[328] Der alte Pilger

oder

Homos neueste Wanderungen


1807


»Nun kann ich und will ich nicht weiter gehn,
Sonst ist's um meine Füße geschehn;
Hier will ich unterkauern.
Dies soll zu Nacht mir ein Obdach sein,
O seid nur so gut und brecht noch nicht ein!« –
Er meint die alten Mauern.
Der Pilger war ein redlicher Mann,
Nur wandelt' der Schlaf ihn oftmals an,
Drum kam er nie zur Stelle.
So saß er und aß sein Abendbrot,
Es war die Stund' ums letzte Rot,
Nicht dunkel und nicht helle.
Es tönt der Glocken Geläut von fern,
Und obwohl schimmert manch heller Stern,
Will nicht die Nacht beginnen.
Schläft oder träumt er mit wachem Gesicht?
Der Pilger weiß es selber nicht,
Und kann sich nicht besinnen.
Da kommen zwei Männer mit greisem Bart,
Gekleidet nach der Doktoren Art,
Die zornig streitend schnaufen.
Der starke den schwächern am Barte zieht,
Ein Haar ist er nach dem andern bemüht,
Ihm sauber auszuraufen.
Kaum war er damit fertig doch,
So kam ein andrer, der stärker noch
Und ward sein wieder Meister.
Wie jener stritt, und wie er schrie,
Ein Haar genau nach dem andern, sieh!
Ihm aus dem Barte reißt er.
So kommt ein vierter und fünfter zum Ort,
Sie treiben's fürder immer fort,
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Ein jeder ward bezwungen;
Bis endlich einer, ein Mönch fürwahr,
Wie's an der Kutte zu sehen war,
Dem ist es gut gelungen.
Von Fürsten stand um ihn ein Heer,
Die reichen die goldnen Kronen ihm her,
Er drückt sie all' zusammen.
Als wären sie Wachs, so drückt er und dreht,
Der Mönch, der im Kreise der Herren steht,
Beim Scheine nächt'ger Flammen.
»Wie groß ist doch dieser Geister Macht,«
So hat der Pilger bei sich gedacht;
»Die kräftigen Gebärden!
Die Herrlichen, wie sie da stehn und gehn,
Wie glücklich bin ich, dies Schauspiel zu sehn!
Was wird's nur endlich werden?«
Des Schreiens und Streitens wird mehr und mehr.
Die Ritter klirren und schlagen sehr,
Wie sie die Wut betörte.
Es lärmt ein jeder, so viel er will,
Doch plötzlich wird es wieder still,
Daß keinen Laut man hörte.
Da zeigt sich dämmernd fern ein Rauch,
Und hier und dorten Flammen auch,
Die immer heller brennen.
Ach Dörfer sind's, daß Gott erbarm!
Und Weib und Kind, die nackt und arm
Voll Angst durchs Feuer rennen.
Wie aber, sind die Menschen denn toll?
Es ist ihrer Leiden Maß ja voll,
Das Elend ungeheuer;
Nun machen sie sich Musik noch dazu,
Sie haben des Springens nicht Rast noch Ruh,
Und tanzen um das Feuer.
Der Pilger war ein guter Mann,
Der Jammer greift an das Herz ihn an,
Er weint manch heiße Träne.
Da tritt ein Zwerglein zu ihm hin,
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Der lacht ihn an mit hämischem Sinn,
Und grinst in seine Zähne:
»Du weinest verkehrt, o Menschenwicht,
Ich zeige dir wohl ein ander Licht
In dunkler Geisterstunde.
Die Armen dort wissen nicht, wer sie schlug;
Man lenkt sie heimlich mit weisem Trug,
Sie sind nicht mit im Bunde.
Bald ist vorüber der erste Schreck,
Dann magst du gebieten jedem Zweck,
Du wirst es dankbar spüren.«
So sprach der Zwerg, tat wohl bekannt
Und nahm vertraulich ihn bei der Hand,
Ihn in die Schlucht zu führen.
Hinunter geht es den Felsengrund,
Da liegt der feurige Höllenhund,
Der schleicht voll Grimm zur Seite.
Nach Stiegen und Gängen ohne Zahl,
Stehn sie im unterird'schen Saal,
Von unermeßner Weite.
Da sitzen der schweigenden Männer viel,
Die treiben ernsthaft ein seltsam Spiel,
Der Pilger sieht's mit Beben.
Und wie es dreimal ängstlich klopft,
Hätt' er wie gern die Ohren verstopft,
Er meint, es gilt sein Leben.
Die Männer winken, er soll sich nahn,
Er soll den Bruderkuß jetzt empfahn,
Dort oben sitzt der Meister.
Schon glaubt er, beginne der Weihe Fest,
Da hält ihn ein Totengerippe fest,
Zur Hölle sinken die Geister.
Dem Pilger wird es kalt wie Eis,
Er wischt sich von der Stirne den Schweiß,
Es schildern's keine Worte.
Er sinkt zu Boden in bitterm Gram;
Und wieder war, als er zu sich kam,
Er an dem vor'gen Orte.
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»O, weh mir,« sprach der Pilger zu sich,
»Wie weit noch von dem Lande bin ich,
Davon man doch geschrieben;
Wo Milch und Honig sich ergießt,
Der Wein von selbst in die Fässer fließt,
Sich alle herzlich lieben.«
Nun war es, als flösse rundum ein Meer,
Das wogte so hoch und wogte daher,
Und zog ihn mit im Kreise;
Da schwammen der Fischlein unzählig viel,
Die trieben sich, reckten die Köpfe zum Spiel,
So wie es der Fischlein Weise.
Wie frei er sich im Meer bewegt,
Die leichte Welle empor ihn trägt,
Er fühlt es mit Entzücken.
Da sieht er, wie hinter dem Kleinen drein,
Der Große schwimmt und schlingt ihn herein;
O was sind das für Tücken!
Daß einer stets den andern frißt,
Und des Verschlingens kein Ende ist,
Es dünkt ihn nicht geheuer.
Das Meer wird röter und endlich rot
Wie Blut, und schwimmt voll Leichen und Tod,
Es schnauben Ungeheuer.
Das Meer ist gleich, der Fisch ist frei,
Doch dieses Gefressenwerden dabei,
Es will ihm nicht behagen.
»Viel lieber dien' ich dem schlimmsten Herrn,«
So spricht er, »auf festem Lande gern,
Und will als Knecht mich plagen!«
Hat irgend ein Geist den Wunsch erhört?
Er ruht im warmen Tal und hört
In Blättern Lüfte wehen.
Es gibt ihm Trost der Ruhe Genuß,
Nur daß er die Kleider noch trocknen muß,
Dann will er weiter gehen.
Doch als er in die Höhe schaut,
Hätt' er den Augen kaum getraut,
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Es atmet alles Freude.
Am Hügel sieht er Zitronen blühn,
Es schimmert durch das heitre Grün
Das alte Prachtgebäude.
Wie sind die Marmorstufen so breit,
Die Säulen groß, die Gänge weit,
Es wehen Sommerlüfte.
Wohl mutig steigt der wandernde Gast
Hinan, und es betäuben ihn fast
Die vollen Blumendüfte.
Doch wie er sich müht und wie er steigt,
So hat er nie den Tempel erreicht,
Es wachsen stets die Treppen.
Es zieht ihn nieder, wie Blei so schwer,
Er freut sich nicht der Säulen mehr.
Was mag er nach sich schleppen?
Ist's etwa jenes steinerne Bild,
Zu dem er sich wendet und mit ihm schilt:
»Was gehst du mir zur Seite?«
Das Bild hat wohl nicht Redens Brauch,
Doch steht er still, so steht es auch,
Und geht er, geht's zur Seite.
Noch will er sich des Mannes befrein,
Da wird er gedrückt von andern zwein,
Die auf der Schulter ihm sitzen;
Und als er die zu Boden geschwenkt,
Sieht er vier kleine fest gehängt
An seines Kleides Spitzen.
Wie sich vermehrt der Bilder Zahl,
Je höher steigt auch seine Qual,
So ärger er umklettet.
Als würd' er selbst zu Stein und Erz,
So fühlt er angstbedrückt sein Herz
Sich innen festgekettet.
»Was sollen die steinernen Dinge, traun!
Viel besser wär' es den Acker baun
Und seiner selbst genießen.«
Des Steigens ist er endlich satt,
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Er fühlt sich recht von Herzen matt
Und kann sich nicht entschließen.
Jetzt aber erhebt sich ein kühlender Wind.
Es weht ihm um die Stirne lind,
Der Pilger soll erwachen.
Ein Traum nur war gewesen, und nichts
Die Gaukelei des Schattengesichts,
Zum Spott und Graun und Lachen.
Die Morgensonne begann den Lauf,
Da schlug er vollends die Augen auf,
Und furchte sich der Reise.
»Wie dort der Stier am Pfluge zieht;«
So sprach er: »der Pflüger singt sein Lied
Nach ländlich froher Weise.
Was sollt' ich weiter wandern und gehn,
Ich kann es alles am Orte ja sehn,
Und nehme Teil am Ganzen.
Ich habe es weit und breit gesucht,
Ich habe es wachend und schlafend versucht,
Nun ist es Zeit zum Pflanzen.
So wird man doch vernünftiger stets,
Nicht immer mit der Jugend geht's,
Das sind nur schöne Worte.
Wie hab' ich nicht gesorgt und gestrebt,
Wie manches nicht im Traum erlebt
Und kam doch nicht vom Orte.«
Es war um des Pilgers Mut geschehn;
Sonst hätt' er mögen nach Hause gehn,
Von wo er hergekommen.
Nun blieb er eben wo er war,
Und freut sich all' der Weisheit fürwahr,
Die er im Traum vernommen.

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Gedichte. Scherzgedichte. Der alte Pilger. Der alte Pilger. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D792-6