZAU.
Wir gingen zu Tische – Nimmt Wilhelminens Arm. Das ist entschieden wichtiger!
WILHELMINE
zu Schnake – besänftigend.

Kommen Sie wieder vor, Herr Schnake, der Herr Commerzienrath wird sich das überlegen. – Wir wollen soeben zu Tisch gehn!

SCHNAKE.

Schön, Frau Commerzienräthin, ich werde wiederkommen. Der Schreck ist mir ordentlich in die Glieder gefahren. Wenn der Herr Commerzienrath fehlte – es wäre ja nur das halbe Fest. Wünsche ergebenst wohl zu speisen. Ab durch die Mitte.

BOLZAU.
Wenn der Mensch den Mund so viel zum Essen braucht, als zum Reden – müßte er dick und fett werden!
WILHELMINE.
Weshalb willst Du aber nicht zu dem Feste gehn?
LUDMILLA.
Du hast doch sonst immer Theil genommen?
BOLZAU.

Kinder, mir geht Ruhe und Bequemlichkeit über das [38] Vergnügen. Einen Zug mitmachen in der Sonnenhitze – Abends lange sitzen – mehr trinken als mir gut ist! – Nein – nein! – Aber kommen wir denn nun endlich zu Tische? Nimmt auch Ludmilla's Arm.

WILHELMINE.

Ich muß Dir nur gestehn – ich hatte für mich und Ludmilla die kleine Loge auf der Gallerie bestellt, um ungesehen das Concert mit anzuhören!

LUDMILLA.
Und ich hatte mich so darauf gefreut –Streichelt ihm die Backen.
BOLZAU
ungeduldig.
Aber –
WILHELMINE.
Das arme Mädchen muß doch auch einmal ein Vergnügen haben. Streichelt ihm die Backe.
BOLZAU.

Aber Kinder – das läßt sich Alles bei Tisch besprechen – kommt doch nun endlich! Will Beide abführen.

4. Auftritt
4. Auftritt.
Brimborius. Vorige.

BRIMBORIUS
durch die Mitte.
Alter Freund – grüß Euch Gott. Meine Damen – mich bestens zu empfehlen.
BOLZAU
indem er die Arme von Wilhelmine und Ludmilla losläßt.
Der auch noch!
BRIMBORIUS.
Ich störe doch nicht etwa?
BOLZAU.
Wir wollten eben zu Tisch gehn!
BRIMBORIUS.
So will ich Euch nicht aufhalten – nur zwei Worte. Bolzau, Ihr müßt den Vorsitz bei Tafel führen!
BOLZAU.
Ich?
BRIMBORIUS.
Als Festordner habe ich übernommen, Euch das mitzutheilen.
BOLZAU
bei Seite.
Das fehlte noch! Laut. Ihr müßt mich entschuldigen – ich gehe gar nicht hin.
[39]
BRIMBORIUS.

Ah – Scherz, alter Freund. Wir haben in der ganzen Stadt Niemand, der sich dazu eignet, so wie Ihr, des Wortes mächtig – die gewisse Würde – die nöthige Umsicht –

BOLZAU.

Ja, ich kenne das – Jeder will bei der Gelegenheit eine Rede halten. Da macht man's Keinem Recht, dem Einen giebt man das Wort zu früh – dem Andern zu spät. Ich danke für das Amt.

WILHELMINE.
Es ist ein Ehrenamt – Du kannst es eigentlich gar nicht ausschlagen.
BOLZAU.
Lieber Brimborius, habt Ihr schon gegessen?
BRIMKORIUS.
Ja.
BOLZAU.
Ich noch nicht!
BRIMBORIUS.
So sagt nur ja und ich störe Euch nicht länger.
WILHELMINE.
Lieber Mann –
LUDMILLA.
Lieber Oheim –
BRIMBORIUS.
Alter Freund!
BOLZAU.

Ja denn – ja, ja – sonst bekomme ich wirklich nichts zu essen. Zu Wilhelmine. Thut mir den Gefallen und setzt Euch nur immer – gieb die Suppe auf – ich komme sogleich nach! – Bei Seite. Die Kapaunen müssen schon ganz braun sein!

WILHELMINE.
Komm, Ludmilla!
BRIMBORIUS.
Habe die Ehre, meine Damen! Wilhelmine und Ludmilla rechts ab.
BRIMBORIUS.
Also abgemacht, alter Freund – Du kommst! Giebt ihm die Hand. Das ist Recht!
BOLZAU
ihn an der Hand haltend und gegen die Thür führend.
Ja ja – ich danke Dir sehr für Deine Bemühung!
BRIMBORIUS.
Oh – bitte –
BOLZAU
sich verbeugend.
Herzlichen Dank!
BRIMBORIUS.
Gesegnete Mahlzeit. Will ab.
BOLZAU.
Danke. Geht nach vorn. Gott sei Dank!
[40]
BRIMBORIUS.
Alter Freund, noch eins – Kommt wieder vor.
BOLZAU.
Herrjeh – herrjeh!
BRIMBORIUS.
Denkt Euch – ich habe die Böller von der Schützengilde erhalten –
BOLZAU
resignirt.
Das ist mir ja ganz außerordentlich lieb!
BRIMBORIUS.
So wie der Zug den Garten betritt, wird er mit Böllerschüssen empfangen.
LUDMILLA
an der Thür.
Lieber Oheim – die Suppe wird kalt.
BOLZAU.
Der Mensch feuert ja hier noch Böllerschüsse auf mich ab! Ich komme gleich.
LUDMILLA
ab.
BRIMBORIUS.
Ja so! Nochmals lebt wohl! Giebt ihm die Hand.
BOLZAU
bei Seite.
Jetzt laß ich ihn nicht wieder los! Führt ihn nach hinten an die Thür.
BRIMBORIUS.
Sagt mal, glaubt Ihr wohl, daß die Böller eine doppelte Ladung vertragen würden?Bleibt stehen.
BOLZAU.
Oh ja! Führt ihn weiter.
BRIMBORIUS.
Es giebt einen bessern Knall! Bleibt stehen.
BOLZAU
führt ihn wieder weiter.
Ihr müßt es versuchen, alter Freund!
BRIMBORIUS.
Wünsche Euch wohl zu speisen! Ab durch die Mitte.
BOLZAU.

Endlich ist er fort. Ah – Luft! Ich glaube, mein bischen Essen wird mir heut gar nicht bekommen. Jedenfalls find die Kapaunen jetzt schon schwarz. Will rechts ab.

5. Auftritt
5. Auftritt.
Franz. Bolzau. Dann Bertha.

FRANZ
kommt aus der Thür rechts mit der Suppen- Terrine und will durch die Mitte ab.
BOLZAU.

Franz – wenn jetzt noch Jemand kommt, der mich [41] sprechen will, dem sage, ich sei verreist – gestorben oder begraben – Alles, was Du willst – nur laß Niemand ein. Verstehst Du?

FRANZ.
Sehr wohl, Herr Commerzienrath!
BERTHA
im Hut und Mantille, mit einer kleinen Reisetasche in der Hand, durch die Mitte.
Lieber Oheim!
BOLZAU
an der Thür sich umwendend.
Was denn? Meine Nichte! – da hört doch Alles auf.
FRANZ
ab durch die Mitte.
BERTHA.
Ja ja – ich bin's, guter Oheim!
BOLZAU.
Wo kommst Du denn her – oder wo willst Du hin – so reisemäßig?
BERTHA
kleinlaut.
Ich wollte zu Dir – Dich bitten, mich für einige Tage hier aufzunehmen!
BOLZAU.
Gewiß sehr gerne, mein Kind – aber –
BERTHA.
Du willst wissen weshalb – ich lasse meinen Kochofen umsetzen –
BOLZAU.
Kochofen umsetzen?
BERTHA.
Ja – deshalb steht meine ganze Wirthschaft still –
BOLZAU.
So so – so!
BERTHA.
Und so dachte ich, es wäre das beste, wenn ich die paar Tage zu Euch –
BOLZAU.
Käme – ganz gewiß – aber wo hast Du denn Deinen Mann?
BERTHA.
Mein Mann – der – der – der ist heut ausgebeten – Fängt an zu weinen. Lieber Oheim!
BOLZAU.
Aber was ist Dir – Du weinst, Bertha?
BERTHA.
Ja – nur über meinen Kochofen – der thut mir so leid! – er war noch so gut!
BOLZAU
bei Seite.

Ei, ei, ei – da hat es was gegeben – aber meine Kapaunen! Laut. Hör', liebes Kind, vor allen Dingen trockne [42] Deine Thränen – und komm' mit mir zu Tisch. – So – nachher werden wir zusammen ein Wort über Deinen Kochofen sprechen!

BERTHA.
Ach ja, lieber Oheim – sprich mit mir über den Kochofen Umarmt ihn schluchzend.
BOLZAU.

Na ja doch, Kind. – Aber jetzt Fassung, Ruhe – so – so – daß die Andern nichts merken. – Was brauchen die von der Koch-Maschine zu wissen – nicht wahr?

BERTHA.
Du hast ganz recht, Onkelchen.
BOLZAU.

Wenn die Kapaunen nicht zu Kohle gebraten sind, sollst Du auch ein Stückchen davon haben – aber ich stehe nicht dafür ein. Bolzau und Bertha ab nach rechts.

6. Auftritt
6. Auftritt.
Franz. Scheffler.

FRANZ.

Die Herrschaften sind noch bei Tisch. Wollen Sie nicht gefälligst in's Speisezimmer treten, Herr Doctor! Eine Schüssel in der Hand.

SCHEFFLER
durch die Mitte.

Nein, nein – ich habe nur ein paar Worte mit dem Herrn Commerzienrath zu reden. Ich lasse ihn bitten – auf einen Augenblick.

FRANZ.
Wie Sie wünschen! Will ab nach rechts.
SCHEFFLER.
Franz –
FRANZ.
Herr Doctor – Wendet sich um.
SCHEFFLER.

Es ist besser, nennen Sie nicht meinen Namen – sie rufen mich sonst hinein. Sagen Sie: ein fremder Herr ließe bitten –

FRANZ.
Verstehe, Herr Doctor – ganz wohl. Ab rechts.
SCHEFFLER.

Ob ich wohl heut einen Augenblick Zeit finde zu meiner Rede. Zieht ein Manuscript aus der Tasche. Ich begreife gar nicht, wie das werden soll. Lesend, mit aufgetragener Betonung. »Wie die Töne in ihrem Zusammenstimmen erst die volle Harmonie erzeugen – so ist's auch [43] in der menschlichen Gesellschaft.« Sprechend. Es ist ein bischen Unsinn – aber es klingt doch. Wie vorhin. »Der Einzelne kann nur Unvollkommenes leisten!« Sprechend. Eigentlich auch ein bischen Unsinn – der Einzelne kann sehr Viel leisten, aber es klingt auch. Wie oben. »Die Harmonie aber ist es – die Harmonie – meine verehrten Festgenossen« – Sprechend. immer kommt mir der Gedanke an Bertha zwischen die Harmonie – ich komme zu keinem vernünftigen Satz. – Sieht in sein Manuscript.

7. Auftritt
7. Auftritt.
Franz. Bolzau. Scheffler.

FRANZ
geht mit einer Schüssel von rechts durch die Mitte ab.
BOLZAU
von rechts, mit umgebundener Serviette.
Wer zum Henker ist denn nun schon wieder – Ah Scheffler – willst Du mir etwa Deine Rede vorlesen?
SCHEFFLER.
Nur auf zwei Worte, lieber Oheim!
BOLZAU.
Zwei Worte – die Redensart kenn' ich – dabei komme ich zu keinem Bissen.
SCHEFFLER.

Ich habe einen Gast, einen Doctor Steinkirch, der früher, als er hier wohnte, zur Polihymnia gehörte!

BOLZAU
halb bei Seite.
Ist mir gleichgültig.
SCHEFFLER.
Er ist zum Stiftungsfest gekommen – sollte bei mir wohnen –
BOLZAU.
Ist mir auch gleichgültig.
SCHEFFLER.
Das geht aber nun nicht gut.
BOLZAU.
Aha – wegen des Kochofens.
SCHEFFLER
verwundert.
Wegen welches Kochofens?
BOLZAU.
Ich dachte nur – Du könntest nicht kochen – – nun also?
[44]
SCHEFFLER.
Wie kommst Du nur auf das Kochen. – Nein, meine Frau ist nämlich verreist!
BOLZAU.
Aha – verreist.
SCHEFFLER.
Sie ist zu ihrem Bruder gefahren, nach Rosendorf.
BOLZAU.
Aha! Aha!
SCHEFFLER.
Er hatte Wichtiges mit ihr zu besprechen!
BOLZAU.
Erbschaftsangelegenheit?
SCHEFFLER.
Richtig – ja –
BOLZAU
bei Seite.
Er lügt wie gedruckt! – Na warte, Junge!
SCHEFFLER.

In Abwesenheit meiner Frau kann ich nun nicht gut den Gast bei mir behalten – und da wollte ich Dich bitten –

BOLZAU.
Ihn bei mir aufzunehmen – Nun meinethalben –
SCHEFFLER.
Du bist sehr gütig. Ich esse jetzt mit ihm zusammen – Nachmittag bring' ich ihn zu Dir.
BOLZAU.
Höre mal. – Kannst Du nicht heut Abend ein Stündchen zu mir kommen –
SCHEFFLER.
Meine Rede zu morgen, lieber Onkel –
BOLZAU.
Ich habe etwas Wichtiges mit Dir zu besprechen – Deinen Rath zu hören.
SCHEFFLER.
Meinen Rath?
BOLZAU.
Ja – es handelt sich um eine juristische Frage wegen eines Kochofens.
SCHEFFLER.
Wegen eines Kochofens –
BOLZAU.

Ja – ja – ja – also bitte, komm' nur – jetzt habe ich keine Zeit, Dir das näher auseinander zu setzen – es ist eine ganz kuriose Geschichte mit dem Kochofen, – aber jetzt muß ich die Kapaunen vorlegen. Leb' wohl. Bei Seite. Warte nur – warte, mein lieber Junge. Ab nach rechts.

SCHEFFLER.

So – dieser Verlegenheit wär' ich enthoben, Steinkirch wäre untergebracht. Jetzt kann ich ernstlich an meine Rede denken. Zieht das Manuscript hervor.

8. Auftritt
[45] 8. Auftritt.
Hartwig. Scheffler.

HARTWIG.
Wo ist denn mein alter guter Commerzienrath! Ah sieh da, Scheffler.
SCHEFFLER
steckt das Manuscript ein.
Ist der auch schon wieder da?
HARTWIG.
Wo steckt denn der alte Bolzau?
SCHEFFLER.
Er sitzt bei Tisch – ich bin –
HARTWIG.

Kein Wort weiter – bei Tisch – das genügt vollkommen. Es ist einmal ungesund, bei Tische gestört zu werden und dann auch ganz gegen die gute Sitte. Es giebt aber Menschen, die gerade diese Stunde auswählen, weil sie dann sicher sind, daß man zu Hause ist. – Um sich einen Weg zu ersparen, werden sie rücksichtslos – man kann diese Sorte nicht schroff genug abweisen. Lassen wir also den guten Bolzau in Ruhe speisen, wir können uns in der Zeit etwas unterhalten.

SCHEFFLER.
Er spricht und ich höre zu, das nennt der unterhalten! –
HARTWIG.

Wenn ich erst meinen eignen Haushalt habe, würde ich auf die Essenszeit ganz besondere Rücksicht verwenden. Mein Diener würde ganz bestimmt angewiesen, in der Zeit –

SCHEFFLER.
Du denkst also immer noch –
HARTWIG.
An einen eignen Haushalt – welche Frage?
SCHEFFLER.
Aber Du hast –
HARTWIG.

Ich weiß Alles, was Du wieder sagen willst; – ich habe allerdings früher einige Fehler gemacht, doch nur in der Art und Weise, die Damen zu behandeln. – Meine übersprudelnde Laune muß das entschuldigen.

[46]
SCHEFFLER.
Man hat Dich –
HARTWIG.

Man hat mich einigemal nicht verstanden, nicht begriffen – nicht gewürdigt. Seit der Zeit habe ich aber meinen Geist geschult, ich habe das weibliche Gemüth studirt. –

SCHEFFLER.
Wie damals die Medizin –
HARTWIG.

Kein Wort davon. Als ich erfuhr, daß der Mensch von mehr als 6000 Krankheiten befallen werden kann, daß es aber nur 248 Mittel dagegen giebt, überfiel mich ein gewisses Grauen und ich gab das traurige Geschäft auf. – Was nutzt dabei aller Geist? – Und Du weißt, ich habe Geist –

SCHEFFLER.
Du hattest –
HARTWIG.

Ein einfaches Ja genügt! So habe ich denn jetzt ein unfehlbares Mittel, die Weiber zu behandeln. Hör' also einmal zu.

SCHEFFLER
resignirt.
Was soll ich denn anders machen?
HARTWIG
sehr schnell.

Ich mache also vor allen Dingen eine Analyse des betreffenden weiblichen Gemüths. Die Weiber zerfallen in schwärmerische – schwermüthige – muntre und romantische – nur so in großen Zügen. Die schwärmerischen behandle ich mit Poesie – ich lese ihnen Gedichte vor – die schwermütigen mit Musik. Du kennst meinen Tenor; bei den munteren lasse ich meiner Laune, meinem Witz die Zügel schießen – und die romantischen, bei denen habe ich ein Universalmittel – ein Kniefall, das reißt sie hin, entzückt sie. Du siehst also – es kann mir gar nicht mehr fehlen.

SCHEFFLER.
Nein gewiß nicht!
9. Auftritt
9. Auftritt.
Schnake. Franz. Vorige.

FRANZ.

Der Herr Commerzienrath lassen sich nicht stören – Mit einer Schüssel durch die Mitte. – er ist bei Tisch.

[47]
SCHNAKE.
Gut, so werd' ich warten.
FRANZ.
Meinethalben. Ab nach rechts.

In dieser Scene muß Schnake den Hartwig todtsprechen.
HARTWIG.
Ist das nicht Schnake?
SCHNAKE.

Ah – Herr Hartwig! was freue ich mich, Sie so wohl und munter zu erblicken. Sie sehn ja aus wie die Gesundheit und das gute Leben selber.

HARTWIG.
Bin auch gesund – doch –
SCHNAKE.

Auch so lustig wie sonst, als Sie hier studirten – das war eine schöne Zeit – ich war damals Diener bei der Euterpe und Concordia zugleich!

HARTWIG.
Aber lassen Sie –
SCHNAKE.
Die Concordia Donnerstag, die Euterpe Samstag – so konnte ich mit gutem Gewissen beiden dienen.
HARTWIG.
Und dann –
SCHNAKE.

Und dann nebenbei war ich Ihr Stiefelputzer – oder Wichsier. Das heißt eigentlich Ihr vertrauter Minister. Ach, Herr Hartwig, einen so reichen freigebigen Herrn habe ich nicht wiederbekommen.

HARTWIG
sucht vergebens zu Worte zu kommen.
Schnake, Du bist –
SCHNAKE.

Aber sind Sie denn nun jetzt verheirathet, Herr Hartwig? Sie wissen, damals – wenn Sie ein hübsches Mädchen sahen, hatten Sie immer Heirathsgedanken. Da mußt' ich Sträußchen tragen, Briefchen besorgen – aber es hat Ihnen nie recht glücken wollen.

HARTWIG.
Aber –
SCHNAKE.

Ich habe nur jetzt keine Zeit von den alten Geschichten zu reden – heute Abend ist Ausschuß-Sitzung, Herr Doctor – Sie kommen doch jedenfalls?

HARTWIG.
Ich komme!
SCHNAKE.

Sehr schön! Aber ich kann nicht warten. Bitte, sagen [48] Sie dem Herrn Commerzienrath, daß auf seine Gegenwart gerechnet wird.

SCHEFFLER.
Gut!
HARTWIG.
Herr Schnake –
SCHNAKE.

Habe wahrhaftig keine Zeit mehr, Herr Hartwig – der Boden brennt mir unter den Füßen. Das Musikcorps von Ladenbach hat abgesagt – da muß noch für ein neues gesorgt werden. Sie können sich nicht denken, Herr Hartwig, was ich mich gefreut habe, Sie so frisch und munter wiederzusehn. Empfehle mich bestens, meine Herren, empfehle mich! Ab durch die Mitte.

HARTWIG.

Nein, solch ein Schwätzer! Das war aber immer sein Fehler, der Mensch kann die Zunge nicht halten. Er hat mich ja förmlich todt geredet!

SCHEFFLER
hat seinen Hut genommen.
Lebe wohl!
HARTWIG.
So plötzlich?
SCHEFFLER.
Es könnte mir am Ende dasselbe geschehn!
HARTWIG.
Was?
SCHEFFLER.
Todt geredet zu werden.
HARTWIG.
Von mir?
SCHEFFLER.
Ich will es nicht darauf ankommen lassen. Ab durch die Mitte.
HARTWIG.

Scheffler – so höre doch. – Als wenn ich ein Schwätzer wäre! Aber weil er diese Wuth hat, Reden zu halten, ist es ihm schon zu Viel – wenn ein Anderer eine kurze Antwort giebt. Ich rede gewiß nicht mehr, als unumgänglich nothwendig ist, aber diese Advokaten glauben, daß sie das Recht zu reden allein gepachtet hätten!

10. Auftritt
[49] 10. Auftritt.
Hartwig. Bolzau. Wilhelmine. Dann Bertha und Ludmilla.

BOLZAU
Arm in Arm mit Wilhelmine von rechts.

Die Kapaunen waren ganz hart – aber Du bist außer Schuld, meine gute Fran Klopft ihr auf die Hand. – ganz außer aller Schuld!

WILHELMINE.
Da ist ja Herr Hartwig!
BOLZAU.
Auch zum Stiftungsfest – nun willkommen. Giebt ihm die Hand.
HARTWIG.

Sie wissen ja, daß ich immer für die Kunst schwärme, Frau Commerzienräthin – ich wollte nicht verfehlen, den ersten Besuch in Ihrem Hause zu machen – in dem ich so oft freundlich aufgenommen wurde! Freue mich, Sie so wohl und munter zu sehn!


Ludmilla und Bertha von rechts sind zu Bolzau herangetreten.

LUDMILLA, BERTHA zugleich. Gesegnete Mahlzeit, Oheim! Geben ihm die Hand.
BOLZAU.
Danke – danke – gleichfalls, lieben Kinder! Vorstellend. Herr Doctor Hartwig – meine Nichte Bertha.
HARTWIG.
Freue mich sehr! – Bei Seite. Sapperment, die ist hübsch!
BOLZAU.
Und hier meine Nichte Ludmilla.
HARTWIG.
Habe die Ehre – Bei Seite. Das ist ja die reizende Blondine.
WILHELMINE
hat das Erstaunen Hartwig's bemerkt, tritt zwischen Hartwig und Ludmilla.
Kennst Du den Herrn etwa?
LUDMILLA.
Nein, liebe Tante!
WILHELMINE.
Es schien mir beinah so – sei so gut, laß den Kaffee in der Veranda auftragen!
[50]
LUDMILLA.
Gleich, liebe Tante. Ab durch die Mitte.
HARTWIG
für sich.
Da schwebt sie schon wieder!
BERTHA
hat eine Zeitung an Bolzau überreicht.
Hier die neueste Zeitung, lieber Oheim! Verbeugung gegen Hartwig.
BOLZAU.
Danke sehr, mein Kind.
BERTHA
geht durch die Mitte ab.
HARTWIG.
Die schwebt aber auch!
WILHELMINE.
Ich werde den Herren den Kaffee hereinschicken – lassen Sie sich nicht stören.
HARTWIG.
Oh bitte, Frau Commerzienräthin.
WILHELMINE
ist an Bolzau herangetreten.
Bolzau, schlafe nicht etwa, hörst Du?
BOLZAU.
Aber Minettchen!
WILHELMINE.
Denke daran, Du hast Marienbader Kreuz getrunken –
BOLZAU.
Vor vier Wochen!
WILHELMINE.
Alterchen – es bekommt Dir nicht. Hörst Du, nicht schlafen.
BOLZAU.
Aber Minettchen!
WILHELMINE
durch die Mitte ab.

Während der nächsten Scene sieht man Wilhelmine, Bertha und Ludmilla ab und zu durch die große Mittelthür im Garten hin- und hergehen.
BOLZAU
setzt sich in die Sopha-Ecke.
Hartwig auf einen Stuhl daneben. Bitte, lieber Hartwig!
HARTWIG.

Sie sind ein beneidenswerther Onkel –Sieht sich nach den Damen um. ein Paar so reizende Nichten zu haben.

BOLZAU
gähnend.
Ja – sehr nette, gute Wesen. Bei Seite. Wenn ich jetzt eine Viertelstündchen nicken könnte.

Franz bringt ein Kaffeebrett mit Tassen – präsentirt Hartwig, der eine Tasse nimmt. Bolzau dankt.
[51]
HARTWIG.

Um aber von unserem Fest zu sprechen, lieber Herr Commerzienrath – ich bin eigentlich in Geschäften hier –

BOLZAU.
In Geschäften – so.
HARTWIG.

Sie sind ja Vorsitzender in der heutigen Comité-Sitzung. Ich muß Ihnen offen sagen, daß sich die Concordia zurückgesetzt fühlt.

BOLZAU.
So – so – Gähnt.
HARTWIG.

Man hat das Tenor-Solo mit Brummstimmen vom Programm gestrichen. Nicht etwa, weil ich das Tenor-Solo habe, berühre ich diesen Punkt – Gott bewahre – aber wenn die Euterpe uns unsre besten Nummern streicht, können wir nicht zur Geltung kommen – das werden Sie einsehn – nicht wahr?

BOLZAU
mit Schlaf kämpfend.
Sehe ich ein! Hm –
HARTWIG.

Die Concordia muß also darauf bestehn, daß das Tenor-Solo vorgetragen wird. Zweitens wegen der Festrede. Ihr Neffe Scheffler hat im vorigen Jahre die Festrede gehalten – daraus kann aber doch nicht das Recht hervorgehn, daß er nun stets diese Rede hält. Ich mache mir in der That eigentlich gar nichts aus dem reden – obgleich ich eine gewisse Gabe der Rede zu haben glaube – aber die Concordia wünscht, daß der Redner für dieses Jahr aus ihrer Mitte genommen wird. Ja ich glaube, die Concordia tritt ganz zurück, wenn diesem Wunsch nicht nachgegeben wird, und so habe ich es übernommen, Ihnen dies vorzutragen. Wie ist Ihre Meinung darüber, Herr Commerzienrath? Sieht Bolzau an. Ich glaube gar, er schläft – und ich habe doch so interessant gesprochen. – Steht auf. Zu Wilhelmine, die mit Ludmilla und Bertha eintritt. Pst – pst – Frau Commerzienräthin – er schläft! Tritt zu Ludmilla und Bertha.

WILHELMINE
vortretend.

Er schläft? Sieht Bolzau an. Richtig! Oh über die Schwäche der Männer – er weiß, daß es ihm schädlich ist, und nun doch –Tritt zu ihm – berührt ihn leise. Bolzau.

[52]
BOLZAU.
Hm! Macht eine Belegung mit der Hand, als wenn er die Fliegen fortjagen will.
WILHELMINE
wie oben.
Bolzau! Etwas stärker.
BOLZAU.
Hm! Geste wie oben.
WILHELMINE
schüttelt ihn etwas.
Aber Bolzau!
BOLZAU
erwachend.
Ja ja – Tenor-Solo mit Brummstimmen. Sieht Wilhelmine. Ah so – Du bist es, Minna!
WILHELMINE
vorwurfsvoll.
Aber Bolzau! Ist das Deine Stärke?
BOLZAU.
Ich habe nicht geschlafen – nein, ich sprach ja mit Hartwig – Steht auf.
WILHELMINE.

Du hast nur so gethan – das kenne ich schon! Komm, ich mache mit Dir eine Promenade in den Garten – das ist Dir viel gesünder – komm – komm.

BOLZAU.

Na denn in Gottes Namen, mein Engel!Nimmt Wilhelminen's Arm und geht mit ihr nach der Thüre zu. Ich mache eine kleine Vergnügungs- Tour mit meiner Frau – Zu den Damen. Unterhaltet Herrn Hartwig in der Zeit! Bolzau und Wilhelmine ab durch die Mitte.

HARTWIG.
Oh bitte – es ist stets die Aufgabe des Mannes, die Damen zu unterhalten.
BERTHA.
Halten Sie das für eine Herkules-Arbeit?
LUDMILLA.
Allerdings – das klingt, als wenn es entsetzlich schwer wäre!
HARTWIG
bei Seite.

Nummer 3 – ungeheuer heitres Temperament! Laut. Meine verehrten Fräulein, sie greifen mich da von beiden Seiten an. Der Kampf ist ungleich, denn ich werde geblendet durch ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit. Wenn der Glanz solcher Augen – Zur Andern. solcher Augen das Herz verwirrt so kann der Verstand nur eine untergeordnete Rolle spielen.

BERTHA.
Das ist kein gutes Zeichen für den Verstand!
[53]
HARTWIG.
Sie sprachen vorhin von Herkules. Wissen Sie, daß Herkules auch stets Sieger war, mein Fräulein?
LUDMILLA.
Nur Sieger über Ungeheuer! Das ist nicht galant, mein Herr! Sind wir etwa Ungeheuer?
HARTWIG
für sich.
Mit denen ist schwer fertig zu werden!
BERTHA.
Sie sind auch zum Stiftungsfest gekommen?
HARTWIG.
Allerdings, mein Fräulein!
LUDMILLA
für sich.
Er hält sie für ein Fräulein!Lacht.
HARTWIG.

Ich war früher Mitglied der Concordia, man wünschte meine Mitwirkung – ich singe nämlich Tenor – dann sieht man dabei seine alten Bekannten wieder – ich sollte hier bei einem alten Freunde wohnen – dem Doctor Scheffler –

BERTHA
bei Seite.
Das hätte noch gefehlt!
LUDMILLA.
Warum thun Sie das nicht?
HARTWIG.
Offen gestanden – es gefiel mir nicht recht in seinem Hause!
BERTHA
bei Seite.
Oho!
HARTWIG.
Mein alter Freund war unruhig – zerstreut – er kam mir blaß und abgefallen vor –
BERTHA.
Blaß und abgefallen?
HARTWIG.
Früher war er stets luftig und heiter – ich glaube, seine Verheirathung ist Schuld daran.
LUDMILLA
bei Seite.
Oh weh!
BERTHA.
Kennen Sie denn seine Frau nicht?
HARTWIG.
Nein – habe auch gar keine Lust, se kennen zu lernen.
BERTHA
bei Seite.
Das ist stark!
HARTWIG.

Ich habe einen scharfen Blick in solchen Dingen, meine Damen. Wenn ein junger Mann nach wenigen Monaten der Ehe sich so verändert – ist immer die Frau daran Schuld! Sie wird herrschsüchtig, zänkisch, eigensinnig sein!

[54]
LUDMILLA
bei Seite.
Arme Bertha! Tritt zu ihr.
HARTWIG.

Das kann ein Mann schwer ertragen – und so ist denn mein armer Freund Scheffler geknickt – gebeugt – gebrochen! Ich mache drei Kreuze über ihn. Armer guter Freund!

BERTHA
zu Ludmilla.
Das verdient eine exemplarische Strafe! Laß uns allein, Ludmilla!
LUDMILLA.
Was willst Du thun, Bertha?
BERTHA.
Im Staube soll er liegen! Gehen Beide nach der Thür zu.
HARTWIG
beide betrachtend.
Es scheint, ich habe Eindruck gemacht! Für welche soll ich mich entscheiden?
LUDMILLA
an der Thür.
Ich werde den Onkel und die Tante fern halten. Ab durch die Mitte.
HARTWIG.
Das Schicksal spricht – mit einer allein – sie ist mir verfallen.
BERTHA.

Sie waren etwas hart in Ihrem Urtheil, Herr Hartwig! Ludmilla ist eine Freundin der Frau Doctor Scheffler! Es hat sie verletzt!

HARTWIG.
O, ich bedaure – doch die Wahrheit verletzt öfter.
BERTHA.
Sie scheinen überhaupt nicht viel von uns zu halten.
HARTWIG
wärmer.

Oh, mein Fräulein – Alles mit Unterschied. Wer freilich das Glück hätte, Sie zur Gattin zu erhalten, der würde aufblühen zu neuem Leben – und nicht geknickt sein wie der arme Scheffler.

BERTHA
sieht ihn koquett an.
Meinen Sie?
HARTWIG
bei Seite.
Alle Wetter – welch ein Blick!
BERTHA.

Oh, ich kann mir die Stellung einer Frau sehr süß und lohnend ausmalen. Mit warmem Segenswunsch entläßt sie den Gatten zu seinem Beruf – zu seinem Verkehr mit der Welt. Kehrt er heim, bereitet sie ihm das häusliche Wohlbehagen – mit sanfter Hand streicht [55] sie die Falten von seiner Stirn – die der Kampf des Lebens darauf gezogen – und ein liebevoller Blick des Gatten ist ihre schönste Belohnung.

HARTWIG.
Welch wunderbare Grundsätze – verehrungswürdig.
BERTHA.
Ich finde sie nur natürlich!
HARTWIG
bei Seite.
Das ist ein leibhaftiger Engel!
BERTHA.

Mir sagte einst ein ehrwürdiger alter Mann – liebe Tochter – Du hast auf Erden keinen anderen Beruf, als zu lieben, wenn Du den erfüllst, wirst Du glücklich sein.

HARTWIG.

Oh mein Fräulein – man müßte Sie als Muster für die ganze Frauenwelt aufstellen. – So würden Sie fühlen? So würden Sie lieben?

BERTHA
sehr koquett.
Wenn ich den Mann fände – wie er als Ideal vor meiner Seele steht!
HARTWIG
sehr erregt.
Und welche Eigenschaften müßte der Mann besitzen?
BERTHA.
Sie verlangen eine förmliche Beichte, lieber Herr Hartwig!
HARTWIG
bei Seite.
Lieber Herr Hartwig hat sie gesagt! Laut. Oh bitte, reden Sie!
BERTHA.

Ich weiß nicht – mir ist, als könnt' ich Ihnen Nichts abschlagen. Also – ein angenehmes Aeußere wäre mir erwünscht.

HARTWIG
bei Seite.
Ist vorhanden!
BERTHA.
Er müßte unterrichtet sein – viel wissen.
HARTWIG
bei Seite.
Ich habe studirt!
BERTHA.
Noch mehr würde ich aber Geist schätzen!
HARTWIG
bei Seite.
Das ist meine Hauptstärke!
BERTHA.
Auch in der Kunst dürfte er nicht unbewandert sein.
HARTWIG
bei Seite.
Mein Tenor! – Wir sind für einander geschaffen!
[56]
BERTHA.
Dann müßte ich untrügliche Beweise haben, daß er mich liebt.
HARTWIG.
Welche Beweise verlangen Sie?
BERTHA.
Er müßte mir zeigen, daß er in meinem Besitz das Glück seines Lebens fände.
HARTWIG
bei Seite.

Nummer 4 – sie ist romantisch. Losbrechend. Das thut er! Doch weg mit der dritten Person. Das thue ich, mein Fräulein. Lassen Sie sich sagen, daß Sie mein Herz gewonnen haben, als ich Sie nur sah – daß Ihre himmlische Güte mich ganz gefangen genommen hat – daß Sie mich zum glücklichsten Menschen machen, wenn Sie mich er hören. Geist besitze ich in genügendem Maße – und singen kann ich auch: meine Stimme ist ein sanfter Tenor! Doch um ein so himmlisches Wesen wie Sie, wirbt man nicht mit bloßen Worten – auf die Knie muß man sich werfen und flehen – mein Fräulein – Kniet nieder. machen Sie mich zu Ihrem Sklaven.

BERTHA
bei Seite.
Da liegt er!
HARTWIG.
Schenken Sie mir diese himmlische Hand!
BERTHA
in verändertem Ton.

So, mein Herr! Jetzt lasse ich Ihnen Zeit, über Alles nachzudenken!Wendet sich zum Abgehen, bei Seite. Rache ist süß! Ab durch die Mitte.

HARTWIG
verblüfft, während er knieen bleibt.

Sie läßt mir Zeit, über Alles nachzudenken? Das verstehe ich nicht! Was will sie damit sagen? Oh – wie hieß sie doch – jetzt hab' ich richtig ihren Namen vergessen.

11. Auftritt
11. Auftritt.
Bolzau. Wilhelmine. Hartwig.

BOLZAU.
Was machen Sie denn da, Hartwig – suchen Sie etwas?
[57]
HARTWIG
aufstehend.
Ah – ja – allerdings – ich hatte etwas verloren.
WILHELMINE
besorgt.
Wo ist denn Ludmilla?
HARTWIG.
Erlauben Sie – wie hieß doch Ihre andere Nichte, Frau Commerzienräthin?
WILHELMINE.
Bertha!
HARTWIG.

Richtig, Bertha! Schöner Name – das heißt, Ludmilla ist eigentlich noch schöner! Wenn Sie erlauben – ich werde die Damen wieder aufsuchen! Empfehle mich! Ab durch die Mitte.

WILHELMINE.

Er ist so aufgeregt – Bolzau – findest Du nicht – was hat er nur – sollte er mit Ludmilla allein gewesen –

BOLZAU.
Aber – Du siehst schon wieder Gespenster!
WILHELMINE.

Du machst freilich die Augen zu – wenn die Gefahr da ist – Bertha hat sich zurückgezogen, hat Kopfschmerzen, nein, nein – ich kann sie nicht allein lassen! Bolzau, daß Du nicht schläfst, hörst Du? – Mit einem Blick auf Bolzau. Was einem doch die Kinder für Sorgen machen. Ab durch die Mitte.

BOLZAU.

Bewahre! – Gott sei Dank, sie lassen mich endlich etwas allein! Was das für eine Qual ist – wenn man so fünf Minuten ausruhen will und wird immer gestört – es ist abscheulich. Unsinn mit dem Marienbader Kreuz – Sich umsehend. Haha – ich mache schon seit vierzehn Tagen wieder mein Nickerchen. Setzt sich in das Sopha. Ach, es ist so süß, wenn man in jenen Zustand verfällt, wo man halb wacht, halb schläft – wo man eigentlich mit Bewußtsein schläft – Gähnt. ein himmlischer Zustand! Ah – ja – ja – ja – Will einschlafen.

12. Auftritt
[58] 12. Auftritt.
Scheffler. Bolzau.

SCHEFFLER
eilig durch die Mitte.
Wo ist er denn – ah da! Lieber Oheim, ich störe doch nicht. Setzt den Hut fort.
BOLZAU.
Mich – Sich die Augen reibend. Oh nein – Bei Seite. Ich wollte, Du wärst wo der Pfeffer wächst!
SCHEFFLER.
Ich habe den Doctor mitgebracht.
BOLZAU.
Welchen Doctor? Wer ist denn krank?
SCHEFFLER.

Nun, den Doctor Steinkirch – der bei Dir wohnen soll – ich habe ihn der Tante vorgestellt – er ist im Garten.

BOLZAU.

Ei, ei – den hatt' ich ganz vergessen. Nun das ist gut – ich danke Dir. Giebt ihm die Hand. Leb' wohl!

SCHEFFLER.
Ich hoffe, er wird Dir gefallen.
BOLZAU.
Gewiß – ich danke Dir sehr – Die Hand gebend. leb' mir recht wohl!
SCHEFFLER.

Dann bin ich mit meiner Rede fertig – mir ist da eine herrliche Wendung eingefallen – die möchte ich Dir vorlesen.

BOLZAU.
Herr Gott – jetzt vorlesen. Resignirt. Na dann bitte, lies – immer drauf los – ist sie lang?
SCHEFFLER.
Nein.
BOLZAU.
Dann lies sie gleich zweimal hinter einander.
SCHEFFLER.

Den Anfang kennst Du. Hat Manuscript herausgenommen und blättert darin. Theure Festgenossen etcetera – Sucht.

BOLZAU.
Hm.
SCHEFFLER.
Die Harmonie ist etcetera – das kennst Du auch.
BOLZAU.
Hm. Schläft ein.
SCHEFFLER.

Höre also: Ja, theure Sangesbrüder – die Musik ist ein Tempel – wir sind die Priester darinnen – Bei Seite. Hohe Priester ist noch besser.

13. Auftritt
[59] 13. Auftritt.
Brimborius. Scheffler. Bolzau.

BRIMBORIUS
durch die Mitte.
Ah – seine Rede – vortrefflich. Nimmt seine Notiztafel heraus. Ich werde die Kanonenschläge notiren.

Kommt leise vor, so daß er zwischen Bolzau und Scheffler steht.
SCHEFFLER.

»Und wie die Säulen den ganzen Bau tragen, so auch wird der große Gedanke getragen – getragen durch das Lied –«

BRIMBORIUS
in seine Notiztafel schreibend.
Durch das Lied – Laut Kanonenschlag imitirend. bum – bum!
SCHEFFLER.
Was ist denn das?
BOLZAU
fährt auf.
Brimborius – ich glaube, Ihr schießt schon wieder.
BRIMBORIUS
ganz ernst.
Lassen Sie sich nicht stören – bitte weiter, Herr Doctor!
SCHEFFLER
mit Pathos.

»Die Kunst verschönt nicht allein, sie bildet! – und das Lied – es klingt nicht allein – es ist eine Macht!«

BRIMBORIUS
wie oben.
Macht! – bum – bum – sehr gut!
SCHEFFLER.
Sie sind unausstehlich mit ihrem Bum bum –
BOLZAU.
Das kann unmöglich gesund sein!
SCHEFFLER
steckt die Rede ein.
Sie profaniren meine ganze Rede! Leb' wohl, Onkel. Ab durch die Mitte.
BRIMBORIUS.

Aber Herr Doctor – erlauben Sie – Sie müssen bedenken, es sind Kanonenschläge – das giebt erst die Kraft – hören Sie doch – Ab durch die Mitte.

BOLZAU.

Hier bleib ich unter keinen Umständen sitzen – Steht auf. Das ist ja wie auf dem Jahrmarkt. Ich werde mich in mein Lesezimmer zurückziehn – dort findet mich Niemand. Will rechts ab.

14. Auftritt
[60] 14. Auftritt.
Wilhelmine. Bolzau.

WILHELMINE
sehr erregt durch die Mitte.
Aber Bolzau – was hast Du denn da gemacht?
BOLZAU.
Ich?
WILHELMINE.
Du nimmst so ohne weiteres Gäste ins Haus.
BOLZAU.
Vor der Hand nur einen.
WILHELMINE.
Aber es ist ein ganz junger Mann –
BOLZAU.
Ist mir lieber wie ein alter!
WILHELMINE.
Hast Du denn gar nicht an das Kind, die Ludmilla gedacht – das geht ja nicht.
BOLZAU.
Mein Gott – die Gefahr ist wirklich nicht so groß.
WILHELMINE.

Ueber den Mann! Ich wache mit peinlicher Sorgfalt über das Kind – halte sie von aller Herrengesellschaft fern – da ladet er einen jungen Mann ein – hier in's Haus ein – bei uns zu wohnen.

BOLZAU.
Du thust grade, als ob ich den Wolf in den Schafstall gelassen hätte.
WILHELMINE.
Nun wer weiß! Das ist unerhört, Bolzau.
BOLZAU.

Aber Minettchen – es läßt sich nicht ändern – ich war Scheffler diese Gefälligkeit schuldig – es ging nicht anders.

WILHELMINE.

Ich werde keine ruhige Stunde haben! Aber das weiß ich – ich gehe dem Menschen keinen Augenblick von der Seite; – ich war heut Nachmittag zur Majorin Sporn eingeladen – hatte bestimmt zugesagt – doch jetzt werde ich schnell hinübergehn und mich entschuldigen. Aber was kann in der Viertelstunde Alles geschehn?

BOLZAU.
Aber Kind – ich bin doch da.
WILHELMINE.
Ja – Du wirst viel sehn!
[61]
BOLZAU.
Nun – manchmal mehr wie Du!
WILHELMINE.

Ich werde mich beeilen, so sehr es geht, aber ich bitte Dich inständigst, Bolzau – gieb ja recht Acht.

BOLZAU.
Ja doch – ja.
WILHELMINE.

Einen jungen Menschen mir in's Haus zu laden, es ist entsetzlich! – ganz entsetzlich! Ab nach rechts.

BOLZAU.
Aber wo ist denn nun eigentlich dieser gefährliche junge Mann – ah, da kommt er ja!
15. Auftritt
15. Auftritt.
Steinkirch. Ludmilla. Bolzau.

LUDMILLA.
Lieber Oheim – Herr Doctor Steinkirch!
BOLZAU.
Sein Sie mir willkommen, Herr Doctor!
STEINKIRCH.

Ich preise zwar den Zufall, der mich in Ihr Haus geführt, Herr Commerzienrath – doch muß ich um Vergebung bitten, daß –

BOLZAU.
Na – nur keine Umstände – Sie sind willkommen. Giebt ihm die Hand.
STEINKIRCH.
Sie machen mich in der That sehr glücklich!
LUDMILLA.

Oheim – Tante hat befohlen, daß ich eine Parthie Schach mit Dir spiele. Du weißt schon weshalb – wenn es Dir gefällig ist? Ordnet das Schachbrett.

STEINKIRCH.
Sie spielen Schach, mein Fräulein?
BOLZAU.
Und wie spielt sie! Ganz ausgezeichnet!
LUDMILLA.
Du spottest, lieber Oheim!
BOLZAU.
Nun – wollen Sie meine Parthie übernehmen? Sie werden es selbst sehn.
STEINKIRCH.
Wenn sie gestatten – sehr gern. Zu Ludmilla. Das heißt, wenn es Ihnen recht ist, mein Fräulein.
[62]
LUDMILLA.
Oh bitte sehr!

Beide setzen sich an den Schachtisch, der an der rechten Seite der Bühne steht.
BOLZAU.
Gott sei Dank – die Parthie wäre ich los!Setzt sich links auf das Sopha.
STEINKIRCH.
Sie haben die Güte anzuziehen, Fräulein!
LUDMILLA.
Sogleich! Zieht.
16. Auftritt
16. Auftritt.
Wilhelmine. Vorige.

WILHELMINE
von rechts, in Hut und Mantille.

So – in einer Viertelstunde bin ich wieder hier. Zu Steinkirch, der aufstehen will. Bitte, lassen Sie sich nicht stören.

BOLZAU
indem er Wilhelmine zu sich winkt.
Minettchen!
WILHELMINE
zu Bolzau tretend.
Nun?
BOLZAU
recht treuherzig und in guter Laune.

Nun sieh mal – die Beiden sitzen da – ich sitze hier. Was soll nun wohl passiren. Wie? Du kannst in aller Ruhe gehen!

WILHELMINE.
Du wirst aber schlafen, Bolzau –
BOLZAU.
Aber liebes Kind –
WILHELMINE
holt eine Gießkanne vom Blumentisch und giebt sie Bolzau in die Hand.
Hier – nimm wenigstens die Gießkanne in die Hand. Du hörst sie fallen – wenn Du einschlafen willst.
BOLZAU.
Du bist merkwürdig.
WILHELMINE.
Ich habe sonst keine Ruhe! Bitte, da – nimm die Gießkanne.
BOLZAU.
Nun meinethalben – aber es ist eine kuriose Idee von Dir.
WILHELMINE.

So – sei recht artig, hörst Du? Streichelt ihm die Backe. und Du auch, Ludmilla – leben Sie wohl, Herr Doctor! Ab durch die Mitte.

[63]
BOLZAU.

Unbequem, hier mit der Gießkanne zu sitzen Nimmt den Arm über die Sophalehne, damit die Gießkanne nachher etwas hoch herunterfällt. Nun wie steht's, Ludmilla?

LUDMILLA.
Ich bin arg im Gedränge, Oheim! Zieht.
STEINKIRCH.
Das war ein Meisterzug!
BOLZAU.
Ja ja – ich sagte ja – sie versteht es!Gähnt.
STEINKIRCH.
Man findet es selten, daß Damen Schach spielen.
LUDMILLA.
Noch seltener, daß die Herren mit uns spielen wollen.
BOLZAU
einnickend.
Hm!
LUDMILLA
sieht sich nach Bolzau um.
Ich glaube, der Oheim schläft – Sie spielen besser wie er!
STEINKIRCH
leiser als vorhin.
Nehmen Sie sich in Acht – es ist eine Lebensfrage für mich, ob ich diese Parthie gewinne.
LUDMILLA.
Eine Lebensfrage?
STEINKIRCH.

Es sollte mir eine Vorbedeutung sein – ob ich Ihnen vielleicht mehr abgewinnen könnte. Sie zürnen mir deshalb nicht, Fräulein Ludmilla?

LUDMILLA.
Oh nein!
STEINKIRCH.

Gewiß nicht? Reicht ihr seine Hand – Ludmilla giebt ihm die Hand. Ich danke Ihnen – Küßt ihre Hand – die Gießkanne fällt – sie fahren schnell auseinander.

LUDMILLA.
Nehmen Sie Ihren Springer in Acht.
BOLZAU
erschrickt, als die Gießkanne fällt, sieht nach den Spielern hinüber.

Die sind ganz in ihr Spiel vertieft. Hebt die Gießkanne wieder auf – setzt sich zurecht. Sehr unbequem.

STEINKIRCH.
Der ist doppelt gedeckt.
LUDMILLA.
Leicht soll Ihnen der Sieg nicht werden. Zieht.
STEINKIRCH.
Je schwerer der Sieg – desto schöner der Preis – Sieht nach Bolzau. Ich sage Schach!
LUDMILLA.
Oh weh!
[64]
STEINKIRCH
leise, mit Wärme.
Fräulein Ludmilla?
LUDMILLA
Bolzau ansehend.
Nun?
STEINKIRCH.
Wissen Sie, daß diese Stunde die glücklichste meines Lebens ist?
LUDMILLA.
Das haben Sie mir von der Stunde in Baden auch gesagt!
STEINKIRCH.

O glauben Sie es mir – seit jener Stunde hat mich die Erinnerung an Sie nie verlassen. Steht auf. Hätten Sie jener Zeit auch wohl öfters gedacht?

LUDMILLA.
Und wenn ich nun gestände, daß es so wäre –
STEINKIRCH
erfaßt ihre Hand.
Ludmilla. Bolzau läßt die Gießkanne fallen. – Beide schnell auseinander auf ihre Sitze.
BOLZAU.
Nun – wer von Euch Beiden wird denn matt?
LUDMILLA.
Ich glaube, ich!
STEINKIRCH.
Nein ich!
BOLZAU
die Gießkanne aufhebend.
Was das für eine Wirthschaft mit der Gießkanne ist.
LUDMILLA
bei Seite.
Die ganzen Figuren haben sich verschoben.
STEINKIRCH.
Ich werde sie schnell ordnen.
LUDMILLA.
Wenn das der Oheim sähe – wir müssen wieder von vorn anfangen.
STEINKIRCH.

Oh, so oft Sie wollen – es ist die schönste Parthie, die ich je gespielt habe – aber was wollen Sie thun?

LUDMILLA
steht auf und geht zu Bolzau, recht naiv.

Der arme Onkel, – wie unbequem ihm die Gießkanne ist – er kann zu keinem Schlaf kommen. Nimmt behutsam die Kanne aus seiner Hand und setzt sie leise auf den Boden. So.

STEINKIRCH.
Oh, mir will die Brust zerspringen.
LUDMILLA
setzt sich wieder.
So – ich fange wieder an – so –
[65]
STEINKIRCH
erregt.
Mir tanzen die Figuren vor den Augen – ich kann unmöglich spielen!
LUDMILLA.
Mein Gott, was fehlt Ihnen?
STEINKIRCH.

Nichts – Alles – ein Wort von Ihnen fehlt mir, Ludmilla. Das Glück meines Lebens hängt davon ab. Wozu soll ich lange Worte machen – Sie müssen es wissen – müssen es fühlen, daß ich Sie liebe – dürfte ich je hoffen, daß mir einst Ihre Hand gehört? Ist etwas herumgerückt – hält seine Hand hin.

LUDMILLA
legt ihre Hand in die seine – verschämt.
Mein Gott, was wird die Tante sagen?
STEINKIRCH
in großer Erregung.
Ludmilla! Er springt auf und wirft dabei den Schachtisch um.
BOLZAU
erschreckt auffahrend.
Was ist denn das!?Sucht nach der Gießkanne – sieht die Beiden an – schlägt die Hände zusammen.
LUDMILLA
hat sich von Steinkirch losgemacht und eilt dem Ausgange zu.
STEINKIRCH
steht niedergeschlagen da.
BOLZAU.
Na – das ist eine schöne Geschichte.

Der Vorhang fällt.

3. Akt

1. Auftritt
1. Auftritt.
Bolzau. Steinkirch.

STEINKIRCH
neben Bolzau sitzend.

Herr Commerzienrath, jetzt habe ich Ihnen Alles gesagt. Sie kennen nun meine Verhältnisse und ich bitte Sie von der Aufrichtigkeit meiner Gefühle überzeugt zu sein.

BOLZAU
sich etwas verlegen das Haar krauend.
Ja, ja – Sie haben mir Alles gesagt, lieber Steinkirch.
STEINKIRCH.
Was habe ich zu erwarten, Herr Commerzienrath?
BOLZAU
verlegen.
Das ist nicht so mit einem Wort abgemacht! Sehen Sie Ludmilla ist doch nicht meine Tochter –
STEINKIRCH.
Ich weiß, ich weiß, es ist Ihre Nichte, doch Sie lieben und halten Sie ja wie eine Tochter.
BOLZAU
zögernd und verlegen.
Ja – das ist ganz richtig – ich liebe das gute Kind recht sehr –
STEINKIRCH.
Oh, ich auch, und ich werde gewiß Alles aufbieten, um sie recht glücklich zu machen.
BOLZAU.

Ja, ja, das glaube ich Ihnen, mein lieber Steinkirch, [67] aber – aber – sehen Sie, ich habe doch nicht allein zu entscheiden, ich habe eine Frau –

STEINKIRCH.
Ja so – Aufstehend. So werde ich mit der Frau Commerzienräthin sprechen. – Sie erlauben.
BOLZAU
steht auf, hält ihn auf.

Nein, thun Sie das lieber nicht – es könnte Ihnen schlecht bekommen.Bei Seite. Was so ein Verliebter für eine Eile hat!Laut. Ich werde das übernehmen, ich gestehe Ihnen, ich weiß noch gar nicht, wie sie darüber denkt!

STEINKIRCH.
Oh – wenn Sie nur wollen!
BOLZAU.

Ja, ja – Bei Seite. Was die Jugend für naive Anschauungen hat – als wenn meine Alte gar nichts zu sagen hätte. Laut. Sie haben Recht – es ist eigentlich nur pro forma – doch ist es besser, ich leite das ein, es wird mir zwar etwas heiß bei dem Gedanken – doch verlassen Sie sich auf mich! Sagen Sie gar nichts – lassen sich gar nichts merken, meine Frau hat darin ein Auge – ich sage Ihnen –

STEINKIRCH
naiv.
Das habe ich schon empfunden, keine Secunde war ich unbeobachtet.
BOLZAU.
Sehen Sie –
STEINKIRCH.
Wenn Sie nicht die Güte gehabt hätten, vorhin bei dem Schachspiel einzuschlafen –
BOLZAU
hält ihm den Mund zu.
Pst – wollen Sie – so etwas zu sagen, wenn das meine Frau hörte.
STEINKIRCH.
Ich danke Ihnen recht sehr dafür.
BOLZAU.
Machen Sie nur, daß Sie jetzt fortkommen, gehen Sie den Damen aus dem Wege.
STEINKIRCH.
Wie Sie wünschen, ich werde hier nebenan in den Garten gehen, wo die Ausschuß-Sitzung stattfindet.
BOLZAU.
Gut.
STEINKIRCH.

Bitte lassen Sie mich nachher eine gute Antwort hören, auf Wiedersehn, Herr Commerzienrath. Ab durch die Mitte.

[68]
BOLZAU.

Leben Sie wohl! – Ein netter Tag heute, verbrannte Kapaunen, kein Nachmittagsschläfchen, jetzt diesen verliebten Menschen, über den meine Wilhelmine außer sich werden wird, meiner Nichte Bertha noch den Kopf waschen, wegen des Kochofens, Scheffler eine Vorlesung halten, dazu Ausschuß-Sitzung, ich begreife nicht, wie ich das Alles überwältigen soll! – Oh und dabei liebe ich so sehr meine Ruhe. –

2. Auftritt
2. Auftritt.
Ludmilla. Dann Bertha. Wilhelmine. Bolzau.

LUDMILLA
durch die Mitte, schnell auf Bolzau zueilend.
Nun bist Du endlich ungestört – hast Du endlich etwas Ruhe, lieber Oheim?
BOLZAU.

Ruhe – ja, hat sich etwas! Warte nur Du Tausendsassa – Droht ihr. Du machst mir schöne Dinge, ich werde Deinethalben heut noch heiße Stunden haben.

LUDMILLA
ihm um den Hals fallend.
Ach lieber Herzensoheim!
BOLZAU.

Ja – hm – als wenn so ein Kuß Alles gut machte! Du Schelm, aber komm, erzähle mir wenigstens wie die ganze Sache gekommen ist Sich nach Wilhelmine und Bertha umsehend, die eintreten. mir ganz allein. Zu Wilhelmine. Wir wollen einen kleinen Gang durch den Garten machen. Bolzau und Ludmilla ab durch die Mitte.

WILHELMINE.
Du siehst wirklich recht blaß aus Bertha, das ängstigt mich, was fehlt Dir?
BERTHA.
Oh, es fehlt mir nichts, liebe Tante.
WILHELMINE.
Du bangst Dich nach Deinem Hause – nach Deinem Mann.
BERTHA
aufrichtig und seufzend.
Ach ja, Tante!
[69]
WILHELMINE
in flüsterndem Tone.
Nun – nun, es wird ja nicht ewig dauern, bis die Kochmaschine fertig ist.
BERTHA
bei Seite.
Und ich kann mein Herz nicht einmal erleichtern.
WILHELMINE
nachdem sie sich umgesehen.
Hör' mal, mein Kind, wir sind gerade allein, Du bist ja auch Frau, wir Frauen müssen zusammenhalten.
BERTHA.
Ja wohl!
WILHELMINE.

Mein Alter scheint immer noch keine rechte Lust zu haben, das Stiftungsfest zu besuchen, wenn das Gespräch darauf kommt, rede ihm nur etwas zu, hinzugehen.

BERTHA.
Hinzugehen? – Ich soll ihm zureden.
WILHELMINE.
Ja wohl!
BERTHA.
Ich dächte doch, Du solltest froh sein, wenn er davon fortbliebe.
WILHELMINE.
Nein, im Gegentheil Kind, ich wünsche sehr, daß er hingeht.
BERTHA.
Das begreife ich nicht.
WILHELMINE.
Sieh, erstens ist es doch im Grunde ein unschuldiges Vergnügen.
BERTHA.
Es wird Viel getrunken.
WILHELMINE.
Mein Gott ja, gewöhnlich kommen die Männer etwas angeheitert nach Hause.
BERTHA
bei Seite.
Angeheitert! – Das sagt sie so ruhig.
WILHELMINE.

Am andern Morgen haben sie so eine Art sanfter elegischer Stimmung, sind weich, nachgiebig, ich benutze diese Gelegenheit stets dazu – wenn ich etwas durchsetzen will. Uebermorgen früh habe ich meinen Landauer, ich wette mit Dir.

BERTHA.
So meinst Du, daß man den Männern diese Art Vergnügen gestatten muß?
[70]
WILHELMINE.

Gewiß, sei überzeugt, das sind nicht die schlimmsten Zerstreuungen – bei der Gelegenheit immer die Zügel locker lassen damit man sie später wieder anziehen kann.

BERTHA
bei Seite.
Wie thöricht hab' ich mich benommen, ich sah bei meinem Manne ein Verbrechen darin.
WILHELMINE.
Dein Mann wird doch auch hingehen?
BERTHA.
Ich glaube – ja, er sprach davon.
WILHELMINE.
Thu' mir den Gefallen, sage ihm, daß er meinen alten Brummbär mitnimmt.
BERTHA.
Ja. Bei Seite. Oh könnte ich ihn jetzt sprechen!
WILHELMINE.
Aber laß Dir nichts merken.
3. Auftritt
3. Auftritt.
Bolzau. Ludmilla. Wilhelmine. Bertha.

LUDMILLA
zu Bolzau, durch die Mitte eintretend.
Ich verlasse mich auf Dich, guter Oheim.
BOLZAU.
Pst – Kind, da ist Deine Tante!
WILHELMINE.
Willst Du nicht Toilette machen, ich denke Du willst heute noch in eine Sitzung gehen.
BOLZAU.
Ja Schatz, vielleicht später.
WILHELMINE
zu Bertha, die mit Ludmilla nach dem Garten geht.
Laß Ludmilla nicht allein, hörst Du?
BERTHA.
Keine Sorge, Tante! Bertha, Ludmilla ab.
WILHELMINE.
Geh' Du nur, ich gönne Dir gern das Vergnügen, Alterchen. Streichelt ihm die Backe.
BOLZAU.

Wie gut Du bist, Minona. Streichelt Wilhelmine die Backen. Es ist doch außerordentlich nett, wenn man so einig ist.

WILHELMINE.
Das sind wir Beide doch wohl immer!
[71]
BOLZAU.
Hm, ja, das heißt, Schatz, ich möchte eigentlich –
WILHELMINE.
Nun, was hast Du denn?
BOLZAU.
Gerade weil wir immer einig sind – weißt Du, der Gedanke von heut früh peinigt mich etwas.
WILHELMINE.
Welcher Gedanke?
BOLZAU.
Wir sprachen von Ludmilla – von der Möglichkeit, daß sich einst ein braver Mann fände.
WILHELMINE
plötzlich ernst.
Bolzau!
BOLZAU.
Nu – nu – verstehe mich – von der Möglichkeit, sage ich, unsre Ansichten gingen da sehr auseinander.
WILHELMINE.
Das heißt, Du behandelst die Frage leichtsinnig – ich ernst.
BOLZAU.
Mienchen, ich habe nur Ludmilla's Wohl im Auge.
WILHELMINE.
Ich ebenfalls – außerdem aber meine Verantwortung.
BOLZAU.
Ich setze ja aber nur den Fall – es käme ein braver Mann –
WILHELMINE.

Braver Mann hin – braver Mann her – laß uns darüber nicht erst sprechen. Mein Wille steht fest – ich bewahre das Mädchen vor jeder Neigung – bis ihr Vater aus Amerika zurück ist.

BOLZAU.
Das kann noch Jahre dauern.
WILHELMINE.
Thut nichts.
BOLZAU.
Du thust wirklich, als ob die Ehe ein Unglück wäre.
WILHELMINE.

Oh nein – aber Du kannst glauben, daß nicht alle Ehen so glücklich ablaufen, wie Bertha und Scheffler's zum Beispiel.

BOLZAU.
Na – na – na – na –
WILHELMINE.

Das ist eine Musterehe – vertraue meinem Scharfblick. Beinahe zwei Jahre verheirathet und noch nicht das leiseste Zerwürfniß –

BOLZAU
lachend.
Sehr gut – hahaha!
[72]
WILHELMINE.
Was lachst Du?
BOLZAU.
Ueber Deinen Scharfblick!
WILHELMINE.
Nun, wüßtest Du es besser!
BOLZAU.
Sage mal, Schatz, Du glaubst die Geschichte von dem Kochofen? Oh Dein Scharfblick! Hahaha!
WILHELMINE.
Aber so rede doch –
BOLZAU.
Als sie ankam und mir die Geschichte erzählte – hatte sie Thränen in den Augen.
WILHELMINE.
Natürlich – die Maschine wird geraucht haben.
BOLZAU.

Schöner Rauch – ja – blauer Dunst, den sie uns vormacht. Denke nur – Scheffler war vorhin hier – er war zerstreut – eingenommen – erzählte mir, daß seine Frau nach Rosendorf zu ihrem Bruder gefahren sei. Er weiß gar nicht, daß sie hier ist!

WILHELMINE.
Ist es möglich!
BOLZAU.
Bei Deinem Scharfblick!
WILHELMINE.
Das arme Kind – ist gewiß ganz unschuldig.
BOLZAU.
Natürlich –
WILHELMINE.
Da will ich doch gleich – Will fort.
BOLZAU
sie aufhaltend.
Nein, nein – bitte, überlaß das mir –
WILHELMINE.
Aber was soll das heißen?
BOLZAU.

Schatz – in jeder Ehe giebt es Krieg – in einer guten wenig, in einer schlimmen viel – die jungen Leute haben bis jetzt in Frieden gelebt – nun ist der Krieg auch ausgebrochen.

WILHELMINE.
Aus dem Hause zu gehn – so weit habe ich es nie getrieben!
BOLZAU.

Hätte auch nichts geschadet – Du wärst wieder gekommen – von solchen Kriegslisten muß man sich nicht verblüffen lassen.

WILHELMINE.
Du bist ein unverbesserlicher Spötter!
[73]
BOLZAU.
Es ist also besser, wir bleiben immer in Frieden. Nimmt ihre Hand. Minona –
WILHELMINE.
Nun?
BOLZAU.
Gesetzt aber nun, es käme wirklich ein braver, junger Mann –
WILHELMINE
sich schnell losmachend – etwas heftig.
Bleib' mir mit Deinem jungen, braven Mann vom Leibe –
BOLZAU.
Aber Minnachen –
WILHELMINE.

Ein Unglück wäre es – ein großes Unglück – und meine Einwilligung gäbe ich nie – niemals Bolzau – ein für allemal! Ich will keinen jungen braven Mann! Ab nach links.

BOLZAU.
Da mache nun einmal ein vernünftiger Mann gegen solchen Eigensinn etwas! Armer Steinkirch!
4. Auftritt
4. Auftritt.
Steinkirch. Bolzau.

STEINKIRCH
eilig durch die Mitte.
Nun, Herr Commerzienrath –
BOLZAU.
Da ist er schon.
STEINKIRCH.
Wie steht es – darf ich hoffen?
BOLZAU.
Hoffen Sie, junger Mann – hoffen Sie!
STEINKIRCH.
Oh wie glücklich – Will ihn umarmen.
BOLZAU.
Aber langsam – langsam – sachte –
STEINKIRCH.
Ihre Frau Gemahlin hat eingewilligt?
BOLZAU.
Nein, noch nicht ganz.
STEINKIRCH.
So lassen Sie mich zu ihr – Will fort.
BOLZAU.

Sie würden sich die größten Unannehmlichkeiten zuziehn. Thun Sie mir den einzigsten Gefallen, gehen Sie ruhig wieder hinüber – keine Uebereilung – ich bitte Sie dringend. Will ihn hinausführen.

[74]
STEINKIRCH.
Drüben ist es gar nicht nett im Ausschuß – man zankt sich –
BOLZAU.
Zanken Sie sich mit – das wird Sie zerstreuen!
STEINKIRCH.
Nun denn auf baldiges Wiedersehn.Ab durch die Mitte.
BOLZAU.

Leben Sie wohl! – Wenn meine Frau eine Ahnung hätte – na ich danke – aber wie fädle ich nun die Sache besser ein?

5. Auftritt
5. Auftritt.
Hartwig. Brimborius. Bolzau.

HARTWIG.
Unerhörtes Verfahren – unerhört!
BRIMBORIUS.
Ich begreife Ihre Aufregung nicht.
BOLZAU.
Was giebt es denn, meine Herren?
BRIMBORIUS.
Es handelt sich nämlich –
HARTWIG
ihn unterbrechend.
Erlauben Sie – es handelt sich um weiter nichts, Herr Commerzienrath –
BRIMBORIUS.
Als um ein Tenor-Solo –
HARTWIG.
Mit Brummstimmen. Ich hatte gebeten, es auf das Programm zu setzen.
BRIMBORIUS.
Ist auch geschehn!
HARTWIG.
Ich versichere Sie, es ist eine ausgezeichnete Nummer.
BRIMBORIUS.
Aber erlauben Sie –
HARTWIG.
Nein – erlauben Sie mir –
BRIMBORIUS.
Aber Herr Commerzienrath ist Vorsitzender –
HARTWIG.
Gerade, weil Herr Commerzienrath Vorsitzender ist –
BOLZAU.
Aber meine Herren – bitte – ich begreife nicht – warum es sich handelt – Einer nach dem Andern!
BRIMBORIUS.
Der Herr Hartwig –
[75]
HARTWIG.

Erlauben Sie – Einer nach dem Andern, sagte der Herr Commerzienrath – also gestatten Sie, daß nun erst der Eine redet.

BRIMBORIUS
erzürnt.
Das ist doch –
BOLZAU
ihn besänftigend.
Ruhe, Brimborius.
HARTWIG.

Mein Tenor-Solo stand also auf dem Programm – da reicht der Musikdirector Paukenhagen von der Polihymnia einen südaustralischen Sieges-Chor nachträglich ein. Mein Tenor-Solo wird gestrichen und dafür soll dieser südaustralische Sieges-Chor der Polihymnia ausgeführt werden – dieser Polihymnia – die –

BRIMBORIUS.

Ich gehöre zur Polihymnia – der Sieges-Chor ist vorzüglich – sinfonisch – es lassen sich an verschiedenen Stellen Kanonenschläge anbringen –

HARTWIG.
Er dauert mindestens eine Stunde –
BRIMBORIUS.
Selbst bengalische Flammen könnte man anwenden – wenn die Wilden landen. –
HARTWIG.
Sie werden das nicht zugeben, Herr Commerzienrath!
BRIMBORIUS.
Ihr könnt die Polihymnia nicht beleidigen, Bolzau!
HARTWIG.
Sagen Sie Ja –!
BRIMBORIUS.
Sagt doch Nein, alter Freund!
HARTWIG.
Im Namen der Concordia –
BRIMBORIUS.
Schlagt es ab.
BOLZAU.

Aber – meine Herren – lassen Sie doch die Sache ruhen bis zur wirklichen Sitzung – da wollen wir das in aller Ruhe besprechen – jetzt kann ich weder Ja noch Nein sagen. Bei Seite. Oh meine Ruhe – meine Ruhe.

BRIMBORIUS.
Gut – ich bin's zufrieden.
HARTWIG.
Wir werden ja sehen – aber die Mitglieder der Concordia –
BOLZAU
faßt seine Hand.
Concordia bedeutet Eintracht – Friede –
[76]
HARTWIG.
Ja aber keinen Frieden mit dem faulen Sieges-Chor!
BRIMBORIUS.
Herr Hartwig –
HARTWIG.
Entschuldigen Sie, – ich meine, keinen faulen Frieden mit dem Sieges-Chor.
BRIMBORIUS.
Das ist etwas anderes!
BOLZAU.

Die Sache ist also abgemacht! Giebt Beiden die Hand. Das war ein schweres Stück Arbeit!Trocknet sich die Stirn. Ah –

6. Auftritt
6. Auftritt.
Schnake. Vorige.

SCHNAKE
vor der Thür zu Franz.

Lassen Sie nur, Franz – Herr Commerzienrath nehmen es nicht übel, wenn ich eintrete – es giebt so viel Wichtiges. – Guten Abend, meine Herren!

BOLZAU.
Was giebt es denn, Schnake?
SCHNAKE.

Der Festausschuß ist versammelt hier nebenan im goldnen Lamm, Sie werden dringend gebeten, hinüber zu kommen.

BOLZAU.
So eilig?
SCHNAKE.
Ach ja, Herr Commerzienrath – es zeigen sich allerhand trübe Wolken am Horizont unseres Festhimmels.
BRIMBORIUS.
Aha – die Concordia –
HARTWIG.
Die Polihymnia –
SCHNAKE.

Ich habe mir schon die Beine abgelaufen, ein neues Musikchor aufzutreiben – da die Ladenbacher absagten – aber umsonst. Bei dem schönen Wetter ist überall Concert – wenn Sie das Tageblatt in die Hand nehmen – lesen Sie eine ganze Seite lang – Garten-Concert – Garten-Concert – Garten-Concert – Garten-Concert –

HARTWIG
ärgerlich.
Garten-Concert – schwätzt der Mensch wieder –
[77]
SCHNAKE.

Mit einem Musikchor wäre das Fest zu ärmlich – bei Tafel müssen doch zwei sein – die abwechselnd spielen können. Dann ist auch die Harfe krank geworden.

BOLZAU.
Das ist freilich schlimm.
SCHNAKE.

Sehr schlimm – in dem großen Chor der süd-australischen Auswanderer von unserem Musikdirector Paukenhagen ist die Harfe sehr wichtig, wie er sagt – und in der ganzen Stadt giebt es weiter keinen Menschen, der die Harfe spielt –

HARTWIG.
Dann muß das Stück fortbleiben.
SCHUAKE.

Dann schießt sich der Musikdirector Paukenhagen todt – oder erhängt sich – oder springt in's Wasser – Sie kennen das ja, Herr Commerzienrath – hat ein Musiker einmal eine Composition von sich auf's Papier gebracht, läßt er es um keinen Preis weg – nicht eine Note darf fehlen –

BOLZAU.
Ich kann aber doch nicht Harfe spielen, das ist doch zu viel verlangt, wenn's noch die Pauke wäre!
SCHNAKE.

Aber Rath schaffen, Herr Commerzienrath, Sie glauben nicht wie das zugeht, die Herren von der Concordia –

HARTWIG.
Was ist mit der Concordia –
SCHNAKE.
Ah – Herr Hartwig, Sie sollten schnell hinüberkommen, Sie reden ja so ausgezeichnet und so laut –
HARTWIG.
Fängst Du schon wieder an, ich habe mit Dir noch ein Hühnchen zu pflücken –
SCHNAKE.
Erlauben Sie Herr –
HARTWIG.

Nein, ich erlaube Dir nichts, Du mußt wissen, daß es sich durchaus nicht schickt, eine solche Fluth von Worten hervorzubringen, daß andere Leute gar nicht zu Worte kommen können.

SCHNAKE.
Aber –
HARTWIG.
Am allerwenigsten schickt es sich für Dich in Deiner Stellung.
[78]
SCHNAKE.
Drüben in der Sitzung –
HARTWIG.
Da wird Jeder zu Wort gelassen und kann reden.
SCHNAKE
der immer zu Wort zu kommen sucht.
Nein, nein –
HARTWIG.

Wie kannst Du mir widersprechen, da ich das besser wissen muß. In solchen Sitzungen führt einer den Vorsitz und Alle sprechen, je nachdem er Ihnen das Wort ertheilt.

SCHNAKE.
Nein, sie sprechen Alle durcheinander! Sie wollen Ihr Tenor-Solo nicht!
HARTWIG.

Unerhörte Beleidigung, wenn ich Ihnen die Ehre anthun will, das Stiftungsfest durch meinen Tenor zu verschönern.

SCHNAKE.
Aber –
HARTWIG.

Im Chor singen kann jeder Narr, verzeihen Sie, meine Herren, daß ich mich eines so heftigen Ausdrucks bediene, wenn man aber sein gutes Recht vertheidigen muß, kann man das nicht, ohne etwas in Wallung zu gerathen.

SCHNAKE.
Aber Herr Hartwig –
HARTWIG.

Im Chor singen kann jeder Narr, wenn aber Jemand von der Natur mit einer besonders schönen Stimme begabt ist, die ihn zum Künstler stempelt, so sollen sie einen solchen Mann besonders schätzen und ihm alle Ehre anthun – sagen Sie das den Herren –

SCHNAKE.
Sie werden –
HARTWIG.

Keine Einwendung, wenn der Ausschuß die begabtesten und beliebtesten Mitglieder mit solcher Rücksichtslosigkeit behandelt, wird er im Allgemeinen Unzufriedenheit hören.

SCHNAKE.
Die Polihymnia –
HARTWIG.
Kümmert mich nicht, ich gehöre zur Concordia, verstehst Du mich, Schnake?
SCHNAKE.
Aber die Euterpe –
HARTWIG.

Ist auch nur ein Theil des Sängerbundes, muß sich der Mehrheit fügen, und die Mehrheit habe ich für mich, denn sie liebt [79] das Schöne. Also gehe, Schnake, sage ihnen, ich würde auf jeden Fall mein Tenor-Solo singen, ich nehme keine Einwendungen an, kein Wort mehr, das ist mein Bescheid, Du brauchst gar nichts zu erwidern, geh' nur, und richte meinen Auftrag aus Er hat Schnake gegen die Thür gedrängt. geh' – geh' – geh' –

SCHNAKE
in komischer Verzweiflung.
Mich gehorsamst zu empfehlen.
HARTWIG
triumphirend.
So fertigt man einen Schwätzer ab, meine Herren.

Bolzau und Brimborius, die mit Manieren und Geberden ihre Verwunderung über das Geschwätz ausgedrückt haben, sind beim Schluß nach der Thür rechts zu getreten.
BRIMBORIUS.
I Gott bewahre.
BOLZAU
mit einem Blick auf Hartwig.
Das wird hier lebensgefährlich, retten wir uns. Mit Brimborius rechts ab.
HARTWIG.

Und bei diesem ausgesprochenen Talent wollen diese Herren nicht, daß ich die Festrede halte, ist es nicht eigentlich unerklärlich?

7. Auftritt
7. Auftritt.
Scheffler. Hartwig.

SCHEFFLER
sieht durch die Mitte.
Mein Oheim nicht hier?
HARTWIG.
Ah, Scheffler – ein Wort Auf ihn zugehend.
SCHEFFLER.
Du willst doch nur wieder von Deiner Rede sprechen. Will fort.
HARTWIG
ihn haltend und auf die Scene führend.
Nein, nein, diesmal von meinen Privatgeschäften.
SCHEFFLER.
Laß mich nur –
HARTWIG.
Freund, höre doch nur, hier ist eine reizende Nichte im Hause.
[80]
SCHEFFLER.
Das weiß ich.
HARTWIG.
Ich muß Dir sagen, sie hat einen unauslöschlichen Eindruck auf mich gemacht.
SCHEFFLER.
Ist Dir öfter begegnet!
HARTWIG.
Ich glaube aber auch, daß ich auf sie Eindruck gemacht habe!
SCHEFFLER.
So?
HARTWIG.
Ich habe die ernstesten Absichten – lache nicht, wirklich ernste Absichten – nein wirklich –
SCHEFFLER.
Nun, Du bist ja nicht blöde, so rede doch mit ihr.
HARTWIG.
Hab' ich schon gethan!
SCHEFFLER
erstaunt.
So?
HARTWIG.
Mehr, ich habe schon vor ihr gekniet!
SCHEFFLER.
Ist nicht möglich?
HARTWIG.
Ja –
SCHEFFLER.
Und was sagte sie?
HARTWIG.

Hm – sehr verschämt – natürlich – sie thun ja immer, als wenn sie nicht sprechen können bei der Gelegenheit – sie sagte so etwas von nachdenken – Gott, Du weißt ja, wie die Mädchen sind.

SCHEFFLER
sehr theilnehmend.
Nun – aber weiter –
HARTWIG.
Ich habe sie nicht wieder gesehen – erst die Sitzung, und jetzt ist sie nirgend zu finden.
SCHEFFLER
bei Seite.
Sonderbar!
HARTWIG.

Freund – Du bist ja hier Kind im Hause – suche sie auf – rede mit ihr – sie solle keine lange Ziererei machen – rede ihr gut zu.

SCHEFFLER.
Und Du hast wirklich vor ihr gekniet?
HARTWIG.

Auf mein Wort – hier – hier lag ich – sehr malerisch – hier stand sie – es ist eigentlich Alles abgemacht zwischen uns – aber so pro forma – sprich mit ihr – hörst Du?

[81]
SCHEFFLER
bei Seite.
Sollte Ludmilla? – Unbegreiflich!
HARTWIG.
Du thust mir den Gefallen – nicht wahr?
SCHEFFLER.
Meinethalben – ich bin selbst neugierig –
HARTWIG.
Vielleicht finden wir sie im Garten.Beide ab durch die Mitte.
8. Auftritt
8. Auftritt.
Brimborius. Bolzau.

BOLZAU
von rechts – sich umsehend.
Gott sei Dank – er ist fort.
BRIMBORIUS.
Laßt mich aber nicht drüben allein, Bolzau. –
BOLZAU.
Nein – nein – geht immer voran.
BRIMBORIUS.
Denkt nur – wir müssen noch den Wein probiren – Liebfrauenmilch oder Johannisberger.
BOLZAU.
Werden wir thun – Will ihn hinausführen.
BRIMBORIUS.

Dann die Toaste zu vertheilen –Bleibt stehen. Da zwei, die wollen auf das Vaterland sprechen – drei auf die Kunst des Gesanges – fünf Bewerber um den Trinkspruch auf die Gäste – und auf die Frauen wollen gar sechse sprechen – Ihr habt das zu entscheiden –

BOLZAU
ihn hinausdrängend.
Ja ja – ich komme ja gleich nach.
BRIMBORIUS.
Aber bald – alter Freund! Ab durch die Mitte.
BOLZAU.

Nein, diese Sangesbrüder! Harfe spielen – Wein kosten – und dabei hab' ich so viel im eigenen Hause zu thun. Vor allen Dingen muß ich die Geschichte zwischen meinem Neffen Scheffler und seiner Frau in's Reine bringen – die könnten mir nachher helfen.

9. Auftritt
[82] 9. Auftritt.
Steinkirch. Bolzau.

STEINKIRCH
in der Mittelthür – in schüchternem Ton.
Herr Commerrath – dürfte ich fragen –
BOLZAU.
Unglücksmann – haben Sie doch Geduld – suchen Sie mir jetzt einmal meinen Neffen Scheffler auf –
STEINKIRCH.
Man will ihm seine Rede nehmen –
BOLZAU.
Eben deshalb – ich muß ihn sprechen – aber es hat Eile.
STEINKIRCH.
Wie Sie wünschen. Ab.
10. Auftritt
10. Auftritt.
Bertha. Bolzau.

BERTHA
von links.
Meine Unruhe wächst mit jeder Minute – wenn ich mich doch aussprechen könnte!
BOLZAU.

Ah – Bertha – Du kommst mir wie gerufen – erkläre mir doch mal – wie hängt das zusammen – Dein Mann ist soeben nach Rosendorf gefahren.

BERTHA.
Nach Rosendorf?
BOLZAU.

Er hatte zufällig gehört, daß Dein Bruder heut ein Fest giebt – ich glaube den Husaren-Officieren – da will er Dich dort aufsuchen!

BERTHA
erschreckt.
Mein Gott!
BOLZAU.
Du hast doch davon gar nicht gesprochen?
BERTHA
verwirrt.
Nein – ich hatte das vergessen!
[83]
BOLZAU.

So – nun – wenn Scheffler dort eintrifft Dich sucht – nach Dir fragt – und Niemand weiß da etwas von Dir – was sollen die Leute denken – sie werden lachen – ihn bespotten er wird heftig werden –

BERTHA
aufrichtig erschreckt.
Du erschrickst mich zum Tode – er wird so leicht heftig!
BOLZAU.
Das kann ganz schlecht ablaufen – mein Kind!
BERTHA
überwältigt.
Ach Oheim – ich bin sehr un glücklich!
BOLZAU.
Aber – aber –
BERTHA
weinend.
Ich bin eine ganz entsetzlich schlechte Frau!
BOLZAU
heiter, bei Seite.
Aha!
BERTHA.
Ich bin ihm fortgelaufen –
BOLZAU.
Ist es möglich?
BERTHA.
Ja – ich bat ihn, nicht auf das Stiftungsfest zu gehen – er bestand.
BOLZAU.
Aha – das gab Streit.
BERTHA.
Ja!
BOLZAU.
Man setzte den Trotzkopf auf. Man wurde etwas hitzig?
BERTHA.
Ja –
BOLZAU.
Endlich fuhr das Trotzköpfchen ab –
BERTHA.
Ja –
BOLZAU.
Band dem alten Oheim einen Bären auf mit der Kochmaschine?
BERTHA.
Ja –
BOLZAU.
Schöne Geschichten das – ei – ei – ei –
BERTHA.
Ach guter lieber Oheim – rathe – hilf' – ich sehe ja mein Unrecht ein – was soll ich jetzt angeben –
BOLZAU.
Weiß ich's?
BERTHA.
Du weißt ja zu allem Rath, lieber Oheim!
BOLZAU.
Hm – so geht's – Du fährst sogleich nach Rosendorf, vielleicht holst Du ihn noch ein.
[84]
BERTHA.

Ja, ja – oh Oheim – als ich von ihm vorhin fortfuhr, da klopfte mein Herz so, daß es zerspringen sollte – und jetzt, wo ich wieder zu ihm fahren soll – ist es fast ebenso.

BOLZAU
drängend.

Mach' Dich nur sogleich fertig – ich bestelle Dir meine schnellsten Pferde –Will ab durch die Mitte – kehrt in der Thüre um. Da kommt der Steinkirch wieder – Ruft. Bertha.

BERTHA
wollte links ab – kehrt um.
BOLZAU.

Da kommt Jemand – der mich sprechen will – ich mag ihn nicht treffen – sage ihm, er solle da in mein Zimmer gehen – lesen – schreiben – was er will – bis ich ihn rufe – sag' ihm das! Eilig ab durch die Mitte, dann links.

BERTHA.
Ganz wohl!
11. Auftritt
11. Auftritt.
Steinkirch. Bertha.

STEINKIRCH
durch die Mitte.
Herr Commerzienrath nicht hier? Ah, Frau Doctor Scheffler!
BERTHA
ihre Thränen trocknend.
Dort ist er Schreibtisch meines Oheims – Zeigt auf die Thüre rechts.
STEINKIRCH
erstaunt zurücktretend – bei Seite.
Heute Vormittag war es der vom Mann – jetzt ist es der des Oheims!
BERTHA.
Da in jenem Zimmer ist der Schreibtisch.
STEINKIRCH.
Sie bleibt beim Schreibtisch! – Ich verstehe in der That nicht!
BERTHA.

Der Oheim läßt Ihnen sagen, Sie möchten dort eintreten – lesen – schreiben – was Sie wollen – bis er Sie ruft – gehen Sie nur – gehen Sie an den Schreibtisch! Ab links.

STEINKIRCH.

Aus der Frau werde ich nicht klug – doch ich will thun, was mir der Herr Commerzienrath befehlen läßt. Ab nach rechts.

12. Auftritt
[85] 12. Auftritt.
Bolzau. Scheffler.

BOLZAU.
Ich bewundere Dich, daß Du so viel Ruhe zu andern Dingen hast.
SCHEFFLER.
Wie so das?
BOLZAU.
Wenn man seine Frau in solcher Gesellschaft weiß!
SCHEFFLER.
Meine Frau?
BOLZAU.
Du sagtest mir doch, Deine Frau sei in Rosendorf?
SCHEFFLER.
Ja –
BOLZAU.
Du weißt, daß eine Stunde von Rosendorf das Husaren-Regiment in Quartier liegt.
SCHEFFLER.
Ganz richtig!
BOLZAU.

Nun, Dein Schwager giebt heut den Husaren-Offizieren ein großes Fest – nur Herren – es wird gewiß sehr lustig hergehen.

SCHEFFLER
erregt.
Oheim, ist das wahr?
BOLZAU.
Nu – nu es ist ja nichts Schlimmes –
SCHEFFLER.
Aber Bertha als einzige Dame unter so vielen Husaren-Offizieren!
BOLZAU.

Ein flottes Corps sind die Husaren allerdings – flott und verwegen vor dem Feinde – aber auch wenn es gilt ein Herz zu erobern!

SCHEFFLER.
Oheim!
BOLZAU.
Oh – Deine Bertha ist ein braves Weib – Du kannst Dich ganz auf sie verlassen.
SCHEFFLER.
Ja wohl – das kann ich.
BOLZAU.

Freilich ein Gerede wird es geben, es giebt ja immer böse Zungen – daraus muß man sich nichts machen.

[86]
SCHEFFLER.

Oh doch – doch – Bei Seite. Sie ist erzürnt auf mich – wenn sie sich grade deshalb den Hof machen ließe? Oheim – ich fahre auch nach Rosendorf.

BOLZAU.
Ah – heut?
SCHEFFLER.
Ja sogleich – Will fort.
BOLZAU.
Aber die Sitzung?
SCHEFFLER.
Einerlei!
BOLZAU.
Da warte, bis sie vorüber – dann fahre ich mit.
SCHEFFLER.
Deinen Pistolenkasten nehmen wir gleich mit.
BOLZAU.

Jawohl! – Aber, weißt Du, auf alle Fälle, schreib' jetzt eine Zeile – ich schicke einen reitenden Boten – je eher sie da heraus kommt, desto besser –

SCHEFFLER.
Versteht sich –
BOLZAU.

Sie soll uns entgegenkommen. Setz' Dich dorthin – aber schreib' ernst, streng, daß sie es nicht für Scherz hält.

SCHEFFLER.
Jawohl – jawohl – Hat sich gesetzt und schreibt.
BOLZAU
für sich.
Jetzt denk' ich, sind sie Beide weich gekocht!
13. Auftritt
13. Auftritt.
Bertha. Bolzau. Scheffler.

BERTHA
von links – Hut in der Hand.
Ich bin bereit, Oheim!
BOLZAU.
So. Steht so, daß er Scheffler deckt.
BERTHA.
Ist der Wagen da?
BOLZAU
forttretend.
Ja, da ist er!
SCHEFFLER.
Welche Stimme? Aufspringend. Bertha!
BERTHA.
Bruno! Schnell auf einander zu. – Umarmung.
BOLZAU.

Gut gemacht! Was hat er denn geschrieben? Nimmt das Blatt. Das nennt er strenge: Meine einzige, geliebte – angebetete Bertha.

[87]
SCHEFFLER.
Ja – das bist Du!
BERTHA.
Kannst Du mir vergeben, Bruno?
SCHEFFLER.
Alles – Alles! Umarmung.
BOLZAU.
Genirt Euch nicht, Kinder!
BERTHA.

Ich muß allein mit Dir reden – ich habe Dir so viel zu sagen – zu gestehen – ich war eine thörichte, eigensinnige, leichtsinnige Frau!

SCHEFFLER.
Meine gute Bertha! Führt sie ab. Beide ab durch die Mitte.
STEINKIRCH
öffnet die Thür rechts.
Herr Commerzienrath – dürfte ich wohl fragen –
BOLZAU.
Pst – wollen Sie wohl warten. Schließt die Thür.
14. Auftritt
14. Auftritt.
Wilhelmine. Ludmilla. Bolzau.

WILHELMINE
durch die Mitte.
Scheffler und Bertha zärtlich Arm in Arm – was ist denn das?
BOLZAU.
Ein Stiftungsfest – Schatz! Ich habe das besorgt!
WILHELMINE
eintretend.
Ludmilla – bleib' hier – geh' nicht etwa fort!
LUDMILLA
bleibt an der Thür – sieht hinaus.
BOLZAU.
Ich möchte heut noch eins feiern. Hör' mal, Alte – im Ernst – ich habe nicht lange Zeit.Umfaßt sie.
WILHELMINE
rufend.
Ludmilla! – Nun was hast Du denn?
BOLZAU
sich zusammraffend.

Minona – es giebt Augenblicke – wo der Mann ganz Mann sein muß – wo er auf seinem Willen bestehen muß – weil er seinen Willen für den richtigen hält.

[88]
WILHELMINE.
Wir Frauen haben auch Augenblicke, wo wir ganz Frau sein müssen.
BOLZAU.
Wir sind bei solchem Augenblick angekommen!
WILHELMINE.
Nun?
BOLZAU.
Ich werde ganz Mann sein. – Wilhelmine – ich habe einen braven jungen Mann wirklich gefunden!
WILHELMINE.
Dacht's ich's doch. Besorgt sich umsehend.
BOLZAU.
Er liebt Ludmilla!
WILHELMINE.
Mag er sie lieben!
BOLZAU.
Er soll sie haben!
WILHELMINE
entschieden.
Nie –
BOLZAU.
Damit Du ganz klar bist – ich habe ihm ihre Hand versprochen!
WILHELMINE.
Bolzau!
BOLZAU.
Er wird sehr bald hier sein – es ist mein fester Wille. Ich denke. Du machst mir keine Scene.
WILHELMINE.
Denke Du – ich werde handeln.
SCHNAKE
hinter der Scene.
Herr Commerzienrath! Herr Commerrath!
LUDMILLA.
Lieber Oheim – Herr Schnake –
BOLZAU
ärgerlich.

Hat den der Kukuk schon wieder! Er geht durch die Mittelthür – so daß man Bolzau mit Schnake sprechend, letzteren heftig gestikulirend außen sieht.

WILHELMINE.
Die Sache wird ernst – ich gebe nicht nach! – Ludmilla!
LUDMILLA
vortretend.
Liebe Tante!
WILHELMINE.
Du weißt, liebes Kind, wie ich Dich liebe – wie ich für Dich besorgt bin!
LUDMILLA.
Gewiß, liebe Tante.
WILHELMINE
in Aufregung.

Alles, was ich vornehme – geschieht nur zu Deinem Besten – fürchte Dich also nicht, Kind! Streichelt ihr die Backen.

[89]
LUDMILLA.
Das klingt so gefährlich – was willst Du thun?
WILHELMINE
Ludmilla bei der Hand nehmend.
Komm – ich muß für Deine Sicherheit sorgen – ich werde Dich einschließen.
LUDMILLA.
Aber Tante!
WILHELMINE.

Es ist nur zu Deinem wahren Wohl – Führt sie an die Thür rechts. Geh' in dies Zimmer – ich schließe hinter Dir zu.

LUDMILLA.
Aber Tante!
WILHELMINE.
Folge mir – mach' nur schnell. Oeffnet die Thür und läßt Ludmilla eintreten.
LUDMILLA.
Wie Du wünscht, Tante!
WILHELMINE
schließt die Thür mit dem Schlüssel zu – zieht den Schlüssel ab.
So – nun wollen wir sehen.
BOLZAU
in der Thür zu Schnake.
Ich komme gleich! Tritt ein, sieht Wilhelmine. Was machst Du denn da, Schatz?
WILHELMINE
zeigt den Schlüssel.
So – ich habe gehandelt! Ludmilla unter Schloß und Riegel –
BOLZAU.
Da drin?
WILHELMINE.
Allerdings – sie ist sicher aufgehoben!
BOLZAU.
Aber – das Mädchen dort eingeschlossen. Weißt Du auch, was Du thust?
WILHELMINE.
Allerdings weiß ich das!
BOLZAU.
Nun, meinethalben, aber Du trägst die Verantwortung.
WILHELMINE.
Ganz gewiß, Ludmilla's Vater wird mir danken!
BOLZAU.

Na, ich wasche meine Hände in Unschuld – aber nun kann ich endlich beruhigt in die Sitzung gehen – die Sache hast Du prompt erledigt.

WILHELMINE.
Geh' Du ruhig – ganz ohne Sorgen – ich bleibe hier auf meinem Posten.
BOLZAU
rufend.
Franz! Bei Seite. Das wird eine gute Geschichte geben. Franz – meinen Rock! Ab nach links.
[90]
WILHELMINE.

Aha – die starken Männer – so wie sie sehen, daß man Ernst macht – geben sie doch schnell nach – wie jetzt mein starker Mann! Oh, wohin kämen sie wohl, wenn wir nicht so überlegt handelten.

15. Auftritt
15. Auftritt.
Hartwig. Wilhelmine.

HARTWIG
durch die Mitte.
Da ist die Tante – ich werde mit ihr reden. Frau Commerzienräthin – ich habe die Ehre!
WILHELMINE.
Sie suchen gewiß meinen Mann!
HARTWIG.
Nein – im Gegentheil – ich preise das Geschick, daß es mir vergönnt ist, mit Ihnen allein zu reden.
WILHELMINE
freundlich.
Immer galant, Herr Hartwig!
HARTWIG.

Frau Commerzienräthin – es giebt im Menschenleben Augenblicke, wo es ein gewisses Bedürfniß ist, seine Gedanken einer fühlenden Seele auszuschütten.

WILHELMINE.
Oh ja – oh ja!
HARTWIG.

Nun – kurz und gut, Frau Commerzienräthin, Ihre Nichte hat auf mich einen unauslöschlichen Eindruck gemacht.

WILHELMINE
auffahrend.
Was?
HARTWIG.

Einen so unauslöschlichen Eindruck, daß ich mir ein ferneres Leben ohne sie nicht denken will – haben Sie die Güte –

WILHELMINE.
Aber Herr Hartwig! – Sind Sie etwa der junge brave Mann – von dem Bolzau sprach?
HARTWIG.
Sprach er von einem jungen braven Mann? – Ja – ganz gewiß – das werde ich wohl sein –
WILHELMINE
erregt und alterirt.

Nun, Herr Hartwig, dann will ich Ihnen auch kurz sagen – ich bin nicht aufgelegt zu schlechten Späßen.

HARTWIG.
Aber Frau Commerzienräthin –
[91]
WILHELMINE.

Ich kann es nur für einen ganz schlechten Scherz ansehen, wenn Sie die Hand meiner Nichte begehren. Lassen Sie sich das ein für allemal gesagt sein. Ein Mann, der sein Herz fortwährend auf der Zunge hat – es feil bietet wie auf dem Markt – das ist kein Mann für meine Ludmilla!

HARTWIG.
Erlauben Sie – Ludmilla? Ich rede gar nicht von Fräulein Ludmilla!
WILHELMINE.
Nicht?
HARTWIG.
Nein – ich hatte Ihre Nichte Bertha im Sinn –
WILHELMINE.

Bertha? Hahaha! Bei Seite. Das ist gut! Laut. Nun – da müssen Sie mit meinem Neffen Scheffler reden, der hat über diese Hand zu verfügen – da ist er gerade!

16. Auftritt
16. Auftritt.
Vorige. Scheffler. Dann Bertha.

HARTWIG.
Entschuldigen Sie – Ah – Scheffler – Freund – da bist Du ja – hast Du sie gefunden?
SCHEFFLER.
Ja.
HARTWIG.
Hast mit ihr gesprochen?
SCHEFFLER.
Ja.
HARTWIG.
Hast ihr meine Gefühle geschildert?
SCHEFFLER.
Ja –
HARTWIG.
Nun – und sie – was sagt sie – liebt sie mich?
SCHEFFLER.
Nein!
HARTWIG.
Ah – Du machst Scherz?
SCHEFFLER.
Sie sprach von Deiner Erklärung – gestand mir Alles!
HARTWIG.
Nun – und was sagte sie?
[92]
SCHEFFLER.
Sie sagt, Du hättest so fortwerfend und mitleidig von der Frau ihres Mannes gesprochen.
HARTWIG.
Erlaube mal – von der Frau – ihres Mannes?
SCHEFFLER.
Ja, von der Frau ihres Mannes.
HARTWIG.
Von der Frau – ihres Mannes! – Ja, hat sie denn einen Mann?
SCHEFFLER.
Freilich – es ist doch meine Frau – da frage sie selbst!
HARTWIG.
Ah – ah!
BERTHA.

Nun, Herr Hartwig, finden Sie noch, daß mein Mann so blaß aussieht? Ich glaube, er ist wieder ganz der alte! Spricht mit Scheffler.

HARTWIG
niedergedonnert.
So dumm habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht dagestanden!
WILHELMINE.
Was haben Sie denn, Herr Hartwig?
HARTWIG.
Ich kann's keinem Menschen sagen, Frau Commerzienräthin!
SCHEFFLER
ihm die Hand reichend.
Hartwig, ich danke Dir – Du hast ganz meinen Geschmack!
17. Auftritt
17. Auftritt.
Schnake. Bolzau. Vorige.

BOLZAU
in schwarzem Rock und Hut in der Hand von links.
So – endlich bin ich so weit!
SCHNAKE.

Herr Commerzienrath – In großer Eile eintretend. Ist denn der Doctor Steinkirch nicht hier? Meine Herren – wo ist denn der Doctor Steinkirch? Ich suche ihn wie eine Stecknadel – wenn er nicht gleich kommt, verlassen die Mitglieder der Polihymnia die Sitzung. Er wohnt ja bei Ihnen, Herr Commerzienrath!

[93]
BOLZAU.
Jawohl, Schnake, – meine Frau wird's wissen!
SCHNAKE.
Frau Commerzienräthin?
WILHELMINE.
Ach – was soll ich wissen!
SCHNAKE.
Herr Commerzienrath?
BOLZAU.
Meine Frau schließt heut Alles ein – sie hat auch den Doctor Steinkirch unter Schloß und Riegel.
SCHNAKE.
Frau Commerzienräthin!
WILHELMINE.
Laß Deine Scherze heut, Bolzau – dazu bin ich nicht aufgelegt!
BOLZAU.
Ich sage Dir aber im Ernst – Du hast den braven jungen Mann eingeschlossen! Da drin!
SCHNAKE
in Verzweiflung.
Was soll daraus wohl werden! Ab.
WILHELMINE.
So – An die Thür rechts tretend. Ludmilla – bist Du noch da?
LUDMILLA
von innen.
Jawohl, liebe Tante!
WILHELMINE.
Hörst Du's, Ludmilla ist drin!
BOLZAU.
Na, dann erlaube mir auch! Tritt an die Thür rechts. Wie geht's Ihnen, lieber Steinkirch.
STEINKIRCH
von innen etwas laut.
Sehr gut, Herr Bolzau!
WILHELMINE
erschreckt zurückfahrend.
Was ist das?
BOLZAU.
Hörst Du Schatz? Laß den braven jungen Mann heraus! –
WILHELMINE.
Du Ungeheuer, das ist mein Tod!Sinkt in einen Stuhl, giebt Bolzau den Schlüssel.
BOLZAU
schließt die Thür auf.
Aber was ist das für eine Aufführung Ludmilla – junger Mann!
LUDMILLA.
Ich bin unschuldig. Oheim!
STEINKIRCH.
Ich ebenfalls, Herr Bolzau.
BOLZAU.
Was soll ich nun mit euch machen?
WILHELMINE
aufspringend.
Oh, wir sind noch nicht zu Ende –
[94] STEINKIRCH.
Frau Commerzienräthin!
LUDMILLA.
Liebe Tante!
WILHELMINE.
Gut denn, ich gebe meine Einwilligung, aber nur unter einer Bedingung.
ALLE.
Aha!
WILHELMINE.

Morgen reise ich mit Ludmilla nach Hamburg, sie mag sofort nach Amerika reisen und sich die Einwilligung Ihres Vaters holen, eher wird nichts, so wahr ich Wilhelmine Christiane Amalie Bolzau heiße, so lange wird sich der brave junge Mann wohl noch gedulden können!

ALLE.
Oh!
LUDMILLA.

Oh, wenn es nur das ist, da brauch' ich nicht nach Amerika, Tante, mein Vater schrieb mir vor einem halben Jahre einen Brief für den Fall, daß mich einmal Jemand haben wollte.

BOLZAU.
Aber warum sagst Du das nicht eher, Kind!
LUDMILLA.

Es hat mich ja noch Niemand haben wollen. Ich hielt aber den Brief für so wichtig und werthvoll, daß ich ihn für diesen Fall stets bei mir trage. Einen Brief reichend. Hier ist der Brief, hier.

WILHELMINE.
Gieb her. –
BOLZAU.

Erlaube – Den Brief nehmend. ich werde Euch vorlesen! Lesend. »Im Großen und Ganzen taugen eigentlich die Männer alle nicht Viel.«

WILHELMINE
bei Seite.
Ein vernünftiger Mann, mein Bruder!
BOLZAU
lesend.

»Dennoch seid ihr Weiber selbst so schwach, daß ihr ohne diese schwache Stütze nicht leben könnt.« Sprechend mit Beziehung zu Wilhelmine. Ganz vernünftige Ansichten, Dein Bruder!

HARTWIG UND SCHEFFLER
zugleich.
Sehr richtig!
BOLZAU
weiter lesend.

»Auch Deine Stunde wird schlagen, mein gutes Kind.« Sprechend. Ist bereits geschehen! Lesend. »Sieh' Dir [95] den Mann, den Du liebst, recht genau an; – wenn sie verliebt sind, verstehen die Männer ihre Fehler am besten zu verbergen.«

WILHELMINE.
Da hat er Recht.
BERTHA.
Sehr richtig.
LUDMILLA.
Das glaub' ich.
BOLZAU.
»Sie erscheinen dann viel besser, als sie wirklich sind.«
ALLE DAMEN.
Sehr richtig!
BOLZAU
lesend.

»Ebenso wie ihr vor der Hochzeit Sammtpfötchen zu machen wißt und die Krallen zu verbergen versteht.« – Sprechend. Da hat er Recht.

SCHEFFLER UND HARTWIG
zugleich.
Sehr richtig.
BOLZAU
liest jetzt etwas schneller, damit keine Länge entsteht.

»Dein Gefühl wird Dich hoffentlich richtig leiten, auf jeden Fall ziehe Deinen Onkel Bolzau zu Rathe. Sprechend. Aha! Lesend. »Meine Schwester läßt sich zu sehr von Aeußerlichkeiten bestechen als schwache Frau.«

WILHELMINE
ihn unterbrechend.
Das laß nur – das laß nur. Sieht in den Brief. Unsinn!
BOLZAU
schnell durchfliegend.
Hmhmhm – Lesend. »Wenn also Bolzau seine Zustimmung giebt, so gebe ich Dir im Voraus meinen Segen.«
WILHELMINE.
Da habe ich das Mädchen nun umsonst so ängstlich aufgehoben!
BOLZAU.

Also Ludmilla liebt, der brave junge Mann ist da, ich sage: »Ja« – nein, Wilhelmine Treuherzig, indem er Wilhelmine bei der Hand nimmt. wir sagen zusammen ja – nicht wahr?

WILHELMINE.
Nun ja denn, Kinder!
LUDMILLA.
Liebe Tante – guter Oheim. Bewegung in der Gruppe – Gratulation.
18. Auftritt
[96] 18. Auftritt.
Schnake. Dann Brimborius. Vorige.

SCHNAKE
durch die Mitte, geknickt.
Aus! – Es ist aus, meine Herrschaften –
ALLE.
Was ist aus?
SCHNAKE.
Es giebt kein Stiftungsfest!
ALLE.
Wie?
SCHNAKE.

Warum sind Sie nicht gekommen, der Streit war nicht auszugleichen. Die Concordia trat aus, die Polihymnia folgte, der allgemeine Sängerbund ist aufgelöst!

ALLE.
Ah –
SCHNAKE.
Es ist aus, die Lichter sind ausgelöscht!
BOLZAU.

Nun, dann laßt die Lichter hier anzünden. Wir feiern in der Familie Zu Bertha und Scheffler. das Stiftungsfest des wiederhergestellten Friedens – Zu Ludmilla und Steinkirch. das Stiftungsfest für eine glückliche Ehe.

BERTHA UND SCHEFFLER.
Ja wohl.
STEINKIRCH UND LUDMILLA.
Ja wohl!
WILHELMINE.
Und wir?
BOLZAU.
Schatz, Dir stifte ich Deinen Landauer.
WILHELMINE.
Heinrich! Oeffnet die Arme, um ihn zu umarmen.
HARTWIG.
Und ich halte heut' doch noch eine Rede. Beginnt mit Pathos. Meine Herrschaften – heut ist der Tag –
ALLE.
Um Gotteswillen –

Indem sie ihn umringen – den Mund zuhalten –
fällt der Vorhang.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Moser, Gustav von. Dramen. Das Stiftungsfest. Das Stiftungsfest. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-43AA-8