[63] Therese Paradis

Ihr selbst gewidmet.


Ich war ein kleines Würmchen,
Noch kaum vier Spannen groß,
Und pikt in einer Laube
An einer goldnen Traube
Auf meiner Mutter Schooß.
Da stieg ein schwarzer Drache,
Die Mutter sah ihn nicht,
Aus einer faulen Pfütze,
Und blies, wie fahle Blitze
Sein Gift mir ins Gesicht.
Da ward es plötzlich dunkel
Und einsam um mich her,
Es konnten meine Augen
Kein Licht mehr in sich saugen,
Die Sonne schien nicht mehr.
O Mutter, liebe Mutter!
Rief ich der Guten zu,
Und hieng an ihrer Wange,
Wie bang ist mir, wie bange,
Wo bin ich, wo bist du?
[64]
Sie netzte mich mit Thränen,
Rief den im Himmel an,
Bat Menschen mir zu helfen,
Und keiner konnte helfen
Von allen, die mich sahn.
So schlich ich lang im Finstern
An ihrer Hand umher.
Entwöhnt vom bunten Tande,
Fand nie mein Geist die Bande,
Worin er lag, zu schwer.
An einem Feste Gottes,
Als ich ein Lied ihm sang,
Da hört ich Flügel schwirren
Und eine Stimme girren,
So sanft wie Flötenklang;
Sie sprach: ich bin der Engel
Der süßen Harmonie,
Der oft den Menschenkindern,
Des Lebens Gram zu lindern,
Schon seine Harfe lieh.
Du kennest mich: auf Erden
Hieß ich Cäcilia;
Mein Lob sang Popens Laute,
[65]
Und Solon Fränklin baute
Mir die Harmonika:
Heil dir! zu deinem Troste
Bin ich herabgesandt.
Sie faßt mir Hand und Kehle,
Und eine neue Seele
Durchströmte Kehl und Hand.
Sie schied. Auf meinem Schooße
Fand ich ein Saitenspiel.
Sein Laut verdrang mein Leiden;
Mein Busen schmolz in Freuden
Und Harmoniegefühl.
Einst spielt ich in dem Tempel
Das heilge Meisterstück
Des großen Pergolese;
Da hörte mich Therese,
Und sorgte für mein Glück.
O lebte sie!... doch schweige
Mein allzuwacher Schmerz!
Fand ich in Süd und Westen
Nicht Menschen, die mich trösten,
Nicht Balsam für mein Herz?
[66]
Süß ists, wenn meine Cymbel
Ins Mark der Seele dringt,
Und dann ein edler Hirte
Der Völker eine Myrte
Mir um den Scheitel schlingt.
Doch süßer, traute Freunde!
Ist Euer Händedruck,
Sind Eure sanften Thränen;
Ja diese, diese krönen
Mich mehr als Perlenschmuck.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Pfeffel, Gottlieb Konrad. Gedichte. Fabeln und Erzählungen. Dritter Theil. Zweytes Buch. Therese Paradis. Therese Paradis. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-7439-1