Katta-Kottu
Japaneske
»Ja wohl!« sagte der Admiral Tiko, »man kann auf dieser Erde anfangen, was man will – lange freut man sich doch nicht über seine Taten.«
Die Sonne ging langsam im Westen unter, und der Waldsee des Königs wurde bunt wie ein Pfau. Ein paar Frösche quakten. Lebende Libellen flogen überm Wasser hastig hin und her allmählich den Ufern zu, wo die Fliederbüsche dufteten und die Ameisen fleißig waren.
Der Admiral Tiko, eine große Persönlichkeit, besah seinen köstlichen Siegelring, den er immer am rechten Zeigefinger trug, und dachte über das Leben nach.
Der Waldsee wurde nun dunkler, aber drüben auf dem hohen Berge funkelte das Felsenschloß wie eine alte Königskrone. Die Frösche quakten lauter. Die Libellen verschwanden. Eine schwarze Ameise biß dem großen Admiral in den linken kleinen Zeh und starb.
Der Abendwind zitterte in den Blütenkelchen und wehte ihren Duft vorsichtig in die Welt hinaus. Es bühten in den Gärten des Königs unzählige Blumen – Nelken, Tulpen und Narzissen.
Tiko blickte zum Felsenschloß empor, und seine Gedanken wurden anders.
Der König hätte das Felsenschloß gerne dem Admiral geschenkt zum Lohne für seine Taten. Der Tiko liebte das Schloß; es war ein feines Kunstwerk und so still. Dort oben konnte man das weite blaue Meer überschauen und Ruhe haben bis ans Ende seines Lebens – wohlige Ruhe.
Indessen – wollte der Tiko das Geschenk annehmen, so sollte er [83] sein Kommando niederlegen und die Schiffe des Königs fahren lassen, ohne mitzufahren.
Das gefiel dem großen Manne nicht.
Das Schloß funkelte nicht mehr, denn die Sterne des Himmels fingen zu funkeln an. Die Farbenpracht der Sonne sank lautlos in die stille Nacht.
Drüben am andern Ufer des Waldsees klatschten lange Ruder ins Wasser; das taten die Feuerwerker. Es sollte ein großes Feuerwerk abgebrannt werden mit Platzbomben und Diamantraketen. Tikos Gedanken veränderten abermals ihre Richtung. Die Tochter des Königs, die witzige Prinzessin Katta-Kottu, feierte ihren Geburtstag, und Tiko sollte sehr bald mit der Prinzessin allein in einem kleinen Kahn sitzen – und rudern. So hatte es sich die Katta-Kottu gewünscht; es erschien ihr so nett, sich während des Feuerwerks mit dem Admiral gemütlich zu unterhalten.
Die Frösche quakten, und Tiko atmete tief auf. Für die berühmten Männer schwärmte die Katta-Kottu; das war immer so gewesen. Tiko besah wieder seinen Siegelring. Der Abendwind säuselte duftig und milde.
Die Sterne standen am Himmel und strahlten. Die Feuerwerker priesen die Nacht – sie lag so still da wie des Königs Schatzkammer.
Der dicke Diener des Admirals meldete die Ankunft der Prinzessin.
Tiko ging hin und begrüßte die Katta-Kottu voll Ehrfurcht und Bewunderung.
Die hellblauen Papierlaternen der Hofdamen wackelten, die Kavaliere strichen sich den Schnurrbart und verbeugten sich.
Alle waren in hellblauer Seide erschienen, nur Katta-Kottu's Kleider waren schneeweiß und die des Tiko zinnoberrot.
Der Admiral stieg mit seiner Prinzessin in den kleinen goldenen Kahn, und die Kavaliere stiegen mit den Hofdamen in die anderen Kähne, die in Silber glänzten.
Und dann ruderte man langsam ein paar Ellen weit auf den See hinaus und plauderte dabei.
Tiko sagte befangen:
»Der Mond scheint heute nicht.«
Da lachte die Prinzessin und meinte, daß man auch ohne Mond gut träumen könne.
»Träumen?« fragt Tiko.
[84] »Nu ja! was denn sonst?«
Also erwiderte die witzige Katta-Kottu.
Der Admiral sah in seinem zinnoberroten Gewände so drollig aus, und die Prinzessin fand das so nett – so traumhaft.
»Wenn er bloß nicht so viel schweigen wollte!« dachte sie bei sich.
Er aber dachte immer nach, bevor er sprach – so auch jetzt. Und er faßte nach einer Weile seine Gedanken in diese Worte:
»Prinzessin! Zu träumen pflegt man, wenn man nichts zu tun hat. Wer sein Leben mit Taten füllt, träumt nicht mehr; die Träume drehen dem Tatendurst das Genick um. Der Traum macht träge; die Augen sehen nicht mehr klar. Und man ist bald nicht mehr fähig, eine Tat zu vollbringen – ein müder Mensch. Das ist doch zu beklagen, da das Tatglück das größte Glück ist.«
»Hm!« versetzte die Witzige, »das klingt so klug und ist es gar nicht. Nein! Wahrhaftig nicht! Ihr könnt mir's glauben! Ich stelle das Traumglück über Alles. Das Tatglück kann nicht größer sein. Muß es also nicht kleiner sein? Es muß doch, nicht wahr?«
Tiko lächelte überlegen und schüttelte den Kopf.
Das gefiel aber der Prinzessin nicht, und sie fuhr böse fort:
»Admiral! Das Leben ist, so wie es ist, doch nicht schön genug. Ist der Traum daher nicht das schönere Leben? Tatglück kann nur im gewöhnlichen Leben entstehen, Traumglück aber entsteht im schöneren Leben. Muß also das Traumglück nicht schöner sein als das Tatglück?«
Wiederum mußte der Admiral lächeln, und er sagte spöttisch:
»Das ist nicht wahr, Prinzessin! Das Tatglück ist doch mächtiger als das Traumglück. Der Traum ist immer bald zu Ende, und ich liebe die kurzen Sachen.«
»So!« rief nun erregt die Katta-Kottu, »es gibt aber auch lange Träume. Neulich hatte ich einen ganz langen Traum. Hört zu!«
Sie machte eine Pause und hub dann feierlich zu erzählen an:
»Die Erde wird ganz dunkel wie schwarze Seide. Ich aber mag die Finsternis nicht. Ich zünde also meine kleine rote Lampe an und will fort. Und da sehe ich vor mir eine Treppe – die führt in das Erdinnere. Ich gehe die Treppe hinunter und komme in einen schwarzen Saal; die Wände sind glatt und spiegeln. Und ich steige noch eine Treppe tiefer und trete in einen noch größeren Saal, der auch schwarz ist wie der vorige; aber hier sind die Wände nicht mehr glatt, einzelne Teile sind mit wunderlichen Schnitzereien[85] bedeckt – Alles aus schwarzem Stein – aus spiegelglattem Stein! Und ich steige noch weitere Treppen hinunter und komme in die tiefer gelegenen Säle; jeder tiefere ist immer größer und reicher – mit Galerieen, Kuppeln und herrlichen Grotten. Und die Schnitzereien aus Stein werden immer drolliger, und es sind so viele, daß man bald nicht mehr die Empfindung hat, von Wänden umgeben zu sein. Auch die schwarzen Fußböden sind voll Schnitzerei; die ist natürlich flacher gearbeitet. Ich sehe mir Alles an, und ich sehe mir Alles sehr lange und gründlich an. Es ist Alles ganz anders als oben auf der Erde – viel kecker. So viele Tiere und Blumen, die's gar nicht gibt – und nicht bloß Molchdrachen! Es ist in tausend Jahren nicht zu beschreiben – so seltsam! Ich bin da unten lange – sehr lange! – ganz allein, so daß ich mich schließlich graule. Meine kleine rote Lampe leuchtet mir nicht hell genug. Aber kaum wird mir das lästig, so springen auch schon sechs schwarze Pudel auf mich zu. Die Pudel haben milchweiße Augen, und diese Augen sind so hell, daß plötzlich Alles hell wird. Da seh ich denn, daß das schwarze Gestein von ganz feinen – haarfeinen! – türkisblauen Linien durchädert ist. Und nun wird's überall lebendig. Gazellen kommen von den Galerieen herunter und rufen freundlich ›Katta-Kottu!‹ Sie sprechen aber so oft meinen Namen aus, daß ich erstaunt frage: ›Was wollt Ihr denn von mir?‹ Da öffnet sich eine große sehr fein geschnitzte Pforte, und weißgekleidete Priester tragen in einer Sänfte meinen toten Bruder herbei. Ich laufe ihm entgegen – und er springt auf – und umarmt mich. Und während ich ihn weinend küsse, umtanzen uns kleine weiße Elefanten, rot und grün gestreifte Giraffen, kleine dunkelviolette Schweine und bunt karrierte Kameele. Ein merkwürdiges Volk! Mein Bruder dreht sich mit mir, und wir tanzen wie die Tiere. Und dabei verwandelt er sich in einen kleinen Zwerg, und ich werde noch kleiner – noch viel kleiner – ich werde – es ist wirklich wahr! – ein – Floh! Drollig – nicht? Ja! Da sah Alles aus – so groß! Nicht zu sagen! Ich hüpfte meinem Bruder auf die dicke Nase, und – er – ach – er zerdrückte mich mit seinem Zeigefinger.«
»O weh!« schrie der gute Tiko.
Aber die gute Katta-Kottu bemerkte lächelnd, daß im Traume das Zerdrücktwerden gar nicht so unangenehm sei. Sie plauderte unbeirrt weiter:
»Ich träume eigentlich zu allen Zeiten – auch mit offenen Augen [86] am hellen lichten Tage. Sehr oft spiele ich mit den Sternen, klebe dem Monde lange Ohren an und knipse der Sonne die Nase ab, verspeise ein paar Kometen und reiße die Milchstraße entzwei. Ach ja – mit dem Himmel steh ich überhaupt auf sehr freundschaftlichem Fuße. Und nun soll ich einem berühmten Admiral das Traumglück noch deutlicher machen? Ach, du guter Himmel, gib mir ein Zeichen, daß ich recht habe! Bitte! Bitte! Lieber Himmel, sei so gut!«
Katta-Kottu faltete die Hände, und dabei stieg rauchend die erste Rakete zu den Sternen empor, und helle bunte Diamanten fielen aus dem Feuerkopfe der Rakete langsam hernieder.
Tiko sah das Felsenschloß aufleuchten im Diamantenglanz und sagte dann hastig:
»Frauen gegenüber behauptet man immer mehr, als man will – oft das Gegenteil von dem, was man denkt. Die Träume sind allerdings nicht ihrer Kürze wegen zu verdammen – umgekehrt! – sie leiden fast alle an erschrecklicher Länge. Ich hatte das völlig vergessen. Die Träume sind lang und faul: sie ähneln der Schildkröte, während die Tat flink ist wie ein feuriger Tiger.«
»Admiral!« entgegnete die Prinzessin gereizt. »Vergleiche sind billig wie kleine Fische, und lange Schildkröten sind mir unbekannt. Ich könnte auch sagen, der Traum sei die Blüte des menschlichen Lebens, die uns durch ihren Duft und durch ihre Farbenpracht entzückt, während die Tat eine dicke Frucht ist, die man essen kann – essen! Die Frucht ist nützlich – aber sehr plump. Die Blüte gibt uns doch mehr Glück. Ach Himmel, gib mir ein Zeichen, daß ich recht habe!«
Tiko lächelt, so wie er's oft zu tun pflegt, rudert ein wenig weiter in die Mitte des Sees hinein, besieht wieder seinen Siegelring und schildert der Prinzessin mit gesenktem Blick eine stürmische Meeresnacht, redet von Kommandobrücke und Sturzwelle, von Sprachrohr und Tauende, von wegfliegenden Mützen und brechenden Mastbäumen.
Wie der Admiral wieder schweigt, starrt er der Prinzessin fest ins Auge – aber siehe! – da wird's plötzlich so furchtbar hell – von oben dringt ein grelles, hellgrünes Licht hernieder – und im selben Augenblick schlägt dicht vor dem goldenen Kahn ein grüner Feuerball in die Mitte des Waldsees.
Der goldene Kahn kippt um – und die Prinzessin wird mit dem Admiral in die Tiefe gerissen.
[87] Tiko hat gleich mit der Linken das Kleid der Prinzessin gepackt. Und Beide werden zusammen von den wilden Wirbeln immer tiefer ins Wasser gezogen – so sehr sich auch der Admiral mit den Beinen dagegen sträubt.
Unten fährt er mit dem rechten Arm so tief in den Schlamm, daß er gleich fühlt, wie auch seine rechte Wange beschmutzt wird.
Indessen – tatkräftig wie stets – arbeitet er sich bald aus diesem tiefen Sumpfgebiet raus und schwimmt mit der Prinzessin in der Linken an die Oberfläche des Sees, wo er mit stürmischen Halloh von den Kavalieren und Hofdamen begrüßt und mit der Prinzessin rasch ans Ufer gebracht wird.
Am Ufer wird der Tiko von seinem dicken Diener sofort in ein Zelt getragen, von seinem roten nassen Gewande befreit, gewaschen und abgetrocknet. Und dann hilft der Dicke seinem Herrn in die Uniform.
Nach zehn Minuten erscheint der Admiral in voller Gala wieder im Freien. Die Hofgesellschaft bereitet dem Retter der Prinzessin eine stürmische Ovation. Er dankt, indem er militärisch grüßt. Die blauen Ampeln wackeln.
Man erzählt dem Gefeierten, daß ein hellgrünes Meteor, das wie ein dicker grader Pinselstrich aussah, vom blauen Himmel runter schräg in den See fuhr. Und die Wirbel, die durch das plötzliche Einschlagen des glühenden Weltkörpers entstanden, rissen die Beiden in die Tiefe; sie waren zu zweit in die Mitte des Sees gerudert. Die andern Boote hatten sich vom Ufer nicht entfernt und kamen so mit dem Schreck davon.
Tiko lächelte auch bei diesen Berichten wie sonst, besah wieder seinen Ring und ließ sich zur Prinzessin führen, die soeben aus ihrer Ohnmacht erwacht war. Man hatte ihr schon, als sich der Admiral ihr ehrfürchtig näherte, die ganze Geschichte erklärt.
Die Katta-Kottu rief ihrem Retter gleich lachend zu:
»Ich habe gesiegt! Das Meteor war ein Zeichen des Himmels! Mein Gebet ward erhört – nicht wahr? Jetzt werdet Ihr wohl, mein lieber Admiral, überzeugt sein, daß das Traumglück höher zu stellen ist als das Tatglück.«
»Mitnichten,« versetze der schneidige Tiko, »der Himmel wollte das Tatglück preisen. Die gnädigste Prinzessin wäre nicht am Leben geblieben, wenn ihr nicht das Tatglück des Admirals Tiko treu zur Seite gestanden hätte.«
»Ah!« sprach nun die Katta-Kottu mit verzogener Unterlippe, [88] »der Herr Admiral ist rechthaberisch und will für seine Rettung bedankt sein. Ich danke! Ich danke wirklich! Jedoch – ich muß bei meiner Überzeugung bleiben; ohne Traumglück wird zudem kein Mensch eine große Tat begehen.«
Tiko räusperte sich vernehmlich und flüsterte:
»Der Mensch wird nichts vollbringen, wenn er im Traumglück stecken bleibt. Wer im Sumpfboden des Waldsees stecken bliebe, würde auch nichts mehr vollbringen.«
Darauf schrie die Katta-Kottu, daß es dem Tatmenschen in den Ohren gellte:
»Und dennoch ist das Traumglück das einzig wahre Glück!«
Tiko entgegnete ruhig:
»Gnädigste Prinzessin, die menschlichen Zungen sind ungleich; was der einen Zunge süß, kann der an dern bitter schmecken.« Katta-Kottu erwiderte still:
»Admiral, Ihr habt eine sehr lose Zunge! Ich wollte Euch noch von den Träumen erzählen, die uns wie alte Erinnerungen und liebe Tote umranken – aber – ich wünsche Euch eine gute Nacht!«
Da versetzte Tiko hart und laut:
»Der Admiral Tiko wünscht der Prinzessin Katta-Kottu die beste Besserung!«
Er verbeugte sich kurz, machte links um Kehrt und ging davon.
Vor dem Zelt der Prinzessin trat der König dem tapfern Mann in den Weg, umarmte seinen treuen Diener und frug:
»Was willst Du nun haben: das Felsenschloß oder das Oberkommando über die große Flotte, die in die Südsee gehen soll?«
»Das Oberkommando!« lautete die feste Antwort.
Der König, ein alter Mann mit weißem Vollbart, erhob seinen rechten Zeigefinger und frug leise:
»Ist das weise?«
»Jawohl!« behauptete ohne Besinnen der starke Tiko. »Weise handelt man stets, wenn man sich über alle Weisheit lustig macht.«
Der alte König streichelte seinem treuen Diener die rechte Wange, nickte und meinte dazu obenhin:
»Die Katta-Kottu wird sich wohl ebenfalls freuen.«
Tiko errötete und verbeugte sich ganz tief. Und dann verschwand er hinterm nächsten Gebüsch, setzte sich lächelnd auf sein wildes Roß, das der dicke Diener gar nicht mehr halten konnte – und sprengte blitzenden Auges dem Hafen zu.
[89] Die Sterne funkelten wieder.
Im großen Palaste des Königs fiel aus dem linken Auge der Prinzessin Katta-Kottu eine dicke Träne auf das Kinn der Kammerzofe.
Ich rauchte, während die Herren lasen – und meine Stimmung wurde beim Rauchen nur noch weicher, so daß ich immer noch zu träumen glaubte.
Wir sprachen dann Langes und Breites über die verschiedenen Formen des Schmerzes und besonders über die Leiden, die man seelische zu nennen pflegt.
»Nimm Dir,« sagte der King Thutmosis, »diese Leiden mal weg, und dann mach mal was oder werde mal was. Es wird Dir Beides so sauer fallen, daß Du geneigt sein könntest. Dir die Leiden künstlich zu erzeugen.«
Danach sprachen wir wieder Vieles über das Nichtreale der Schmerzempfindungen, und ich bezweifelte, daß viele Menschen diese Weisheit begreifen könnten.
Dem begnete jedoch der König Amenophis in sehr heftigen Worten.
»Wenn erst,« sagte er lebhaft gestikulierend, »der gute Wille da ist, die Völker in dieser Beziehung aufzuklären – so wird dieser gute Wille schon seine guten Früchte zeitigen. Aber vorläufig sind allerdings die weisen Herren des Erdballs eifersüchtig darum bemüht, alle Erkenntnisse, die ihnen mal in den Schoß gefallen sind, für sich zu behalten und für ihr ganz besonderes Eigentum zu erklären. Es wird aber anders kommen. Erkenntnisse sind nicht Dukaten, die man vergraben kann. Es ist sehr töricht, zu glauben, daß die Völker weniger Begriffsvermögen haben als die Einzelnen. Ich, der ich ein alter ägyptischer König bin, werde das wohl besser wissen. Nichts ist leichter zu begreifen als die Lehre von der Unrealität der Erscheinungswelt. Die Völker der Erde haben schon hundertmal schwierigere Dinge begriffen. Und die Lehre von der Unrealität der Empfindungswelt ist noch leichter zu begreifen. Diese Lehre ist ein Anästhetikum erster Güte. Schmerzstiller waren immer sehr beliebt – und diese Lehre vom Wesen (d.h. von der Wesenlosigkeit) des Schmerzes wird ebenso beliebt werden. Die Leute werden schon begreifen, wenn man ihnen erklärt, daß alle ihre Schmerzen ihr Dasein bloß der Einbildungskraft verdanken – und daß diese Schmerzen nur Entwicklungsphasen [90] markieren, die sämmtlich Übergangsstadien sind. Jeder Schmerz erhöht die Lebenslust. Schmerzen sind Reizmittel und durchaus notwendig, da viele schwächliche Naturen ohne die sogenannten Schmerzen zu Grunde gehen würden.«
Ich kam aus meiner weichen Stimmung durch diese Rede nicht raus und sagte daher ganz weich:
»Ich glaube, lieber König, daß Du auf dem richtigen Wege bist. Schmerzstiller können nur von kranken Naturen gebraucht werden. Und es ist nicht unmöglich, daß die Kranken die Lehre von der Schmerzlosigkeit der Schmerzen begreifen könnten. Wie gerne begreift man das, was man sich wünscht. Die Gesunden werden schon weniger leicht von der Existenzlosigkeit des Schmerzes zu überzeugen sein.«
»Hoho!« rief da der König Necho, »in dieser Beziehung habe ich in Ägypten Erfahrungen gesammelt. Da gab's viele einfache Kraftnaturen, die gar nicht begreifen konnten, was Schmerz ist. Wenn man an solche Kraftnaturen denkt, wird man viele Grausamkeiten des Altertums nicht mehr mit so entsetzlich empfindsamen Worten verurteilen. Fell und Fell ist ein Unterschied.«
Ich fühlte mich so wohl, und meine Zigarre schmeckte mir so gut, daß ich sehr geneigt war, auch kritiklos zuzustimmen; das weiße Sammetzimmer trug wohl viel zu meinem Oppositionsmangel bei.
»Es gibt,« sagte ich, »Menschen, die den Schmerz suchen – und die, glaub' ich, brauchen auch den Schmerz. Wer ihn nicht sucht, braucht ihn nicht – kennt ihn vielleicht gar nicht. Der Schmerz ist wohl bloß ein Kulturprodukt; das wilde Tier fühlt noch nicht so empfindsam.«
»Worin,« bemerkte der Oberpriester Lapapi, »stecken denn die Reize der Tragödie? Doch bloß darin, daß man fühlt, wie aus den großen Schmerzen die größten neuesten Freuden erwachsen.«
»Und daher,« fuhr nun der General Abdmalik fort, »ist der große Tragiker immer ein großer Humorist, der nie in Verlegenheit kommt. Als Soldat muß ich die großen lustigen Tragiker bewundern; sie haben was Heldenhaftes an sich.«
Auf dem »an« lag der Ton, und ich mußte lachen, da ich allmählich dahinter zu kommen glaubte, daß ein tüchtiger Redner eigentlich »der Held an sich« genannt werden müßte.
Und ich sagte, was ich dachte.
Und die Nilpferdchen lachen unbändig.
[91] »Man kann sich und Andern Alles abschwatzen, wenn man's nur versteht.«
»Einem festen Redner gegenüber hält Keiner Stand – nicht einmal der Zahnschmerz.«
»Ein guter Redner erstickt jeden Widerstand im Keime, da er Keinen zu Worte kommen läßt.«
»O red – so lang Du reden kannst.«
So und so ähnlich redeten jetzt die Herren, und ich wußte nicht, ob sie damit wieder alles Gesagte auflösen wollten.
Ich wollte wieder eine ernste Stimmung haben, denn ich fühlte noch immer den Nachklang aus der Wunderküche.
Und ich wollte mir diese schmerzlose Stimmung erhalten. Und ich bemerkte einiges über die Vergänglichkeit derartiger Stimmungen.
Die sieben Herren mit den großen breiten Mäulern widersprachen mir und meinten, daß es doch sehr langweilig wäre, wenn man ohne Unterbrechung in derselben rosigen Laune dahinleben müßte.
Ich gab den Herren, um mich ihnen deutlicher zu machen, ein Manuskript, das grade von dieser Vergänglichkeit der großen Seligkeit handelte.