[249] [252]B. Märchen.

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1. Die Prinzessin hinter dem rothen, weißen und schwarzen Meere.

Mitten in einem großen Walde lag ein altes Schloß, in welches eine schöne Prinzessin verwünscht war. Die Prinzessin konnte nur von einem Prinzen erlöst werden, der eben zwanzig Jahre alt und aus dem Stamme Heinrichs des Löwen war; außerdem muste der Prinz sich auf der Jagd verirrt haben und so immer tiefer in den Wald hineingerathen sein. Nun fügte es sich, daß einst ein Sohn Heinrichs des Löwen, der eben zwanzig Jahre alt war, in dieser Gegend jagte und sich in dem Walde, worin das verwünschte Schloß lag, immer mehr verirrte, bis er endlich von der Nacht überrascht wurde. Mit einem Male sah er in der Ferne ein Licht schimmern; dem ging er nach und kam zuletzt vor ein hohes Thor, welches fest verschlossen war. Nachdem er es vergeblich zu öffnen versucht hatte, stieg er hinüber und gelangte zu einer hohen Treppe, die zu dem eigentlichen Schloße führte. Auf diesem Wege ging er nun ins Schloß und suchte das Zimmer auf, aus dem der Lichtschimmer kam. Endlich fand er es und öffnete die Thür. In dem Zimmer saß eine wunderschöne Prinzessin; sie war prächtig gekleidet und hatte den Kopf auf die Hand gestützt, eine Menge Katzen bedienten sie. Als sie den Prinzen erblickte, fragte sie, was sein Begehr sei. Er erzählte, wie er sich auf der Jagd verirrt habe und zufällig hierher gekommen sei. Die Prinzessin fragte dann, aus welchem Stamme er wäre; er antwortete, er sei ein Sohn Heinrichs des Löwen. »Wie alt bist du?« fuhr sie fort. »Zwanzig Jahre,« antwortete er. »Dann kannst du mich erlösen,« sprach sie. »Recht gern,« erwiederte er. »Es ist aber sehr schwer,« sagte sie, »denn du must drei qualvolle Nächte aushalten. Du must drei Nächte hinter einander mitten in der Kirche hinter diesem Schlosse schlafen [253] und wirst jede Nacht von Geistern ganz zerhackt werden. Am nächsten Morgen wird dann ein kleiner Hirsch kommen, der ein Oelgläschen im Munde hat; dieser wird alle Knochen deines Leibes zusammensuchen, sie in die rechte Ordnung legen und mit etwas Oel bestreichen, worauf sie sich wieder zusammenfügen und Fleisch bekommen werden. Kaum ist das geschehen, so wirst du wieder lebendig werden.« Der Prinz war entschlossen die Erlösung zu vollbringen und machte sich sogleich ans Werk. Er ging in die Kirche, legte sich in das dort bereit stehende Bett und schlief bald ruhig ein. Nachdem er ein Weilchen geschlafen hatte, ward heftig auf die Kanzel geschlagen, wovon er erwachte. Dann wurden Messer geschärft und die Geister kamen vor sein Bett. Einer von diesen legte das Ohr auf sein Gesicht, um sich davon zu überzeugen, ob er auch schliefe. Er that aber, als ob er fest schliefe, und rührte und regte sich nicht. Dann nahmen sie ihn aus dem Bette und legten ihn auf eine Bank, um welches sie sich alle, zwölf an der Zahl, herumstellten. Alle hatten Messer in den Händen, der Meister stand ihm über dem Kopfe, und zwei Gesellen neben ihm. Der Meister sprach: »Fest!« und mit diesem Worte ward ihm der Kopf abgehauen. Darauf zerlegten ihn die andern Geister in Stücke und nagten die Knochen rein ab. Am andern Morgen kam das junge Hirschlein mit dem Glase im Munde, suchte die Knochen zusammen, legte sie so, wie sie gehörten, wischte an alle etwas Oel, und in einer halben Stunde war der Prinz wieder lebendig. Er ging nun zu der Prinzessin, fand sie aber nicht, sondern statt ihrer einen großen Kater, in welchen sie verwandelt war. In den beiden folgenden Nächten wiederholte sich genau dasselbe, was in der ersten Nacht mit ihm geschehen war. In der vierten Nacht legte er sich hin, um auszuruhen. Als er am andern Morgen erwachte, saß die Prinzessin, welche über Nacht wieder zu einem Menschen geworden war, vor seinem Bette und hatte lauter junge Mädchen um sich. Das waren die Katzen, die nun alle wieder zu Menschen geworden waren. Die Prinzessin bat ihn aufzustehen und mit ihr ein wenig im Schlosse herumzugehn, sie habe ihm etwas wichtiges mitzutheilen. Er stand auf, zog sich an und ging mit ihr im Schlosse herum. Auf diesem Spaziergange sprach sie zu ihm: »Ich bin sehr weit von meiner Heimat und meinen Eltern entfernt; meine Eltern wohnen über dem rothen, weißen und schwarzen [254] Meere, wo mein Vater König ist; als Kind von sechs Jahren wurde ich von einem Manne geraubt und hierher gebracht. Ich wünsche dich mit in meine Heimat zu nehmen und bitte dich daher dich Mittags nicht schlafen zu legen; denn es wird ein feuriger Wagen kommen, der mit zwei feurigen Pferden bespannt ist, und mich durch die Luft abholen, und das wird drei Mittage hinter einander geschehen. Wenn du nun auch an den beiden ersten Tagen nicht auf deiner Hut bist und Mittags schläfst, so gib doch ja am dritten Mittage recht Acht, daß du nicht einschläfst, denn wenn du dann schliefest, so sähest du mich nie wieder.« Er versprach ihr das. An den beiden ersten Mittagen gab er nicht Acht auf sich, sondern »ließ sich schlafen«; am dritten Mittage wollte er durchaus nicht schlafen, allein es kam eine alte Frau zu ihm und bot ihm einen Becher mit Wein den er auch annahm und trank. Sowie er den Wein, in welchem ein starker Schlaftrunk war, getrunken hatte, fiel er sogleich in einen tiefen Schlaf. Als er erwachte, stand auf dem Tische vor ihm geschrieben: »Geliebter Bräutigam, wir sehen uns nun nicht wieder; lebe wohl!« Er stand auf, schnallte das Schwert um, zog sein Pferd aus dem Stalle und ritt fort; er war nemlich entschlossen, so lange zu reiten, bis er dahin käme, wo der Vater seiner Braut König war. So ritt er immer weiter, konnte aber nicht einmal die drei Meere finden, hinter denen die Prinzessin wohnte. Endlich kam er zu einem Manne, der ein Horn besaß, welches die Eigenschaft hatte, daß alle Thiere der Welt zusammenkamen, wenn er darauf blies. Diesen Mann bat er, er möchte doch einmal alle Thiere der Welt zusammenrufen und fragen, ob sie nicht das rothe, weiße und schwarze Meer wüsten. Der Mann war dazu bereit, ließ alle Thiere der Welt zusammenkommen und fragte sie, ob keins von ihnen wüste, wo das rothe, weiße und schwarze Meer läge, aber kein Thier wuste es anzugeben. Ganz zuletzt kam noch ein brüllender Löwe an; auch dieser wurde gefragt und antwortete, er kenne die drei Meere, zugleich sagte er, er wolle den Prinzen dahin bringen; dieser möge nur Lebensmittel einstecken und sich auf seinen Rücken setzen. Der Prinz setzte sich nun auf den Rücken des Löwen und im Hui ging es davon. Als der Prinz an das rothe Meer kam, waren da Seeräuber, die ihn von dem Rücken des Löwen reißen wollten, der Löwe aber zerriß sie sämmtlich und schwamm mit dem Prinzen [255] hindurch. Am anderen Ufer schliefen sie und setzten dann am nächsten Morgen ihre Reise zum weißen Meere fort. Als sie das Ufer des weißen Meeres erreicht hatten, waren da wieder Seeräuber, die den Prinzen rauben wollten, doch der Löwe zerriß auch diese und schwamm hindurch. Dann durcheilte er wieder ein Land, kam zu dem schwarzen Meere, schwamm hindurch, setzte den Prinzen hier ab und schwamm zurück. Der Prinz wanderte nun allein weiter und stieß auf einen armen Mann. Diesem gab er ein Goldstück und fragte ihn, ob die verlorene Prinzessin wieder angekommen wäre und ob sie schon geheirathet hätte. Der Bettler antwortete, in zwei Tagen halte sie Hochzeit. Damit ging der Prinz fort und erreichte die Hauptstadt des Landes, worin der König wohnte. Hier ging er in ein Wirthshaus und fragte den Wirth, ob er nicht an diesem Mittage einen rothen Wagen mit rothen Pferden bekommen könne. Er selbst habe einen solchen Wagen und solche Pferde, erwiederte der Wirth. Dann möchte er nur anspannen lassen, sagte der Prinz. Nachdem der Wagen angespannt war, fuhr der Prinz selbst dreimal um den Palast des Königs herum und kehrte dann zu seinem Wirthshause zurück. Am anderen Mittage fuhr er wieder dreimal um das Schloß herum. Da wurden ihm die Thore geöffnet und der Weg war mit Blumen bestreut; dennoch fuhr er nicht in den Schloßhof, sondern zu seinem Wirthshause zurück. Jetzt dachte die Prinzessin bei sich: »sollte das nicht dein alter Bräutigam sein?« Am dritten Mittage fuhr der Prinz wieder um den Palast herum; als er einmal herumgefahren war, ward schon zur Hochzeit geläutet und der Hochzeitszug schickte sich an zur Kirche zu gehn. Als er das dritte Mal herumgefahren war, wollte der Hochzeitszug eben vom Hofe zum Thor hinausgehn. Da konnte er sich nicht länger halten, sprang vom Wagen, fiel ihr um den Hals und sprach zu ihr, er habe einige Worte mit ihr allein zu sprechen, worauf sie sogleich mit ihm ins Schloß ging. Hier sprach er zu ihr: »kennst du denn deinen alten Bräutigam nicht mehr?« Als sie diese Worte hörte, fiel sie in Ohnmacht. Als sie wieder zu sich gekommen war, rief sie ihren Vater herbei und sprach: »lieber Vater, wenn man einen alten Schlüssel verloren hat und sich einen neuen hat machen lassen, dann aber den alten wiederfindet, welches ist da wohl der beste?« Der Vater antwortete ohne Bedenken: »der alte!« »Dann ist auch dieser der beste [256] Bräutigam,« rief sie aus, »denn dieser ist mein Erlöser, der mich aus meinem Jammer erlöst hat; und auf der Stelle will ich mit ihm Hochzeit halten.« Der Vater willigte in alles ein. Der Zug ging also sogleich zur Kirche, wo sie getraut wurden. Die Hochzeit dauerte acht Tage hinter einander, und die beiden lebten noch lange friedlich zusammen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. Märchen und Sagen. Niedersächsische Sagen und Märchen. B. Märchen. 1. Die Prinzessin hinter dem rothen, weißen und schwarzen Meere. 1. Die Prinzessin hinter dem rothen, weißen und schwarzen Meere. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B952-8