[233] Kirchenbild

Die Kirche dämmert. Doch ihr Diener wacht –
Als Gabensammler naht er wie gerufen,
Gleichmüthig und mit Schritten, träg und sacht,
Dem Weibe dort auf kühlen Marmorstufen.
Der Säugling ruht an ihrer welken Brust,
Ihr bleiches Antlitz ist des Kummers Zeichen –
Und dennoch will sie, herber Noth bewußt,
Der Kirche gläubig eine Gabe reichen.
Schon hält der Sammler ihr die Büchse hin,
Und da die Münze klirrt zu and'ren Stücken,
So kehrt er auch der frommen Spenderin
Gleichmüthig wieder seinen feisten Rücken.
Sie aber denkt mit wehmuthsvollem Blick
An ihres todten Gatten arme Seele,
Und wie sie jetzt ihr eigenes Geschick
Und das des Kindes Gott dem Herrn empfehle.
Sancta simplicitas! Ergreifend Bild
Von Erdenweh' und tiefem Himmelsahnen –
Du willst mich bitter – und doch sanft und mild
An dieses Lebens ew'gen Zwiespalt mahnen!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Saar, Ferdinand von. Gedichte. Gedichte. Drittes Buch. Bilder und Gestalten. Kirchenbild. Kirchenbild. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-AD6C-D