[1] Erstes Buch.
Ob denenjenigen Kindern, welche um die Zeit gebohren werden, da sich Sonnen- oder Mond-Finsternissen am Firmamente præsentiren, mit Recht besondere Fatalitäten zu prognosticiren seyn? Diese Frage will ich den gelehrten Natur-Kündigern zur Erörterung überlassen, und den Anfang meiner vorgenommenen Geschichts-Beschreibung damit machen: wenn ich dem Geneigten Leser als etwas merckliches vermelde: daß ich Eberhard Julius den 12. May 1706. eben in der Stunde das Licht dieser Welt erblickt, da die bekandte grosse Sonnen-Finsterniß ihren höchsten und fürchterlichsten grad erreicht hatte. Mein Vater, der ein wohlbemittelter Kauffmann war, und mit meiner Mutter noch kein völliges Jahr im Ehestande gelebt, mochte wegen gedoppelter Bestürtzung fast gantz ausser sich selbst gewesen seyn; Jedoch nachdem er bald darauf das Vergnügen [1] hat meine Mutter ziemlich frisch und munter zu sehen, mich aber als seinen erstgebohrnen jungen, gesunden Sohn zu küssen, hat er sich, wie mir erzehlet worden, vor Freuden kaum zu bergen gewust.
Ich trage Bedencken von denenjenigen tändeleyen viel Wesens zu machen, die zwischen meinen Eltern als jungen Eheleuten und mir als ihrer ersten Frucht der Liebe, in den ersten Kinder-Jahren vorgegangen. Genung! ich wurde von ihnen, wiewohl etwas zärtlich, jedoch christlich und ordentlich erzogen, weil sie mich aber von Jugend an dem studiren gewidmet, so muste es keines weges an gelehrten und sonst geschickten Lehr-Meistern ermangeln, deren getreue Unterweisung nebst meinen unermüdeten Fleisse so viel würckte, daß ich auf Einrathen vieler erfahrner Männer, die mich examinirt hatten, in meinem 17den Jahre nehmlich um Ostern 1723. auf die Universität Kiel nebst einem guten Anführer reisen konte. Ich legte mich auf die Jurisprudentz nicht so wohl aus meinem eigenen Antriebe, sondern auf Begehren meiner Mutter, welche eines vornehmen Rechts-Gelehrten Tochter war. Allein ein hartes Verhängnis ließ mich die Früchte ihres über meine guten Progressen geschöpfften Vergnügens nicht lange geniessen, indem ein Jahr hernach die schmertzliche Zeitung bey mir einlieff, daß meine getreue Mutter am 16. Apr. 1724. samt der Frucht in Kindes-Nöthen todes verblichen sey. Mein Vater verlangte mich zwar zu seinem Troste auf einige Wochen nach Hause, weiln, wie er schrieb, weder meine eintzige Schwester, noch andere Anverwandte seinen Schmertzen [2] einige Linderung verschaffen könten. Doch da ich zurücke schrieb: daß um diese Zeit alle Collegia aufs neue angiengen, weßwegen ich nicht allein sehr viel versäumen, sondern über dieses seine und meine Hertzens-Wunde ehe noch weiter aufreissen als heilen würde, erlaubte mir mein Vater, nebst übersendung eines Wechsels von 200. spec. Ducaten noch ein halbes Jahr in Kiel zu bleiben, nach Verfliessung dessen aber solte nach Hause kommen über Winters bey ihm zu verharren, so dann im Früh-Jahre das galante Leipzig zu besuchen, und meine studia daselbst zu absolviren.
Sein Wille war meine Richt-Schnur, dannenhero die noch übrige Zeit in Kiel nicht verabsäumete mich in meinen ergriffenen studio nach möglichkeit zu cultiviren, gegen Martini aber mit den herrlichsten Attestaten meiner Professoren versehen nach Hause reisete. Es war mir zwar eine hertzliche Freude, meinen werthen Vater und liebe Schwester nebst andern Anverwandten und guten Freunden in völligen Glücks-Stande anzutreffen; allein der Verlust der Mutter that derselben ungemeinen Einhalt. Kurtz zu sagen: es war kein einziges divertissement, so mir von meinem Vater, so wohl auch andern Freunden gemacht wurde, vermögend, das einwurtzelende melancholische Wesen aus meinem Gehirne zu vertreiben. Derowegen nahm die Zuflucht zu den Büchern und suchte darinnen mein verlohrnes Vergnügen, welches sich denn nicht selten in selbigen finden ließ.
Mein Vater bezeigte theils Leid, theils Freude über meine douce Aufführung, resolvirte sich aber [3] bald, nach meinen Verlangen mich ohne Aufseher, oder wie es zuweilen heissen muß, Hofmeister, mit 300. fl. und einem Wechsel-Briefe auf 1000. Thl. nach Leipzig zu schaffen, allwo ich den 4. Mart. 1725. glücklich ankam.
Wer die Beschaffenheit dieses in der gantzen Welt berühmten Orts nur einigermassen weiß, wird leichtlich glauben: daß ein junger Pursche, mit so vielem baaren Gelde versehen, daselbst allerhand Arten von vergnügten Zeit-Vertreibe zu suchen Gelegenheit findet. Jedennoch war mein Gemüthe mit beständiger Schwermüthigkeit angefüllet, ausser wenn ich meineCollegia frequentirte und in meinem Museo mit den Todten conversirte.
Ein Lands-Mann von mir, Mons. H. – – – genannt merckte mein malheur bald, weil er ein Mediciner war, der seine Hand allbereit mit gröster raison nach dem Doctor-Hute ausstreckte. Derowegen sagte er einmahls sehr vertraulich: Lieber Herr Lands-Mann, ich weiß gantz gewiß, daß sie nicht die geringste Ursach haben, sich in der Welt über etwas zu chagriniren, ausgenommen den Verlust ihrer seel. Frau Mutter. Als ein vernünfftiger Mensch aber können sie sich dieserwegen so hefftig und langwierig nicht betrüben, erstlich: weil sie deren Seeligkeit vollkommen versichert sind, vors andere: da sie annoch einen solchen Vater haben, von dem sie alles erwarten können, was von ihm und der Mutter zugleich zu hoffen gewesen. Anderer motiven voritzo zu geschweigen. Ich setze aber meinen Kopff zum Pfande, daß ihr niedergeschlagenes Wesen vielmehr von einer übeln Disposition [4] des Geblüts herrühret, weßwegen ihnen aus guten Hertzen den Gebrauch einiger Artzeneyen, hiernächst die Abzapffung etlicher Untzen Geblüts recommendirt haben will. Was gilts? rieff er aus, wir wollen in 14. Tagen aus einem andern Thone mit einander schwatzen.
Dieser gegebene Rath schien mir nicht unvernünfftig zu seyn, derowegen leistete demselben behörige Folge, und fand mich in wenig Tagen weit aufgeräumter und leichtsinniger als sonsten, welches meinen guten Freunden höchst angenehm, und mir selbst am gefälligsten war. Ich wohnete ein- und anderm Schmause bey, richtete selbst einen aus, spatzirte mit auf die Dörffer, kurtz! ich machte alles mit, was honette Pursche ohne prostitution vorzunehmen pflegen. Jedoch kan nicht läugnen, daß dergleichen Vergnüglichkeiten zum öfftern von einem bangen Hertz-Klopffen unterbrochen wurden. Die Ursach dessen solte zwar noch immer einer Vollblütigkeit zugeschrieben werden, allein mein Hertz wolte mich fast im voraus versichern, daß mir ein besonderes Unglück bevorstünde, welches sich auch nach verfluß weniger Tage, und zwar in den ersten Tagen der Meß- Woche, in folgenden Briefe, den ich von meinem Vater empfing, offenbarete:
Mein Sohn,
Erschrecket nicht! sondern ertraget vielmehr mein uñ euer unglückliches Schicksal mit großmüthiger Gelassenheit, da ihr in diesen Zeilen von mir selbst, leider! versichert werdet: daß das falsche Glück mit dreyen[5] fatalen Streichen auf einmal meine Reputation und Wohl-Stand, ja mein alles zu Boden geschlagen. Fraget ihr, wie: und auf was Art: so wisset, daß meinCompagnon einen Banquerott auf 2. Tonnen Goldes gemacht, daß auf meine eigene Kosten ausgerüstete Ost Indische Schiff bey der Retour von den See-Räubern geplündert, und letztlich zu completirung meines Ruins der Verfall der Actien mich allein um 50000. Thl. spec. bringet. Ein mehreres will hiervon nicht schreiben, weil mir im schreiben die Hände erstarren wollen. Lasset euch innliegenden Wechsel-Brief â 2000. Frfl. in Leipzig von Hrn. H. gleich nach Empfang dieses bezahlen Eure Schwester habe mit eben so viel, und ihren besten Sachen, nach Stockholm zu ihrer Baase geschickt, ich aber gehe mit einem wenigen von hier ab, um in Ost- oder West Indien, entweder mein verlohrnes Glück, oder den todt zu finden. In Hamburg bey Hrn W. habt ihr vielleicht mit der Zeit Briefe von meinem Zustande zu finden. Lebet wohl, und bedauert das unglückliche Verhängnis eures treugesinnten Vaters, dessen Redlichkeit aber allzustarcker hazard und Leichtglaubigkeit ihm und seinen frommen Kindern dieses malheur zugezogen. Doch in Hofnung, GOTT werde sich eurer und meiner nicht gäntzlich entziehen, verharre
D.d. 5. Apr. 1725.
Euer
biß ins Grab getreuer Vater
Frantz Martin Julius.
[6] Ich fiel nach Lesung dieses Briefes, als ein vom Blitz gerührter, rückwarts auf mein Bette, und habe länger als 2. Stunden ohne Empfindung gelegen. Selbigen gantzen Tag, und die darauf folgende Nacht, wurde in gröster desperation zugebracht, ohne das geringste von Speise oder Geträncke zu mir zu nehmen, da aber der Tag anbrach, beruhigte sich das ungestüme Meer meiner Gedancken einigermassen. Ich betete mein Morgen-Gebet mit hertzlicher Andacht, sung nach einem Morgen-Liede auch dieses: GOTT der wirds wohl machen etc. schlug hernach die Bibel auf, in welcher mir so gleich der 127. Psalm Davids in die Augen fiel, welcher mich ungemein rührete. Nachdem ich nun meine andächtigen, ungeheuchelten Penseen darüber gehabt, schlug ich die Bibel nochmals auf, und traf ohnverhofft die Worte Prov. 10. der Seegen des HERRN macht reich ohne Mühe etc.
Hierbey traten mir die Thränen in die Augen, mein Mund aber brach in folgende Worte aus: Mein GOTT, ich verlange ja eben nicht reich an zeitlichen Gütern zu seyn, ich gräme mich auch nicht mehr um die verlohrnen, setze mich aber, wo es dir gefällig ist, nur in einen solchen Stand, worinnen ich deine Ehre befördern, meinen Nächsten nützen, mein Gewissen rein erhalten, reputirlich leben, und seelig sterben kan.
Gleich denselben Augenblick kam mir in die Gedancken umzusatteln, und an statt der Jurisprudentz die Theologie zu erwehlen, weßwegen ich meine Gelder eincassiren, zwey theile davon auf [7] Zinsen legen, und mich mit dem übrigen auf die WittenbergischeUniversität begeben wolte. Allein der plötzliche Uberfall eines hitzigen Fiebers, verhinderte mein eilfertiges Vornehmen, denn da ich kaum Zeit gehabt, meinen Wechsel bey Hrn. H. in Empfang zu nehmen, und meine Sachen etwas in Ordnung zu bringen, so sahe mich gezwungen das Bette zu suchen, und einen berühmten Medicum wie auch eine Wart-Frau holen zu lassen. Meine Lands-Leute so etwas im Vermögen hatten, bekümmerten sich, nachdem sie den Zufall meines Vaters vernommen, nicht das geringste um mich, ein armer ehrlicher Studiosus aber, so ebenfalls mein Lands-Mann war, blieb fast Tag und Nacht bey mir, und muß ich ihm zum Ruhme nachsagen, daß ich, in seinen mir damahls geleisteten Diensten mehr Liebe und Treue, als Interesse gespüret. Mein Wunsch ist: ihn dermahleins auszuforschen, und Gelegenheit zu finden, meine Erkänntlichkeit zu zeigen.
Meine Kranckheit daurete inzwischen zu damahligen grossen Verdrusse, und doch noch grössern Glücke, biß in die dritte Woche, worauf ich die freye Lufft wiederum zu vertragen gewohnete, und derowegen mit meinem redlichen Lands-Manne täglich ein paar mahl in das angenehme Rosenthal, doch aber bald wieder nach Hause spatzirete, anbey im Essen und Trincken solche Ordnung hielt, als zu völliger wieder herstellung meiner Gesundheit, vor rathsam hielt. Deñ ich war nicht gesiñet als ein halber oder gantzer Patient nach Wittenberg zu ko en.
Der Himmel aber hatte beschlossen: daß so wohl aus meinen geistl. studiren, als aus der nach [8] Wittenberg vorgenommenen Reise nichts werden solte. Denn als ich etliche Tage nach meinen gehaltenen Kirch-Gange und erster Ausflucht mein Morgen-Gebeth annoch verrichtete; klopffte der Brieff-Träger von der Post an meine Thür, und nach Eröffnung derselben, wurde mir von ihm ein Brieff eingehändiget, welchen ich mit zitterenden Händen erbrach, und also gesetzt befand:
D.d. 21. May 1725.
Monsieur,
Ihnen werden diese Zeilen, so von einer ihrer Familie gantz unbekannten Hand geschrieben sind, ohnfehlbar viele Verwunderung verursachen. Allein als ein Studirender, werden sie vielleicht besser, als andere Ungelehrte, zu begreiffen wissen, wie unbegreifflich zuweilen der Himmel das Schicksal der sterblichen Menschen disponiret. Ich Endes unterschriebener, bin zwar ein Teutscher von Geburth, stehe aber vor itzo als Schiffs-Capitain in Holländischen Diensten, und bin vor wenig Tagen allhier in ihrer Geburths-Stadt angelanget, in Meinung, dero Herrn Vater anzutreffen, dem ich eine der allerprofitablesten Zeitungen von der Welt persönlich überbringen wolte; Allein ich habe zu meinem allergrösten Miß-Vergnügen nicht allein sein gehabtes Unglück, sondern über dieses noch vernehmen müssen: daß er allbereit vor Monats-Frist zu Schiffe nach West-Indien gegangen. Diesem aber ohngeachtet, verbindet mich ein geleisteter cörperlicher Eyd: Ihnen, Mons. Eberhard Julius, als dessen [9] eintzigen Sohne, ein solches Geheimniß anzuvertrauen, krafft dessen sie nicht allein ihres Herrn Vaters erlittenen Schaden mehr als gedoppelt ersetzen, und vielleicht sich und ihre Nachkommen, biß auf späte Jahre hinaus, glücklich machen können.
Ich versichere noch einmahl, Monsieur, daß ich mir ihre allerley Gedancken bey dieser Affaire mehr als zu wohl vorstelle, allein ich bitte sie inständig, alle Hindernisse aus dem Wege zu räumen, und sich in möglichster Geschwindigkeit auf die Reise nach Amsterdam zu machen, damit sie längstens gegen St.Johannis-Tag daselbst eintreffen. Der 27. Jun., wo GOtt will, ist zu meiner Abfahrt nach Ost-Indien angesetzt. Finden sie mich aber nicht mehr, so haben sie eine versiegelte Schrifft, von meiner Hand gestellt, bey dem Banquier, Herrn G.v.B. abzufordern, wornach sie Ihre Messures nehmen können. Doch ich befürchte, daß ihre importanten Affairen weitläufftiger werden, und wohl gar nicht glücklich lauffen möchten, woferne sie verabsäumeten, mich in Amsterdam auf dem Ost-Indischen Hause, allwo ich täglich anzutreffen und bekannt genug bin, persönlich zu sprechen. Schließlich will ihnen die Beschleunigung ihrer Reise zu ihrer zeitlichen Glückseeligkeit nochmahls freundlich recommendiren, sie der guten Hand Gottes empfehlen, und beharren
Monsieur
Leonhard Wolffgang.
[10] P.S.
Damit Monsieur Julius in meine Citation kein Mißtrauen zu setzen Ursach habe, folget hierbey ein Wechselbrief a 150. spec. Ducaten an Herrn S. in Leipzig gestellet, welche zu Reise-Kosten aufzunehmen sind.
Es wird vielleicht wenig Mühe kosten, jemanden zu überreden, daß ich nach Durchlesung dieses Briefes eine gute Zeit nicht anders als ein Träumender auf meinem Stuhle sitzen geblieben. Ja! es ist zu versichern, daß diese neue und vor mich so profitable Zeitung fast eben dergleichen Zerrüttung in meinem Gemüthe stifftete: als die vorige von dem Unglücke meines Vaters. Doch konte mich hierbey etwas eher fassen, und mit meinem Verstande ordentlicher zu Rathe gehen, derwegen der Schluß in wenig Stunden dahinaus fiel: mit ehester Post die Reise nach Amsterdam anzutreten. Hierbey fiel mir so gleich der tröstliche Vers ein: Es sind ja GOtt sehr schlechte Sachen, etc. welcher mich anreitzete, GOtt hertzlich anzuflehen, daß er meine Jugend in dieser bedencklichen Sache doch ja vor des Satans und der bösen Welt gefährlichen Stricken, List und Tücken gnädiglich bewahren, und lieber in gröstes Armuth, als Gefahr der Seelen gerathen lassen wolle.
Nachdem ich mich solchergestalt mit GOtt und meinem Gewissen wohl berathen, blieb es bey dem gefassten Schlusse, nach Amsterdam zu reisen. Fing derowegen an, alles aufs eiligste darzu zu veranstalten. Bey Herrn S. ließ ich mir die 150. Duc. spec. noch selbigen Tages zahlen, packte meine Sachen [11] ein, bezahlete alle diejenigen, so mir Dienste geleistet hatten, nach meinen wenigen Vermögen reichlich, verdung mich mit meiner Equippage auf die Casselische oder Holländische Post, und fuhr in GOttes Nahmen, mit besondern Gemüths-Vergnügen von Leipzig ab.
Auf dieser Reise begegnete mir nichts ausserordentliches, ausser dem daß ich mich resolvirte, theils Mattigkeit, theils Neugierigkeit wegen, die berühmten Seltenheiten in und bey der Land-Gräfl. Hessen-Casselischen Residentz-Stadt Cassel zu betrachten, einen Post-Tag zu verpassen. Nachdem ich aber ziemlich ausgeruhet, und das magnifique Wesen zu admiriren vielfältige Gelegenheit gehabt, verfolgte ich meine vorhabende Reise, und gelangete, noch vor dem mir angesetzten Termine, glücklich in Amsterdam an.
Mein Logis nahm ich auf recommendation desCoffre-Trägers in der Wermuths-Strasse im Wapen von Ober-Yssel, und fand daselbst vor einen ermüdeten Passagier sehr gute Gelegenheit. Dem ohngeacht vergönnete mir das hefftige Verlangen, den Capitain Wolffgang zu sehen, und ausführlich mit ihm zu sprechen, kaum 7. Stunden Zeit zum Schlaffe, weil es an sich selbst kräfftig genug war, alle Mattigkeit aus meinen Gliedern zu vertreiben. Folgendes Tages ließ ich mich von müssigen Purschen vor ein gutes Trinc k-Geld in ein und anderes Schenck-Hauß, wohin gemeiniglich See-Fahrer zu kommen pflegten, begleiten. Ich machte mich mit guter manier bald an diesen und jenen, um einen Vorbericht von des Capitain Wolffgangs [12] Person und gantzen Wesen einzuziehen, doch meine Mühe war überall vergebens. Wir hatten binnen 3. oder 4. Stunden mehr als 12. biß 16. Theé-, Coffeé-, Wein- und Brandteweins-Häuser durchstrichen, mehr als 50. See-Fahrer angeredet, und doch niemand angetroffen, der erwehnten Capitain kennen wolte.
Mein Begleiter fing schon an zu taumeln, weil er von dem Weine, den ich ihm an verschiedenen Orten geben ließ, ziemlich betruncken war, weßwegen vors dienlichste hielt, mit demselben den Rückweg nach meinem Quartiere zu suchen. Er ließ sich solches gefallen, kaum aber waren wir 100. Schritte zurück gegangen, als uns ein alter Boots-Knecht begegnete, welchem er zurieff: Wohlauf, Bruder! Kanst du Nachricht geben von dem Capitain Wolffgang? Hier ist ein Trinck-Geld zu verdienen. Well Bruder, antwortete der Boots-Knecht, was soll Capitain Wolffgang? soll ich nicht kennen? soll ich nicht wissen, wo er logirt? habe ich nicht 2. Fahrten mit ihm gethan? habe ich nicht noch vor 3. Tagen 2. fl. von ihm geschenckt bekommen? Guter Freund! fiel ich ihm in die Rede, ists wahr, daß ihr den Capitain Leonhard Wolffgang kennet, so gebet mir weitere Nachricht, ich will – – –Mar Dübel, replicirte der Grobian, meynet ihr, daß ich euch belügen will? so gehet zum Teuffel, und sucht ihn selber. Diese mit einer verzweiffelt-boßhafftigen und scheelen Mine begleiteten Worte waren kaum ausgesprochen, als er sich gantz negligent von uns abwandte, und in einen Wein-Keller verfügte. Mein Begleiter rieth mir nachzugehen, ihm [13] gute Worte und etliche Stüver an Gelde zu geben, auch etwa ein Glaß Wein zuzutrincken, mit der Versicherung: er würde mir sodann schon aufs neue und viel höfflicher zur Rede stehen. Indem mir nun ein so gar vieles daran gelegen war, überwand ich meinen innerlichen Verdruß, den ich über die grausame Grobheit dieses Menschen geschöpfft hatte, und gehorchte meinem halb betrunckenen Rathgeber.
Paul, so hieß der grobe Boots-Knecht, hatte kaum einen halben Gulden, nebst einer tüchtigen Kanne Wein und die erste Sylbe von einem guten Worte bekommen, als er so gleich der allerhöflichste Klotz von der gantzen Welt zu werden schien. Er küssete meine Hand mit aller Gewalt wohl 50. mahl, hatte wider die Gewohnheit dieser Leute seine Mütze stets in Händen, und wolte, alles meines Bittens ohngeacht, sein Haupt in meiner Gegenwart durchaus nicht bedecken. Mein Begleiter tranck ihm auf meine Gesundheit fleißig zu, Paul that noch fleissiger Bescheid, erzehlete mir aber dabey alles Haarklein, was er von des Capitain Wolffgangs Person, Leben und Wandel in dem innersten seines Hertzens wuste, und diese Erzehlung dauerte über zwey Stunden, worauf er sich erboth, mich so fort in des Capitains Logis zu führen, welches nahe an der Börse gelegen sey.
Allein, ich ließ mich verlauten, daß ich meine Visite bey demselben noch etliche Tage aufschieben, und vorhero erstlich von der Reise recht ausruhen wolte. Hierauf bezahlte noch 6. Kannen Wein, den die beyden nassen Brüder getruncken hatten, verehrete [14] dem treuhertzigen Paul noch einen Gulden, und begab mich allein wieder auf den Weg nach meinem Quartiere, weil mein allzu starck besoffener Wegweiser gar nicht von der Stelle zu bringen war.
Ich ließ mir von dem Wirthe die Mahlzeit auf meiner Cammer vor mich alleine zubereiten, und wiederholte dabey in Gedancken alles, was mir Paul von dem Capitain Wolffgang erzehlet hatte. Hauptsächlich hatte ich angemerckt, daß derselbe ein vortrefflich kluger und tapfferer See-Mann, anbey zuweilen zwar sehr hitzig, doch aber bald wieder gelassen, gütich und freygebig sey, wie er denn zum öffern nicht allein seine Freunde und Boots-Knechte, sondern auch andere gantz frembde mit seinen grösten Schaden und Einbusse aus der Noth gerissen. Dem ohngeacht hätten seine Untergebenen vor wenig Jahren unter Wegs wider diesen ehrlichen Mann rebellirt, demselben bey nächtlicher Weile Hände und Füsse gebunden, und ihn bey einem wüsten Felsen ausgesetzt zurück gelassen. Doch hätte vor einigen Monathen das Glücke den Capitain wieder gesund zurück geführet, und zwar mit vielem Geld und Gütern versehen, auf was vor Art er selbiges aber erworben, wuste Paul nicht zu sagen. Im übrigen sey er ein Mann von mittler Statur, wohl gebildet und gewachsen, Teutscher Nation, etwas über 40. Jahr alt, und Lutherischer Religion.
Wie ich nun mit allem Fleiß dahin gestrebet, bevor ich mich dem Capitain zu erkennen gäbe, erstlich bey frembden Leuten sichere Kundschafft wegen seines Zustandes, Wesens, Gemüths- und Lebens-Art einzuziehen, so konte mir diese Nachricht als [15] ein Confortativ meines ohne dem starcken Vertrauens nicht anders als höchst angenehm seyn. Die Speisen und Buteille Wein schmeckten mir unter diesen Gedancken vortrefflich wohl, ich machte meinem auf der Post ziemlich zerschüttelten Cörper nach der Mahlzeit dennoch eine kleine Motion, hielt aber darauf ein paar Stunden Mittags-Ruhe.
Gegen Abend ließ ich mich von meinem vorigen Begleiter, der seinen Rausch doch auch schon ausgeschlaffen hatte, abermahls ausführen, und zwar in ein berühmtes reputirliches Coffeé-Hauß, wo sich unzählige Personen auf verschiedene Arten divertirten. Ich meines Orts sahe mich nach Niemanden anders als See-Officianten um, war auch so glücklich, einen Tisch anzutreffen, welcher mit 6. Personen von dergleichen Schlage besetzt, unten aber noch Platz genung vor mich vorhanden war.
Ich nahm mir die Freyheit, mich nach gemachten höflichen Compliment mit meinem Coffeé-Potgen zu ihnen zu setzen. Ihre gewöhnliche Freyheit verleitete sie gar bald, mich, wiewohl in gantz leutseeligen terminis, zu fragen: wer, und woher ich wäre? was meine Verrichtungen allhier? Ob ich mich lange in Amsterdam aufzuhalten gedächte? wie es mir allhier gefiele? u.d. gl. Ich beantwortete alle ihre Fragen nach meinem Gutachten, und zwar mit sittsamer Bescheidenheit, keines wegs aber mit einer Sclavischen Submission. Hiernächst drehten sie das Gespräch auf die Beschaffenheit verschiedener Etaaten und Oerter in Teutschland, da ich ihnen denn auf Befragen, nach meinem besten Wissen, hinlängliche Satisfaction gab. Auch fielen sie auf die [16] unterschiedlichen Universitäten und Studenten, worbey ihnen ebenfalls zu sattsamer Nachricht nichts schuldig blieb. Weßwegen der Vornehmste unter ihnen zu mir sprach: Monsieur, ich bekenne, daß ihr mir älter am Verstande als an Jahren vorkommt. Bey GOtt, ich halte viel von dergleichen jungen Leuten.
Ich mochte über diesen unverhofften Spruch etwas roth werden, machte aber ein höflich Compliment, und antwortete: Mein Herr! Sie belieben allzu vortheilhafftig von ihrem Diener zu sprechen, ich kan freylich nicht läugnen: daß ich erstlich vor wenig Wochen in mein 20stes Jahr getreten bin, und ohngeacht mich fast von meiner Kindheit an eiffrig auf die studia gelegt, so weiß ich doch gar zu wohl, daß mir noch allzuviel an Conduite und Wissenschafften mangelt, welches ich aber mit der Zeit durch emsigen Fleiß und den Umgang mit geschickten Leuten zu verbessern trachten werde.
Wo ihr Mittel habt, setzte ein anderer hinzu, wäre es Schade um euch: wenn ihr nicht wenigstens noch 2. oder 3. Jahr auf Universitäten zubrächtet, nach diesen Gelegenheit suchtet, die vornehmsten Länder von Europa durchzureisen. Denn eben durch das Reisen erlernet man die Kunst, seine erlangte Wissenschafften hier und dar glücklich anzubringen. Eben dieses, versetzte ich, ist mein propos, und ob gleich meine eigenen Mittel dabey nicht zulänglich seyn möchten, so habe doch das feste Vertrauen zu GOtt, daß er etwan hier oder dar gute Gönner erwecken werde, die mir mit gutem Rath und That, um meinen Zweck zu erreichen, an die [17] Hand gehen können. Ihr meritirt es sehr wohl, replicirte der erstere, und ich glaube, es wird euch hinführo selten daran mangeln. Hiermit wurde der Discours durch ein auf der Strasse entstandenes Lermen unterbrochen, welches sich jedoch bald wiederum stillete, die Herrn See-Officiers aber blieben eine kleine Weile gantz stille sitzen. Ich tranck meinen Coffeé auch in der Stille, und rauchte eine PfeiffeCanaster-Toback, da aber merckte, daß einer von ihnen mich öffters sehr freundlich ansahe, nahm mir die Kühnheit, ihn zu fragen: Ob sich nicht allhier in Amsterdam ein gewisser Schiffs-Capitain, NahmensLeonhard Wolffgang, aufhielte? Mir ist (antwortete er) dieser Nahme nicht bekandt. Wie? (fiel ihm derjenige, welchen ich vor den vornehmsten hielt, in die Rede) soltet ihr den berühmten Capitain Wolffgang nicht kennen? welches jener so wohl als die andern mit einem Kopff-Schütteln verneineten. Monsieur, (redete er zu mir) ist Wolffgang etwan euer Befreundter oder Bekandter? Mein Herr, (versetzte ich) keins von beyden, sondern ich habe nur unterweges auf der Post mit einem Passagier gesprochen, der sich vor einen Vetter von ihm ausgab, und darbey sehr viel merckwürdiges von seinen Avanturen erzehlete.
Messieurs, (fuhr also der ansehnliche See-Mann in seiner Rede fort) ich kan euch versichern, daß selbiger Capitain ein perfecter See-Officier, u. dabey recht starcker Avanturier ist, welcher aber doch sehr wenig Wesens von sich macht, und gar selten etwas von seinen eigenen Begebenheiten erzehlet, es sey denn, daß er bey ausserordentlich guter Laune anzutreffen. [18] Er ist ein special Freund von mir, ich kan mich aber deßwegen doch nicht rühmen, viel von seinen Geheimnissen ausgeforscht zu haben. Bey was vor Gelegenheit er zu seinem grossen Vermögen gekommen? kan ich nicht sagen, denn ich habe ihn vor etliche 20. Jahren, da er auf dem Schiffe, der Holländische Löwe genandt, annoch die Feder führete, als einen pauvre diable gekennet, nach diesen hat er den Degen ergriffen, und sich durch seine bravoure zu dem Posten eines Capitains geschwungen. Seine Conduite ist dermassen angenehm, daß sich jederman mit ihm in Gesellschafft zu seyn wünschet. Vor kurtzen hat er sich ein vortrefflich neues Schiff, unter dem Nahmen, der getreueParis, ausgerüstet, mit welchen er eine neue Tour auf die Barbarischen Küsten und Ost-Indien zu thun gesonnen, und wie ich glaube, in wenig Tagen abseegeln wird. Hat einer oder der andere Lust, ihn vor seiner Abfahrt kennen zu lernen, der stelle sich morgenden Vormittag auf dem Ost-Indischen Hause ein, allwo ich nothwendiger Affairen halber mit ihm zu sprechen habe, und Abrede nehmen werde, an welchem Orte wir uns Nachmittags divertiren können. Hiermit stund der ansehnliche Herr von seiner Stelle auf, um in sein Logis zu gehen, die andern folgten ihm, ich aber blieb, nachdem ich von ihnen höflichen Abschied genommen, noch eine Stunde sitzen, hatte meine eigenen vergnügten Gedancken über das angehörte Gespräch, und ging hernachmahls mit meinem abermahls ziemlich berauschten Begleiter zurück in mein Logis, allwo mich so gleich niederlegte, und viel sanffter, als sonst gewöhnlich, ruhete.
[19] Folgenden Morgen begab mich in reinlicherer Kleidung in die neue Lutherische Kirche, und nach verrichteter Andacht spatzirte auf das Ost-Indische Hauß zu, da nun im Begriff war, die Kostbarkeiten desselben gantz erstaunend zu betrachten; hörete ich seitwerts an einem etwas erhabenen Orte die Stimme des gestern mir so ansehnlich gewesenen See-Officiers zu einem andern folgendes reden: Mon Frere! sehet dort einen wohl conduisirten jungen Teutschen stehen, welcher nur vor wenig Tagen mit der Post von Leipzig gekommen, und gestrigen Abend in meiner Compagnie nach euch gefragt hat, weil er unterwegs einen eurer Vettern gesprochen: Es wurde gleich hierauf etliche mahl gepistet, so bald nun vermerckte, daß es mich anginge, machte ich gegen die 2. neben einander stehende Herren meinen Reverence, Sie danckten mir sehr höflich, beuhrlaubten sich aber so gleich von einander. Der Unbekandte kam augenblicklich auf mich zu, machte mir ein sehr freundlich Compliment, und sagte: Monsieur, wo ich mich nicht irre, werden sie vielleicht den Capitain Wolffgang suchen? Mon Patron, (antwortete ich) ich weiß nicht anders, und bin dieserhalb von Leipzig nach Amsterdam gereiset. Um Vergebung, (fragte er weiter) wie ist ihr Nahme? (Meine Antwort war) Ich heisse Eberhard Julius. Den Augenblick fiel er mir um den Halß, küssete mich auf die Stirn, und sagte: Mein Sohn, an mir findet ihr denjenigen, so ihr sucht, nemlich den Capitain Leonhard Wolffgang. GOtt sey gelobet, der meinen Brieff und eure Person die rechten Wege geführet hat, doch habt die Güte, eine kleine Stunde hier zu [20] verziehen, biß ich, nachdem ich meine wichtigen Geschäffte besorgt, wieder anhero komme, und euch abruffe. Ich versprach seinem Befehl zu gehorsamen, er aber ging eilends fort, und kam, ehe noch eine Stunde verstrichen, wieder zurück, nahm mich bey der Hand, und sagte: So ko et denn, mein Sohn, und folget mir in mein Logis, allwo ich euch ein solches Geheimniß entdecken werde, welches, je unglaublicher es anfänglich scheinen, desto kostbarer vor euch seyn wird. Die verschiedenen Gemüths-Bewegungen, so bey dieser Zusammenkunfft in mir gantz wunderlich durch einander gingen, hatten meinen Kopff dermassen verwirret, daß fast nicht mehr wuste, was ich antworten, oder wie mich stellen wolte, doch unterwegens, da der Capitain bald mit diesen, bald mit jenen Personen etwas zu schaffen hatte, bekam ich Zeit, mich etwas wieder in Ordnung zu bringen. So bald wir demnach in seinem Logis eingetreten waren, umarmete er mich aufs neue, und sagte: Seyd mir vielmahls willkommen, allerwerthester Freund, und nehmet nicht ungütig, wenn ich euch hinführo, Mein Sohn, nenne, weiln die Zeit lehren soll, daß ich als ein Vater handeln, und euch an einen solchen Ort führen werde, wo ihr den Grund-Stein zu eurer zeitlichen Glückseeligkeit finden könnet, welche, wie ich glaube, durch das Unglück eures Vaters auf schwachen Fuß gesetzt worden. Jedoch, weil ich nicht gesonnen bin, vor eingenommener Mittags-Mahlzeit von unsern importantenAffairen ausführlich mit euch zu sprechen, so werdet ihr euch belieben lassen, selbe bey mir einzunehmen, inzwischen aber, biß die Speisen zubereitet [21] sind, mir eine kurtze Erzehlung von eurem Geschlechte und eigner Auferziehung thun. Ich wegerte mich im geringsten nicht, seinem Verlangen ein Genügen zu leisten, und fassete zwar alles in möglichste Kürtze, brachte aber dennoch länger als eine Stunde darmit zu, war auch eben fertig, da die Speisen aufgetragen wurden.
Nachdem wir beyderseits gesättiget, und aufgestanden waren, befahl der Capitain, Toback und Pfeiffen her zu geben, auch Coffeé zurechte zu machen, er aber langete aus seinem Contoir einen dreymahl versiegelten Brieff, und überreichte mir selben ohne einiges Wortsprechen. Ich sahe nach der Uberschrifft, und fand dieselbe zu meiner grösten Verwunderung also gesetzt:
Dieser im Nahmen der heiligen Dreyfaltigkeit versiegelte Brieff soll von niemand anders gebrochen werden, als einem, der den Geschlechts- Nahmen Julius führet, von dem ao. 1633 unschuldig enthaupteten Stephano Julius NB. erweißlich abstammet, und aus keuschem Ehe- Bette gezeuget worden.
NB.
Der Fluch sehr alter Leute, die da GOtt fürchten, thut gottlosen und betrügerischen Leuten Schaden.
Dergleichen Titul und Uberschrifft eines Briefes war Zeit meines Lebens nicht vor meine Augen kommen, doch weil ich ein gut gewissen hatte, konte mich gar bald in den Handel schicken. Der Capitain Wolffgang sahe mich starr an, ich aber machte eine freudige Mine, und sagte: Mon Pere, es fehlet [22] nichts als Dero gütige Erlaubniß, sonsten hätte ich die Macht und Freyheit, diesen Brieff zu erbrechen. Erbrechet denselben, antwortete er, im Nahmen der heil. Dreyfaltigkeit. Weiln er, versetzte ich, im Nahmen der heil. Dreyfaltigkeit geschrieben und versiegelt worden, und mein Gewissen von allen Betrügereyen rein ist, so will ich, doch nicht anders, als auf Dero Befehl, denselben auch im Nahmen der heil. Dreyfaltigkeit erbrechen. Mit Aussprechung dieser Worte lösete ich die Siegel, und fand den Innhalt also gesetzt:
Mein Enckel.
Anders kan und will ich euch nicht nennen, und wenn ihr gleich der mächtigste Fürst in Europa wäret, deñ es fragte sich, ob mein glückseliger Character dem eurigen nicht vorzuziehen sey, indem ich ein solcherSouverain bin, dessen Unterthanen so viel Liebe als Furcht, und so viel Furcht als Liebe hegen, über dieses an baaren Gelde und Jubelen einen solchen Schatz aufzuweisen habe, als ein grosser Fürst seinenEtaat zu formiren von nöthen hat. Doch was nützet mir das Prahlen, ich lebe vergnügt, und will vergnügt sterben, wenn nur erst das Glück erlebt, einen von denenjenigen, welche meinen Geschlechts-Nahmen führen, gesehen zu haben. Machet euch auf, und kommet zu mir, ihr möget arm oder reich, krum oder lahm, alt oder jung seyn, es gilt mir gleich viel, nur einen Julius von Geschlechte, der Gottesfürchtig und ohne Betrug ist, verlange ich zu umarmen, und ihm den grösten Theil der mir und den [23] Meinigen unnützlichen Schätze zuzuwenden. Dem Herrn Leonhard Wolffgang könnet ihr sicher trauen, weil er seine lincke Hand auf meine alte Brust gelegt, die rechte aber gegen GOtt dem Allmächtigen in die Höhe gereckt, und mir also einen cörperlichen Eyd geschworen, die jenigen Forderungen, so ich an ihn gethan, nach Möglichkeit zu erfüllen. Er wird alles, was ich an euch zu schreiben Bedencken trage, besser mündlich ausrichten, und eine ziemliche Beschreibung von meinem Zustande machen. Folget ihm in allen, was er euch befiehlet, seyd gesund, und kommet mit ihm bald zu mir. Dat. Felsenburg, den 29. Sept. Anno Christi 1724. Meiner Regierung im 78. und meines Alters im 97. Jahre.
(L.S.)
Albertus Julius.
Ich überlaß den Brieff wohl 5. biß 6. mahl, konte mir aber dennoch in meinen Gedancken keinen völligen und richtigen Begriff von der gantzen Sache machen, welches der Capitain Wolffgang leichtlich merckte, und derowegen zu mir sprach: Mein Sohn! alles euer Nachsinnen wird vergebens seyn, ehe ihr die auflösung dieses Rätzels von mir, in Erzählung der wunderbaren Geschicht eures Vettern, Albert Julius, vernehmet, setzet euch demnach nieder und höret mir zu.
Hiermit fing er an, eine, meines Erachtens, der wunderbarsten Begebenheiten von der Welt zu erzehlen, die ich dem geneigten Leser, als die Haupt-Sache[24] dieses Buchs am gehörigen Orthe ordentlicher und vollständiger vorlegen werde. Voritzo aber will nur melden, daß da der Capitain über zwey Stunden damit zugebracht, und mich in erstaunendes Vergnügen gesetzt hatte; ich mich auf eine recht sonderlich verpflichtete Art gegen ihn bedanckte, in allen Stücken seiner gütigen Vorsorge empfahl, anbey allen kindlichen und schuldigen Gehorsam zu leisten versprach.
Nachdem aber fest gestellet war, mit ihm zu Schiffe zu gehen, ließ er meine Sachen aus dem Gasthofe abholen, und behielt mich bey sich in seinem eigenenLogis, er bezeugte eine gantz besondere Freude über einige schrifftl. Documenta und andere Dinge, welche Zeugniß gaben, daß ich und meine Vorfahren, in richtigen graden von dem Stephano Julio herstammeten, weil derselbe meines Großvaters Großvater, Johann Balthasar Julius aber, als meines leiblichen Vaters Großvater, der anno 1630. gebohren, ein leiblicher Bruder des Alberti Julii, und jüngster Sohn des Stephani gewesen.
Unsere Abfarth blieb auf den 27. Jun. fest gestellet, binnen welcher Zeit ich 200. Stück deutsche, 100. Stück Englische Bibeln, 400. Gesang- und Gebeth-nebst vielen andern, so wohl geistl. als weltlichen höchst nützlichen Büchern, alle sauber gebunden, kauffen, und zum mitnehmen einpacken muste, über dieses muste noch vor etliche 1000. Thlr. allerhand so wohl künstliche als gemeine Instrumenta, vielerley Hauß-Rath, etliche Ballen weiß Pappier, Dinten Pulver, Federn, Bleystiffte, nebst mancherley Kleinigkeiten erhandeln, welches [25] alles, worzu es gebraucht worden, am gehörigen Orthe melden will.
Mein werther Capitain Wolffgang merckte, daß ich nicht gerne müßig gieng, überließ mir demnach alle Sorgfalt über diejenigen Puncte, so er nach und nach, wie sie ihm beygefallen waren, auf ein Papier verzeichnet hatte, und zeigte sich die wenigen Stunden, so ihm seine wichtigen Verrichtungen zu Hause zu seyn erlaubten, meines verspürten Fleisses und Ordnung wegen, sehr vergnügt.
Am 24. Jun. gleich am Tage Johannis des Täuffers, ließ sich, da wir eben Mittags zu Tische sassen, ein fremder Mensch bey dem Capitain melden, dieser gieng hinaus denselben abzufertigen, kam aber sogleich wieder zurück ins Zimmer, brachte eine ansehnliche Person in Priester habite an der Hand hinein geführet, und nöthigte denselben sich bey uns zu Tische zu setzen. Kaum hatte ich den frembden Priester recht ins Gesicht gesehen, als ich ihn vor meinen ehemahligen Informator, Herrn Ernst Gottlieb Schmeltzern erkannte, umarmete, und zu verschiedenen mahlen küssete, denn er hatte von meinem zehenten biß ins 14te Jahr, ungemein wohl an mir gethan, und mich hertzlich geliebet.
Als er mich gleichfals völlig erkannt und geküsset, gab er seine Verwunderung, mich allhier anzutreffen, mit Worten zu verstehen. Ich that, ohne ihm zu antworten, einen Blick auf den Capitain, und nahm wahr, daß ihm über unser hertzliches Bewillkommen, die Augen voll Freuden-Thränen stunden. Er sagte: setzet euch, meine lieben, und speiset, denn wir hernach noch Zeit genung haben mit einander zu sprechen.
[26] Dem ohngeacht, konte ich die Zeit nicht erwarten, sondern fragte bald darauff meinen lieben HerrnSchmeltzer, ob er bey denen Lutheranern allhier in Amsterdam seine Beförderung gefunden? Er antwortete mit einigem Lächeln: Nein. Der Capitain aber sagte: Mein Sohn, dieser Herr soll auf dem Schiffe, unser, nach diesem an gehörigem Orthe, auch eurer Vettern und Muhmen, Seelsorger seyn. Ich habe die Hofnung von ihm, daß er nächst Göttl. Hülffe daselbst mehr Wunder thun, und sein Ammt fruchtbarlicher verrichten werde, als sonsten unter 100. Lutherischen Predigern kaum einer. Und in der That hatte ihn der Capitain in ordentliche Bestallung genommen, auf seine Kosten behörig zum Priester weyhen lassen, und in Amsterdam bey uns einzutreffen befohlen, welchem allen er denn auch aufs genauste nachgekommen war.
Indem aber nunmehro fast alles, was der Capitain entworffen, in behörige Ordnung gebracht war, wandte derselbe die 2. letztern Tage weiter sonderlich zu nichts an, als seinen guten Freunden die Abschieds-Visiten zu geben, worbey Herr Schmeltzer und ich ihn mehrentheils begleiteten, am 27ten Jun. 1725. aber, verliessen wir unter dem stärcksten Vertrauen auf den Beystand des Allmächtigen, die Weltberühmte Stadt Amsterdam, und kamen den 30. dito auf dem Texel an, allwo wir 14. Tage verweileten, den 15. Jul. unter Begleitung vieler andern Schiffe unter Seegel giengen, und von einem favorablen Winde nach Wunsche fort getrieben wurden. Nach Mitternacht [27] wurde derselbe etwas stärcker, welches zwar niemand von See-Erfahrnen groß achten wolte, jedoch mir, der ich schon ein paar Stündgen geschlummert hatte, kam es schon als einer der grösten Stürme vor, weßwegen alle meine Courage von mir weichen wolte, jedoch da ich nicht gesonnen, selbige fahren zu lassen, entfuhr mir folgende Tage nach einander, s.v. alles, was in meinen Magen und Gedärmen vorhanden war. Dem HerrnSchmeltzer und vielen andern, so ebenfalls das erste mal auf die See kamen, ging es zwar eben nicht anders, allein mir dennoch am allerübelsten, weil ich nicht eher ausser dem Bette dauren konte, biß wir den Canal völlig passiret waren, dahingegen die andern sich in wenig Tagen wieder gesund und frisch befunden hatten.
Meinem Capitain war im rechten Ernste bange worden, bey meiner so lange anhaltenden Kranckheit, und indem er mir beständig sein hertzliches Mittleyden spüren ließ, durffte es an nichts, was zu meinem Besten gereichte, ermangeln; biß meine Gesundheit wiederum völlig hergestellet war, da ich denn sonsten nichts bedaurete, als daß mich nicht im Stande befunden hatte, von den Frantzösischen und Englischen Küsten, im vorbey fahren etwas in nahen Augenschein zu nehmen.
Nunmehro sahe nichts um mich, als Wasser Himmel und unser Schiff, von den zurück gelegten Ländern aber, nur eine dunckele Schattirung, doch hatte kurtz darauff das besondere Vergnügen: bey schönem hellen Wetter, die Küsten von Portugall der Länge nach, zu betrachten.
[28] Eines Tages, da der Capitain, der Schiff-Lieutenant Horn, Johann Ferdinand Kramer, ein gar geschickter Chirurgus von 28. biß 29. Jahren, Friedrich Litzberg, ein artiger Mensch von etwa 28. Jahren, der sich vor einen Mathematicum ausgab, und ich, an einem bequemlichen Orthe beysammen sassen, und von diesen und jenen discoutirten, sagte derLieutenannt Horn zu dem Capitain: Mein Herr, ich glaube sie könten uns allerseits kein grösseres Vergnügen machen, als wenn sie sich gefallen liessen, einige, ihnen auf dero vielen Reisen gehabte Avanturen zu erzehlen, welche gewiß nicht anders, als sonderbar seyn können, mich wenigstens würden sie damit sehrobligiren, woferne es anders, seiten ihrer, ohne Verdruß geschehen kan.
Der Capitain gab lächelnd zur Antwort: Sie bitten mich um etwas, mein Herr, das ich selbsten an Sie würde gebracht haben, weiln ich gewisser Ursachen wegen schon 2. biß drey Tage darzu disponirt gewesen, will mir also ein geneigtes Gehör von ihnen ausgebethen haben, und meine Erzählung gleich anfangen, so bald Mons. Plager und Harckert unsere Gesellschafft verstärckt haben. Litzberg, welchem so wohl, als mir, Zeit und Weile lang wurde, etwas erzehlen zu hören, lieff stracks fort, beyde zu ruffen, deren der erste ein Uhrmacher etliche 30. Jahr alt, der andere ein Posamentirer von etwa 23. Jahren, und beydes Leute sehr feines Ansehens waren. Kaum hatten sich dieselben eingestellet, da sich der Capitain zwischen uns einsetzte, und die Erzehlung seiner Geschichte folgendermassen anfing.
[29] Ich bin kein Mann aus vornehmen Geschlechte, sondern eines Posamentiers oder Bortenwürckers Sohn, aus einer mittelmäßigen Stadt, in der Marck Brandenburg, mein Vater hatte zu seinem nicht allzu überflüßigen Vermögen, 8. lebendige Kinder, nemlich 3. Töchter und 5. Söhne, unter welchen ich der jüngste, ihm auch, weil er schon ziemlich bey Jahren, der liebste war. Meine 4. Brüder lerneten, nach ihren Belieben, Handwercke, ich aber, weil ich eine besondere Liebe zu den Büchern zeigte, wurde fleißig zur Schule und privat-Information gehalten, und brachte es so weit, daß in meinem 19. Jahre auf die Universität nach Franckfurth an der Oder ziehen konte. Ich wolteJura, muste aber, auf expressen Befehl meines Vaters, Medicinam, studiren, ohne zweiffel, weil nicht mehr als 2. allbereit sehr alte Medici, oder deutlicher zu sagen, privilegirte Liferanten des Todes in unserer Stadt waren, die vielleicht ein mehreres an den Verstorbenen, als glücklich curirten Patienten verdient haben mochten. Einem solchen dachte mich nun etwa mein Vater mit guter manier und zwar per genitivum zu substituiren, weiln er eine eintzige Tochter hatte, welche die allerschönste unter den häßlichsten Jungfern, salvo errore calculi, war, und der die dentes sapientiæ, oder deutsch zu sagen, die letzten Zähne nur allererst schon vor 12. biß 16. Jahren gewachsen waren.
Ich machte gute progressen in meinen studiren, weiln alle Quartale nur 30. Thlr. zu verthun bekam, also wenig debauchen machen durffte, sondern fein zu Hause bleiben und fleißig seyn muste.
[30] Doch mein Zustand auf Universitäten wolte sich zu verbessern mine machen, denn da ich nach anderthalbjährigen Abseyn die Pfingst-Ferien bey meinen Eltern celebrirte, fand ich Gelegenheit, bey meinem, zu hoffen habenden Hrn. Schwieger-Vater mich dermassen zu insinuiren, daß er als ein Mann, der in der Stadt etwas zu sprechen hatte, ein jährliches stipendium von 60. Thlr. vor mich heraus brachte, welche ich nebst meinen Väterlichen 30. Thlr. auf einem Brete bezahlt, in Empfang nahm, und mit viel freudigern Hertzen wieder nach Franckfurth eilete, als vor wenig Wochen davon abgereiset war.
Nunmehro meinete ich keine Noth zu leyden, führete mich demnach auch einmal als ein rechtschaffener Pursch auf, und gab einen Schmauß vor 12. biß 16. meiner besten Freunde, wurde hierauff von ein und andern wieder zum Schmause invitirt, und lernete recht pursicos leben, das ist, fressen, sauffen, speyen, schreyen, wetzen und dergleichen.
Aber! Aber! meine Schmauserey bekam mir wie dem Hunde das Graß, denn als ich einsmals des Nachts ziemlich besoffen nach Hause ging, und zugleich mein Müthlein, mit dem Degen in der Faust, an den unschuldigen Steinen kühlete, kam mir ohnversehens ein eingebildeter Eisenfresser mit den tröstlichen Worten auf den Hals: Bärenheuter steh! Ich weiß nicht was ich nüchterner Weise gethan hätte, wenn ich Gelegenheit gesehen, mit guter manier zu entwischen, so aber hatte ich mit dem vielen getrunckenen Weine doppelte Courage, eingeschlungen, setzte mich also, weil mir der Paß zur [31] Flucht ohnedem verhauen war, in positur, gegen meinen Feind offensive zu agiren, und legte denselben, nach kurtzen chargiren, mit einem fatalen Stosse zu Boden. Er rieff mit schwacher Stimme: Bärenhäuter, du hast dich gehalten als einresoluter Kerl, mir aber kostet es das Leben, GOTT sey meiner armen Seele gnädig.
Im Augenblicke schien ich gantz wieder nüchtern zu seyn, ruffte auch niemanden, der mich nach Hause begleiten solte, sondern schlich viel hurtiger davon, als der Fuchs vom Hüner Hause. Dennoch war es, ich weiß nicht quo fato, heraus gekommen, daß ich der Thäter sey; es wurde auch starck nach mir gefragt und gesucht, doch meine besten Freunde hatten mich, nebst allen meinen Sachen, dermassen künstlich versteckt, daß mich in 8. Tagen niemand finden, vielweniger glauben konte, daß ich noch in loco vorhanden sey. Nach verfluß solcher ängstlichen 8. Tage, wurde ich eben so künstlich zum Thore hinaus practiciret, ein anderer guter Freund kam mit einem Wagen hinter drein, nahm mich unterweges, dem Scheine nach, aus Barmhertzigkeit, zu sich auf den Wagen, und brachte meinen zitterenden Cörper glücklich über die Grentze, an einen solchen Orth, wo ich weiter sonderlich nichts wegen des Nachsetzens zu befürchten hatte. Doch allzu sicher durffte ich eben auch nicht trauen, derowegen practicirte mich durch allerhand Umwege, endlich nach Wunsche, in die an der Ost-See gelegene Königl. Schwed. Unniversität Grypswalda, allwo ich in gantz guter Ruhe hätte leben können, wenn mir nur mein unruhiges Gewissen dieselbe vergönnet [32] hätte, denn ausser dem, daß ich die schwere Blut-Schuld auf der Seele hatte, so kam noch die betrübte Nachricht darzu, daß mein Vater, so bald er diesen Streich erfahren, vom Schlage gerühret worden, und wenig Stunden darauff gestorben sey. Meinen Theil der Erbschafft hatten die Gerichten confiscirt, doch schickten mir meine Geschwister aus commiseration, jedes 10. Thlr. von dem ihrigen, und baten mich um GOTTES willen, so weit in die Welt hinein zu gehen als ich könte, damit sie nicht etwa eine noch betrübtere Zeitung, von Abschlagung meines Kopffs bekommen möchten.
Ich hatte, nach verlauf fast eines halben Jahres, ohnedem keine Lust mehr in Grypswalde zu bleiben, weiln mir nicht so wohl hinlängliche subsidia als eine wahre Gemüths-Ruhe fehleten, entschloß mich demnach selbige auf der unruhigen See zu suchen, und deßfals zu Schiffe zu gehen. Dieses mein Vorhaben entdeckte ich einem Studioso Theologiæ, der mein sehr guter Freund und Sohn eines starcken Handels-Mannes in Lübeck war, selbiger recommendirte mich an seinen Vater, der eben zugegen, und seinen Sohn besuchte, der Kauffmann stellete mich auf die Probe, da er nun merckte, daß ich im schreiben und rechnen sauber und expedit, auch sonsten einen ziemlich verschlagenen Kopff hatte, versprach er mir jährlich 100. Thlr. Silber-Müntze, beständige defrayirung so wohl zu Hause als auf Reisen, und bey gutem Verhalten dann und wann ein extraordinaires ansehnliches Accidens.
[33] Diese schöne Gelegenheit ergriff ich mit beyden Händen, reisete mit ihm nach Hause, und insinuirte mich durch unermüdeten Fleiß dermassen bey ihm, daß er in kurtzer Zeit ein starckes Vertrauen auf meine Conduite setzte, und mich mit den wichtigstenCommissionen in diejenigen See-Städte versendete, wo er seine vornehmsten Verkehr hatte.
Nachdem ich 2. Jahr bey ihm in Diensten gestanden, wurde mir, da ich nach Amsterdam verschickt war, daselbst eine weit profitablere Condition angetragen, ich acceptirte dieselbe, reisete aber erstlich wieder nach Lübeck, forderte von meinem Patron gantz höfflich den Abschied, welcher ungern daran wolte, im Gegentheil mir jährlich mein salarium um 50. Thlr. zu verbessern versprach, allein ich hatte mir einmal die Farth nach Ost-Indien in den Kopff gesetzt, und solche war gar nicht heraus zu bringen. So bald ich demnach meinen ehrlichen Abschied nebst 50. Thlr. Geschencke über den Lohn von meinem Patron erhalten, nahm ich von denselben ein recht zärtliches Valet, wobey er mich bath, ihm bey meiner Retour, ich möchte glücklich oder unglücklich gewesen seyn, wieder zuzusprechen, und reisete in GOTTES Nahmen nach Amsterdam, allwo ich auf dem Schiffe, der Holländische Löwe genannt, meinen Gedancken nach, den kostbarsten Dienst bekam, weiln jährlich auf 600. Holländische Gulden Besoldung sichernEtaat machen konte.
Mein Vermögen, welches ich ohne meines vorigenPatrons Schaden zusammen gescharret, belieff [34] sich auf 800. Holländ. fl. selbiges legte meistens an lauter solche Waaren, womit man sich auf der Reise nach Ost-Indien öffters 10. biß 20. fachen profit machen kan, fing also an ein rechter, wiewohl annoch gantz kleiner, Kauffmann zu werden.
Immittelst führte ich mich so wol auf dem Schiffe, als auch an andern Orten, dermassen sparsam und heimlich auf, daß ein jeder glauben muste: ich hätte nicht 10. fl. in meinem gantzen Leben, an meiner Hertzhafftigkeit und freyen Wesen aber hatte niemand das geringste auszusetzen; weil ich mir von keinem, er mochte seyn wer er wolte, auf dem Munde trommeln ließ. Auf dem Cap de bonne esperence, allwo wir genöthiget waren, etliche Wochen zu verweilen, hatte ich eine verzweiffelte Rencontre, und zwar durch folgende Veranlassung: Ich ging eines Tages von dem Cap zum Zeitvertreib etwas tieffer ins Land hinein, um mit meiner mitgenommenen Flinte ein anständiges stückgen Wildpret zu schiessen, und gerieth von ohngefähr an ein, nach dasiger Arth gantz zierlich erbautes Lust-Hauß, so mit feinen Gärten und Weinbergen umgeben war, es schien mir würdig genung zu seyn, solches von aussen rings herum zu betrachten, gelangete also an eine halb offenstehende kleine Garten-Thür, trat hinnein und sahe ein gewiß recht schön gebildet, und wohl gekleydetes Frauenzimmer, nach dem klange einer kleinen Trommel, die ein anderes Frauenzimmer ziemlich Tact-mäßig spielete, recht zierlich tantzen.
Ich merckte daß sie meiner gewahr wurde, jedennoch ließ sie sich gar nicht stöhren, sondern tantzte[35] noch eine gute Zeit fort, endlich aber, da sie aufgehöret und einer alten Frauen etwas ins Ohr gesagt hatte; kam die letztere auf mich zu, und sagte auf ziemlich gut Holländisch: Wohl mein Herr! ihr habt ohne gebethene Erlaubniß euch die Freyheit genommen, meiner gnädigen Frauen im Tantze zuzusehen, derowegen verlangt sie zu wissen, wer ihr seyd, nächst dem, daß ihr deroselben den Tantz bezahlen sollet. Liebe Mutter, gab ich zur Antwort, vermeldet eurer gnädigen Frauen meinen unterthänigsten Respect, nächst dem, daß ich ein Unter-Officier von dem hier am Cap liegenden Holländischen Schiffen sey, und das Vergnügen, so mir dieselbe mit ihrem zierlichen tantzen erweckt, hertzlich gerne bezahlen will, wenn nur die Forderung mein Vermögen nicht übersteiget.
Die Alte hatte ihren Rapport kaum abgestattet als sie mir, auf Befehl der Täntzerin näher zu kommen, winckte. Ich gehorsamte, und muste mit in eine dick belaubte Hütte von Wein-Reben eintreten, auch sogleich bey der gnädigen Frau Täntzerin Platz nehmen. Der nicht weniger recht wohlgebildete Tambour, so zum Tantze aufgetrummelt hatte, führte sich von selbsten ab, war also niemand bey uns als die alte Frau, in deren Gegenwart mich die gnädige Täntzerin mit der allerfreundlichsten mine auf geradebrecht Holländisch anredete, und bath, ich möchte die Gnade haben und ihr selbsten erzehlen, wer? woher? was ich sey? und wohin ich zu reisen gedächte, ich beantwortete alles, so wie es mir in die Gedancken kam, weil ich wohl wuste, daß ihr ein wahrhafftes Bekänntniß eben so viel gelten [36] konte, als ein erdachtes. Sie redete hierauf etwas weniges mit der Alten, in einer mir unbekandten Sprache, welche etliche mal mit dem Kopffe nickte und zur Hütte hinaus gieng. Kaum hatte selbige uns den Rücken zugekehret, da die Dame mich sogleich bey der Hand nahm und sagte: Mein Herr, die jungen Europäer sind schöne Leute, und ihr sonderlich seyd sehr schön. Madame, gab ich zur Antwort, es Beliebt euch mit euren Sclaven zu schertzen, denn ich weiß daß aus meinen Ansehen nichts sonderliches zu machen ist. Ja ja war ihre Gegenrede, ihr seyd in Wahrheit sehr schön, ich wünschte im Ernste, daß ihr meinSclave wäret, ihr soltet gewiß keine schlimme Sache bey mir haben. Aber fuhr sie fort, sagt mir, wie es kömmt, daß auf diesem Cap lauter alte, übel gebildete, und keine schönen jungen Europäer bleiben? Madame, versetzte ich, wenn nur auf diesem Cap noch mehr so schönes Frauenzimmer wie ihr seyd, anzutreffen wäre, so kan ich euch versichern, daß auch viel junge Europäer hier bleiben würden. Was? fragte sie, saget ihr, daß ich schöne sey, und euch gefalle? Ich müste, war meine Antwort: keine gesunde Augen und Verstand haben, wenn ich nicht gestünde, daß mir eure Schönheit recht im Hertzen wohl gefällt. Wie kan ich dieses glauben? replicirte sie, ihr sagt, daß ich schöne sey, euch im Hertzen wohl gefalle, und küsset mich nicht einmal? da ihr doch alleine bey mir seyd, und euch vor niemand zu fürchten habt. Ihre artige lispelende wiewol unvollko ene Holländis. Sprache kam mir so lieblich, der Innhalt der Rede aber, nebst denen charmanten Minen, dermassen entzückend [37] vor, daß an statt der Antwort mir die Kühnheit nahm, einen feurigen Kuß auf ihre Purpurrothen und zierlich aufgeworffenen Lippen zu drücken, an statt dieses zu verwehren, bezahlete sie meinen Kuß, mit 10. biß 12. andern, weil ich nun nichts schuldig bleiben wolte, wechselten wir eine gute Zeit mit einander ab, biß endlich beyde Mäuler gantz ermüdet auf einander liegen blieben, worbey sie mich so hefftig an ihre Brust drückte, daß mir fast der Athem hätte vergehen mögen. Endlich ließ sie mich loß, und sahe sich um, ob uns etwa die Alte belauschen möchte, da aber niemand vorhanden war, ergriff sie meine Hand, legte dieselbe auf die, wegen des tieff ausgeschnittenen habits, über halb entblösseten Brüste, welche, durch das hefftige auf- und niedersteigen, die Gluth des verliebten Hertzens abzukühlen suchten, deren Flammen sich in den kohlpechschwartzen schönen Augen zeigten. Das Küssen wurde aufs neue wiederholet, und ich glaube, daß ich dieses mal gantz gewiß über daß 6te Gebot hingestürtzt wäre, so aber war es vor diesesmal nur gestolpert, weil sich noch zum guten Glücke die Alte von ferne mit Husten hören ließ, dahero wir uns eiligst von einander trenneten, und so bescheiden da sassen, als ob wir kein Wasser betrübet hätten.
Die Alte brachte in einem Korbe 2. Bouteillen delicaten Wein, eine Bouteille Limonade, und verschiedene Früchte und Confituren, worzu ich mich gar nicht lange nöthigen ließ, sondern so wohl als dieDame, welche mir nun noch 1000. mal schöner vorkam, mit grösten Appetit davon genoß. So lange die Alte zugegen war, redeten wir von gantz [38] indiffirenten Sachen, da sie sich aber nur noch auf ein sehr kurtzes entfernete, um eine gewisse Frucht von der andern Seite des Gartens herzuholen, gab mir die Dame mit untermengten feurigen Küssen zu vernehmen: Ich solte mir Morgen, ohngefähr zwey Stunden früher als ich heute gekommen, ein Gewerbe machen, wiederum an dieser Stelle bey ihr zu erscheinen, da sie mir denn eine gewisse Nacht bestimmen wolte, in welcher wir ohne Furcht gantz alleine beysammen bleiben könten. Weiln mir nun die Alte zu geschwinde auf den Halß kam, muste die Antwort schuldig bleiben, doch da es mich Zeit zu seyn dünckte Abschied zu nehmen, sagte ich noch: Madame, ihr werdet mir das Glück vergönnen, daß Morgen Nachmittags meine Auffwartung noch einmal bey euch machen, und vor das heut genossene gütige Tractament einige geringe Raritäten aus Europa præsentiren darff. Mein Herr, gab sie zur Antwort, eure Visite soll mir lieb seyn, aber dieRaritäten werde nicht anders annehmen, als vor baare Bezahlung. Reiset wohl, GOTT sey mit euch.
Hiermit machte ich ein nochmahliges Compliment, und gieng meiner Wege, die Alte begleitete mich fast auf eine halbe Stunde lang, von welcher ich unter weges erfuhr, daß diese Dame eine gebohrne Princeßin aus der Insul Java wäre. Der auf dem Cap unter dem Holländischen Gouverneur in Diensten stehendeAdjutant, Nahmens Signor Canengo, ein Italiäner von Geburth, hätte sich bereits in ihrem 12ten Jahre in sie verliebt, da ihn ein Sturm gezwungen, in Java die außbesserung seines [39] Schiffs abzuwarten. Er habe die zu ihr tragende hefftige Liebe nicht vergessen können, derowegen Gelegenheit gesucht und gefunden, sie vor 2. Jahren im 17den Jahre ihres Alters, auf gantz listige Arth von den ihrigen zu entführen, und auf das Cap zu bringen. Das Lust-Hauß, worinnen ich sie angetroffen, gehöre, nebst den meisten herum liegenden Weinbergen und Gärten, ihm zu, allwo sie sich die meiste Zeit des Jahres aufhalten müste, weiln er diese seine liebste Maitresse nicht gern von andern Manns-Personen sehen liesse, und selbige sonderlich verborgen hielte, wenn frembde Europäische Schiffe in dem Cap vor Ancker lägen. Er weiß zwar wohl, setzte die Alte letzlich hinzu, daß sie ihm, ohngeachtet er schon ein Herr von 60. Jahren ist, dennoch allein getreu und beständig ist, jedoch, zu allem Uberfluß, hat er mich zur Aufseherin über ihre Ehre bestellet, allein ich habe es heute vor eine Sünde erkannt, wenn man dem armen Kinde allen Umgang mit andern frembden Menschen abschneiden wolte, derowegen habe ich euch, weil ich weiß, daß mein Herr vor Nachts nicht zu Hause kömmt, diesen Mittag zu ihr geführet. Ihr könnet auch morgen um selbige Zeit wieder kommen, aber das sage ich, wo ihr verliebt in sie seyd, so lasset euch nur auf einmal alle Hoffnung vergehen, denn sie ist die Keuschheit selber, und würde eher sterben als sich von einer frembden Manns-Person nur ein eintzig mal küssen lassen, da doch dieses bey andern ein geringes ist. Inzwischen seyd versichert, daß, wo ihr meiner Gebietherin etwas rares aus Europa mitbringen werdet, sie euch den Werth desselben mit [40] baaren Gelde doppelt bezahlen wird, weil sie dessen genung besitzet.
Ich sahe unter währenden Reden der lieben Alten beständig ins Gesichte, da aber gemerckt, daß dieselbe im rechten einfältigen Ernste redete, wird ein jeder muthmassen, was ich dabey gedacht habe, doch meine Antwort war diese: Liebe Mutter, glaubt mir sicherlich, daß sich mein Gemüthe um Liebes-Sachen wenig, oder soll ich recht reden, gar nichts bekümmert, ich habe Respect vor diese Dame, bloß wegen ihres ungemeinen Verstandes und grosser Höfflichkeit, im übrigen verlange ich nichts, als, vor das heutige gütige Tractament, deroselben morgen ein kleines Andencken zu hinterlassen, und zum Abschiede ihre Hand zu küssen, denn ich glaube schwerlich, daß ich sie und euch mein lebtage wieder sehen werde, weil wir vielleicht in wenig Tagen von hier abseegeln werden.
Unter diesen meinen Reden drückte ich der Alten 3. neue Spanische Creutz-Thaler in die Hand, weil sie, wie ich sagte, sich heute meinetwegen so viel Wege gemacht hätte. So verblendet sie aber von dem hellen glantz dieses Silbers stehen blieb, so hurtig machte ich mich nach genommenen Abschiede von dannen, und langete, nach Zurücklegung zweyer kleinen teutschen Meilen, glücklich wieder in meinem Logis an.
Ich muste, nachdem ich mich in mein apartement begeben, über die heute gespielte Comœdie hertzlich lachen, kan aber nicht läugnen, daß ich in die wunderschöne brunette unbändig verliebt war, denn ich traff bey derselben seltene Schönheit, Klugheit, Einfalt [41] und Liebe, in so artiger Vermischung an, dergleichen ich noch von keinem Frauenzimmer auf der Welt erfahren. Derowegen wolten mir alle Stunden zu Jahren werden, ehe ich mich wieder auf den Weg zu ihr machen konte. Folgenden Morgen stund ich sehr früh auf, öffnete meinen Kasten, und nahm allerhand Sachen heraus, als: 2. kleine, und 1. mittelmäßigen Spiegel, von der neusten façon. 1. Sonnen-Fechel mit güldner Quaste. 1. Zinnerne Schnupff-Tobacks Dose, in Gestalt einer Taschen-Uhr. 2. Gesteck saubere Frauenzimmer-Messer. 3erley artige Scheeren, 20. Elen Seyden-Band, von 4erley coleur, allerhand von Helffenbein gedresseltes Frauenzimmer-Geräthe, nebst Spiel- und andern Kinder-Sachen, deren mich voritzo nicht mehr erinnern kan.
Alle diese Waare packte ich ordentlich zusammen, begab mich nach Anweisung meiner Taschen-Uhr, die ich ihr aber zu zeigen nicht willens hatte, 2. Stunden vor dem Mittage auf die Reise, und gelangete ohne Hinderniß bey dem Lust-Hause meiner Prinzeßin an. Die drey Spanischen Thlr. hatten die gute Alte so dienstfertig gemacht: daß sie mir über 100. Schritte vor der Garten-Thür entgegen kam, mich bey der Hand fassete, und sagte: Willkom-mein lieber Herr Landsmann, (sie war aber eine Holländerin, und ich ein Brandenburger) ach eilet doch, meine Gebietherin hat schon über eine halbe Stunde auf euren versprochenen Zuspruch gehoffet, und so gar das Tantzen heute bleiben lassen. Ich schenckte ihr 2. grosse gedruckte Leinwand-Halßtücher, 2. paar Strümpffe, ein Messer, einen Löffel [42] und andere bagatelle, worüber sie vor Freuden fast rasend werden wolte, doch auf mein Zureden, mich eiligst zu ihrer Frau führete.
Dieselbe saß in der Laub-Hütte, und hatte sich nach ihrer Tracht recht propre geputzt, ich muß auch gestehen, daß sie mich in solchen Aufzuge ungemeincharmirte. Die Alte ging fort, ich wolte meine 7. Sachen auspacken, da aber meine Schöne sagte, es hätte hiermit noch etwas Zeit, nahm ich ihre Hand, und küssete dieselbe. Doch dieses schiene ihr zu verdriessen, weßwegen ich sie in meine Arme schloß, und mehr als 100. mahl küssete, wodurch sie wieder völlig aufgeräumt wurde. Ich versuchte dergleichen Kost auch auf ihren, wiewohl harten, jedoch auch zarten Brüsten, da denn nicht viel fehlete, daß sie vor Entzückung in eine würckliche Ohnmacht gesuncken wäre, doch ich merckte es bey Zeiten, und brachte ihre zerstreueten Geister wieder in behörige Ordnung, und zwar kaum vor der Ankunfft unserer Alten, welche noch weit köstlichere Erfrischungen brachte als gestern.
Wir genossen dieselben mit Lust, immittelst legte ich meinen Krahm aus, über dessen Seltenheit meine Prinzeßin fast erstaunete. Sie konte sich kaum satt sehen, und kaum satt erfragen, worzu dieses und jenes dienete; da ich ihr aber eines jeden Nutzen und Gebrauch gewiesen, zehlete sie mir 50. Holländischespec. Ducaten auf den Tisch, welche ich, solte sie anders nicht zornig werden, mit aller Gewalt in meine Tasche stecken muste. Die Alte bekam eine Commission, etwas aus ihren Zimmer zu langen, und war kaum fort, da meine Schöne noch einen [43] Beutel mit 100. Ducaten, nebst einem kostbaren Ringe mit diesen Worten an mich lieferte: Nehmet hin, mein Aug-Apffel, dieses kleine Andencken, und liebet mich, so werdet ihr vor eurer Abreise von mir noch ein weit mehreres erhalten. Ich mochte mich wegern wie ich wolte, es halff nichts, sondern ich muste, ihren Zorn zu vermeiden, das Geschenck in meine Verwahrung nehmen. Sie zeigte sich dieserhalb höchst vergnügt, machte mir alle ersinnliche Caressen, und sprach mit einem verliebten Seuffzer: Saget mir doch, mein Liebster! wo es herkommt, daß eure Person und Liebe in mir ein solches entzückendes Vergnügen erwecket? Ja ich schwere bey dem heiligen Glauben der Christen und der Tommi, daß meine Seele noch keinen solchen Zucker geschmecket. Ich versicherte sie vollkommen, daß es mit mir gleiche Bewandtniß hätte, welches sich denn auch würcklich also befand. Inzwischen weil mir das Wort Tommi in den Ohren hangen geblieben war, fragte ich gantz treuhertzig, was sie darunter verstünde? und erfuhr, daß selbiges eine gewisse Secte sey, worzu sich die Javaner bekenneten, und sich dabey weit höher und heiliger achteten, als andereMahometaner; mit welchen sie doch sonsten, was die Haupt-Sätze der Lehre anbelangete, ziemlich einig wären. Ich stutzte in etwas, da in Betrachtung zog, wie ich allem Ansehen nach mit einer Heydin courtoisirte, doch die hefftige Liebe, so allbereit meine Sinnen bezaubert hatte, konte den kleinen Funcken des Religion-Scrupels gar leicht auslöschen, zumahlen da durch ferneres Forschen erfuhr: daß sie ungemeine Lust zu dem Christlichen [44] Glauben hegte, auch sich hertzlich gern gründlich darinnen unterweisen und tauffen lassen wolte; allein ihr Liebhaber der Signor Canengo verzögerte dieses von einer Zeit zur andern, hätte auch binnen einem Jahre fast gar nicht mehr daran gedacht, ohngeacht es anfänglich sein ernstlicher Vorsatz gewesen, er auch deßfalls viele Mühe angewendet. Nechst diesen klagte sie über ihres Liebhabers wunderliche Conduite, sonderlich aber über seine zwar willigen, doch ohnmächtigen Liebes-Dienste, und wünschte aus einfältigen treuem Hertzen, daß ich bey ihr an seiner Stelle seyn möchte. So bald ich meine Brunette aus diesem Thone reden hörete, war ich gleich bereit, derselben meine so wohl willigen als kräfftigen Bedienungen anzutragen, und vermeynete gleich stante pede meinen erwünschten, wiewohl straffbarn Zweck zu erlangen, jedoch die Heydin war in diesem Stücke noch tugendhaffter als ich, indem sie sich scheute, dergleichen auf eine so liederliche Art, und an einem solchen Orte, wo es fast so gut als unter freyen Himmel war, vorzunehmen, immittelst führeten wir beyderseits starcke Handgreiffliche Discurse, wobey ich vollends so hitzig verliebt wurde, daß bey nahe resolvirt war, nach und nach Gewalt zu brauchen, alleine, die nicht weniger erhitzteBrunette wuste mich dennoch mit so artigen Liebkosungen zu bändigen, daß ich endlich Raison annahm; weil sie mir theuer versprach, morgende Nacht in ihrem Schlaff-Gemache alles dasjenige, was ich jetzo verlangete, auf eine weit angenehmere und sicherere Arth zu vergönnen. Denn, wie sie vernommen, würde ihr Amant selbige Nacht nicht [45] nach Hause kommen, sondern bey dem Gouverneur bleiben, übrigens wüste sie alle Anstalten schon so zu machen, daß unser Vergnügen auf keinerley Weise gestöhret werden solte, ich dürffte mich demnach nur mit andringender Demmerung getrost vor der Thür ihres Lust-Hauses einfinden.
Kaum waren wir mit dieser Verabredung fertig, als uns die Zurückkunfft der Alten eine andere Stellung anzunehmen nöthigte, es wurde auch das Gespräch auf unser Europäisches Frauenzimmer gekehret, deren Manier zu leben, Moden und andere Beschreibungen die Dame mit besonderer Aufmercksamkeit anhörete, zumahlen, da die Alte mit ihren Darzwischen-Reden dieses und jenes bekräfftigte, oder wohl noch vergrösserte. Immittelst hatten wir uns in solchen andächtigen Gesprächen dermassen vertiefft, daß an gar nichts anders gedacht wurde, erschracken also desto hefftiger, als der Signor Canengo gantz unvermuthet zur Laub-Hütte, und zwar mit funckelenden Augen eintrat. Er sagte anfänglich kein Wort, gab aber der armen Alten eine dermassen tüchtige Ohrfeige, daß sie zur Thür hinaus flog, und sich etliche mahl überpurtzelte. Meine schöne Brunette legte sich zu meiner grösten Gemüths-Kränckung vor diesen alten Maul-Esel auf die Erde, und kroch ihm mit niedergeschlagenem Gesichte als ein Hund entgegen. Doch er war so complaisant, sie aufzuheben und zu küssen. Endlich kam die Reyhe an mich, er fragte mit einerimperieusen Mine: Wer mich hieher gebracht, und was ich allhier zu suchen hätte? Signor, gab ich zur Antwort, Niemand anders, als das Glücke hat mich[46] von ohngefehr hieher geführet, indem ich ausgegangen, ein und andere curieuse Europäische Waaren an den Mann zu bringen. Und etwa, setzte er selbst hinzu, andern ihre Maitressen zu verführen? Ich gab ihm mit einer negligenten Mine zur Antwort: daß dieses eben meine Sache nicht sey. Demnach fragte er die Dame, ob sie die auf dem Tische annoch ausgelegten Waaren schon bezahlt hätte? Und da diese mit Nein geantwortet, griff er in seine Tasche, legte mir 6.Ducaten auf den Tisch, und zwar mit diesen Worten: Nehmet diese doppelte Bezahlung, und packet euch zum Teuffel, lasset euch auch nimmermehr bey dieserDame wieder antreffen, wo euch anders euer Leben lieb ist. Signor, replicirte ich, es ist mir wenig an solchen Bagatell-Gelde gelegen, euch zu zeigen, daß ich kein Lumpenhund bin, will ich diese Sachen derDame geschenckt haben, euch aber bitte ich, mich etwas höflicher zu tractiren, wo ich nicht gleiches mit gleichem vergelten soll. Er sahe mich trefflich über die Achsel an, die Koller aber lieff Fingers dicke auf, er legte die Hand an den Degen, und stieß die hefftigsten Schimpff-Worte gegen mich aus. Meine Courage kriegte hierbey die Sporen, wir zohen fast zu gleicher Zeit vom Leder, und tummelten uns vor der Hütte weidlich mit einander herum, doch mit dem Unterschiede, daß ich ihm mit einem kräfftigen Hiebe den rechten Arm lähmete, und deren noch zweye auf dem Schedel versetzte. Ich that einen Blick nach derDame, welche in Ohnmacht gesuncken war, da ich aber vermerckte, daß Canengo sich absentirte, und in Hottentottischer Sprache vielleicht Hülffe schrye,[47] nahm ich meine im Grase verdeckt liegende Flinte, warff noch ein paar Lauff-Kugeln hinein, und eilete durch eine gemachte Oeffnung der Pallisaden, womit der Garten umsetzt war, des Weges nach meinem Quartiere zu.
Anfangs lieff ich ziemlich hurtig, hernachmahls aber that meine ordentlichen Schritte, wurde aber gar bald inne: daß mich 2. Hottentotten, die so geschwinde als Windspiele lauffen konten, verfolgten, der vorderste war kaum so nahe kommen, daß er sich seiner angebohrnen Geschicklichkeit gegen mich gebrauchen konte, als er mit seiner Zagaye, welches ein mit Eisen beschlagener vorn sehr spitziger Wurff-Spieß ist, nach mir schoß, zu grossen Glück aber, indem ich eine hurtige Wendung machte, nur allein meine Rock-Falten durchwarff. Weil der Spieß in meinen Kleidern hangen blieb, mochte er glauben, mich getroffen zu haben, blieb derowegen so wohl als ich stille stehen, und sahe sich nach seinen Cameraden um, welcher mit eben dergleichen Gewehr herzu eilete. Doch da allbereit wuste, wie accurat diese Unfläther treffen können, wolte dessen Annäherung nicht erwarten, sondern gab Feuer, und traff beyde in einer Lienie so glücklich, daß sie zu Boden fielen, und wunderliche Kolleraturen auf dem Erdboden machten. Ich gab meiner Flinte eine frische Ladung und sahe gantz von weiten noch zwey kommen. Ohne Noth Stand zu halten, wäre ein grosser Frevel gewesen, derowegen verfolgte, unter sehr öfftern Zurücksehen, den Weg nach meinem Quartiere, gelangete auch, ohne fernern unglücklichen Zufall, eine Stunde vor Abends [48] daselbst an. Ohne Zweiffel hatten meine zwey letztern Verfolger, bey dem traurigen Verhängnisse ihrer Vorläuffer, einen Eckel geschöpfft, mir weiter nachzueilen.
So bald ich in meinem Quartiere, das ist, in einer derer Hütten, welche nicht weit vom Cap, zur Bequemlichkeit der See-Fahrenden errichtet sind, arriviret war, kleidete ich mich aus, und gieng in meinerCommoditeé spatzieren, setzte mich am Ufer des Caffarischen Meeres zwischen etliche dick-belaubte Sträucher, machte meine heut erworbene Gold-Bourse auf, und hatte mein besonderes Vergnügen, die schönen gelben Pfennige zu betrachten, indem mir aber die Liebe zu meiner charmanten Brunette dabey in die Gedancken kam, sprach ich: Ach du liebes Geld! wie viel schöner wärest du, wenn ich dich nur mit ruhigen Hertzen besässe. Ich machte meinen Beutel, nachdem ich das Geld hinein, den saubern Ring aber an meinen Finger gesteckt hatte, wieder zu, stützte den Kopff mit beyden Händen, und sonne nach: ob ich meiner hefftigen Liebe ferner nachhängen, und Mittel, selbige völlig zu vergnügen, suchen, oder wegen der damit verknüpfften grausamen Gefährlichkeiten gantz und gar davon abstrahiren wolte.
Es wolte schon anfangen Nacht zu werden, da ich mich aus meinen tieffen Gedancken zwar in etwas ermuntert, jedoch deßwegen noch gar keinen richtigen Schluß gefasset hatte, stund aber auf, um in meinemLogis die Ruhe zu suchen. Ich hatte selbiges noch lange nicht einmahl erreicht, da ein Officier mit 6. Mann von der Guarnison gegen mich kamen, [49] und meine Personalität mit Gewalt in die Festung einführeten. Die gantze Nacht hindurch hatte ich eine eigene Schildwacht neben mir sitzen, welche auf meine allergeringsten Movements Achtung gab, und niemanden, weder mit mir zu sprechen, oder an mich zu kommen, erlaubte.
Wer solte nicht vermeinen, daß ich um der mit dem Adjutanten und den Hottentotten gehabten Händel halber in Arrest kommen wäre, ich zum wenigsten hatte mich dessen in meinem Hertzen völlig überredet, jedoch an der Haupt-Ursache weit gefehlet. Denn, kurtz zu sagen, folgenden Morgens, in aller frühe, ließ mich unser Schiffs-Capitain zu sich bringen, und that mir, jedoch ohne jemands Beyseyn, folgende Proposition: Mein lieber Monsieur Wolffgang! Ich weiß, daß ihr ein armer Teuffel seyd, derowegen mag euch die Begierde, reich zu werden, verleitet haben, einen Diebstahl zu begehen. Glaubet mir, daß ich etwas von euch halte, indem ich mehr als zu viel Commiseration und Liebe vor euch hege, allein, seyd nur auch aufrichtig, und stellet mir den Beutel mit den 100.Ducaten, so dem William van Raac verwichene Nacht entwendet worden, mit freymüthiger Bekändtniß, in meine sichern Hände, ich schwöre bey GOtt, die Sache auf eine listige Art zu vermänteln, und euch völlig bey Ehren zu erhalten, weil es Schade um eure Jugend und Geschicklichkeit ist.
Ich hätte wegen hefftiger Alteration über diese Reden den Augenblick in Ohnmacht sincken mögen. Mein Gewissen war rein, indem ich mit [50] Wahrheit sagen kan, daß Zeit Lebens vor keinem Laster mehr Abscheu gehabt, als vor der schändlichen Dieberey, dergleichen Verdacht aber ging meiner Seelen gar zu nahe. So bald mich nun von meiner Verwirrung, die der Capitain vor eine gewisse Marque meines bösen Gewissens hielt, einiger massen erholt hatte, war ich bemühet, denselben meiner Unschuld mit den kräfftigsten Betheurungen zu versichern, wie ich denn auch würcklich nichts davon gehöret oder gesehen hatte, daß dem William van Raac, der ein Kauffmann und unser Reise: Compagnon war, Geld gestohlen sey. Allein der Capitain schiene sich über meine Entschuldigungen zu erzürnen, und sagte: Ich hätte nicht vermeinet, Wolffgang, daß ihr gegen mich so verstockt seyn soltet, da euch doch nicht allein euer gantzes Wesen, sondern auch euer selbst eigener Mund zur Gnüge verrathen hat. Sagt mir, ob ihr läugnen könnet: daß ihr gestern am Meer-Ufer in der Einsamkeit das, dem van Raack gestohlene, Geld überzehlet, und diese nachdencklichen Worte darbey gebraucht habt: Ach du liebes Geld! wie viel schöner wärest du, wenn ich dich nur mit ruhigen Hertzen besitzen könte. Mein Herr, gab ich zur Antwort, ich ruffe nochmahls GOtt und das gantze himmlische Heer zu Zeugen an, daß mir dieser Diebstahl unrechtmäßiger Weise Schuld gegeben wird, dasjenige aber, was ihr mir itzo zuletzt vorgehalten habt, befindet sich also, ich habe einen Beutel mit 150. spec. Ducaten bey mir, und gebe denselben zu eurer sichern Verwahrung, biß meine Unschuld wegen des Diebstahls ans Licht gekommen. [51] Seyd aber so gütig, eine besondere Avanture von mir anzuhören, und mich eures kräfftigen Schutzes geniessen zu lassen.
Hiermit überreichte ich ihm den Beutel mit 150.Ducaten, und erzehlte sodann nach der Länge, was ich, als ein junger Amadis Ritter, seit 3en Tagen vor besondere Zufälle gehabt hatte, welches er alles mit ziemlicher Verwunderung anhörete, und letzlich sagte: Ich muß gestehen, daß dieses ein verwirrter Handel ist, und sonderlich wird mir die Affaire wegen des blessirten Adjutanten und der erschossenen Hottentotten gantz gewiß Verdruß machen, doch verspreche ich euch wegen des letztern meinen Schutz, allein was den William van Raac anbelanget, so braucht dieses eine fernere Untersuchung, weßwegen ich euch so wenig als noch andere deßwegen arrestirte drey Personen in Freyheit setzen kan.
Ich war, und muste auch damit zu frieden seyn, inzwischen verdroß mich die schändliche und so schlecht gegründete Diebstahls-Beschuldigung weit grausamer, als die andere Affaire, jedoch zu meinem grösten Vergnügen lieff gegen Mittag die Zeitung ein, daß William van Raac seinen Beutel mit den 100.Ducaten an einem solchen Orte, wo er ihn in Gedancken selbst hin versteckt hatte, wieder gefunden, und dennoch solches gern verschwiegen hätte, wenn ihn nicht andere dabey ertappt, und sein Gewissen geschärfft hätten. Demnach musten Raac, ich und die 3. andern, Nachmittags bey dem Hauptmann erscheinen, welcher die Sache beylegen wolte, weil die 3. Mitbeschuldigten [52] dem William van Raac den Todt geschworen hatten, es wurde auch glücklich verglichen, denn Raac erboth sich, einem jeden von uns 10. Spanische Thlr. vor den Schimpff zu geben, nächst dem seine Ubereilung kniend abzubitten, welches er auch so gleich in Gegenwart des Capitains bewerckstelligte, doch ich vor meine Person wolte meine Großmuth sehen lassen, und gab ihm seine 10. Thlr. wieder zurück, ließ ihm auch seine Abbitte bey mir nicht kniend, sondern stehend verrichten.
Da also dieser verdrüßliche Handel zu allerseits ziemlichen Vergnügen geschlichtet war, und wir uns in Freyheit von dem Capitain hinweg begeben wolten, nöthigte mich derselbe, noch etwas bey ihm zu bleiben, bat mit den allerhöflichsten Worten um Verzeihung, daß er auf Angeben eines wunderlichen Menschen fast gezwungen worden, mich solchergestalt zu prostituiren, und versprach mir, in Zukunfft desto grössere und stärckere Marquen seines Eftims zu geben, weil er bey dieser Affaire meiner (wie ihm zu reden beliebte) vortrefflichen Conduite erstlich vollkommen überzeugt worden. Er gab mir anbey mit einem freundlichen Lächeln den Beutel, worinnen sich meine 150. Ducaten befanden, wieder zurück, nebst der Nachricht, wie zwar der Gouverneur schon Wissenschafft von einer mit dem Adjutanten vorgefallenen Rencontre erhalten, auch daß die 2. Hottentotten fast tödtlich blessirt wären, der Thäter sey ihm aber annoch unbekandt, und müste man nun erstlich erwarten, was weiter passiren würde. Inzwischen gab er mir den getreuen Rath, alle meine [53] Sachen nach und nach heimlich in sein des Capitains Logis zu schaffen, auch mich selbst bey ihm verborgen aufzuhalten, biß man fernere Mittel erfände, der zu befürchten habenden Gefahr zu entkommen.
Es wurde noch selbigen Tages, des redlichen Capitains Muthmassungen gemäß, nicht ein geringes Lermen wegen dieser Affaire, man hatte mich als den Thäter dermassen accurat beschrieben, daß niemand zweiffelte, Monsieur Wolffgang sey derjenige, welcher den Signor Canengo, als er von ihm bey seinerMaitresse erwischt worden, zu schanden gehauen, zweyen Hottentotten tödtliche Pillen eingegeben, und welchen der Gouverneur zur exemplarischen Bestraffung per force ausgeliefert haben wolte.
Jedoch der redliche Capitain vermittelte die Sache dergestalt glücklich, daß wir einige Tage hernach ohne die geringste Hinderniß von dem Cap abseegeln, und unsere Strasse nach Ost-Indien fortsetzen konten. Ich weiß gantz gewiß, daß er dem Gouverneur meiner Freyheit und Sicherheit wegen ein ansehnliches Præsent gemacht, allein, er hat gegen mich niemahls etwas davon gedacht, vielweniger mir einen Stüver Unkosten abgefordert, im Gegentheil, wie ich ferner erzehlen werde, jederzeit die gröste Consideration vor mich gehabt.
Inzwischen führete mir die auf dem Cap gehabteAvanture zu Gemüthe, was vor Gefährlichkeiten und üble Suiten daraus entstehen können, wenn man sich durch eine geile Liebes-Brunst auf verbotene Wege treiben lässet. Meine bräunlich-schöne [54] Prinzeßin klebte mir zwar noch ziemlich am Hertzen, da ich sie aber auf der andern Seite als eine Heydin und Hure eines alten Adjutanten betrachtete, verging mir, zugleich mit Wiedererlangung meines gesunden Verstandes, auf einmahl der Appetit nach solcher falschen Müntze, doch stund ich noch lange nicht in demgradu der Heiligkeit, daß ich mein bey ihr erworbenes Geld den Armen ausgetheilet hätte, sondern verwahrete es zum Gebrauch, und wünschete ihr davor viel Vergnügen, bedaurete auch zum öfftern der schönen Brunette feine Gestalt, wunderliche fata, und sonderlich das zu mir getragene gute Gemüthe.
William van Raac mochte, nachdem er mich recht kennen lernen, etwas an mir gefunden haben, das ihm gefiele; weßwegen er sich öffters bey mir aufhielt, und seinen Zeitvertreib in ein und andern politischen Gesprächen suchte, auch bey Gelegenheit mit besonders guter Manier allerhand Raritäten verehrte. Ich revangirte mich zwar mit diesen und jenen nicht weniger artigen Sachen, verspürete aber doch, daß er nicht eher ruhete, biß er wieder so viel bey mir angebracht, das den Werth des Meinigen vielfältig überstieg.
Ein gewisser Sergeant auf dem Schiffe, NahmensDavid Böckling, mit welchem William vorhero starcke Freundschafft gehalten, seit meinem Arrest aber sehr mit ihm zerfallen war, sahe unser öffteres Beysammensitzen mit gröstem Verdrusse an, brauchte auch allerhand Räncke, uns zusammen zu hetzen, weil er ein sehr wüster Kopff und eben derjenige war, welcher mich am Meer-Ufer, [55] da ich meine Ducaten gezehlet, und oberwehnte Worte gesprochen, beschlichen und verrathen hatte, wie mir van Raac nunmehro solches alles offenhertzig gestund. Doch alle seine angestiffteten Boßheiten waren nicht vermögend unsere Freundschafft zu trennen, sondern es schien als ob dieselbe hierdurch immer mehr befestiget würde, ich aber hatte mir fest vorgesetzt, dem Sergeanten bey erster bequemer Gelegenheit den Kopff zu waschen, doch ich ward dieser Mühe überhoben, weil er, da wir uns eine Zeitlang in Batavia auf der Insul Java aufhalten musten, daselbst von einem andern erstochen, und ich von dem Capitain an dessen Stelle als Sergeant gesetzt wurde.
Weiln ich solchergestalt doppelte Gage zoge, konte schon Etaat machen, in wenig Jahren ein ziemlichCapital zu sammlen. Nechst dem so marchandirte zwar so fleißig, doch nicht so schelmisch als ein Jude, und erwarb damit binnen 3. Jahren, ein feines Vermögen. Denn so lange waren wir auf dieser meiner ersten Reise unterweges. Sonsten begegnete mir dabey nichts eben sehr ungewöhnliches, weßwegen auch, um Weitläufftigkeit zu vermeiden, davon weiter nichts gedencken will, als daß wir auf dem rückwege, um die Gegend der Canarischen Insuln, von zweyenSaleeischen Raub-Schiffen attaquiret wurden. Das Gefechte war ungemein hitzig, und stunden wir in gröster Gefahr nebst unserer Freyheit, alles Guth, wo nicht gar das Leben zu verlieren. Endlich wendete sich das Blat, nachdem wir den grimmigsten Widerstand gethan, so, daß sie zwar die Flucht, aber dabey unsere reich beladene [56] Barque mitnehmen wolten; Allein da wir ihre Absicht zeitig merckten, und allbereit in Avantage sassen, ward nicht allein ihre Arbeit und Vorhaben zunichte gemacht, sondern das beste Schiff, mit allen dem, was darauff war, erobert.
Wenn mein naturell so beschaffen wäre, daß ich mich selbst gern lobte, oder loben hörete, könte bey dieser Gelegenheit schon etwas vorbringen, das einen oder den andern überreden solte: ich wäre ein gantz besonderer tapfferer Mann, allein ich versichere, daß ich niemals mehr gethan als ein rechtschaffener Soldat, dessen Ehre, Leben und Freyheit, nebst allen bey sich habenden Vermögen, auf der Spitze stehet, bey dergleichen Affairen zu thun schuldig ist.
Jedoch man kan unter dem prætext dieser Schuldigkeit, auch der guten Sache zuweilen zu viel oder zu wenig thun, mein Beyspiel zum wenigsten, kan andern eine vernünfftige Behutsamkeit erwecken; denn als wir uns an dasjenige Raub-Schiff, welches wir auch nach diesen glückl. eroberten angehengt, und bloß noch mit dem Degen in der Faust wider einander agirten, hatte sich ein eintziger Räuber, auf seinem in letzten Zügen liegenden Schiffe, einen eigenen Kampff-Platz erwehlet, indem er, durch etliche gegen-und übereinander gesetzte Kasten, seinen Rücken frey machen lassen, und mit seiner Mord-Sense dergestalt hausete, daß alle von unsern Schiffe überspringenden Leute, entweder todt niederfallen, oder sich starckblessirt reteriren musten.
Ich war unter dem Capitain mit etwa 12. Mann[57] von den Unserigen auf dem vordertheil des feindl. Schiffs beschäfftiget, rechtschaffen Posto zu fassen, merckte aber, daß wir mehr Arbeit fanden, als wir bestreiten konten, indem der eintzige Satan unsern succurs recht übermenschlich abzuhalten schien, derowegen drang als ein Blitz durch die Feinde hindurch nahm meinen Vortheil ohngefehr in Obacht, und vermeynte sogleich meinen Pallasch in seinen Gedärmen umzuwenden; allein der Mord-Bube war überall starck geharrnischt und gepantzert, dahero ich nach abgeglitschten Stosse, mich selbst in der grösten Lebens-Gefahr sahe, doch fassete ihn in dieser Angst von ohngefehr in das weit aufgesperrete Maul, riß die rasende Furie zu Boden, suchte am Unter-Leibe eine öffnung, und stieß derselben meinen Pallasch so tieff in den Rantzen hinein als ich konte.
Kaum war dieses geschehen, als nach einander etliche 20. und immer mehr von den Unserigen in das Feindl. Schiff gesprungen kamen, mich secundirten, und noch vor völlig erhaltenen Siege, Victoria! schryen. Doch es vergieng nicht eine halbe Stunde, so konten wir dieses Freuden-Wort mit Recht, und in vollkommener Sicherheit ausruffen, weil wir überhaupt Meister vom Schiffe, und die annoch lebenden Feinde, unsere Sclaven waren. Ich vor meine Person hatte zur ersten Beute einen ziemlichen Hieb über den Kopff, einen über die lincke Schulter, und einen Piquen-Stich in die rechte Hüffte bekommen, darzu hatte der irraisonable Flegel, dem ich doch aus besondern Staats-Ursachen, ins Maul zu greiffen, die Ehre gethan, mir die [58] vordersten Gelencke zweyer Finger lincker Hand, zum Zeitvertreibe abgebissen, und da dieselben, wie man siehet, noch biß dato fehlen, ich dieselben auch auf der Wahlstatt nirgends finden können; so kan nicht anders glauben, als daß er sie par hazard verschlungen habe.
Ich konte ihm endlich diese theuer genug bezahlte zwey Bissen noch so ziemlich gönnen, und war nur froh, daß an meinen zeithero gesammleten Schätzen nichts fehlete, über dieses wurde ich noch mit dem grösten Ruhm und Ehren fast überhäufft, weiln nicht nur der Capitain, sondern auch die meisten andern Mitarbeiter und Erfechter dieses Sieges, mir, wegen des eintzigen gewagten Streichs, den besten Preiß zu erkandten. Mein Gemüthe wäre der überflüßigen Lobes-Erhebungen gern entübriget gewesen, und hätte an dessen statt viel lieber eine geschwinde Linderung der schmertzenden Leibes-Wunden angenommen, weil ich, als ein auf beyden Seiten blessirter, kaum auf dem Rücken liegend, ein wenig rasten konte, doch ein geschickter Chirurgus, und meine gute Natur brachten es, nächst Göttl. Hülffe, so weit, daß ich in wenig Tagen wiederum auf dem obern Schiffs-Boden herum zu spatzieren vermögend war. Der Capitain, so mir gleich bey meiner ersten Ausflucht entgegen kam, und mich so munter sahe, sagte mit lachen: Monsieur Wolffgang, ich gratulire zum außgange, und versichere, daß nichts als der Degen an eurer Seite fehlet, uns zu überreden, daß ihr kein Patient mehr seyd. Monseigneur, gab ich gleichfalls lächelnd zur Antwort, wenn es nur daran fehlet, so will ich [59] denselben gleich holen? Bemühet euch nicht, versetzte er, ich will davor sorgen. Hiermit gab er seinem Diener Befehl, einen Degen vor mich zu langen, dieser brachte einen propren silbernen Degen, nebst dem Gehencke, und ich muste denselben, meinen Gedancken nach zum Spaß, umgürten. So bald dieses geschehen, befahl er das Schiffs-Volck zusammen zu ruffen, und da selbiges in seiner gehörigen Ordnung war, sagte er: Monsieur Wolffgang! ihr wisset so wohl als alle Gegenwärtigen, daß in letzterer Action unsere beyden Lieutenants geblieben sind, derowegen will euch, en regard eures letzthin erwiesenen Helden-Muths, hiermit als Premieur-Schiffs-Lieutenant vorgestellet haben, jedoch biß auf confirmation unserer Obern, als wovor ich guarantire. Inzwischen weil ich weiß, daß niemand von Gegenwärtigen etwas hierwider einzuwenden haben wird, will auch der erste seyn, der euch zu dieser neuen Charge gratuliret. Hiermit reichte er mir die Hand, ich aber wuste anfänglich nicht wie mir geschahe, doch da ich vermerckte, daß es Ernst war, machte ich das gebräuchliche Gegen-Compliment, und ließ mir immerhin belieben Lieutenant zu seyn.
Kurtz drauff gelangten wir, nebst unserer gemachten Prise, glücklich wieder in Amsterdam an. Ich bekam nicht allein die Confirmation meiner Charge, sondern über dieses einen unverhofften starcken Recompens, ausser meiner zu fordern habenden doppelten Gage, die mir theils die Feder, theils der Degen verschafft hatte. Die, aus meinen mitgebrachten Waaren, gelöseten Gelder, [60] schlug ich darzu, that die helffte davon, als ein Capital, in Banco, die andere helffte aber wandte zu meinem Unterhalt an, nächst diesen, die Equippage auf eine frische Schiffarth anzuschaffen.
Biß hierher war der Capitain Wolffgang damals in seiner Erzehlung kommen, als er, wegen einbrechender Nacht, vor dieses mal abbrach, und versprach, uns bey erster guten Gelegenheit den übrigen Rest seinerAvanturen wissend zu machen. Es suchte derowegen ein jeder von uns seine gewöhnliche Ruhe-Stelle, hatten aber dieselbe kaum 3. Stunden gedrückt, als, wegen eines sich erhebenden Sturmes, alle ermuntert wurden, damit wir uns gegen einen solchen ungestümen Stöhrer unserer Ruhe in behörige positur setzen könten. Wir verliessen uns zwar auf die besondere Stärcke und Festigkeit des getreuen Paridis, als welchen Nahmen unser Schiff führete; da aber das grausame wüten des Windes, und die einmal in Raserey gebrachten Wellen, nachdem sie nunmehro 2. Nacht und 2. Tage ohne einzuhalten getobet, auch noch keinen Stillstand machen wolten, im Gegentheil, mit hereinbrechender 3ten Nacht, ihre Wuth vervielfältigten, liessen wir die Hoffnung zu unserer Lebensrettung gäntzlich sincken, bekümmerten uns fast gar nicht mehr, um welche Gegend wir wären, und erwarteten, theils mit zitterenden, theils mit gelassenen Hertzen, die erschreckliche Zerscheiterung des Schiffs, und das mehrentheils damit sehr genau verknüpffte jämmerliche Ende unseres Lebens. Allein die Erhaltungs-Krafft des Himmels zeigte sich weit kräfftiger, als die Krafft des Windes, und der [61] berstenden Wolcken, denn unser Schiff muste nicht allein ohne besondern Haupt-Schaden bleiben, sondern auch zu unserer grösten Verwunderung wieder auf die rechte Strasse geführet werden, ohngeacht es Wind und Wellen bald hier bald dorthin verschlagen hatten; denn etwa 2. Stunden nach Mitternacht legte sich das grausame Brausen, die dicken Wolcken zertheilten sich, und bey anbrechenden schönen hellen Tage machten die Boots-Leute ein Freuden-Geschrey, aus Ursachen; weil sie den Pico so unverhofft erblickten, und wir uns gantz nahe an der Insul Teneriffa befanden. Vor meine Person wuste nicht, ob ich mehr Freude oder Erstaunung hegte, da mir diese ungeheure Machine in die Augen fiel. Der biß in den Himmel reichende entsetzliche Berg schien oben herum gantz weiß, weiln er Sommers und Winters hindurch mit Schnee bedeckt ist, man konte den aus seinem Gipffel steigenden Dampff gantz eigentlich observiren, und ich konte mich an diesem hochmüthigen Gegenstande meiner Augen die gantze Zeit nicht satt sehen, biß wir gegen Abend an die Insul anfuhren, um so lange daselbst auszuruhen, biß die zerrissenen und beschädigten Sachen unsers Schiffs wieder ausgebessert wären.
Ich fand ein besonderes Vergnügen: die raritäten auf dieser Insul zu betrachten, sonderlich aber denPico, an dessen Fuß eine Arth von Bäumen stund, deren Holtz in keinem Wasser verfaulen soll. Jedoch die Spitze des Berges mit zu erklettern, und dessen Rauch-Loch, so Kaldera genennet wird, in Augen schein zu nehmen, konte mich niemand bereden, [62] ohngeachtet es annoch die schönste Jahrs-Zeit dazu seyn mochte. Entweder war ich nicht so sehr neugierig, alsCajus Plinius Secundus beym Vesuvio gewesen, oder hatte nicht Lust mich dergleichen fatalitäten, wie er gehabt, zu exponiren, oder war nicht Willens eine Historiam naturalem aus eigener Erfahrung zu schreiben. Kurtz, ich war hierbey entweder zu faul, zu furchtsam, oder zu nachläßig.
Hergegen kan ich nicht läugnen, daß ich mir bey dem Capitain den Canari-Sect vortrefflich gut schmecken ließ, welcher mir auch besser bekam, als andern der Schwefel-Dampf auf dem Pico bekommen war, wir nahmen eine gute quantität dieses berühmten Getränckes, nebst vielem Zucker und andern delicatessen von dieser Insul mit, und fuhren den 12. 7br. recht vergnügt auf das Cabo Verde zu.
Es war um selbige Zeit ungemein stille See und schönes Wetter, weßwegen der Capitain Wolffgang auf unser hefftiges Ansuchen sich gefallen ließ, seine Geschichts-Erzehlung folgender massen zu continuiren.
Wo mir recht ist, Messieurs, fieng er an, so habe letztens gemeldet, wie ich mich in Stand gesetzt, eine neue Reise anzutreten, allein weil die Herrn General Etaaten seit kurtzen mit Franckreich und Spanien in würcklichen Krieg verwickelt waren, kriegten alle Sachen eine gantz andere Gestalt, ich hielt mich zwar beständig an meinen Wohlthäter, nemlich an denjenigen Capitain, der mich biß hieher glücklich gemacht hatte, konte aber die Ursache seines [63] Zauderns so wenig, als sein künfftiges Vornehmen errathen. Doch endlich brach er loß, und eröffnete mir, daß er treffliche Pasporte erhalten, gegen alle Feinde der Republique, als ein Frey-Beuter zu agiren, weßwegen er sich auch allbereit, durch Zuschuß anderer Wagehälse, ein extraordinair schönes Schiff mit allem Zubehör angeschafft hätte, so daß ihm nichts fehlete, als genungsame Leute. Wolte ich nun, setzte er hinzu, als sein Premieur-Lieutenant mit reisen, so müste mich Bemühen zum wenigsten 10. biß 12. Freywillige aufzutreiben, wo mir dieses aber unmöglich schiene, oder ich etwa keine Lust zu dergleichen Streichen hätte, als die Frey-Beuter vorzunehmen gemüßiget wären, so wolte er mir zwar bald einen Officiers-Dienst auf einem Kriegs-Schiffe schaffen, allein ob es vor mich eben so profitable seyn möchte, davon wisse er nichts zu sagen. Augenblicklich versicherte ich hierauff denCapitain, allen Fleiß anzuwenden, mein Glück oder Unglück unter und mit ihm zu suchen, auch mit ihm zu leben und zu sterben. Er schien vergnügt über meine Resolution, ich gieng von ihm, und schaffte binnen wenig Tagen an statt der geforderten Zwölffe, drey und zwantzig vollkommen gute freywillige Wagehälse, deren die meisten schöne Gelder bey sich führeten. Mein Capitain küssete mich vor Freuden, da ich ihm dieselben præsentiret hatte, und weil er binnen der Zeit auch nicht müßig gewesen, sondern alles Benöthigte vollends angeschafft, seegelten wir frölich von dannen.
Wir durfften aus Furcht vor den Frantzosen, denCanal nicht passiren, sondern musten unsere Farth[64] um die Brittannischen Insuln herum nehmen, und ob der Capitain schon treffliche Lust hatte den Spaniern auf der Strasse nach America, ein und andern Possen zu spielen, so wolte er doch vorhero erstlich genauere Kundschafft einziehen, allein ehe dieses geschahe, thaten wir einen herrlichen Zug, an einer Frantzösischen nach Irrland abgeschickten Fregatte, auf welcher 16000. Louis d'or nebst andern trefflichen Sachen, und etlichen Etaats-Gefangenen, unsere Beute wurden. Die vornehmsten Gefangenen nebst den Briefschafften, lieferten wir gegen Erlegung einer billigen discretion an einen Engelländer aus, der lange Zeit vergeblich auf diese Fregatte gelauret hatte, besetzten dieselbe, nachdem wir die übrigen Gefangenen vertheilet, mit etlichen von unsern Leuten, worunter auch ich war, also ein Neben-Schiff zu commandiren hatte, und richteten unseren Cours, in dem Mexicanischen Meere zu kreutzen.
Auf der Portugisischen Insul Madera, nahmen wir frisches Wasser ein, und fanden daselbst gleichfalls ein Holländisches, doch von den Spaniern sehr übel zugerichtetes Frey-Beuter-Schiff, dessen Capitain nebst den besten Leuten geblieben waren, unter dem übrigen Lumpen-Gesinde aber war eine solche Verwirrung, daß niemand wuste wer Koch oder Keller seyn wolte. Wir führeten ihnen ihren elenden Zustand, worinnen sie sich befanden, zu Gemüthe, und brachten sie mit guter Art dahin, sich mit uns zu vereinigen, und unter unsers Capitains Commando alles mit zu wagen, halffen also ihr Schiff wieder in vollkommen guten Stand setzen, und seegelten [65] voll grosser Hoffnung auf die Bermudischen Insuln zu. Unterweges bemächtigten wir uns eines Spanischen Jagd-Schiffs, welches die Sicherheit der See ausspüren solte, indem sich die Spanische Silber-Flotte bey der Insul Cuba versammlet, und fast im Begriff war nach Europa zu schiffen. Wir nahmen das Wenige, so nebst den Gefangenen auf dieser Jagd gefunden wurde, auf unsere Schiffe, und bohrten die Jagd zu grunde, weil sie uns nichts nützen konte, eileten aber, uns bey Cuba einzufinden, und wo möglich von der Silber-Flotte etwas abzuzwacken. Es vereinigten sich noch 2. Holländische und ein Englischer Frey-Beuter mit uns, so daß wir damals 6. wohl ausgerüstete Schiffe starck waren, und auf selbigen ingesamt 46.Canonen, nebst 482. wohlbewehrten Leuten aufzeigen konten, hiermit konte man nun schon ein Hertz fassen, etwas wichtiges zu unternehmen, wie wir denn auch in der That die Hände nicht in den Schooß legten; sondern die Cubaner, Hispaniolaner, und andere feindliche Insuln starck allarmirten, und alle Spanische Handels-Schiffe Preiß machten, so daß auch der Geringste unter uns, seine deßfals angewandte Mühe reichlich belohnt schätzte, und niemand von Armuth oder Mangel zu reden Ursach hatte.
Wir erfuhren demnach, daß das Glück den Wage-Hälsen öffters am geneigtesten sey. Denen Herrn Spaniern aber war wegen ihrer Silber-Flotte nicht eben allzuwohl bey der Sache, indem sie sich ohnfehlbar unsere Schiffs-Armade weit stärcker einbilden mochten, rüsteten derowegen, wie [66] wir gar bald in Erfahrung brachten, 10. biß 12. leichte Kriegs-Schiffe aus, um uns, als unangenehme und gefährliche Gäste, entweder, wo nicht Gefänglich einzubringen, doch zu zerstreuen. Der Engels-Mann als unser bißherigerCompagnon, mochte entweder zu wenig Hertze haben, oder aber sich allbereit reich genung schätzen, derowegen treñete er sich mit seinem Schiff und Barque, worauff er ingesamt 120. Mann nebst 12. Canonen hatte, von uns, und war Willens sich zwischenCuba und Hispaniola durch zu practiciren, von dar, aus gewissen Ursachen nach Virginien zu gehen. Allein man hat uns bald hernach versichert, daß ihn die Spanier ertappt, geplündert und schändlicher weise ermordet haben.
Unsere Capitains fanden indessen nicht vor rathsam, einen Angriff von den Spaniern zu erwarten, weil ohnedem unsere Schiffe nicht allein eine baldige Außbesserung vonnöthen hatten, sondern auch viele von unsern Leuten, deren wir doch, seit der abreise aus Amsterdam, nicht mehr als 14. eingebüsset, von denen vielen fatiguen sehr merode waren. Wir stelleten demnach unsere Farth auf die unsern Lands-Leuten zuständige Insul Curacao, oder wie sie einige nennen, Curassau zu, machten aber unterweges noch ein mit Cacao, Banille, Marmelade, Zucker und Toback beladenes Schiff, zu angenehmer Beute. Wenig Tage darauff, favorisirte das Glück noch besser, indem gantz von ohngefehr, und ohne vieles Blutvergiessen 3. Barquen mit Perlen-Austern, in unsere Hände fielen, womit wir denen Herren Spaniern die Mühe erspareten, selbige [67] ausmachen zu lassen, und dieser Arbeit, bey müßigen Stunden, uns gar im geringsten nicht zu schämen willens waren.
Mit allen diesen Reichthümern nun, landeten wir glücklich bey Curacao an, der Gouverneur daselbst empfing uns, nachdem wir ihm unsere Pasporte gezeiget, auch von ein und andern, richtigen rapport abgestattet hatten, mit grossen Freuden, zumahlen da er von uns ein ansehnliches Præsent empfieng. Jedoch nachdem unsere Capitains die damalige Beschaffenheit der Sachen und der Zeit etwas genauer überlegten, befanden wir auf einrathen des Gouverneurs vor nützlicher, die Insul Bonatry zu unserm Ruhe-Platz zu erwehlen, und unsere Schiffe daselbst auszubessern. Es wurde deßwegen aller möglichste Fleiß angewendet, nachhero aber beschlossen, eine rechte Niederlage daselbst aufzurichten, weßwegen wir, mit Hülffe der daselbst wohnenden nicht ungeschickten Indianer, anfiengen, kleine Häuser zu bauen, auch vor den Anlauff eine gar artige Festung anlegten, und dieselbe nach und nach immer zu verbessern willens waren. Die Indianer erzeigten sich ungemein Dienstfertig gegen uns, wir gaben ihnen von dem unserigen, was sie brauchten, und wir entbehren konten, hergegen waren sie wiederum fleißig das Feld zu bauen, und Mahis, James, Palates, auch Guineisch Korn zu zeugẽ, welches uns trefflich wohl zu statten kam, nächst dem legten sie sich auch mehr, als sonsten, auf die ordentliche Haußhaltung und Viehzucht, denn es gab daselbst Ochsen, Kühe, Pferde, Schweine, vor allem andern aber Ziegen im Uberfluß, so daß nicht nur wir [68] zulängliche Nahrungs-Mittel hatten, sondern auch unsere Lands-Leute auf den benachbarten Insuln, mit eingesaltzenen Fleische und andern Sachen besorgen konten. Anbey thaten wir manchen Stich in die See, und bereicherten uns nicht allein mit lauter Spanischen und Frantzösischen Gütern, sondern thaten beyden Nationen allen ersinnlichen Schaden und gebranntes Hertzeleyd an.
Ich vor meine Person, hatte mir einen ziemlichen Schatz an Gold, Silber, Perlen, und andern kostbaren Sachen gesammlet, wovon ich das meiste auf der Insul an unterschiedliche Oerter vergrub, wo ich nicht leicht befürchten durffte, daß es ohne meine Anweisung jemand finden würde. Ubrigens lebten wir ingesamt so vergnügt auf der Insul, daß es, nachdem wir 3. Jahr lang darauff zugebracht, das Ansehen hatte, als sehnete sich kein eintziger wieder nach seinem Vaterlande.
Nach so langer Zeit wurde Kundschafft eingebracht, daß die Spanier abermals mit einer reich beladenen Silber-Flotte zurück nach Europa seegeln wolten, also machten wir einen Anschlag, etwas davon zu erhaschen, giengen mit zwey der Besten und wol ausgerüsteten Schiffe, auch der resolutesten Mannschafft in See, und laureten um die Gegend der Caribischen Insuln auf dieselbe, brauchten anbey alle möglichste Vorsicht, um nicht entdeckt zu werden. Unsere Bemühung war deßfalls so wenig als sonsten vergebens, indem wir eines Morgens sehr frühe, nach vorhero ausgestandenen ziemlichen Sturme, ein von der Flotte verschlagenes Spanisches Schiff mit List erhaschten, mit Gewalt [69] eroberten, und an gediegenen Silber, auch andern Kostbarkeiten mehr darauff antraffen, als wir uns fast hätten einbilden können. Die Flotte hatte aus dem hefftigen Donnern des Geschützes, Unrath vermerckt, und errathen, daß eins von ihren Schiffen inAction begriffen sey, derowegen auch zwey von ihren Schiffen zum Succurs dahin geschickt, allein wir waren mit unserer Prise allbereit zur Richtigkeit gekommen, da wir den succurs noch gantz von ferne erblickten, hielten aber nicht vor rathsam dessen Ankunfft zu erwarten, sondern nahmen die Flucht auf recht verwegene Art, bey Porto Ricco hindurch, und gelangeten mit vielen Vergnügen wieder, bey unserer zurückgelassenen Mannschafft, auf der Insel Bonatry an.
Nunmehro waren wir erstlich eifriger als jemals beflissen, nicht allein unsere Wohnungen, Feld-Bau und Vieh-Zucht, mit Beyhülffe der Indianer, in vollkommen bequeme Form zu bringen, sondern avancirten auch in weniger Zeit mit unsern Vestungs-Bau dermassen, daß wir diese Insul wider alle feindliche Anfälle ungemein sicher machten. Etliche von den Unsern hatten bey Gelegenheit Spanische und Frantzösische ledige Weibes-Personen erwischt, sich mit selbigen verheyrathet, und Kinder gezeuget, dieses erweckte bey vielen andern eben dergleichen Begierde, weßwegen sie unsern Capitain, als selbst erwehlten Gouverneur unserer Insul forcirten, eine Landung auf Hispaniola zu wagen, weil sich daselbst ungemein schönes, so wohl Spanisches als Frantzösisches Frauenzimmer befinden solte.
[70] Ob nun schon der Capitain dieses Unternehmen anfangs vor allzu verwegen und gefährlich erkañte, so sahe er sich doch letzlich fast gezwungen, dem eifrigen Verlangen der verliebten Venus-Brüder ein Genüge zu thun, und zwey Schiffe hierzu auszurüsten, deren eines ich als Unter-Hauptmann commandirte. Wir lieffen aus, und kamen auf Hispaniola, glücklich an Land. Es erreichten auch die Verliebten ihren erwünschten Zweck, indem sie etliche 30. junge Weibs-Personen zu Schiffe brachten, ich aber, der ich hiebey die Arrier-Guarde führete, war so unglücklich, von den nachsetzenden Spaniern einen gefährlichen Schuß in die rechte Seite, und den andern durch die lincke Wade zu bekommen, weßwegen ich, nebst noch zweyen der Unsern, von den Spaniern erhascht, gefangen genommen und zu ihrem Gouverneur gebracht wurde.
Ein grosses Glück war es bey unserm Unglück, daß uns derselbe in der ersten furie nicht gleich auffhencken ließ, weil er ein verzweiffelt hitziger Mann war. Jedoch wurden wir nach völlig erlangter Gesundheit wenig besser, ja fast eben so schlimm als die Türckischen Sclaven tractiret. Am allerschli sten war dieses: daß ich nicht die geringste Gelegenheit finden konte, meinem redlichen Capitain Nachricht von meinem wiewol elenden Leben zu geben, weil ich versichert war, daß er nichts sparen würde, mich zu befreyen. Nachdem ich aber 3. Jahr in solchen jämmerlichen Zustande hingebracht, erhielt Zeitung, daß mein redlicher Capitain nebst meinen besten Freunden die Insul Bonatry (oder Bon Ayres auch Bon air wie sie andere nennen,) verlassen, [71] und zurück nach Holland gegangen wäre, um sich das rechtmäßige Gouvernement, darüber nebst andern Vollmachten auszubitten. Anbey wurde mir der jetzige Zustand auf selbiger Insul dermassen schön beschrieben, daß mein sehnliches Verlangen, auf solche wieder zu kommen, als gantz von neuen erwachte, zumahlen weñ mich meiner daselbst vergrabenen Schätze erinnerte. Jedoch ich konte, ohne meine Person und Vermögen in die gröste Gefahr zu setzen, nicht erdencken, auf was vor Art ich den Gouverneur etwa einen geschickten Vorschlag wegen meiner Ranzion thun wolte. Muste also noch zwey Jahr als ein Pferde-Knecht in des Gouverneurs Diensten bleiben, ehe sich nur der geringstepracticable Einfall in meinem Gehirne entsponn, wie ich mit guter manier meine Freyheit erlangen könte.
Die Noth erwecket zuweilen bey den Menschen eine Gemüths-Neigung, der sie von Natur sonsten sehr wenig ergeben sind. Von mir kan ich mit Warheit sagen, daß ich mich, auch in meinen damaligen allerbesten Jahren, um das Frauenzimmer und die Liebe, fast gantz und gar nichts bekümmerte. War auch nichts weniger, als aus der intention mit nachHispaniola gegangen, um etwa eine Frau vor mich daselbst zu holen, sondern nur bloß meine Hertzhafftigkeit zu zeigen, und etwas Geld zu gewinnen. Allein itzo, da ich in gröster Noth stack, und kein sicheres Mittel zu meiner Freyheit zu gelangen sahe, nahm meine Zuflucht endlich zu der Venus, weil mir dochApollo, Mars und Neptunus, ihre Hülffe gäntzlich zu verwiegern schienen.
[72] Eines Tages da ich des Gouverneurs Tochter, nebst ihren Cammer Mägdgen, auf ein nah gelegenes Land-Gut spatzieren gefahren, und im Garten gantz allein bey der erstern war, setzte sich dieselbe auf eine grüne Banck nieder, und redete mich auf eine freye Art also an: Wolffgang! sagt mir doch, was ihr vor ein Lands Mann seyd, und warum man euch niemals so lustig als andere Stall-Bedienten siehet. Ich stutzte anfänglich über diese Anrede, gab aber bald darauff mit einem tieffgeholten Seuffzer zur Antwort: Gnädiges Fräulein, ich bin ein Teutscher von Geburth, zwar von mittelmäßigen Herkommen, habe mich aber in Holländischen Diensten durch meine Courage, biß zu dem Posten eines Unter-Hauptmanns geschwungen, und letztens auf dieser Insul das Unglück empfunden, gefährlich blessirt und Gefangen zu werden. Hierauff erwiederte sie mit einer niedergeschlagenen und etwas negligent scheinenden mine: Ich hätte euch zum wenigsten wegen eurer guten Visage, Adelichen Herkommens geschätzt. Stund damit auf, und gieng eine gute Zeit in tiefen Gedancken gantz allein vor sich spatzieren. Ich machte allerhand Glossen über ihre Reden, und war mir fast leyd, daß ich von meinem Stande nicht etwas mehr geprahlet hatte, doch vielleicht (gedachte ich,) gehet es in Zukunfft mit gutermanier besser an. Es geschahe auch, denn ehe wir wieder zurück fuhren, nahm sie Gelegenheit, mir mit einer ungemeinen verliebten Mine noch dieses zu sagen: Wolffgang! Wo euch an eurer Freyheit, Glück und Vergnügen etwas gelegen; so scheuet euch nicht, mir von eurem [73] Stande und Wesen nähere Nachricht zu geben, und seyd versichert, daß ich euer Bestes eilig befördern will und kan, absonderlich wo ihr einige Zärtlichkeit und Liebe vor meine Person heget. Sie wurde bey den letztern Worten Feuerroth, sahe sich nach ihren Mägdgen um, und sagte noch zu mir: Ihr habt die Erlaubniß mir in einem Briefe euer gantzes Hertz zu offenbaren, und könnet denselben morgen meinem Mägdgen geben, seyd aber redlich und verschwiegen.
Man wird mich nicht verdencken, daß ich diese schöne Gelegenheit meine Freyheit zu erlangen, mit beyden Händen ergriff. Donna Salome (so hieß das Fräulein,) war eine wohlgebildete Person von 17. biß 18. Jahren, und solte einen, zwar auch noch jungen, aber einäugigen und sonst überaus heßlichen Spanischen wohlhabenden Officier heyrathen, welches ihre eigene Mutter selbst nicht billigen wolte, aber doch von dem eigensinnigen Gouverneur darzu gezwungen wurde. Ich könte diesem nach eine ziemlich weitläufftige Liebes-Geschicht von derselben und mir erzehlen, allein es ist mein Werck nicht. Kurtz! Ich schrieb an die Donna Salome, und machte mich nach ihrem Wunsche selbst zum Edelmanne, entdeckte meine zu ihr tragende hefftige Liebe, und versprach alles, was sie verlangen könte, wo sie mich in meine Freyheit setzen wolte.
Wir wurden in wenig Tagen des gantzen Krahms einig. Ich that ihr einen Eyd, sie an einen sichern Orth, und so bald als möglich, nach Europa zu führen, mich mit ihr ordentlich zu verheyrathen, [74] und sie Zeit Lebens vor meine rechte Ehe-Gemahlin zu ehren und zu lieben. Hergegen versprach sie mir, nebst einem Braut-Schatze von 12000. Ducaten und andern Kostbarkeiten, einen sichern Frantzösischen Schiffer auszumachen, der uns vor gute Bezahlung je ehe je lieber nach der Insul Bon air bringen solte.
Unser Anschlag gieng glücklich von statten, denn so bald wir erlebten, daß der Gouverneur in eigener Person jene Seite der Insul visitirte, packten wir des Nachts unsere Sachen auf leichte, darzu erkauffte Pferde, und jagten von sonst niemand als ihren Mägdgen begleitet, in etlichen Stunden an dasjenige Ufer, allwo der bestellte Frantzösische Schiffer unserer mit einem leichten Jagd-Schiffe wartete, uns einnahm, und mit vollen Seegeln nach Bon air zu eilete. Daselbst landeten wir ohne einig auszustehende Gefahr an, man wolte uns zwar anfänglich das Aussteigen nicht vergönnen, jedoch, so bald ich mich melden ließ, und erkannt wurde, war die Freude bey einigen guten Freunden und Bekandten unbeschreiblich, welche dieselben über mein Leben und glückliche Wiederkunfft bezeigten. Denn man hatte mich nun seit etlichen Jahren längst vor todt gehalten.
Monsieur van der Baar, mein gantz besonderer Freund, und ehemaliger Schiffs-Quartier-Meister, war Vice Gouverneur daselbst, und ließ mir, vor mich und meine Liebste, sogleich ein fein erbautes Hauß einräumen, nach etlichen Tagen aber, so bald wir uns nur ein wenig eingerichtet, muste uns einer von den zwey daselbst befindlichen Holländischen [75] Priestern ehelich zusammen geben. Ich ließ auf mehr als 50. Personen eine, nach dasiger Beschaffenheit, recht kostbare Mahlzeit zurichten, vor alle andern aber, auch so gar vor die Indianischen Familien, weiß Brod, Fleisch, Wein und ander starck Geträncke austheilen, damit sich nebst mir, jederman zu erfreuen einige Ursach haben möchte. Der Vice-Gouverneur ließ mir zu Ehren, beym Gesundheit Trincken, die Stücken auf den Batterien tapffer abfeuren, damit auch andereInsulaner hören möchten, daß in selbiger Gegend etwas Besonderes vorgienge, kurtz, wir lebten etliche Tage, auf meine Kosten rechtschaffen lustig. Meine nunmehrige Ehe-Liebste, die Donna Salome, war so hertzlich vergnügt mit mir, als ich mit ihr, indem ich nun erst in ihren süssen Umarmungen empfand, was rechtschaffene Liebe sey. Es solte mancher vermeinen, ich würde am allerersten nach meinen vergrabenen Schätzen gelauffen seyn, allein ich bin warhafftig so gelassen gewesen, und habe dieselbe erst 8. Tage nach unserer Hochzeit gesucht, auch ohnversehrt glücklich wieder gefunden, und meiner Liebste dieselben in der Stille gezeiget. Sie erstaunete darüber, indem sie mich nimmermehr so reich geschätzt, nunmehro aber merckte, daß sie sich an keinen Bettel-Mann verheyrathet habe, und derowegen vollkommen zufrieden war, ohngeacht ich ihr offenbarete, daß ich kein Edelmann, sondern nur aus Bürgerlichen Stande sey.
Vier Monath nach meiner glücklichen Wiederkunfft, nachdem wir unsere Haußhaltung in vortrefflichen Stand gesetzt, hatte ich die Freude, meinen [76] altenCapitain zu umarmen, welcher eben aus Holland wieder zurück kam, und nicht allein die Confirmation über seine Gouverneur-Charge, sondern auch weit wichtigere Vollmachten, nebst vielen höchst-nöthigen Dingen, in 3. Schiffen mit brachte. Er erzehlete mir, daß, nach der Versicherung meines Todes, er alsofort mein zurückgelassenes Vermögen durch redliche und theils gegenwärtige Personen taxiren lassen, welches sich auf 6. tausend Thlr. werth belauffen, hiervon habe er meinem jüngern Bruder, den er nach Amsterdam zu sich verschrieben, vor ihn und das andere Geschwister 5000. Thlr. gezahlet, ein tausend aber vor sich selbst zur Erbschafft, vor die meinetwegen gehabte Mühe, behalten, welche er mir aber nunmehro, da er die Freude hätte, mich wieder zu finden, gedoppelt bezahlen wolte; Allein, ich hatte eine solche Freude über seine Redlichkeit, daß ich ihn beschwur, hiervon nichts zu gedencken, indem ich, weil ich vergnügt wäre, mich reich genug zu seyn schätze, und wohl wüste, daß ihm selbst ein noch weit mehreres schuldig sey.
Wir lebten nachhero in der schönsten Einträchtigkeit beysammen, Monsieur van der Baar muste mit 50. Mannen, und allerhand ihm zugegebenen nothdürfftigen Sachen, eine andere kleine Insul bevölckern, ich aber wurde an dessen Statt Vice-Gouverneur, und war fast nicht mehr willens, in Zukunfft auf Frey-Beuterey auszugehen, sondern, bey meiner Liebens-würdigen Salome, mein Leben in Ruhe zuzubringen, wie denn dieselbe ihr Verlangen nach Europa gäntzlich fahren ließ, und [77] nichts mehr wünschte, als in meiner beständigen Gegenwart Lebens-lang auf dieser Insul zu bleiben. Allein, o Jammer! mein innigliches Vergnügen währete nicht lange, denn da meine Hertz-allerliebste Ehe-Frau im zehenden Monath nach unserer Copulation durch eine entsetzliche schwere Geburth eine todte Tochter zur Welt gebracht hatte, vermerckte sie bald darauf die Anzeigungen ihres eigenen herran nahenden Todes. Sie hatte sich schon seit etlichen Wochen mit den Predigern, der Religion wegen, fast täglich unterredet, und alle unsere Glaubens-Articul wohl gefasset, nahm derowegen aus hertzlichen Verlangen nach dem heiligen Abendmahle die Protestantische Religion an, und starb folgenden Tages sanfft und seelig.
Ich mag meinen Schmertzen, den ich damahls empfunden, in Gegenwart anderer voritzo nicht erneuern, sondern will nur so viel sagen, daß ich fast nicht zu trösten war, und in beständiger Tieffsinnigkeit nirgends Ruhe zu suchen wuste, als auf dem Grabe meiner Liebsten, welches ich mit einem ziemlich wohl ausgearbeiteten Steine bedeckte und mit eigener Hand folgende Zeilen darauf meisselte:
Hier liegt ein schöner Raub, den mir der Todt geraubt,
Nachdem der Freyheits-Raub den Liebes-Raub erlaubt.
Es ist ein seelig Weib. Wer raubt ihr diesen Orden?
Doch ich, als Wittber, bin ein Raub des Kummers worden.
[78] Unten drunter meisselte ich fernere Nachricht von ihrer und meiner Person, nebst der Jahr-Zahl, ein, um die Curiosität der Nachkommen zu vergnügen, ich hergegen wuste weiter fast nichts mehr von einigen Vergnügen in der Welt, ward dannenhero schlüssig, wieder nach Europa zu gehen, um zu versuchen, ob ich daselbst, als in der alten Welt, einige Gemüths-Ruhe finden, und meine Schmertzen bey der begrabenen geliebten Urheberin derselben in der Neuen Welt zurück lassen könte. Dieses mein Vorhaben entdeckte ich dem Capitain, als unsern Gouverneur, welcher mir nicht allein die hierzu benöthigten freywilligen Leute, sondern auch eins der besten Schiffe, mit allen Zubehör versehen, auszulesen, ohne die allergeringste Schwierigkeit, vielmehr mit rechten Freuden, erlaubte. Jedoch mich inständig bat, bald wieder zu kommen, zumahlen, wenn ich meine Meublen und Baarschafften wohl angelegt hätte.
Ich versprach alles, was er von mir verlangte, und seegelte, nachdem er mich mit vielen wichtigen Commissionen und guten Pasporten versehen, im Nahmen des Himmels von der mir so lieb gewesenen Insel nach Europa zu, und kam, ohne besondere Hinderniß, nach verflossener ordentlicher Zeit glücklich in Amsterdam an.
Binnen 2. Monathen richtete alle mir aufgetrageneCommissionen aus, überließ das Schiff an meines Capitains Compagnons, und gab ihnen zu verstehen, daß erstlich in mein Vaterland reisen, und mich alldaresolviren wolte, ob es weiter [79] mein Werck seyn möchte, wieder in See zu gehen oder nicht. Packte nachhero alles mein Vermögen auf, und ging nach Lübeck zu meinem ehemahligen Patrone, der mich mit grösten Freuden empfing, in sein Hauß auf so lange aufnahm, biß ich einen richtigen Schluß gefasset, wohin mich nunmehro wenden wolte. Da mir aber dieser mein Patron erzehlete, daß sein Sohn, mit dem ich ehemahls in Grypswalde studiret, nunmehro vor ein paar Jahren einen ansehnlichen Dienst in Dantzig bekommen hätte, machte mich auf die Reise, ihn daselbst zu besuchen, nachdem ich vorhero meinem Bruder, der ohne mich der jüngste war, schrifftlich zu wissen gethan, daß er mich in Dantzig antreffen würde.
Derselbe nun hatte sich nicht gesäumet, sondern war noch zwey Tage eher als ich bey dem beschriebenen guten Freunde eingetroffen, indem nun ich aucharrivirte, weiß ich nicht, ob ich bey dem Bruder oder dem Freunde mehr Freude und Liebes-Bezeugungen antraff, wenigstens stelleten sie sich einander gleich. Nachdem wir uns aber etliche Tage rechtschaffen mit einander ergötzt, schickte ich meinen Bruder mit einem ansehnlichen Stück Geldes nach meinem Vaterlande, und überließ ihn die Sorge, durch einen geschickten Juristen, einen Pardon-Brief bey der höchsten Landes-Obrigkeit vor mich auszuwircken, wegen des in Franckfurt erstochenen Studenten. Weil nun mehrentheils auf der Welt das Geld alles ausmachen kan, so war auch ich in diesem Stück nicht unglücklich, sondern erhielt nach Verlauff etlicher [80] Wochen den verlangten Pardon-Brief, und konte nach geno enen zärtlichen Abschiede von meinem Freunde sicher in meine Geburths-Stadt reisen, nachdem ich in Dantzig die Zeit ungemein vergnügt zugebracht, und mit den vornehmsten Kauff- und andern Leuten genaue Kund- und Freundschafft gepflogen hatte.
Meine Geschwister, Bluts- und Muths-Freunde empfingen mich mit gantz ausserordentlichen Vergnügen, konte also in den ersten 4. Wochen wenig thun, als zu Gaste gehen, nachhero ließ mich zwar bereden, daselbst in Ruhe zu bleiben, zu welchem Ende ich ein schönes Gut kauffen, und eine vortheilhafft Mariage treffen solte, allein, weil es vielleicht nicht seyn solte, muste mir eine unverhoffte Verdrüßlichkeit zustossen, die zwar an sich selbst wenig importirte, allein ich ward auf einmahl capricieus, setzte meinen Kopff auf, resolvirte mich, wieder zur See zu gehen, und reisete, nachdem ich mich über ein Jahr zu Hause aufgehalten, meine Verwandten und Freunde auch reichlich beschenckt, ohne fernern Zeit-Verlust wieder nach Amsterdam.
Es hielt daselbst nicht schwer, einen neuen Brief vor mich als Capitain eines Frey-Beuter Schiffs heraus zu kriegen, zumahl da mich selbst equippiren wolte, ich warb Leute an, bekam aber, wie ich nachhero erfahren muste, zu meinem Unglücke den Abschaum aller Schelmen, Diebe, und des allerliederlichsten Gesindels auf meinem Schiff, mit selbigen wolte ich nun eine neue Tour nach West-Indien vornehmen, so bald mich aber nur auf dem [81] grossen Atlantischen Meere befand, änderten sie auf Einrathen eines Ertz-verruchten Bösewichts, der sich Jean le Grand nennete, und den ich wegen seines guten Ansehens und verstellten rechtschaffenen Wesens, zum nächsten Commandeur nach mir gemacht hatte, ihreResolution, und zwungen mich, sie nach Ost-Indien zu führen. Ihr ungestümes Wesen ging mir zwar sehr im Kopffe herum, jedoch ich muste klüglich handeln, und mich in die Zeit schicken, da aber ihre Boßheit überhand nahm, und von einigen die verzweiffeltesten und liederlichsten Streiche gemacht wurden, ließ ich die Rädels-Führer exemplarisch bestraffen, setzte auch hiermit, meines Bedünckens, die übrigen alle in ziemliche Furcht. Immittelst waren wir allbereit dieLinie passiret, als uns ein entsetzlicher Sturm von der Ost-Indischen Strasse ab- im Gegentheil nach demBrasilischen Meere hin-, wo das Mittägliche America liegt, getrieben hatte. Ich brauchte alle meine Beredsamkeit diesen uns von dem Glück gewiesenen Weg zu verfolgen, und versicherte, daß wir in America unser Conto weit besser finden würden, als in Ost-Indien; allein, meine Leute wolten fast alle anfangen zurebelliren, und durchaus meinem Kopffe und Willen nicht folgen, weßwegen ich ihnen auch zum andern mahle nachgab, allein, sie erfuhren es mit Schaden, weil wir in öfftern Stürmen bey nahe das Leben und alles verlohren hätten. Endlich erholeten wir uns auf einer gewissen Insul in etwas, und waren allbereits den Tropicum capricorni passiret, da mir die unruhigsten Köpffe abermahls allerhand verfluchte [82] Händel auf dem Schiffe machten. Ich wolte die ehemalige Schärffe gebrauchen, allein, Jean le Grand trat nunmehro öffentlich auf, und sagte: Es wäre keine Manier, Frey-Beuter also zu tractiren, ich solte mich moderater aufführen, oder man würde mir etwas anders weisen.
Dieses war genung geredet, mich völlig in Harnisch zu jagen, kaum konte mich enthalten, ihm die Fuchtel zwischen die Ohren zu legen, doch ließ ihn durch einige annoch Getreuen in Arrest nehmen, und krumm zusammen schliessen. Hiermit schien es, als ob alle Streitigkeiten beygelegt wären, indem sich kein eintziger mehr regte, allein, es war eine verdammte List, mich, und diejenigen, die es annoch mit mir hielten, recht einzuschläffern. Damit ich es aber nur kurtz mache: Einige Nachte hernach machten dieRebellen den Jean le Grand in der Stille von seinen Ketten loß, erwehleten ihn zu ihrem Capitain, mich aber überfielen sie des Nachts im Schlaffe, banden meine Hände und Füsse mit Stricken, und legten mich auf den untersten Schiffs-Boden, allwo zu meinem Lebens-Unterhalte nichts anders bekam als Wasser und Brod. Die Leichtfertigsten unter ihnen hatten beschlossen gehabt, mich über Boord in die See zu werffen, doch diejenigen, so noch etwa einen halben redlichen Bluts-Tropffen im Leibe gehabt, mochten diesen unmenschlichen Verfahren sich eifferig widersetzt haben, endlich aber nach einem abermahls überstandenen hefftigen Sturme, da das Schiff nahe an einem ungeheuern Felsen auf den Sand getrieben worden, und nach 2. Tagen erstlich [83] wieder Flott werden konte, wurde ich, vermittelst eines kleinen Boots, an dem wüsten Felsen ausgesetzt, und muste mit thränenden Augen die rebellischen Verräther mit meinem Schiffe und Sachen davon seegeln, mich aber von aller menschlichen Gesellschafft und Hülffe an einen gantz wüsten Orte gäntzlich verlassen sehen. Ich ertrug mein unglückliches Verhängniß dennoch mit ziemlicher Gelassenheit, ohngeacht keine Hoffnung zu meiner Erlösung machen konte, zudem auch nicht mehr als etwa auf 3. Tage Proviant von der Barmhertzigkeit meiner unbarmhertzigen Verräther erhalten hatte, stellete mir derowegen nichts gewissers, als einen baldigen Todt, vor Augen. Nunmehro fing es mich freylich an zu gereuen, daß ich nicht auf der Insul Bon air bey dem Grabe meiner liebsten Salome, oder doch im Vaterlande, das Ende meines Lebens erwartet, so hätte doch versichert seyn können, nicht so schmählich zu sterben, und da ich ja gestorben, ehrlich begraben zu werden; allein es halff hier nichts als die liebe Gedult und eine christliche Hertzhafftigkeit, dem Tode getrost entgegen zu gehen, dessen Vorbothen sich in meinem Magen und Gedärme, ja im gantzen Cörper nach aufgezehrten Proviant und bereits 2. tägigem Fasten deutlich genung spüren liessen.
Die Hitze der Sonnen vermehrete meine Mattigkeit um ein grosses, weßwegen ich an einen schattigten Ort kroch, allwo ein klares Wasser mit dem grösten Ungestüm aus dem Felsen heraus geschossen kam, hiermit, und dann mit einigen halbverdorreten Kräutern und Wurtzeln, die doch sehr [84] sparsam an dem rings herum gantz steilen Felsen anzutreffen waren, konte ich mich zum Valet-Schmause auf der Welt noch in etwas erquicken. Doch unversehens hörete die starcke Wasser-Fluth auf einmahl auf zu brausen, so, daß in Kurtzen fast kein eintziger Wasser-Troffen mehr gelauffen kam. Ich wuste vor Verwunderung und Schrecken nicht, was ich hierbey gedencken solte, brach aber in folgende wehmüthige Worte aus: So muß denn, armseeliger Wolffgang! da der Himmel einmahl deinen Untergang zu beschleunigen beschlossen hat, auch die Natur den ordentlichen Lauff des Wassers hemmen, welches vielleicht an diesem Orte niemahls geschehen ist, weil die Welt gestanden hat, ach! so bete denn, und stirb. Ich fing also an, mit weinenden Augen, den Himmel um Vergebung meiner Sünden zu bitten, und hatte den festen Vorsatz, in solcher heissen Andacht zu verharren, biß mir der Todt die Augen zudrückte.
Was kan man doch vor ein andächtiger Mensch werden, wenn man erstlich aller menschlichen Hülffe beraubt, und von seinem Gewissen überzeugt ist, daß man der Göttlichen Barmhertzigkeit nicht würdig sey? Ach! da heist es wohl recht: Noth lernet beten. Doch ich bin ein lebendiger Zeuge, daß man die Göttliche Hülffe sodann erstlich rechtschaffen erkennen lerne, wenn uns alle Hoffnung auf die menschliche gäntzlich entnommen worden. Doch weil mich GOtt ohnfehlbar zu einem Werckzeuge ausersehen, verschiedenen Personen zu ihrer zeitlichen, noch mehrern aber zu ihrer geistlichen Wohlfarth behülfflich zu seyn, so hat er mich auch [85] in meiner damahligen allergrösten Lebens-Gefahr, und zwar folgender Gestalt, wunderlich erhalten:
Als ich mich nach Zurückbleibung der Wasser-Fluth in eine Felsen-Klufft hinein geschmieget, und unter beständigen lauten Seuffzen und Bethen mit geschlossenen Augen eine baldige Endigung meiner Quaal wünschte; hörete ich eine Stimme in Teutscher Sprache folgende Worte nahe bey mir sprechen: Guter Freund, wer seyd ihr? und warum gehabt ihr euch so übel? So bald ich nun die Augen aufschlug, und 6. Männer in gantz besonderer Kleidung mit Schieß-und Seiten-Gewehr vor mir stehen sahe, kam mein auf der Reise nach der Ewigkeit begriffener Geist plötzlich wieder zurücke, ich konte aber, ich glaube, theils vor Schrecken, theils vor Freuden kein eintzig Wort antworten, sie redeten mir derowegen weiter zu, erquickten mich mit einem besonders wohlschmeckenden Geträncke und etwas Brodt, worauf ihnen meine gehabten Fatalitäten kürtzlich erzehlete, um alle möglichste Hülffe, gegen bevorstehende Gefahr zu verhungern anhielt, und mich anbey erkundigte, wie es möglich wäre, an diesem wüsten Orthe solche Leute anzutreffen, die meine Mutter-Sprache redeten? Sie bezeugten durch Gebärden ein besonderes Mitleyden wegen meines gehabten Unglücks, sagten aber: Guter Freund, sorget vor nichts, ihr werdet an diesem wüste und unfruchtbar scheinenden Orthe alles finden, was zu eurer Lebens-Fristung nöthig seyn wird, gehet nur mit uns, so soll euch in dem, was ihr zu wissen verlanget, vollkommenes Genügen geleistet werden.
[86] Ich ließ mich nicht zweymahl nöthigen, wurde also von ihnen in den Schlund des Wasser-Falles hinein geführet, allwo wir etliche Stuffen in die Höhe stiegen, hernach als in einem finstern Keller, zuweilen etwas gebückt, immer aufwarts gingen, so, daß mir wegen unterschiedlicher einfallender Gedancken angst und bange werden wolte, indem ich mir die 6. Männer bald als Zauberer, bald als böse, bald als gute Engel vorstellete. Endlich, da sich in diesem düstern Gewölbe das Tages-Licht von ferne in etwas zeigte, fassete ich wieder einen Muth, merckte, daß, je höher wir stiegen, je heller es wurde, und endlich kamen wir an einem solchen Orthe heraus, wo meine Augen eine der allerschönsten Gegenden von der Welt erblickten. An diesem Ausgange waren auf der Seite etliche in Stein gehauene bequeme Sitze, auf deren einen ich mich niederzulassen und zu ruhen genöthiget wurde, wie sich denn meine Führer ebenfals bey mir niederliessen, und fragten: Ob ich furchtsam und müde worden wäre? Ich antwortete: Nicht sonderlich. Hatte aber meine Augen beständig nach der schönen Gegend zugewand, welche mir ein irdisch Paradieß zu seyn schien. Mittlerweile bließ der eine von meinen Begleitern 3. mahl in ein ziemlich grosses Horn, so er an sich hangen hatte, da nun hierauf 6. mahl geantwortet worden, ward ich mit Erstaunen gewahr, daß eine gewaltige starcke Wasser-Fluth in dem leeren Wasser-Graben hergeschossen kam, und sich mit gräßlichen Getöse und grausamer Wuth in diejenige Oeffnung hinein stürtzte, wo wir herauf gekommen waren.
[87] So viel ists, Messieurs, sagte hier der Capitain Wolffgang, als ich euch vor dießmahl von meiner Lebens-Geschicht erzehlet haben will, den übrigen Rest werdet ihr bey bequemerer Gelegenheit ohne Bitten erfahren, geduldet euch nur, biß es erstlich Zeit darvon ist. Hiermit nahm er, weil es allbereit ziemlich spät war, Abschied von den andern, mich aber führete er mit in seine Cammer, und sagte: Mercket ihr nun, mein Sohn, Monsieur Eberhard Julius! daß eben diese Gegend, welche ich itzo als ein irrdisches Paradieß gerühmet, dasjenige Gelobte Land ist, worüber euer Vetter, Albertus Julius, als ein Souverainer Fürst regieret? Ach, betet fleißig, daß uns der Himmel glücklich dahin führet, und wir denselben noch lebendig antreffen, denn den weitesten Theil der Reise haben wir fast zurück gelegt, indem wir in wenig Tagen die Linie passiren werden. Hierauf wurde noch ein und anderes zwischen mir und ihm verabredet, worauf wir uns beyderseits zur Ruhe legten.
Es traff ein, was der Capitain sagte, denn 5. Tage hernach kamen wir unter die Linie, allwo doch vor dieses mahl die sonst gewöhnliche excessive Hitze nicht eben so sonderlich war, indem wir unsere ordentliche Kleidung ertragen, und selbige nicht mit leichten Leinwand-Kitteln verwechseln durfften. Unsere Matrosen hingegen vergassen bey dieser Gelegenheit ihre wunderlichen Gebräuche wegen des Tauffens nicht, sondern machten bey einer lächerlichenMasquerade mit denenjenigen, so die Linie zum ersten mahle passirten, und sich [88] nicht mit Gelde lösen wolten, eine gantz verzweiffelte Wäsche, ich nebst einigen andern blieb ungehudelt, weiln wir jeder einenSpecies Thaler erlegten, und dabey angelobten, Zeit Lebens, so offt wir an diesen Ort kämen, die Ceremonie der Tauffe bey den Neulingen zu beobachten.
Die vortrefflich schöne Witterung damahliger Zeit, verschaffte uns, wegen der ungemeinen Windstille, zwar eine sehr langsame, doch angenehme Fahrt, der gröste Verdruß war dieser, daß das süsse Wasser, so wir auf dem Schiffe führeten, gar stinckend und mit eckeln Würmern angefüllet wurde, welches Ungemach wir so lange erdulden musten, biß uns der Himmel an die Insul St. Helenæ führete. Diese Insul ist von gar guten Leuten, Englischer Nation, bewohnt, und konten wir daselbst nicht allein den Mangel des Wassers, sondern auch vieler andern Nothwendigkeiten ersetzen, welches uns von Hertzen wohlgefiel, ohngeacht wir binnen denen 12. Tagen, so wir daselbst zubrachten, den Geld-Beutel beständig in der Hand haben musten.
Wenn der Capitain den wollüstgen Leuten unsers Schiffs hätte zu gefallen leben wollen, so lägen wir vielleicht annoch bey dieser Insul vor Ancker, indem sich auf derselben gewiß recht artig Frauenzimmer antreffen ließ, allein er befand, ehe sich dieselbenruinirten, vor rathsam, abzuseegeln, da wir denn am 15. Octobr. den Tropicum Capricorni passirten, allwo die Matrosen zwar wieder eine neue Tauffe anstelleten, doch nicht so scharffe Lauge gebrauchten, als unter der Linie.
[89] Wenig Tage hernach fiel ein verdrüßliches Wetter ein, und ob es wohl nicht beständig hintereinander her regnete, so verfinsterte doch ein anhaltender gewaltig-dicker Nebel fast die gantze Lufft, und konten wir um Mittags-Zeit die Sonne sehr selten und trübe durch die Wolcken schimmern sehen. Wenn uns der Wind so ungewogen als das Wetter gewesen wäre, hätten wir uns des übelsten zu befürchten gnugsame Ursach gehabt, doch dessen gewöhnliche Wuth blieb in ziemlichen Schrancken, obgleich der Regen und Nebel biß in die dritte Woche anhielt.
Endlich zertheilte sich zu unsern allerseits grösten Vergnügen so wohl Regen als Nebel, indem sich die Sonne unsern Augen in ihrer schönsten Klarheit, der Himmel aber ohne die geringsten Wolcken als ein blau-gemahltes Gewölbe zeigte. Und gewißlich diese Allmachts-Geschöpffe erweckten in uns desto grössere Verwunderung, weil wir ausser denselben sonst nichts sehen konten als unser Schiff, die offenbare See, und dann und wann einige schwimmenden Kräuter. Wir bekamen zwar einige Tage hernach auch verschiedene Seltsamkeiten, nemlich See-Kühe, See-Kälber und See-Löwen, Delphine, rare Vögel und dergleichen zu Gesichte, aber nichts fiel mir mit mehrern Vergnügen in die Augen, als, da der Capitain Wolffgang eines Tages sehr frühe mit aufgehender Sonne mir sein Perspectiv gab, und sagte: Sehet, mein Sohn! dorten von ferne denjenigen Felsen, worauf nächst GOtt eure zeitliche Wohlfahrt gegründet ist. Ich wuste mich vor Freuden fast nicht zu lassen, als ich[90] diesen vor meine Person so glücklichen Ort nur von ferne erblickte, ohngeacht ich nichts wahrnehmen konte, als einen ungeheuern aufgethürmten Stein-Klumpen, welcher auch, je näher wir demselben kamen, desto fürchterlicher schien, doch weil mir derCapitain in Geheim allbereis eine gar zu schöne Beschreibung darvon gemacht hatte, bedünckten mich alle Stunden Jahre zu werden, ehe wir diesem Trotzer der Winde und stürmenden Meeres-Wellen gegen über Ancker wurffen.
Es war am 12. Novemb. 1725. allbereit nach Untergang der Sonnen, da wir in behöriger Weite vor dem Felsen die Ancker sincken liessen, weil sich derCapitain vor den ihm gantz wohlbekandten Sand-Bäncken hütete. So bald dieses geschehen, ließ er kurtz auf einander 3. Canon-Schüsse thun, und bald hernach 3. Raqueten steigen. Nach Verlauff einer Viertheils Stunde musten abermahls 3. Canonen abgefeuert, und bey jedem 2. Raqueten gezündet werden, da denn alsofort von dem Felsen mit dreyen Canonen-Schüssen geantwortet wurde, worbey zugleich 3. Raqueten gegen unser Schiff zugeflogen kamen, welches bey denen, so keinen Bescheid von der Sache hatten, eine ungemeine Verwunderung verursachte. Der Capitain aber ließ noch 6. Schüsse thun, und biß gegen Mitter-Nacht alle Viertel Stunden eine Raquete steigen, auch Lust-Kugeln und Wasser-Kegel in die See spielen, da denn unsern Raqueten allezeit andere von dem Felsen entgegen kamen, um Mitter-Nacht aber von beyden Seiten mit 3. Canonen-Schüssen beschlossen wurde.
[91] Wir legten uns hierauf mehrentheils zur Ruhe, biß auf einige, welche von des Capitains generositeé überflüßig profitiren wolten, und sich theils bey einem Glase Brandtewein, theils bey einer SchaaleCoffeé oder Canarien-Sect noch tapffer lustig machten, biß der helle Tag anbrach. Demnach hatten wir schon ausgeschlaffen, da diese nassen Brüder noch nicht einmahl müde waren. Capitain Wolffgang ließ, so bald die Sonne aufgegangen war, den Lieutenant Horn nebst allen auf dem Schiffe befindlichen Personen zusammen ruffen, trat auf den Oberlof, und that ohngefähr folgende Rede an die sä tlich Versammleten:
Messieurs und besonders gute Freunde! Es kan euch nicht entfallen seyn, was ich mit einem jeden ins besondere, hernach auch mit allen insgesa t öffentlich verabredet, da ich euch theils in meiner Compagnie zu reisen, theils aber in meine würcklichen Dienste aufgenommen habe. Die meisten unter euch haben mir einen ungezwungenen Eyd über gewisse Puncte, die ich ihnen wohl erkläret habe, geschworen, und ich muß euch allen zum immerwährenden Ruhme nachsagen, daß nicht ein eintziger, nur mit der geringsten Gebärde, darwider gehandelt, sondern einer wie der andere, vom grösten biß zum kleinesten, sich dergestalt gegen mich aufgeführet, wie ich von honetten, rechtschaffenen Leuten gehofft habe. Nunmehro aber, lieben Kinder, ist Zeit und Ort vorhanden, da ich nebst denen, die ich darzu auf- und angenommen, von euch scheiden will. Nehmet es mir nicht übel, denn es ist vorhero so mit euch verabredet worden. Sehet, [92] ich stelle euch hier an meine Statt den Lieutenant Philipp Wilhelm Horn zum Capitain vor, ich kenne seine treffliche Conduite, Erfahrenheit im See-Wesen und andere zu solcher Charge erforderliche Meriten, folget meinem Rathe und seinem Anführen in guter Einträchtigkeit, so habt ihr mit Göttl. Hülffe an glücklicher Außführung eures Vorhabens nicht zu zweiffeln. Ich gehe nun an meinen auserwehlten Ort, allwo ich die übrige Zeit meines Lebens, ob GOTT will, in stiller Ruhe hinzu bringen gedencke. GOTT sey mit euch und mir. Ich wünsche euch allen, und einem jeden ins besondere tausendfaches Glück und Seegen, gedencket meiner allezeit im Besten, und seyd versichert, daß ich eure an mir erwiesene Redlichkeit und Treue, allezeit danckbar zu erkennen suchen werde, denn wir können einander in Zukunfft dem ohngeacht wol weiter dienen. Inzwischen da ich mein Schiff nebst allen dem was ihr zur Ost-Indischen Reise nöthig habt, an den Capitain Horn, vermöge eines redlichen Contracts überlassen habe, wird hoffentlich niemand scheel sehen, wenn ich diejenigen Meublen so vor mich allein mitgenommen, davon abführe, hernachmals freundlichen Abschied nehme, und euch ingesammt Göttl. Schutz empfehle.
Man hätte, nachdem der Capitain Wolffgang diese seine kleine Oration gehalten, nicht meinen sollen, wie niedergeschlagen sich alle und jede, auch die sonst so wilden Boots-Knechte bezeugten. Ein jeder wolte der erste seyn, ihn mit Thränenden Augen zu umarmen, dieser fiel ihm um den Halß, jener küssete ihm die Hände, andere Demüthigten sich [93] noch tieffer, so daß er selbst weinen und mit manier Gelegenheit suchen muste, von allen Liebkosungen loß zu kommen. Er hielt hierauff noch eine kleine Rede an den neuen Capitain, stellete ihm das Behörige zum Uberflusse nochmals vor, ließ allen, die sich auf dem Schiffe befunden, abermals Wein und ander starckes, auch gelinderes und lieblicher Geträncke reichen, aus den Canonen aber tapffer Feuer geben. Währender Zeit wurden unsere Sachen von dem Schiffe auf Boote gepackt, und nach und nach hinüber an den Felsen geschafft, womit wir zwey vollkommene Tage zubrachten, ohngeachtet von Morgen biß in die Nacht aller Fleiß angelegt wurde.
Am allerwundersamsten kam es einen jeden vor, daß der Capitain an einem solchen Felsen bleiben wolte, wo weder Graß, Kraut noch Bäume, vielweniger Menschen zu sehen waren, weßwegen sich auch einige nicht enthalten konten, ihn darum zu befragen. Allein er gab ihnen lächelnd zur Antwort: Sorget nicht, lieben Kinder, vor mich und die ich bey mir habe, denn ich weiß, daß uns GOTT wol erhalten kan und wird. Wer von euch in des Capitain Horns Gesellschafft wieder mit zurück kömmt, soll uns, ob GOTT will, wieder zu sehen und zu sprechen kriegen.
Nachdem also alle Personen und Sachen so am Felsen zurück bleiben solten, hinüber geschafft waren, lichtete der Capitain Horn seine Ancker und nahm mit 4. Canonen-Schüssen von uns Abschied, wir danckten ihm gleichfalls aus 4. Canonen die Herr Capitain Wolffgang mit an den Felsen zu [94] bringen befohlen hatte, dieses aber war am vergnüglichsten, daß die unsichtbaren Einwohner des Felsens auch kein Pulver spareten, und damit anzeigten, daß sie uns Bewillko en, jenen aber Glück auf die Reise wünschen wolten.
Kaum hatte sich das Schiff aus unsern Augen verlohren, als, indem sich die Sonne bereits zum Untergange geneiget, die sämtlich Zurückgebliebenen ihre begierigen Augen auf den Capitain Wolffgang worffen, um solchergestat stillschweigend von ihm zu erfahren, was er nunmehro mit uns anfangen wolte? Es bestunde aber unsere gantze Gesellschafft aus folgenden Personen:
1. Der Capitain Leonhard Wolffgang, 45. Jahr alt.
2. Herr Mag. Gottlieb Schmeltzer, 33. Jahr alt.
3. Friedrich Litzberg ein Literatus, der sich meistens auf die Mathematique legte, etwa 30. Jahr alt.
4. Johann Ferdinand Kramer, ein erfahrner Chirurgus, 33. Jahr alt.
5. Jeremias Heinrich Plager, ein Uhrmacher und sonst sehr künstlicher Arbeiter, in Metall und anderer Arbeit, seines Alters 34. Jahr.
6. Philipp Harckert, ein Posamentirer von 23. Jahren.
7. Andreas Klemann, ein Pappiermacher, von 36. Jahren.
8. Willhelm Herrlich, ein Drechsler, 32. Jahr alt.
[95] 9. Peter Morgenthal, ein Kleinschmied, aber dabey sehr künstlicher Eisen-Arbeiter, 31. Jahr alt.
10. Lorentz Wetterling, ein Tuchmacher, 34. Jahr alt.
11. Philipp Andreas Krätzer, ein Müller, 36. Jahr alt.
12. Jacob Bernhard Lademann, ein Tischler, 35. Jahr.
13. Joh. Melchior Garbe, ein Büttner, von 28. Jahren.
14. Nicolaus Schreiner, ein Töpffer-Geselle, von 22. Jahren.
15. Ich, Eberhard Julius, damals alt, 191/2 Jahr.
Was wir an Geräthschafften, Thieren und andern Sachen mit ausgeschifft hatten, wird gehöriges Orts vorkommen, derowegen erinnere nur nochmals das besondere Verlangen so wir allerseits hegten, nicht allein das Gelobte Land, darinnen wir wohnen solten, sondern auch die berühmten guten Leute zu sehen.Capitain Wolffgang merckte solches mehr als zu wohl, sagte derowegen: wir möchten uns nur diese Nacht noch auf dieser Städte zu bleiben gefallen lassen, weiln es ohnedem schon späte wäre, der morgende Tag aber solte der Tag unsers frölichen Einzugs seyn.
Indem er nun wenig Worte verlieren durffte, uns alle nach seinen Willen zu lencken, setzte sich ein Theil der Unsern bey das angemachte Feuer nieder, dahingegen Herr M. Schmeltzer, ich und noch einige mit dem Capitain am Fusse des Felsens spatzieren[96] giengen und den herabschiessenden Wasser-Fluß betrachteten, welches gewiß in dieser hellen Nacht ein besonderes Vergnügen erweckte. Wir hatten uns aber kaum eine halbe Stunde hieran ergötzt, als unsere zurückgelassenen Leute, nebst dreyen Frembden, die grosse Fackeln in den Händen trugen, zu uns kamen.
Ermeldte Frembde hatten bey den Unserigen, nach dem Capitain Wolffgang gefragt, und waren nicht allein dessen Anwesenheit berichtet, sondern auch aus Neugierigkeit biß zu uns begleitet worden. So bald die Frembden den Capitain erblickten, warffen sie sogleich ihre Fackeln zur Erden, und lieffen hinzu, selbigen alle drey auf einmal zu umarmen.
Der Capitain, so die 3. Angekommenen sehr wol kennete, umarmete und küssete einen nach dem andern, worauf er nach kurtz gefasseten Grusse sogleich fragte: Ob der Altvater annoch gesund lebte? Sie beantworteten dieses mit Ja, und baten, er möchte doch alsofort nebst uns allen zu ihm hinauff steigen. Allein der Capitain versetzte: Meine liebsten Freunde! ich will die bey mir habenden Leute nicht zur Nachts-Zeit in diesen Lust-Garten der Welt führen, sondern erwarten, biß Morgen, so GOtt will, die Sonne zu unsern frohen Einzuge leuchtet, und uns denselben in seiner natürlichen Schönheit zeiget. Erlaubet uns solches, fuhr er fort, und empfanget zuförderst diesen euren Bluts-Freund Eberhard Julium, welchen ich aus Teutschland mit anhero geführet habe.
Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als sie [97] vor Freuden in die Höhe sprungen, und einer nach dem andern mich umfiengen und küsseten. Nachdem solchergestalt auch alle unsere Reise-Gefährten bewillkommet waren, bat der Capitain meine frembden Vettern, daß einer von ihnen hinauf steigen, dem Altvater seinen Gehorsam vermelden, anbey Erlaubniß bitten solte, daß er Morgen frühe, mit Aufgang der Sonnen, nebst 14. redlichen Leuten bey ihm einziehen dürffe. Es lief also Augenblicklich einer hurtig davon, um diese Commission auszurichten, die übrigen zwey aber setzten sich nebst uns zum Feuer, ein Glaß Canari-Sect zu trincken, und liessen sich vom Capitain erzehlen, wie es uns auf der Reise ergangen sey.
Ich vor meine Person, da in vergangenen 2. Nächten nicht ein Auge zugethan hatte, konte nunmehro, da ich den Hafen meines Vergnügens erreicht haben solte, unmöglich mehr wachen, sondern schlieff bald ein, ermunterte mich auch nicht eher, biß mich derCapitain beym Aufgange der Sonnen erweckte. Meine Verwunderung war ungemein, da ich etliche 30. ansehnliche Männer in frembder doch recht guter Tracht um uns herum sahe, sie umarmeten und küsseten mich alle ordentlich nach einander, und redeten so feines Hoch-Teutsch, als ob sie gebohrne Sachsen wären. Der Capitain hatte indessen das Früh-Stück besorgt, welches in Coffeé, Frantz-Brandtewein, Zucker-Brod und andern Confituren bestund. So bald dieses verzehret war, blieben etwa 12. Mann bey unsern Sachen, die übrigen aber giengen mit uns nach der Gegend des Flusses, bey welchen wir gestern Abend gewesen [98] waren. Ich ersahe mit gröster Verwunderung, daß derselbe gantz trocken war, besonn mich aber bald auf des Capitains vormahlige Erzehlung, mitlerweile stiegen wir, aber ohne fernern Umschweiff, die von dem klaren Wasser gewaschenen Felsen-Stuffen hinauff, und marchirten in einer langen, jedoch mit vielen Fackeln erleuchteten, Felsen-Höle immer aufwärts, biß wir endlich ingesammt als aus einem tieffen Keller, an das helle Tages-Licht herauff kamen.
Nunmehro waren wir einigermassen überzeugt, daß uns der Capitain Wolffgang keine Unwahrheiten vorgeschwatzt hatte, denn man sahe allhier, in einem kleinen Bezierck, das schönste Lust-Revier der Welt, so, daß unsere Augen eine gute Zeit recht starr offen stehen, der Mund aber, vor Verwunderung des Gemüths, geschlossen bleiben muste.
Unsern Seel-Sorger, Herr M. Schmeltzern, traten vor Freuden die Thränen in die Augen, er fiel nieder auf die Knie, um dem Allerhöchsten gebührenden Danck abzustatten, und zwar vor die besondere Gnade, daß uns derselbe ohne den geringsten Schaden und Unfall gesund anhero geführet hatte. Da er aber sahe daß wir gleiches Sinnes mit ihm waren, nahm er seine Bibel, verlaß den 65. und 84. Psalm Davids, welche beyden Psalmen sich ungemein schön hieher schickten, Betete hierauf einige kräfftige Gebete, und schloß mit dem Liede: Nun dancket alle GOTT etc. Unsere Begleiter konten so gut mit singen und beten als wir, woraus sogleich zu muthmassen war, daß sie im Christenthum nicht unerfahren seyn müsten. So bald [99] wir aber dem Allmächtigen unser erstes Opffer auf dieser Insul gebracht, setzten wir die Füsse weiter, nach dem, auf einem grünen Hügel, fast mitten in der Insul liegenden Hause zu, worinnen Albertus Julius, als Stamm-Vater und Oberhaupt aller Einwohner, so zu sagen, residirte.
Es ist unmöglich dem Geneigten Leser auf einmal alles ausführlich zu beschreiben, was vor Annehmlichkeiten uns um und um in die Augen fielen, derowegen habe einen kleinen Grund-Riß der Insul beyfügen wollen, welchen diejenigen, so die Geometrie und Reiß-Kunst besser als ich verstehen, passiren zu lassen, gebeten werden, denn ich ihn nicht gemacht habe, etwa eine eingebildete Geschicklichkeit zu zeigen, sondern nur dem curieusen Leser eine desto bessereIdee von der gantzen Landschafft zu machen. Jedoch ich wende mich ohne weitläufftige Entschuldigungen zu meiner Geschichts-Erzählung, und gebe dem Geneigten Leser zu vernehmen: daß wir fast eine Meilwegs lang zwischen einer Alleé, von den ansehnlichsten und fruchtbarsten Bäumen, die recht nach der Schnur gesetzt waren, fortgiengen, welche sich unten an dem ziemlich hoch erhabenen Hügel endigte, worauf des Alberti Schloß stund. Doch etwa 30. Schritte lang vor dem Ausgange der Alleé, waren die Bäume mit Fleiß dermassen zusammen gezogen, daß sie oben ein rechtes Europäisches Kirchen-Gewölbe formirten, und an statt der schönsten Sommer-Laube dieneten. Unter dieses ungemein propre und natürlich kostbare Verdeck hatte sich der alte Greiß, Albertus Julius, von seiner ordentlichen Behausung [100] herab, uns entgegen bringen lassen, denn er konte damals wegen eines geschwollenen Fusses nicht gut fortkommen. Ich erstaunete über sein Ehrwürdiges Ansehen, und venerablen weissen Bart, der ihm fast biß auf dem Gürtel herab reichte, zu seinen beyden Seiten waren noch 5. ebenfalls sehr alt scheinende Greisse, nebst etlichen andern, die zwar etwas jünger, doch auch 50. biß 60. Jahr alt aussahen. Ausser der Sommer-Laube aber, auf einem schönen grünen und mit lauter Palmen- und Latan-Bäumen umsetzten Platze, war eine ziemliche Anzahl erwachsener Personen und Kinder, alle rechtreputirlich gekleidet, versammlet.
Ich wüste nicht Worte genung zu ersinnen, wenn ich die zärtliche Bewillkommung, und das innige Vergnügen des Albert Julii und der Seinigen vorstellen solte. Mich drückte der ehrliche Alte aus getreuem Hertzen dermassen fest an seine Brust, daß ich die Regungen des aufrichtigen Geblüts sattsam spürte, und eine lange Weile in seinen Armen eingeschlossen bleiben muste. Hierauff stellete er mich als ein Kind zwischen seinen Schooß, und ließ alle Gegenwärtigen, so wol klein als groß herzu ruffen, welche mit Freuden kamen und den Bewillkommungs-Kuß auf meinen Mund und Hand drückten. Alle andern Neuangekommenen wurden mit nicht weniger Freude und Aufrichtigkeit empfangen, so daß die ersten Höfflichkeits-Bezeugungen biß auf den hohen Mittag daureten, worauff wir Einkömmlinge mit dem Albert Julio, und denen 5. Alten, in dem auf dem Hügel liegenden Hause, die Mittags-Mahlzeit einnahmen. Wir wurden[101] zwar nicht Fürstlich, doch in der That auch nicht schlecht tractiret, weiln nebst den 4. recht schmackhafften Gerichten, die in Fleisch, Fischen, gebratenen Vögeln, und einem raren Zugemüse bestunden, die delicatesten Weine, so auf dieser Insul gewachsen waren, aufgetragen wurden. Bey Tische wurde sehr wenig geredet, mein alter Vetter Albert Julius aber, dem ich zur Seite sitzen muste, legte mir stets die allerbesten Bissen vor, und konte, wie er sagte, vor übermäßiger Freude, itzo nicht den vierdten Theil so viel, als gewöhnlich essen. Es war bey diesen Leuten nicht Mode lange zu Tische zu sitzen, derowegen stunden wir nach ordentlicher Ersättigung auf, der Altvater betete nach seiner Gewohnheit, so wol nach als vor Tische selbst, ich küssete ihm als ein Kind die Hand, er mich aber auf den Mund, nach diesen spatziereten wir um das von festen Steinen erbauete Hauß, auf dem Hügel herum, allwo wir bey nahe das gantze innere Theil der Insul übersehen konten, und des Merckwürdigsten auf derselben belehret wurden. Von dar ließ sich Albert Julius auf einem Trag-Sessel in seinen angelegten grossen Garten tragen, wohin wir ingesammt nachfolgeten, und uns über dessen annehmliche, nützliche und künstliche Anlegung nicht wenig verwunderten. Denn diesen Garten, der ohngefehr eine Viertheils Teutsche Meile lang, auch eben so breit war, hatte er durch einen Creutz-Weg in 4. gleiche Theile abgetheilet, in dem ersten quartier nach Osten zu, waren die auserlesensten Fruchtbaren Bäume, von mehr als hundert Sorten, das 2te quartier gegen Süden, hegte vielerley schöne Weinstöcke, welche [102] theils rothe, grüne, blaue, weisse und anders gefärbte extraordinair grosse Trauben und Beeren trugen. Das 3te quartier, nach Norden zu, zeigte unzehlige Sorten von Blumen-Gewächsen, und in dem 4tenquartire, dessen Ecke auf Westen stieß, waren die allernützlichsten und delicatesten Küchen-Kräuter und Wurtzeln zu finden.
Wie brachten in diesem kleinen Paradiese, die Nachmittags-Stunden ungemein vergnügt zu, und kehreten etwa eine Stunde vor Untergang der Sonnen zurück auf die Albertus-Burg, speiseten nach der Mittäglichen Art, und setzten uns hernachmals vor dem Hause auf artig gemachte grüne Rasen Bäncke nieder, allwo Capitain Wolffgang dem Altvater von unserer letzten Reise ein und anderes erzehlte, biß uns die hereinbrechende Nacht erinnerte: Beth-Stunde zu halten, und die Ruhe zu suchen.
Ich muste in einer schönen Kammer, neben des Alberti Zimmer schlaffen, welche ungemein saubermeublirt war, und gestehen, daß Zeit meines Lebens noch nicht besser geruhet hatte, als auf dieser Stelle.
Folgenden Morgen wurden durch einen Canonen-Schuß alle Einwohner der Insul zum Gottesdienst beruffen, da denn Herr M. Schmelzer eine ziemliche lange Predigt über den 122. Psalm hielte, die übrigen Kirchen-Gebräuche aber alle auf Lutherische Art ordentlich in Acht nahm. Den Albert Julium sahe man die gantze Predigt über weinen, und zwar vor grossen Freuden, weiln ihm der Höchste die Gnade verliehen, noch vor seinem [103] Ende einem Prediger von seiner Religion zuzuhören, ja so gar denselben in seiner Bestallung zu haben. Die übrigen versammleten waren dermassen andächtig, daß ich mich nicht erinnern kan, dergleichen jemals in Europa gesehen zu haben.
Nach vollbrachten Gottesdienste, da die Auswärtigen sich alle auf den Weg nach ihren Behausungen gemacht, und wir die Mittags-Mahlzeit eingenommen hatten, behielt Albertus Herrn M. Schmeltzern allein bey sich, um mit demselben wegen künfftiger Kirchen-Ordnung, und anderer die Religion betreffenden höchstnöthigen Anstalten, Unterredung zu pflegen.Monsieur Wolffgang, der itzo durchaus nicht mehrCapitain heissen wolte, ich, und die andern Neuangekommenen, wolten nunmehro bemühet seyn, unsere Packen und übrigen Sachen auf die Insul herauff zu schaffen, welches uns allerdings als ein sehr Beschwerlich Stück Arbeit fürkam, allein, zu unserer grösten Verwunderung und Freude, fanden wir alle unsere Güter in derjenigen grossen Sommer-Laube besammen stehen, wo uns Albertus zuerst bewillkommet hatte. Wir hatten schon gezweiffelt, daß wir binnen 4. biß 5. Tagen alle Sachen herauff zu bringen vermögend seyn würden, und sonderlich stelleten wir uns das Aufreissen der grossen Packe und Schlag-Fässer sehr mühsam vor, wusten aber nicht, daß die Einwohner der Insul, an einem verborgenen Orthe der hohen Felsen, zwey vortrefflich-starcke Winden hatten, durch deren force wohl ein gantzer Fracht-Wagen auf einmal hätte hinauff gezogen werden können.Mons. Litzberg hatte [104] sich binnen der Zeit die Mühe genommen, unser mitgebrachtes Vieh zu besorgen, so aus 4. jungen Pferden, 6. jungen Stücken Rind-Vieh, 6. Schweinen, 6. Schaafen, 2. Böcken, 4. Eseln, 4. Welschen Hünern, 2. Welschen Hähnen, 18. gemeinen Hünern, 3. Hähnen, 6. Gänsen, 6. Endten, 6. Paar Tauben, 4. Hunden, 4. Katzen, 3. Paar Caninichen, und vielerley Gattungen von Canari- und andern artigen Vögeln bestund. Er war damit in die nächste Wohnstädte, Alberts-Raum genannt, gezogen, und hatte bereits die daselbst wohnenden Leute völlig benachrichtiget, was diesem und jenen vor Futter gegeben werden müste. Selbige verrichteten auch in Warheit diese in Europa so verächtliche Arbeit mit gantz besondern Vergnügen, weiln ihnen dergleichen Thiere Zeit ihres Lebens nicht vor die Augen kommen waren.
Andere, da sie merckten, daß wir unsere Sachen gern vollends hinauff in des Alberti Wohnhaus geschafft haben möchten; brachten so fort gantz bequeme Rollwagen herbey, luden auf, was wir zeigten, spanneten zahmgemachte Affen und Hirsche vor, diese zohen es mit Lust den Hügel hinauff, liessen auch nicht eher ab, biß alles unter des Alberti Dach gebracht war.
Immittelst hatte Mons. Wolffgang noch vor der Abend-Mahlzeit das Schlag-Faß, worinnen die Bibeln und andere Bücher waren, aufgemacht, und præsentirte dem alten Alberto eine in schwartzen Sammet eingebundene Bibel, welche aller Orten starck mit Silber beschlagen, und auf dem Schnitt verguldet war.Albertus Küssete dieselbe, [105] drückte sie an seine Brust und vergoß häuffige Freuden-Thränen, da er zumal sahe, daß wir noch einen so starcken Vorrath an dergleichen und andern geistl. Büchern hatten, auch hörete, daß wir dieselben bey ersterer Zusammenkunfft unter die 9. Julischen Familien, (welche dem G. Leser zur Erläuterung dieser Historie, auf besondere, zu Ende dieses Buchs angehefftete Tabellen gebracht worden,) austheilen wolten. Nächst diesem wurden dem Alberto, und denen Alten, noch viele andere köstliche Sachen eingehändiget, die so wol zur Zierde als besonderer Bequemlichkeit gereichten, worüber alle insgesamt eine Verwunderungs- volle Dancksagung abstatteten. Folgenden Tages als an einem Sonnabend, muste ich, auf Mons. Wolffgangs Ersuchen, in einer bequemen Kammer einen vollkommenen Krahm, so wohl von allerhand nützlichen Sachen, als Kindereyen und Spielwerck auslegen, weiln er selbiges unter die Einwohner der Insul vom Grösten biß zum Kleinsten auszutheilen willens war. Mons. Wolffgang aber, ließ indessen die übrigen Dinge, alsVictualien, Instrumenta, Tücher, Leinwand, Kleyder-Geräthe und dergleichen, an solche Orte verschaffen, wo ein jedes vor der Verderbung sicher seyn konte.
Der hierauff einbrechende 25. Sonntag post Trin. wurde früh Morgens bey Aufgang der Sonnen, denenInsulanern zur Andächtigen Sabbats-Feyer, durch 2.Canonen-Schüsse angekündiget. Da sich nun dieselben 2. Stunden hernach ingesammt unter der Albertus-Burg, auf dem mit Bäumen umsetzten grünen Platze versammlet hatten, [106] fieng Herr M. Schmeltzer den Gottesdienst unter freyen Himmel an, und Predigte über das ordentliche Sonntags Evangelium, vom Greuel der Verwüstung, fast über 2. Stunden lang, ohne sich und seine Zuhörer zu ermüden, als welche Letztere alles andere zu vergessen, und nur ihn noch länger zuzuhören begierig schienen. Er hatte gantz ungemeine meditationes über die wunderbaren Wege GOTTES, Kirchen zu bauen, und selbige wiederum zu verwüsten, brachte anbey die application auf den gegenwärtigen Zustand der sämbtlichen Einwohner dieser Insul dermassen beweglich vor, daß, wenn auch die Helffte von den Zuhörern die gröbsten Atheisten gewesen wären, dennoch keiner davon ungerührt bleiben können.
Jedwedes von außwärtigen Zuhörern hatte sich, nach vollendeten Gottesdienste, mit benöthigten Speisen versorgt, wem es aber ja fehlete, der durffte sich nur bey dem Altvater auf der Burg melden, als welcher alle nach Nothdurfft sättigen ließ. Nachmittags wurde abermals ordentlicher Gottesdienst und Catechismus-Examen gehalten, welches über 4. Stunden lang währete, und hätten, nebst Herrn M. Schmeltzern, wir Einkömmlinge nimmermehr vermeynet dieses Orts Menschen anzutreffen, welche in den Glaubens-Articuln so trefflich wohl unterrichtet wären, wie sich doch zu unseren grösten Vergnügen so wol Junge als Alte finden liessen. Da nun auch dieses vorüber war, beredete sich Albertus mit den Aeltesten und Vorstehern der 9. Stämme, und zeigten ihnen den Platz, wo er gesonnen wäre eine Kirche aufbauen zu lassen. Derselbe [107] wurde nun unten an Fusse des Hügels von Mons. Litzbergen, Lademannen und andern Bau-Verständigen ordentlich abgesteckt, worauff Albertus sogleich mit eigenen Händen ein Loch in die Erde grub, und den ersten Grund-Stein an denjenigen Orth legte, wo der Altar solte zu stehen kommen. Die Aeltesten und Vorsteher gelobten hierbey an, gleich morgenden Tag Anstalten zu machen, daß die benöthigten Bau-Materialien eiligst herbey geschafft würden, und an fleißigen Arbeitern kein Mangel seyn möchte. Worauff sich bey herannahenden Abende jedes nach seiner Wohnstätte begab. Albertus, der sich wegen so viel erlebten Vergnügens gantz zu verjüngern schiene, war diesen Abend absonderlich wohl aufgeräumt, und ließ sich aus dem Freuden-Becher unsern mitgebrachten Canari-Sect hertzlich wohl schmecken, doch so bald er dessen Kräffte nur in etwas zu spüren begunte, brach er so wohl als wir ab, und sagte: Meine Kinder, nunmehro hat mich der Höchste bey nahe alles erleben lassen, was ich auf dieser Welt in zeitlichen Dingen gewünschet, da aber mercke, daß ich noch bey ziemlichen Kräfften bin, habe mir vorgenommen die übrige Zeit meines Lebens mit solchen Verrichtungen hin zu bringen, die meinen Nachkommen zum zeitlichen und ewigen Besten gereichen, diese Insul aber in den beglücktesten Zustand setzen können.
Demnach bin ich gesonnen, in diesem meinem kleinen Reiche eine General-Visitation zu halten, und, so GOTT will, morgenden Tag damit den Anfang zu machen, Monsieur Wolffgang wird, [108] nebst allen neu angekommenen, mir die Gefälligkeit erzeigen und mit reisen. Wir wollen alle Tage eine Wohnstatt von meinen Abstammlingen vornehmen, und ihren jetzigen Zustand wol erwegen, ein jeder mag sein Bedencken von Verbesserung dieser und jener Sachen aufzeichnen, und hernach auf mein Bitten an mich liefern, damit wir ingesammt darüber rathschlagen können. Wir werden in 9. aufs längste in 14. Tagen damit fertig seyn, und hernach mit desto bessern Verstande die Hände an das Werck unserer geistlichen und leiblichen Wohlfahrt legen. Nach unserer Zurückkunfft aber, will ich alle Abend nach der Mahlzeit ein Stück von meiner Lebens-Geschicht zu erzehlen Zeit anwenden, hierauff Beth-Stunde halten, und mich zur Ruhe legen.
Monsieur Wolffgang nahm diesen Vorschlag so wol als wir mit grösten Vergnügen an, wie denn auch gleich folgenden Morgen mit aufgehender Sonne, nach gehaltener Morgen-Gebets-Stunde, Anstalt zum Reisen gemacht wurde. Albertus, Herr M. Schmeltzer, Mons. Wolffgang und ich, sassen beysammen auf einem artigen Wagen, welcher von 4. Zahm gemachten Hirschen gezogen wurde, unsere übrige Gesellschafft aber folgte mit Lust zu Fusse nach. Der erste und nächste Ort den wir besuchten, war die Wohnstatt, Alberts-Raum genannt, es lag gleich unter derAlberts-Burg nach Norden zu, gerade zwischen den zweyen gepflantzten Alleen, und bestund aus 21. Feuerstätten, wohlgebaueten Scheunen, Ställen und Gärten, doch hatten die guten Leute ausser einer wunderbaren [109] Art von Böcken, Ziegen und Zahmgemachten Hirschen, weiter kein ander Vieh. Wir traffen daselbst alles in der schönsten Haußhaltungs-Ordnung an, indem die Alten ihre Arbeit auf dem Felde verrichteten, die jungen Kinder aber von den Mittlern gehütet und verpfleget wurden. Nachdem wir die Wohnungen in Augenschein genommen, trieb uns die Neugierigkeit an, das Feld, und die darauff Arbeiteten, zu besehen, und fanden das Erstere trefflich bestellt, die Letzten aber immer noch fleißiger daran bauen. Um Mittags-Zeit aber wurden wir von ihnen umringet, in ihre Wohnstatt geführet, gespeiset, getränckt, und von dem grösten Hauffen nach Hause begleitet. MonsieurWolffgang schenckte dieser Albertinischen Linie 10. Bibeln, 20. Gesang- und Gebeth-Bücher, ausser den verschiedene nützlichen, auch Spiel-Sachen vor die Kinder, und befahl, daß diejenigen so etwa leer ausgiengen, selbsten zu ihm kommen, und das Ihrige abholen möchten.
Nachdem wir nun von diesen Begleitern mit freudigem Dancke verlassen worden, und bey Alberto die Abend-Mahlzeit eingenommen hatten, ließ dieser Alt-Vater sonst niemand, als Herr Mag. Schmeltzern, Mons. Wolffgangen und mich, in seiner Stube bleiben, und machte den Anfang zu seiner Geschichts-Erzehlung folgendermassen.
Ich Albertus Julius, bin anno 1628. den 8. Januar. von meiner Mutter Maria Elisabetha Schlüterin zur Welt gebohren worden. Mein Vater, Stephanus Julius, war der Unglückseeligste Etaats-Bediente [110] eines gewissen Printzen in Teutschland, indem er in damaliger heftiger Kriegs-Unruhe seines Herren Feinden in die Hände fiel, und weil er seinem Fürsten, vielweniger aber seinem GOTT ungetreu werden wolte, so wurde ihm unter dem Vorwande, als ob er, in seinen Briefen an den Fürsten, den respect gegen andere Potentaten beyseit gesetzt, der Kopf gantz heimlicher und desto mehr unschuldiger Weise vor die Füsse gelegt, mithin meine Mutter zu einer armen Wittbe, 2. Kinder aber zu elenden Wäysen gemacht. Ich gieng dazumal in mein sechstes, mein Bruder Johann Balthasar aber, in sein vierdtes Jahr, weiln wir aber unsern Vater, der beständig bey dem Printzen in Campagne gewesen, ohnedem sehr wenig zu Hause gesehen hatten, so war unser Leydwesen, damaliger Kindheit nach, nicht also beschaffen, als es der jämmerlich starcke Verlust, den wir nachhero erstlich empfinden lerneten, erforderte, ob schon unsere Mutter ihre Wangen Tag und Nacht mit Thränen benetzte.
Meines Vaters Principal, welcher wol wuste, daß mein Vater ein schlechtes Vermögen würde hinterlassen haben, schickte zwar an meine Mutter 800 Thlr. rückständige Besoldung, nebst der Versicherung seiner beständigen Gnade, allein das Kriegs-Feuer gerieth in volle Flammen, der Wohlthätige Fürst wurde weit von uns getrieben, der Todt raubte die Mutter, der Feind das übrige blutwenige Vermögen, alle Freunde waren zerstreuet, also wusten ich und mein Bruder sonst kein ander Mittel, als den Bettel-Stab zu ergreiffen.
[111] Wir musten also bey nahe anderthalb Jahr, das Brod vor den Thüren suchen, von einem Dorffe und Stadt zur andern wandern, und letztlich fast gantz ohne Kleider einher gehen, biß wir ohnweit Naumburg auf ein Dorff kamen, allwo sich die Priester-Frau über uns erbarmete, ihren Kindern die alten Kleider vom Leibe zog, und uns damit bekleidete, ehe sie noch gefragt, woher, und weß Standes wir wären. Der Priester kam darzu, lobte seiner Frauen Mitleyden und redliche Wohlthaten, erhielt aber, auf sein Befragen von mir, zulänglichen Bericht wegen unsers Herkommens, weil ich dazumal schon 10. Jahr alt war, und die betrübte Historie von meinen Eltern ziemlich gut zu erzehlen wuste.
Der redliche Geistliche, welcher vielleicht nunmehro schon seit vielen Jahren unter den Seeligen, als des Himmels-Glantz leuchtet, mochte vielleicht von den damaligen Läufften, und sonderlich von meines Vaters Begebenheiten, mehrere Nachricht haben als wir selbst, schlug derowegen seine Hände und Augen gen Himmel, führete uns arme Wäysen in sein Hauß, und hielt uns nebst seinen 3. Kindern so wol, als ob wir ihnen gleich wären. Wir waren 2. Jahr bey ihm gewesen, und hatten binnen der Zeit im Christenthum, Lesen, Schreiben und andern studien, unserm Alter nach, ein ziemliches profitiret, worüber er nebst seiner Liebsten eine sonderliche Freude bezeigte, und ausdrücklich sagte: daß er sich unsere Aufnahme niemals gereuen lassen wolte, weiln er augenscheinlich gespüret, daß ihn GOTT seit der Zeit, an zeitlichen Gütern [112] weit mehr als sonsten gesegnet hätte; doch da wenig Wochen hernach sein Befreundter, ein Amtmann aus dem Braunschweigischen, diesen meinen bißherigen Pflege-Vater besuchte, an meinem stillen Wesen einen Gefallen hatte, meine 12. jährige Person von seinem Vetter ausbat, und versicherte, mich, nebst seinen Söhnen, studiren zu lassen, mithin den Mitleidigen Priesters-Leuten die halbe Last vom Halse nehmen wolte; liessen sich diese bereden, und ich muste unter Vergiessung häuffiger Thränen von ihnen und meinem lieben Bruder Abschied nehmen, mit dem Amtmanne aber ins Braunschweigische reisen. Daselbst nun hatte ich die ersten 2. Jahre gute Zeit, und war des Amtmanns Söhnen, die doch alle beyde älter als ich, auch im Studiren weit voraus waren, wo nicht vor- doch gantz gleich gekommen. Dem ohngeacht vertrugen sich dieselben sehr wohl mit mir, da aber ihre Mutter starb, und statt derselben eine junge Stieff-Mutter ins Hauß kam, zog zugleich der Uneinigkeits-Teuffel mit ein. Denn diese Bestie mochte nicht einmahl ihre Stieff-Kinder, vielweniger mich, den sie nur den Bastard und Fündling nennete, gern um sich sehen, stifftete derowegen immerfort Zanck und Streit unter uns, worbey ich jederzeit das meiste leiden muste, ohngeacht ich mich so wohl gegen sie als andere auf alle ersinnliche Art demüthigte. Der Informator, welcher es so hertzlich wohl mit mir meinete, muste fort, an dessen Stelle aber schaffte die regierende Domina einen ihr besser anständigen Studenten herbey. Dieser gute Mensch war kaum zwey [113] Wochen da, als wir Schüler merckten, daß er im Lateinischen, Griechischen, Historischen, Geographischen und andern Wissenschafften nicht um ein Haar besser beschlagen war, als die, so von ihm lernen solten, derowegen klappte der Respect, welchen er doch im höchsten Grade verlangte, gar schlecht. Ohngeacht aber der gute Herr Præceptor uns keinenAutorem vor-exponiren konte; so mochte er doch der Frau Amtmännin des Ovidii Libr. de arte amandi desto besser zu erklären wissen, indem beyde die Privat-Stunden dermassen öffentlich zu halten pflegten, daß ihre freye Aufführung dem Amtmanne endlich selbst Verdacht erwecken muste.
Der gute Mann erwehlete demnach mich zu seinem Vertrauten, nahm eine verstellete Reise vor, kam aber in der Nacht wieder zurück unter das Kammer-Fenster, wo der Informator nebst seinen Schülern zu schlaffen pflegte. Dieser verliebte Venus-Professor stund nach Mitternacht auf, der Frau Amtmännin eine Visite zu geben. Ich, der, ihn zu belauschen, noch kein Auge zugethan hatte, war der verbothenen Zusammenkunfft kaum versichert, als ich dem, unter dem Fenster stehenden Amtmanne das abgeredete Zeichen mit Husten und Hinunterwerffung meiner Schlaff-Mütze gab, welcher hierauf nicht gefackelt, sondern sich in aller Stille ins Hauß herein practiciret, Licht angeschlagen, und die beyden verliebten Seelen, ich weiß nicht in was vor positur, ertappet hatte.
Es war ein erbärmlich Geschrey in der Frauen Cammer, so, daß fast alles Hauß-Gesinde herzu [114] gelauffen kam, doch da meine Mit-Schüler, wie die Ratzen, schlieffen, wolte ich mich auch nicht melden, konte aber doch nicht unterlassen, durch das Schlüssel-Loch zu gucken, da ich denn gar bald mit Erstaunen sahe, wie die Bedienten dem Herrn Præceptor halb todt aus der nächtlichen Privat-Schule heraus schleppten. Hierauf wurde alles stille, der Amtmann ging in seine Schreibe-Stube, hergegen zeigte sich die Frau Amtmännin mit blutigen Gesichte, verwirrten Haaren, hinckenden Füssen, ein groß Messer in der Hand haltend auf dem Saale, und schrye: Wo ist der Schlüssel? Albert muß sterben, dem verfluchten Albert will ich dieses Messer in die Kaldaunen stossen.
Mir wurde grün und gelb vor den Augen, da ich diese höllische Furie also reden hörete, jedoch der Amtmann kam, einen tüchtigen Prügel in der rechten, einen blossen Degen aber in der lincken Hand haltend, und jagte das verteuffelte Weib zurück in ihre Cammer. Dem ohngeacht schrye sie doch ohn Unterlaß: Albert muß sterben, ja der Bastard Albert muß sterben, ich will ihn entweder selbst ermorden, oder demjenigen hundert Thaler geben, wer dem Hunde Gifft eingiebt.
Ich meines Orts gedachte: Sapienti sat! kleidete mich so hurtig an, als Zeit meines Lebens noch nicht geschehen war, und schlich in aller Stille zum Hause hinaus.
Das Glücke führete mich blindlings auf eine grosse Heer-Strasse, meine Füsse aber hielten sich so hurtig, daß ich folgenden Morgen um 8. Uhr die Stadt Braunschweig vor mir liegen sahe. Hunger [115] und Durst plagten mich, wegen der gethanen starcken Reise, gantz ungemein, doch da ich nunmehro auf keinem Dorffe, sondern in Braunschweig einzukehren gesonnen war, tröstete ich meinen Magen immer mit demjenigen 24. Marien-Groschen-Stücke, welches mir der Amtmann vor 2. Tagen geschenckt, als ich mit ihm aus Braunschweig gefahren, und dieses vor mich so fatale Spiel verabredet hatte.
Allein, wie erschrack ich nicht, da mir das helle Tages-Licht zeigte, daß ich in der Angst unrechte Hosen und anstatt der Meinigen des Herrn Præceptoris seine ergriffen. Wiewohl, es war mir eben nicht um die Hosen, sondern nur um mein schön Stücke Geld zu thun, doch ich fand keine Ursache, den unvorsichtigen Tausch zu bereuen, weil ich in des Præceptors Hosen bey nahe 6. Thlr. Silber-Geld, und über dieses einen Beutel mit 30. spec. Ducaten fand. Demnach klagte ich bey meiner plötzlichen Flucht weiter nichts, als daß mir nicht erlaubt gewesen, von dem ehrlichen Amtmanne, der an mir als ein treuer Vater gehandelt, mündlich danckbarn Abschied zu nehmen. Doch ich that es schrifftlich desto nachdrücklicher, entschuldigte mein Versehen wegen der vertauschten Hosen aufs beste, kauffte mir in Braunschweig die nöthigsten Sachen ein, dung mich auf die geschwinde Post, und fuhr nach Bremen, allwo ich von der beschwerlichen und ungewöhnlich weiten Reise sattsam auszuruhen willens hatte.
Warum ich nach Bremen gereiset war? wuste ich mir selbst nicht zu sagen. Ausser dem, daß es die[116] erste fortgehende Post war, die mir in Braunschweig aufstieß, und die ich nur deßwegen nahm, um weit genung hinweg zu kommen, es mochte auch seyn wo es hin wolte. Ich schätzte mich in meinen Gedancken weit reicher als den grossen Mogol, ließ derowegen meinem Leibe an guten Speisen und Geträncke nichts mangeln, schaffte mir ein ziemlich wohl conditionirtes Kleid, nebst guter Wäsche und andern Zubehör an, behielt aber doch noch etliche 40. Thlr. Zehrungs-Geld im Sacke, wovon ich mir so lange zu zehren getrauete, biß mir das Glück wieder eine Gelegenheit zur Ruhe zeigte, denn ich wuste mich selbst nicht zuresolviren, was ich in Zukunfft vor eine Profession oder Lebens-Art erwehlen wolte, da wegen der annoch lichterloh brennenden Krieges-Flamme eine verdrüßliche Zeit in der Welt war, zumahlen vor einen, von allen Menschen verlassenen, jungen Purschen, der erstlich in sein 17des Jahr ging, und am Soldaten-Leben den greulichsten Eckel hatte.
Eines Tages ging ich zum Zeitvertreibe vor die Stadt spatzieren, und gerieth unter 4. ansehnliche junge Leute, welche, vermuthlich in Betracht meiner guten Kleidung, zierlicher Krausen und Hosen-Bänder, auch wohl des an der Seite tragenden Degens, sehr viel Achtbarkeit vor meine Person zeigten, und nach langen Herumgehen, mich zu sich in ein Wein-Hauß nöthigten. Ich schätzte mir vor eine besondere Ehre, mit rechtschaffenen Kerlen ein Glaß Wein zu trincken, ging derowegen mit, und that ihnen redlich Bescheid. So bald aber der Wein die Geister in meinem Gehirne etwas rege [117] gemacht hatte, mochte ich nicht allein mehr von meinem Thun und Wesen reden, als nützlich war, sondern beging auch die grausame Thorheit, alles mein Geld, so ich im Leben hatte, heraus zu weisen. Einer von den 4. redlichen Leuten gab sich hierauf vor den Sohn eines reichen Kauffmanns aus, und versprach mir, unter dem Vorwande einer besondern auf mich geworffenen Liebe, die besteCondition von der Welt bey einem seiner Anverwandten zu verschaffen, weiln derselbe einen Sohn hätte, dem ich meine Wissenschafften vollends beybringen, und hernach mit ihm auf die Universität nach Leyden reisen solte, allwo wir beyde zugleich, ohne daß es mich einen Heller kosten würde, die gelehrtesten Leute werden könten. Er tranck mir hier auf Brüderschafft zu, und mahlete meinen vom Wein-Geist benebelten Augen vortreffliche Lufft-Schlösser vor, biß ich mich dermassen aus dem Zirckel gesoffen hatte, daß mein elender Cörper der Länge lang zu Boden fiel.
Der hierauf folgende Morgen brachte sodann meine Vernunfft in etwas wieder zurücke, indem ich mich gantz allein, auf einer Streu liegend, vermerckte. Nachdem ich aufgestanden, und mich einiger massen wieder in Ordnung gebracht hatte, meine Taschen aber alle ausgeleeret befand, wurde mir verzweiffelt bange. Ich ruffte den Wirth, fragte nach meinem Gelde und andern bey mir gehabten Sachen, allein er wolte von nichts wissen, und kurtz zu sagen: Es lieff nach genauer Untersuchung dahinaus, daß ich unter 4. Spitzbuben gerathen, welche zwar gestern Abend die Zeche bezahlt, [118] und wiederzukommen versprochen, doch biß itzo ihr Wort nicht gehalten, und allem Ansehen nach mich beschneutzet hätten.
Also war derjenige Schatz, den ich unverhofft gefunden, auch unverhofft wieder verschwunden, indem ich ausser den angeschafften Sachen, die in meinem Quartiere lagen, nicht einen blutigen Heller mehr im Beutel hatte. Ich blieb zwar noch einige Stunden bey dem Weinschencken sitzen, und hoffte auf der Herrn Sauff-Brüder fröliche Wiederkunfft, allein, mein Warten war vergebens, und da der Wirth gehöret, daß ich kein Geld mehr zu versauffen hatte, gab er mir noch darzu scheele Gesichter, weßwegen ich mich eben zum Hinweggehen bereiten wolte, als ein ansehnlicher Cavalier in die Stube trat, und ein Glaß Wein forderte. Er sagte mit einer freundlichen Mine, doch schlecht deutschen Worten zu mir: Mein Freund, gehet meinetwegen nicht hinweg, denn ich sitze nicht gern allein, sondern spreche lieber mit Leuten. Mein Herr! gab ich zur Antwort, ich werde an diesem mir unglückseligen Orte nicht länger bleiben können, denn man hat mich gestern Abend allhier verführet, einen Rausch zu trincken, nachdem ich nun darüber eingeschlaffen, ist mir alles mein Geld, so ich bey mir gehabt, gestohlen worden. Bleibet hier wiederredete er, ich will vor euch bezahlen, doch erweiset mir den Gefallen, und erzehlet umständlicher, was euch begegnet ist. Weiln ich nun einen starcken Durst verspürete, ließ ich mich nicht zweymahl nöthigen, sondern blieb da, und erzehlete dem Cavalier meine gantze Lebens-Geschicht von [119] Jugend an, biß auf selbige Stunde. Er bezeigte sich ungemein vergnügt dabey, und belachte nichts mehr als des Præceptors Liebes-Avantüre, nebst dem wohlgetroffenen Hosen-Tausche. Wein und Confect ließ er genung bringen, da er aber merckte, daß ich nicht viel trincken wolte, weiln in dem gestrigen Rausche eine Haare gefunden, welche mir alle die andern auf dem Kopffe verwirret, ja mein gantzes Gemüthe in tieffe Trauer gesetzt hatte, sprach er: Mein Freund! habt ihr Lust in meine Dienste zu treten, so will ich euch jährlich 30. Ducaten Geld, gute Kleidung, auch Essen und Trincken zur Gnüge geben, nebst der Versicherung, daß, wo ihr Holländisch und Englisch reden und schreiben lernet, eure Dienste in weiter nichts als Schreiben bestehen sollen.
Ich hatte allbereit so viel Höflichkeit und Verstand gefasset, daß ich ihm augenblicklich die Hand küssete, und mich mit Vergnügen zu seinem Knechte anboth, wenn er nur die Gnade haben, und mich ehrlich besorgen wolte, damit ich nicht dürffte betteln gehen. Hierauf nahm er mich sogleich mit in sein Quartier, ließ meine Sachen aus dem Gast-Hofe holen, und behielt mich in seinen Diensten, ohne daß ich das geringste thun durffte, als mit ihm herum zu spatziren, weiln er ausser mir noch 4. Bedienten hatte.
Ich konte nicht erfahren, wer mein Herr seyn möchte, biß wir von Bremen ab und in Antwerpen angelanget waren, da ich denn spürete, daß er eines reichen Edelmanns jüngster Sohn sey, der sich bereits etliche Jahr in Engelland aufgehalten [120] hätte. Meine Verrichtungen bey ihm, bestunden anfänglich fast in nichts, als im guten Essen und Trincken, da ich aber binnen 6. Monathen recht gut Engell- und Holländisch reden und schreiben gelernet, muste ich diejenigen Briefe abfassen und schreiben, welche mein Herr in seines Herrn Vaters Affairen öffters selbst schreiben solte. Er warff wegen meiner Fähigkeit und besondern Dienst-Geflissenheit eine ungemeine Liebe auf mich, erwehlete auch, da er gleich im Anfange des Jahrs 1646. abermahls nach Engelland reisen muste, sonsten niemanden als mich zu seinem Reise-Gefährten. Was aber das nachdencklichste war, so muste ich, ehe wir auf dem Engelländischen Erdreich anlangeten, in Weibes-Kleider kriechen, und mich stellen, als ob ich meines Herrn Ehe-Frau wäre. Wir gingen nach Londen, und logirten daselbst in einem Gast-Hofe, der das Castell von Antwerpen genannt war, ich durffte wenig aus dem Hause kommen, hergegen brachte mein Herr fast täglich fremde Mannes-Personen mit sich in sein Logis, worbey ich meine Person dermassen wohl zu spielen wuste, daß jedermann nicht an ders vermeynte, als, ich sey meines Herrn junges Ehe-Weib. Zu seiner und meiner Aufwartung aber, hatte er zwey Englische Mägdgen und 4. Laqueyen angenommen, welche uns beyde nach Hertzens Lust bedieneten.
Nachdem ich nun binnen etlichen Wochen aus dem Grunde gelernet hatte, die Person eines Frauenzimmers zu spielen, sagte mein Herr eines Tages zu mir: Liebster Julius, ich werde euch morgenden [121] Nachmittag, unter dem Titul meines Eheweibes, in eine gewisse Gesellschafft führen, ich bitte euch sehr,studiret mit allem Fleiß darauf, wie ihr mir alle behörige Liebkosungen machen wollet, denn mein gantzes Glück beruhet auf der Comœdie, die ich itzo zu spielen genöthiget bin, nehmet einmahl die Gestalt eurer Amtmanns-Frau an, und caressiret mich also, wie jene ihren Mann vor den Leuten, den Præceptor aber mit verstohlenen Blicken caressiret hat. Seyd nochmahls versichert, daß an dieser lächerlich-scheinenden Sache mein gantzes Glücke und Vergnügen hafftet, welches alles ich euch redlich mit geniessen lassen will, so bald nur unsere Sachen zu Stande gebracht sind. Ich wolte euch zwar von Hertzen gern das gantze Geheimniß offenbaren, allein verzeihet mir, daß es biß auf eine andere Zeit verspare, weil mein Kopff itzo gar zu unruhig ist. Machet aber eure Dinge zu unserer beyder Vergnügen morgendes Tages nur gut.
Ich brachte die gantze hierauf folgende Nacht mit lauter Gedancken zu, um zu errathen, was doch immermehr mein Herr mit dergleichen Possen ausrichten wolte; doch weil ich den Endzweck zu ersinnen, unvermögend war, ihm aber versprochen hatte, allen möglichsten Fleiß anzuwenden, nach seinem Gefallen zu leben, machte sich mein Gemüthe endlich den geringsten Kummer aus der Sache, und ich schlieff gantz geruhig ein.
Folgendes Tages, nachdem ich fast den gantzen Vormittag unter den Händen zweyer alter Weiber, die mich recht auf Engelländische Art ankleideten, [122] zugebracht hatte, wurden mein Herr und ich auf einen neu-modischen Wagen abgeholet, und 3. Meilen von der Stadt in ein propres Garten-Hauß gefahren. Daselbst war eine vortreffliche Gesellschafft vorhanden, welche nichts beklagte, als daß des Wohlthäters Tochter, Jungfer Concordia Plürs, von dem schmertzlichen Kopff-Weh bey uns zu seyn verhindert würde. Hergegen war ihr Vater, als unser Wirth, nebst seiner Frauen, 3. übrigen Töchtern und 2. Söhnen zugegen, und machten sich das gröste Vergnügen, die ankommenden Gäste zu bewirthen. Ich will diejenigen Lustbarkeiten, welche uns diesen und den folgenden Tag gemacht wurden, nicht weitläufftig erwehnen, sondern nur so viel sagen, daß wir mit allerley Speisen und Geträncke, Tantzen, Springen, Spat ziren-gehen und Fahren, auch noch andern Zeitvertreibungen, allerley Abwechselung machten. Ich merckte, daß die 3. anwesenden schönen Töchter unseres Wohlthäters von vielen Liebhabern umgeben waren, mein Herr aber bekümmerte sich um keine, sondern hatte mich als seine Schein-Frau mehrentheils an der Seite, liebkoseten einander auch dermassen, daß ein jeder glauben muste, wir hielten einander als rechte Ehe-Leute von Hertzen werth. Einsmahls aber, da mich mein Herr im Tantze vor allen Zuschauern recht hertzlich geküsset, und nach vollführten Tantze an ein Fenster geführet hatte, kam ein junger artiger Kauffmann herzu, und sagte zu meinem Liebsten: Mein Herr van Leuven, ich verspüre nunmehro, daß ihr mir die Concordia Plürs mit [123] gutem Recht gönnen könnet, weil ihr an dieser eurer Gemahlin einen solchen Schatz gefunden, den euch vielleicht viele andere Manns-Personen mißgönnen werden. Mein liebster Freund, antwortete mein Heer, ich kan nicht läugnen, daß ich eure Liebste, die Concordiam, von Grund der Seelen geliebet habe, und sie nur noch vor weniger Zeit ungemein gern zur Gemahlin gehabt hätte, weiln aber unsere beyden Väter, und vielleicht der Himmel selbst nicht in unsere Vermählung einwilligen wolten; so habe nur vor etliche Monathen meinen Sinn geändert, und mich mit dieser Dame verheyrathet, bey welcher ich alle diejenigen Tugenden gefunden habe, wel che ihr als Bräutigam vielleicht in wenig Tagen bey der Concordia finden werdet. Ich vor meine Person wünsche zu eurer Vermählung tausendfaches Vergnügen, und zwar so, wie ich dasselbe mit dieser meiner Liebsten beständig geniesse, beklage aber nichts mehr, als daß mich meine Angelegenheiten so eilig wiederum nach Hause treiben, mithin verhindern, eurer Hochzeit, als ein fröhlicher Gast, beyzuwohnen.
Der junge Kauffmann stutzte, und wolte nicht glauben, daß der Herr von Leuven so bald nach Antwerpen zurück kehren müsse, da er aber den Ernst vermerckte, und seinen vermeinten Schwieger-VaterPlürs, unsern Wohlthäter, herzu ruffte, ging es an ein gewaltiges Nöthigen, jedoch der Herr von Leuven blieb nach vielen dargethanen Entschuldigungen bey seinem Vorsatze, morgenden Mittag abzureisen, und nahm schon im Voraus von der gantzen Gesellschafft Abschied.
[124] Es war die gantze Land-Lust auf 8. Tage lang angestellet, da aber wir nur den 3ten Tag abgewartet hatten, und fort wolten, erbothen sich die meisten uns das Geleite zu geben, allein der Herr von Leuven nebst denen Hoffnungs- vollen Schwieger-Söhnen des Herrn Plürs brachten es durch vieles Bitten dahin, daß wir des folgenden Tages bey Zeiten abreisen durfften, ohne von jemand begleitet zu werden, dahero die gantze Gesellschafft ohngestöhrt beysammen blieb.
So bald wir wiederum in Londen in unsern Quartier angelanget waren, ließ mein Herr einen schnellen Post-Wagen holen, unsere Sachen in aller Eil aufpacken, und Tag und Nacht auf Douvres zu jagen, allwo wir des andern Abends eintraffen, unsere Sachen auf ein parat liegendes Schiff schafften, und mit guten Winde nach Calais abfuhren.
Vor selbigen Hafen wartete allbereit ein ander Schiff, weßwegen wir uns nebst allen unsern Sachen dahinein begaben, das vorige Schiff zurück gehen liessen, und den Weg nach Ost-Indien erwehleten. Es war allbereit Nacht, da ich in das neue Schiff einstieg, allwo mich der Herr von Leuven bey der Hand fassete, und in eine Cammer führete, worinnen eine ungemein schöne Weibs-Person bey einer jungen 24. jährigen Manns Person saß. Mein liebster Albert Julius! sagte der Herr von Leuven zu mir, nunmehro ist der Haupt-Actus von unserer gespielten Comœdie zum Ende, sehet, dieses ist Concordia Plürs, das schönste Frauenzimmer, welches ihr gestern [125] vielmahls habt erwehnen hören. Kurtz, es ist mein liebster Schatz, dieser bey ihr sitzende Herr ist ihr Bruder, wir reisen nach Ceylon, und hoffen daselbst unser vollkommenes Vergnügen zu finden, ihr aber, mein lieber Julius, werdet euch gefallen lassen, an allen unsern Glücks-und Unglücks-Fällen gleichen Theil zu nehmen, denn wir wollen euch nicht verlassen, sondern, so GOtt will, in Ost-Indien reich und glücklich machen.
Ich küssete dem Herrn von Leuven die Hand, grüssete die nunmehro bekandten Frembden, wünschte Glück zu ihren Vorhaben, und versprach als ein treuer Diener von ihnen zu leben und zu sterben.
Wenige Tage hierauf ließ sich der Herr van Leuven mit mir in grössere Vertraulichkeit ein, da ich denn aus seinen Erzehlungen umständlich erfuhr, daß seine Sachen folgende Beschaffenheit hatten: Der alte Herrvan Leuven war unter den Kriegs-Völckern der vereinigten Niederländer, seit vielen Jahren, als ein hoherOfficier in Diensten gewesen, und hatte in einer blutigen Action den rechten Arm eingebüsset, weßwegen er das Soldaten-Handwerck niedergelegt, und in Antwerpen ein geruhiges Leben zu führen getrachtet; weil er ein Mann, der grosse Mittel besaß. Seine 3. ältesten Söhne suchten dem ohngeacht ihr Glück unter den Kriegs-Fahnen und auf den Kriegs-Schiffen der vereinigten Niederländer, der jüngste aber, als mein gütiger Herr, Carl Franz van Leuven, blieb bey dem Vater, solte ein Staats-Mann werden, und wurde deßwegen in seinen besten Jahren hinüber [126] nach Engelland geschickt, allwo er nicht allein in allen Adelichen Wissenschafften vortrefflich zunahm, sondern auch seines Vaters Engelländisches Negotium mit ungemeiner Klugheit führete. Hierbey aber verliebt er sich gantz ausserordentlich in die Tochter eines Englischen Kauffmanns, Plürs genannt, erweckt durch sein angenehmes Wesen bey derselben eine gleichmäßige Liebe. Kurtz zu sagen, sie werden vollkommen unter sich eins, schweren einander ewige Treue zu, undMons. van Leuven zweiffelt gar nicht im geringsten, so wohl seinen als der Concordiæ Vater dahin zu bereden, daß beyde ihren Willen zur baldigen Ehe-Verbindung geben möchten. Allein, so leicht sie sich anfangs die Sachen auf beyden Seiten einbilden, so schwer und sauer wird ihnen nachhero der Fortgang gemacht, denn der alte Herr van Leuven hatte schon ein reiches Adeliches Fräulein vor seinen jüngsten Sohn ausersehen, wolte denselben auch durchaus nicht aus dem Ritter-Stande heyrathen lassen, und der Kauffmann Plürs entschuldigte seine abschlägige Antwort damit, weil er seine jüngste Tochter, Concordiam, allbereit in der Wiege an eines reichen Wechslers Sohn versprochen hätte. Da aber dennochMons. van Leuven von der hertzlich geliebten Concordia nicht ablassen will, wird er von seinem Herrn Vater zurück nach Antwerpen beruffen. Er gehorsamet zwar, nimmt aber vorhero richtigen Verlaß mit der Concordia, wie sie ihre Sachen in Zukunfft anstellen, und einander öfftere schrifftliche Nachricht von beyderseits Zustande geben wollen.
[127] So bald er seinem Herrn Vater die Hand geküsset, wird ihm von selbigem ein starcker Verweiß, wegen seiner niederträchtigen Liebe, gegeben, mit der Versicherung, daß er ihn nimmermehr vor seinen Sohn erkennen wolle, wenn sich sein Hertze nicht der gemeinen Kauffmanns-Tochter entschlüge, im Gegentheil das vorgeschlagene Adeliche Fräulein erwehlete.Mons. van Leuven will seinen Vater mit allzu starcker Hartnäckigkeit nicht betrüben, bequemet sich also zum Scheine, in allen Stücken nach dessen Willen, im Hertzen aber thut er einen Schwur, von derConcordia nimmermehr abzulassen.
Inzwischen wird der alte Vater treuhertzig gemacht, setzet in des Sohnes verstellten Gehorsam ein völliges Vertrauen, committirt ihn in wichtigen Verrichtungen einige Reisen an verschiedene Oerter in Teutschland, wobey es denn eben zutraff, daß er mich in Bremen zu sich, von dar aber mit zurück nach Antwerpen nahm. Einige Zeit nach seiner Zurückkunfft muste sich der gute Monsieur van Leuven mit dem wiederwärtigen Fräulein, welche zwar sehr reich, aber von Gesichte und Leibes-Gestalt sehr heßlich war, versprechen, die Vollziehung aber dieses ehelichen Verbindnisses konte nicht sogleich geschehen, weil sich der Vater gemüssiget sahe, den jungen Herrn von Leuven vorhero nochmahls in wichtigen Verrichtungen nach Engelland zu schicken. Er hatte ihm die ernstlichsten Vermahnungen gegeben, sich von der Concordia nicht etwa wieder aufs neue fangen zu lassen, auch den Umgang mit ihren Anverwandten möglichstens[128] zu vermeiden, allein Mons. van Leuven konte der hefftigen Liebe ohnmöglich widerstehen, sondern war Vorhabens, seine Concordiam heimlich zu entführen. Jedoch in Engelland deßfals niemanden Verdacht zu erwecken, muste ich mich als ein Frauenzimmer ankleiden, und unschuldiger Weise seine Gemahlin heissen.
So bald wir in Londen angelanget waren, begab er sich zu seinen getreuen Freunden, in deren Behausung er die Concordiam öffters, doch sehr heimlich, sprechen konte. Mit ihrem mittelsten Bruder hatte Mons. Leuven eine dermassen feste Freundschafft gemacht, daß es schiene, als wären sie beyde ein Hertz und eine Seele, und eben dieser Bruder hatte geschworen, allen möglichsten Fleiß anzuwenden, daß kein anderer Mann, als Carl Franz van Leuven, seine SchwesterConcordiam ins Ehe-Bette haben solte. Wie er denn aus eigenem Triebe sich bemühet, einen Priester zu gewinnen, welcher ohne den geringsten Scrupel die beyden Verliebten, eines gewissen Abends, nehmlich am 9. Mart. ao. 1646. ordentlich und ehelich zusammen giebt, und zwar in ihrer Baasen Hause, in Beyseyn etlicher Zeugen, wie dieses Priesters eigenhändiges Attestat und beyder Verliebten Ehe-Contract, den ich, von 6. Zeugen unterschrieben, annoch in meiner Verwahrung habe, klar beweiset. Sie halten hierauf in eben dieser ihrer Baasen Hause ordentlich Beylager, machen sich in allen Stücken zu einer baldigen Flucht bereit, und warten auf nichts, als eine hierzu bequeme Gelegenheit. Der alte Plürs wuste von dieser geheimen Vermählung [129] so wenig als meines Herrn eigener Vater und ich, da ich mich doch, sein vertrautester Bedienter zu seyn, rühmen konte.
I ittelst hatte sich zwar Monsieur van Leuven gantz nicht heimlich in London aufgehalten, sondern so wohl auf der Bourse als andern öffentlichen Orten fast täglich sehen lassen, jedoch alle Gelegenheit vermieden, mit dem Kauffmanne Plürs ins Gespräche zu kommen.
Demnach beginnet es diesem eigensinnigem Kopffe nahe zu gehen, daß ihm ein so guter Bekandter, von dessen Vater er so manchen Vortheil gezogen, gäntzlich aus dem Garne gehen solte. Gehet ihm derowegen einsmahls gantz hurtig zu Leibe, und redet ihn also an: Mein Herr von Leuven! Ich bin unglücklich, daß auf so unvermuthete Art an euch einen meiner besten Herrn und Freunde verlieren müssen, aber bedencket doch selbst: meine Tochter hatte ich allbereit versprochen, da ihr um sie anhieltet, da ich nun allezeit lieber sterben, als mein Wort brechen will, so saget mir doch nur, wie ich euch, meiner Tochter und mir hätte helffen sollen? Zumahlen, da euer Herr Vater selbsten nicht in solche Heyrath willigen wollen. Lasset doch das vergangene vergessen seyn, und verbleibet mein wahrer Freund, der Himmel wird euch schon mit einer weit schönern und reichern Gemahlin zu versorgen wissen. Mons. Leuven hatte hierauf zur Antwort gegeben: Mein werthester Herr Plürs, gedencket an nichts von allen vergangenen, ich bin ein getreuer Freund und Diener von euch, vor eure Tochter, die schöne Concordia, habe ich zwar annoch [130] die gröste Achtbarkeit, allein nichts von der auf eine Ehe abzielenden hefftigen Liebe mehr, weil ich von dem Glücke allbereits mit einer andern, nicht weniger annehmlichen Gemahlin versorgt bin, die ich auch itzo bey mir in London habe.
Plürs hatte vor Verwirrung fast nicht reden können, da er aber von Mons. Leuven einer guten Freundschafft, und daß er im puren Ernste redete, nochmahlige Versicherung empfieng, umarmete er denselben vor grossen Freuden, und bath, seinem Hause die Ehre zu gönnen, nebst seiner Gemahlin bey ihm zulogiren, allein van Leuven danckte vor das gütige Erbieten, mit dem Bedeuten: daß er sich nicht lange in London aufhalten, mithin sein Logis nicht erstlich verändern könne, doch wolte er dem Herrn Plürs ehester Tages, so bald seine Sachen erstlich ein wenig expediret, in Gesellschafft seiner Gemahlin, die itzo etwas Unpaß wäre, eine Visite geben.
Hierbey bleibt es, Plürs aber, der sich bey des vonLeuven guten Freunden weiter erkundiget, vernimmt die Bekräfftigung dessen, was er von ihm selbst vernommen, mit grösten Vergnügen, machet Anstalt uns aufs beste zu bewirthen, da mitlerweile Mons. vonLeuven, seine Liebste, und ihr Bruder Anton Plürs, auch die beste Anstalt zur schleunigen Flucht, und mit einem Ost-Indien-Fahrer das Gedinge machten, der sie auf die Insul Ceylon verschaffen solte. IndemMons. von Leuvens Vaters Bruder, ein Gouverneur oder Consul [131] auf selbiger Insul war, und er sich bey demselben alles kräfftigen Schutzes getröstete.
Der 25. May war endlich derjenige gewünschte Tag an welchem Mons. de Leuven nebst mir, seiner Schein-Gemahlin, auf des Herrn Plürs Vorwerg 3. Meilen von London gelegen, abfuhren, und allda 8. Tage zu Gaste bleiben solten. Und eben selbigen Abend wolten auch Anton Plürs, und Concordia, über Douvres nach Calais passiren. Denn Concordia hatte, diese Land Lust zu vermeiden, nicht allein hefftige Kopf-Schmertzen vorgeschützt, sondern auch ihren Eltern ins Gesicht gesagt: Sie könne den van Leuven unmöglich vor Augen sehen, sondern bäte, man möchte sich nur, binnen der Zeit, um sie unbekümmert lassen, weil sie, so lange die Lust währete, bey ihrer Baase in der Stille verbleiben wolte, welches ihr denn endlich zugestanden wurde.
Wie wir hingegen auf dem Vorwerge unsere Zeit hingebracht, ingleichen wie wir allen Leuten unsere Verbündniß glaubend gemacht, auch daß ich mit meinem Herrn, welcher alle seine Dinge schon vorhero in Ordnung gebracht, ohne allen Verdacht abreisete, und beyde glücklich bey dem vor Calais wartenden Ost-Indien-Fahrer anlangeten, dieses habe allbereit erwehnet; derowegen will nur noch mit wenigen melden, daß Mons. Anton Plürs, gleich Abends am 25. May, seine Schwester Concordiam, mit guten Vorbewust ihrer Baase und anderer 4. Befreundten, entführet und in Manns-Kleidern glücklich aus dem Lande gebracht hatte. Die guten Freunde stunden zwar in den Gedancken, als [132] solte Concordia nach Antwerpen geführet werden, allein es befand sich gantz anders, deñ van Leuven, Anton und Concordia, hatten eine weit genauere Abrede mit einander genommen. Was man nach der Zeit in London und Antwerpen von uns gedacht und geredet hat, kan ich zwar wol Muthmassen, aber nicht eigentlich erzehlen. Jedoch da wir bey denCanarischen Insuln, und den Insuln des grünen Vor-Gebürges glücklich vorbey passiret waren, also keine so hefftige Furcht mehr vor den Spanischen Krieges-Schiffen hegen durfften, bekümmerten sich unsere erfreuten Hertzen weiter um nichts, waren Lustig und guter Dinge, und hofften in Ceylon den Haafen unseres völligen Vergnügens zu finden.
Allein, meine Lieben! sagte hier Albertus Julius, es ist nunmehro Zeit auf dieses mal abzubrechen, derowegen wollen wir beten, zu Bette gehen, und so GOTT will, Morgen die Einwohner in Davids-Raum besuchen. Nach diesem werde in der Erzehlung meiner Lebens-Geschicht, und der damit verknüpfften Umbstände fortfahren. Wir danckten unserm lieben Alt-Vater vor seine Bemühung, folgten dessen Befehle, und waren, nach wohlgehaltener Ruhe, des folgenden Morgens mit Aufgang der Sonnen wiederum beysammen. Nachdem die Morgen-Gebeths-Stunde und ein gutes Früh-Stück eingenommen war, reiseten wir auf gestrige Art den allerlustigsten Weg in einer Allee biß nach Davids-Raum, dieses war eine von den mittelmäßigen Pflantz-Städten, indem wir 12. Wohnhäuser darinnen antraffen, welche alle ziemlich [133] geraumlich gebauet, auch mit schönen Gärten, Scheuern und Ställen versehen waren. Alle Winckel zeugten, daß die Einwohner keine Müßiggänger seyn müsten, wie wir denn selbige mehrentheils auf dem wohlbestellten Felde fanden. Doch muß ich allhier nicht vergessen, daß wir allda besondere Schuster in der Arbeit antraffen, welche vor die anderen Insulaner gemeine Schue von den Häuten der Meer-Thiere, und dann auch Staats-Schue von Hirsch- und Reh-Leder machten, und dieselben gegen andere Sachen, die ihnen zu weit entlegen schienen, vertauschten. In dasigem Felde befand sich ein vortreffliches Kalck-Thon- und Leimen-Gebürge, worüber unser mitgebrachter Töpffer, Nicolaus Schreiner, eine besondere Freude bezeigte, und so gleich um Erlaubniß bath: morgendes Tages den Anfang zu seiner Werckstadt zu machen. Die Gräntze selbiger Einwohner setzte der Fluß, der sich, gegen Westen zu, durch den Felsen hindurch ins Meer stürtzte. Sonsten hatten sie ihre Waldung mit ihren Nachbarn zu Alberts-Raum fast in gleichen Theile, anbey aber musten sie auch mit diesen ihren Gräntz-Nachbarn die Last tragen, die Küste und Bucht nach Norden hin, zu bewahren. Dieserwegen war unten am Felsen ein bequemliches Wacht-Hauß erbauet, worinnen sie im Winter Feuer halten und schlafen konten.Mons. Wolffgang, ich und noch einige andere, waren so curieux, den schmalen Stieg zum Felsen hinauf zu klettern, und fanden auf der Höhe 4. metallene mittelmäßige Stücken gepflantzt, und dabey ein artiges Schilder-Häußgen auf ein paar [134] Personen in den Felsen gehauen, da man ebenfalls Feuer halten, und gantz wol auch im Winter darinnen bleiben konte. Nächst diesen eine ordentliche Zug-Brücke nach der verborgenen Treppe zu, von welcher man herab nach der Sand-Banck und See steigen konte, und selbiger zur Seiten zwey vortreffliche Kloben und Winden, vermittelst welcher man in einem Tage mehr als 1000. Centner Waaren auf- und nieder lassen konte. Der angenehme prospect auf die Sand-Banck, in die offenbare See, und dann lincker Hand in die schöne Bucht, welche aber einen sehr gefährlichen Eingang hatte, war gantz ungemein, ausser dem, daß man allhier auch die gantze Insul, als unser kleines Paradieß, völlig übersehen konte.
Nachdem wir über eine gute Stunde auf solcher Höhe verweilet, und glücklich wieder herunter kommen waren, ließ sich unser Altvater, nebst Herr M. Schmeltzern, bey einer Kreissenden Frau antreffen, selbige kam bald darauff mit einer jungen Tochter nieder, und verrichtete Herr Mag. Schmeltzer allhier so gleich seinen ersten Tauff Actum, worbey Mons. Wolffgang, ich und die nechste Nachbarin Tauff-Pathen abgaben, (selbiges junge Töchterlein, welches das erste Kind war, so auf dieser Insul durch Priesters Hand getaufft worden, und die Nahmen Eberhardina Maria empfieng, ist auf der untersten Linie der IX.Genealogischen Tabelle mit NB. * * * bezeichnet.) Wir wurden hierauff von dem Kindtauffen-Vater mit Wein, weissem Brodte, und wohlschmeckenden Früchten tractiret, [135] reiseten also gegen die Zeit des Untergangs der Sonnen vergnügt zurück auf Alberts Burg.
Herr Mag. Schmeltzer war sehr erfreuet, daß er selbiges Tages ein Stück heilige Arbeit gefunden hatte, der Altvater vergnügte sich hertzlich über diese besondere Gnade GOTTES. Mons. Wolffgang aber schickte vor mich und sich, noch selbigen Abend unserer kleinen Pathe zum Geschencke 12. Elen feine Leinewand, 4. Elen Cattun, ein vollgestopfftes Küssen von Gänse-Federn, nebst verschiedenen kräfftigen Hertzstärckungen und andern dienlichen Sachen vor die Wöchnerin, wie denn auch vor die gantze Gemeine das deputirte Geschenck an 10. Bibeln und 20. Gesang- und Gebeth-Büchern ausgegeben wurde. Nachdem wir aber nunmehro unsere Tages-Arbeit verrichtet, und die Abend-Mahlzeit eingenommen hatten, setzte unser Alt-Vater die Erzehlung seiner Lebens-Geschicht also fort:
Wir hielten eine dermassen glückliche Farth, dergleichen sich wenig See-Fahrer zur selben Zeit, gethan zu haben, rühmten. Indem das Vor-Gebürge der guten Hofnung sich allbereit von ferne erblicken ließ, ehe wir noch das allergeringste von Regen, Sturm, und Ungewitter erfahren hatten. Der Capitain des Schiffs machte uns Hoffnung, daß wir aufs Längste in 3. oder 4. Tagen daselbst anländen, und etliche Tage auf dem Lande ausruhen würden; Allein die Rechnung war ohne den Wirth gemacht, und das Verhängniß hatte gantz ein anderes über uns beschlossen, denn folgenden Mittag umzohe sich der Himmel überall mit schwartzen [136] Wolcken, die Lufft wurde dick und finster, endlich schoß der Regen nicht etwa Tropffen, sondern Strohm-Weise auf uns herab, und hielt biß um Mitternacht ohne allen Unterlaß an. Da aber die sehr tieff herab hangenden Wolcken ihrer wichtigsten Last kaum in etwas entledigt uñ besänftigt zu seyn schienen, erhub sich dargegen ein dermassen gewaltiger Sturm-Wind, daß man auch vor dessen entsetzlichen Brausen, wie ich glaube, den Knall einer Canone nicht würde gehört haben. Diese unsichtbare Gewalt muste, meines Erachtens, unser Schiff zuweilen in einer Stunde sehr viel Meilen fortführen, zuweilen aber schiene selbes auf einer Stelle zu bleiben, und wurde als ein Kreusel in der See herum gedrehet, hernachmals von den Erstaunens-würdigen Wellen bald biß an die Wolcken hinan, augenblicklich aber auch herunter in den aufgerissenen Rachen der Tiefe geworffen. Ein frischer, und noch viel heftigerer Regen als der Vorige, vereinigte sich noch, zu unserm desto grössern Elende, mit dem Sturm-Winden, und kurtz zu sagen, es hatte das Ansehen, als ob alle Feinde und Verfolger der See-Fahrenden unsern Untergang auf die erschrecklichste Arth zu befördern beschlossen hätten.
Man sagt sonst: Je länger das Unglück und widerwärtige Schicksal anhalte, je besser man sich darein schicken lerne, jedoch daß dieses damals bey uns eingetroffen, kan ich mich nicht im geringsten erinnern. Im Gegentheil muß bekennen, daß unsere Hertzhafftigkeit, nachdem wir 2. Nachte und dritthalben Tag in solcher Angst zugebracht, vollends [137] gäntzlich zerfloß, weil die mit Donner und Blitz abermals herein brechende Nacht, schlechten Trost und Hoffnung versprach. Concordia und ich waren vermuthlich die allerelendesten unter allen, indem wir währenden Sturms nicht allein keinen Augenblick geschlaffen hatten, sondern auch dermassen matt und taumelnd gemacht waren, daß wir den Kopf gantz und gar nicht mehr in die Höhe halten konten, und fast das Eingeweyde aus dem Leibe brechen musten. Mons. de Leuven und Anton Plürs konten von der höchst sauren, und letzlich doch vergeblichen Arbeit auf dem Schiffe, kaum so viel abbrechen, daß sie uns zuweilen auf eine Minute besuchten, wiewol auch ohnedem nichts vermögend war, uns einige Linderung zu verschaffen, als etliche Stunden Ruhe. Wir höreten auf dem Schiffe, so offt der Sturm nur ein wenig inne hielt, ein grausames Lermen, kehreten uns aber an nichts mehr, weil sich unsere Sinnen schon bereitet hatten, das jämmerliche Ende unseres Lebens mit Gedult abzuwarten. Da aber die erbärmlichen Worte ausgeruffen wurden: GOTT sey uns gnädig, nun sind wir alle des Todes, vergieng so wol mir als der Concordia der Verstand solchergestalt, daß wir als Ohnmächtige da lagen. Doch habe ich in meiner Schwachheit noch so viel verspüret, daß das Schiff vermuthlich an einen harten Felsen zerscheiterte, indem es ein grausames Krachen und Prasseln verursachte, das Hintertheil aber, worinnen wir lagen, mochte sehr tieff unter Wasser gekommen seyn, weil selbiges unsere Kammer über die Helffte anfüllete, jedoch alsobald wieder zurück lief, [138] worauff alles in gantz verkehrten Zustande blieb, indem der Fuß-Boden zu einer Seiten-Wand geworden, und wir beyden Krancken uns in den Winckel der Kammer geworffen, befanden. Weiter weiß ich nicht, wie mir geschehen ist, indem mich entweder eine Ohnmacht oder allzustarcker Schlaf überfiel, aus welchem ich mich nicht eher als des andern Tages ermuntern konte, da sich mein schwacher Cörper auf einer Sand-Banck an der Sonne liegend befand.
Es kam mir als etwas recht ungewöhnliches vor, da ich die Sonne am aufgeklärten Himmel erblickte, und von deren erwärmenden Strahlen die allerangenehmste Erquickung in meinen Gliedern empfieng. Ich richtete mich auf, sahe mich um, und entsetzte mich gewaltig, da ich sonst keinen Menschen, als die Concordia, Mons. van Leuven, und den Schiffs-Capitain Lemelie, ohnfern von mir schlaffend, hinterwärts einen grausamen Felsen, seitwärts das Hintertheil vom zerscheiterten Schiffe, sonsten aber nichts als Sand-Bäncke, Wasser und Himmel sahe. Da aber die Seite, auf welcher ich gelegen, nebst den Kleidern, an noch sehr kalt und naß war, drehete ich selbige gegen die Sonne um, und verfiel aufs neue in einen tieffen Schlaf, aus welchem mich, gegen Untergang der Sonnen, Mons. van Leuven erweckte. Er gab mir einen mäßigen Topf mit Weine, und eine gute Hand vollConfect, welches ich noch halb schläferig annahm, und mit grosser Begierde in den Magen schickte, massen nunmehro fast in 4. Tagen weder gegessen noch getruncken hatte. Hierauff empfieng ich noch [139] einen halben Topf Wein, nebst einem Stück Zwieback, mit der Erinnerung, daß ich mich damit biß Morgen behelffen müste, weiln ein mehreres meiner Gesundheit schädlich seyn möchte.
Nachdem ich auch dieses verzehret, und mich durchaus erwärmt, auch meine Kleider gantz trucken befand, kam ich auf einmal wieder zu Verstande, und bedünckte mich so starck als ein Löwe zu seyn. Meine erste Frage war nach unsern übrigen Reise-Gefährten, weil ich, außer uns vier vorerwehnten, noch niemand mehr sahe. Muste aber mit grösten Leydwesen anhören, daß sie vermuthlich ingesammt würden ertruncken seyn, wenn sie GOtt nicht auf so wunderbare Art als uns, errettet hätte. Denn vor Menschlichen Augen war es vergeblich, an eines eintzigen Rettung zu gedencken, weiln die Zerscheiterung des Schiffs noch vor Mitternacht geschehen, der Sturm sich erstlich 2. Stunden vor Aufgang der Sonnen ge legt hatte, das Hintertheil des Schiffs aber, worauff wir 4. Personen allein geblieben, mit aller Gewalt auf diese Sand-Banck getrieben war. Ich beklagte sonderlich den ehrlichen Mons. Anton Plürs, der sich bey uns nicht sicher zu seyn geschätzt, sondern nebst allzuvielen andern Menschen, einen leichten Nachen erwehlt, doch mit allen diesen sein Begräbniß in der Tiefe gefunden. Sonsten berichtete Mons. van Leuven, daß er so wol mich, als die Concordiam, mit gröster Müh auf die Sand-Banck getragen, weil ihm der eigensinnige und Verzweiffelungs-volle Capitain nicht die geringste Handreichung thun wollen.
[140] Dieser wunderliche Capitain Lemelie saß dorten von ferne, mit unterstützten Haupte, und an statt, daß er dem Allmächtigen vor die Fristung seines Lebens dancken solte, fuhren lauter schändliche gottlose Flüche wider das ihm so feindseelige Verhängniß aus seinem ruchlosen Munde, wolte sich auch mit nichts trösten lassen, weiln er nunmehro, so wol seine Ehre, als gantzes Vermögen verlohren zu haben, vorgab. Mons. de Leuven und ich verliessen den närrischen Kopf, wünschten daß er sich eines Bessern besinnen möchte, und giengen zur Concordia, welche ihr Ehe-Mann in viele von der Sonne erwärmte Tücher und Kleider eingehüllt hatte. Allein wir fanden sie dem ohngeacht, in sehr schlechten Zustande, weil sie sich biß diese Stunde noch nicht erwärmen, auch weder Speise noch Geträncke bey sich behalten konte, sondern vom starcken Froste beständig mit den Zähnen klapperte. Ich zog meine Kleider aus, badete durch das Wasser biß an das zerbrochene Schiff, und langete von selbigem etliche stücken Holtz ab, welche ich mit einem darauff gefundenen breiten Degen zersplitterte, und auf dem Kopffe hinüber trug, um auf unserer Sand-Banck ein Feuer anzumachen, wobey sich Concordia erwärmen könte. Allein zum Unglück hatte weder der Capitain Lemelie, noch Mons. Leuvens ein Feuerzeug bey sich. Ich fragte den Capitain, auf was vor Art wir etwa Feuer bekommen könten? allein er gab zur Antwort: Was Feuer? ihr habt Ehre genug, wenn ihr alle Drey mit mir crepiret. Mein Herr, gab ich zur Antwort, ich bin vor meine Person so hochmüthig nicht. Besann mich aber [141] bald, daß ich in unserer Cajŭte ehemals eine Rolle Schwefel hengen sehen, badete derowegen nochmals hinüber in das Schiff, und fand nicht allein diese, sondern auch ein paar wol eingewickelte Pistolen, welche mir nebst dem Schwefel zum schönsten Feuerzeuge dieneten, an statt des Strohes aber brauchte ich meinen schönen Baumwollenen, in lauter Streiffen zerrissenen Brust-Latz, machte Feuer an, und bließ so lange, biß das ziemlich klein gesplitterte Holtz in volle Flamme gerieth.
Mons. van Leuven war hertzlich erfreuet über meinen glücklichen Einfall, und badete noch zwey mal mit mir hinüber, um so viel Holtz aus dem Schiffs-Stücke zu brechen, wobey wir uns die gantze Nacht hindurch gemächlich wärmen könten. Die Witterung war zwar die gantze Nacht hindurch, dermassen angenehm, als es in Sachsen die besten Sommer-Nächte hindurch zu seyn pfleget, allein es war uns nur um unsere frostige Patientin zu thun, welche wir der Länge lang gegen das Feuer legten, und aufs allerbeste besorgten. Der tolle Capitain kam endlich auch zu uns, eine Pfeiffe Toback anzustecken, da ich ihn aber mit seinen Tobackrauchen schraubte, indem er ja zucrepiren willens wäre, gieng er stillschweigend mit einer scheelen mine zurück an seinen vorigen Ort.
Concordia war indessen in einen tieffen Schlaf gefallen und forderte, nachdem sie gegen Morgen erwacht war, einen Trunck frisch Wasser, allein weil ihr solches zu verschaffen unmöglich, beredete Mons. van Leuven dieselbe, ein wenig Wein zu trincken, sie nahm denselben, weil er sehr Frisch war, [142] begierig zu sich, befand sich aber in kurtzen sehr übel drauff, massen sie wie eine Kohle glüete, und ihr, ihrem sagen nach, der Wein das Hertze abbrennen wolte. Ihr Ehe-Herr machte ihr die grösten Liebkosungen, allein sie schien sich wenig darum zu bekümmern, und fieng unverhofft also zu reden an: Carl Frantz gehet mir aus den Augen, damit ich ruhig sterben kan, die übermäßige Liebe zu euch hat mich angetrieben das 4te Gebot zu übertreten, und meine Eltern biß in den tod zu betrüben, es ist eine gerechte Strafe des Himmels, daß ich, auf dieser elenden Stelle, mit meinen Leben davor büssen muß. GOTT sey meiner und eurer Seele gnädig.
Kein Donnerschlag hätte Mons. van Leuven erschrecklicher in die Ohren schmettern können, als diese Centner schweren Worte. Er konte nichts darauff antworten, stund aber in vollkommener Verzweiffelung auf, lieff nach dem Meere zu, und hätte sich gantz gewiß ersäufft, wenn ich ihm nicht nachgelauffen, und durch die kräfftigsten Reden die mir GOTTES Geist eingab, damals sein Leib und Seele gerettet hätte.
So bald er wieder zurück auf die trockene Sand-Banck gebracht war, legte ich ihm nur diese Frage vor: Ob er denn sein Leben, welches ihm GOTT unter so vielen wunderbarer Weise erhalten, nunmehro aus Ubereilung dem Teufel, samt seiner Seele hingeben wolte? Hierzu setzte ich noch, daß Concordia wegen übermäßiger Hitze nicht alle Worte so geschickt, wie sonsten, vorbringen könte, auch vielleicht in wenig Stunden gantz anders reden [143] würde, u.s.w. Worauff er sich denn auch eines andern besonn, und mir hoch und theur zuschwur, sich mit christl. Gedult in alles zu geben, was der Himmel über ihn verhängen wolle. Er bat mich anbey, alleine zur Concordia zu gehen, und dieselbe mit Gelegenheit auf andere Gedancken zu bringen. Ich bat ihn noch einmal, seine Seele, Himmel und Hölle zu bedencken, und begab mich zur Concordia, welche mich bat: Ich möchte doch aus jenem Mantel etwas Regen-Wasser ausdrücken, und ihr solches zu trincken geben. Ich versicherte ihr solches zu thun, und begehrete nur etwas Gedult von ihr, weil diese Arbeit nicht so hurtig zugehen möchte. Sie versprach, wiewohl in würcklicher Phantasie, eine halbe Stunde zu warten; Aber mein GOTT! da war weder Mantel noch nichts, woraus ein eintziger Tropffen Wassers zu drücken gewesen wäre. Derowegen lieff ich ohn ausgezogen durch die See nach dem Schiffe zu, und fand, zu meinen selbst eigenen grösten Freuden, ein zugepichtes Faß mit süssen Wasser, worvon ich ein erträgliches Lägel füllete, aus unsererCajŭte etwas Thee, Zucker und Zimmet zu mir nahm, und so hurtig als möglich wieder zurück eilete. Ohngeacht ich aber kaum eine halbe Stunde ausgeblieben war, sagte doch Concordia, indem ich ihr einen Becher mit frischen Wasser reichte: Ihr hättet binnen 5. Stunden keine Tonne Wasser außdrücken dürffen, wenn ihr mich nur mit einem Löffel voll hättet erquicken wollen; aber ihr wollet mir nur das Hertze mit Weine brechen, GOTT vergebe es euch. Doch da sie den Becher mit frischen Wasser ausgetruncken [144] hatte, sagte ihr lechzender Mund: Habet Danck mein lieber Albert Julius vor eure Mühe, nun bin ich vollkommen erquickt, deckt mich zu, und lasset mich schlafen. Ich Gehorsamete ihrem Begehren, machte hinter ihren Rücken ein gelindes Feuer an, welches nicht eher ausgehen durffte, biß die Sonne mit ihren kräfftigen Strahlen hoch genung zu stehen kam.
Immittelst da sie wiederum in einen ordentlichen Schlaf verfallen war, ruffte ich ihren Ehe-Herrn, der sich wol 300. Schritt darvon gesetzt hatte, herzu, tröstete denselben, und versicherte, daß mich seiner Liebsten Zustand gäntzlich überredete, sie würde nachdem sie nochmals erwacht, sich ungemein Besser befinden.
Damals war ich ein unschuldiger, aber doch in der Wahrheit recht glücklicher Prophete. Denn 2. Stunden nach dem Mittage wachte Concordia von sich selbst auf, forderte ein klein wenig Wein, und fragte zugleich, wo ihr Carl Frantz wäre? Selbiger trat Augenblicklich hervor, und Küssete dieselbe kniend mit thränenden Augen. Sie trocknete seine Thränen mit ihrem Halß-Tuche ab, und sprach mit frischer Stimme: Weinet nicht mein Schatz, denn ich befinde mich itzo weit Besser, GOTT wird weiter helffen.
Ich hatte, binnen der Zeit, in zweyen Töpffen Thee gekocht, weiln aber keine Schaalen vorhanden waren, reichte ich ihr selbigen Tranck, an statt des gefoderten Weins, in dem Wein-Becher hin. Ihr lechzendes Hertze fand ein besonderes Labsal daran, Mons. van Leuven aber, und ich, schmauseten [145] aus dem einen irrdenen Topffe auch mit, und wusten fast vor Freuden nicht was wir thun solten, da wir die halb tod gewesene Concordia nunmehro wiederum ausser Gefahr halten, und bey vollkommenen Verstande sehen konten.
Lemelie hatte sich binnen der Zeit durch das Wasser auf das zerbrochene Schiff gemacht, wir hofften zwar er würde vor Abends wiederum zurück kommen, sahen und höreten aber nichts von ihm, weßwegenMons. van Leuven Willens war hin zu baden, nach demselben zu sehen, und etwas Holtz mit zu bringen, da aber ich versicherte, daß wir auf diese Nacht noch Holtz zur Gnüge hätten, ließ ers bleiben, und wartete seine Concordia mit den trefflichsten Liebkosungen ab, biß sie abermals einschlieff, worauff wir uns beredeten, wechsels-weise bey derselben zu wachen.
Selbige Nacht wurde schon weit vergnügter als die vorige hingebracht, mit aufgehender Sonne aber wurde ich gewahr, daß die See allerhand Packen und Küsten auf die nah gelegenen Sand-Bäncke, und an das grosse Felsen-Ufer, auch an unsere Sand-Banck ebenfalls, nebst verschiedenen Waaren, einen mittelmäßigen Nachen gespielet hatte. Dieses kleine Fahr-Zeug hieß wol recht ein vom Himmel zugeschicktes Glücks Schiff, denn mit selbigen konten wir doch, wie ich so gleich bedachte, an den nah gelegenen Felsen fahren, aus welchen wir einen gantzen Strohm des schönsten klaren Wassers schiessen sahen.
So bald demnach Mons. van Leuven aufgewacht, zeigte ich ihme die Merckmahle der wunderbaren[146] Vorsehung GOTTES, worüber er so wol als ich, die allergröste Freude bezeigte. Wir danckten GOTT bey unsern Morgen-Gebete auf den Knien davor, und so bald Concordia erwacht, auch nach befundenen guten Zustande, mit etwas Wein und Confect gestärckt war, machten wir uns an den Ort, wo das kleine Fahrzeug gantz auf den Sand geschoben lag. Mons. de Leuven erkannte an gewissen Zeichen, daß es eben dasselbe sey, mit welchem sein Schwager Anton Plŭrs untergangen sey, konte sich nebst mir hierüber des Weinens nicht enthalten; Allein wir musten uns über dessen gehabtes Unglück gezwungener Weise trösten, und die Hand an das Werck unserer eigenen Errettung ferner legen, weiln wir zur Zeit eines Sturms, auf dieser niedrigen Sand-Banck, bey weiten nicht so viel Sicherheit als am Felsen, hoffen durfften.
Es kostete nicht wenig Mühe, den so tieff im Sande steckenden Nachen heraus ins Wasser zu bringen, da es aber doch endlich angegangen war, banden wir selbiges an eine tieff in den Sand gesteckte Stange, machten aus Bretern ein paar Ruder, fuhren, da alles wol eingerichtet war, nach dem Stücke des zerscheiterten Schiffs, und fanden den Lemelie, der sich dermassen voll Wein gesoffen, daß er alles was er im Magen gehabt, wieder von sich speyen müssen, im tieffsten Schlafe liegen.
Mons. van Leuven wolte ihn nicht aufwecken, sondern suchte nebst mir alles, was wir von Victualien finden konten, zusammen, packten so viel, als der Nachen tragen mochte, auf, und thaten die erste Reise gantz hurtig und glücklich nach dem Ufer des [147] Felsens zu, fanden auch, daß allhier weit bequemlicher und sicherer zu verbleiben wäre, als auf der seichten Sand-Banck. So bald der Nachen ausgepackt war, fuhren wir eilig wieder zurück, um unsere kostbareste Waare, nemlich die Concordia dahin zu führen, wiewol vor rathsam befunden wurde, zugleich noch eine Last von den nothdürfftigsten Sachen aus dem Schiffe mit zu nehmen. Diese andere Farth gieng nicht weniger glücklich von statten, derowegen wurde am Felsen eine bequme Klufft ausgesucht, darinnen auch zur Zeit des Regens wol 6. Personen oberwarts bedeckt, gantz geräumlich sitzen konten. Allhier muste Concordia bey einem kleinen Feuer sitzen bleiben, wir aber thaten noch 2. Fahrten, und holeten immer so viel, als auf dem Nachen fortzubringen war, herüber. Bey der 5ten Ladung aber, welche gantz gegen Abend gethan wurde, ermunterte sich Lemelie erstlich, und machte grosse Augen, da er viele Sachen und sonderlich die Victualien mangeln, uns aber annoch in völliger Arbeit, auszuräumen sahe. Er fragte was das bedeuten solte? warum wir uns solcher Sachen bemächtigten, die doch nicht allein unser wären, und ob wir etwa als See-Räuber agiren wolten? Befahl auch diese Verwegenheit einzustellen, oder er wolle uns etwas anders weisen. Monsieur Lemelie, vorsatztevan Leuven hierauf, ich kan nicht anders glauben, als daß ihr euren Verstand verlohren haben müsset, weil ihr euch weder unseres guten Raths noch würcklicher Hülffe bedienen wollet. Allein ich bitte euch sehr, höret auf zu brutalisiren, denn die Zeiten haben sich leyder! verändert, euer Commando [148] ist zum Ende, es gilt unter uns dreyen einer so viel als der andere, die meisten Stimmen gelten, die Victualien und andern Sachen sind gemeinschafftlich, will der 3te nicht was 2. haben wollen, so mag er elendiglich crepiren. Schweiget mir auch ja von See-Räubern stille, sonsten werde mich genöthiget sehen zu zeigen, daß ich ein Cavalier bin, der das Hertze hat euch das Maul zu wischen. Lemelie wolte über diese Reden rasend werden, und Augenblicklich vom Leder ziehen, doch van Leuven ließ ihn hierzu nicht kommen, sondern riß den Großprahler als ein Kind zu Boden, und ließ ihm mit der vollen Faust, auf Nase und Maule ziemlich starck zur Ader. Nunmehro hatte es das Ansehen, als ob es dem Lemelie bloß hieran gefehlet hätte, weil er in wenig Minuten wieder zu seinem völligen Verstande kam, sich mit uns, dem Scheine nach, recht Brüderlich vertrug, und seine Hände mit an die Arbeit legte; so daß wir noch vor Nachts wohlbeladen bey Concordien in der neuen Felsen-Wohnung anlangeten. Wir bereiteten vor uns ingesammt eine gute Abend-Mahlzeit, und rechneten aus, daß wenigstens auf 14. TageProviant vor 4. Personen vorhanden sey, binnen welcher Zeit uns die Hoffnung trösten muste, daß der Himmel doch ein Schiff in diese Gegend, uns in ein gut Land zu führen, senden würde.
Concordia hatte sich diesen gantzen Tag, wie auch die darauff folgende Nacht sehr wol befunden, folgenden Tag aber, wurde sie abermals vom starcken Frost, und darauff folgender Hitze überfallen, worbey sie starck phanthasirte, doch gegen Abend [149] ward es wieder gut, also schlossen wir daraus, daß ihre gantze Kranckheit in einem gewöhnlichen kalten Fieber bestünde, welche Muthmassungen auch in so weit zutraffen, da sie selbiges Fieber wol noch 3. mal, allezeit über den 3ten Tag hatte, und sich nachhero mit 48. Stündigen Fasten selbsten curirete. Immittelst schien Lemelie ein aufrichtiges Mitleyden mit dieserPatientin zu haben, suchte auch bey allen Gelegenheiten sich uns und ihr, aus dermassen gefällig und dienstfertig zu erzeigen. An denen Tagen, da Concordia wol auf war, fuhren wir 3. Manns-Personen wech sels-weise an die Sand-Bäncke, und langeten die daselbst angeländeten Packen und Fässer von dar ab, und schafften selbige vor unsere Felsen-Herberge. Wir wolten auch das zerstückte Schiff, nach und nach vollends außladen, jedoch ein nächtlicher mäßiger Sturm war so gütig, uns solcher Mühe zu überheben, massen er selbiges gantze Stück nebst noch vielen andern Waaren, gantz nahe zu unserer Wohnung auf die Sand-Banck geschoben hatte. Demnach brauchten wir voritzo unsern Nachen so nöthig nicht mehr, führeten also denselben in eine Bucht, allwo er vor den Winden und Wellen sicher liegen konte.
Vierzehen Tage und Nächte verstrichen also, doch wolte sich zur Zeit bey uns noch kein Rettungs-Schiff einfinden, ohngeacht wir alle Tage fleißig Schildwache hielten, über dieses ein grosses weisses Tuch an einer hoch aufgerichteten Stange angemacht hatten.Concordia war völlig wieder gesund, doch fand sich nun nicht mehr, als noch etwa auf 3. oder 4. TageProviant, weßwegen wir alle [150] Fässer, Packen und Küsten ausräumten und durchsuchten, allein, ob sich schon ungemein kostbare Sachen darinnen fanden, so war doch sehr wenig dabey, welches die bevorstehende Hungers-Noth zu vertreiben vermögend war.
Wir armen Menschen sind so wunderlich geartet, daß wir zuweilen aus blossen Muthwillen solche Sachen vornehmen, von welchen wir doch im voraus wissen, daß dieselben mit tausendfachen Gefährlichkeiten verknüpfft sind; Im Gegentheil weñ unser Gemüthe zu anderer Zeit nur eine einfache Gefahr vermerckt, die doch eben so wol noch nicht einmal gegenwärtig ist, stellē wir uns an, als ob wir schon lange Zeit darinnen gesteckt hätten. Ich will zwar nicht sagen, daß alle Menschen von dergleichen Schlage wären, bey uns 4en aber braucht es keines Zweiffels, denn wir hatten, wiewol nicht alles aus der Erfahrung, jedoch vom hören und lesen, daß man auf der Schiffarth nach Ost-Indien, die Gefährlichkeiten von Donner, Blitz, Sturmwind, Regen, Hitze, Frost, Sclaverey, Schiffbruch, Hunger, Durst, Kranckheit und Tod zu befürchten habe; doch deren keine einzige konte den Vorsatz nach Ost-Indien zu reisen unterbrechen, nunmehro aber, da wir doch schon ein vieles überstanden, noch nicht den geringsten Hunger gelitten, und nur diesen eintzigen Feind, binnen etlichen Tagen, zu befürchten hatten, konten wir uns allerseits im voraus schon dermassen vor dem Hunger fürchten, daß auch nur das blosse dran dencken unsere Cörper auszuhungern vermögend war.
Lemelie that nichts als essen und trincken, Toback[151] rauchen, und dann und wann am Felsen herum spatzieren, worbey er sich mehrentheils auf eine recht närrische Art mit Pfeiffen und Singen hören ließ, vor seine künfftige Lebens-Erhaltung aber, trug er nicht die geringste Sorge. Mons. van Leuven machte bey seiner Liebsten lauter tieffsinnige Calender, und wenn es nur auf sein speculiren ankommen wäre, hätten wir, glaube ich, in einem Tage mehr Brod, Fleisch, Wein und andere Victualien bekommen, als 100. Mann in einem Jahre kaum aufessen können, oder es solte uns ohnfehlbar, entweder ein Lufft- oder See-Schiff in einem Augenblicke nach Ceylon geführet haben. Ich merckte zwar wol, daß die guten Leute mit dergleichen Lebens-Art der bevorstehenden Hungers-Noth kein Quee vorlegen würden, doch weil ich der jüngste unter ihnen, und auch selbst nicht den geringsten guten Rath zu ersinnen wuste; unterstund ich mich zwar, nicht die Lebens-Art älterer Leute zu tadeln, wolte aber doch auch nicht so verdüstert bey ihnen sitzen bleiben, kletterte derowegen an den Felsen herum so hoch ich kommen konte, in beständiger Hoffnung etwas neues und guts anzutreffen. Und eben diese meine Hoffnung Betrog mich nicht: Denn da ich eine ziemlich hohe Klippe, worauff ich mich ziemlich weit umsehen konte, erklettert hatte, erblickte ich jenseit des Flusses der sich Westwärts aus dem Felsen ins Meer ergoß, auf dem Sande viele Thiere, welche halb einem Hunde und halb einem Fische ähnlich sahen. Ich säumte mich nicht, die Klippe eiligst wieder herunter zu klettern, lief zu Mons. van Leuven, und sagte: Monsieur, wenn [152] wir nicht eckel seyn wollen, werden wir allhier auch nicht verhungern dürffen, denn ich habe eine grosse Menge Meer-Thiere entdeckt, welche mit Lust zu schiessen, so bald wir nur mit unsern Nachen über den Fluß gesetzt sind. Mons. Leuven sprang hurtig auf, nahm 2. wohlgeladene Flinten vor mich und sich, und eilete nebst mir zum Nachen, welchen wir loß machten, um die Klippe herum fuhren, und gerade zu, queer durch den Fluß hindurch setzen wolten; allein, hier hätte das gemeine Sprichwort: Eilen thut kein gut, besser beobachtet werden sollen; denn als wir mitten in den Strohm kamen, und ausser zweyen kleinen Rudern nichts hatten, womit wir uns helffen konten, führete die Schnelligkeit desselben den Nachen mit unserer grösten Lebens-Gefahr dermassen weit in die offenbare See hinein, daß alle Hoffnung verschwand, den geliebten Felsen jemahls wiederum zu erreichen.
Jedoch die Barmhertzigkeit des Himmels hielt alle Kräffte des Windes und der Wellen gäntzlich zurücke, dahero wir endlich nach eingebrochener Nacht jenseit des Flusses an demjenigen Orte anländeten, wo ich die Meer-Thiere gesehen hatte. Wiewohl nun itzo nichts mehr daselbst zu sehen, so waren wir doch froh genung, daß wir unser Leben gerettet hatten, setzten uns bey hellen Mondscheine auf eine kleine Klippe, und berathschlagten, auf was vor Art wiederum zu den Unserigen zu gelangen wäre. Doch weil kein an derer Weg als durch den Fluß, oder durch den vorigen Umschweiff zu erfinden, wurde die Wahl biß auf den morgenden Tag verschoben.
[153] Immittelst, da unsere Augen beständig nach der See zu gerichtet waren, merckten wir etwa um Mitternachts-Zeit, daß etwas lebendiges aus dem Wasser kam, und auf dem Sande herum wühlete, wie uns denn auch ein offt wiederholtes Blöcken versicherte, daß es eine Art von Meer-Thieren seyn müsse. Wir begaben uns demnach von der Klippe herab, und gingen ihnen biß auf etwa 30. Schritt entgegen, sahen aber, daß sie nicht verweigerten, Stand zu halten, weßwegen wir, um sie desto gewisser zu fassen, ihnen noch näher auf den Leib gingen, zu gleicher Zeit Feuer gaben, und 2. darvon glücklich erlegten, worauf die übrigen groß und kleine gantz langsam wieder in See gingen.
Früh Morgens besahen wir mit anbrechenden Tage unser Wildpret, und fanden selbiges ungemein niedlich, trugen beyde Stück in den Nachen, getraueten aber doch nicht, ohne stärckere Bäume und bessere Ruder abzufahren, doch Mons. van Leuvens Liebe zu seiner Concordia überwand alle Schwürigkeiten, und da wir ohne dem alle Stunden, die allhier vorbey strichen, vor verlohren schätzten, befahlen wir uns der Barmhertzigkeit des Allmächtigen, setzten behertzt in den Strom, traffen aber doch dieses mahl das Gelencke etwas besser, und kamen nach Verlauff dreyer Stunden ohnbeschädiget vor der Felsen Herberge an, weil der heutige Umschweiff nicht so weit als der gestrige, genommen war.
Concordia hatte die gestrigen Stunden in der grösten Bekümmerniß zugebracht, nachdem sie [154] wahrgenommen, daß uns die strenge Fluth so weit in die See getrieben, doch war sie um Mitternachts-Zeit durch den Knall unserer 2. Flinten, der sehr vernehmlich gewesen, ziemlich wieder getröstet worden, und hatte die gantze Nacht mit eiffrigen Gebeth, um unsere glückliche Zurückkunfft, zugebracht, welches denn auch nebst dem unserigen von dem Himmel nach Wunsche erhöret worden.
Lemelie erkandte das mitgebrachte Wildpret sogleich vor ein paar See-Kälber, und versicherte, daß deren Fleisch besonders wohlschmeckend wäre, wie wir denn solches, nachdem wir die besten Stücken ausgeschnitten, gebraten, gekocht und gekostet hatten, als eine Wahrheit bekräfftigen musten.
Dieser bißhero sehr faul gewesene Mensch ließ sich nunmehro auch in die Gedancken kommen, vor Lebens-Mittel zu sorgen, indem er aus etlichen aus Bretern geschnitzten Stäbigen 2. Angel-Ruthen verfertigte, eine darvon der Concordia schenckte, und derselben zur Lust und Zeit-Vertreibe bey der Bucht das Fischen lernete. Mons. van Leuven und ich machten uns auch dergleichen, da ich aber sahe, daß Concordia allein geschickt war, nur in einem Tage so viel Fische zu fangen, als wir in etlichen Tagen nicht verzehren konten, ließ ich diese vergebliche Arbeit bleiben, kletterte hergegen mit der Flinte an den Klippen herum, und schoß etliche Vögel mit ungewöhnlich-grossen Kröpffen herunter, welche zwar Fleisch genug an sich hatten, jedoch, da wir sie zugerichtet, sehr übel zu essen waren. Hergegen fand ich Abends beym Mondschein auf dem Sande etliche Schild-Kröten, vor deren erstaunlicher [155] Grösse ich mich anfänglich scheuete, derowegen Mons. van Leuven und Lemelie herbey rieff, welcher letztere sogleich ausrieff: Abermahls ein schönes Wildpret gefunden! Monsieur Albert, ihr seyd recht glücklich.
Wir hatten fast alle drey genung zu thun, ehe wir, auf des Lemelie Anweisung, dergleichen wunderbare Creatur umwenden und auf den Rücken legen konten. Mit anbrechenden Morgen wurde eine mittelmäßige geschlachtet, Lemelie richtete dieselbe seiner Erfahrung nach appetitlich zu, und wir fanden hieran eine ausserordentlich angenehme Speise, an welcher sich sonderlich Concordia fast nicht satt essen konte. Doch da dieselbe nachhero besondere Lust verspüren ließ, ein Feder-Wildpret zu essen, welches besser als die Kropff-Vögel schmeckte, gaben wir uns alle drey die gröste Müh, auf andere Arten von Vögeln zu lauern, und selbige zu schiessen.
Im Klettern war mir leichtlich Niemand überlegen, weil ich von Natur gar nicht zum Schwindel geneigt bin, als nun vermerckte, daß sich oben auf den höchsten Spitzen der Felsen, andere Gattunge Vögel hören und sehen liessen; war meine Verwegenheit so groß, daß ich durch allerhand Umwege immer höher von einer Spitze zur andern kletterte, und nicht eher nachließ, biß ich auf den allerhöchsten Gipffel gelangt war, allwo alle meine Sinnen auf einmahl mit dem allergrösten Vergnügen von der Welt erfüllet wurden. Denn es fiel mir durch einen eintzigen Blick das gantze Lust-Revier dieser Felsen-Insul in die Augen, welches rings herum von der Natur mit dergleichen starcken [156] Pfeilern und Mauren umgeben, und so zu sagen, verborgen gehalten wird. Ich weiß gewiß, daß ich länger als eine Stunde in der grösten Entzückung gestanden habe, denn es kam mir nicht anders vor, als wenn ich die schönsten blühenden Bäume, das herum spatzirende Wild, und andere Annehmlichkeiten dieser Gegend, nur im blossen Traume sähe. Doch endlich, wie ich mich vergewissert hatte, daß meine Augen und Gedancken nicht betrogen würden, suchte und fand ich einen ziemlich bequemen Weg, herab in dieses angenehme Thal zu steigen, ausgenommen, daß ich an einem eintzigen Orte, von einem Felsen zum andern springen muste, zwischen welchen beyden ein entsetzlicher Riß und grausam tieffer Abgrund war. Ich erstaunete, so bald ich mich mitten in diesem Paradiese befand, noch mehr, da ich das Wildpret, als Hirsche, Rehe, Affen, Ziegen und andere mir unbekandte Thiere, weit zahmer befand, als bey uns in Europa fast das andere Vieh zu seyn pfleget. Ich sahe zwey- oder dreyerley Arten von Geflügel, welches unsern Rebhünern gleichte, nebst andern etwas grössern Feder-Vieh, welches ich damahls zwar nicht kannte, nachhero aber erfuhr, daß es Birck-Hüner wären, weiln aber der letztern wenig waren, schonte dieselben, und gab unter die Rebhüner Feuer, wovon 5. auf dem Platz liegen blieben. Nach gethanem Schusse stutzten alle lebendigen Creaturen gewaltig, gingen und flohen, jedoch ziemlich bedachtsam fort, und verbargen sich in die Wälder, weßwegen es mich fast gereuen wolte, daß mich dieser angenehmen Gesellschafft [157] beraubt hatte. Zwar fiel ich auf die Gedancken, es würden sich an deren Statt Menschen bey mir einfinden, allein, da ich binnen 6. Stunden die gantze Gegend ziemlich durchstreifft, und sehr wenige und zweiffelhaffte Merckmahle gefunden hatte, daß Menschen allhier anzutreffen, oder sonst da gewesen wären, verging mir diese Hoffnung, als woran mir, wenn ich die rechte Wahrheit bekennen soll, fast gar nicht viel gelegen war. Im Gegentheil hatte allerhand, theils blühende, theils schon Frucht-tragende Bäume, Weinstöcke, Garten-Gewächse von vielerley Sorten und andere zur Nahrung wohl dienliche Sachen angemerckt, ob mir schon die meisten gantz frembd und unbekandt vorkamen.
Mittlerweile war mir der Tag unter den Händen verschwunden, indem ich wegen allzu vieler Gedancken und Verwunderung, den Stand der Sonnen gar nicht in acht genommen, biß mich der alles bedeckende Schatten versicherte, daß selbige untergegangen seyn müsse. Da aber nicht vor rathsam hielt, gegen die Nacht zu, die gefährlichen Wege hinunterzuklettern, entschloß ich mich, in diesem irdischen Paradiese die Nacht über zu verbleiben, und suchte mir zu dem Ende auf einen mit dicken Sträuchern bewachsenen Hügel eine bequeme Lager-Statt aus, langete aus meinen Taschen etliche kleine Stücklein Zwieback, pflückte von einem Baume etliche ziemlich reife Früchte, welche rötlich aussahen, und im Geschmacke denen Morellen gleichkamen, hielt damit meine Abend-Mahlzeit, tranck aus dem vorbey rauschenden[158] klaren Bächlein einen süssen Trunck Wasser darzu, befahl mich hierauf GOtt, und schlieff in dessen Nahmen gar hurtig ein, weil mich durch das hohe Klettern und viele Herumschweiffen selbigen Tag ungemein müde gemacht hatte.
Hierbey mag vor dieses mahl (sagte der Alt-Vater nunmehro, da es ziemlich späte war) meine Erzehlung ihren Aufhalt haben. Morgen, geliebt es GOtt, wollen wir, wo es euch gefällig, die Einwohner in Stephans-Raum besuchen, und Abends wieder da anfangen, wo ich itzo aufgehöret habe. Hiermit legten wir uns allerseits nach gehaltener Beth-Stunde zur Ruhe, folgenden Morgen aber ging die Reise abgeredter massen auf Stephans-Raum zu.
Hieselbst waren 15. Wohnhäuser nebst guten Scheuern und Ställen auferbauet, aber zur Zeit nur 11. bewohnt. Durch die Pflantz Stadt, welche mit den schönsten Gärten umgeben war, lieff ein schöner klarer Bach, der aus der grossen See, wie auch aus dem Ertz-Gebürge seinen Ursprung hatte, und in welchem zu gewissen Zeiten eine grosse Menge Gold-Körner gesammlet werden konten, wie uns denn die Einwohner fast mit einem gantzen Hute voll dergleichen, deren die grösten in der Form eines Weitzen-Korns waren, beschenckten, weil sie es als eine artige und gefällige Materie zwar einzusa len pflegten, doch lange nicht so viel Wercks draus machten, als wir Neuangeko enen. Mons. Plager, der einige Tage hernach die Probe auf allerhand Art damit machte, versicherte, daß es so fein, ja fast noch feiner wäre, als in Europa das [159] Ungarische Gold. Gegen Westen zu stiegen wir auf die Klippen, allwo uns der Altvater den Ort zeigete, wo vor diesen auf beyden Seiten des Flusses ein ordentlicher und bequemer Eingang zur Insul gewesen, doch hätte nunmehro vor langen Jahren ein unbändig grosses Felsen-Stück denselben verschüttet, nachdem es zerborsten, und plötzlich herab geschossen wäre, wie er uns denn in den Verfolg seiner Geschichts-Erzehlung deßfals nähere Nachricht zu ertheilen versprach. Immittelst war zu verwundern, und lustig anzusehen, wie, dem ohngeacht, der starcke Arm des Flusses seinen Ausfall allhier behalten, indem das Wasser mit gröster Gewalt, und an vielen Orten etliche Ellen hoch, zwischen dem Gesteine heraus stürtzte. Ohnfern vom Flusse betrachteten wir das vortreffliche und so höchst-nutzbare Saltz-Gebürge, in dessen gemachten Gruben das schönste Sal gemmæ oder Stein-Saltz war, und etwa 100. Schritt von demselben zeigte man uns 4. Lachen oder Pfützen, worinnen sich die schärffste Sole zum Saltz-Sieden befand, welche diejenigen Einwohner, so schön Saltz verlangten, in Gefässen an die Sonne setzten, das Wasser abrauchen liessen, und hernach das schönste, reinste Saltz aus dem Gefässe heraus schabten, gewöhnlicher Weise aber brauchten alle nur das feinste vom Stein-Saltze. Sonsten fand sich in dasigen Feldern ein Wein-Gebürge von sehr guter Art, wie sie uns denn, nebst allerhand guten Speisen, eine starcke Probe davon vortrugen, durch den Wald war eine breite Strasse gehauen, allwo man von der Alberts-Burg her, auf das unten [160] am Berge stehende Wacht-Hauß, gegen Westen sehen konte. Wie denn auch oben in die Felsen-Ecke ein Schilder-Hauß gehauen war, weil aber der Weg hinauf gar zu unbequem, stiegen wir dieses mahl nicht hinauf, zumahlen auch sonsten nichts gegen Westen zu sehen, als ein steiler biß in die offenbahre See hinunter steigender Felsen.
Nachdem wir nun solchermassen zwey Drittel des Tages hingebracht, und bey guter Zeit zurück gekehret waren, besichtigten wir die Arbeit am Kirchen-Bau, und befanden daselbst die Zeichen solcher eifferiger Anstalten, dergleichen wir zwar von ihren Willen hoffen, von ihren Kräfften aber nimmermehr glauben können. Denn es war nicht allein schon eine ziemliche Quantität Steine, Kalck und Leimen herbey geschafft, sondern auch der Grund allbereits sehr weit ausgegraben. Unter unsern sonderbaren Freudens-Bezeugungen über solchen angenehmen Fortgang, rückte die Zeit zur Abend-Mahlzeit herbey, nach deren Genuß der Altvater in seinem Erzehlen folgender massen fortfuhr:
Ich hatte mich, wie ich gestern Abend gesagt, auf dieser meiner Insul zur Ruhe gelegt, und zwar auf einem kleinen Hügel, der zwischen Alberts- und Davids-Raum befindlich ist, itzo aber ein gantz ander Ansehen hat. Indem die Einwohner nicht allein die Sträucher darauf abgehauen, sondern auch den mehresten Theil davon abgearbeitet haben. Meine Ruhe war dermassen vergnügt, daß ich mich nicht eher als des andern Morgens, etwa zwey Stunden nach Aufgang der Sonnen, ermuntern [161] konte. Ich schämete mich vor mir selbst, so lange geschlaffen zu haben, stund aber hurtig auf, nahm meine 5. gestern geschossene Rebhüner, schoß unter Wegs noch ein junges Reh, und eilete dem Wege zu, welcher mich zu meiner verlassenen Gesellschafft führen solte.
Mein Rückweg fand sich durch unverdrossenes Suchen weit leichter und sicherer als der gestrige, den ich mit Leib und Lebens-Gefahr hinauf gestiegen war, derowegen machte ich mir bey jeder Umkehrung ein gewisses Zeichen, um denselben desto eher wieder zu finden, weil die vielen Absätze der Felsen von Natur einen würcklichen Irrgang vorstelleten. Mein junges Reh wurde ziemlich bestäubt, indem ich selbiges wegen seiner Schwere immer hinter mir drein schleppte, die Rebhüner aber hatte mit einem Bande an meinen Halß gehenckt, weil ich die Flinte statt eines Wander-Staabs gebrauchte. Endlich kam ich ohn allen Schaden herunter, und traff meine zurück gelassene Gesellschafft, eben bey der Mittags-Mahlzeit vor der Felsen-Herberge an. Mons. van Leuven und Concordia sprangen, so bald sie mich nur von ferne erblickten, gleich auf, und kamen mir entgegen gelauffen. Der erste umarmte und küssete mich, sagte auch: Monsieur Albert, der erste Bissen, den wir seit eurer Abwesenheit gegessen haben, steckt noch in unsern Munde, weil ich und meine Liebste die Zeit eurer Abwesenheit mit Fasten und gröster Betrübniß zugebracht haben. Fraget sie selbst, ob sie nicht seit Mitternachts-Zeit viele Thränen eurentwegen vergossen hat? Madame, gab ich lachend [162] zur Antwort, ich will eure kostbaren Thränen, in Abschlag mit 5. delicaten Rebhünern und einem jungen Reh bezahlen, aber,Monsieur van Leuven, wisset ihr auch, daß ich das schöne Paradieß entdeckt habe, woraus vermuthlich Adam und Eva durch den Cherub verjagt worden?Monsieur Albert, schrye van Leuven, habt ihr etwa das Fieber bekommen? oder phantasirt ihr auf andere Art? Nein, Monsieur, wiederredete ich, bey mir ist weder Fieber noch einige andere Phantasie, sondern lasset mich nur eine gute Mahlzeit nebst einem Glase Wein finden, so werdet ihr keine Phantasie, sondern eine wahrhafftige Erzehlung von allen dem, was mir GOtt und das Glücke gewiesen hat, aus meinem Munde hören können.
Sie ergriffen beyde meine Arme, und führeten mich zu dem sich kranck zeigenden Lemelie, welcher aber doch ziemlich wohl von der zugerichteten Schild-Kröte und See-Kalbe essen konte, auch dem Wein-Becher keinen Zug schuldig blieb. Ich meines Theils ersättigte mich nach Nothdurfft, stattete hernachmahls den sämtlichen Anwesenden von meiner gethanen Reise den umständlichen Bericht ab, und dieser setzte meine Gefährten in so grosse Freude als Verwunderung. Mons. van Leuven wolte gleich mit, und das schöne Paradieß in meiner Gesellschafft besehen, allein, meine Müdigkeit, Concordiens gute Worte und des Lemelie Faulheit, fruchteten so viel, daß wir solches biß Morgenanbrechenden Tag aufschoben, immittelst aber desto sehnlicher auf ein vorbey seeglendes Schiff Achtung gaben, welches zwar immer in unsern [163] Gedancken, auf der See aber desto weniger zum Vorscheine kommen wolte.
So bald demnach das angenehme Sonnen-Licht abermahls aus der See empor gestiegen kam, steckte ein jeder an Lebens-Mitteln, Pulver, Bley und andern Nothdürfftigkeiten so viel in seine Säcke, als er sich fortzubringen getrauete. Concordia durffte auch nicht ledig gehen, sondern muste vor allen andern in der Hand eine scharffe Radehaue mitschleppen. Ich führete nebst meiner Flinte und Rantzen eine Holtz-Axt, und suchte noch lange Zeit nach einem kleinen Hand-Beile, womit man dann und wann die verhinderlichen dünnen Sträucher abhauen könte, weil aber die Hand-Beile, ich weiß nicht wohin, verlegt waren, und meine 3. Gefährten über den langen Verzug ungedultig werden wolten, beschenckte mich Lemelie, um nur desto eher fortzukommen, mit einem artigen, 2. Finger breiten, zweyschneidigen und wohlgeschliffenen Stillet, welches man gantz wohl statt eines Hand-Beils gebrauchen, und hernachmahls zur Gegenwehr wider die wilden Thiere, mit dem Griffe in die Mündung des Flinten-Lauffs stecken konte. Ich hatte eine besondere Freude über das artige Instrument, danckte dem Lemelie fleißig davor, er aber wuste nicht, daß er hiermit ein solches kaltes Eisen von sich gab, welches ihm in wenig Wochen den Lebens-Faden abkürtzen würde, wie ihr in dem Verfolg dieser Geschichte gar bald vernehmen werdet. Doch da wir uns nunmehro völlig ausgerüstet, die Reise nach dem eingebildeten Paradiese anzutreten, ging ich als Wegweiser [164] voraus,Lemelie folgte mir, Concordia ihm, und van Leuven schloß den gantzen Zug. Sie konten sich allerseits nicht gnugsam über meinen klugen Einfall verwundern, daß ich die Absätze der Felsen, welche uns auf die ungefährlichsten Stege führeten, so wohl gezeichnet hatte, denn sonsten hätte man wohl 8. Tage suchen, wo nicht gar Halß und Beine brechen sollen. Es ging zwar immer, je höher wir kamen, je beschwerlicher, sonderlich weil uns Concordiens Furchtsamkeit und Schwindel sehr viel zu schaffen machte, indem wir ihrentwegen hier und dar Stuffen einhauen musten. Doch erreichten wir endlich die alleroberste Höhe glücklich, allein, da es an den Sprung über die Felsen-Klufft gehen solte, war aufs neue Noth vorhanden, denn Concordia konte sich aus Furcht, zu kurtz zu springen und hinunter zu stürtzen, unmöglich darzu entschliessen, ohngeacht der Platz breit genug zum Ausholen war, derowegen musten wir dieselbe sitzen lassen, und unten im nächsten Holtze einige junge Bäume abhauen, welche wir mit gröster Mühe den Felsen wieder hinauf schleppten, Queer-Höltzer darauf nagelten und bunden, also eine ordentliche Brücke über diesen Abgrund schlugen, auf welcher nachhero Concordia, wiewohl dennoch mit Furcht und Zittern, sich herüber führen ließ.
Ich will die ungemeinen Freudens-Bezeugungen meiner Gefährten, welche dieselben, da sie alles weit angenehmer auf dieser Gegend fanden, als ich ihnen die Beschreibung gemacht, mit Stillschweigen übergehen, und ohne unnöthige Weitläufftigkeit [165] ferner erzehlen, daß wir nunmehro ingesamt anfingen das gantze Land zu durchstreichen, wobey Mons. van Leuven glücklicher als ich war, gewisse Merckmahle zu finden, woraus zu schliessen, daß sich ohnfehlbar vernünfftige Menschen allhier aufgehalten hätten, wo selbige ja nicht noch vorhanden wären. Denn es fand sich jenseit des etwa 12. biß 16. Schritt breiten Flusses an dem Orte, wo itzo Christians-Raum angebauet ist, ein mit zugespitzten Pfälen umsetzter Garten-Platz, in welchen sich annoch die schönsten Garten-Gewächse, wiewohl mit vielen Unkraut verwachsen, zeigten, wie nicht weniger schöne rare Blumen und etliche Stauden von Hülsen-Früchten, Weitzen, Reiß und andern Getrayde. Weiter hinwarts lagen einige Scherben von zerbrochenen Gefässen im Grase, und Sudwerts auf dem Wein-Gebürge, welches itzo zuChristophs- und Roberts-Raum gehöret, fanden sich einige an Pfähle fest gebundene Wein-Reben, doch war dabey zu muthmassen, daß das Anbinden schon vor etlichen Jahren müsse geschehen seyn. Hierauf besahen wir die See, aus welcher der sich in 2. Arme theilende Fluß entspringet, bemerckten, daß selbige nebst dem Flusse recht voll Fischen wimmelte, kehreten aber, weil die Sonne untergehen wolte, und Concordia sehr ermüdet war, zurück auf vorerwehntes erhabene Wein-Gebürge, und beschlossen, weil es eine angenehme Witterung war, daselbst über Nacht auszuruhen. Nachdem wir zu Abends gespeiset hatten, und das schönste Wild häuffig auf der Ebene herum spatziren sahen, beurtheilten wir alles, was uns heutiges [166] Tages zu Gesicht kommen war, und befunden uns darinnen einig, daß schwerlich ein schöner Revier in der Welt anzutreffen wäre. Nur wurde beklagt, daß nicht noch einige Familien zugegen seyn, und nebst uns diese fruchtbare Insul besetzen solten. Lemelie sagte hierbey: Ich schwere bey allen Heiligen, daß ich Zeit Lebens allhier in Ruhe zu bleiben die gröste Lust empfinde, es fehlen also nichts als zwey Weiber, vor mich und Mons. Albert, jedoch Monsieur, (sagte er zu Mons. van Leuven) was solte es wohl hindern, wenn wir uns bey dergleichen Umständen alle 3. mit einer Frau behülffen, fleißig Kinder zeugten und dieselbe sodann auch mit einander verheyratheten. Mons. van Leuven schüttelte den Kopff, weßwegen Lemelie sagte: ha Monsieur, man muß in solchen Fällen die Eyfersucht, den Eigensinn und den Eckel bey Seite setzen, denn weil wir hiesiges Orts keiner weltlichen Obrigkeit unterworffen sind, auch leichtlich von Niemand beunruhiget zu werden fürchten dürffen, so können wir uns Gesetze nach eigenem Gefallen machen, dem Himmel aber wird kein Verdruß erwecket, weil wir ihm zur Danckbarkeit, darvor, daß er uns von allen Menschen abgesondert hat, eine gantz neueColonie erzeugen.
Monsieur van Leuven schüttelte den Kopff noch weit stärcker als vorhero, und gab zur Antwort:Mons. Lemelie, ihr erzürnet den Himmel mit dergleichen sündlichen Reden. Gesetzt aber auch, daß dieses, was ihr vorgebracht, vor Göttlichen und weltlichen Rechten wohl erlaubt wäre, so kan ich euch doch versichern, daß ich, so lange noch Adelich [167] Blut in meinen Adern rinnet, meine Concordia mit keinem Menschen auf der Welt theilen werde, weil sie mir und ich ihr allein auf Lebens-Zeit beständige Treue und Liebe zugeschworen.
Concordia vergoß mittlerzeit die bittersten Thränen, schlug die Hände über den Kopffe zusammen, und schrye: Ach grausames Verhängniß, so hast du mich denn aus dem halb überstandenen Tode an solchen Ort geführet, wo mich die Leute an statt einer allgemeinen Hure gebrauchen wollen? O Himmel, erbarme dich! Ich vor meine Person hätte vor Jammer bald mit geweinet, legte mich aber vor sie auf die Knie, und sagte: Madame, ich bitte euch um GOttes willen, redet nicht von allen, da ihr euch nur über eine Person zu beschweren Ursach habt, denn ich ruffe GOtt und alle heiligen Engel zu Zeugen an, daß mir niemahls dergleichen frevelhaffte und höchst-sündliche Gedancken ins Hertz oder Haupt kommen sind, ja ich schwere noch auf itzo und folgende Zeit, daß ich eher dieses Stillet selbst in meinen Leib stossen, als euch den allergeringsten Verdruß erwecken wolte. Verzeihet mir, guter Albert, war ihre Antwort, daß ich unbesonnener Weise mehr als einen Menschen angeklagt habe. GOtt weiß, daß ich euch vor redlich, keusch und tugendhafft halte, aber der Himmel wird alle geilen Frevler straffen, das weiß ich gewiß. Worauf sich aus ihren schönen Augen ein neuer Thränen-Strohm ergoß, der den Lemelie dahin bewegte, daß er sich voller Trug und List, doch mit verstellter Aufrichtigkeit, auch zu ihren Füssen warff, und folgende Worte vorbrachte: Madame, [168] lasset euch um aller Heiligen willen erbitten, euer Betrübniß und Thränen zu hemmen, und glaubet mir sicherlich, alle meine Reden sind ein blosser Schertz gewesen, vor mir sollet ihr eure Ehre unbefleckt erhalten, und wenn wir auch 100. Jahr auf dieser Insul allein beysa en bleiben müsten. Monsieur van Leuven, euer Gemahl, wird die Güte haben, mich wiederum bey euch auszusöhnen, denn ich bin von Natur etwas frey im Reden, und hätte nimmermehr vermeinet, euch so gar sehr empfindlich zu sehen. Er entschuldigte seinen übel gerathenen Schertz also auch bey Mons. van Leuven, und nach einigen Wort-Wechselungen wurde unter uns allen ein vollkommener Friede gestifftet, wiewohlConcordia ihre besondere Schwermuth in vielen nachfolgenden Tagen noch nicht ablegen konte.
Wir brachten die auf selbigen streitigen Abend eingebrochne Nacht in süsser Ruhe hin, und spatzirten nach eingenommenen Frühstück gegen Süden um die See herum, traffen abermahls die schönsten Weinberge und Metall in sich haltende Steine an, wie nicht weniger die Saltz-Lachen und Berge, welche ihr heute nebst mir in dem Stephans-Raumer Felde besichtigt habt. Allhier konte man nicht durch den Arm des Flusses kommen, indem derselbe zwar eben nicht breiter, doch viel tieffer war als der andere, durch welchen wir vorigen Tages gantz gemächlich hindurch waden können. Demnach musten wir unsern Weg wieder zurück, um die See herum, nach demjenigen Ruhe-Platze nehmen, wo es sich verwichene Nacht so sanfft geschlaffen hatte. Weil es aber annoch hoch Tag war, beliebten wir [169] etwas weiter zu gehen, setzten also an einem seichten Orte durch den Fluß, und gelangeten auf gegenwärtigem Hügel, der itzo meine so genannte Alberts-Burg und unsere Personen trägt.
Dieser mitten in der Insul liegende Hügel war damals mit dem allerdicksten, wiewol nicht gar hohem, Gepüsche bewachsen, indem wir nun bemühet waren, eine bequeme Ruhe-Städte daselbst auszusuchen, geriethen Mons. van Leuven, und Concordia von ohngefähr auf einen schmalen durch das Gesträuche gehauenen Weg, welcher dieselben in eine der angenehmsten Sommer-Läuben führete. Sie rieffen uns beyde zurückgebliebenen dahin, um dieses angenehme Wunderwerck nebst dessen Bequemlichkeit mit uns zu theilen, da wir denn sogleich einstimmig bekennen musten, daß dieses kein von der Natur, sondern von Menschen Händen gemachtes Werck seyn müsse, denn die Zacken waren oben allzukünstlich, als ein Gewölbe zusammen geflochten, so daß, wegen des sehr dick auf einander liegenden Laubwercks, kein Tropffen Wasser durchdringen konte, über dieses gab der Augenschein, daß der Baumeister vor diesen an 3en Seiten rechte Fenster-Löcher gelassen, welche aber nunmehro gantz wild verwachsen waren, zu beyden seiten des Eingangs hingegen, stunden 2. oben abgesägte Bäume, deren im Bogen geschlungene Zweige ein ordentliches Thür-Gewölbe formirten.
Es war in diesem grünen Lust-Gewölbe mehr Platz, als 4. Personen zur Noth bedurfften, weßwegenMons. van Leuven vorschlug, daß wir sämtlich darinnen schlaffen wolten, allein Lemelie [170] war von solcher unerwarteten Höfflichkeit, daß er so gleich heraus brach: Mons. van Leuven, der Himmel hat euch beyden Verliebten aus besondern vorbedacht zuerst in dieses angenehme Quartier geführet, derowegen brauchet eure Bequemlichkeit alleine darinnen, Mons. Albert wird euch so wenig als ich darinnen zu stöhren willens seyn, hergegen sich, nebst mir, eine andere gute Schlaf-Stelle suchen. Wie sehr sich nun auchMons. van Leuven und seine Gemahlin darwider zu setzen schienen, so musten sie doch endlich uns nachgeben und bewilligen, daß dieses artige Quartier des Nachts vor sie allein, am Tage aber, zu unser aller Bequemlichkeit dienen solte.
Also liessen wir die beyden alleine, und baueten, etwa 30. Schritte von dieser, in der Geschwindigkeit eine andere ziemlich bequeme Schlaf-Hütte vor Lemelie und mich, brachten aber selbige in folgenden Tagen erstlich recht zum Stande. Von nun an waren wir eifrigst bemühet, unsere nöthigsten Sachen von der Sand-Banck über das Felsen-Gebürge herüber auf die Insul zu schaffen, doch diese Arbeit kostete manchen Schweiß-Tropffen, indem wir erstlich viele Stuffen einarbeiten musten, um, mit der tragenden Last recht fussen und fortkommen zu können. Da aber dergleichen Vornehmen wenig förderte, und die Felsen, in einem Tage, nicht wol mehr als 2. mal zu besteigen waren, fiel uns eine etwas leichtere Art ein, worbey zugleich auch ein weit mehreres hinauff gebracht werden konte. Denn wir machten die annoch beybehaltenen Tauen und Stricke von dem Schiffs-Stücke [171] vollends loß, bunden die Sachen in mäßige Packe, legten von einem Absatze zum andern Stangen an, und zohen also die Ballen mit leichter Mühe hinauf, wobey Lemelie seinen Fleiß gantz besonders zeigte. Mittlerweile war Concordia gantz allein auf der Insul, übte sich fleißig im Schiessen, denn wir hatten eine gute quantität unverdorbenes Pulver im Vorrath, fieng anbey so viel Fische als wir essen konten, und ließ uns also an gekochten und gebratenen Speisen niemals Mangel leyden, obschon unser Zwieback gäntzlich verzehret war, welchen Mangel wir aber mit der Zeit schon zu ersetzen verhofften, weil wir die wenigen Waitzen und andern Geträyde-Aehren, wol umzäunt, und vor dem Wilde verwahrt hatten, deren Körner im Fall der Noth zu Saamen aufzuheben, und selbige zu vervielfältigen, unser hauptsächliches Absehen war.
Der erste Sonntag, den wir, laut Anzeigung der bey uns führenden Calender, auf dieser Insul erlebten, war uns ein höchst angenehmer erfreulicher Ruhe-Tag, an welchen wir alle gewöhnliche Wochen-Arbeit liegen liessen, und den gantzen Tag mit beten, singen und Bibel-lesen zubrachten, denn Concordia hatte eine Englische, und ich eine Hochteutsche Bibel, nebst einem Gesang und Gebet-Buche, mit gerettet, welches beydes ich auch noch biß auf diesen Tag, GOTT lob, als ein besonderes Heiligthum aufbehalten habe. Die Englischen Bücher aber sollen euch ehester Tages inRoberts-Raum gezeiget werden.
Immittelst ist es etwas nachdenckliches, daß dazumal auf dieser Insul unter uns 4. Personen, die [172] 3. Haupt-Secten des christlichen Glaubens anzutreffen waren, weil Mons. van Leuven, und seine Frau derReformirten, ich Albert Julius, als ein gebohrner Sachse, der damals so genannten Lutherischen, undLemelie, als ein Frantzose, der Römischen Religion des Pabsts beypflichteten. Die beyden Ehe-Leute und ich konten uns im beten und singen gantz schön vereinigen, indem sie beyde ziemlich gut teutsch verstunden und redeten; Lemelie aber, der doch fast alle Sprachen, ausser den Gelehrten Haupt-Sprachen, verstehen und ziemlich wol reden konte, hielt seinen Gottesdienst von uns abgesondert, in selbst erwehlter Einsamkeit, worinnen derselbe bestanden, weiß ich nicht, denn so lange wir mit ihm umgegangen, hat er wenig Gottgefälliges an sich mercken lassen.
Am gedachten Sonntage gegen Abend gieng ich unten an der Seite des Hügels nach dem grossen See zu, etwas lustwandeln herum, schurrte von ohngefähr auf dem glatten Grase, und fiel in einen mit dünnen Sträuchern verdeckten Graben über 4. Ellen tieff hinunter, worüber ich anfänglich hefftig erschrack, und in einem Abgrund zu seyn glaubte, doch da ich mich wieder besonnen, und nicht den geringsten Schaden an meinem Leibe vermerckt, rafften sich meine zittrenden Glieder eilig auf. Im Umkehren aber wurden meine Augen einer finstern Höle gewahr, welche mit allem Fleisse in den Hügel hinein gearbeitet zu seyn schiene.
Ich gieng biß zum Eintritt derselben getrost hin, da aber nichts als eine dicke Finsterniß zu sehen war, über dieses eine übelriechende Dunst mir einen besondern [173] Eckel verursachte, fieng meine Haut an zu schauern, und die Haare begonten Berg auf zu stehen, weßwegen ich eiligst umwandte, und mit fliegenden Schritten den Rückweg suchte, auch gar bald wiederum bey Mons. van Leuven und Concordien ankam. Beyde hatten sogleich meine blasse Farbe und hefftige Veränderung angemerckt, weßwegen ich auf ihr Befragen alles erzehlte, was mir begegnet war. DochMons. van Leuven sagte: Mein Freund, ihr seyd zuweilen ein wenig allzu neugierig, wir haben nun mehro, GOtt sey Lob, genung gefunden, unser Leben so lange zu erhalten, biß uns der Himmel Gelegenheit zuschickt an unsern erwehlten Ort zu kommen, derowegen lasset das unnütze Forschen unterwegen, denn wer weiß ob sich nicht in dieser Höle die gifftigen Thiere aufhalten, welche euch augenblicklich ums Leben bringen könten. Ihr habt recht, mein Herr gab ich zur Antwort, doch dieses mal ist mein Vorwitz nicht so viel schuld, als das unverhoffte Hinunterfallen, damit auch dergleichen hinführo niemanden mehr begegnen möge, will ich die Sträucher rund herum abhauen, und alltäglich eine gute Menge Erde abarbeiten, biß diese eckle Grufft vollkommen zugefüllet ist.Mons. van Leuven versprach zu helffen, Concordia reichte mir ein Gläßlein von dem noch sehr wenigem Vorrathe des Weins, nebst 2. Stücklein Hertzstärckenden Confects, welches beydes mich gar bald wiederum erquickte, so daß ich selbigen Abend noch eine starcke Mahlzeit halten, und nach verrichteten Abend-Gebet, mich gantz [174] aufgeräumt neben den Lemelie schlafen legen konte.
Allein, ich habe Zeit meines Lebens keine ängstlichere Nacht als diese gehabt. Denn etwa um Mitternacht, da ich selbst nicht wuste ob ich schlieff oder wachte, erschien mir ein langer Mann, dessen weisser Bart fast biß auf die Knie reichte, mit einem langen Kleide von rauchen Thier-Häuten angethan, der auch dergleichen Mütze auf dem Haupte, in der Hand aber eine grosse Lampe mit 4. Dachten hatte, dergleichen zuweilen in den Schiffs-Laternen zu brennen pflegen. Dieses Schreckens-Bild trat gleich unten zu meinen Füssen, und hielt mir folgenden Sermon, von welchen ich noch biß diese Stunde, wie ich glaube, kein Wort vergessen habe: Verwegner Jüngling! was wilstu dich unterstehen diejenige Wohnung zu verschütten, woran ich viele Jahre gearbeitet, ehe sie zu meiner Bequemlichkeit gut genung war. Meinestu etwa das Verhängniß habe dich von ohngefähr in den Graben gestossen, und vor die Thür meiner Höle geführet? Nein keines wegs! Denn weil ich mit meinen Händen 8. Personen auf dieser Insul aus christlicher Liebe begraben habe, so bistu auserkohren meinem vermoderten Cörper eben dergleichen Liebes-Dienst zu erweisen. Schreite derowegen ohne alle Bekümmerniß gleich morgenden Tages zur Sache, und durchsuche diejenige Höle ohne Scheu, welche du gestern mit Grausen verlassen hast, woferne dir anders deine zeitliche Glückseligkeit lieb ist. Wisse auch, daß der Himmel etwas besonderes mit dir vor hat. Deine Glückseeligkeit aber wird sich nicht [175] eher anheben, biß du zwey besondere Unglücks-Fälle erlitten, und diesem deinen Schlaf-Gesellen, zur bestimmten Zeit den Lohn seiner Sünden gegeben hast. Mercke wohl was ich dir gesagt habe, erfülle mein Begehren, und empfange dieses Zeichen, um zu wissen, daß du nicht geträumet hast.
Mit Endigung dieser letzten Worte drückte er mich, der ich im grösten Schweisse lag, dermassen mit einem seiner Finger oben auf meine rechte Hand, daß ich laut an zu schreyen fieng, worbey auch zugleich Licht und alles verschwand, so, daß ich nun weiter nichts mehr, als den ziemlich hellen Himmel durch die Laub-Hütte blicken sahe.
Lemelie, der über mein Geschrey auffuhr, war übel zufrieden, daß ich ihm Unruh verursachte, da ich aber aus seinen Reden vermerckt, daß er weder etwas gesehen noch gehöret hätte, ließ ich ihn bey den Gedancken, daß ich einen schweren Traum gehabt, und stellete mich an, als ob ich wieder schlaffen wolte, wiewol ich nachfolgende Zeit biß an hellen Morgen ohne Ruh, mit Uberlegung dessen, was mir begegnet war, zubrachte, an meiner Hand aber einen starck mit Blut unterlauffenen Fleck sahe.
So bald zu muthmassen, daß Mons. van Leuven aufgestanden, verließ ich gantz sachte meine Lagerstatt, verfügte mich zu ihm, und erzehlete, nachdem ich ihn etwas ferne von der Hütte geführet, alles aufrichtig, wie mir es in vergangener Nacht ergangen. Er umarmete mich freundlich, und sagte: Mons. Albert, ich lerne immer mehr und mehr erkennen, daß ihr zwar das Glück, selbiges aber euch noch weit mehr suchet, derowegen biete ich mich zu euren Bruder [176] an, und hoffe ihr werdet mich nicht verschmähen, wir wollen gleich itzo ein gut præservativ vor die bösen Dünste einnehmen, und die Höle in GOttes Nahmen durchsuchen, denn das Zeichen auf eurer Hand hat mich erstaunend und glaubend gemacht, daß der Verzug nunmehro schädlich sey. Aber Lemelie! Lemelie sagte er weiter, macht mir das Hertze schwer, so offt ich an seine übeln Gemüths-Regungen gedencke, wir haben gewiß nicht Ursach uns seiner Gesellschafft zu erfreuen, GOTT steure seiner Boßheit, wir wollen ihn zwar mit zu diesem Wercke ziehen; Allein mein Bruder! verschweiget ihm ja euer nächtliches Gesichte, und saget: ihr hättet einen schweren Traum gehabt, welcher euch schon wieder entfallen sey.
Dieser genommenen Abrede kamen wir in allem genau nach, beredeten Concordien, an den Fluß fischen zu gehen, eröffneten dem Lemelie von unserm Vorhaben, so viel als er wissen solte, und giengen alle 3. gerades Wegs nach der unterirrdischen Höle zu, nachdem ich in eine, mit ausgelassenen Seeckalbs-Fett, angefüllte eiserne Pfanne, etliche angebrannte Tochte gelegt, und dieselbe an statt einer Fackel mitgenommen hatte.
Ich gieng voran, Lemelie folgte mir, und Mons. van Leuven ihm nach, so bald wir demnach in die fürchterliche Höle, welche von meiner starck brennenden Lampe überall erleuchtet wurde, eingetreten waren, erschien ein starcker Vorrath allerhand Haußgeräths von Kupffer, Zinn und Eisenwerck, nebst vielen Pack-Fässern, und zusammen gebundenen Ballen, welches alles aber ich nur oben hin betrachtete, [177] und mich rechter Hand nach einer halb offenstehenden Seiten-Thür wandte. Nachdem aber selbige völlig eröffnet hatte, und gerade vor mich hingieng, that der mir folgende Lemelie einen lauten Schrey und sanck ohnversehens in Ohnmacht nieder zur Erden. Wolte GOTT, seine lasterhaffte Seele hätte damals den schändlichen Cörper gäntzlich verlassen! so aber riß ihn van Leuven gleich zurück an die frische Lufft, rieb ihm die Nase und das Gesicht so lange, biß er sich etwas wieder ermunterte, worauff wir ihn allda liegen liessen, und das Gewölbe rechter Hand aufs neue betraten. Hier kam uns nun dasjenige, wovor sich Lemelie so grausam entsetzt hatte, gar bald zu Gesichte. Denn in dem Winckel lincker Hand saß ein solcher Mann, dergleichen mir vergangene Nacht erschienen, auf einem in Stein gehauenen Sessel, als ob er schlieffe, indem er sein Haupt mit dem einen Arme auf den darbey befindlichen Tisch gestützt, die andere Hand aber auf dem Tische ausgestreckt liegen hatte. Uber dem Tische an der Wand hieng eine 4. eckigte Lampe, und auf demselben waren, nebst etlichen Speise- und Trinck-Geschirren, 2. grosse, und eine etwas kleinere Tafel mit Schrifften befindlich, welche 3. letztern Stücke wir heraus ans Licht trugen, und in der ersten Tafel, die dem Ansehen nach aus einem Zinnern Teller geschlagen, und sauber abgeschabt war, folgende Lateinische Zeilen eingegraben sehen, und sehr deutlich lesen konten.
Mit diesen Worten stund unser Altvater Albertus Julius auf, und langete aus einem Kasten verschiedene [178] Brieffschafften, ingleichen die erwehnten 3. Zinnern Tafeln, welche er biß dahero fleißig aufgehoben hatte, überreichte eine grosse, nebst der kleinen, an Herr M. Schmeltzern, und sagte: Mein Herr! ihr werdet allhier das Original selbst ansehen, und uns selbiges vorlesen. Dieser machte sich aus solcher Antiquität eine besondere Freude, und laß uns folgendes ab:
Advena!
quisquis es
si mira fata te in meum mirum domicilium
forsitan mirum in modum ducent,
sceleto meo præter opinionem conspecto,
nimium ne obstupesce,
sed cogita,
te, noxa primorum parentum admissa, iisdem
fatis
eidemque mortalitati esse obnoxium.
Quod reliqvum est,
reliqvias mei corporis ne sine insepultas
relinqui;
Mortuus enim me mortuum ipse sepelire
non potui.
Christianum, si Christianus vel ad minimum
homo es, decet
honesta exsequiarum justa solvere Christiano,
qui totam per vitam laboravi,
ut in Christum crederem, Christo viverem,
Christo denique morerer.
Pro tuo labore parvo, magnum feres præmium.
[179] Nimirum
Si tibi fortuna, mihi multos per annos negata,
contingit,
ut ad dissociatam hominum societatem
iterum consocieris,
pretiosissimum operæ pretium ex hac spelunca
sperare & in spem longæ felicitatis tecum
auferre poteris;
Sin vero mecum cogeris
In solitudine solus morti obviam ire
nonnulla memoratu dignissima scripta
quæ in mea sella, saxo incisa, jacent
recondita,
Tibi fortasse erunt & gaudio & usui.
En!
grato illa accipe animo,
Aura secunda tuæ navis vaga vela secundet!
sis me felicior.
quamvis me nunquam adeo infelicem dixerim!
Vale, Advena, vale,
manda rogatus me terræ
Et crede, Deum, qvem colui, daturum,
ut bene valeas.
Auf dem kleinen Täfflein aber, welches, unsers Altvaters Aussage nach, halb unter des Verstorbenen rechter Hand verdeckt gelegen, waren diese Zeilen zu lesen.
Natus sum d. IX. Aug. CIƆ CCCC LXXV.
Hanc Insulam attigi d. XIV. Nov. CIƆ IƆ XIIII.
Sentio, me, ætate confectum, brevi moriturum
esse, licet nullo morbo, nullisque doloribus
[180] opprimar. Scriptum id est d. XXVII. Jun. CIƆ IƆC VI.
Vivo quidem, sed morti proximus, d. XXVIII. XXIX. & XXX. Junii.
Adhuc d. I. Jul. II. III. IV.
Nachdem wir über diese sonderbare Antiquität und die sinnreiche Schrifft, welche gewiß aus keinem ungelehrten Kopffe geflossen war, noch ein und anderes Gespräch gehalten hatten, gab mir der Altvater Albertus die drey Zinnern Tafeln, (wovon die eine eben dasselbe in Spanischer Sprache zu vernehmen gab, was wir auf der grossen Lateinisch gelesen,) nebst den übrigen schrifftlichen Urkunden in Verwahrung, mit dem Befehle: Daß ich alles, was Lateinisch wäre, bey künfftigen müßigen Stunden ins Hoch-Teutsche übersetzen solte, welches ich auch mit ehesten zu liefern versprach. Worauff er uns nach verrichteten Abend-Gebeth beurlaubte, und sich zur Ruhe legte.
Ich Eberhard Julius hingegen war nebst Hn. M. Schmeltzern viel zu neugierig, um zu wissen, was die alten Brieffschafften in sich hielten, da wir denn in Lateinischer Sprache eine Lebens-Beschreibung des Spanischen Edelmanns Don Cyrillo de Valaro darunter fanden, (welches eben der 131. jährige Greiß war, dessen Cörper damals in der Höle unter dem Alberts-Hügel gefunden worden,) und biß zu Mitternacht ein Theil derselben, mit gröstem Vergnügen, durchlasen. Ich habe dieselbe nachhero so zierlich, als es mir damals möglich, ins Hoch-Teutsche übersetzt, allein um den geneigten Leser [181] in den Geschichten keine allzugrosse Verwirrung zu verursachen, vor besser gehalten, dieselbe zu Ende des Wercks, als einen Anhang beyzufügen, weil sie doch hauptsächlich zu der Historie von dieser Felsen-Insul mit gehöret. Inzwischen habe einiger, im Lateinischen vielleicht nicht allzu wohl erfahrner Leser wegen, die auf den Zinnern Tafeln eingegrabene Schrifft, teutsch anhero zu setzen, vor billig und nöthig erachtet. Es ist mir aber solche Verdollmetschung, dem Wort-Verstande nach, folglich gerathen:
Ankommender Freund!
wer du auch bist
Wenn dich vielleicht das wunderliche Schicksal in
diese wunderbare Behausung wunderbarer
Weise führen wird,
so erstaune nicht allzusehr über die unvermuthete
Erblickung meines Gerippes,
sondern gedencke,
daß du nach dem Fall der ersten Eltern eben dem
Schicksal, und eben der Sterblichkeit
unterworffen bist.
Im übrigen
laß das Uberbleibsel meines Leibes nicht unbegraben liegen,
Denn weil ich gestorben bin, habe ich mich
Verstorbenen nicht selbst begraben können.
Einen Christen
wo du anders ein Christ, oder zum wenigsten ein
Mensch bist,
stehet zu
einen Christen ehrlich zur Erde zu bestatten,
[182] Da ich mich in meinem gantzen Leben bestrebt,
daß ich an Christum gläubte, Christo lebte,
und endlich Christo stürbe.
Du wirst vor deine geringe Arbeit eine grosse
Belohnung erhalten.
Denn wenn dir das Glücke, dasjenige, was es mir
seit vielen Jahren her verweigert hat,
wiederfahren lässet,
nemlich, daß du dich wieder zu der abgesonderten
Gesellschafft der Menschen gesellen könnest;
So wirstu dir eine kostbare Belohnung zu
versprechen, und dieselbe aus dieser Höle
mit hinweg zu nehmen haben;
Wenn du aber so, wie ich, gezwungen bist,
In dieser Einsamkeit als ein Einsiedler dem Tode
entgegen zu gehen;
So werden doch einige merckwürdige
Schrifften,
die in meinem in Stein gehauenen Sessel
verborgen liegen,
dir vielleicht erfreulich und nützlich seyn.
Wohlan!
Nimm dieselben mit danckbaren Hertzen an,
der gütige Himmel mache dich beglückt,
und zwar glücklicher als mich,
wiewohl ich mich niemals vor recht unglücklich
geschätzt habe.
Lebe wohl ankommender Freud! Lebe wohl,
höre meine Bitte, begrabe mich,
Und glaube, daß GOTT, welchem ich gedienet,
geben wird:
Daß du wohl lebest.
[183] Die Zeilen auf der kleinen Tafel, bedeuten in teutscher Sprache so viel:
Ich bin gebohren den 9. Aug. 1475.
Auf diese Insul gekommen, den 14. Nov. 1514.
Ich empfinde, daß ich Alters halber in kurtzer Zeit sterben werde, ohngeacht ich weder Kranckheit, noch einige Schmertzen empfinde. Dieses habe ich geschrieben am 27. Jun. 1606.
Ich lebe zwar noch, bin aber dem Tode sehr nahe, d. 28. 29. und 30. Jun. und noch d. 1. Jul. 2. 3. 4.
Jedoch ich fahre nunmehro in unsern eigenen Geschichten fort, und berichte dem geliebten Leser, daß wir mit Anbruch folgendes Donnerstags, d. 22. 9br. uns nebst dem Altvater Albert Julio aufmachten, und die Pflantz-Städte Jacobs-Raum besuchten, welche aus 9. Wohn-Häusern, die mit allem Zubehör wol versehen waren, bestund.
Wiewol nun dieses die kleineste Pflantz-Stadt und schwächste Gemeine war, so befand sich doch bey ihnen alles in der schönsten Haußhaltungs-Ordnung, und hatten wir an der Einrichtung und besondern Fleisse, ihrem Verstande nach, nicht das geringste auszusetzen. Sie waren beschäfftiget, die Gärten, Saat, Felder, und sonderlich die vortrefflichen Weinstöcke, welche auf dem dasigen Gebürge in grosser Menge gepflantzt stunden, wol zu warten, indem es selbiger Zeit etwa 9. oder 10. Wochen vor der gewöhnlichen Wein-Erndte, bey den Feld-Früchten aber fast Erndte-Zeit war. Mons. Litzberg und Plager, untersuchten das Eingeweyde des [184] dasigen Gebürges, und fanden verschiedene Arten Steine, welche sehr reichhaltig von Kupffer und Silber-Ertz zu seyn schienen, die sie auch nachhero in der Probe unvergleichlich kostbar befanden. Nachdem wir aber auf der Rückkehr von den Einwohnern mit dem herrlichsten Weine, verschiedenen guten Speisen und Früchten, aufs bestetractirt waren, ihnen, gleich wie allen vorhero besuchten Gemeinen, 10. Bibeln, 20. Gesang- und Gebet-Bücher, auch allerhand andere feine nützliche Sachen, so wol vor Alte als Junge verehret hatten, kamen wir bey guter Zeit wiederum in der Alberts-Burg an, besuchten die Arbeiter am Kirchen-Bau auf eine Stunde, nahmen die Abend-Mahlzeit ein, worauff unser Altvater, nachdem er das Tisch-Gebeth gethan, unsere Begierde alsofort gemerckt, sich lächelnd in seinen Stuhl setzte, und die gestern abgebrochene Erzählung also fortsetzte:
Ich bin, wo mir recht ist, gestern Abend dabey geblieben: Da wir die Zinnernen Tafeln an das Tages-Licht trugen, und die eingegrabenen Schrifften ausstudirten. Mons. van Leuven und ich, konten das Latein,Lemelie aber, der sich von seinem gehabten Schrecken kaum in etwas wieder erholet, das Spanische, welches beydes doch einerley Bedeutung hatte, gantz wol verstehen. Ich aber kan mit Warheit sagen, daß so bald ich nur des letzten Willens, des VerstorbenenDon Cyrillo de Valaro, hieraus völlig versichert war, bey mir im Augenblicke alle annoch übrige Furcht verschwand. Meine Herren! sagte ich zu meinen Gefährten, wir sind schuldig dasjenige zu erfüllen, was dieser ohnfehlbar [185] seelig verstorbene Christ so sehnlich begehret hat, da wir ausser dem uns eine stattliche Belohnung zu versprechen haben. Mons. van Leuven war so gleich bereit, Lemelie aber sagte: Ich glaube nicht, daß die Belohnung so sonderlich seyn wird, denn die Spanier sind gewohnt, wo es möglich ist, auch noch nach ihrem Tode rodomontaden vorzumachen. Derowegen versichere, daß mich eher und lieber mit zwey See-Räubern herum schlagen, als mit dergleichen Leiche zu thun haben wolte; Jedoch euch als meinen Gefährten zu Gefallen, will ich mich auch bey dieser häßlichen Arbeit nicht ausschlüssen.
Hierauf lieff ich fort, langete ein grosses Stück alt Seegel-Tuch, nebst einer Hacke und Schauffel, welche 2. letztern Stück ich vor der Höle liegen ließ, mit dem Tuche aber begaben wir uns abermahls in die unter-irrdische Höle. Mons. van Leuven wolten den Cörper bey den Schultern, ich aber dessen Schenckel anfassen; allein, kaum hatten wir denselben etwas angeregt, da er auf einmahl mit ziemlichen Geprassele in einen Klumpen zerfiel, worüber Lemelie aufs neue dermassen erschrack, daß er seinen Kopff zwischen die Ohren nahm, und so weit darvon lieff, als er lauffen konte. Mons. van Leuven und ich erschracken zwar anfänglich auch in etwas, da wir aber überlegten, daß dieses natürlicher Weise nicht anders zugehen, und weder von unserm Versehen noch andern übernatürlichen Ursachen herrühren könte; Lasen und strichen wir die Gebeine und Asche des seeligen Mit-Bruders zusammen auf das ausgebreitete Seegel-Tuch, [186] trugen selbiges auf einen schönen grünen Platz in die Ecke, wo sich der aus dem grossen See entspringende Fluß in zwey Arme theilet, machten daselbst ein feines Grab, legten alles ordentlich zusammen gebunden hinein, und beschlossen, ihm, nach erlangten fernern Urkunden, mit ehesten eine Gedächtniß-Säule zu setzen. Ob nun schon der gute van Leuven durch seinen frühzeitigen und bejammerens-würdigen Tod dieses Vorhaben mit auszuführen verhindert wurde, so ist es doch nachhero von mir ins Werck gerichtet worden, indem ich nicht allein dem Don Cyrillo de Valaro, sondern auch dem ehrlichenvan Leuven und meiner seel. Ehe-Frau der Concordia, jedem eine besondere Ehren- dem gottlosen Lemelie aber eine Schand-Säule zum Gedächtniß über die Gräber aufgerichtet habe.
Diese Säulen nebst den Grabschrifften, sagte hierAlbertus, sollen euch, meine Freunde, ehester Tages zu Gesichte kommen, so bald wir auf dem Wege nach Christophs-Raum begriffen seyn werden. Jedoch ich wende mich wieder zur damahligen Geschicht.
Nachdem wir, wie bereits gedacht, dem Don Cyrillo nach seinem Begehren den letzten Liebes-Dienst erwiesen, seine Gebeine wohl verscharret, und einen kleinen Hügel darüber gemacht hatten, kehreten wir gantz ermüdet zur Concordia, welche uns eine gute Mittags-Mahlzeit bereitet hatte. Lemelie kam auch gar bald herzu, und entschuldigte seine Flucht damit, daß er unmöglich mit verfauleten Cörpern umgehen könne. Wir lächelten [187] hierzu, da aber Concordia gleichfals wissen wolte, was wir heute vor eine besondere Arbeit verrichtet hätten, erzehlten wir derselben alles umständlich. Sie bezeugte gleich nach der Mahlzeit besondere Lust mit in die Höle zu gehen, da aberMons. van Leuven, wegen des annoch darinnen befindlichen übeln Geruchs, ihr davon abrieth, und ihre Begierde biß auf ein paar Tage zu hemmen bat; gab sie sich gar bald zu frieden, ging wieder aus aufs Jagen und Fischen, wir 3. Manns Personen aber in die Höle, weil unsere grosse Lampe annoch darinnen brandte.
Nunmehro war, nachdem wir, den moderigen Geruch zu vertreiben, etliche mahl ein wenig Pulver angezündet hatten, unsere erste Bemühung, die alten Urkunden, welche in den steinernen Sessel verwahrt liegen solten, zu suchen. Demnach entdeckten wir im Sitze ein viereckigtes Loch, in welches ein wohlgearbeiteter Deckel eingepasset war, so bald nun derselbe ausgehoben, fanden sich oben auf die in Wachs eingefütterten geschriebenen Sachen, die ich euch, mein Vetter und Sohn, gestern Abend eingehändiget habe, unter denselbigen ein güldener Becher mit unschätzbaren Kleinodien angefüllet, welcher in den schönsten güldenen Müntzen vielerley Gepräges und Forme vergraben stund. Wir gaben uns die Mühe, dieses geraumliche Loch, oder den verborgenen Schatz-Kasten, gantz auszuräumen, weil wir aber weiter weder Brieffschafften noch etwas anders fanden, schütteten wir 18. Hüte voll Gold-Müntze wieder hinein, nahmen den Gold-Becher nebst den Brieffschafften [188] zu uns, und gingen, um die letztern recht durch zustudiren, hinauf in Mons. van Leuvens grüne Hütte, allwo wir den übrigen Theil des Tages biß in die späte Nacht mit Lesen und Verteutschen zubrachten, und allerhand höchst-angenehme Nachrichten fanden, die uns und den künfftigen Bewohnern der Insul gantz vortreffliche Vortheile versprechen konten.
Es war allbereit an dem, daß der Tag anbrechen wolte, da van Leuven und ich, wiewohl noch nicht vom Lesen ermüdet, sondern morgender Arbeit wegen die Ruhe zu suchen vor dienlich hielten; indem Concordia schon schlieff, der faule Lemelie aber seit etlichen Stunden von uns zu seiner Schlaf-Stätte gegangen war. Ich nahm derowegen meinen Weg auch dahin, fand aber den Lemelie unter Weges, wohl 10. Schritt von unserer Hütte, krum zusammen gezogen liegen, und als einen Wurm winseln. Auf Befragen, was er da mache? fing er entsetzlich zu fluchen, und endlich zu sagen an: Vermaledeyet ist der verdammte Cörper, den ihr diesen Tag begraben habt, denn das verfluchte Scheusal, über welches man ohnfehlbar keine Seelmessen gehalten hat, ist mir vor etlichen Stunden erschienen, und hat meinen Leib erbärmlich zugerichtet. Ich gedachte gleich in meinen Hertzen, daß dieses seiner Sünden Schuld sey, indem ich von Jugend auf gehöret, daß man mit verstorbenen Leuten kein Gespötte treiben solle; wolte ihn auch aufrichten, und in unsere Hütte führen, doch weil er dahin durchaus nicht wolte, brachte ich den elenden Menschen endlich mit grosser Mühe [189] in Mons. van Leuvens Hütte. Wiewohl ich nicht vergessen hatte, ihn zu bitten, um der Concordia willen, nichts von dem, was ihm begegnet wäre, zu sagen, sondern eine andere Unpäßlichkeit vorzuwenden. Er gehorchte mir in diesem Stücke, und wir schlieffen also, ohne die Concordia zu erwecken, diese Nacht in ihrer Hütte.
Lemelie befand sich folgenden Tages todtkranck, und ich selber habe noch selbigen Tag fast überall seinen Leib braun und blau, mit Blute unterlauffen, gesehen, doch weil es ihm leyd zu seyn schien, daß er mir sein ausgestandenes entdeckt, versicherte ich ihm, selbiges so wohl vor Mons. van Leuven als dessen Gemahlin geheim zu halten, allein, ich sagte es doch gleich bey erster Gelegenheit meinem besten Freunde.
Wir musten ihn also diesen und viele folgende Tage unter der Concordia Verpflegung liegen lassen, gingen aber beyde zusammen wiederum in die unterirrdische Höle, und fanden, beschehener Anweisung nach, in einem verborgenen Gewölbe über 3. Scheffel der auserlesensten und kostbarsten Perlen, nächst diesen einen solchen Schatz an gediegenen Gold- und Silber-Klumpen, edlen Steinen und andern Kostbarkeiten, worüber wir gantz erstaunend, ja fast versteinert stehen blieben. Uber dieses eine grosse Menge von allerhand vor unsere Personen höchst-nöthigen Stücken, wenn wir ja allenfalls dem Verhängnisse auf dieser Insul Stand halten, und nicht wieder zu anderer menschlicher Gesellschafft gelangen solten.
[190] Jedoch, was will ich hiervon viel reden, die Kostbarkeiten kan ich euch, meine Freunde, ja noch alle unverletzt zeigen. Worzu aber die übrigen nützlichen Sachen angewendet worden, davon kan meine und meiner Kinder Haußhaltung und nicht vergeblich gethane Arbeit ein sattsames Zeugniß abstatten. Ich muß demnach nur eilen, euch, meinen Lieben! den fernern Verlauff der damahligen Zeiten noch kürtzlich zu erzehlen, ehe ich auf meine einseitige Geschicht, und die anfänglich betrübte, nachhero aber unter GOttes Fügung wohl ausgeschlagene Haußhaltung komme.
Mittlerweile, da Lemelie kranck lage, räumetenMons. van Leuven und ich alle Sachen aus dem unterirrdischen Gewölbe herauf ans Tages-Licht und an die Lufft, damit wir sehen möchten, was annoch zu gebrauchen wäre oder nicht; Nach diesen reinigten wir die unterirrdische Höle, die ausser der kleinen Schatz-Kammer aus 3. geraumlichen Kammern bestund, von aller Unsauberkeit. Ermeldte Schatz-Kammer aber, die wir dem Lemelie nicht wolten wissen lassen, wurde von unsern Händen wohl vermauret, auswendig mit Leimen beschlagen, und so zugerichtet, daß niemand vermuthen konte, als ob etwas verborgenes darhinter steckte. Mons. van Leuven erwehlete das Vorgemach derselben, worinnen auch der verstorbeneDon Cyrillo sein Lebens-Ziel erwartet, zu seinem Schlaff-Gemach, ich nahm vor mich die Kammer dar neben, und vor Lemelie wurde die dritte zugerichtet, alle aber mit Pulver und Schiff-Pech etliche Tage nach einander wohl ausgeräuchert, [191] ja so zu sagen, gar ausgebrandt, denn dieser gantze Hügel bestehet aus einem vortrefflichen Sand-Steine.
So bald wir demnach alles in recht gute Ordnung gebracht hatten, wurde Concordia hinein geführet, welche sich ungemein darüber erfreuete, und so gleich ohne die geringste Furcht darinnen Hauß zu halten versprach. Wolte also der wunderliche Lemelie nicht oben alleine schlaffen, muste er sich halb gezwungener Weise nach uns richten.
Indessen, da er noch immer kranck war, schafftenMons. van Leuven und ich alltäglich noch sehr viele auf der Sand-Banck liegende nützliche Sachen auf die Insul, und kamen öffters nicht eher als mit sinckenden Tage nach Hause. Da immittelst Lemelie sich kräncker stellet als er ist, doch aber soviel Kräffte hat, derConcordia einmahl über das andere so viel vorzuschwatzen, um sie dahin zu bewegen, seiner Wollust ein Genüge zu leisten, und an ihrem Ehe-Manne untreu zu werden.
Concordia weiset ihn anfänglich mit GOttes Wort und andern tugendhafften Regeln zurücke, da er aber eins so wenig als das andere annehmen, und fast gar Gewalt brauchen will, sie auch kaum Gelegenheit, sich seiner zu erwehren, gefunden, und in grösten Eiffer gesagt, daß sie ehe ihren Ehrenschänder oder sich selbst ermorden, als an ihren Manne untreu werden, und so lange dieser lebte, sich mit einem andern vermischen wolte; wirfft er sich zu ihren Füssen, und bittet seiner hefftigen Liebe wegen um Verzeihung, verspricht auch, ihr dergleichen nimmermehr wieder zuzumuthen, woferne [192] sie nur die eintzige Gnade vor ihn haben, und ihrem Manne nichts davon entdecken wolte. Concordia stellet sich besänfftiget an, giebt ihm einen nochmahligen scharffen Verweiß, und verspricht zwar, ihrem Manne nichts darvon zu sagen, allein, ich selbst muste noch selbigen Abend ein Zeuge ihrer Ehrlichkeit seyn, indem sie bey guter Gelegenheit uns beyden alles, was vorgegangen war, erzehlete, und einen Schwur that, viel lieber mit an die allergefährlichste Arbeit zu gehen, als eine Minute bey dem Lemelie hinführo alleine zu verbleiben.Mons. van Leuven betrübte sich nicht wenig über die grausame Unart unsers dritten Mannes, und sagte, daß er von Grund des Hertzens gern seinen Antheil von dem gefundenen Schatze missen wolte, wenn er nur mit solchen den Gottes-vergessenen Menschen von der Insul hinweg kauffen könte. Doch wir beschlossen, ihn ins künfftige besser in acht zu nehmen, und bey der Concordia niemahls alleine zu lassen.
Immittelst konte doch Mons. van Leuven seinen deßhalb geschöpfften Verdruß, wie sehr er sich auch solches angelegen seyn ließ, unmöglich gäntzlich verbergen, weßwegen Lemelie bald vermerckte, daßConcordia ihrem Manne die Treue besser, als ihm ihr Wort zu halten geartet, jedoch er suchte seinen begangenen Fehler aufs neue zu verbessern, denn da er wenig Tage hierauf sich völlig genesen zeigte, war von da an niemand fleißiger, dienstfertiger und höflicher als eben der Lemelie.
Wir hatten aber in des Don Cyrillo schrifftlichen Nachrichten unter andern gefunden, daß durch [193] den Ausfall des Flusses gegen Mitternacht zu, unter dem Felsen hindurch, ein gantz bequemer Ausgang von der Insul nach der Sand-Banck und dem Meere zu, anzutreffen sey. Wenn man vorhero erstlich in den heissen Monaten, da der Fluß am schwächsten lieffe, einen Damm gemacht, und dessen Wasser durch denCanal, welchen Cyrillo nebst seinen Gefährten vor nunmehro 125. Jahren gegraben, in die kleine See zum Ausflusse führete. Dieses nun in Erfahrung zu bringen, sahen wir gegenwärtige Zeit am allerbequemsten, weil uns der seichte Fluß einen Damm hinein zu machen Erlaubniß zu geben schien. Demnach fälleten wir etliche Bäume, zersägten dieselben, und rammelten ziemlich grosse Plöcke um die Gegend in den Fluß, wo wir die Wahrzeichen des Dammes unserer Vorfahren mit grossen Freuden wahrgenommen hatten. Vor die mit allergröster Müh eingera leten Plöcke wurden lange Bäume über einander gelegt, von solcher Dicke, als wir dieselbe fortzuschleppen vermögend waren, und diese musten die vorgesetzten Rasen-Stücke nebst dem vorgeschütteten fettem Erdreiche aufhalten. Mit solcher Arbeit brachten wir biß in die 4te Woche zu, binnen welcher Zeit der Damm seine nöthige Höhe erreichte, so, daß fast kein Tropffen Wasser hindurch konte, hergegen alles durch denCanal sich in die kleine See ergoß. Lemelie hatte sich bey dieser sauren Arbeit dermassen fleißig, in übriger Aufführung aber so wohl gehalten, daß wir ingesa t glaubten, sein voriges übeles Leben müsse ihm gereuet, und er von da an einen bessern Vorsatz gefasset haben.
[194] Nunmehro war es an dem, daß wir die grosse Lampe anzündeten, und uns in eine abermahlige Felsen-Höle wagen wolten, welches auch des nächsten Tages früh Morgens geschahe. Concordia wolte allhier nicht alleine zurücke bleiben, sondern sich unsers Glücks und Unglücks durchaus theilhafftig machen, derowegen traten wir unsern Weg in GOttes Nahmen an, fanden denselben ziemlich bequem zu gehen, ob gleich hie und da etliche hohe Stuffen befindlich, welchen doch gar mit leichter Müh nachzuhelffen war. Aber, o Himmel! wie groß war unsere Freude, da wir ohne die geringste Gefahr das Ende erreichten, Himmel und See vor uns sehen, und am Ufer des Felsens bey unsern annoch rückständigen Sachen herum spatziren, auch mit vielweniger Müh und Gefahr zurück auf unsere Insul kommen konten.
Ihr seyd, meine lieben Kinder, fuhr unser Alt-Vater Albertus in seiner Erzehlung fort, selbsten durch diesen Gang in die Insul kommen, derowegen könnet ihr am besten von dessen Bequemlichkeit und Nutzen urtheilen, wenn ihr zumahlen die gefährlichen und beschwerlichen Wege über die Klippen dargegen betrachtet. Uns war dieser gefundene Gang zu damahligen Zeiten wenigstens ungemein tröstlich, da wir in wenig Tagen alles, was annoch auf der Sand-Banck lag, herauf brachten, das Hintertheil des zerscheiterten Schiffs zerschlugen, und nicht den kleinesten Nagel oder Splitter davon zurück liessen, so, daß wir weiter ausserhalb des Felsens nichts mehr zu suchen wusten, als unsern Nachen oder kleines Boot, und [195] dann und wann einige Schild-Kröten, See-Kälber, nebst andern Meer-Thieren, wovon wir doch weiter fast nichts als die Häute und das Fett zu gebrauchen pflegten.
Solchergestalt wandten wir die fernern Tage auf nichts anders, als, nach und nach immer eine bessere Ordnung in unserer Haußhaltung zu stifften, sammleten von allerley nutzbarn Gewächsen die Saam-Körner ein, pflegten die Wein-Stöcke und Obst-Bäume aufs beste, als worinnen ich bey meinen lieben Pflege-Vätern, dem Dorff-Priester und dem Amtmanne, ziemliche Kunstgriffe und Vortheile abgemerckt. Lebten im übrigen in der Hoffnung künfftiger noch besserer Zeiten gantz geruhig und wohl beysammen. Allein, in der Nacht zwischen den 8ten und 9ten Novembr. überfiel uns ein entsetzliches Schrecken. Denn es geschahe ohngefähr um Mitternachts-Zeit, da wir ingesa t im süssesten Schlaffe lagen, ein dermassen grosser Knall in unserer unter-irrdischen Wohnung, als ob das allerstärckste Stück Geschützes loßgebrannt würde, so, daß man die Empfindung hatte, als ob der gantze Hügel erschütterte. Ich sprang von meinem Lager auf, und wolte nach der beyden Ehe-Leute Kammer zu eilen, selbige aber kamen mir so gleich im Dunckeln gantz erschrocken entgegen, und eileten, ohne ein Wort zu sprechen, zur Höle hinaus, da der Schein des Monden fast alles so helle als am Tage machte.
Ich kan nicht läugnen, daß Mons. van Leuven, Concordia und ich vor Furcht, Schrecken und Zittern, kein Glied stille halten konten, unsere [196] Furcht aber wurde noch um ein grosses vermehrt, da sich, gegen Süden zu, eine weisse lichte Flamme sehen ließ, welche immer gantz sachte fort zohe, und endlich um die Gegend, wo wir des Don Cyrillo Cörper begraben hatten, verschwand.
Die Haare stunden uns hierüber zu Berge, doch, nachdem wir uns binnen einer Stunde in etwas erholet hatten, brach Mons. van Leuven endlich das lange Stillschweigen, indem er sagte: Mein Schatz undMons. Albert! ich weiß, daß ihr euch über dieses Nacht-Schrecken so wohl als ich unterschiedene Gedancken werdet gemacht haben; allein ich glaube, daß der sonst unerhörte Knall von einem Erdbeben herrühret, wobey unser Sand-Stein-Hügel ohnfehlbar einen starcken Riß bekommen. Die weisse Flamme aber, so wir gesehen, halte ich vor eine Schwefel-Dunst, welche sich nach dem Wasser hingezogen hat.Monsieur van Leuven bekam in diesen Meinungen Seiten meiner starcken Beyfall, allein Concordia gab dieses darauf: Mein Schatz, der Himmel gebe nur, daß dieses nicht eine Vorbedeutung eines besondern Unglücks ist, denn ich war kurtze Zeit vor dem grausamen Knalle durch einen schweren Traum, den ich im Schrecken vergessen habe, ermuntert worden, und lag mit wachenden offenen Augen an eurer Seite, als eben dergleichen lichte Flamme unsere Kammer mit einer gantz ausserordentlichen Helligkeit erleuchtete, und die sonst alle Nacht hindurch brennende grosse Lampe auslöschte, worauf sogleich der grausame Knall und die hefftige Erschütterung zu empfinden war.
[197] Uber diesen Bericht nun hatte ein jedes seine besondere Gedancken, Mons. van Leuven aber unterbrach dieselben, indem er sich um den Lemelie bekümmerte, und gern wissen mochte, wo sich dieser aufhielte. Meine Muthmassungen waren, daß er vielleicht noch vor uns, durch den Schrecken, aus der Höle gejagt worden, und sich etwa hier oder da auf der Insul befände; Allein, nachdem wir den übrigen Theil der Nacht ohne fernern Schlaff hingebracht, und nunmehro das Sonnen-Licht mit Freuden wieder empor kommen sahen, kam auch Lemelie unverhofft aus der Höle heraus gegangen.
Dieser bekannte auf unser Befragen so gleich, daß er weder etwas gesehen, noch vielweniger gehöret habe, und verwunderte sich ziemlich, da wir ihm von allen Begebenheiten voriger Nacht ausführliche Nachricht gaben. Wir hielten ihn also vor glücklicher als uns, stunden aber auf, und besichtigten nicht allein die Höle, sondern auch den gantzen Hügel, fanden jedoch nicht das geringste Versehr, Ritze oder Spalte, sondern alles in unveränderten guten Stande. Lemelie sagte derowegen: Glaubet mir sicher, meine Freunde! es ist alles ein pures Gauckel-Spiel, der im Fegefeuer sitzenden Seele des Don Cyrillo de Valaro. Ach, wie gern wolte ich einem Römisch-Catholischen Priester 100. Creutz-Thaler Seel-Meß-Gelder zahlen, um dieselbe daraus zu erlösen, wenn er nur gegenwärtig wäre, und uns in vollkommene Ruhe setzen könte.
Van Leuven und ich hielten nicht vor rathsam, diesem einfältigen Tropffen zu widersprechen, liessen[198] ihn derowegen bey seinen 5. Augen, beschlossen aber dennoch, etliche Nacht in unsern grünen Hütten zu schlaffen, biß man sähe, was sich ferner wegen des vermeintlichen Erdbebens zeigen, und die deßfalls bey uns entstandene Furcht nach und nach verschwunden seyn würde, welches auch dem Lemelie gantz vernünfftig vorkam.
Allein der ehrliche van Leuven schlieff nur noch 2. Nachte bey seiner liebsten Ehe-Frauen in der Lauber-Hütte. Denn am 11. Novembr. ging er, etwa 2. Stunden, nachdem die Sonne aufgegangen war, mit einer Flinte fort, um ein oder zwey grosse wohlschmeckende Vogel, welche sich gemeiniglich auf den obersten Klippen sehen liessen, herunter zu schiessen, die wir selbigen Abend an statt der Martins-Gänse braten und verzehren wolten. Lemelie war etwa eine Stunde vorher ebenfalls darauf ausgegangen, ich aber blieb bey der Concordia, um ihr beym Kochen mit Holtz-Spalten und andern Handreichungen die Arbeit zu erleichtern.
Zwey Stunden über Mittag kam Lemelie mit zwey schönen grossen Vogeln zurücke, über welche wir uns sogleich hermachten, und dieselben reinigten. Mittlerweile fragte Lemelie Concordien, wo ihr Mann hingegangen? und erhielt von selbiger zur Antwort, daß er gleichergestalt auf solch Wildpret ausgegangen sey, worbey sie sich erkundigte, ob sie einander nicht an getroffen. Lemelie antwortet mit Nein. Doch habe er auf jener Seite des Gebürges einen Schuß verno en, woraus er gemuthmasset, daß sich gewiß einer von uns daselbst aufhalten würde.
[199] Concordia machte noch einen Spaaß hierbey, indem sie sagte: Wenn nun mein Carl Franz kömmt, mag er seine geschossene Martins Gänse biß auf Morgen aufheben. Allein, da die Sonne bereits unterging, und unsere beyden Braten zum Speisen tüchtig waren, stellete sich dem ohngeacht unser guter van Leuven noch nicht ein, wir warteten noch ein paar Stunden, da er aber nicht kam, verzehreten wir den einen Vogel mit guten Appetit, und spareten den andern vor ihn und Concordien. Allein, die Nacht brach endlich auch ein, und van Leuven blieb immer aussen. Concordien begunte das Hertze schwer zu werden, indem sie genug zu thun hatte, die Thränen zurück zu halten, ich aber tröstete sie, so gut ich konte, und meinete, weil es heller Monden-Schein, würde ihr Ehe-Schatz schon noch zurücke kommen. Sie aber versetzte: Ach, es ist ja wider alle seine gewöhnliche Art, was wird ihm der Monden-Schein helffen? Und wie kan er zurücke kommen, wenn er vielleicht Unglück genommen hat? Ja, ja, fuhr sie fort, mein Hertze sagt es mir, mein Liebster ist entweder todt, oder dem Tode sehr nahe, denn itzo fällt mir mein Traum auf einmahl wieder in die Gedancken, den ich in der Schreckens- Nacht, seit dem aber gäntzlich vergessen gehabt. Diese ihre Worte wurden mit einer gewaltsamen Thränen Fluth begleitet, Lemelie aber trat auf, und sagte: Madame! verfallet doch nicht so gleich auf die ärgsten Gedancken, es kan ihn ja vielleicht eine besonders glückliche Begebenheit, oder Neugierigkeit, etwa hier oder dar aufhalten. Stehet auf, wir wollen ihm alle drey [200] entgegen gehen, und zwar um die Gegend, wo ich heute von ferne feinen Schuß gehöret, wir wollen schreyen, ruffen und schiessen, was gilts? er wird sich bald melden, und uns zum wenigsten mit einem Schuß oder Laut antworten. Concordia weinete dem ohngeacht immer noch hefftiger, und sagte: Ach, wie kan er schiessen oder antworten, wenn er todt ist? Doch da wir beyde, ihr ferner zuzureden, nicht unterliessen, stund sie endlich auf, und folgte nebst mir dem Lemelie, wo er uns hinführete.
Es wurde die gantze Nacht hindurch an fleißigem Suchen, Schreyen und Schiessen nichts gesparet, die Soñe ging zwar darüber auf, doch van Leuven wolte mit selbiger dennoch nicht zum Vorscheine kommen. Wir kehreten zurück in unsere Lauber-Hütten und unter-irrdische Wohnung, fanden aber nicht die geringste Spur, daß er Zeit seines Hinwegseyns wiederum da gewesen. Nunmehro begunte mir auch das Hertz-Blat zu schiessen, Concordia wolte gantz verzweiffeln, und Lemelie selbst sagte: Es könne unmöglich richtig zugehen, sondern Mons. van Leuven müste ohnfehlbar etwa ein Unglück genommen haben. Derohalben fingen wir ingesa t gantz von neuen an, ihn zu suchen, und daß ich es nur kurtz mache, am dritten Tage nach seinem letzten Ausgange entdeckten wir mit grausamsten Schrecken seinen entseelten Cörper, gegen Süden zu, ausserhalb an dem Absatze einer jähen Stein-Klippe liegen, als von welcher er unserm damahligen Vermuthen nach herab gefallen war. Ich fing vor übermäßiger Betrübniß bey diesem jämmerlichen Anblicke überlaut zu schreyen und zu heulen an, [201] und rauffte mir als ein unsinniger Mensch gantze Hände voll Haare aus dem Kopffe, Concordia, die meine Geberden nur von ferne sahe, weil sie die hohen Felsen nicht so, wie ich, besteigen konte, sanck augenblicklich in Ohnmacht hin, Lemelie lieff geschwind nach frischen Wasser, ich aber blieb als ein halb-verzweiffelter Mensch gantz sinnloß bey ihr sitzen.
Endlich halff doch des Lemelie oft wiederholtes Wasser giessen und sprengen so viel: daß Concordia sich wieder in etwas ermunterte. Allein meine Freunde, (so unterbrach allhier der Alt-Vater Albertus seine Erzehlung in etwas,) ich befinde mich biß diese Zeit noch nicht im Stande, ohne selbst eigene hefftige Gemüths-Bewegungen, der Concordia schmertzliches Klagen, und mit wenig Worten zu sagen: Ihre fast gäntzliche Verzweiffelung auszudrücken, wiewol solches ohnedem besser mit dem Verstande zu fassen, als mit Worten auszusprechen ist. Doch ich setzte bey ihrem übermäßigen Jammer, mein eigenes dabey geschöpfftes Betrübniß in etwas bey Seite, und suchte sie nur erstlich dahin zu bereden, daß sie sich von uns nach der Laub-Hütte führen liesse. Wiewol nun in dem ersten Auflauff ihrer Gemüths-Bewegungen nichts von ihr zu erhalten war, indem sie mit aller Gewalt ihren Carl Frantz sehen, oder sich selbsten den Kopf an einem Felsen einstossen wolte; so ließ sie sich doch endlich durch Vorstellung einiger Biblischen Sprüche und anderer Vernunfft-Lehren, dahin bewegen, daß ich und Lemelie, welcher vor verstellter Betrübniß kein Wort reden, doch auch kein Auge naß machen konte [202] oder wolte, sie mit sinckenden Tage in die Laubhütte führen durfften. Nachdem ich auf ihr sehnliches Bitten versprochen: alle Mühe und Kunst anzuwenden, den verunglückten Cörper ihres werthen Schatzes herauff zu schaffen.
Ohngeacht aber Concordia und ich in vergangenen Nachten fast wenig oder nichts geschlaffen hatten, so konten wir doch auch diese Nacht, wegen des allzu grossen Jammers, noch keinen Schlaf in unsere Augen kriegen, sondern ich nahm die Bibel und laß der Concordia hieraus die kräfftigsten Trost-Psalmen und Capitel vor, wodurch ihr vorheriges unruhiges, und zur Verzweiffelung geneigtes Gemüthe, in merckliche Ruhe gesetzt wurde. Indem sie, obschon das Weinen und Klagen nicht unterließ, dennoch so viel zu vernehmen gab, daß sie allen Fleiß anwenden wolte, sich mit Gedult in ihr klägliches Verhängniß zu schicken, indem freylich gewiß wäre, daß uns ohne GOttes Willen kein Unglück begegnen könne. Ihre damaligen reformirten Glaubens-Gründe, trugen gewisser massen ein vieles zu der von mir gewünschten Beruhigung bey, doch nachhero hat sie diese verdächtigen Hülffs-Mittel besser erkennen, und sich, durch mein Zureden, aus GOTTES Wort kräfftiger trösten lernen.
Gegen Morgen schlief die biß in den Tod betrübteCordia etwa ein paar Stunden, ich that dergleichen,Lemelie aber, der die gantze Nacht hindurch als ein Ratz geschlaffen hatte, stund auf, wünschte der Concordia zum guten Morgen: Daß sie sich bey einer Sache, die nunmehro unmöglich zu ändern [203] stünde, bald vollkommen trösten, und in ruhigern Zustand setzen möchte, wolte hiermit seine Flinte nehmen und spatzieren gehen, doch ich hielt ihn auf, und bat: er möchte doch der Concordia die Gefälligkeit erzeigen, und den Cörper ihres Liebsten mir herauff bringen helffen, damit wir ihn ehrlich zur Erden bestatten könten; Allein er entschuldigte sich, und gab zu vernehmen, wie er zwar uns in allen Stücken Gefälligkeit und Hülffe zu leisten schuldig wäre; doch damit möchte man ihn verschonen, weiln uns ja zum voraus bewust, daß er einen ungewöhnlichen natürlichen Abscheu vor todten Menschen hätte, auch ohngeacht er schon lange Zeit zu Schiffe gedienet, niemals im Stande gewesen, einen frischen Todten in die See zu werffen, vielweniger einen solchen anzugreiffen, der schon etliche Tage an der Sonne gelegen. Hiermit gieng er seine Wege, Concordia aber hub von neuen an, sich aufs allerkläglichste zu gebährden, da ich ihr aber zugeredet, sich zu mäßigen, und mich nur allein machen zu lassen, weil ich weder Gefahr noch Mühe scheuen, sondern ihr, unter GOttes Schutz, den Cörper ihres Liebsten in ihre Hände liefern wolte; muste sie mir erstlich zuschweren, sich Zeit meines Abseyns selbst kein Leyd zuzufügen, sondern gedultig und stille zu sitzen, auch vor mich, wegen bevorstehender Gefahr, fleißig zu beten. Worauff so viel Seile und Stricke als zu ertragen waren, nebst einem stücke Seegel-Tuch nahm, und nebst Concordien, die eine Holtz-Axt nebst etwas Speise vor uns beyde trug, nach den Felsen hin eilete. Daselbst ließ ich sie unten an einem sichern Orte sitzen, und kletterte nach [204] und nach zur Höhe hinauff, zohe auch die Axt, etliche spitz gemachte Pfähle, und die übrigen Sachen, von einem Absatz zum andern, hinter mir her. An der auswendigen Seite muste ich mich aber viel grösserer Gefahr unterwerffen, weil daselbst die Felsen weit steiler, und an vielen Orten gar nicht zu beklettern waren, weßwegen ich an drey Orten in die Felsen-Ritzen Pfähle einschlagen, ein langes Seil dran binden und mich 3. mal 8. 10. biß 12. Elen tief, an selbigen herunter lassen muste. Solchergestalt gelangete ich endlich zu meines lieben Herrn van Leuvens jämmerlich zerschmetterten Cörper, der, weil ihm das Gesicht sehr mit Blut unterlauffen war, seine vorige Gestalt gäntzlich verlohren hatte, und allbereit wegen der grossen Hitze, einen üblen Geruch von sich gab, jedoch ich hielt mich nicht lange dabey auf, sondern wickelte ihn eiligst in das bey mir habende Tuch, bewunde dasselbe mit Stricken, band ein Seil daran, und zohe diese Last nach und nach hinauff. Zu meinem Glücke hatte ich in die vom Felsen herab hangenden Seile, verschiedener Weite nach, Knoten gebunden, sonst wäre fast unmöglich gewesen wieder hinauff zu kommen, doch der Himmel bewahrete mich in dieser besondern Gefahr vor allem Unfall, und ich gelangte nach etwa 6. oder 7. Stunden verlauff, ohnbeschadet, doch sehr schwer beladen und ermüdet, wiederum bey Concordien an. Durch vielles Bitten und vernünfftige Vorstellungen, erhielt ich endlich so viel von selbiger, daß sie sonst nichts als ihres seel. Ehe-Mannes Gesichte und die Hand, woran er annoch seinen Siegel-Ring stecken hatte, zu sehen begehrte. [205] Sie wusch beydes mehr mit Thränen, als mit Wasser aus dem vorbey rinnenden Bächlein ab, und küssete ihn ohngeacht des übeln Aussehens und Geruchs vielfältige mal, zohe den Ring von seinem Finger, und ließ endlich unter hefftigen Jammer-Klagen geschehen, daß ich den Cörper wieder einwickelte, und auf vorige Art umwunde.
Sie halff mir denselben biß in unsere unterirrdische Höle tragen, woselbst er, weil ich nicht allein sehr ermüdet, sondern es auch allbereit ziemlich spät war, liegen blieb, und von uns beyden bewacht wurde. Mit anbrechenden Tage machte ich ein Grab neben desDon Cyrillo seinem, worein wir diesen lieben verunglückten Freund, unter vergiessung häuffiger Thränen, begruben.
Lemelie, der unserer Arbeit von ferne zugesehen hatte, kam erstlich des folgenden Tages wieder zu uns, und Bemühete sich mit Erzehlung allerhand lustiger Geschichte, der Concordia Kummer zu vertreiben. Doch dieselbe sagte ihm ins Gesicht: Daß sie lieber mit dergleichen Zeitvertreibe verschonet bleiben möchte, indem ihr Gemüthe nicht so leichtsinnig geartet, dergleichen höchst empfindlichen Verlust solchergestalt zu verschmertzen. Derowegen führete er zwar nachhero etwas vernünfftigere Reden, dochConcordia, die bißhero fast so wenig als nichts geruhet, verfiel darüber in einen tieffen Schlaf, weßwegenLemelie und ich uns gleichfalls in einer andern Ecke der Höle, zur Ruhe legten. Jedoch es schien, als ob dieser Mensch gantz besondere Anfechtungen hätte, indem er so wol diese, als viele folgende Nachte, fast keine Stunde nach einander [206] ruhig liegen konte. Er fuhr sehr öffters mit ängstlichen Geschrey aus dem schlafe auf, und wenn ich ihn deßwegen befragte, klagte er über sonst nichts, als schwere Träume, wiewol man ihn nach und nach sehr abgemattet, und fast an allen Gliedern ein starckes Zittern verspürete, jedoch binnen 2. oder 3. Wochen erholete er sich ziemlich, so, daß er nebst mir, unserer künfftigen Nahrung wegen, sehr fleißig arbeiten konte.
Bey dem allen aber, lebten wir 3. von gantz unterschiedenen Gemüths-Regungen eingenommene Personen, in einer vollkommenen Verwirrung, da es zumal das gäntzliche Ansehen hatte, als ob alle unsere vorige Gedult, ja unser völliges Vergnügen, mit dem van Leuven begraben wäre. Wir sassen öffters etliche Stunden beysammen, ohne ein Wort mit einander zu sprechen, doch schien es als ob immer eines des andern Gedancken aus den Augen lesen wolte, und dennoch hatte niemand das Hertze, der andern und dritten Person Hertzens-Meynung auszufragen. Endlich aber da nach des van Leuvens Beerdigung etwa 4. Wochen verlauffen waren, hatte sich Lemelie bey ersehener Gelegenheit die Freyheit genommen, der Concordia in Geheim folgende Erklärung zu thun: Madame! sagt er ohngefähr: Ihr und ich haben bißhero das unglückliche Verhängniß eures seel. Ehe-Mannes zur gnüge betrauret. Was ist nunmehro zu thun? Wir sehen kein ander Mittel, als vielleicht noch lange Zeit unserm Schicksal auf dieser Insul Gehorsam zu leisten. Ihr seyd eine Wittbe und darzu hoch schwanger, zu euren Eltern zurück zu kehren, ist so unmöglich [207] als schändlich, einen Mann müsset ihr haben, der euch bey Ehren erhält, niemand ist sonsten vor euch da als ich und Albert, doch weil ich nicht zweiffele, daß ihr mich, als einen Edelmann, diesem jungen Lecker, der zumal nur eine privat-Person ist, vorziehen werdet; So bitte ich um eures eigenen Bestens willen, mir zu erlauben, daß ich die erledigte Stelle eines Gemahls bey euch ersetzen darff, so werden wir nicht allein allhier unser Schicksal mit Gedult ertragen, sondern in Zukunfft höchst vergnügt leben können, wenn wir das Glück haben, daß uns vielleicht ein Schiff von hier ab, und zu mehrerer menschlicher Gesellschafft führen wird. Albert, sagt er ferner, wird sich nicht einmal die hochmüthigen Gedancken einkommen lassen, unserer beyder Verbindung zu widerstreben, derowegen bedencket euer Bestes in der Kürtze, weil ich binnen 3. Nachten als Ehe-Mann mit euch zu Bette zu gehen entschlossen, und zugleich eure tragende Leibes-Frucht, so gut als die Meinige zu achten, entschlossen bin.
Concordia, die sich aus seinen feurigen Augen, und erhitzten Gemüths-Bewegungen, nichts guts propheceyet, bittet ihn um GOTTES Barmhertzigkeit willen, ihr wenigstens eine halbjährige Frist zur Trauer- und Bedenck-Zeit zu verstatten, allein der erhitzte Liebhaber will hiervon nichts wissen, sondern spricht vielmehr mit gröster Vermessenheit: Er habe ihre Schönheit ohne würcklichen Genuß lange genug vergebens vor Augen gehabt, nunmehro aber, da ihn nichts als der elende Albert daran verhinderlich seyn könte; wäre er nicht gesonnen sich länger Gewalt anzuthun, und kurtz! wolte sie haben, [208] daß er ihr selbst nicht Gewalt anthun solte, müste sie sich entschliessen, ihn ehe noch 3. Nächte verlieffen, als seine Ehe-Frau beyzuwohnen. Anbey thut er die vorsichtige Warnung, daß Concordia mir hiervon ja nichts in voraus offenbaren möchte, widrigenfalls er meine Person bald aus dem Wege räumen wolle. Jedoch die Angst-volle Concordia stellet sich zwar, als ob sie seinen Drohungen ziemlich nachgäbe, so bald er aber etwas entfernet war, erfuhr ich das gantze Geheimniß. Meine Erstaunung hierüber war unsäglich, doch, ich glaube eine besondere Krafft des Himmels, stärckte mich augenblicklich dermassen, daß ich ihr den Rath gab, allen seinen Anfällen aufs äuserste zu widerstreben, im übrigen sich auf meinen Beystand gäntzlich zu verlassen; weiln ich von nun an fleißig auf sie Acht haben, und ehe mich um mein Leben, als sie um ihre Ehre bringen lassen wolte.
Immittelst war Lemelie drey Tage nach einander lustig und guter Dinge, und ich richtete mich dermassen nach ihm, daß er in meine Person gar kein böses Vertrauen setzen konte. Da aber die fatale Nacht herein brach, in welcher er sein gottloses Vorhaben vollbringen wolte; Befahl er mir auf eine recht Herrschafftliche Art, mich nun zur Ruhe zu legen, weiln er nebst mir auf morgenden Tag eine recht schwere Arbeit vorzunehmen gesonnen sey. Ich erzeigte ihm einen verstellten Knechtischen Gehorsam, wodurch er ziemlich sicher gemacht wurde, sich gegen Mitternacht mit Gewalt in der Concordia Kammer eindrange, und mit Gewalt auf ihrem Lager Platz suchen wolte.
[209] Kaum hatten meine aufmerckenden Ohren dieses gehöret, als ich sogleich in aller Stille aufstund, und unter beyden einen langen Wort-Streit anhörete, da aber Lemelie endlich allzu brünstig wurde, und weder der unschuldigen Frucht, noch der kläglich winselenden Mutter schonen, sondern die Letztere mit Gewalt nothzüchtigen wolte; stieß ich, nachdem dieselbige abgeredter massen, GOTT und Menschen um Hülffe anrieff, die Thür ein, und suchte den ruchlosen Bösewicht mit vernünfftigen Vorstellungen auf bessere Gedancken zu bringen. Doch der eingefleischte Teufel sprang auf, ergriff einen Säbel, und versetzte mir einen solchen Hieb über den Kopf, daß mir Augenblicklich das Blut über das Gesichte herunter lieff. Ich eilete zurücke in meine Kammer, weil er mich aber biß dahin verfolgen, und seinem Vorsatze nach gäntzlich ertödten wolte, ergriff ich in der Angst meine Flinte mit dem aufgesteckten Stillet, hielt dieselbe ausgestreckt vor mich, und mein Mörder, der mir inzwischen noch einen Hieb in die lincke Schulter angebracht hatte, rannte sich im finstern selbst dergestalt hinein, daß er das Stillet in seinem Leibe steckend behielt, und darmit zu Boden stürtzte.
Auf sein erschreckliches Brüllen, kam die zitterndeConcordia aus ihrer Kammer mit dem Lichte gegangen, da wir denn gleich wahr namen, wie ihm das Stillet vorne unter der Brust hinein, und hinten zum Rücken wieder heraus gegangen war. Dem ohngeacht, suchte er, nachdem er solches selbst heraus gezogen, und in der lincken Hand behalten hatte, mit seinem Säbel, entweder der Concordia, [210] oder mir einen tödtlichen Streich beyzubringen. Jedoch ich nam die Gelegenheit in acht, machte, indem ich ihm den einen Fuß auf die Kähle setzte, seine verfluchten Hände wehrloß, und dieselben, nebst den Füssen, mit Stricken fest zusammen, und ließ das Aas solchergestalt eine gute Zeitlang zappeln, nicht zweiffelnd, daß er sich bald eines andern besinnen würde. Allein es hatte fast das Ansehen, als ob er in eine würcklich Raserey verfallen wäre, denn als mir Concordia meine Wunden so gut sie konte, verbunden, und das hefftige Bluten ziemlich gestillet hatte, stieß er aus seinem verfluchten Rachen die entsetzlichsten Gotteslästerungen, und gegen uns beyde die heßlichsten Schand-Reden aus, ruffte anbey unzehlige mal den Satan um Hülffe an, verschwur sich denselben auf ewig mit Leib und Seele zum Eigenthume, woferne nur derselbe ihm die Freude machen, und seinen Tod an uns rächen wolte.
Ich hielt ihm hierauff eine ziemlich lange Predigt, mahlete sein verruchtes Leben mit lebendigen Farben ab, und stellete ihn sein unglückseeliges Verhängniß vor Augen, indem er, da er mich zu ermorden getrachtet, sein selbst eigener Mörder worden, ich aber von GOTTES Hand erhalten wäre. Concordia that das ihrige auch mit grösten Eifer darbey, verwiese ihn aber letzlich auf wahre Busse und Erkäntniß seiner Sünden, vielleicht, sagte sie, liesse sich die Barmhertzigkeit GOTTES noch in seiner letzten Todes-Stunde erweichen, ihm Gnade und Vergebung wiederfahren zu lassen; Doch dieser Bösewicht drückte die Augen feste zu, knirschete [211] mit den Zähnen, und kriegte die hefftigsten Anfälle von der schweren Noth, so daß ihm ein greßlicher Schaum vor dem Maule stund, worauff er biß zu anbrechenden Tage stille liegen blieb, nachhero aber mit schwacher Stimme etwas zu trincken foderte. Ich gab ihm einen Trunck von unsern besten Geträncke, welches der aus den Palm-Bäumen gelauffene Safft war. Er schluckte denselben begierig hinein, und hub mit matter Stimme zu sagen an: Was habt ihr vor Vergnügen Mons. Albert, mich ferner zu quälen, da ich nicht die allergeringste Macht habe euch fernern Schaden zu thun, erzeiget mir derowegen die Barmhertzigkeit, meine Hände und Füsse von den schmertzlichen Banden zu erlösen, ich will euch so dann ein offenhertziges Bekänntniß meiner abscheulichen Missethaten thun, nach diesem aber werdet ihr mich meiner Bitte gewähren, und mir mit einem tödtlichem Stosse den wohlverdienten Lohn der Boßheit geben, mithin meiner Leibes- und Gewissens-Quaal ein Ende machen, denn ihr seyd dessen, eurer Rache wegen wol berechtiget, ich aber will solches annoch vor eine besondere Gnade der Menschen erkennen, weil ich doch bey GOTT keine Gnade und Barmhertzigkeit zu hoffen habe, sondern gewiß weiß, daß ich in dem Reiche des Teuffels, welchem ich mich schon seit vielen Jahren ergeben, auf ewig verbleiben werde.
Es stunden uns bey diesen seinen letzten Worten die Haare zu Berge, doch nachdem ich alle, mir verdächtig vorkommende Sachen, auf die Seite geschafft und versteckt hatte, wurden seine Hände und [212] Füsse der beschwerlichen Bande entlediget, und der tödtlich verwundete Cörper auf eine Matratze gelegt. Er empfand einige Linderung der Schmertzen, wolte aber seine empfangene Wunde weder anrühren noch besichtigen lassen, hielt im gegentheil an die Concordia und mich ohngefehr folgende Rede.
Wisset sagte er, daß ich aus einem der allervornehmsten Geschlechte in Franckreich entsprossen bin, welches ich, indem es mich als einen rechten Greuel der Tugenden erzeuget, nicht einmal nahmhafft machen will. Ich habe in meinem 18den Jahre meine leibliche Schwester genothzüchtiget, und nachhero, da es ihr gefiel, in die 3. Jahr Blut-Schande mit derselben getrieben. Zwey Huren-Kinder, die binnen der Zeit von ihr kamen, habe ich ermordet, und in Schmeltz-Tiegeln als eine besondere kostbare Massam zu Asche verbrannt. Mein Vater und Mutter entdeckten mit der Zeit unsere abscheuliche Blutschande, liessen sich auch angelegen seyn, eine fernere Untersuchung unsers Lebens anzustellen, doch weil ich alles bey Zeiten erfuhr, wurden sie beyde in einer Nacht durch beygebrachtes Gifft in die andere Welt geschickt. Hierauff wolten meine Schwester und ich als Ehe-Leute, unter verwechselten Nahmen, nach Spanien oder Engelland gehen, allein eine andere wollüstige Hure zohe meine gestilleten Begierden vollends von der Schwester ab, und auf sich, weßwegen meine um Ehre, Gut und Gewissen betrogene Schwester, sich nebst ihrer dritten von mir tragenden Leibes-Frucht selbst ermordete, denen Gerichten aber ein [213] offenhertziges Bekänntniß, meiner und ihrer Schand und Mordthaten, schrifftlich hinterließ, ich aber hatte kaum Zeit, mich, nebst meiner neu erwehlten Hure, und etlichen kostbaren Sachen, unter verstellter Kleidung und Nahmen, aus dem Lande zu machen. – – Hier wolte dem Bösewicht auch seine eigene schändliche Zunge den Dienst versagen, weßwegen ich, selbige zu stärcken, ihm noch einen Becher Palmen-Safft reichen muste, worauff er seine Rede also fortsetzte:
Ich weiß und mercke sagte er, daß ich nicht eher sterben kan, biß ich auch den sterblichen Menschen den meisten Theil meiner schändlichen Lebens-Geschicht offenbaret habe, wisset demnach, daß ich in Engelland, als wohin ich mit meiner Hure geflüchtet war, nicht allein diese, wegen ihrer Untreue, sondern nebst derselben 19. Seelen allein durch Gifft hingerichtet habe.
Indessen aber hatte mich doch am Englischen Hofe, auf eine ziemliche Stuffe der Glückseligkeit gebracht, allein mein Ehrgeitz und ausschweiffende Wollust stürtzten den auf üblen Grunde ruhenden Bau, meiner zeitlichen Wohlfarth gar bald darnieder, so daß ich unter abermals verwechselten Nahmen und in verstelleter Kleidung, als ein Boots-Knecht, sehr arm und elend aus Engelland abseegeln muste.
Ein gantz besonderes Glücke führete mich endlich auf ein Holländisches Caper-Schiff, und machte nach und nach aus mir einen ziemlich erfahrnen See-Mann, allein wie ich mich durch Gifft-mischen, Meuchel-Mord, Verrätherey und andere [214] Rancke mit der Zeit biß zu dem Posten eines Capitains erhoben, ist wegen der kurtzen Frist, die ich noch zu leben habe, unmöglich zu erzehlen. Der letztere Sturm, dergleichen ich noch niemals, ihr aber nebst mir ausgestanden, hätte mich bey nahe zur Erkäntniß meiner Sünden gebracht, allein der Satan, dem ich mich bereits vor etlichen Jahren mit Leib und Seele verschrieben, hat mich durchaus nicht dahin gelangen lassen, im Gegentheil mein Hertze mit immerwährenden Boßheiten angefüllet. – – Er forderte hierbey nochmals einen Trunck Palmen-Safft, tranck, sahe hierauff die Concordia mit starren Augen an, und sagte: Bejammerns-würdigeConcordia! Nehmet den Himmel zu einem Artzte an, indem ich eure noch nicht einmal verblutete Hertzens-Wunde von neuen aufreisse, und bekenne: daß ich gleich in der ersten Minute, da eure Schönheit mir in die Augen gefallen, die verzweiffeltesten Anschläge gefasset, eurer Person und Liebe theilhafftig zu werden. Mehr als 8. mal habe ich noch auf dem Schiffe Gelegenheit gesucht, euren seeligen Gemahl mit Giffte hinzurichten: doch da er ohne eure Gesellschafft selten gegessen oder getruncken hat, euer Leben aber, mir allzukostbar war, sind meine Anstalten jederzeit vergeblich gewesen. Oeffentlich habe niemals mit ihm anzubinden getrauet, weil ich wol gemerckt, daß er mir an Hertzhafftigkeit überlegen, und ihn hinterlistiger Weise zu ermorden, wolte auch lange Zeit nicht angehen, da ich befürchten muste, daß ihr deßwegen einen tödtlichen Haß auf mich werffen möchtet. Endlich aber gab mir der Teuffel und meine verfluchte [215] Begierde, bey ersehener Gelegenheit die Gedancken ein, euren seeligen Mann von der Klippe herunter zu stürtzen. – – – Concordia wolte bey Anhörung dieser Beichte ohnmächtig werden, jedoch der wenige Rest einer bey sich habenden,balsamischen Artzeney, stärckte sie, nebst meinem zwar ängstlichen doch kräfftigen Zureden, dermassen, daß sie das Ende dieser jämmerlichen und erschrecklichen Geschicht, mit ziemlicher Gelassenheit vollends abwarten konte.
Lemelie fuhr demnach im reden also fort: Euer Ehe-Mann, Concordia! kam, indem er ein schönes Morgen-Lied sang, die Klippe hinauff gestiegen, und erblickte mich Seitwarts mit der Flinte im Anschlage liegen. Er erschrack hefftig, ohngeacht ich nicht auf ihn, sondern nach einem gegen mir über sitzenden Vogel zielete, dem er mit seiner Ankunfft verjagte. Wiewohl mir nun der Teuffel gleich in die Ohren bließ, diese schöne Gelegenheit, ihn umzubringen, nicht vorbey streichen zu lassen, so war doch ich noch listiger, als hitzig, warff meine Flinte zur Erden, eilete und umarmete den van Leuven, und sagte: Mein edler Freund, ich spüre daß ihr vielleicht einen bösen Verdacht habt, als ob ich nach eurem Leben stünde; Allein entweder lasset selbigen fahren, oder erschiesset mich auf der Stelle, denn was ist mir mein verdrießliches Leben ohne eure Freundschafft auf dieser einsamen Insul sonsten nütze. Van Leuven umarmete und küssete mich hierauff gleichfalls, versicherte mich seiner aufrichtigen und getreuen Freundschafft, setzte auch viele gute Vermahnungen hinzu, vermöge deren ich mich in Zukunfft [216] tugendhaffter und Gottesfürchtiger aufführen möchte. Ich schwur ihm alles zu, was er vermuthlich gern von mir hören und haben wolte, weßwegen wir dem äuserlichen Ansehen nach, auf einmal die allerbesten Freunde wurden, unter den vertraulichsten Gesprächen aber lockte ich ihn unvermerckt auf den obersten Gipffel des Felsens, und zwar unter dem Vorwande, als ob ich ein von ferne kommendes Schiff wahrnähme, da nun der höchsterfreutevan Leuven, um selbiges zu sehen, auf die von mir angemerckte gefährlichste Stelle kam, stürtzte ich ihn mit einem eintzigen stosse, und zwar an einem solchen Orthe hinab, wo ich wuste, daß er augenblicklich zerschmettern muste. Nachdem ich seines Todes völlig versichert war, gieng ich mit zittern zurücke, weil mir die Worte seines gesungenen Morgen Liedes:
Nimmstu mich, GOTT in deine Hände,
So muß gewiß mein Lebens Ende
Den Meinen auch zum Trost gedeyhn,
Es mag gleich schnell und kläglich seyn.
gar nicht aus den Gedancken fallen wolten, biß der Teuffel und meine unzüchtigen Begierden mir von neuen einen Muth und, wegen meines künfftigen Verhaltens, ferner Lehren einbliesen. Jedoch, sprach er mit seufftzender und heiserer Stimme: mein Gottes-und Ehrvergessenes Aufführen kan euch alles dessen nachdrücklicher und besser überzeugen, als mein beschwerliches Reden. Und Mons. Albert, euch war der Todt ebenfalls schon vorlangst geschworen, insoweit ihr euch als einen Verhinderer meines Vergnügens angeben, und mir nicht als einem [217] Befehlshaber gehorchen würdet, jedoch das Verhängniß hat ein anders beschlossen, indem ihr mich wiewol wieder euren willen tödtlich verwundet habt. Ach machet derowegen meiner zeitlichen Marter ein Ende, rächet eure Freunde und euch selbst, und verschaffet mich durch den letzten Todes-Stich nur bald in das vor meine arme Seele bestimmte Quartier zu allen Teuffeln, denn bey GOTT ist vor dergleichen Sünder, wie ich bin, weder Gnade noch Barmhertzigkeit zu hoffen.
Hiermit blieb er stille liegen. Concordia aber und ich setzten allen unseren anderweitigen Jammer bey Seite, und suchten des Lemelie Seele durch die trostreichsten Sprüche aus des Teufels Rachen zu reissen. Allein, seine Ohren waren verstopfft, und ehe wir uns dessen versahen, stach er sich, mit einem bey sich annoch verborgen gehaltenen Messer, in etlichen Stichen das Hertze selbst vollends ab, und bließ unter gräßlichen Brüllen seine ohnfehlbar ewig verdammte Seele aus. Concordia und ich wusten vor Furcht, Schrecken und überhäuffter Betrübniß nicht, was wir anfänglich reden oder thun solten, doch, nachdem wir ein paar Stunden vorbey streichen lassen, und unsere Sinnen wieder in einige Ordnung gebracht hatten, schleppte ich den schändlichen Cörper bey den Beinen an seinen Ort, und begrub ihn als ein Vieh, weil er sich im Leben noch viel ärger als ein Vieh aufgeführet hatte.
Das war also eine zwar kurtze, doch mehr als Erstaunens-würdige Nachricht von dem schändlichen Leben, Tode und Begräbniß eines solchen [218] Menschen, der der Erden eine verfluchte unnütze Last, dem Teuffel aber eine desto nützlichere Creatur gewesen. Welcher Mensch, der nur ein Füncklein Tugend in seiner Seelen heget, wird nicht über dergleichen Abschaum aller Laster erstaunen, und dessen durchteuffeltes Gemüthe verfluchen? Ich vor meine Person hatte recht vom Glücke zu sagen, daß ich seinen Mord-Streichen, noch so zu sagen, mit blauen Augen entkommen war, wiewohl ich an meinen empfangenen Wunden, die, wegen der sauren Arbeit bey dem Begräbnisse dieses Höllenbrandes, starck erhitzt wurden, nachhero Angst und Schmertzen genung auszustehen hatte.
Meine annoch eintzige Unglücks-Gefährtin, nehmlich die Concordia, traff ich bey meiner Zurückkunfft sich fast in Thränen badend an, weil ich nun der eintzige Zeuge ihres Jammers war, und desselben Ursprung nur allzu wohl wuste, wegen ihrer besondern Gottesfurcht und anderer Tugenden aber in meiner Seelen ein hefftiges Mitleyden über ihre unglückliches Verhängniß hegte, und mein selbst eigenes Theil ziemlich dabey hatte, so war mir um so viel desto leichter, ihr im klagen und weinen Gesellschafft zu leisten, also vertiefften wir uns dermassen in unserer Betrübniß, daß wir den gantzen Tag biß zu einbrechender Nacht ohne Essen und Trincken bloß mit seuffzen, weinen und klagen hinbrachten. Endlich da mir die vernünfftigen Gedancken wiederum einfielen, daß wir mit allzu übermäßiger Betrübniß unser Schicksal weder verbessern noch verschlimmern, die höchste Macht aber dadurch nur noch mehr zum Zorne reitzen [219] könten, suchte ich die Concordia so wohl als mich selbst zur Gedult zu bewegen, und dieses gelunge mir auch in so weit, daß wir einander zusagten: alles unser Bekümmerniß dem Himmel anzubefehlen, und mit täglichen fleißigen Gebet und wahrer GOTT-Gelassenheit zu erwarten, was derselbe ferner über uns verhängen würde.
Demnach wischeten wir die Thränen aus den Augen, stelleten uns recht hertzhafftig an, nahmen Speise und Tranck, und suchten, nachdem wir mit einander andächtig gebetet und gesungen, ein jedes seine besondere Ruhe-Stelle, und zwar beyde in einer Kammer. Concordia verfiel in einen süssen Schlaff, ich aber konte wegen meiner hefftig schmertzenden Wunden, die in Ermangelung guter Pflaster und Salben nur bloß mit Leinwand bedeckt und umwunden waren, fast kein Auge zuthun, doch da ich fast gegen Morgen etwa eine Stunde geschlummert haben mochte, fing Concordia erbärmlich zu winseln und zu wehklagen an, da ich nun vermeinete, daß sie solches wegen eines schweren Traumes etwa im Schlaffe thäte, und, sie sanffte zu ermuntern, aufstund, richtete sich dieselbe auf einmahl in die Höhe, und sagte, indem ihr die grösten Thränen-Tropffen von den Wangen herunter rolleten: Ach, Monsieur Albert! Ach, nunmehro befinde ich mich auf der höchsten Staffel meines Elendes! Ach Himmel, erbarme dich meines Jammers! Du weist ja, daß ich die Unzucht und Unkeuschheit Zeit Lebens von Grund der Seelen gehasset, und die Keuschheit vor mein bestes Kleinod geschätzet. Zwar habe mich durch übermäßige [220] Liebe von meinen seel. Ehe-Mann verleiten lassen, mit ihm aus dem Hause meiner Eltern zu entfliehen, doch du hast mich ja dieserwegen auch hart genug gestrafft. Wiewohl, gerechter Himmel, zürne nicht über meine unbesonnenen Worte, ists noch nicht genung? Nun so straffe mich ferner hier zeitlich, aber nur, nur, nur nicht ewig.
Hierauf rang sie die Hände aufs hefftigste, der Angst-Schweiß lieff ihr über das gantze Gesichte, ja sie winselte, schrye, und wunde sich auf ihren Lager als ein armer Wurm.
Ich wuste vor Angst, Schrecken und Zittern nicht, was ich reden, oder wie ich mich gebärden solte, weil nicht anders gedencken konte, als daß Concordia vielleicht noch vor Tages Anbruch das Zeitliche gesegnen, mithin mich als den allerelendesten Menschen auf dieser Insul allein, ohne andere, als der Thiere Gesellschafft, verlassen würde. Diese kläglichen Vorstellungen, nebst ihren schmertzhafften Bezeigen, rühreten mich dermassen hefftig, daß ich auf Knie und Angesicht zur Erden fiel, und dermassen eiffrig zu GOtt schrye, daß es fast das Ansehen hatte, als ob ich den Allmächtigen mit Gewalt zwingen wolte, sich der Concordia und meiner zu erbarmen.
Immittelst war dieselbe gantz stille worden, weßwegen ich voller Furcht und Hoffnung zu GOtt aufstund, und besorgte, sie entweder in einer Ohnmacht oder wohl gar todt anzutreffen. Jedoch zu meinem grösten Troste, lag sie in ziemlicher Linderung, wiewohl sehr ermattet, da, nahm und drückte meine Hand, legte selbige auf ihre Brust, und sagte [221] unter hefftigem Hertz-Klopffen: Es ist an dem, Mons. Albert, daß eure und meine Tugend von der Göttlichen Fürsehung auf eine harte Probe gesetzt wird. Wisset demnach, mein eintziger Freund und Beystand auf dieser Welt, daß ich in Kindes-Nöthen liege. Auf euer hertzliches Gebet hat mir der Höchste Linderung verschaffet, ich glaube, daß ich bloß um eurent willen noch nicht sterben werde. Allein, ich bitte euch um GOttes Barmhertzigkeit willen, lasset eure Keuschheit, Gottesfurcht und andere Tugenden, bey meinem itzigen Zustande über alle Fleisches-Lust, unkeusche Gedancken, ja über alle Bemühungen, die ich euch zu machen, von der Noth gezwungen bin, triumphiren. Denn ich bin versichert, daß alle äusserliche Versuchungen, unsern keuschen Seelen keinen Schaden zufügen können, so fern dieselben nur an sich selbst rein von Lastern sind.
Hierauf legte ich meine lincke Hand auf ihre bekleidete Brust, meine rechte aber reckte ich in die Höhe, und sprach: Liebste Concordia, ich schwere hiermit einen würcklichen Eyd, daß ich zwar eure schöne Person unter allen Weibs-Personen auf der gantzen Welt aufs allerwertheste achte und liebe, auch dieselbe jederzeit hoch zu achten und zu lieben gedencke, wenn ich gleich, mit GOttes Hülffe, wieder unter 1000. und mehr andere Weibs- und Manns-Personen kommen solte; Allein wisset, daß ich euch nicht im geringsten aus einer wollüstigen Absicht, sondern bloß eurer Tugenden wegen liebe, auch alle geile Brunst, dergleichen Lemelie verspüren lassen, aufs hefftigste verfluche. Im Gegentheil [222] verspreche, so lange wir beysammen zu leben gezwungen sind, aus guten Hertzen, euch in allen treulich beyzustehen, und solte ja wider Vermuthen in Zukunfft bey mir etwa eine Lust entstehen, mit eurer Person verehligt zu seyn, so will ich doch dieselbe, um euch nicht verdrüßlich zu fallen, beständig unterdrücken, hingegen allen Fleiß anwenden, euch mit der Helffte derjenigen Schätze, die wir in Verwahrung haben, dahin zu verschaffen, wo es euch belieben wird, weiln ich lieber Zeit-Lebens unvergnügt und Ehe-loß leben, als eurer Ehre und Tugend die geringste Gewalt anthun, mir aber in meinem Gewissen nur den kleinesten Vorwurff verursachen wolte. Verlasset euch derowegen sicher auf mein Versprechen, worüber ich GOtt und alle heiligen Engel zu Zeugen anruffe, fasset einen frischen Muth, und fröliches Hertze. GOtt verleihe euch eine glückliche Entbindung, trauet nechst dem auf meinen getreuen Beystand, thut eurer Gesundheit mit unnöthiger und vielleicht gefährlicher Schamhafftigkeit keinen Schaden, sondern verlasset euch auf euer und meine tugendhaffte Keuschheit, welche in dieser äusersten Noth unverletzt bleiben soll. Ich habe das feste Vertrauen, der Himmel werde auch diese höchste Staffel unseres Elendes glücklich übersteigen helffen, und euch mir zum Trost und Beystande gesund und vergnügt beym Leben erhalten. Befehlet mir derowegen nur ohne Scheu, was ich zu eurem Nutzen etwa thun und herbey schaffen soll, GOtt wird uns, in dieser schweren Sache gantz unerfahrnen Leuten, am besten zu rathen wissen.
[223] Diesemnach küssete die keusche Frau aus reiner Freundschafft meine Hand, versicherte mich, daß sie auf meine Redlichkeit ein vollkommenes Vertrauen setzte, und bat, daß ich aussen vor der Kammer ein Feuer anmachen, anbey so wohl kaltes als warmes Wasser bereit halten möchte, weil sie nechst Göttlicher Hülffe sich einer baldigen Entbindung vermuthete. Ich eilete, so viel mir menschlich und möglich, ihrem Verlangen ein Genügen zu leisten, so bald aber alles in völliger Bereitschafft, und ich wiederum nach meiner Kreissenden sehen wolte, fand ich dieselbe in gantz anderer Verfassung, indem sie allen Vorrath von ihren Betten in der Kammer herum gestreuet, sich mitten in der Kammer auf ein Unter-Bette gesetzt, die grosse Lampe darneben gestellet, und ihr neugebohrnes Töchterlein, in zwey Küssen eingehüllet, vor sich liegen hatte, welches seine jämmerliche Ankunfft mit ziemlichen Schreyen zu verstehen gab. Ich wurde vor Verwunderung und Freude gantz bestürtzt, muste aber auf Concordiens sehnliches Bitten allhier zum ersten mahle das Amt einer Bade-Mutter verrichten, welches mir auch sehr glücklich von der Hand gegangen war, indem ich die kleine, wohlgebildete Creatur ihrer Mutter gantz rein und schön zurück lieferte.
Mittlerweile war der Tag völlig angebrochen, weßwegen ich, nachdem Concordia auf ihr ordentliches Lager gebracht, und sich noch ziemlich bey Kräfften befand, ausgehen, ein Stücke Wild schiessen, und etliche gute Kräuter zum Zugemüse eintragen wolte, indem unser Speise-Vorrath [224] fast gäntzlich aufgezehret war. Doch selbige bat mich, noch eine Stunde zu verziehen, und erstlich das allernöthigste, nehmlich die heilige Tauffe ihres jungen Töchterleins zu besorgen, inmassen man nicht wüste, wie bald dergleichen zarte Creatur vom Tode übereilet werden könte. Ich konte diese ihre Sorge selbst nicht anders als vor höchst wichtig erkennen, nachdem wir uns also wegen dieser heiligen und christlichen Handlung hinlänglich unterredet, vertrat ich die Stelle eines Priesters, tauffte das Kindlein nach Anweisung der heiligen Schrifft, und legte ihm ihrer Mutter Nahmen Concordia bey.
Hierauf ging ich mit meiner Flinte, wiewohl sehr taumelend, matt und krafftloß, aus, und da mir gleich über unsern gemachten Damme ein ziemlich starck und feister Hirsch begegnete, setzte ich vor dieses mahl meine sonst gewöhnliche Barmhertzigkeit bey seite, gab Feuer, und traff denselben so glücklich in die Brust hinein, daß er so gleich auf der Stelle liegen blieb. Allein, dieses grosse Thier trieb mir einen ziemlichen Schweiß aus, ehe ich selbiges an Ort und Stelle bringen konte. Jedoch da meine Wöchnerin und ich selbst gute Krafft-Suppen und andere gesunde Kräuter-Speisen höchst von nöthen hatte, muste mir alle Arbeit leicht werden, und weil ich also kein langes Federlesen machte, sondern alles aufs hurtigste, wiewohl nicht nach den Regeln der Sparsamkeit, einrichtete, war in der Mittags-Stunde schon eine gute stärckende Mahlzeit fertig, welche Concordia [225] und ich mit wunderwürdigen und ungewöhnlichen Appetite einnahmen.
Jedoch, meine Freunde! sagte hier der Alt-Vater Albertus, ich mercke, daß ich mich diesen Abend etwas länger in Erzählung, als sonsten, aufgehalten habe, indem sich meine müden Augen nach dem Schlafe sehnen. Also brach er ab, mit dem Versprechen, morgendes Tages nach unserer Zurückkunfft von Johannis-Raum fortzufahren, und diesemnach legten wir uns, auf gehaltene Abend-Andacht, ingesa t, wie er, zur Ruhe.
Die abermahls aufgehende und alles erfreuende Sonne gab selbigen Morgen einem jeden das gewöhnliche Zeichen aufzustehen. So bald wir uns nun versammlet, das Morgen-Gebet verrichtet, und das Früh-Stück eingenommen hatten, ging die Reise in gewöhnlicher Suite durch den grossen Garten über die Brücke des Westlichen Flusses, auf Johannis-Raum zu. Selbige Pflantz-Städte bestunde aus 10. Häusern, in welchen allen man wahrnehmen konte, daß die Eigenthums-Herrn denen andern, so wir bißhero besucht, an guter Wirthschafft nicht das geringste nachgaben. Sie hatten ein besseres Feld, als die in Jacobs-Raum, jedoch nicht so häuffigen Weinwachs, hergegen wegen des naheliegenden grossen Sees, den vortrefflichsten Fischfang, herrliche Waldung, Wildpret und Ziegen in starcker Menge. Die Bäche daselbst führeten ebenfalls häuffige Gold-Körner, worvon uns eine starcke Quantität geschenckt wurde. Wir machten uns allhier das Vergnügen, in wohl ausgearbeiteten Kähnen auf der grossen [226] See herum zu fahren, und zugleich mit Angeln, auch artigen Netzen, die vom Bast gewisser Bäume gestrickt waren, zu fischen, durchstrichen hierauf den Wald, bestiegen die oberste Höhe des Felsens, und traffen daselbst bey einem wohlgebaueten Wach-Hause 2. Stücken Geschützes an. Etliche Schritt hiervon ersahen wir ein in den Felsen gehauenes grosses Creutze, worein eine zinnerne Platte gefügt war, die folgende Zeilen zu lesen gab:
† † †
Auf dieser unglückseeligen Stelle
ist im Jahre Christi 1646.
am 11. Novembr.
der fromme Carl Franz van Leuven,
von dem gottlosen Schand-Buben Lemelie
meuchelmörderischer Weise
zum Felsen hinab gestürtzt und
elendiglich zerschmettert worden.
Doch seine Seele
wird ohne Zweiffel bey GOtt
in Gnaden seyn.
† † †
Unser guter Alt-Vater Albertus hatte sich mit grosser Mühe auch an diesen Ort bringen lassen, und zeigete uns die Stelle, wo er nunmehro vor 79. Jahren und etlichen Tagen den Cörper seines Vorwirths, zerschmettert liegend, angetroffen. Wir musten erstaunen, da wir die Gefahr betrachteten, [227] in welche er sich gesetzt, denselben in die Höhe zu bringen. Voritzo aber war daselbst ein zwar sehr enger, doch bequemer Weg biß an die See gemacht, welchen wir hinunter stiegen, und in der Bucht, Sud-Westwärts, ein ziemlich starckes Fahrzeug antraffen, womit die Unserigen öffters nach einer kleinern Insul zu fahren pflegten, indem dieselbe nur etwa 2. Meilen von der Felsen-Insul entlegen war, in Umfange aber nicht vielmehr als 5. oder 6tehalb deutsche Meilen haben mochte.
Es wurde beschlossen, daß wir nächstens das Fahrzeug ausbessern, und eine Spatzier-Fahrt nach besagter kleinen Insul, welche Albertus klein Felsen-Burg benennet hatte, vornehmen wolten. Vor dießmal aber nahmen wir unsern Rückweg durch Johannis-Raum, reichten den Einwohnern die gewöhnlichen Geschencke, wurden dagegen von ihnen mit einer vollkommenen guten Mahlzeit bewirthet, die uns, weil die Mittags-Mahlzeit nicht ordentlich gehalten worden, trefflich zu statten kam, nahmen hierauff danckbarlichen Abschied, und kamen diesen Abend etwas später als sonsten auf der Albertus-Burg an.
Dem ohngeacht, und da zumalen niemand weiter etwas zu speisen verlangete, sondern wir uns mit etlichen Schaalen Coffeé, nebst einer Pfeiffe Toback zu behelffen beredet, setzte bey solcher Gelegenheit unser Altvater seine Geschichts-Erzehlung dergestalt fort:
Ich habe gestern gemeldet, wie wir damahligen beyden Patienten die Mahlzeit mit guten Appetit verzehret, jedoch Concordia befand sich sehr übel[228] drauff, indem sie gegen Abend ein würckliches Fieber bekam, da denn der abwechselende Frost und Hitze die gantze Nacht hindurch währete, weßwegen mir von Hertzen angst und bange wurde, so daß ich meine eigenen Schmertzen noch lange nicht so hefftig, als der Concordiæ Zufall empfand.
Von Artzeneyen war zwar annoch ein sehr weniges vorhanden, allein wie konte ich wagen ihr selbiges einzugeben? da ich nicht den geringsten Verstand oder Nachricht hatte, ob ich meiner Patientin damit helffen oder schaden könte. Gewiß es war ein starckes Versehen von Mons. van Leuven gewesen, daß er sich nicht mit einem bessern Vorrath von Artzeneyen versorgt hatte, doch es kan auch seyn, daß selbige mit verdorben waren, genung, ich wuste die gantze Nacht nichts zu thun, als auf den Knien bey der Concordia zu sitzen, ihr den kalten Schweiß von Gesicht und Händen zu wischen, dann und wañ kühlende Blätter auf ihre Stirn und Arme zu binden, nächst dem den allerhöchsten Artzt um unmittelbare kräfftige Hülffe anzuflehen. Gegen Morgen hatte sie zwar, so wol als ich, etwa 3. Stunden schlaff, allein die vorige Hitze stellete sich Vormittags desto hefftiger wieder ein. Die arme kleine Concordia fieng nunmehro auch, wie ich glaube, vor Hunger und Durst, erbärmlich an zu schreyen, verdoppelte also unser Hertzeleyd auf jämmerliche Art, indem sie von ihrer Mutter nicht einen Tropffen Nahrungs-Safft erhalten konte. Es war mir allbereit in die Gedancken kommen, ein paar melckende Ziegen einzufangen, allein auch diese Thiere waren durch das öfftere schiessen dermassen wild[229] worden, daß sie sich allezeit auf 20. biß 50. Schritt von mir entfernt hielten, also meine 3. stündige Mühe vergeblich machten, also traf ich meine beyden Concordien, bey meiner Zurückkunfft, in noch weit elendern Zustande an, indem sie vor Mattigkeit kaum noch lechzen konten. Solchergestallt wuste ich kein ander Mittel, als allen beyden etwas von dem mit reinen Wasser vermischten Palm-Saffte einzuflössen, indem sie sich nun damit ein wenig erquickten, gab mir der Himmel einen noch glücklichern Einfall. Denn ich lieff alsobald wieder fort, und trug ein Körblein voll von der den Europäischen Apricosen oder Morellen gleichförmigen, doch weit grössern Frucht ein, schlug die harten Kernen entzwey, und bereitete aus den inwendigen, welche an Annehmlich-und Süßigkeit die süssen Mandeln bey weiten übertreffen, auch noch viel gesünder seyn, eine unvergleichlich schöne Milch, so wol auch ein herrliches Gemüse, mit welchen beyden ich das kleine Würmlein ungemein kräfftig stärcken und ernehren konte.
Concordia vergoß theils vor Schmertzen und Jammer, theils vor Freuden, daß sich einige Nahrung vor ihr Kind gefunden, die heissesten Thränen. Sie kostete auf mein Zureden die schöne Milch, und labete sich selbst recht hertzlich daran, ich aber, so bald ich dieses merckte: setzte alle unwichtige Arbeit bey seite, und that weiter fast nichts anders als dergleichen Früchte in grosser Menge einzutragen, und Kernen aufzuschlagen, jedoch durffte nicht mehr als auf einen Tag und Nacht Milch zubereiten, weil die Übernächtige ihre schmackhaffte Krafft allezeit verlohr.
[230] Solchergestalt befand sich nun nicht allein das Kind vollkommen befriediget, sondern die Mutter konte 4. Tage hernach selbiges, zu aller Freude, aus ihrer Brust stillen, und am 6ten Tage frisch und gesund das Bette verlassen, auch, wiewol wider meinen Rath, allerhand Arbeit mit verrichten. Wir danckten dem Allmächtigen hertzlich mit beten und singen vor dessen augenscheinliche Hülffe, und meineten nunmehro in so weit ausser aller Gefahr zu seyn; Allein die Reihe des kranckliegens war nun an mir, denn weil ich meine Haupt-Wunde nicht so wohl als die auf der Schulter warten können, gerieth dieselbe erstlich nach 12. Tagen dermassen schlimm, daß mir der Kopf hefftig auffschwoll, und die innerliche grosse Hitze den gantzen Cörper aufs grausamste überfiel.
War mein Bezeugen bey Concordiens Unpäßlichkeit ängstlich und sorgfältig gewesen, so muß ich im gegentheil bekennen, daß ihre Bekümmerniß die meinige zu übertreffen schien, indem sie mich besser als sich und ihr Kind selbst pflegte und wartete. Meine Wunden wurden mit ihrer Milch ausgewaschen, und mit darein getauchten Tüchleins bedeckt, mein gantzes Gesichte, Hande und Füsse aber belegte sie mit dergleichen Blättern, welche ihr so gute Dienste gethan hatten, suchte mich anbey mit den kräfftigsten Speisen und Geträncke, so nur zu erfinden war, zu erquicken. Allein es wolte binnen 10. Tagen nicht das geringste anschlagen, sondern meine Kranckheit schien immer mehr zu, als ab zu nehmen, welchesConcordia, ohngeacht ich mich stärcker stellete, als ich in der That war, dennoch merckte, [231] und derowegen vor Hertzeleyd fast vergehen wolte. Ich bat sie instandig, ihr Betrübniß zu mäßigen, weil ich das feste Vertrauen zu GOTT hätte, und fast gantz gewiß versichert wäre, daß er mich nicht so früh würde sterben lassen; Allein sie konte ihrem Klagen, Seufzen u. Thränen, durchaus keinen Einhalt thun, wolte ich also haben, daß sie des Nachts nur etwas ruhen solte, so muste mich zwingen, stille zu liegen, und thun als ob ich feste schlieffe, obgleich offters der grossen Schmertzen wegen in 2. mal 24. Stunden kein rechter Schlaf in meine Augen kam. Da ich aber einsmals gegen Morgen sehr sanfft eingeschlummert war, träumte mich, als ob Don Cyrillo de Valaro vor meinem Bette sässe, mich mit freundlichen Gebärden bey der rechten Hand anfassete und spräche: Ehrlicher Albert! sage mir doch, warum du meine hinterlassenen Schrifften zu deinem eigenen Wohlseyn nicht besser untersuchest. Gebrauche doch den Safft von diesem Kraut und Wurtzel, welches ich dir hiermit im Traume zeige, und welches häuffig vor dem Außgange der Höle wächset, glaube dabey sicher, daß dich GOtt erhalten und deine Wunden heilen wird, im übrigen aber erwege meine Schrifften in Zukunfft etwas genauer, weil sie dir und deinen Nachkommen ein herrliches Licht geben.
Ich fuhr vor grossen Freuden im Schlafe auf, und streckte meine Hand nach der Pflantze aus, welche mir, meinen Gedancken nach, von Don Cyrillo vorgehalten wurde, merckte aber sogleich, daß es ein Traum gewesen. Concordia fragte mit weinenden Augen nach meinem Zustande. Ich bat, sie [232] solte einen frischen Muth fassen, weil mir GOTT bald helffen würde, nahm mir auch kein Bedencken, ihr meinen nachdencklichen Traum völlig zu erzehlen. Hierauff wischete sie augenblicklich ihre Thränen ab, und sagte: Mein Freund, dieses ist gewiß kein blosser Traum, sondern ohnfehlbar ein Göttliches Gesichte, hier habt ihr des Don Cyrillo Schriften, durchsuchet dieselben aufs fleißigste, ich will inzwischen hingehen und vielerley Kräuter abpflücken, findet ihr dasjenige darunter, welches ihr im schlafe gesehen zu haben euch erinnern könnet, so wollen wir solches in GOTTES Nahmen zu euerer Artzeney gebrauchen.
Mein Zustand war ziemlich erleidlich, nachdem sie mir also des Don Cyrillo Schrifften, nebst einer brennenden Lampe vor mein Lager gebracht, und eilig fortgegangen war, fand ich ohne mühsames suchen diejenigen Blätter, welche van Leuven und ich wenig geachtet, in Lateinischer Sprache unter folgenden Titul: »Verzeichniß, wie, und womit ich die, mir in meinen mühseeligen Leben gar öffters zugestossenen Leibes-Gebrechen und Schäden geheilet habe.« Ich lief dasselbe so hurtig durch, als es meine nicht allzuvollkommene Wissenschafft der Lateinischen Sprache zuließ, und fand die Gestalt, Tugend und Nutzbarkeit eines gewissen Wund-Krauts, so wol bey der Gelegenheit, da dem Don Cyrillo ein Stück Holtz auf dem Kopf gefallen war, als auch da er sich mit dem Beile eine gefährliche Wunde ins Bein versetzt, nicht weniger bey andern Beschädigungen, dermassen eigentlich und ausführlich beschrieben, daß fast nicht zweiffeln konte, [233] es müste eben selbiges Kraut und Wurtzel seyn, welches er mir im Traume vorgehalten. Unter diesem meinen Nachsinnen, kam Cordia mit einer gantzen Schürtze voll Kräuter von verschiedenen Arten und Gestallten herbey, ich erblickte hierunter nach wenigen herum werffen gar bald dasjenige, was mir Don Cyrillo so wol schrifftlich bezeichnet, als im Traume vorgehalten hatte. Derowegen richteten wir selbiges nebst der Wurtzel nach seiner Vorschrifft zu, machten anbey von etwas Wachs, Schiff-Pech und Hirsch-Unschlit ein Pflaster, verbanden damit meine Wunden, und legten das zerquetschte Kraut und Wurtzel nicht allein auf mein Gesicht, sondern fast über den gantzen Leib, worvon sich die schlimmen Zufälle binnen 4. oder 5. Tagen gäntzlich verlohren, und ich nach Verlauff zweyer Wochen vollkommen heil und gesund wurde.
Nunmehro hatte so wol ich als Concordia recht erkennen lernen, was es vor ein edles thun um die Gesundheit sey. Als wir derowegen unser Te Deum laudamus abgesungen und gebetet hatten, wurde Rath gehalten, was wir in Zukunfft täglich vor Arbeit vornehmen müsten, um unsere kleine Wirthschafft in guten Stand zu setzen, damit wir im fall der Noth sogleich alles, was wir brauchten, bey der Hand haben könten. Tag und Nacht in der unterirrdischen, ob zwar sehr bequemen Höle zu wohnen, wolte Concordien durchaus nicht gefallen, derowegen fieng ich an, oben auf dem Hügel, neben der schönen Lauber-Hütte, ein bequemes Häußlein nebst einer kleinen Küche zu bauen, auch [234] einen kleinen Keller zu graben, in welchen letztern wir unser Geträncke, so wol als das frische Fleisch und andere Sachen, vor der grossen Hitze verbergen könten. Hiernechst machte ich vor die kleine Tochter zum Feyerabende, an einem abgelegenen Orte, eine bequeme, wiewol nicht eben allzu zierliche Wiege, worüber meine Haußwirthin, da ich ihr dieselbe unverhofft brachte, eine ungemeine Freude bezeigte, und dieselbe um den allergrösten Gold-Klumpen nicht vertauscht hätte, denn das Wiegen gefiel den kleinen Mägdelein dermassen wohl, daß wir selbst unsere eintzige Freude daran sahen.
Unser gantzer Geträyde-Vorrath, welchen wir auf dieser Insul unter den wilden Gewächsen aufgesammlet hatten, bestund etwa in drey Hütten voll Europäischen Korns, 1. Hut voll Weitzen, 4. Hütten Gerste, und zwey ziemlich grossen Säcken voll Reiß, als von welchem letztern wir Mehl stampften, solches durchsiebeten und das Kind damit nehreten, einen Sack Reiß aber, nebst dem andern Geträyde, zur Außsaat spareten. Uber dieses alles, fanden sich auch bey nahe 2. Hüte voll Erbsen, sonsten aber nichts von bekandten Früchten, desto mehr aber von unbekandten, deren wir uns zwar nach und nach zur Leibes-Nahrung, in Ermangelung des Brodtes gebrauchen lerneten, doch ihre Nahmen als Plantains, James, Patates, Bananes und dergleichen mehr, nebst deren bessern und angenehmern Nutzung, erfuhren wir erstlich in vielen Jahren hernach von Robert Hŭlter, der kleinen Concordia nachherigem Ehe-Manne.
[235] Inzwischen wandte ich damaliger Zeit, jedes Morgens frühe 3. Stunden, und gegen Abend eben so viel, zu Bestellung meiner Aecker an, und zwar in der Gegend wo voritzo der grosse Garten ist, weil ich selbigen Platz, wegen seiner Nähe und Sicherheit vor dem Wilde, am geschicktesten darzu hielt. Die übrigen Tages-Stunden aber, ausser den Mittags-Stunden, in der grösten Hitze, welche ich zum Lesen und aufschreiben aller Dinge die uns begegneten, anwandte, machte ich mir andern Zeitvertreib, indem ich einige kleine Plätze starck verzäunete, und die auf listige Art gefangenen Ziegen, nebst andern jungen Wildpret hinein sperrete welches alles Concordia täglich mit gröster Lust speisete und tränckte, die Milchtragenden Ziegen aber, nach und nach, so zahm machte, daß sie sich ihre Milch gutwillig nehmen liessen, die wir nicht allein an sich selbst zur Speise vor klein und grosse gebrauchen, sondern auch bald einen ziemlichen Vorrath von Butter uñ Käse bereiten konten, indem ich biñen Monats-Frist etliche 20. Stück melckende, halb so viel andere, und 9. Stück jung Wildpret eingefangen hatte.
Wir ergötzten uns gantz besonders, wenn wir an unsere zukünfftige Saat und Erndte gedachten, weil der Appetit nach ordentlichen Brodte gantz ungemein war, gebrauchten aber mittlerweile an dessen statt öffters die gekochten Wildprets-Lebern, als worzu wir unsere Käse und Butter vortrefflich geniessen konten.
Solchergestalt wurden die heissesten Sommer-Monate ziemlich vergnügt hingebracht, ausgenommen, wenn uns die erlittenen Trauer-Fälle ein betrübtes [236] Zurückdencken erweckten, welches wir aber immer eines dem andern zu gefallen, so viel möglich, verbargen, um unsere in etwas verharrschten Hertzens-Wunden nicht von neuen aufzureissen, mithin das ohne dem einsame Leben zu verbittern, oder solche Leute zu heissen, die wider das Verhängniß und Straff-Gerichte GOttes murren wolten.
Der gütige Himmel schenckte uns mittler Zeit einen angenehmen Zeit-Vertreib mit der Wein-Erndte, indem wir ohne die Trauben, deren wir täglich viel verzehreten, wider alles Vermuthen ohngefähr 200. Kannen Most ausdrücken, und 2. ziemlich grosse Säcke voll aufgetrocknete Trauben sa len konten, welches gewiß eine herrliche Sache zu unserer Wirthschafft war. Unsere Unterthanen, die Affen, schienen hierüber sehr verdrüßlich zu seyn, indem sie vielleicht selbst grosse Liebhaber dieser edlen Frucht waren, hatten auch aus Leichtfertigkeit viel zu Schanden gemacht, doch, da ich mit der Flinte etliche mahl blind Feuer gegeben, geriethen sie in ziemlichen Gehorsam und Furcht.
Ich weiß nicht, wie es kommen war, daß Concordia eines Tages einen mittelmäßigen Affen, unter einem Baum liegend, angetroffen, welcher das rechte Hinterbein zerbrochen, und sich jämmerlich geberdet hatte. Ihr gewöhnliches weichhertziges Gemüth treibt sie so weit, daß, ohngeacht dergleichen Thiere ihre Gnade sonsten eben nicht sonderlich hatten, sie diesen verunglückten allerhand Liebkosungen machet, sein zerbrochenes Bein mit einem Tuche umwindet, ja so gar den armen Patienten [237] in ihren Schooß nimmt, und so lange sitzen bleibt, biß ich darzu kam, und die gantze Begebenheit vernahm. Wir trugen also denselben in unser Wohn-Hauß, verbunden sein Bein mit Pflastern, Schindeln und Binden, und legten ihn hin auf ein bequemes Lager, deckten auch eins von unsern Haupt-Küssen über seinen Cörper, und gingen wieder an unsere Arbeit. Gegen Mittag aber, da wir zurück kamen, erschrack ich anfänglich einiger massen, da sich 2. alte Affen, welche ohne Zweiffel des Patienten Eltern seyn mochten, bey demselben aufhielten. Ich wuste anfänglich nicht, ob ich trauen durffte oder nicht? Doch da sie sich ungemein betrübt und demüthig stelleten, nahete ich mich hinzu, strich den Patienten sanfft auf das Haupt, sahe nach seinem Beine, und befand, daß er unverrückt liegen geblieben war, weßwegen er noch ferner von mir gestreichelt und mit etlichen guten Früchten gespeiset wurde. Die 2. Alten so wohl als der Patient selbst, liessen mich hierauf ihre Danckbarkeit mit Leckung meiner Hände spüren, streichelten auch mit ihren Vorder-Pfoten meine Kleider und Füsse sehr sanffte, und bezeugten sich im übrigen dermassen unterthänig und klug, daß ich fast nichts als den Mangel der Sprache bey ihnen auszusetzen hatte. Concordia kam auch darzu, und hatte nunmehro ein besonderes Vergnügen an der Treuhertzigkeit dieser unvernünfftigen Thiere, der Krancke streckte seine Pfote gegen dieselbe aus, so, daß es das Ansehen hatte, als ob er sie willkommen heissen wolte, und da sie sich zu ihm nahete, schmeichelte er ihr mit Leckung der Hände und andern Liebkosungen auf [238] solche verbindliche Art, daß es mit Lust anzusehen war. Die zwey Alten lieffen hierauf fort, kamen aber gegen Abend wieder, und brachten uns zum Geschenck 2. grosse Nüsse mit, deren jede 5. biß 6. Pfund wog, sie zerschlugen dieselben recht behutsam mit Steinen, so, daß die Kernen nicht zerstückt wurden, welche sie uns auf eine recht liebreiche Art præsentirten, und sich erfreuten, da sie aus unsern Gebärden vermerckten, daß wir deren Annehmlichkeit rühmeten. Ob ich nun gleich damahls noch nicht wuste, daß diese Früchte Cocos-Nüsse hiessen, sondern es nachhero erst von Robert Hŭlter erfuhr, so reitzte mich doch deren Vortrefflichkeit an, den beyden alten Affen so lange nachzuschleichen, biß ich endlich an den Ort kam, wo in einem kleinen Bezirck etwa 15. biß 18. Bäume stunden, die dergleichen Früchte trugen, allein Concordia und ich waren nicht so näschig, alle Nüsse aufzuzehren, sondern steckten dieselben an vielen Orten in die Erde, woher denn kommt, daß nunmehro auf dieser Insul etliche 1000. Cocos-Bäume anzutreffen sind, welches gewiß eine gantz besondere Nutz- und Kostbarkeit ist. Jedoch wiederum auf unsere Affen zu kommen, so muß ich ferner erzehlen, daß ohngeacht der Patient binnen 5. oder 6. Wochen völlig gerade und glücklich curirt war, jedennoch weder derselbe noch die zwey Alten von uns zu weichen begehreten, im Gegentheil noch 2. junge mitbrachten, mithin diese fünffe sich gäntzlich von ihrer andern Cameradschafft absonderten, und also anstelleten, als ob sie würcklich bey uns zu Hause gehöreten.
[239] Wir hatten aber von den 3. erwachsenen weder Verdruß noch Schaden, denn alles was wir thaten, afften sie nach, wurden uns auch nach und nach ungemein nützlich, indem von ihnen eine ungemeine Menge der vortrefflichsten Früchte eingetragen wurden, so offt wir ihnen nur ordentlich darzu gemachte Säcke anhingen, ausser dem trugen sie das von mir klein gespaltete Holtz öffters von weiten Orten her zur Küche, wiegten eins um das andere unser Kind, langeten die angehängten Gefässe voll Wasser, inSumma, sie thaten ohne den geringsten Verdruß fast alle Arbeit mit, die wir verrichteten, und ihnen zu verrichten lehreten, so, daß uns dieses unser Hauß-Gesinde, welches sich zumahlen selbst beköstigte, nicht allein viele Erleichterung in der Arbeit, sondern auch ausser derselben mit ihren poßirlichen Streichen man che vergnügte Stunde machten. Nur die 2. jüngsten richteten zuweilen aus Frevel mancherley Schaden und Unheil an, da wir aber mit der allergrösten Verwunderung merckten, daß sie dieserwegen von den 2. Alten recht ordentlicher Weise mit Gebärden und Schreyen gestrafft, ja öffters so gar geschlagen wurden, vergriffen wir uns sehr selten an ihnen, wenn es aber ja geschahe, demüthigten sich die jungen wie die zahmen Hunde, bey den Alten aber war dieserwegen nicht der geringste Eiffer zu spüren.
Dem allen ohngeacht war doch bey mir immer ein geheimes Mißtrauen gegen dieses sich so getreu anstellende halb vernünfftige Gesinde, derowegen bauete ich vor dieselben einen geraumlichen festen Stall mit einer starcken Thüre, machte vor jedweden [240] Affen eine bequeme Lager-Stätte, nebst einem Tische, Bäncken, ingleichen allerhand Spielwerck hinein, und verschloß unsere Bedienten in selbigen, nicht allein des Nachts, sondern auch bey Tage, so offt es uns beliebte.
Immittelst da ich vermerckte, daß die Sonne mit ihren hitzigen Strahlen einiger massen von uns abzuweichen begunte, und mehr Regen-Wetter, als bißhero, einfiel, bestellete ich mit Concordiens treulicher Hülffe unser Feld, nach des Don Cyrillo schrifftlicher Anweisung, aufs allersorgfältigste, und behielt an jeder Sorte des Getreydes auf den äusersten Nothfall, wenn ja alles ausgesäete verderben solte, nur etwas weniges zurücke. Vom Reiß aber, als wormit ich 2. grosse Aecker bestellet, behielten wir dennoch bey nahe zwey gute Scheffel überley.
Hierauf hielten wir vor rathsam, uns auf den Winter gefast zu machen, derowegen schoß ich einiges Wildpret, und saltzten dasselbe, wie auch das ausgeschlachtete Ziegen-Fleisch ein, wobey uns so wohl die alten als jungen Affen gute Dienste thaten, indem sie das in den Stephans-Raumer Saltz-Bergen ausgehauene Saltz auf ihren Rücken biß in unsere unter-irrdische Höle tragen musten. Hiernächst schleppten wir einen grossen Hauffen Brenn-Holtz zusammen, baueten einen Camin in unserem Wohnhause auf dem Hügel, trugen zu den allbereits eingesammleten Früchten noch viel Kräuter und Wurtzeln ein, die theils eingemacht, theils in Sand verscharret wurden, und kurtz zu sagen, wir hatten uns dergestalt angeschickt, [241] als ob wir den allerhärtesten Winter in Holland oder andern noch viel kältern Ländern abzuwarten hätten.
Allein, wie befanden sich doch unsere vielen Sorgen, grosse Bemühungen und furchtsame Vorstellungen, wo nicht gäntzlich, doch meistentheils vergeblich? Denn unser Herbst, welcher dem Holländischen Sommer bey nahe gleich kam, war kaum verstrichen, als ein solcher Winter einfiel, welchen man mit gutem Recht einen warmen und angenehmen Herbst nennen konte, offtermahls fiel zwar ein ziemlicher Nebel und Regen-Wetter ein, allein von durchdringender Kälte, Schnee oder Eis, spüreten wir so wenig als gar nichts, der grasigte Boden blieb immer grün, und der gutenConcordia zusammen getragene grosse Heu-Hauffen dieneten zu nichts, als daß wir sie hernach den Affen zum Lust-Spiele Preiß gaben, da sie doch nebst vielen aufgetrockneten Baum-Blättern unserem eingestalleten Viehe zur Winter-Nahrung bestimmt waren. Unsere Saat war nach hertzens-Lust aufgegangen, und die meisten Bäume veränderten sich fast nicht, diejenigen aber, so ihre Blätter verlohren, waren noch nicht einmahl völlig entblösset, da sie schon frische Blätter und Blüthen austrieben. Solchergestalt wurde es wieder Frühling, da wir noch immer auf den Winter hofften, weßwegen wir die Wunder-Hand GOttes in diesem schönen Revier mit erstaunender Verwunderung erkandten und verehreten.
Es war uns aber in der That ein wunderbarer Wechsel gewesen, da wir das heilige Weyhnachts-Fest [242] fast mitten im Sommer, Ostern im Herbst, wenig Wochen nach der Weinlese, und Pfingsten in dem so genannten Winter gefeyert hatten. Doch weil ich in meinen Schul-Jahren etwas weniges in den Land-Charten und auf dem Globo gelernet, auch unter Mons. van Leuvens hinterlassenen wenigen Land-Charten und Büchern eins fand, welches mir meinen natürlichen Verstand ziemlicher massen schärffte, so konte ich mich nicht allein bald in diese Veränderung schicken, sondern auch die Concordia dessen belehren, und meine Tage-Bücher oder Calender auf viele Jahre in Voraus machen, damit wir doch wissen möchten, wie wir uns in die Zeit schicken, und unsern Gottesdienst gleich andern Christen in der weiten Welt anstellen solten.
Hierbey kan unberühret nicht lassen, daß ich nach der, mit der Concordia genommenen Abrede, gleich in meinen zu erst verfertigten Calender auf das Jahr 1647. Drey besondere Fest-Bet- und Fast-Tage anzeichnete, als erstlich den 10. Sept. an welchen wir zusammen in diese schöne Insul eingestiegen waren, und derowegen GOtt, vor die sonderbare Lebens-Erhaltung, so wohl im Sturme als Kranckheit und andern Unglücks-Fällen, den schuldigen Danck abstatten wolten. Zum andern den 11. Novembr. an welchen wir jährlich den erbärmlichen Verlust unsers liebenvan Leuvens zu beklagen verbunden. Und drittens den 11. Dec. der Concordiens glücklicher Entbindung, hiernächst der Errettung von des Lemelie Schand- und Mord-Streichen, auch unser beyderseits[243] wieder erlangter Gesundheit wegen angestellet war. Diese drey Fest-Bet- und Fast-Tage, nebst andern besondern Feyertagen, die ich Gedächtnisses wegen noch ferner hinzu gefüget, sind biß auf gegenwärtige Zeit von mir und den Meinen allezeit unverbrüchlich gefeyert worden, und werdet ihr, meine Lieben, kommenden Dienstag über 14. Tage, da der 11. Dec. einfällt, dessen Zeugen seyn.
Jedoch, fuhr unser Alt-Vater Albertus fort, ich kehre wieder zu den Geschichten des 1647. Jahres, und erinnere mich noch immer, daß wir mit dem neuen Früh-Jahre, so zu sagen, fast von neuen anfingen lebhafft zu werden, da wir uns nehmlich der verdrüßlichen Winters-Noth allhier auf dieser Insul entübriget sahen.
Wiewohl nun bey uns nicht der geringste Mangel, weder an Lebens-Mitteln, noch andern Bedürffnissen und Bequemlichkeiten vorhanden war, so konte doch ich nicht müßig sitzen, sondern legte einen geraumlichen Küchen-Garten an, und versetzte verschiedene Pflantzen und Wurtzeln hinein, die wir theils aus desDon Cyrillo Beschreibung, theils aus eigener Erfahrung vor die annehmlichsten und nützlichsten befunden hatten, um selbige nach unsern Verlangen gleich bey der Hand zu haben. Hiernächst legte ich mich starck auf das Pfropffen und Fortsetzen junger Bäume, brachte die Wein-Reben in bessere Ordnung, machte etliche Fisch-Kästen, setzte allerhand Arten von Fischen hinein, um selbige, so offt wir Lust darzu hatten, gleich heraus zu nehmen, bauete Schuppen und Ställe vor das eingefangene Wildpret und Ziegen, zimmerte [244] Freß-Tröge, Wasser-Rinnen und Saltz-Lecken vor selbige Thiere, und mit wenig Worten zu sagen, ich führete mich auf als ein solcher guter Hauß-Wirth, der Zeit Lebens auf dieser Insul zu verbleiben sich vorgesetzet hätte.
Inzwischen, ob gleich bey diesem allen Concordia mir wenig helffen durffte, so saß sie doch in dem Hause niemahls müßig, sondern nehete vor sich, die kleine Tochter und mich allerhand nöthige Kleidungs-Stücke, denn wir hatten in denen, auf den Sand-Bäncken angeländeten Ballen, vieles Tuch, Seyden-Zeug und Leinwand gefunden, so, daß wir vor unsere und wohl noch 20. Personen auf Lebens-Zeit nothdürfftige Kleider daraus verfertigen konten. Es war zwar an vielen Tüchern und seydenen Zeugen durch das eingedrungene See-Wasser die Farbe ziemlich verändert worden, jedoch weil wir alles in der Sonne zeitlich abgetrocknet hatten, ging ihm an der Haltbarkeit ein weniges ab, und um die Zierlichkeit bekümmerten wir uns noch weniger, weil Concordia das schli ste zu erst verarbeitete, und das beste biß auf künfftige Zeiten versparen wolte, wir aber der Mode wegen einander nichts vor übel hielten.
Unsere Saat-Felder stunden zu gehöriger Zeit in erwünschter Blüthe, so, daß wir unsere besondere Freude daran sahen, allein, die frembden Affen gewöhneten sich starck dahin, rammelten darinnen herum, und machten vieles zu schanden, da nun unsere Hauß-Affen merckten, daß mich dieses gewaltig verdroß, indem ich solche Freveler mit Steinen und Prügeln verfolgte, waren sie täglich auf [245] guter Hut, und unterstunden sich, ihre eigenen Anverwandten und Cameraden mit Steinwerffen zu verjagen. Diese wichen zwar anfänglich etliche mahl, kamen aber eines Tages etliche 20. starck wieder, und fingen mit unsern getreuen Hauß-Bedienten einen ordentlichen Krieg an. Ich ersahe dieses von ferne, lieff geschwinde zurück, und langete aus unserer Wohnung zwey geladene Flinten, kehrete mich etwas näher zum Kampff-Platze, und wurde gewahr, daß einer von den unsern, die mit rothen Halß-Bändern gezeichnet waren, starck verwundet zu Boden lag, gab derowegen 2. mahl auf einander Feuer, und legte darmit 3. Feinde darnieder, weßwegen sich die gantze feindliche Parthey auf die Flucht begab, meine 4. unbeschädigten siegend zurück kehreten, und den beschädigten Alten mit traurigen Gebärden mir entgegen getragen brachten, der aber, noch ehe wir unsere Wohnung erreichten, an seiner tödlichen Haupt-Wunde starb.
Es war das Weiblein von den 2. Aeltesten, und ich kan nicht sagen, wie sehr der Wittber und die vermuthlichen Kinder sich über diesen Todes-Fall betrübt bezeugten. Ich ging nach unserer Behausung, erzehlete der Concordia, was vorgegangen war, und diese ergriff nebst mir ein Werckzeug, um ein Loch zu machen, worein wir die auf dem Helden-Bette verstorbene Aeffin begraben wolten; allein, wir traffen bey unserer Dahinkunfft niemand an, sondern erblickten von ferne, daß die Leiche von den 4. Leidtragenden in den West-Fluß geworffen wurde, kehreten derowegen zurück, und [246] sahen bald hernach unsere noch übrigen 4. Bedienten gantz betrübt in ihren Stall gehen, worinnen sie bey nahe zweymahl 24. Stunden ohne Essen und Trincken stille liegen blieben, nachhero aber gantz freudig wieder heraus kamen, und nachdem sie tapffer gefressen und gesoffen, ihre vorige Arbeit verrichteten. Mich ärgerte diese Begebenheit dermassen, daß ich alle frembden Affen täglich mit Feuer und Schwerdt verfolgte, und dieselben binnen Monats-Frist in die Waldung hinter der grossen See vertrieb, so, daß sich gar kein eintziger mehr in unserer Gegend sehen ließ, mithin konten wir nebst unsern Hauß-Dienern in guter Ruh leben, wiewohl der alte Wittber sich in wenig Tagen verlohr, doch aber nebst einer jungen Gemahlin nach 6. Wochen wiederum bey uns einkehrete, und den lächerlichsten Fleiß anwandte, biß er dieselbe nach und nach in unsere Haußhaltung ordentlich gewöhnete, so, daß wir sie mit der Zeit so aufrichtig als die verstorbene erkandten, und ihr, das besondere Gnaden-Zeichen eines rothen Halß-Bandes umzulegen, kein Bedencken trugen.
Mittlerzeit war nunmehro ein gantzes Jahr verflossen, welches wir auf dieser Insul zugebracht, derowegen auch der erste Fest-Bet- und Fast-Tag gefeyret wurde, der andere, als unser besonderer Trauer-Tag, lieff ebenfalls vorbey, und ich muß gestehen, daß, da wir wenig oder nichts zu arbeiten hatten, unsere Sinnen wegen der erneuerten Betrübniß gantz niedergeschlagen waren. Dieselben, um wiederum in etwas aufzumuntern, ging ich fast täglich mit der Concordia, die ihr Kind im [247] Mantel trug, durch den Felsen-Gang an die See spatziren, wohin wir seit etlichen Monaten nicht gekommen, erblickten aber mit nicht geringer Verwunderung, daß uns die Wellen einen starcken Vorrath von allerhand eingepackten Waaren und zerscheiterten Schiffs-Stücken zugeführet hatten. Ich fassete so gleich den Vorsatz, alles auf unsere Insul zu schaffen, allein, da mir ohnverhofft ein in ziemlicher Weite vorbey fahrendes Schiff in die Augen kam, gerieth ich auf einmahl gantz ausser mir selbst, so bald aber mein Geist sich wieder erholte, fing ich an zu schreyen, zu schiessen, und mit einem Tuche zu wincken, trieb auch solche mühsame, wiewohl vergebliche Bemühung so lange, biß sich gegen Abend so wohl das vorbey fahrende Schiff als die Sonne aus unsern Gesichte verlohr, da ich denn meines Theils gantz verdrüßlich und betrübt zurück kehrete, in lauter verwirrten Gedancken aber unterweges mit Concordien kein Wort redete, biß wir wieder in unserer Behausung anlangten, allwo sich die 5. Affen als Wächter vor die Thür gelagert hatten.
Concordia bereitete die Abend-Mahlzeit, wir speiseten, und hielten hierauf zusammen ein Gespräch, in welchem ich vermerckte, daß sich dieselbe wenig oder nichts um das vorbey gefahrne Schiff bekümmerte, auch grössere Lust auf dieser Insul zu sterben bezeugte, als sich in den Schutz frembder und vielleicht barbarischer Leute zu begeben. Ich hielte ihr zwar dergleichen Gedancken, als einer furchtsamen und schwachen Weibs-Person, die zumahlen ihres unglücklichen Schicksals halber einen [248] Eckel gegen fernere Lust gefasset, zu gute, aber mit mir hatte es eine gantz andere Beschaffenheit. Und was habe ich eben Ursach, meine damahligen natürlichen Affecten zu verleugnen: Ich war ein junger, starcker, und fast 20. jähriger Mensch, der Geld, Gold, Edelgesteine und andere Güter im grösten Uberfluß besaß, also gar wohl eine Frau ernehren konte, allein, der Concordia hatte ich einen würcklichen Eyd geschworen, ihr mit Vorstellung meiner verliebten Begierden keinen Verdruß zu erwecken, verspürete über dieses die stärcksten Merckmahle, daß sie ihren seel. Ehe-Mann noch nach dessen Tode hertzlich liebte, auf die kleine Concordia aber zu warten, schien mir gar zu langweilig, obgleich dieselbe ihrer schönen Mutter vollkommenes Ebenbild vorstellete. Wer kan mich also verdencken, daß meine Sehnsucht so hefftig nach der Gesellschafft anderer ehrlichen Leute anckerte, um mich unter ihnen in guten Stand zu setzen, und eine tugendhaffte Ehegattin auszulesen.
Es verging mir demnach damahls fast alle Lust zur Arbeit, verrichtete auch die allernöthigste, so zu sagen, fast gezwungener Weise, hergegen brachte ich täglich die meisten Stunden auf der Felsen-Höhe gegen Norden zu, machte daselbst ein Feuer an, welches bey Tage starck rauchen und des Nachts helle brennen muste, damit ein oder anderes vorbey fahrendes Schiff bey uns anzuländen gereitzet würde, wandte dabey meine Augen beständig auf die offenbare See, und versuchte zum Zeitvertreibe, ob ich auf der von Lemelie hinterlassenen Zitter von mir selbst ein oder ander Lied könte [249] spielen lernen, welches mir denn in weniger Zeit dermassen glückte, daß ich fast alles, was ich singen, auch zugleich gantz wohlstimmig mit spielen konte.
Concordia wurde über dergleichen Aufführung ziemlich verwirrt und niedergeschlagen, allein ich konte meine Sehnsucht unmöglich verbannen, vielweniger über das Hertze bringen, derselben meine Gedancken zu offenbaren, also lebten wir beyderseits in einem heimlichen Mißvergnügen und verdeckten Kummer, begegneten aber dennoch einander nach wie vor, mit aller ehrerbiethigen, tugendhafften Freundschafft und Dienst-geflissenheit, ohne zu fragen, was uns beyderseits auf dem Hertzen läge.
Mittlerweile war die Ernte-Zeit heran gerückt, und unser Geträyde vollkommen reiff worden. Wir machten uns derowegen dran, schnitten es ab, und brachten solches mit Hülffe unserer getreuen Affen, bald in grosse Hauffen. Eben dieselben musten auch fleißig dreschen helffen, ohngeacht aber viele Zeit vergieng, ehe wir die reinen Körner in Säcke und Gefässe einschütten konten, so habe doch nachhero ausgerechnet, daß wir von dieser unserer ersten Außsaat ohngefähr erhalten hatten, 35 Scheffel Reiß, 10. biß 11. Scheffel Korn, 3. Scheffel Weitzen, 12. biß 14. Scheffel Gersten, und 4. Scheffel Erbsen.
Wie groß nun dieser Seegen war, und wie sehr wir uns verbunden sahen, dem, der uns denselben angedeyhen lassen, schuldigen Danck abzustatten, so konte doch meine schwermüthige Sehnsucht nach[250] demjenigen was mir einmal im Hertzen Wurtzel gefasset hatte, dadurch nicht vermindert werden, sondern ich blieb einmal wie das andere tieffsinnig, undConcordiens liebreiche und freundliche, jedoch tugendhaffte Reden und Stellungen, machten meinen Zustand allem Ansehen nach nur immer gefährlicher. Doch blieb ich bey dem Vorsatze, ihr den gethanen Eyd unverbrüchlich zu halten, und ehe zu sterben als meine keusche Liebe gegen ihre schöne Person zu entdecken.
Unterdessen wurde uns zur selbigen Zeit ein grausames Schrecken zugezogen, denn da eines TagesConcordia so wol als ich nebst den Affen beschäfftiget waren, etwas Korn zu stossen, und eine Probe von Mehl zu machen, gieng erstgemeldte in die Wohnung, um nach dem Kinde zu sehen, welches wir in seiner Wiege schlaffend verlassen hatten, kam aber bald mit erbärmlichen Geschrey zurück gelauffen und berichtete, daß das Kind nicht mehr vorhanden, sondern aus der Wiege gestohlen sey, indem sie die mit einem höltzernen Schlosse verwahrte Thüre eröffnet gefunden, sonsten aber in der Wohnung nichts vermissete, als das Kind und dessen Kleider. Meine Erstaunung war dieserwegen ebenfalls fast unaussprechlich, ich lieff selbst mit dahin, und empfand unsern kostbaren Verlust leyder mehr als zu wahr. Demnach schlugen wir die Hände über den Köpffen zusammen, und stelleten uns mit einem Worte, nicht anders als verzweiffelte Menschen an, heuleten, schryen und rieffen das Kind bey seinem Nahmen, allein da war weder Stimme noch Antwort zu hören, das eiffrigste Suchen auf [251] und um den Hügel unserer Wohnung herum war fast 3. Stunden lang vergebens, doch endlich, da ich von ferne die Spitze eines grossen Heu-Hauffens sich bewegen sahe, gerieth ich plötzlich auf die Gedancken: Ob vielleicht der eine von den jüngsten Affen unser Töchterlein da hinauff getragen hätte, und fand, nachdem ich auf einer angelegten Leiter hinauf gestiegen, mich nicht betrogen. Denn das Kind und der Affe machten unterdessen, da sie zusammen ein frisches Obst speiseten, allerhand lächerliche Possen. Allein da das verzweiffelte Thier meiner gewahr wurde, nahm es das Kind zwischen seine Vorder-Pfoten, uñ rutschte mit selbigem auf jener Seite des Hauffens herunter, worüber ich Schreckens wegen fast von der Leiter gestürtzt wäre, allein es war glücklich abgegangen. Denn da ich mich umsahe, lieff der Kinder-Dieb mit seinem Raube aufs eiligste nach unserer Behausung, hatte, als ich ihn daselbst antraff, das fromme Kind so geschickt aus- als angezogen, selbiges in seine Wiege gelegt, saß auch darbey und wiegte es so ernsthafftig ein, als hätte er kein Wasser betrübt.
Ich wuste theils vor Freuden, theils vor Grimm gegen diesen Freveler nicht gleich was ich machen solte, mittlerweile aber kam Concordia, so die gantze Comœdie ebenfalls von ferne mit angesehen hatte, mit Zittern und Zagen herbey, indem sie nicht anders vermeynte, es würde dem Kinde ein Unglück oder Schaden zugefügt seyn, da sie es aber Besichtigte, und nicht allein frisch und gesund, sondern über dieses ausserordentlich gutes Muths befand, gaben wir uns endlich zufrieden, wiewol ich aber beschloß, [252] daß dieser allerleichtfertigste Affe seinen Frevel durchaus mit dem Leben büssen solte, so wolte doch Concordia aus Barmhertzigkeit hierein nicht willigen, sondern bath: Daß ich es bey einer harten Leibes-Züchtigung bewenden lassen möchte, welches denn auch geschahe, indem ich ihn mit einer grossen Ruthe von oben biß unten dermassen peitschte, daß er sich in etlichen Tagen nicht rühren konte, welches so viel fruchtete, daß er in künfftigen Zeiten seine freveln Streiche ziemlicher massen unterließ.
Von nun an schien es, als ob uns die, zwar jederzeit hertzlich lieb gewesene kleine Concordia, dennoch um ein merckliches lieber wäre, zumahlen da sie anfieng allein zu lauffen, und verschiedene Worte auf eine angenehme Art her zu lallen, ja dieses kleine Kind war öffters vermögend meinen innerlichen Kummer ziemlicher massen zu unterbrechen, wiewol nicht gäntzlich aufzuheben.
Nachdem wir aber einen ziemlichen Vorrath von Rocken-Reiß- und Weitzen-Mehle durchgesiebt und zum Backen tüchtig gemacht, ich auch einen kleinen Back-Ofen erbauet, worinnen auf einmal 10. oder 12. drey biß 4 Pfündige Brodte gebacken werden konten, und Concordia die erste Probe ihrer Beckerey, zu unserer grösten Erquickung und Freude glücklich abgeleget hatte; Konten wir uns an dieser allerbesten Speise, so über Jahr und Tag nunmehro nicht vor unser Maul kommen war, kaum satt sehen und essen.
Dem ohngeacht aber, verfiel ich doch fast gantz von neuen in meine angewöhnte Melancholey, ließ[253] viele Arbeits-Stücken liegen, die ich sonsten mit Lust vorzunehmen gewohnt gewesen, nahm an dessen statt in den Nachmittags-Stunden meine Flinte und Zitter, und stieg auf die Nord-Felsen-Höhe, als wohin ich mir einen gantz ungefährlichen Weg gehauen hatte.
Am Heil. 3. Königs-Tage des 1648ten Jahres, Mittags nach verrichteten Gottesdienste, war ich ebenfalls im Begriff dahin zu steigen, Concordia aber, die solches gewahr wurde, sagte lächelnd: Mons. Albert, ich sehe daß ihr spatzieren gehen wollet, nehmet mir nicht übel, wenn ich euch bitte, eure kleine Pflege-Tochter mit zu nehmen, denn ich habe mir eine kleine nöthige Arbeit vorgenommen, worbey ich von ihr nicht gern verhindert seyn wolte, saget mir aber, wo ihr gegen Abend anzutreffen seyd, damit ich euch nachfolgen und selbige zurück tragen kan. Ich erfüllete ihr Begehren mit gröster Gefälligkeit, nahm meine kleine Schmeichlerin, die so gern bey mir, als ihrer Mutter blieb, auf den Arm, versorgte mich mit einer Flasche Palmen-Safft, und etwas übrig gebliebenen Weyhnachts-Kuchen, hängte meine Zitter und Flinte auf den Rücken, und stieg also beladen den Nord-Felß hinauf. Daselbst gab ich dem Kinde einige tändeleyen zu spielen, stützte einen Arm unter den Kopf, sahe auf die See, und hieng den unruhigen Gedancken wegen meines Schicksals ziemlich lange nach. Endlich ergriff ich die Zitter und sang etliche Lieder drein, welche ich theils zu Ausschüttung meiner Klagen, theils zur Gemüths-Beruhigung aufgesetzt hatte. Da aber die kleine Schmeichlerin über dieser Music [254] sanfft eingeschlaffen war, legte ich, um selbige nicht zu verstöhren, die Zitter beyseite, zog eine Bley-Feder und Pappier aus meiner Tasche, und setzte mir ein neues Lied folgenden Innhalts auf:
1.
Ach! hätt' ich nur kein Schiff erblickt,
So wär ich länger ruhig blieben
Mein Unglück hat es her geschickt,
Und mir zur Qvaal zurück getrieben,
Verhängniß wilstu dich denn eines reichen Armen,
Und freyen Sclavens nicht zu rechter Zeit erbarmen?
2.
Soll meiner Jugend beste Krafft
In dieser Einsamkeit ersterben?
Ist das der Keuschheit Eigenschafft?
Will mich die Tugend selbst verderben?
So weiß ich nicht wie man die lasterhafften Seelen
Mit größrer Grausamkeit und Marter solte quälen.
3.
Ich liebe was und sag' es nicht,
Denn Eid und Tugend heist mich schweigen,
Mein gantz verdecktes Liebes-Licht
Darf seine Flamme gar nicht zeigen,
Dem Himmel selbsten ist mein Lieben nicht zuwieder,
Doch Schwur und Treue schlägt den Hofnungs-Bau darnieder.
[255] 4.
Concordia du Wunder-Bild,
Man lernt an dir die Eintracht kennen,
Doch was in meinem Hertzen qvillt
Muß ich in Wahrheit Zwietracht nennen,
Ach! liesse mich das Glück mit dir vereinigt leben,
Wir würden nimmermehr in Haß und Zwietracht schweben.
5.
Doch bleib in deiner stillen Ruh,
Ich suche solche nicht zu stöhren;
Mein eintzigs Wohl und Weh bist du,
Allein ich will der Sehnsucht wehren,
Weil deiner Schönheit Pracht vor mich zu Kostbar scheinet,
Und weil des Schicksaals Schluß mein Wünschen glatt verneinet.
6.
Ich gönne dir ein beßres Glück,
Verknüpfft mit noch viel höhern Stande.
Führt uns der Himmel nur zurück
Nach unserm werthen Vater-Lande,
So wirstu letzlich noch dis harte Schicksal loben,
Ist gleich vor deinen Freund was schlechters aufgehoben.
Nachdem aber meine kleine Pflege-Tochter aufgewacht, und von mir mit etwas Palm-Safft und Kuchen gestärckt war, bezeigte dieselbe ein unschuldiges Belieben, den Klang meiner Zitter ferner zu hören, derowegen nahm ich dieselbe wieder auf, studirte eine Melodey auf mein gemachtes Lied aus, [256] und wiederholte diesen Gesang binnen etlichen Stunden so ofte, biß ich alles fertig auswendig singen und spielen konte.
Hierauff nahm ich das kleine angenehme Kind in die Arme vor mich, drückte es an meine Brust, küssete dasselbe viele mal, und sagte im grösten Liebes-Affect ohngefehr folgende laute Worte: Ach du allerliebster kleiner Engel, wolte doch der Himmel, daß du allbereit noch ein Mandel Jahre zurückgelegt hättest, vielleicht wäre meine hefftige Liebe bey dir glücklicher als bey deiner Mutter, aber so lange Zeit zwischen Furcht und Hoffnung zu warten, ist eine würckliche Marter zu nennen. Ach wie vergnügt wolte ich, als ein anderer Adam, meine gantze Lebens-Zeit in diesem Paradiese zubringen, wenn nur nicht meine besten Jugend-Jahre, ohne eine geliebte Eva zu umarmen, verrauchen solten. Gerechter Himmel, warum schenckestu mir nicht auch die Krafft, den von Natur allen Menschen eingepflantzten Trieb zum Ehestande gäntzlich zu ersticken, und in diesem Stücke so unempfindlich als van Leuvens Wittbe zu seyn? Oder warum lenckestu ihr Hertze nicht, sich vor deinen allwissenden Augen mit mir zu vereheligen, denn mein Hertze kennest du ja, und weist, daß meine sehnliche Liebe keine geile Brunst, sondern deine heilige Ordnung zum Grunde hat. Ach was vor einer harten Probe unterwirffstu meine Keuschheit und Tugend, indem ich bey einer solchen vollkommen schönen Wittfrau Tag und Nacht unentzündet leben soll. Doch ich habe dir und ihr einen theuren Eyd geschworen, welches Gelübde ich denn ehe mit meinem Leben bezahlen, [257] und mich nach und nach von der brennenden Liebes-Gluth gantz verzehren lassen, als selbiges leichtsinniger Weise brechen will.
Einige hierbey aus meinen Augen rollende Thränen hemmeten das fernere Reden, die kleine Concordia aber, welche kein Auge von meinem Gesichte verwand hatte, fieng dieserwegen kläglich und bitterlich an zu weinen, also drückte ich selbige aufs neue an meine Brust, küssete den mitleydigen Engel, und stund kurtz hernach mein und ihrer Gemüths-Veränderung wegen auf, um noch ein wenig auf der Felsen-Höhe herum zu spatzieren. Doch wenig Minuten hierauff kam die 3te Person unserer hiesigen menschlichen Gesellschafft herzu, und fragte auf eine zwar sehr freundliche, doch auch etwas tieffsinnige Art: Wie es uns gienge, und ob wir heute kein Schiff erblickt hätten? Ich fand mich auf diese unvermuthete Frage ziemlich betroffen, so daß die Röthe mir, wie ich glaube, ziemlich ins Gesichte trat, sagte aber: Daß wir heute so glücklich nicht gewesen wären. Mons. Albert! gab Concordia darauff: Ich bitte euch sehr, sehet nicht so oft nach vorbey fahrenden Schiffen, denn selbige werden solchergestallt nur desto länger ausbleiben. Ihr habt seit einem Jahre vieles entdeckt und erfahren, was ihr kurtz vorhero nicht vermeynet habt, bedencket diese schöne Paradieß-Insul, bedencket wiewol uns der Himmel mit Nahrung und Kleidern versorgt, bedencket noch dabey den fast unschätzbaren Schatz, welchen ihr ohne ängstliches Suchen und ungedultiges Hoffen gefunden. Ist euch nun von dem Himmel eine noch fernere gewünschte Glückseligkeit [258] zugedacht, so habt doch nebst mir das feste Vertrauen, daß selbige zu seiner Zeit uns unverhoft erfreuen werde.
Mein gantzes Hertze fand sich durch diese nachdencklichen Reden gantz ungemein gerühret, jedoch war ich nicht vermögend eine eintzige Sylbe darauff zu antworten, derowegen Concordia das Gespräch auf andere Dinge wendete, und endlich sagte: Kommet mein lieber Freund, daß wir noch vor Sonnen Untergang unsere Wohnung erreichen, ich habe einen gantz besonders schönen Fisch gefangen, welcher euch so gut als mir schmecken wird, denn ich glaube, daß ihr so starcken appetit als ich zum Essen habt.
Ich war froh, daß sie den vorigen ernsthafften discours unterlassen hatte, folgte ihren Willen und zwang mich einiger massen zu einer aufgeräumtern Stellung. Es war würcklich ein gantz besonders rarer Fisch, den sie selbigen Mittag in ihren ausgesteckten Angeln gefangen hatte, dieser wurde nebst zweyen Rebhünern zur Abend-Mahlzeit aufgetragen, worbey mir denn Concordia, um mich etwas lustiger zu machen, etliche Becher Wein mehr, als sonst gewöhnlich einnöthigte, und endlich fragte: Habe ich auch recht gemerckt Mons. Albert, daß ihr übermorgen euer zwantzigstes Jahr zurück legen werdet. Ja Madame, war meine Antwort, ich habe schon seit etlichen Tagen daran gedacht. GOTT gebe, versetzte sie, daß eure zukünfftige Lebens-Zeit vergnügter sey, allein darff ich euch wol bitten, mir euren ausführlichen Lebens-Lauff zu erzehlen, denn mein seel. Ehe-Herr hat mir einmals [259] gesagt, daß derselbige theils kläglich, theils lustig anzuhören sey.
Ich war hierzu sogleich willig, und vermerckte, daß bey Erwehnung meiner Kinderjährigen Unglücks-Fälle Concordien zum öfftern die Augen voller Thränen stunden, doch da ich nachhero die Geschichten von der Ammtmanns Frau, der verwechselten Hosen, und den mir gespielten Spitzbuben-Streich, mit offt untermengten Schertz-Reden erzehlete, konte sie sich fast nicht satt lachen. Nachdem ich aber aufs Ende kommen, sagte sie: Glaubet mir sicher Mons. Albert, weil eure Jugend-Jahre sehr kläglich gewesen, so wird euch GOTT in künfftiger Zeit um so viel desto mehr erfreuen, wo ihr anders fortfahret ihm zu dienen, euren Beruff fleißig abzuwarten, geduldig zu seyn, und euch der unnöthigen und verbothenen Sorgen zu entschlagen. Ich versprach ihrer löblichen Vermahnung eiffrigst nachzuleben, wünschte anbey, daß ihre gute Propheceyung eintreffen möchte, worauff wir unsere Abend-Beth-Stunde hielten, und uns zur Ruhe legten.
Weiln mir nun Concordiens vergangenes Tages geführten Reden so christlich als vernünfftig vorkamen, beschloß ich, so viel möglich, alle Ungedult zu verbannen, und mit aller Gelassenheit die fernere Hülffe des Himmels zu erwarten. Folgendes Tages arbeitete ich solchergestalt mehr, als seit etlichen Tagen geschehen war, und legte mich von aushauung etlicher Höltzerner Gefässe, ziemlich ermüdet, abermals zur Ruhe, da ich aber am drauff folgenden Morgen, nemlich den 8ten Jan. 1648. aus [260] meiner abgesonderten Kammer in die so genannte Wohn-Stube kam, fand ich auf dem Tische nebst einem grünen seydenen Schlaf-Rocke, und verschiedenen andern neuen Kleidungs-Stücken, auch vieler weisser Wäsche, ein zusammen gelegtes Pappier folgendes Innhalts:
Liebster Hertzens Freund!
Ich habe fast alles mit angehöret, was ihr gestern auf dem Nord-Felsen, in Gesellschaft meiner kleinen Tochter, oft wiederholt gesungen und geredet habt. Euer Verlangen ist dem Triebe der Natur, der Vernunfft, auch Göttl. und Menschl. Gesetzen gemäß; Ich hingegen bin eine Wittbe, welcher der Himmel ein hartes erzeiget hat. Allein ich weiß, daß Glück und Unglück von der Hand des HERRN kömmt, welche ich bey allen Fällen in Demuth küsse. Meinem seel. Mann habe ich die geschworne Treu redlich gehalten, dessen GOTT und mein Gewissen Zeugniß giebt. Ich habe seinen jämmerlichen Tod nunmehro ein Jahr und zwey Monath aus auffrichtigen Hertzen beweint und beklagt, werde auch denselben Zeitlebens, so offt ich dran gedencke, schmertzlich beklagen, weil unser Ehe-Band auf GOTTES Zulassung durch einen Meuchel-Mörder vor der Zeit zerrissen worden. Ohngeacht ich aber solchergestalt wieder frey und mein eigen bin, so würde mich doch schwerlich zu einer anderweitigen [261] Ehe entschlossen haben, wenn nicht eure reine und hertzliche Liebe mein Hertz aufs neue empfindlich gemacht, und in Erwegung eurer bißherigen tugendhafften Aufführung dahin gereitzet hätte, mich selbst zu eurer künfftigen Gemahlin anzutragen. Es stehet derowegen in eurem Gefallen, ob wir sogleich Morgen an eurem Geburts-Tage uns, in Ermangelung eines Priesters und anderer Zeugen, in GOttes und der Heil. Engel erbethener Gegenwart selbst zusammen trauen, und hinführo einander als eheliche Christen-Leute beywohnen wollen. Denn weil ich eurer zu mir tragenden Liebe und Treue völlig versichert bin, so könnet ihr im Gegentheil vollkommen glauben, daß ich euch in diesen Stücken nichts schuldig bleiben werde. Eure Frömmigkeit, Tugend und Auffrichtigkeit dienen mir zu Bürgen daß ihr mir dergleichen selbst eigenen Antrag meiner Person vor keine leichtfertige Geilheit und ärgerliche Brunst auslegen werdet, denn da ihr aus Ubereilung mehr gelobet habt, als GOTT und Menschen von euch forderten, doch aber ehe löblich zu sterben, als solches zu brechen gesonnen waret; Habe ich in dieser Einsamkeit, uns beyde zu vergnügen, den Außspruch zu thun mich gezwungen gesehen. Nehmet demnach die von euch so sehr geliebte Wittbe des seel van Leuvens, und lebet nach euren Versprechen führohin mit derselben nimmermehr [262] in Haß und Zwietracht. GOTT sey mit uns allezeit. Nach Verlesung dieses, werdet ihr mich bey dem Damme des Flusses ziemlich beschämt finden, und ein mehreres mündlich mit mir überlegen können, allwo zugleich den Glück-Wunsch zu eurem Geburts-Tage abstatten wird, die euch auffrichtig ergebene
Concordia van Leuvens.
Ich blieb nach Verlesung dieses Briefes dergestalt entzückt stehen, daß ich mich in langer Zeit wegen der unverhofften frölichen Nachricht nicht begreiffen konte, wolte auch fast auf die Gedancken gerathen, als suchte mich Concordia nur in Versuchung zu führen, da aber ihre bißherige aufrichtige Gemüths- und Lebens Art in etwas genauere Betrachtung gezogen hatte, ließ ich allen Zweifel fahren, fassete ein besonders frisch Hertze, machte mich auf den Weg, und fand meinen allerangenehmsten Schatz mit ihrer kleinen Tochter, beym Damme in Grase sitzend. Sie stund, so bald sie mich von ferne kommen sahe, auf, mir entgegen zu gehen, nachdem ich ihr aber einen glückseeligen Morgen gewünschet, erwiederte sie solchen mit einem wohlersonnenen Glück-Wunsche wegen meines Geburts-Tages. Ich stattete dieserwegen meine Dancksagung ab, und wünschte ihr im gegentheil, ein beständiges Leibes- und Seelen-Vergnügen. Da sie sich aber nach diesen auf einen daselbst liegenden Baum-Schafft [263] gesetzt, und mich, neben ihr Platz zu nehmen, gebeten hatte, brach mein Mund in folgende Worte aus: Madame! eure schönen Hände haben sich gestern bemühet an meine schlechte Person einen Brieff zu schreiben, und wo dasjenige, was mich angehet, keine Versuchung, sondern eures keuschen Hertzens aufrichtige Meynung ist, so werde ich heute durch des Himmels und eure Gnade, zum allerglückseeligsten Menschen auf der gantzen Welt gemacht werden. Es würde mir schwer fallen gnungsame Worte zu ersinnen, um damit den unschätzbaren Werth eurer vollkommen tugendhafften und Liebenswürdigsten Person einigermassen auszudrücken, darum will ich nur sagen: Daß ihr würdig wäret, eines grossen Fürsten Gemahlin zu seyn. Was aber bin ich dargegen? Ein schlechter geringer Mensch, der – – –
Hier fiel mir Concordia in die Rede, und sagte, indem sie mich sanfft auf die Hand schlug: LiebsterJulius, ich bitte fanget nunmehro nicht erstlich an, viele unnöthige Schmeicheleyen und ungewöhnliches Wort-Gepränge zu machen, sondern seyd fein aufrichtig wie ich in meinem Schreiben gewesen bin. Eure Tugend, Frömmigkeit und mir geleisteten treuen Dienste, weiß ich mit nichts besser zu vergelten, als wenn ich euch mich selbst zur Belohnung anbiete, und versichere, daß eure Person bey mir in höhern Werthe stehet, als des grösten Fürsten oder andern Herrn, wenn ich auch gleich das Außlesen unter tausenden haben solte. Ist euch nun damit gedienet, so erkläret euch, damit wir uns nachhero fernerer Anstallten wegen vertraulich unterreden, [264] und auf alle etwa bevorstehende Glücks- und Unglücks-Fälle gefast machen können.
Ich nahm hierauff ihre Hand, küssete und schloß dieselbe zwischen meine beyden Hände, konte aber vor übermäßigen Vergnügen kaum so viel Worte vorbringen, als nöthig waren, sie meiner ewig währenden getreuen Liebe zu versichern, anbey mich gäntzlich eigen zu geben, und in allen Stücken nach dero Rath und Willen zu leben. Nein mein Schatz! versetzte hierauff Concordia, das Letztere verlange ich nicht, sondern ich werde euch nach Gottes Ausspruche jederzeit als meinen Herrn zu ehren und als meinen werthen Ehe-Mann beständig zu lieben wissen. Ihr sollet durchaus meinem Rath und Willen keine Folge leisten, in so ferne derselbe von euren, Gottlob gesunden, Verstande nicht vor gut und billig erkannt wird, weil ich mich als ein schwaches Werckzeug zuweilen gar leicht übereilen kan.
Unter diesen ihren klugen Reden küssete ich zum öfftern dero schönen Hände, und nahm mir endlich die Kühnheit, einen feurigen Kuß auf ihre Rosen-Lippen zu drücken, welchen sie mit einem andern ersetzte. Nachhero stunden wir auf, um zu unsern heutigen Hochzeit-Feste Anstalten zu machen. Ich schlachtete ein jung Reh, eine junge Ziege, schoß ein paar Rebhüner, schaffte Fische herbey, steckte die Braten an die Spiesse, welche unsere Affen wenden musten, setzte das Koch-Fleisch zum Feuer, und laß das Beste frische Obst aus, mittlerweile meine Braut, Kuchen, Brod und allerley Gebackens zurichtete, und unsere Wohnstube aufs herrlichste auszierete, [265] so daß gegen Abend alles in schönster Ordnung war.
Demnach führeten wir, genommener Abrede nach, einander in meine Schlaf-Kammer, allwo auf einen reinlich gedeckten Tische ein Crucifix stunde, welches wir mit unter des Don Cyrillo Schätzen gefunden hatten. Vor selbigen lag eine aufgeschlagene Bibel. Wir knieten beyde vor diesem kleinen Altare nieder, und ich verlaß die 3. ersten Capitel aus dem 1. Buch Mose. Hierauff redete ich meine Braut also an: Liebste Concordia, ich frage euch allhier vor dem Angesicht GOTTES und seiner Heil. Engel, ob ihr michAlbert Julium zu einem ehelichen Gemahl haben wollet? gleich wie ich euch zu meiner ehelichen Gemahlin nach Göttlicher Ordnung, aus reinem und keuschen Hertzen innigst begehre? Concordia antwortete nicht allein mit einem lauten Ja, sondern reichte mir auch ihre rechte Hand, welche ich nach verwechselten Trau-Ringen in die meinige fügte, und also betete: »Du heiliger wunderbarer GOTT, wir glauben gantz gewiß, daß deine Vorsicht an diesem, von aller andern menschlichen Gesellschafft entlegenen Orte, unsere Seelen vereiniget hat, und in dieser Stunde auch die Leiber mit dem heiligen Bande der Ehe zusammen füget, darum soll unter deinem Schutze nichts als der Tod vermögend seyn dieses Band zu brechen, und solte ja auf dein Zulassen ein oder anderer Unglücks-Fall die Leiber von einander scheiden, so sollen doch unsere Seelen in beständiger Treue mit einander vereinigt bleiben. Concordia sprach hierzu: Amen.« Ich aber schlug das [266] 8. Cap. im Buch Tobiä auf, und betete des jungen Tobiä Gebeth vom 7. biß zu ende des 9ten Verses; wiewol ich etliche Worte nach unserm Zustande veränderte, auch so viel zusetzte als mir meines Hertzens heilige Andacht eingab. Concordia machte aus den Worten der jungen Sara, die im folgenden 10ten Vers stehen, ein schönes Hertz-brechendes und kräfftiges Gebet. Nach diesem beteten wir einstimmig das Vater Unser und den gewöhnlichen Seegen der Christlichen Kirche über uns, sungen das Lied: Es woll uns GOTT genädig seyn, etc. küsseten uns etliche mahl, und führeten einander wieder zurück, bereiteten die Mahlzeit, setzten uns mit unserer kleinen Concordia, die unter währenden Trau-Actu so stille als ein Lamm gelegen hatte, zu Tische, und nahmen unsere Speisen nebst dem köstlichen Geträncke in solcher Vergnüglichkeit ein, als wohl jemahls ein Braut-Paar in der gantzen Welt gethan haben mag.
Es schien, als ob aller vorhero ausgestandener Kummer und Verdruß solchergestalt auf einmahl verjagt wäre, wir vereinigten uns von nun an, einander in vollkommener Treue dergestalt hülffliche Hand zu leisten, und unsere Anstalten auf solchen Fuß zu setzen, als ob wir gar keine Hoffnung, von hier hinweg zu kommen, hätten, hergegen aus blosser Lust, Zeit-Lebens auf dieser Insul bleiben, im übrigen alles der Vorsehung des Himmels anbefehlen, und alle ängstlichen Sorgen wegen des Zukünfftigen einstellen wolten.
Indem aber die Zeit zum Schlaffen-gehen herbey kam, sagte meine Braut mit liebreichen Gebärden [267] zu mir: Mein allerliebster Ehe-Schatz, ich habe heute mit Vergnügen wahrgenommen, daß ihr in vielen Stücken des jungen Tobiä Sitten nachgefolget seyd, derowegen halte vor löblich, züchtig und andächtig, daß wir diesen jungen Ehe-Leuten noch in dem Stücke nachahmen, und die 3. ersten Nachte mit Beten zubringen, ehe wir uns ehelich zusammen halten. Ich glaube gantz gewiß, daß GOTT unsern Ehestand um so viel desto mehr segnen und beglückt machen wird.
Ihr redet, mein Engel, gab ich zur Antwort, als eine vollkommen tugendhaffte, gottesfürchtige und keusche Frau, und ich bin eurer Meinung vollkommen, derowegen geschehe, was euch und mir gefällig ist. Solchergestalt sassen wir alle drey Nachte beysa en, und vertrieben dieselben mit andächtigen Beten, Singen und Bibel-Lesen, schlieffen auch nur des Morgens einige Stunden, in der vierdten Nacht aber opfferte ich meiner rechtmäßigen Ehe-Liebste die erste Krafft meiner Jugend, und fand in ihren Liebes-vollen Umarmungen ein solches entzückendes Vergnügen, dessen unvergleichliche Vollkommenheit ich mir vor der Zeit nimmermehr vorstellen können.
Wenige Tage hierauf verspürete sie die Zeichen ihrer Schwangerschafft, und die kleine Concordia gewehnete sich von sich selbst, von der Brust gäntzlich ab, zu andern Speisen und Geträncke. Mittlerweile bescherete uns der Himmel eine abermahlige und viel reichere Wein-Erndte als die vorige, denn wir presseten über 500. Kannen Most aus, truckneten biß 6. Scheffel Trauben auf, ohne was von [268] uns und den Affen die gantze Weinlese hindurch gegessen, auch von den frembden diebischen Affen gestohlen und verderbt wurde. Denn dieses lose Gesindel war wiederum so dreuste worden, daß es sich nicht allein Schaaren-weise in unsern Weinbergen und Saat-Feldern, sondern so gar gantz nahe um unsere Wohnung herum sehen und spüren ließ. Weil ich aber schon damahls 3. leichte Stück-Geschützes auf die Insul geschafft hatte, pflantzte ich dieselben gegen diejenigen Oerter, wo meine Feinde öffters zu zwanzig biß funfzigen beysammen hin zu kommen pflegten, und richtete mit offt wiederholten Ladungen von auserlesenen runden Steinen starcke Niederlagen an, so, daß zuweilen 8. 10. 12. biß 16. todte und verwundete auf dem Platze liegen blieben. Am allerwundersamsten kam mir hierbey dieses vor, daß unsere Hauß- und Zucht-Affen nicht das allergeringste Mitleyden über das Unglück ihrer Anverwandten, im Gegentheil ein besonderes Vergnügen bezeugten, wenn sie die Verwundten vollends todt schlagen, und die sä tlichen Leichen in den nächsten Fluß tragen konten. Ich habe solchergestalt und auf noch andere listige Art in den ersten 6. Jahren fast über 500. Affen getödtet, und dieselben auf der Insul zu gantz raren Thieren gemacht, wie sie denn auch nachhero von den Meinigen zwar aufs hefftigste verfolgt, doch wegen ihrer Poßierlichkeit und Nutzung in vielen Stücken nicht gar vertilget worden.
Nach glücklich beygelegten Affen-Kriege und zu gut gemachter Trauben-Frucht, auch abermahliger Bestellung der Weinberge und Saat-Felder, [269] war meine tägliche Arbeit, diejenigen Waaren, welche uns Wind und See von den in verschiedenen Stürmen zerscheiterten Schiffen zugeführet hatte, durch den hohlen Felsen-Weg herauf in unsere Verwahrung zu schaffen. Hilff Himmel! was bekamen wir nicht solcher Gestalt noch vor Reichthümer in unser Gewalt? Gold, Silber, edle Steine, schöne Zeuge, Böckel- und geräuchert Fleisch nebst andern Victualien war dasjenige, was am wenigsten geachtet wurde, hergegen Coffeé, Theé, Chocolade, Gewürtze, ausgepichte Kisten mit Zucker, Pech, Schwefel, Oehl, Talg, Butter, Pulver, allerhand eisern, zinnern, kupffern und meßingen Hauß-Geräthe, dicke und dünne Seile, höltzerne Gefässe u.d. gl. ergötzte uns am allermeisten.
Unser Hauß-Gesinde, das nunmehro, da sich der ehemahlige Patient auch eine Frau geholet, aus 6. Personen bestund, that hierbey ungemeine Dienste, und meine liebe Ehe-Frau brachte in der unterirrdischen Höle alles, was uns nützlich, an gehörigen Ort und Stelle, was aber von dem See-Wasser verdorben war, musten ein paar Affen auf einen darzu gemachten Roll-Wagen so gleich fortschaffen, und in den nächst-gelegenen Fluß werffen. Nach diesem, da eine grosse Menge zugeschnittener Bretter und Balcken von den zertrümmerten Schiffen vorhanden, erweiterte ich unsere Wohnung auf dem Hügel noch um ein grosses, bauete auch der Affen Behausung geräumlicher, und brachte, kurtz zu sagen, alles in solchen Stand, daß wir bevorstehenden Winter wenig zu schaffen [270] hatten, sondern in vergnügter Ruhe beysammen leben konten.
Unser Zeitvertreib war im Winter der allervergnügteste von der Welt, denn wenn wir unsers Leibes mit den besten Speisen und Geträncke wohl gepflegt, und nach Belieben ein und andere leichte Arbeit getrieben hatten, konten wir zuweilen etliche Stunden einander in die Arme schliessen und mit untermengten Küssen allerhand artige Geschichte erzehlen, worüber denn ein jedes seine besondere Meinung eröffnete, so, daß es öffters zu einem starcken Wort-Streite kam, allein, wir vertrugen uns letztlich immer in der Güte, zumahlen, wenn die Sachen ins geheime Kammer-Gerichte gespielet wurden.
Im Frühlinge, nehmlich am 19. Octobr. des Jahres unserer Verehligung, wurde so wohl ich als meine allerliebste Ehe-Gattin nach ausgestandenen 4. stündigen ängstlichen Sorgen mit inniglichen Vergnügen überschüttet, indem sie eben in der Mittags-Stunde ein paar kurtz auf einander folgende Zwillings-Söhne zur Welt brachte. Sie und ich hatten uns zeithero, so viel als erdencklich, darauf geschickt gemacht, derowegen befand sich, unter Göttlichen Beystande, meine zarte Schöne bey dieser gedoppelten Kinder-Noth dennoch weit stärcker und kräfftiger als das erste mahl. Ich gab meinen hertzlich geliebten Söhnen gleich in der ersten Stunde die heil. Tauffe, und nennete den ersten nach mir, Albertus, den andern aber nach meinem seel. Vater Stephanus, that anbey alles, was einem getreuen Vater und [271] Ehe-Gatten gegen seine lieben Kinder und wertheste Ehe-Gemahlin bey solchen Zustande zu thun oblieget, war im übrigen höchst glücklich und vergnügt, daß sich weder bey der Mutter noch bey den Kindern einige besorgliche Zufälle ereigneten.
Ich kan nicht sagen, wie frölich sich die kleineConcordia, so allbereit wohl umher lauffen, und ziemlich vernehmlich plaudern konte, über die Anwesenheit ihrer kleinen Stieff-Brüder anstellete, denn sie war fast gar nicht von ihnen hinweg zu bringen, unsere Affen aber machten vor übermässigen Freuden ein solches wunderliches Geschrey, dergleichen ich von ihnen sonst niemahls gehöret, als da sie bey dem ersten Kriege siegend zurück kamen, erzeigten sich nachhero auch dermassen geschäfftig, dienstfertig und liebkosend um uns und die Kinder herum, daß wir ihnen kaum genung zu verrichten geben konten.
So weit war unser Alt-Vater Albertus selbigen Abend in seiner Erzehlung kommen, als er die Zeit beobachtete, sich zur Ruhe zu legen, worinnen wir andern ihm Gesellschafft leisteten. Des darauf folgenden Sonnabends wurde keine Reise vorgenommen, indem Herr Mag. Schmelzer auf seine Predigt studirte, wir übrigen aber denselben Tag auch nicht müßig, sondern mit Einrichtung allerhand nöthiger Sachen zubrachten, und uns des Abends auf die morgende Sabbaths-Feyer præparirten. Selbiges war der 26. Sonntag p. Trinit. an welchem sich etwa eine Stunde nach geschehenen Canonen-Schusse fast alle gesunde Einwohner der Insel unter der Alberts-Burg [272] versammleten, und den Gottesdienst mit eiffrigster Andacht abwarteten, worbey Herr Mag. Schmelzer in einer vortrefflichen Predigt, die, den Frommen erfreuliche, den Gottlosen aber erschröckliche Zukunfft Christi zum Gerichte, dermassen beweglich vorstellete, daß sich Alt und Jung ungemein darüber vergnügten. Nachmittags wurde Catechismus-Examen gehalten, in welchen Hr. Mag. Schmelzer sonderlich den Articul vom heil. Abendmahl Christi durchnahm, und diejenigen Menschen, welche selbiges zu geniessen zwar niemahls das Glück gehabt, dennoch von dessen heiliger Würde und Nutzbarkeit dermassen wohl unterrichtet befand, daß er nach einem gehaltenen weitläufftigenSermon über diese hochheilige Handelung, denen beyden Gemeinden in Alberts- und Davids-Raum ankündigte, wie er sich diese gantze Woche hindurch alle Tage ohngefehr zwey oder drey Stunden vor Untergang der Sonnen, in der Alleé auf ihrer Gräntz-Scheidung einstellen wolte, derowegen möchten sich alle diejenigen, welche beyderley Geschlechts über 14. Jahr alt wären, zu ihm versammlen, damit er sie insgesammt und jeden besonders vornehmen, und erforschen könte, welche mit guten Gewissen künfftigen Sonnabend zur Beichte, und Sonntags darauf zum heil. Abendmahle zu lassen wären, indem es billig, daß man das neue Kirchen-Jahr mit solcher höchst wichtigen Handlung anfinge. Es entstund hierüber eine allgemeine Freude, zumahlen da er versprach, in folgenden Wochen mit den übrigen Gemeinden auf gleiche Art zu verfahren, und immer 2. oder 3. auf[273] einmahl zu nehmen, biß er sie ingesa t dieser unschätzbaren Glückseeligkeit theilhafftig gemacht. Hierauf wurden die anwesenden kleinen Kinder vonMons. Wolffgangen mit allerhand Zuckerwerck und Spiel-Sachen beschenckt, nach einigen wichtigen Unterredungen mit den Sta -Vätern aber kehrete ein jeder vergnügt in seine Behausung.
Der anbrechende Montag erinnerte unsern Alt-Vater Albertum nebst uns die Reise nach Christophs-Raum vorzunehmen, als wir derowegen unsern Weg durch den grossen Garten genommen, gelangeten wir in der Gegend an, welche derselbe zum GOttes-Acker und Begräbniß vor die, auf dieser Insel verstorbenen ausersehen hatte. Er führete uns so fort zu des Don Cyrillo de Valaro aufgerichteten Gedächtniß-Säule, die unten mit einem runden Mauerwerck umgeben, und woran eine Zinnerne Tafel geschlagen war, die folgende Zeilen zu lesen gab:
Hier liegen die Gebeine
eines vermuthlich seelig verstorbenen Christen
und vornehmen Spanischen Edelmanns,
Nahmens
Don Cyrillo de Valaro,
welcher, dessen Uhrkunden gemäß,
den 9. Aug. 1475. gebohren,
Auf dem Wege aus West-Indien nebst 8. andern
Manns-Personen den 14. Nov. 1514 in dieser
Insel angelanget,
In Ermangelung eines tüchtigen Schiffs allhier
bleiben müssen,
[274] Seine Gefährten, die ihm in der Sterblichkeit
vorgegangen, ehrlich begraben,
und ihnen endlich
ao. 1606. ohne Zweiffel in den ersten Tagen
des Monats Julii gefolget;
Nachdem er auf dieser Insel
weder recht vergnügt noch gäntzlich unvergnügt
gelebt 92. Jahr,
Sein gantzes Alter aber gebracht
über 130. Jahr und 10. Monate.
Den Rest seines entseelten Cörpers haben erstlich
nach 40. Jahren gefunden, und auf dieser
Stätte aus christl. Liebe begraben
Carl Franz van Leuven und Albertus Julius.
Von dieser, des Don Cyrillio Gedächtniß-Säule, stunde etwa 4. Schritt Ost-wärts eine ohngefähr 6. Elen hohe mit ausgehauenen Steinen aufgeführte Pyramide, auf der eingemauerten grossen Kupffernen Platte aber folgende Schrifft:
Unter diesem Grabmahle
erwartet der frölichen Auferstehung zum ewigen
Leben
eine Königin dieses Landes,
eine Crone ihres hinterlassenen Mannes,
und eine glückseelige Stamm-Mutter
vieler Lebendigen,
nehmlich
CONCORDIA, gebohrne PLÜRS,
die wegen ihrer Gottesfurcht, seltsamen Tugenden
und wunderbaren Schicksals,
[275] eines unsterblichen Ruhms würdig ist.
Sie ward gebohren zu Londen in Engelland
den 4. Apr. 1627.
Vermählete sich zum ersten mahle mit Herrn
Carl Franz van Leuven den 9. Mart. 1646.
Gebahr nach dessen kläglichen Tode, am 11. Dec.
selbigen Jahres, von ihm eine Tochter.
Verknüpffte das durch Mörders-Hand zerrissene
adeliche Ehe-Band nachhero mit
Albert Julio
am 8. Januar. 1648.
Zeugete demselben 5. Söhne, 3. lebendige und
eine todte Tochter.
Ersahe also in ihrer ersten, und andern 68. jährigen
weniger 11. tägigen Ehe 9. lebendige und
1. todes Kind.
87. Kindes-Kinder, 151. Kindes-Kindes-Kinder,
und 5. Kindes-Kindes-Kindes-Kinder.
Starb auf den allein seeligmachenden Glauben an
Christum, ohne Schmertzen, sanfft und seelig
den 28. Dec. 1715
Ihres Alters 88. Jahr, 8. Monat und 2. Wochen.
Und ward von ihrem zurückgelassenen getreuen
Ehe-Manne und allen Angehörigen unter
tausend Thränen allhier in ihre
Grufft gesenckt.
Gleich neben dieser Pyramide stund an des van Leuvens Gedächtniß-Säule diese Schrifft:
***
Bey dieser Gedächtniß-Säule
hoffet auf die ewige glückseelige Vereinigung
mit seiner durch Mörders-Hand
[276] getrenneten Seele
der unglückliche Cörper
Herrn CARL FRANZ van LEUVENS,
eines frommen, tugendhafften und tapffern
Edel-Manns aus Holland.
Der mit seiner hertzlich-geliebten Gemahlin
Concordia, geb. Plürs,
nach Ceylon zu seegeln gedachte,
und nicht bedachte,
wie ungetreu das Meer zuweilen an denjenigen
handele, die sich darauf wagen.
Er entkam zwar dem entsetzlichen Sturme 1646.
im Monath Augusto glücklich, und setzte seinen
Fuß den 10. Sept. mit Freuden auf diese Insel,
hätte auch ohnfehlbar dem Verhängnisse
allhier mit ziemlichen Vergnügen
stille gehalten;
Allein, sein vermaledeyter Gefährte Lemelie, der
seine gegen die keusche Concordia loderenden
geilen Flammen, nach dessen Tode, gewiß
zu kühlen vermeynte,
stürtzte diesen redlichen Cavalier
am Tage Martini 1646.
von einem hohen Felsen herab,
der, nach dreyen Tagen erbärmlich zerschmettert
gefunden, von seiner schwangern keuschen Gemahlin
und getreuen Diener Albert Julio auf
diese Stätte begraben, und ihm gegenwärtiges
Denckmahl gesetzt worden.
***
[277] Etwa anderthalb hundert Schritt von diesen 3. Ehren- und Gedächtniß Säulen fanden wir, nahe am Ufer des West-Flusses, des Lemelie Schand-Seule, um welche herum ein grosser Hauffen Feld-Steine geworffen war, so, daß wir mit einiger Mühe hinzu gelangen, und folgende daran genagelten Zeilen lesen konten:
Speye aus gegen diese Seule,
Mein Leser!
Denn
Allhier muß die unschuldige Erde
das todte Aas des vielschuldigen Lemelie
in ihrem Schoosse erdulden,
welches im Leben ihr zu einer schändlichen Last
gedienet.
Dieses Mord-Kindes rechter Nahme,
auch wo, wenn, und von wem es gebohren
ist unbekandt.
Doch kurtz vor seinem erschrecklichen Ende
hat er bekannt,
Daß Vater- Mutter- Kinder- und vieler andern
Menschen Mord, Blut-Schande, Hurerey, Gifftmischen,
ja alle ersinnliche Laster sein Handwerck
von Jugend an gewesen.
Carl Franz van Leuvens unschuldig-vergossenes
Blut schreyet auf dieser Insul biß an den
jüngsten Tag
Rache über ihn.
Indem aber dasselbe kaum erkaltet war,
hatte sich der Mord-Hund schon wiederum gerüstet,
eine neue Mord-That an dem armen Albert
[278] Julio zu begehen, weil sich dieser unterstund, seiner
geil-brünstigen Gewaltthätigkeit bey der
keuschen Concordia zu widerstehen.
Aber,
da die Boßheit am grösten,
war die Straffe am nächsten,
denn das Kind der Finsterniß lieff in der Finsterniß
derselben entgegen,
und wurde
von dem unschuldig-verwundeten
ohne Vorsatz
tödtlich, doch schuldig, verwundet.
Dem ohngeacht schien ihm
die Busse und Bekehrung unmöglich,
das Zureden seiner Beleydigten unnützlich,
GOttes Barmhertzigkeit unkräfftig,
die Verzweiffelung aber unvermeidlich,
stach sich derowegen mit seinem Messer selbst das
ruchlose Hertz ab.
Und also
starb der Höllen-Brand als ein Vieh,
welcher gelebt als ein Vieh,
und wurde allhier eingescharrt als ein Vieh,
den 10. Decembr. 1646.
von
Albert Julio.
Der HErr sey Richter zwischen
uns und dir.
Wir bewunderten hierbey allerseits unsers Alt-Vaters Alberti besondern Fleiß und Geschicklichkeit, brachten noch über eine Stunde zu, die andern [279] Grab-Stätten, welche alle mit kurtzen Schrifften bezeichnet waren, zu besehen, und verfolgten hernachmahls unsern Weg auf Christophs-Raum zu. Selbige Pflantz-Stätte bestund aus 14. Wohn-Häusern, und führeten die Einwohner gleich den andern allen eine sehr gute Haußhaltung, hatten im übrigen fast eben dergleichen Feld-, Weinbergs- und Wasser-Nutzung als die Johannis-Raumer. Sonsten war allhier die erste Haupt-Schleuse des Nord-Flusses, nebst einer wohlgebaueten Brücke, zu betrachten. Im Garten-Bau und Erzeugung herrlicher Baum-Früchte schienen sie es fast allen andern zuvor zu thun. Nachdem wir aber ihre Feld-Früchte, Weinberge und alles merckwürdige wohl betrachtet, und bey ihnen eine gute Mittags-Mahlzeit eingenommen hatten, kehreten wir bey guter Zeit zurück auf Alberts-Burg.
Herr Mag. Schmeltzer begab sich von dar, versprochener massen, in die Davids-Raumer Alleé, um seinen heiligen Verrichtungen obzuliegen, wir andern halffen indessen mit gröster Lust bey der Grund-Mauer der Kirche dasjenige verrichten, was zu besserer Fortsetzung dabey vonnöthen war. Nach Untergang der Sonnen aber, da Herr Mag. Schmeltzer zurück gekommen war, und die Abend-Mahlzeit mit uns eingenommen hatte, setzten wir uns in gewöhnlicher Gesellschafft wieder zusammen, und höreten dem Alt-Vater Alberto in Fortsetzung seiner Geschichts-Erzehlung dergestalt zu:
Meine Lieben, fing er an, ich erinnere mich, daß meine letzten Reden das besondere Vergnügen [280] erwehnet haben, welches ich nebst meiner lieben Ehe-Gattin über unsere erstgebohrnen Zwillinge empfand, und muß nochmahls wiederholen, daß selbiges unvergleichlich war, zumahl, da meine Liebste, nach redlich ausgehaltenen 6. Wochen, ihre gewöhnliche Hauß-Arbeit frisch und gesund vornehmen konte. Wir lebten also in dem allerglückseeligsten Zustande von der Welt, indem unsere Gemüther nach nichts anders sich sehneten, als nach dem, was wir täglich erlangen und haben konten, das Verlangen nach unserm Vaterlande aber schien bey uns allen beyden gantz erstorben zu seyn, so gar, daß ich mir nicht die allergeringste Mühe mehr gab, nach vorbey fahrenden Schiffen zu sehen. Kam uns gleich die Tages-Arbeit öffters etwas sauer an, so konten wir doch Abends und des Nachts desto angenehmer ausruhen, wie sich denn öffters viele Tage und Wochen ereigneten, in welchen wir nicht aus dringender Noth, sondern bloß zur Lust arbeiten durfften.
Die kleine Concordia fing nunmehro an, da sie vollkommen deutlich, und zwar so wohl Teutsch als Englisch reden gelernet, das angenehmste und schmeichelhaffteste Kind, als eines in der gantzen Welt seyn mag, zu werden, weßwegen wir täglich viele Stunden zubrachten, mit selbiger zu schertzen, und ihren artigen Kinder-Streichen zuzusehen, ja zum öfftern uns selbsten als Kinder mit anzustellen genöthiget waren.
Allein, meine lieben Freunde! (sagte hier unser Alt-Vater, indem er ein grosses, geschriebenes Buch aus einem Behältniß hervor langete) es kommt [281] mir theils unmöglich, theils unnützlich und allzu langweilig vor, wenn ich alle Kleinigkeiten, die nicht besonders merckwürdig sind, vorbringen wolte, derowegen will die Weitläufftigkeiten und dasjenige, worvon ihr euch ohnedem schon eine zulängliche Vorstellung machen könnet, vermeiden, mit Beyhülffe dieses meines Zeit- Buchs aber nur die denckwürdigsten Begebenheiten nachfolgender Tage und Jahre biß auf diese Zeit erzehlen.
Demnach kam uns sehr seltsam vor, daß zu Ende des Monats Junii 1649. auf unserer Insel ein ziemlich kalter Winter einfiel, indem wir damahls binnen 3. Jahren das erste Eis und Schnee-Flocken, auch eine ziemliche kalte Lufft verspüreten, doch da ich noch im Begriff war, unsere Wohnung gegen dieses Ungemach besser, als sonsten, zu verwahren, wurde es schon wieder gelinde Wetter, und dieser harte Winter hatte in allen kaum 16. oder 17. Tage gedauret.
Im Jahr 1650. den 16. Mart. beschenckte uns der Himmel wiederum mit einer jungen Tochter, welche in der heil. Tauffe den Nahmen Maria bekam, und im folgenden 1651ten Jahre wurden wir abermahls am 14. Dec. mit einem jungen Sohne erfreuet, welcher den Nahmen Johannes empfing. Dieses Jahr war wegen ungemeiner Hitze sehr unfruchtbar an Getreyde und andern Früchten, gab aber einen vortrefflichen Wein-Seegen, und weil von vorigen Jahren noch starcker Getreyde-Vorrath vorhanden, wusten wir dennoch von keinen Mangel zu sagen.
Das 1652te Jahr schenckte einen desto reichlichern[282] Getreyde-Vorrath, hergegen wenig Wein. Mitten in der Weinlese starben unsere 2. ältesten Affen, binnen wenig Tagen kurtz auf einander, wir bedaureten diese 2. klügsten Thiere, hatten aber doch noch 4. Paar zu unserer Bedienung, weil sich die ersten 3. Paar starck vermehret, wovon ich aber nur 2. paar junge Affen leben ließ, und die übrigen heimlich ersäuffte, damit die Gesellschafft nicht zu mächtig und muthwillig werden möchte.
Im Jahr 1653. den 13. May kam meine werthe Ehe-Gattin abermals mit einer gesunden und wohlgestallten Tochter ins Wochen-Bette, die in der Heil. Tauffe den Nahmen Elisabeth empfieng. Also hatten wir nunmehro 3. Söhne und 3. Töchter, welche der fleißigen Mutter Arbeit und Zeitvertreib genung machen konten. Selbigen Winters fieng ich an mit Concordien, Albert u. Stephano, täglich etliche Stunden Schule zu halten, indem ich ihnen die Buchstaben vormahlete und kennen lehrete, fand auch dieselben so gelehrig, daß sie, mit Außgang des Winters, schon ziemlich gut Teutsch und Englisch buchstabiren konten, ausser dem wurden ihnen von der Mutter die nützlichsten Gebeter und Sprüche aus der Bibel gelehret, so daß wir sie mit grösten Vergnügen bald Teutsch, bald Englisch, die Morgen- Abend- und Tisch-Gebeter, vor dem Tische, konten beten hören und sehen. Meine liebe Frau durffte mir nunmehro bey der Feld- und andern sauren Arbeit wenig mehr helffen, sondern muste sich schonen, um die Kinder desto besser und geduldiger zu warten, ich hergegen, ließ es mir mit Beyhülffe der Affen, desto angelegener seyn, die nöthigsten [283] Nahrungs-Mittel von einer Zeit zur andern zu besorgen.
Am ersten Heil. Christ-Tage anno 1655. brachte meine angenehme Ehe-Liebste zum andern mahle ein paar Zwillings-Söhne zur Welt, die ich zum Gedächtniß ihres schönen Geburts-Tages, den ersten Christoph, und den andern Christian tauffte, die arme Mutter befand sich hierbey sehr übel, doch die Krafft des Allmächtigen halff ihr in etlichen Wochen wiederum zu völliger Gesundheit.
Das 1656te Jahr ließ uns einen ziemlich verdrießlichen Herbst und Winter verspüren, indem der Erstere ungemein viel Regen, der Letztere aber etwas starcke Kälte und vielen Schnee mit sich brachte, es war derowegen so wohl die darauff folgende Erndte, als auch die Wein-Lese kaum des vierdten Theils so reichlich als im vorigen Jahren, und dennoch war vor uns, unsere Kinder, Affen und ander Vieh, alles im Uberflusse vorhanden.
Im 1657ten Jahre den 22. Septembr. gebahr meine fruchtbare Ehe-Liebste noch eine Tochter, welcheChristina genennet wurde, und im 1660ten Jahre befand sich dieselbe zum letzten mahle schwangeres Leibes, denn weil sie eines Tages, da wir am Ufer des Flusses hinwandelten, unversehens strauchelte, einen schweren Fall that, und ohnfehlbar im Flusse ertruncken wäre, woferne ich sie nicht mit selbst eigener Lebens-Gefahr gerettet hätte; war sie dermassen erschreckt und innerlich beschädigt worden, daß sie zu unser beyderseits grösten Leydwesen am 9. Jul. eine unzeitige todte Tochter zur Welt, nachhero aber über zwey gantzer Jahr zubrachte, [284] ehe die vorige Gesundheit wieder zu erlangen war.
Nach Verlauf selbiger Zeit, befand sich mein werther Ehe-Schatz zwar wiederum bey völligen Kräften, und sahe in ihrem 35ten Jahre noch so schön und frisch aus als eine Jungfrau, hat aber doch niemals wiedrum ins Wochen-Bette kommen können. Gleichwol wurden wir darüber nicht ungeduldig, sondern danckten GOTT daß sich unsere 9. lieben Kinder bey völliger Leibes-Gesundheit befanden, und in Gottesfurcht und Zucht heran wuchsen, wie ich denn nicht sagen kan, daß wir Ursach gehabt hätten, uns über eins oder anderes zu ärgern, oder die Schärffe zu gebrauchen, sondern muß gestehen, daß sie, bloß auf einen Winck und Wort ihrer Eltern alles thaten, was von ihnen verlanget wurde, und eben dieses schrieben wir nicht schlechter dings unserer klugen Auferziehung, sondern einer besondern Gnade GOttes zu.
Meine Stief-Tochter Concordia, die nunmehro ihre Mannbaren Jahre erreichte, war gewiß ein Mägdlein von außbündiger Schönheit, Tugend, Klugheit und Gottesfurcht, und wuste die Haußhaltung dermassen wol zu führen, daß ich und ihre Mutter sonderlich eine grosse Erleichterung unserer dahero gehabten Mühe und Arbeit verspüreten. Selbige meine liebe Ehe-Gattin muste sich also mit Gewalt gute Tage machen, und ihre Zeit bloß mit der kleinsten Kinder Lehrung und guter Erziehung vertreiben. Meine zwey ältesten Zwillinge hatte ich mit Göttlicher Hülffe schon so weit gebracht, daß sie den kleinern Geschwister das Lesen, Schreiben [285] und Beten wiederum beybringen konten, ich aber informirte selbst alle meine Kinder früh Morgens 2. Stunden, und Abends auch so lange. Ihre Mutter lösete mich hierinnen ordentlich ab, die übrige Zeit musten sie mit nützlicher Arbeit, so viel ihre Kräffte vermochten, hinbringen, das Schieß-Gewehr brauchen lernen, Fische, Vogel, Ziegen und Wildpret einfangen, in Summa, sich in Zeiten so gewöhnen, als ob sie so wol als wir Zeit Lebens auf dieser Insul bleiben solten.
Immittelst erzehlten wir Eltern unsern Kindern öffters von der Lebens-Art der Menschen in unsern Vaterländern und andern Welt-Theilen, auch von unsern eigenen Geschichten, so viel, als ihnen zu wissen nöthig war: spüreten aber niemals, daß nur ein eintziges von ihnen Lust bezeigte, selbige Länder oder Oerter zu sehen, worüber sich meine Ehe-Frau hertzlich vergnügte, allein ich unterdrückte meinen, seit einiger Zeit wieder aufgewachten Kummer, biß eines Tages unsere ältesten zwey Söhne eiligst gelauffen kamen, und berichteten: Wie daß sich gantz weit in der offenbaren See 3. grosse Schiffe sehen liessen, worauff sich ohnfehlbar Menschen befinden würden. Ihre Mutter gab ihnen zur Antwort: Lasset sie fahren meine Kinder, weil wir nicht wissen, ob es gute oder böse Menschen sind. Ich aber wurde von meinen Gemüths-Bewegungen dergestalt übermeistert, daß mir die Augen voll Thränen lieffen, und solches zu verbergen, gieng ich stillschweigend in die Kammer, und legte mich mit Seuffzen aufs Lager. Meine Concordia folgte mir auf dem Fusse nach, breitete sich über mich und sagte, nachdem [286] sie meinen Mund zum öfftern liebreich geküsset hatte. Wie ists, mein liebster Schatz, seyd ihr der glückseeligen Lebens-Art, und eurer bißhero so hertzlich geliebten Concordia, vielleicht schon auch gäntzlich überdrüßig, weil sich eure Sehnsucht nach anderer Gesellschafft aufs neue so starck verräth? Ihr irret euch, meine Allerliebste gab ich zur Antwort, oder wollet etwa die erste Probe machen mich zu kräncken. Glaubet aber sicherlich, zumahl wenn ich GOTT zum Zeugen anruffe, daß mir gar nicht in die Gedancken kommen ist, von hier hinweg zu reisen, oder euch zum Verdruß mich nach anderer Gesellschafft zu sehnen, sondern ich wünsche von Hertzen, meine übrige Lebens-Zeit auf dieser glückseeligen Städte mit euch in Ruhe und Friede hin zu bringen, zumal da wir das schwerste nunmehro mit GOTTES Hülffe überwunden, und das gröste Vergnügen an unsern schönen Kindern, annoch in Hoffnung, vor uns haben. Allein saget mir um GOttes willen, warum sollen wir uns nicht nunmehro, da unsere Kinder ihre Mannbaren Jahre zu erreichen beginnen, nach andern Menschen umsehen, glaubet ihr etwa, GOTT werde sogleich 4. Männer und 5. Weiber vom Himmel herab fallen lassen, um unsere Kinder mit selbigen zu begatten? Oder wollet ihr, daß dieselben, so bald der natürliche Trieb die Vernunfft und Frömmigkeit übermeistert, Blut-Schande begehen, und einander selbst heyrathen sollen? Da sey GOTT vor! Ihr aber, mein Schatz, saget mir nun, wie eure Meynung über meine höchst wichtigen Sorgen ist, ob wir nicht Sünde und Schande von unsern bißhero wohlerzogenen [287] Kindern zu befürchten haben? und ob es Wohlgethan sey, wenn wir durch ein und andere Nachläßigkeit, GOttes Allmacht ferner versuchen wollen?
Meine Concordia fieng hertzlich an zu weinen, da sie mich in so ungewöhnlichen Eifer reden hörete, jedoch die treue Seele umfassete meinen Halß, und sagte unter hundert Küssen: Ihr habt recht, mein allerliebster Mann, und sorget besser und vernünfftiger als ich. Verzeihet mir meine Fehler, und glaubet sicherlich, daß ich, dergleichen Blut-schändlich Ehen zu erlauben, niemals gesinnet gewesen, allein die Furcht vor bösen Menschen, die sich etwa unseres Landes und unserer Güter gelüsten lassen, euch ermorden, mich und meine Kinder schänden und zu Sclaven machen könten, hat mich jederzeit angetrieben, zu wiederrathen, daß wir uns frembden und unbekannten Leuten entdeckten, die vielleicht auch nicht einmal Christen seyn möchten. Anbey habe mich beständig darauff verlassen, daß GOtt schon von ohngefähr Menschen hersenden würde, die uns etwa abführeten, oder unser Geschlecht vermehren hülffen. Jedoch, mein allerliebster Julius, sagte sie weiter, ich bekenne, daß ihr eine stärckere Einsicht habt als ich, darum gehet hin mit unsern Söhnen, und versuchet, ob ihr die vorbeyfahrenden Schiffe anhero ruffen könnet, GOTT gebe nur, daß es Christen, und redliche Leute sind.
Dieses war also der erste und letzte Zwietracht, den ich und meine liebe Ehe-Frau untereinander hatten, wo es anders ein Zwietracht zu nennen ist. So bald wir uns aber völlig verglichen, lieff ich mit meinen[288] Söhnen, weil es noch hoch am Tage war, auf die Spitzen des Nord-Felsens, schossen unsere Gewehre loß, schryen wie thörichte Leute, machten Feuer und Rauch auf der Höhe, und trieben solches die gantze Nacht hindurch, allein ausser etlichen Stückschüssen höreten wir weiter nichts, sahen auch bey aufgehender Sonne keines von den Schiffen mehr, wohl aber eine stürmische düstere See, woraus ich schloß, daß die Schiffe wegen widerwärtigen Windes unmöglich anländen können, wie gern sie vielleicht auch gewolt hätten.
Ich konte mich deßwegen in etlichen Tagen nicht zufrieden geben, doch meine Ehe-Frau sprach mich endlich mit diesen Worten zufrieden: Bekümmert euch nicht allzusehr mein werther Albert, der HErr wirds versehen und unsere Sorgen stillen, ehe wirs vielleicht am wenigsten vermuthen.
Und gewiß, der Himmel ließ auch in diesem Stücke ihre Hoffnung und festes Vertrauen nicht zu schanden werden, denn etwan ein Jahr hernach, da ich am Tage der Reinigung Mariä 1664. mit meiner gantzen Familie Nachmittags am Meer-Ufer spatzieren gieng, ersahen wir mit mäßiger Verwunderung: daß nach einem daherigen hefftigen Sturme, die schäumenden Wellen, nachdem sie sich gegen andere unbarmhertzig erzeiget, uns abermals einige vermuthlich gute Waaren zugeführet hatten. Zugleich aber fielen uns von ferne zwey Menschen in die Augen, welche auf einen grossen Schiffs-Balcken sitzend, sich an statt der Ruder mit ihren blossen Händen äusserst bemüheten, eine, von den vor uns liegenden Sand-Bäncken zu erreichen, und ihr Leben [289] darauff zu erretten. Indem nun ich, nur vor wenig Monaten, das kleine Boot, durch dessen Hülffe ich am allerersten mit Mons. van Leuven bey dieser Felsen-Insul angelanget war, außgebessert hatte, so wagte ich nebst meinen beyden ältesten Söhnen, die nunmehro in ihr 16tes Jahr giengen, hinnein zu treten, und diesen Nothleydenden zu Hülffe zu kommen, welche unserer aber nicht eher gewahr wurden, biß unser Boot von ohngefehr sehr hefftig an ihren Balcken stieß, so daß der eine aus Mattigkeit herunter ins Wasser fiel. Doch da ihm meine Söhne das Seil, woran wir das Boot zu befestigen pflegten, hinaus wurffen, raffte er alle Kräffte zusammen, hielt sich feste dran, und ward also von uns gantz leichtlich ins Boot herein gezogen. Dieses war ein alter fast gantz grau gewordener Mann, der andere aber, dem dergleichen Gefälligkeit von uns erzeigt wurde, schien ein Mann in seinen besten Jahren zu seyn.
Man merckte sehr genau, wie die Todes-Angst auf ihren Gesichtern gantz eigentlich abgemahlet war, da sie zumal uns gantz starr ansahen, jedoch nicht ein eintziges Wort aussprechen konten, endlich aber, da wir schon einen ziemlichen Strich auf der Zurückfarth gethan, fragt ich den Alten auf deutsch: Wie er sich befände, allein er schüttelte sein Haupt, und antwortete im Englischen, daß er zwar meine Sprache nicht verstünde, gleichwol aber merckte, wie es die teutsche Sprache sey. Ich fieng hierauf sogleich an, mit ihm Englisch zu reden, weßwegen er mir augenblicklich die Hände küssete und mich seinen Engel nennete. Meine beyden Söhne klatschten [290] derowegen in ihre Hände, und fiengen ein Freuden-Geschrey an, gaben sich auch gleich mit dem jungen Manne ins Gespräche, welcher alle beyde umarmete und küssete, auch ihnen auf ihre einfältigen Fragen liebreiche Antwort gab. Doch da ich merckte, daß die beyden Verunglückten vor Mattigkeit kaum die Zunge heben und die Augen aufthun konten, liessen wir dieselben ungestöhrt, und brachten sie halb schlaffend an unsere Felsen-Insul.
Meine Concordia hatte binnen der Zeit beständig mit den übrigen Kindern auf den Knien gelegen, und GOTT um unsere glückliche Zurückkunft angerufft, weil sie dem sehr alten und geflickten Boote wenig zu getrauet, derowegen war alles desto frölicher, da wir in Gesellschafft zweyer andern Menschen bey ihnen ankamen. Sie hatte etwas Vorrath von Speisen und Geträncke vor unsere Kinder bey sich, welches den armen Frembdlingen gereicht wurde. So bald nun selbiges mit gröster Begierde in ihren Magen geschickt war, merckte man wohl, daß sie hertzlich gern weiter mit uns reden wolten, allein da sie bereits so viel zu verstehen gegeben, wie sie nunmehro 3. Nächte und 4. Tage ohne Schlaff und Ruhe in den Meeres Wellen zugebracht hätten, konten wir ihnen nicht verargen, daß sie uns fast unter den Händen einschlieffen, brachten aber doch beyde, wiewol mit grosser Mühe, durch den holen Weg hinauff in die Insul.
Daselbst suncken sie als recht ohnmächtige Menschen ins Graß nieder, und verfielen in den tieffsten Schlaff. Meine beyden ältesten Söhne musten bey[291] ihnen sitzen bleiben, ich aber gieng mit meiner übrigen Familie nach Hause, nahm zwey Rollwagen, spannete vor jeden 4. Affen, kehrete damit wieder um, legte die Schlaffenden ohne eintzige Empfindung drauff, und brachte dieselben mit einbrechender Nacht in unsere Behausung auf ein gutes Lager, welches ihnen mitlerweile meine Hauß-Frau bereitet hatte. Beyde wachten fast zu gleicher Zeit nicht früher auf, als andern Tages ohngefähr ein paar Stunden vor Untergang der Sonnen, und so bald ich dessen vergewissert war, gieng ich zu ihnen in die Kammer, legte vor jeden ein gut Kleid nebst weisser Wäsche hin, bat sie möchten solches anlegen, nachhero zu uns heraus kommen.
Indessen hatte meine Hauß-Frau eine köstliche Mahlzeit zubereitet, den besten Wein und ander Geträncke zurechte gesetzt, auch sich nebst ihren Kindern gantz sauber angekleidet. Wie demnach unsere Gäste aus der Kammer traten, fanden sie alles in der schönsten Ordnung, und blieben nach verrichteter Begrüssung als ein paar steinerne Bilder stehen. Meine Kinder musten ihnen das Wasch-Wasser reichen, welches sie annahmen und um Erlaubniß baten, sich vor der Thür zu reinigen. Ich gab ihnen ohne eitle Ceremonien zu verstehen, wie sie allhier, als ohnfehlbar gute christliche Menschen, ihre beliebige Gelegenheit brauchen könten, weßwegen sie sich ausserhalb des Hauses, in der freyen Luft völlig ermunterten, nachhero wieder zu uns kehreten, da denn der alte ohngefähr 60. jährige Mann also zu reden anfieng: O du gütiger Himmel, welch ein schönes Paradieß ist dieses? saget uns doch, o ihr [292] glückseeligen Einwohner desselben, ob wir uns unter Engeln oder sterblichen Menschen befinden? denn wir können biß diese Stunde unsere Sinnen noch nicht überzeugen, ob wir noch auf der vorigen Welt leben; Oder durch den zeitlichen Tod in eine andere Welt versetzt sind? Liebsten Freunde gab ich zur Antwort, es ist mehr als zu gewiß, daß wir eben solche mühseelige und sterbliche Menschen sind als ihr. Vor nunmehro fast 18. Jahren, hat ein besonderes Schicksaal mich und diese meine werthe Ehe-Gattin auf diese Insul geführet, die allhier in Ordnung stehenden 9. Kinder aber, sind, binnen solcher Zeit, und in solcher Einsamkeit von uns entsprossen, und ausser uns, die wir hier beysammen sind, ist sonst keine menschliche Seele mehr auf der gantzen Insul anzutreffen. Allein, fuhr ich fort, wir werden Zeit und Gelegenheit genung haben, hiervon weitläufftiger mit einander zu sprechen, derowegen lasset euch gefallen, unsere Speisen und Geträncke zu kosten, damit eure in dem Meere verlohrnen Kräffte desto geschwinder wieder hergestellet werden.
Demnach setzten wir uns zu Tische, assen und truncken ingesammt, mit grösten appetite nach billigen vergnügen. So bald aber das Danck-Gebeth gesprochen war, und der Alte vermerckte, daß so wol ich als meine Concordia von beyderseits Stande und Wesen gern benachrichtiget seyn möchten, vergnügte er unsere Neugierigkeit mit einer weitläufftigen Erzehlung, die biß Mitternacht währete. Ich aber will von selbiger nur kürtzlich so viel melden, daß er sichAmias Hŭlter nennete, [293] und vor etlichen Jahren ein Pachtmann verschiedener Königlicher Küchen-Güter in Engelland gewesen war. Sein Gefährte hieß Robert Hŭlter, und war des Amias leiblichen Bruders Sohn. Ferner vernahmen wir mit Erstaunen, daß die aufrührischen Engelländer im Jahr 1649. den 30. Jan. also 2. Jahr und 8. Monath nach unserer Abreise, ihren guten König Carln grausamer Weise enthauptet, und daß sich nach diesem einer, Nahmens Oliverius Cromwel, von Geschlecht ein blosser Edelmann, zum Beschützer des Reichs aufgeworffen hätte, dem anno 1658. sein Sohn, Richard Cromwel, in solcher Würde gefolget, aber auch bald im folgenden Jahr wieder abgesetzt wäre, worauff vor nunmehro fast 3. Jahren die Engelländer einen neuen König, nemlichCarln den Andern erwählet, und unter dessen Regierung itzo ziemlich ruhig lebten.
Der gute Amias Hülter, welcher ehedessen bey dem enthaupteten König Carln in grossen Gnaden gewesen, ein grosses Guth erworben, doch aber niemals geheyrathet, war in solcher Unruhe fast um alles das Seinige gekommen, aus dem Lande gejagt worden, und hatte kaum so viel gerettet eine kleine Handlung über Meer anzufangen, worbey er nach und nach zwar wiederum ein ziemliches erworben, und dasselbe seinem Bruder Joseph Hülter in Verwahrung gegeben. Dieser sein Bruder aber hatte die Reformirte Religion verlassen, sich nach Portugall gewendet, daselbst zum andern mahle geheyrathet, und sein zeitliches Glück ziemlich gemacht. Allein dessen Sohn Robert war mit seines Vaters [294] Lebens-Art, und sonderlich mit der Religions-Veränderung, nicht allerdings zufrieden gewesen, derowegen annoch in seinen Jünglings-Jahren mit seinem Vetter Amias zu Schiffe gegangen, und hatte sich bey demselben in West-Indien ein ziemliches an Gold und andern Schätzen gesammlet. Da aber vor einigen Monathen die Versicherung eingelauffen, daß nunmehro, unter der Regierung König Carls des Andern, in Engelland wiederum gute Zeiten wären, hatten sie Brasilien verlassen, und sich auf ein Schiff verdingt, um mit selbigen nach Portugall, von dar aber zurück nach Engelland, als in ihr Vaterland zu reisen, und sich bey dem neuen König zu melden. Allein ihr Vorhaben wird durch das widerwärtige Verhängniß zeitlich unterbrochen, indem ein grausamer Sturm das Schiff von der ordentlichen Strasse ab- und an verborgene Klippen führet, allwo es bey nächtlicher Zeit zerscheitert, und seine gantze Ladung an Menschen und Gütern, in die wilden Fluthen wirfft. In solcher Todes-Angst ergreiffen Amias und Robert denjenigen Balcken, von welchen wir sie, nachdem die armen Menschen 3. Nachte und 4. Tage ein Spiel des Windes und der Wellen gewesen, endlich noch eben zur rechten Zeit zu erlösen das Glück hatten.
Meine Concordia wolte hierauff einige Nachricht von den Ihrigen einziehen, konte aber nichts weiter erfahren, als daß Amias ihren Vater zwar öffters gesehen, gesprochen, auch ein und andern Geld-Verkehr mit ihm gehabt, im übrigen aber wuste er von dessen Hauß-Wesen nichts zu melden, [295] ausser daß er im 1648ten Jahre noch im guten Stande gelebt hätte. Hergegen wuste Robert, der bißhero wenig Worte gemacht, sich noch gantz wohl zu erinnern, daß er zu der Zeit, als er noch ein Knabe von 12. oder 13. Jahren gewesen, vernommen, wie dem Banquier Plürs eine Tochter, Nahmens Concordia, von einem Cavalier entführet worden sey, wo sie aber hin, oder ob dieselbe wieder zurück gebracht worden, wisse er nicht eigentlich zu sagen.
Wir berichteten ihnen demnach, daß sie allhier eben diese Concordia Plürs vor sich sähen, versprachen aber unsere Geschichte morgendes Tages ausführlicher zu erzehlen, und legten uns, nachdem wir die Abend-Beth-Stunde in Englischer Sprache gehalten, sämmtlich zur Ruhe.
Ich nahm mir nebst meiner Hauß-Frauen von nun an nicht das geringste Bedencken, diesen beyden Gästen und Lands-Leuten, welchen die Redlichkeit aus den Augen leuchtete, und denen die Gottesfurcht sehr angenehm zu seyn schien, alles zu offenbaren, was sich von Jugend an, und sonderlich auf dieser Insul mit uns zugetragen hatte. Nur eintzig und allein verschwiegen wir ihnen des Don Cyrillo vermaureten grossen Schätze, hatten aber dennoch ausser diesem, so viel Reichthümer an Gold, Silber, edlen Steinen und andern Kostbarkeiten aufzuweisen, daß sie darüber erstauneten, und vermeynten: es wäre weder in Engelland, noch sonst wo, ein Kauffmann, oder wol noch weit grössere Standes-Person, ausser grossen Potentaten anzutreffen, die sich Bemittelter zeigen könte als wir. Dem ohngeacht, gab ich ihnen deutlich zu vernehmen, daß ich [296] und meine Hauß-Frau diese Sachen sehr gering, das Vergnügen aber, auf dieser Insul in Ruhe, ohne Verfolgung, Kummer und Sorgen zu leben, desto höher schätzten, und bäten GOTT weiter um keine mehrere Glückseeligkeit, als daß er unsern Kindern fromme christliche Ehegatten anhero schicken möchte, die da Lust hätten auf dieser Insul mit ihnen in Ruhe und Friede zu leben, weil dieselbe im Stande sey, ihre Einwohner fast mit allem, was zur Leibes Nahrung und Nothdurfft gehörig, reichlich und überflüßig zu versorgen.
Ich vermerckte unter diesen meinen Reden, daß dem jungen Hülter das Geblüte ziemlich ins Angesichte trat, da er zugleich seine Augen recht sehnlich auf meine schöne und tugend-volle Stieff-Tochter warff, jedoch nicht eher als nach etlichen Tagen durch seinen Vetter Amias bey mir und meiner Frauen um selbige anhalten ließ. Da nun ich und dieselbe schon deßfalls mit einander geheime Abrede genommen, liessen wir uns die Werbung dieses wohlgebildeten und frommen jungen Mannes gefallen, versprachen ihm binnen 4. Wochen unsere Tochter ehelich zuzuführen, doch mit der Bedingung, wenn er mit guten Gewissen schweren könte und wolte, daß er (1) noch unverheyrathet sey. (2) Unserm Gottesdienste und Glauben sich gleichförmig erzeigen. (3.) Friedlich mit seiner Frau und uns leben, und (4.) Sie wieder ihren willen niemals verlassen, oder von dieser Insul, ausser der dringenden Noth, hinweg führen, sondern Zeit Lebens allhier bleiben wolle. Der gute Robert schwur und versprach alles zu erfüllen, was wir von ihm begehreten, [297] und setzte hinzu: Daß dieses schöne Tugend-Bild, nemlich seine zukünfftige Ehe-Liebste, Reitzungen im Uberflusse besässe, alle Sehnsucht nach andern Ländern, Menschen und Schätzen zu vertreiben. Hierauff wurde das Verlöbniß gehalten, worbey wir alle vor Freuden weineten, absonderlich der alte Amias, welcher hoch betheurete: Daß wir bey unserm Schwieger-Sohne das allerredlichste Gemüthe auf der gantzen Welt angetroffen hätten, welches sich denn auch, GOTT sey Danck, nachhero in allen Fällen also eräusert hat.
Nun beklage ich, sagte der alte Amias, daß von meinen Lebens-Jahren nicht etwa 30. oder wenigstens 20. können abgekaufft werden, um auch das Glück zu haben, euer Schwieger-Sohn zu seyn, jedoch weil dieser Wunsch vergeblich ist und ich einmal veraltet bin, so will nur GOTT bitten, daß er mich zum Werckzeuge gebrauchen möge: Vor eure übrigen Kinder Ehegatten anhero zu schaffen. Ich habe, verfolgte er, keine thörichten Einfälle hierzu, will also nur GOTT und etwas Zeit zu Hülffe nehmen.
Folgende Tage wurde demnach alles zu dem abgeredeten Beylager veranstalltet, und am 14. Mart. 1664. solches ordentlich vollzogen, an welchem Tage ich als Vater und Priester, das verlobte Paar zusammen gab. Ihre Ehe ist so vergnügt und glücklich, als Fruchtbar gewesen, indem sie in folgenden Jahren 14. Kinder, als nemlich 5. Söhne und 9. Töchter mit einander gezeuget haben, welches mir und meiner lieben Hauß-Frau zum stetigen Troste und Lust gereichte, zumal da unser Schwieger-Sohn [298] aus eigenen Antriebe und hertzlicher Liebe gegen uns, seinen eigenen Geschlechts Nahmen zurück setzte, und sich gleich am ersten Hochzeit-Tage Robert Julius nennete.
Wir baueten noch im selbigen Herbst ein neues schönes und räumliches Hauß vor die jungen Ehe-Leute, Amias war ihr Hauß-Genosse, und darbey ein kluger und vortrefflicher Arbeiter, der meine gemachten Anstalten auf der Insul in kurtzer Zeit auf weit bessern Fuß bringen halff, so, daß wir in erwünschten Vergnügen mit einander leben konten.
Unser Vorrath an Wein, Geträyde, eingesaltzenen Fleische, Früchten und andern Lebens-Mitteln war dermassen zu gewachsen, daß wir fast keine Gefässe, auch keinen Platz in des Don Cyrillo unterirrdischen Gewölbern, selbige zu verwahren, weiter finden konten, dem ohngeacht, säeten und pflantzten wir doch Jahr aus, Jahr ein, und speiseten die Affen, deren nunmehro etliche 20. zu unsern Diensten waren, von dem Uberflusse, hätten aber dennoch im 1666ten Jahre ohne unsern Schaden gar wohl noch hundert andere Menschen ernehren können, da sich aber niemand melden wolte, musten wir zu unsern grösten Leydwesen eine grosse Menge des besten Geträydes liederlich verderben lassen.
Amias erseuffzete hierüber öffters, und sagte eines Abends, da wir vor unsern Hauß-Thüren die kühlen Abend-Lüffte zur Erquickung abwarteten: Wie wunderbar sind doch die Fügungen des Allmächtigen! Ach wie viel tausend, und aber tausend sind doch unter den Christen anzutreffen, die [299] mit ihrer sauern Hand-Arbeit kaum so viel vor sich bringen, daß sie sich nach Vergnügen ersättigen können. Die wenigsten Reichen wollen den Armen von ihrem Uberflusse etwas ansehnliches mittheilen, weil sie sich befürchten, dadurch selbst in Armuth zu gerathen, und wir Einwohner dieses Paradieses wolten gern unsern Nächsten alles, was wir haben, mitgenießen lassen, so muß es uns aber nur an Leuten fehlen, die etwas von uns verlangen. Allein, mein werthester Julius, fuhr er fort, stehet es zu verantworten, daß wir allhier auf der faulen Bank liegen, und uns eine kleine Mühe und Gefahr abschrecken lassen, zum wenigsten noch so viel Menschen beyderley Geschlechts hieher zu verschaffen, als zur Beheyratung eurer Kinder von nöthen seyn, welche ihren mannbaren Alter entgegen gehen, und ohne grosse Sünde und Schande einander nicht selbst eheligen können? Auf derowegen! Lasset uns den behertzten Entschluß fassen, ein Schiff zu bauen, und unter starcken Vertrauen zu Göttlichem Beystande an das nächst-gelegenste Land oder Insul anfahren, wo sich Christen aufhalten, um vor eure Kinder Männer und Weiber daselbst auszusuchen. Meine Gedancken sind auf die Insul S. Helena gerichtet, allwo sich Portugiesen niedergelassen haben, und wenn ich nebst der Land- und See-Charte, die ich bey euch gesehen, alle andern Umstände in Betrachtung ziehe, so versichert mich ein geheimer Trieb, daß selbige Insul unsern Wunsch nicht allein erfüllen, sondern auch nicht allzu weit von hier entlegen sein kan.
Meine Hauß-Frau und ich stutzten ziemlich über[300] des Amias etwas allzu gefährlich scheinenden Anschlag, ehe wir ihm gehörig darauf antworten, und gar behutsame Einwürffe machen konten, da er aber alle dieselben sehr vernünfftig widerlegte, und diese Sache immer leichter machte; gab endlich meine Concordia den Ausschlag, indem sie sagte: Lieben Freunde, wir wollen uns dieserwegen den Kopff vor der Zeit nicht zerbrechen, versuchet erstlich, wie weit es mit eurem Schiffbau zu bringen ist, wird dasselbe fertig, und in solchen Zustand gebracht, daß man sich vernunfft-mäßig darauf wagen, und dergleichen gefährliche Reise vornehmen kan, und der Himmel zeiget uns binnen solcher Zeit keine andere Mittel und Wege, unserer Sorgen loß zu werden, so haben wir nachhero noch Zeit genung, Rath zu halten, wie es anzufangen, auch wer, und wie viel von uns mit reisen sollen.
Nachdem diese Meinung von einem jeden gebilliget worden, fingen wir gleich des folgenden Tages an, Bäume zu fällen, und nachhero zu behauen, woraus Balken, Bohlen und Breter gehauen werden konten. Auch wurde dasjenige Holz, welches uns die See von zerscheiterten Schiffen zugeführet hatte, fleißig zusammen gesucht, doch ein bald darauf einfallendes Regen-Wetter nebst dem nöthigen Acker- und Wein-Bau verursachten, daß wir den Schiffs-Bau biß zu gelegener und besserer Zeit aufschieben musten.
Im August-Monat aber anno 1667. da des Roberts Ehe-Frau allbereit mit der zweyten Tochter ins Wochen-Bette gekommen war, setzten unsere [301] fleißigen Hände die Schiffs-Arbeit aufs neue eifferig fort, so, daß wir mit den vornehmsten Holz Stücken im April des 1668ten Jahres nach des Amias Abrisse fast völlig fertig wurden. Dem zu Folge wurde unter seiner Anweisung auch eine Schmiede Werk-Stätte zu bauen angefangen, in welcher die Nägel und anderes zu Schiff-Bau gehöriges Eisenwerk geschmiedet und zubereitet werden solte, hatten selbige auch allbereit in ziemlich guten Stande, als eines Tages meine 3. jüngsten Söhne, welche bestellet waren, die leichtesten Holz-Stücke mit Hülffe der Affen ans Ufer zu schaffen, gelauffen kamen, und berichteten, daß sich nahe an unserer Insul ein Schiff mit Menschen besetzt sehen liesse; weßwegen wir ingesamt zwischen Furcht und guter Hoffnung hinab zum Meer lieffen, und ersahen, wie bemeldtes Schiff auf eine der vor uns liegenden Sand-Bänke aufgelauffen war, und nicht weiter von der Stelle kommen konte. Zwey darauf befindliche Männer schienen uns mit ängstlichen Winken zu sich zu nötigen, derowegen sich Robert mit meinen beyden ältesten Söhnen in unser kleines Boot setzte, und zu ihnen hinüber fuhr, ein langes Gespräch hielt, und endlich mit 9. frembden Gästen, als 3. Weibs-und 6. Manns-Personen wieder zu uns kam. Allein, diese Elenden schienen allesamt den Todten ähnlicher als den Lebendigen zu seyn, wie denn auch nur ein Weibs-Bild und zwey Männer noch so viel Kräffte hatten, mit uns hinauf in die Insul zu steigen, die übrigen sechs, welche fast nicht auf die matten Füsse treten konten, musten hinauf getragen werden.
[302] Der alte hocherfahrene Amias erkannte so gleich, was sie selbsten gestehen musten, nemlich, daß sie nicht allein vom Hunger, sondern auch durch eine schlimme See Kranckheit, welche der Schaarbock genennet würde, in solchen kläglichen Zustand gerathen wären, derowegen wurde ihnen so gleich Roberts Wohnhaus zum Krancken-Hause eingeräumet, anbey von Stund an zur besten Verpflegung alle Anstalt gemacht.
Wir bekümmerten uns in den ersten Tagen so wenig um ihren Stand und Wesen, als sie sich um das unserige, doch konte man mehr als zu wohl spüren, wie vergnügt und erkenntlich ihre Hertzen wegen der guten Bewirtung wären, dem allen ohngeacht aber sturben so gleich, noch ehe 8. Tage verlieffen, eine Weibs- und zwey Manns-Personen, und in folgender Woche folgte die 3te Manns-Person; weil das Ubel vermuthlich allzu starck bey ihnen eingerissen, oder auch wohl keine Maasse im Essen und Trinken gehalten war. Die Todten wurden von uns mit grossen Leydwesen ehrlich begraben, und die annoch übrigen sehr schwachen desto fleißiger gepflegt. Amias machte ihnen Artzeneyen von unsern annoch grünenden Kräutern und Wurtzeln, gab auch keinem auf einmahl mehr Speise und Trank, als er vor rathsam hielt, woher es nebst Göttlicher Hülffe endlich kam, daß sich die noch übrigen 5. Gäste binnen wenig Wochen völlig erholeten, und nicht die geringsten Merckmale einer Kranckheit mehr verspüreten.
Nun solte ich zwar, meine Lieben, sagte hiermit unser Alt-Vater Albertus, euch billig noch berichten,[303] wer die Frembdlinge gewesen, und durch was vor ein Schicksal selbige zu uns gekommen wären, allein mich bedünkt, meine Erzehlung möchte solcher Gestalt auf heute allzu lange währen, darum will Morgen, so es GOTT gefällt, wenn wir von Roberts-Raum zurücke kommen, damit den Anfang machen. Wir, als seine Zuhörer, waren auch damit vergnügt, und traten folgendes Tages auf gewöhnliche Weise den Weg nach Roberts-Raum an.
Hieselbst fanden wir die leiblichen Kinder und fernere Abstammlinge von Robert Hülter, und der jüngern Concordia in 16. ungemein zierlich erbaueten Wohnhäusern ihre gute Wirthschafft führen, indem sie ein wohlbestelltes Feld um und neben sich, die Weinberge aber mit den Christophs-Raumern gemeinschafftlich hatten. Der älteste Sohn des Roberts führete uns in seiner seel. Eltern Hauß, welches er nach deren Tode in Besitz genommen hatte, und zeigete nicht allein eine alte Englische Bibel, Gesang-und Gebet-Buch auf, welches von dem gantzen Geschlecht als ein besonderes Heiligthum gehalten wurde, sondern nächst diesem auch allerhand andere kostbare und sehens-würdige Dinge, die der Stamm-Vater Robert zum Andencken seiner Klugheit und Geschicklichkeit denen Nachkommen hinterlassen hatte. Auf der äusersten Felsen-Höhe gegen Osten war ein bequemliches Wacht-Hauß erbauet, welches wir nebst denen dreyen dabey gepflanzten Stücken Geschützes in Augenschein nahmen, und uns dabey über das viele im Walde herum lauffende Wild sonderlich [304] ergötzten, nachhero in dem Robertischen Stamm-Hause aufs köstlichste bewirthet wurden, doch aber, nachdem diese Gemeine in jedes Hauß eine Englische Bibel und Gesang-Buch, nebst andern gewöhnlichen Geschenken vor die Jugend empfangen hatte, zu rechter Zeit den Rückweg auf Alberts-Burg antraten.
Mittlerweile, da Herr Mag. Schmeltzer in die Davids-Raumer Allee, seine Geistlichen Unterrichtungen fortzusetzen, spatzieret war, und wir andern mit gröster Begierde am Kirchen-Bau arbeiten halffen, hatte unser Alt-Vater Albertus seine beyden ältesten Söhne, nehmlich Albertum und Stephanum, nebst ihren annoch lebenden Ehe-Weibern, ingleichen den David Julius, sonst Rawkin genannt, mit seiner Ehe-FrauChristina, welche des Alt-Vaters jüngste Tochter war, zu sich beschieden, um die Abend-Mahlzeit mit uns andern allen einzunehmen, da sich nun selbige nebst Herrn Mag. Schmeltzern eingestellet, und wir sämtlich gespeiset, auch unsere übrige Gesellschaffter sich beurlaubt hatten; blieben der Alt-Vater Albertus, dessen Söhne, Albertus und Stephanus, nebst ihren Weibern, David und Christina, Hr. Mag. Schmeltzer, Mons. Wolffgang und ich, also unser 10. Personen beysammen sitzen, da denn unser Alt-Vater also zu reden anfing:
Ich habe, meine lieben Freunde, gestern Abend versprochen, euch nähern Bericht von denjenigen Personen zu erstatten, die wir im 1668ten Jahre, als ausgehungerte und krancke Leute aufzunehmen, das Glück hatten, weil aber drey von demselben [305] annoch am Leben, und allhier gegenwärtig sind, als nehmlich dieser mein lieber Schwieger-Sohn, David, und denn meine beyden lieben Schwieger-Töchter des Alberti und Stephani Gemahlinnen, so habe vor annehmlicher erachtet, in eurer Gegenwart selbige zu bitten, daß sie uns ihre Lebens-Geschichte selbst erzehlen möchten. Ich weiß, meine fromme Tochter, sagte er hierauf zu des Alberti jun. Gemahlin, wie die Kräffte eures vortrefflichen Verstandes, Gedächtnisses und der Wohlredenheit annoch so vollkommen bey euch anzutreffen sind, als alle andere Tugenden, ohngeacht die Zeit uns alle auf dieser Insul ziemlich verändert hat. Derowegen habt die Güte, diesem meinem Vettern und andern werthen Freunden, einen eigenmündlichen Bericht von den Begebenheiten eurer Jugend abzustatten, damit sie desto mehr Ursach haben, sich über die Wunder-Hand des Himmels zu verwundern.
Demnach stund die bey nahe 80. jährige Matrone, deren Gesichts- und Leibes-Gestalt auch in so hohen Alter noch viele Annehmlichkeiten zeigete, von ihrem Stuhle auf, küssete erstlich unsern Alt-Vater, setzte sich, nachdem sie sich gegen die übrigen höflich verneiget, wiederum nieder, und fing ihre Erzehlung folgender massen an:
Es ist etwas schweres, meine Lieben, daß eine Frau von solchen Jahren, als ich bin, annoch von ihrer Jugend reden soll, weil gemeiniglich darbey viele Thorheiten vorzukommen pflegen, die einem reiffern Verstande verächtlich sind, doch da das menschliche Leben überhaupt ein Zusammenhang [306] vieler Thorheiten, wiewohl bey einem mehr als bey dem andern zu nennen ist, will ich mich nicht abschrecken lassen, dem Befehle meines hertzlich geliebten Schwieger-Vaters Gehorsam zu leisten, und die Aufmerksamkeit edler Freunde zu vergnügen, welche mir als einer betagten Frauen nicht verüblen werden, wenn ich nicht alles mehr in behöriger Zierlichkeit und Ordnung vorzubringen geschickt bin.
Mein Nahme ist Judith van Manders, und bin 1648. eben um selbige Zeit gebohren, da die vereinigten Niederländer wegen des allgemeinen Friedens-Schlusses und ihrer glücklich erlangten Freyheit in grösten Freuden begriffen gewesen. Mein Vater war einer der ansehnlichsten und reichsten Männer zu Middelburg in Seeland wohnhafft, der der Republic so wohl als seine Vorfahren gewiß recht wichtige Dienste geleistet hatte, auch dieserwegen zu einem Mit-Gliede des hohen Raths erwehlet worden. Ich wurde, nebst einer ältern Schwester und zweyen Brüdern, so erzogen, wie es der Stand und das grosse Vermögen unserer Eltern erforderte, deren Haupt-Zweck einzig und allein dieser war, aus ihren Kindern Gottesfürchtige und tugendhaffte Menschen zu machen. Wie denn auch keines aus der Art schlug, als unser ältester Bruder, der zwar jederzeit von aussen einen guten Schein von sich gab, in Geheim aber allen Wollüsten und liederlichem Leben oblage. Kaum hatte meine Schwester das 16te und ich mein 14 des Jahr erreicht, als sich schon eine ziemliche Anzahl junger vornehmer Leute um unsere Bekanntschafft bewarben, [307] indem meine Schwester Philippine vor eine der schönsten Jungfrauen in Middelburg gehalten wurde, von meiner Gesichts-Bildung aber ging die Rede, als ob ich, ohne Ruhm zu melden, nicht allein meine Schwester, sondern auch alles andere Frauenzimmer im Lande an Schönheit übertreffen solte. Doch schrieb man mir als einen besonders grossen Fehler zu, daß ich eines allzu stillen, eigensinnigen,melancholischen, dahero verdrüßlichen temperaments wäre, dahingegen meine Schwester eine aufgeräumte und muntere Lebensart blicken liesse.
Wiewohl ich mich nun um dergleichen Vorwürfe wenig bekümmerte, so war dennoch gesinnet, dergleichen Aufführung bey ein oder anderer Gelegenheit möglichstens zu verbergen, zumalen wenn mein ältester Bruder William dann und wann frembde Cavaliers in unser Hauß brachte. Solches war wenige mahl geschehen, als ich schon an einem, Jan van Landre genannt, einen eiffrigen Liebhaber wahrnahm, dessen gantz besonderer Hertzens-Freund, Joseph van Zutphen, meine Schwester Philippinam ebenfalls aufs äuserste zu bedienen suchte. Eines Abends, da wir solcher Gestalt in zuläßigen Vergnügen beysammen sassen, und aus einem Glücks-Topffe, den Joseph van Zutphen mitgebracht hatte, allerhand lächerliche Loose zohen, bekam ich unter andern eines, worauf geschrieben stund: Ich müste mich von demjenigen, der mich am meisten liebte, 10. mahl küssen lassen. Hierüber entstund unter 6. anwesenden Manns-Personen ein Streit, welcher mir zu entscheiden, anheim [308] gestellet wurde, allein, um viele Weitläufftigkeiten zu vermeiden, sprach ich: Meine Herren! Man giebt mir ohnedem Schuld, daß ich eigensinnig und allzu wunderlich sey, derowegen lasset es dabey bewenden, und erlaubet mir, daß ich mein Armband auf den Boden der Kammer werffe, wer nun selbiges am ersten erhaschet, soll nicht allein mich 10. mahl küssen, sondern auch das Armband zum Angedencken behalten.
Dieser Vorschlag wurde von allen mit besondern Vergnügen angenommen, Joseph aber erwischte am allergeschwindesten das Arm-Band, welches Jan van Landre, der es an dem äusersten Ende nicht fest halten können, ihm überlassen muste. Jedoch er wandte sich zu ihm, und sagte mit grosser Bescheidenheit: Uberlasset mir, mein Bruder, nebst diesem Arm Bande euer darauf hafftendes Recht, wo es euch gefällig ist, zumal da ihr allbereits euer Theil habet, und versichert sein könnet, daß ich dergleichen Kostbarkeit nicht umsonst von euch zu empfangen begehre. Allein Joseph empfand dieses Ansinnen dermassen übel, daß er in hefftigster Erbitterung gegen seinen Freund also heraus fuhr: Wer hat euch die Briefe vorgelesen, Jan van Landre, da ihr behaupten wollet, wie ich allbereits mein Theil habe? Und was wollet ihr mit dergleichen niederträchtigen Zumuthungen bey mir gewinnen? Meinet ihr etwa, daß mein Gemüth so Pöbelhafft beschaffen als das eure? und daß ich eine Kostbarkeit verkaufen soll, die doch weder von euch noch eurer gantzen Freundschafft nach ihrem Werth bezahlet werden kan? Verschonet mich derowegen in Zukunfft [309] mit solchen thörichten Reden, oder man wird euch zeigen, wer Joseph van Zutphen sey.
Indem nun von diesen beyden jungen Stutzern einer so viel Galle und Feuer bey sich führete, als der andere, kam es gar geschwind zum hefftigsten Wort-Streite, und fehlete wenig, daß sie nicht ihre Degen-Klingen in unserer Gegenwart gemessen hätten, doch auf Zureden anderer wurde unter ihnen ein Schein-Friede gestifftet, der aber nicht länger währete, biß auf folgenden Morgen, da beyde mit erwählten Beyständen vor der Stadt einen Zwey Kampff unter sich vornahmen, in welchem Joseph von seinem vormahligen Hertzens-Freunde dem Jan tödtlich verwundet auf dem Platze liegen blieb; der Mörder aber seine Flucht nacht Frankreich nahm, von wannen er gar bald an mich die verliebtesten Briefe schrieb, und versprach, seine Sachen aufs längste binnen einem halben Jahre dahin zu richten, daß er sich wiederum ohne Gefahr in Middelburg dürffte sehen lassen, wenn er nur sichere Rechnung auf die Eroberung meines Hertzens machen könte.
Allein, bey mir war hinführo weder an die geringste Liebe noch Aussöhnung vor Jan van Landre zu gedencken, und ob ich gleich vor der Zeit seinetwegen mehr Empfindlichkeit als vor Joseph und andere Manns-Personen in mir verspüret, so löschete doch seine eigene mit Blut besudelte Hand und das klägliche Angedencken des meinetwegen jämmerlich Entleibten das kaum angezündete Fünklein der Liebe in meinem Hertzen auf einmahl völlig aus, mithin vermehrete sich mein angebohrnes melancholisches[310] Wesen dermassen, daß meinen Eltern dieserhalb nicht allzu wohl zu Muthe wurde, indem sie befürchteten, ich möchte mit der Zeit gar eine Närrin werden.
Meine Schwester Philippine hergegen, schlug ihren erstochenen Liebhaber in wenig Wochen aus dem Sinne, entweder weil sie ihn eben noch nicht starck genug geliebet, oder Lust hatte, dessen Stelle bald mit einem andern ersetzt zu sehen, denn sie war zwar voller Feuer, jedoch in der Liebe sehr behutsam und eckel. Wenige Zeit hernach stellete sich ein mit allen Glücks-Gaben wohlversehener Liebhaber bey ihr dar, er hatte bey einer Gasterey Gelegenheit genommen, meine Schwester zu unterhalten, sich in sie verliebt, den Zutritt in unser Hauß gefunden, ihr Herz fast gäntzlich gewonnen, und es war schon soweit gekommen, daß beyderseits Eltern das öffentliche Verlöbniß zwischen diesen Verliebten anstellen wolten, als dieser mein zukünfftiger Schwager, vor dem ich mich jederzeit verborgen gehalten hatte, meiner Person eines Tages unverhofft, und zwar in meiner Schwester Zimmer, ansichtig wurde. Ich wäre ihm gerne entwischt, allein, er verrannte mir den Paß, so, daß ich mich recht gezwungen sahe, seine Complimenten anzuhören und zu beantworten. Aber! welch ein Unglück entstunde nicht hieraus? Denn der thörichte Mensch, welcher nicht einmahl eine völlige Stunde mit mir umgangen war, veränderte so fort sein gantzes Vorhaben, und wirfft alle Liebe, die er bishero eintzig und allein zu meiner Schwester getragen hatte, nunmehro auf mich, ließ auch gleich folgendes Tages offenhertzig [311] bey den Eltern um meine Person anhalten. Dieses machte eine ziemliche Verwirrung in unserm Hause. Unsere Eltern wolten diese herrliche Parthie durchaus nicht fahren lassen, es möchte auch unter ihren beyden Töchtern betreffen, welche es wolte. Meine Schwester stellete sich über ihren ungetreuen Liebhaber halb rasend an, und ohngeacht ich hoch und teuer schwur, einem solchen Wetterhahne nimmer mehr die ehlige Hand zu geben, so wolte sich doch dadurch keines von allen Interessenten befriedigen lassen. Meine Schwester hätte mich gern mit den Augen er mordet, die Eltern wandten allen Fleiß an, uns zu versöhnen, und versuchten, bald den wankelmüthigen Liebhaber auf vorige Wege zu bringen, bald mich zu bereden, daß ich ihm mein Hertz schenken solte; Allein, es war so wohl eines als das andere vergeblich, indem ich bey meinem einmahl gethanen Schwure beständig zu verharren beschloß, und wenn es auch mein Leben kosten solte.
Wie demnach der Wetterhahn sahe, daß bey mir durchaus nichts zu erhalten war, fing er wiederum an, bey meiner Schwester gelinde Sayten aufzuziehen, und diese spielete ihre Person dermassen schalckhafft, biß er sich aus eigenem Antriebe bequemete, sie auf den Knien um Vergebung seines begangenen Fehlers, und um die vormahlige Gegen-Liebe anzusprechen. Allein, diese vermeinete nunmehro erstlich sich völlige Genugtuung vor ihre beleidigte Ehre zu verschaffen, sagte derowegen, so bald sie ihn von der Erde aufgehoben hatte: Mein Herr! ich glaube, daß ihr mich vor einiger Zeit vollkommen geliebt, auch so viel Merckmahle einer hertzlichen [312] Gegen-Liebe von mir empfangen habt, als ein rechtschaffener Mensch von einem honetten Frauenzimmer verlangen kan. Dem ohngeachtet habt ihr euer veränderliches Gemüthe unmöglich verbergen können. Jedoch es ist vorbey, und es soll euch Seiten meiner alles hertzlich vergeben seyn. Ich schwere auch zu GOTT, daß ich dieser wegen nimmermehr die geringste Feindschafft gegen eure Person hegen, anbey aber auch nimmermehr eure Ehe-Gattin werden will, weil die Furcht wegen der zukünfftigen Unbeständigkeit so wohl euch als mir bloß zur beständigen Marter und Quaal gereichen würde.
Alle Anwesenden stutzten gewaltig hierüber, wandten auch so wohl als der Neu-Verliebte allen Fleiß und Beredsamkeit an, meine Schwester auf bessern Sinn zu bringen, jedoch es halff alles nichts, sondern der unbeständige Liebhaber muste wohlverdienter Weise nunmehro bey beyden Schwestern durch den Korb zu fallen sich belieben lassen.
Solcher Gestalt nun wurden wir beyden Schwestern wiederum ziemlich einig, wiewohl die Eltern mit unsern eigensinnigen Köpffen nicht allerdings zufrieden waren, indem sich bey uns nicht die geringste Lust zu heyrathen, oder wenigstens mit Manns-Personen umzugehen zeigen wolte.
Endlich, da nach erwehnten unglücklichen Heyraths-Tractaten fast anderthalbes Jahr verstrichen war, fand ein junger, etwa 28. Cavalier allerhand artige Mittel, sich bey meiner Schwester einzuschmeicheln. Er hielt starcke Freundschafft mit meinen Brüdern, nennete sich Alexander de [313] la Marck, und war seinem Vorgeben nach von dem Geschlecht des Grafens Lumay de la Marck, der sich vor fast 100. Jahren durch die Eroberung der Stadt Briel in Diensten des Printzen von Oranien einen unsterblichen Ruhm erworben, und so zu sagen, den Grund zur Holländischen Republic gelegt hatte. Unsere Eltern waren mit seiner Anwerbung wohl zufrieden, weil er ein wohlgestalter, bescheidener und kluger Mensch war, der sein grosses Vermögen bey allen Gelegenheiten sattsam hervor blicken ließ. Doch wolten sie ihm das Jawort nicht eher geben, biß er sich deßfalls mit Philippinen völlig verglichen hätte. Ob nun diese gleich ihre Resolution immer von einer Zeit zur andern verschob, so wurde Alexander dennoch nicht verdrüßlich, indem er sich allzuwohl vorstellete, daß es aus keiner andern Ursache geschähe, als seine Beständigkeit auf die Probe zu setzen, und gegentheils wuste ihn Philippine jederzeit mit der holdseeligsten, doch ehrbarsten Freundlichkeit zu begegnen, wodurch seine Gedult und langes Warten sehr versüsset zu werden schien.
Meiner Schwester, Brüdern und ihm zu Gefallen, ließ ich mich gar öffters mit bey ihren angestellten Lustbarkeiten finden; doch aber durchaus von keinem Liebhaber ins Netz bringen, ob sich schon viele deßwegen ziemliche Mühe gaben. Gallus van Witt, unser ehemaliger Liebster, gesellete sich nach und nach auch wieder zu uns, ließ aber nicht den geringsten Unmuth mehr, wegen des empfangenen Korbes, spüren, sondern zeigte ein beständiges freyes Wesen, und sagte ausdrücklich, [314] daß, da es ihm im Lieben auf doppelte Art unglücklich ergangen, er nunmehro fest beschlossen hätte, nimmermehr zu heyrathen. Meine Schwester wünschte ihn also einsmahls, daß er dergleichen Sinnen ändern, hergegen uns alle fein bald auf sein Hochzeit-Fest zu seiner vollkommen schönen Liebste, einladen möchte. Da er aber hierbey mit dem Kopffe schüttelte, sagte ich: So recht Mons. de Witt, nunmehro bin ich euch vor meine Person desto günstiger, weil ihr so wenig Lust als ich zum Heyrathen bezeiget. Er erröthete hierüber und versetzte: Mademoiselle, ich wäre glücklich genung, wenn ich nur den geringsten Theil eurer beyder Gewogenheit wieder erlangen könnte, und euch zum wenigsten als ein Freund oder Bruder lieben dürfte, ob ihr gleich beyderseits mich zu lieben, und ich gleichfalls das Heyrathen überhaupt verredet und verschworen. Es wird euch, sagte hierauff Philippine, mit solchen Bedingungen jederzeit erlaubt, uns zu lieben und zu küssen.
Auf dieses Wort unterstund sich van Witt die Probe mit küssen zu machen, welches wir ihm als einen Schertz nicht verweigern konten, nachhero führete er sich aber bey allen Gelegenheiten desto bescheidener auf.
Eines Tages brachten de la Marck, und meine Brüder, nicht allein den Gallus de Witt, sondern auch einen unbekannten vornehmen See-Fahrer mit sich, der erst neulich von den Bantamischen und Moluccischen Insuln, in Middelburg angelanget war; und wie er sagte, ehester Tages wieder dahin seegeln wolte. Mein Vater hatte so wol als wir [315] andern alle, ein grosses Vergnügen, dessen wundersame Zufälle und den glückseeligen Zustand selbiger Insuln, die der Republic so Vortheilhafftig wären, anzuhören, schien sich auch kein Bedencken zu nehmen, mit der Zeit, einen von seinen Söhnen auf einem Schiffe dahin auszurüsten, worzu denn der Jüngere mehr Lust bezeigte, als der Aeltere. Damit er aber mit diesem erfahrnen See-Manne in desto genauere Kundschafft kommen möchte, wurde derselbe in unserm Hause 3. Tage nach einander aufs beste bewirthet. Nach deren Verlauff bat sich der See-Fahrer bey meinem Vater aus: derselbe möchte seinen vier Kindern erlauben, daß sie nebst Alexander de la Mark und Gallus van Witt, auf seinem Schiffe, selbiges zu besehen, einsprechen dürfften, allwo er dieselben zur Danckbarkeit vor genossene Ehren-Bezeugung so gut als möglich bewirthen, und mit einigen ausländischen geringen Sachen beschencken wolte.
Unsere Eltern liessen sich hierzu leichtlich bereden, also wurden wir gleich folgenden Tages um Mittags-Zeit, von unsern aufgeworffenen Wohlthäter abgeholet und auf sein Schiff geführet, wiewohl mein jüngster Bruder, der sich vergangene Nacht etwas übel befunden hatte, zu Hause bleiben muste. Auf diesem Schiffe fanden wir solche Zubereitungen, deren wir uns nimmermehr versehen hatten, denn die Segel waren alle vom schönsten seidenen Zeuge gemacht, und die Tauen mit vielerley farbigen Bändern umwunden, Ruder und anderes Holzwerk gemahlet und verguldet, und das Schiff inwendig mit den schönstenTapeten ausgeschlagen, [316] wie denn auch die Boots-Leute in solche Liberey gekleidet waren, dergleichende la Mark und Witt ihren Bedienten zu geben pflegten. Ehe wir uns hierüber sattsam verwundern konten, wurde die Gesellschafft durch Ankunfft noch zweyerDamen, und eines wohlgekleydeten jungen Menschen verstärkt, welchen mein Bruder William, auf geheimes Befragen, vor einen französischen jungen Edelmann Nahmens Henry de Frontignan, das eine Frauenzimmer aber, vor seine Schwester Margarithe, und die andere vor dessen Liebste, Antonia de Beziers ausgab. Meine Schwester und ich hatten gar kein Ursach, an unsers Bruders Bericht zu zweiffeln, liessen uns derowegen gar bald mit diesen schönen Damen ins Gespräche ein, und fanden dieselben so wohl, als den vermeynten Frantzösischen Edelmann, von gantz besonderer Klugheit und Beredsamkeit.
Es war angestellet, daß wir auf dem Ober-Deck des Schiffs in freyer Lufft speisen solten, da aber ein in Seeland nicht ungewöhnlicher Regen einfiel, muste dieses unter dem Verdeck geschehen. Mein Bruder that den Vorschlag, was massen es uns allen zu weit grössern Vergnügen gereichen würde, wenn uns unser Wirth bey so guten Winde eine Meile oder etwas weiter in die See, und gegen Abend wieder zurück führen ließe, welches denn niemanden von der Gesellschafft zuwider war, vielmehr empfanden wir so wohl hiebey, als an den herrlichen Tractamenten, wohlklingenderMusic, und nachhero an allerhand ehrbaren Lust-Spielen einen besondern Wohlgefallen. Weil aber unser [317] Wirth, Wetters- und Windes wegen, alle Schau-Löcher hatte zu nageln, und bey hellem Tage Wachs-Lichter anzünden lassen, so kunten wir bey so vielen Lustreichen Zeitvertreibungen nicht gewahr werden, ob es Tag oder Nacht sey, biß die Sonne allbereit vor 2. oder 3. Stunden untergegangen war. Mir kam es endlich sehr bedencklich vor, daß unsere Manns-Personen einander den Wein ungewöhnlich starck zutranken, auch daß die beyden Frantzösischen Damen fast so gut mit sauffen konten als das Manns-Volk. Derowegen gab ich meiner Schwester einen Winck, welche sogleich folgte, und mit mir auf das Oberdeck hinauff stieg, da wir denn, zu unser beyder grösten Mißvergnügen, einen schwartz gewölckten Himmel, nebst annoch anhaltenden starcken Regen, um unser Schiff herum lauter schäumende Wellen entsetzlich, von ferne aber, den Glantz eines kleinen Lichts gewahr wurden.
Es wurde gleich verabredet unsern Verdruß zu verbergen, derowegen fing meine Schwester, so bald wir wieder zur andern Gesellschafft kamen, nur dieses zu sagen an: Hilff Himmel meine Freunde! es ist allbereits Mitternacht. Wenn wollen wir wieder nach Middelburg kommen? und was werden unsere Eltern sagen? Gebet euch zufrieden meine Schwestern, antwortete unser Bruder William, ich will bey den Eltern alles verantworten, folget nur meinem Beispiele, und lasset euch von euren Liebhabern also umarmen, wie ich diesen meinen Hertzens-Schatz umarme. Zu gleicher Zeit nahm er die Margarithe vom Stuhle, und setzte sie auf [318] seinen Schooß, welche alles geduldig litte, und als die ärgste Schand-Metze mit sich umgehen ließ. Der vermeynte Edelmann, Henry, that mit seiner Buhlerin ein gleiches, jedoch Alexander undGallus scheueten sich dem Ansehen nach noch in etwas, mit uns beyden Schwestern auf eben diese Arth zu verfahren, ohngeachtet sie von unsern leiblichen Bruder hierzu trefflich angefrischet wurden.
Philippine und ich erstauneten über dergleichen Anblick, wusten aber noch nicht, ob es ein Schertz heissen solte, oder ob wir im Ernst verrathen oder verkaufft wären. Jedennoch verliessen wir die unkeusche Gesellschafft, rufften Gegenwärtige meine Schwägerin, des edlen Stephani noch itzige Ehe-Gemahlin, damahls aber, als unsere getreue Dienerin herbey, und setzten uns, in lauter verwirrten Gedancken, bey einer auf dem Oberlof des Schiffs brennend stehenden Laterne nieder.
Der verfluchte Wohlthäter, nemlich unser vermeintlicher Wirth, welcher sich als ein Vieh besoffen hatte, kam hinauff und sagte mit stammlender Zunge: Sorget nicht ihr schönen Kinder! ehe es noch einmahl Nacht wird, werdet ihr in euren Braut-Bette liegen. Wir wolten weiter mit ihm reden; Allein das überflüßig eingeschlungene Geträncke suchte seinen Außgang bey ihm überall, auf so gewaltsame Art, daß er auf einmahl als ein Ochse darnieder stürtzte, und uns, den gräßlichen Gestank zu vermeiden, eine andere Stelle zu suchen zwunge.
Philippine und ich waren bey dergleichen schändlichen spectacul fast ausser Sinnen gekommen, und [319] fielen in noch stärckere Verzweiffelung, als gegenwärtige unsere getreue Sabina plötzlich in die Hände schlug, und mit ängstlichen Seuffzen schrye: Ach meine liebsten Jungfrauen! Wir sind, allem Ansehen nach, schändlich verrathen und verkaufft, werden auch ohne ein besonderes Wunderwerk des Himmels, weder eure Eltern, noch die Stadt Middelburg jemals wieder zu sehen kriegen. Derowegen lasset uns nur den festen Entschluß fassen, lieber unser Leben, als die Keuschheit und Ehre zu verlieren. Auf ferneres Befragen gab sie zu verstehen; Daß ein ehrliebender auf diesem Schiffe befindlicher Reisender ihr mit wenig Worten so viel gesagt: Daß sie an unsern bevorstehenden Unglücke nicht den geringsten Zweifel tragen könne.
Wie gesagt, wir hätten solchergestalt verzweiffeln mögen, und musten unter uns Dreien alle Mittel anwenden, der bevorstehenden Ohnmacht zu entgehen; als ein resoluter Teutscher, Nahmens Simon Heinrich Schimmer, Jacob Larson ein Schwede, und gegenwärtiger David Rawkin ein Engelländer, (welche alle Drey nachhero allhier meine werthen Schwäger worden sind,) nebst noch 2. andern redlichen Leuten, zu unserm Troste bey uns erschienen. Schimmer führete das Wort in aller stille, und sagte: Glaubet sicherlich, schönsten Kinder, daß ihr durch eure eigenen Anverwandten und Liebhaber verrathen worden. Zum Unglück haben ich und diese redlichen Leute solches itzo erst vor einer Stunde von einem getreuen Boots-Knechte erfahren, da wir schon sehr weit vom festen Lande entfernet sind, sonsten wolten wir euch gar bald in [320] Freyheit gesetzt haben; Allein nunmehro ist es unmöglich, wir hätten denn das Glück uns in künfftigen Tagen einen stärckern Anhang zu verschaffen. Solte euch aber immittelst Gewalt angethan werden, so ruffet um Hülffe, und seid völlig versichert, daß zum wenigsten wir 5. wehrhafften Leute, ehe unser Leben dran setzen, als euch schänden lassen wollen.
Wir hatten kaum Zeit, drey Worte, zu bezeugung unserer erkänntlichen Danckbarkeit, gegen diese 5. vom Himmel zugesandten redlichen Leute, vorzubringen; als unser leichtfertiger Bruder, von de la Mark und Witt begleitet, herzu kamen, uns hinunter zu holen. Witt stolperte über den in seinem Unflath liegenden Wirth her, und balsamierte sich und seine Kleider so, daß er sich als eine Bestie hinweg schleppen lassen muste, William sank gleichfalls, da er die freye Lufft empfand, zu Boden, de la Mark aber war noch bey ziemlichen Verstande, und brachte es durch viele scheinheilige Reden und Liebkosungen endlich dahin, daa Philippine, ich und unsere Sabina, uns endlich betäuben liessen, wieder hinunter in die Cajute zu steigen.
Aber, o welch ein schändlicher Spectacul fiel uns allhier in die Augen. Der saubere Frantzösische von Adel saß, zwischen den zweyen verfluchten Schand-Huren, Mutternackend vor dem Camine, und zwar in einer solchen ärgerlichen Stellung, daß wir mit lauten Geschrey zurück fuhren, und uns in einen besondern Winckel mit verhülleten Angesichtern versteckten.
De la Mark kam hinter uns her, und wolte aus [321] der Sache einen Schertz machen, allein Philippine sagte: Bleibet uns vom Halse ihr vermaledeyten Verräter, oder der erste, der uns angreifft, soll auf der Stelle mit dem Brod-Messer erstochen werden. Weiln nun de la Mark spürete, daß wenig zu thun sey, erwartete er so wol, als wir, in einem andern Winckel des Tages. Dieser war kaum angebrochen, als wir uns in die Höhe machten und nach dem Lande umsahen, allein es wolte sich unsern begierigen Augen, ausser dem Schiffe, sonsten nichts zeigen, als Wasser und Himmel. Die Sonne ging ungemein hell und klar auf, fand alle andern im festen schlafe liegen, uns drey Elenden aber in schmertzlichen Klagen und heissen Thränen, die wir anderer Menschen Boßheit wegen zu vergiessen Ursach hatten.
Kaum hatten die vollen Sauen den Rausch ausgeschlafen, da die gantze ehrbare Zunfft zum Vorscheine kam, und uns, mit ihnen Caffee zu trinken nöthigte. An statt des Morgen-Grusses aber, lasen wir unserm gottlosen Bruder ein solches Capitel, worüber einem etwas weniger ruchlosen Menschen hätten die Haare zu Berge stehen mögen. Doch dieser Schand-Fleck der Natur verlachte unsern Eifer anfänglich, nahm aber hernach eine etwas ernsthafftere miene an, und hielt folgende Rede: Lieben Schwestern, seyd versichert, daß, ausser meiner Liebsten Margaretha, mir auf der Welt niemand lieber ist als ihr, und meine drey besten Freunde, nemlich: Gallus, Alexander undHenry. Der erste, welcher dich Judith aufs allerheftigste liebet, ist zur gnüge bekannt. Alexander, ob er gleich bißhero [322] so wol als Henry nur ein armer Schlucker gewesen; hat alle Eigenschafften an sich, Philippinen zu vergnügen, und vor die gute Sabina wird sich auch bald ein braver Kerl finden. Derowegen, lieben Seelen, schicket euch in die Zeit. Nach Middelburg wiederum zu kommen, ist unmöglich, alles aber, was ihr nöthig habt, ist auf diesem Schiff vorrätig anzutreffen. Auf der Insul Amboina werden wir unsere zukünfftige Lebens-Zeit ingesamt in grösten Vergnügen zubringen können, wenn ihr nur erstlich eure eigensinnigen Köpffe in Ordnung gebracht, und nach unserer Lebens-Art eingerichtet habt.
Nunmehro war mir und meiner Schwester ferner unmöglich, uns einer Ohnmacht zu erwehren, also sanken wir zu Boden, und kamen erstlich etliche Stunden hernach wieder in den Stand, unsere Vernunfft zu gebrauchen, da wir uns denn in einer besondern Schiffs-Kammer allein, unter den Händen unserer getreuen Sabina befanden. Diese hatte mittlerweile von den beyden schändlichen Dirnen das gantze Geheimniß, und zwar folgenden Umständen nach, erfahren.
Gallus van Witt, als der Haupt-Urheber unsers Unglücks, hat gleich nach seinem, bey beyden Schwestern umgeschlagenen Liebes-Glücke, die allervertrauteste Freundschafft mit unserm Bruder William gemacht, und demselben vorgestellet: Daß er ohnmöglich leben könne, er müsse denn eine von dessen Schwestern zur Frau haben, und solte er auch sein gantzes Vermögen, welches bey nahe in 2. Tonnen Goldes bestünde, dran setzen. William versichert [323] ihn seines geneigten Willens hierüber, verspricht sich in allen zu seinen Diensten, und beklagt nur, daß er kein Mittel zu erfinden wisse, seines Hertzens-Freundes Verlangen zu stillen. Gallus aber, der seit der Zeit beständig, so wohl auf einen gewaltsamen, als listigen Anschlag gesonnen, führet den William zu dem liederlichen Comœdianten-Volcke, nemlich: Alexandern, Henry, Antonien und Margarithen, da sich denn derselbe sogleich aufs allerhefftigste in die Letztere verliebt, ja sich ihr und den übrigen schändlichen Verräthern gantz zu eigen ergibt. Alexander wird demnach, als der Ansehnlichste, auf des Gallus Unkosten, in solchen Stand gesetzt, sich als einer der vornehmsten Cavaliers aufzuführen und um Philippinen zu werben, mittlerweile kleiden sie einen alten verunglückten See-Räuber, vor einen erfahrnen Ost-Indien-Fahrer an, der unsere Eltern und uns betrügen helffen, ja uns armen einfältigen Kinder in das verfluchte Schiff locken muß, welches Gallus und mein Bruder, zu unserm Raube, so fälschlich mit grossen Kosten ausgerüstet hatten, um damit einen Farth nach denMoluccischen Insuln vorzunehmen. Der letztere, nemlich mein Bruder, hatte nicht allein den Eltern eine erstaunliche Summe Geldes auf listige Art entwendet, sondern auch Philippinens, und meine Kleinodien und Baarschafften mit auf das Schiff gebracht, damit aber doch ja unsere Eltern ihrer Kinder nicht alle auf einmahl beraubt würden, gibt der verteuffelte Mensch dem jüngern Bruder, Abends vorhero, unvermerckt ein starckes Brech-Pulver ein, damit er künfftigen Tages bey der [324] Schiffs-Lust nicht erscheinen, und folglich in unserer Entführung keine Verhinderung machen könne.
Bei solchen unerhörten schändlichen Umständen sahen wir also vollkommen, daß vor uns keine Hoffnung übrig war diesem Unglücke zu entgehen, derowegen ergaben wir uns fast gäntzlich der Verzweiffelung, und wolten uns in der ersten Wuth mit den Brod-Messern selbst ermorden, doch dem Himmel sey Danck, daß unsere liebste und getreuste Sabina damahls weit mehr Verstand als wir besaß, unsere Seelen aus des Satans Klauen zu erretten. Sie wird sich annoch sehr wohl erinnern können, was sie vor Arbeit und Mühe mit uns beyden unglücklichen Schwestern gehabt, und wie sie endlich, da nichts verfangen wolte, in solche Heldenmüthige Worte ausbrach: Fasset ein Hertze, meine gebiethenden Jungfrauen! Lasset uns abwarten, wer sich unterstehen will uns zu schänden, und solche Teufels erstlich ermorden, hernach wollen wir uns der Barmhertzigkeit des Himmels überlassen, die es vielleicht besser fügen wird als wir vermeynen.
Kaum hatte sie diese tapffern Worte ausgesprochen, so wurde ein großer Lermen im Schiffe, und Sabina zohe Nachricht ein, daß ein See-Räuber uns verfolgte, auch vielleicht bald Feuer geben würde. Wir wünschten, daß es ein Frantzose oder Engelländer seyn, der immerhin unser Schiff erobern, und alle Verräther todt schlagen möchte, so hätten wir doch ehe Hoffnung gegen Versprechung einer starcken ranzion, von ihm Ehre und Freyheit zu erhalten. Allein weil der Wind unsern Verräthern günstiger, ausserdem auch unser Schiff sehr [325] wol bestellt, leicht und flüchtig war, so brach die Nacht abermals herein, ehe was weiters vorgieng.
Wir hatten den gantzen Tag ohne Essen sind Trincken zugebracht, liessen uns aber des Nachts von Sabina bereden, etwas zu geniessen, und da weder William noch jemand anders, noch zur Zeit das Hertz hatte vor unsere Augen zu kommen, so verwahreten wir unsere Kammer aufs Beste, und gönneten den von Thränen geschwächten Augen, eine wiewohl sehr ängstliche Ruhe.
Folgendes Tages befanden sich Philippine und Sabina so wohl als ich in erbärmlichen Zustande, denn die gewöhnliche See-Kranckheit setzte uns dermassen hefftig zu, daß wir nichts gewissers als einen baldigen und höchstgewünschten Tod vermutheten; Allein der Himmel hatte selbigen noch nicht über uns verhänget, denn, nachdem wir über 15. Tage im ärgsten phantasieren, ja völligen Rasen zugebracht; ließ es sich nicht allein zur Besserung an, sondern unsere Gesundheit wurde nachhero, binnen etlichen Wochen, wider unsern Willen, völlig hergestellet.
Zeitwährender unserer Kranckheit, hatten sich nicht allein die ehrbaren Damen, sondern auch die übrigen Verräter wegen unserer Bedienung viele Mühe geben wollen, waren aber jederzeit garstig empfangen worden. Indem wir ihnen öffters ins Gesichte gespyen, alles, was wir erlangen können, an die Köpffe geworffen, auch allen Fleiß angewendet hatten, ihnen die verhurten Augen auszukratzen. Weßwegen sie endlich vor dienlicher erachtet, sich [326] abwesend zu halten, und die Bedienung einer schon ziemlich alten Magd, welche vor Antonien und Margarithen mitgenommen war, zu überlassen. Nachdem aber unsere Gesundheit wiederum gäntzlich erlangt, und es eine fast unmögliche Sache war, beständig in der düstern Schiffs-Kammer zu bleiben, begaben wir uns, auf unserer liebsten Sabine öffteres Bitten, auf das Obertheil des Schiffs, um bey damahligen schönen Wetter frische Lufft zu schöpffen. Unsere Verräther waren dieses kaum gewahr worden, da die gantze Schaar hertzu kam, zum neuen guten Wohlstande Glück wünschte und hoch betheurete, daß sich unsere Schönheit nach überstandener Kranckheit gedoppelt hervor thäte. Wir beantworteten aber alles dieses mit lauter verächtlichen Worten und Gebärden, wolten auch durchaus mit ihnen keine Gemeinschafft pflegen, liessen uns aber doch endlich durch alltägliches demüthiges und höffliches Zureden bewegen, in ihrer Gesellschafft zu essen und zu trinken, hergegen erzeigten sich unsere standhafften Gemüther desto ergrimmter, wenn etwa Gallus oder Alexander etwas verliebtes vorbringen wolten.
William unterstund sich, uns dieserwegen den Text zu lesen, und vorzustellen, wie wir am klügsten thäten, wenn wir den bißherigen Eigensinn und Widerwillen verbanneten, hergegen unsern Liebhabern gutwillig den Zweck ihres Wunsches erreichen liessen, ehe sie auf verzweyffelte, uns vielleicht noch unanständigere Mittel gedächten, denen wir mit aller unserer Macht nicht widerstehen könnten, da zumahlen alle Hoffnung zur Flucht, oder anderer [327] Erlösung nunmehro vergebens sey. Allein dieser verfluchte Kuppler wurde mit wenigen, doch dermassen hitzigen Worten, und Geberden dergestalt abgewiesen, daß er als ein begossener Hund, wiewohl unter hefftigen Drohungen zurücke ging, und seinen Absendern eine gantz unangenehme Antwort brachte. Sie kamen hierauff selbst, um ihr Heyl nochmals in der Güte, und zwar mit den allerverliebtesten und verpflichtetsten Worten und Betheurungen, zu versuchen, da aber auch diesesmal ihr schändliches Ansinnen verdammet und verflucht, auch ihnen der verwegne Jungfrauen-Raub behertzt zu Gemüthe geführet und zugeschworen wurde, daß sie in alle Ewigkeit kein Theil an uns überkommen solten, hatten wir uns abermals auf etliche Wochen Friede geschafft.
Endlich aber wolte die geile Brunst dieser verhurten Schand-Buben sich weiter durch nichts unterdrücken lassen, sondern in volle Flammen ausbrechen, denn wir wurden einstens in der Nacht von dreyen Schelmen, nemlich Alexander, Gallus und dem Schiffs Quartiermeister plötzlich überfallen, die uns nunmehro mit Gewalt ihren vermaledeyten geilen Lüsten aufopffern wolten. Indem wir uns aber dergleichen Boßheit schon vorlängst träumen lassen, hatten so wohl Philippine und Sabina als ich, beständig ein blosses Taschen-Messer unter dem Haupte zurechte gelegt, und selbiges allbereit zur Wehre gefasset, da unsere Kammer in einem Augenblicke aufgestossen wurde. Alexander warff sich auf meine Schwester,Gallus auf mich, und der Quartiermeister auf die ehrliche Sabinen. [328] Und zwar mit solcher furie, daß wir Augenblicklich zu ersticken vermeynten. Doch aus dieser angestellten schändlichen Comœdie, ward gar bald eine blutige Tragœdie, denn da wir nur ein wenig Lufft schöpfften, und das in den Händen verborgene Gewehr anbringen konten, stiessen wir fast zu gleicher Zeit auf die verfluchten Huren-Hängste loß, so daß unsere Kleider von den schelmischen hitzigen Geblüte ziemlich bespritzt wurden.
Der Quartiermeister blieb nach einem eintzigen außgestossenen brüllenden Seuffzer, stracks todt auf der Stelle liegen, weil ihm die tapffere Sabina, allen Vermuthen nach, mit ihrem grossen und scharffen Messer das Hertz gäntzlich durchstossen hatte. Alexander, den meine Schwester durch den Hals, undGallus, welchen ich in die lincke Bauch-Seite gefährlich verwundet, wichen taumelnd zurück, wir drey Zitterenden aber, schryen aus vollem Halse Zeter undMordio.
William und Henry kamen hertzu gelauffen und wolten Miene machen, ihrer schelmischen Mit-Brüder Blut mit dicken Knütteln an uns zu rächen, zu gleicher Zeit aber erschienen der tapffere Schimmer, Larson, Rawkin und etwa noch 4. oder 6. andere redliche Leute, welche bald Stillestand machten, und uns in ihren Schutz nahmen, auch Angesichts aller andern theuer schwuren, unsere Ehre biß auf die letzte Minute ihres Lebens zu beschirmen. William und Henry musten also nicht allein mit ihrem Anhange zu Creutze kriechen, sondern sich so gar mit ihren Huren aus der besten Schiffs-Kammer heraus werffen lassen, in welche wir eingewiesen, [329] und von Schimmers Anhang Tags und Nachts hindurch wol bewahret wurden. Das schändliche Aas des Quartiermeisters wurde als ein Luder ins Meer geworffen, Alexander und Gallus lagen unter den Händen des Schiffs-Barbieres, Schimmer aber und sein Anhang spieleten den Meister auf dem Schiffe, und setzten die andern alle in ziemliche Furcht, ja da der alte sogenannte Schiffs-Capitain, nebst William und Henry, sich von neuen mausig machen wolten, fehlete es nicht viel, daß beyde Parteyen einander in die Haare gerathen wären, ohngeacht niemand sichere Rechnung machen konte, welches die stärkste wäre.
Solcher Verwirrung ohngeacht wurde die Reise nach Ost-Indien bey favorablen Winde und Wetter dennoch immer eifferig fortgesetzt, welches uns zwar höchst mißfällig war, doch da wir gezwungener Weise dem Verhängniß stille halten musten, richteten sich unsere in etwas ruhigere Sinnen einzig und allein dahin, dessen Ziel zu errathen.
Die um die Gegend des grünen Vor-Gebürges sehr scharf kreuzenden See-Räuber, verursachten so viel, daß sich die streitigen Partheyen des Schiffes auf gewisse Puncte ziemlich wieder vereinigten, um den gemeinschafftlichen Feinden desto bessern Widerstand zu thun, worunter aber der Haupt-Punkt war, daß man uns 3. Frauenzimmer nicht im geringsten kräncken, sondern mit geziemenden Respect alle selbst beliebige Freyheit lassen solte. Demnach lebten wir in einigen Stücken ziemlich vergnügt, kamen aber mit keinem Fusse an Land, ohngeacht schon 3. mal unterwegs frisch Wasser [330] und Victualien von den herum liegenden Insuln eingenommen worden. Gallus undAlexander, die nach etlichen Wochen von ihren gefährlichen Wunden völlig hergestellet waren, scheuen sich uns unter Augen zu treten, William und Henry redeten ebenfalls so wenig, als ihre Huren mit uns, und kurtz zu sagen: Es war eine recht wunderliche Wirthschafft auf diesem Schiffe, biß uns ein Æthiopischer See-Räuber dermassen nahe kam, daß sich die Unserigen genöthiget sahen, mit möglichster Tapferkeit entgegen zu gehen.
Es entstunde dannenhero ein heftiges Treffen, worinnen endlich gegen Abend der Mohr überwunden wurde, und sich mit allen, auf seinem Raub-Schiffe befindlichen, zur Beute übergeben muste. Hierbey wurden 13. Christen-Sclaven in Freyheit, hergegen 29. Mohren in unsere Sclaverey gebracht, anbey verschiedene kostbare Waaren und Kleinodien unter die Siegenden vertheilet, welche nicht mehr als 5. Todte und etwa 12. oder 16. Verwundete zehleten. Nachhero entstund ein grosser Streit, ob das eroberte Schiff versenckt, oder beybehalten werden solte. Gallus und sein Anhang verlangten das Versencken, Schimmer aber setzte sich mit seiner Partey dermassen starck darwider, biß er in so weit durchdrunge, daß alles Volk auf die zwey Schiffe ordentlich getheilet wurde. Also kam Schimmer mit seinem Anhange, worunter auch ich, Philippine und Sabina begriffen waren, auf das Mohrische Schiff, konte aber dennoch nicht verwehren, daß Gallus und Alexander auf selbigem das Commando überkamen, dahingegen William [331] undHenry nebst ihren Schand-Metzen auf dem ersten Schiffe blieben, und aus besonderer Güte eine erbeutete Schand-Hure, die zwar dem Gesichte nach eine weisse Christin, aber ihrer Aufführung nach ein von allen Sünden geschwärztes Luder war, an Alexandern und Gallus zur Nothelfferin überliessen. Dieser Schand Balg, deren Geilheit unaussprechlich, und die, so wohl mit dem einem als dem andern, das verfluchteste Leben führete, ist nebst uns noch biß hieher auf diese Insul gekommen, doch aber gleich in den ersten Tagen verreckt.
Jedoch behöriger Ordnung wegen, muß in meiner Erzehlung melden, daß damahls unsere beyden Schiffe ihren Lauff eiffrigst nach dem Vorgebürge der guten Hoffnung richteten, aber durch einen lange anhaltenden Sturm davon abgetrieben wurden. Das Middelburgische Schiff verlohr sich von dem Unsern, kam aber am fünfften Tage unverhofft wieder zu uns, und zwar bey solcher Zeit, da es schiene, als ob alles Ungewitter vorbey wäre, und das schönste Wetter zum Vorscheine kommen wolte. Wir ruderten ihm mit möglichsten Kräfften entgegen, weil unsern Commandeurs, die, nebst ihren wenigen Getreuen, wenig oder gar nichts von der künstlichen Seefahrt verstunden, an dessen Gesellschafft nur allzu viel gelegen war. Allein, nach meinen Gedancken hatte die Allmachts-Hand des Allerhöchsten dieses Schiff keiner andern Ursache wegen wieder so nahe zu uns geführet, als, uns allen an demselben ein Zeichen seiner strengen Gerechtigkeit sehen zu lassen, denn wir waren kaum noch [332] eines Büchsen-Schusses weit von einander, als es mit einem entsetzlichen Krachen plötzlich zerschmetterte, und theils in die Lufft gesprengt, theils Stück- weise auf dem Wasser aus einander getrieben wurde, so, daß hiervon auch unser Schiff sich grausamer Weise erschütterte, und mit Pfeil-mäßiger Geschwindigkeit eines Canonen-Schusses weit zurück geschleudert wurde. Dennoch richteten wir unsern Weg wieder nach der unglückseeligen Stelle, um vielleicht noch einige im Meere zapplende Menschen zu erretten, allein, es war hieselbst keine lebendige Seele, auch sonsten nichts als noch einige zerstückte Balcken und Breter anzutreffen.
Was dieser unverhoffte Streich in unsern und der übrigen Gesellschafft Gemüthern vor verschiedene Bewegungen mag verursachet haben, ist leichtlich zu erachten. Wir Schwestern beweineten nichts, als unsers in seinen Sünden hingerafften Bruders arme Seele, erkühneten uns aber nicht, über die Straff-Gerichte des Allerhöchsten Beschwerde zu führen. WieAlexandern und Gallus zu Muthe war, ließ sich leichtlich schliessen, indem sie von selbigem Tage an keine fröliche Miene mehr machen, auch sich um nichts bekümmern konten, sondern das Commando an Mons. Schimmern gutwillig überliessen, der, gegen den nochmahls entstehenden Sturm, die besten und klügsten Verfassungen machte. Selbiger hielt abermahls biß auf den 6ten Tag, und hatte alle unsere Leute dermassen abgemattet, daß sie wie die Fliegen dahin fielen, und nach gehaltener Ruhe im Essen und Trincken die verlohrnen Kräffte wieder suchten, [333] ob schon kein eintziger eigentlich wissen konte, um welche Gegend der Welt wir uns befänden.
Fünff Wochen lieffen wir also in der Irre herum, und hatten binnen der Zeit nicht allein viele Beschädigungen an Schiffe erlitten, sondern auch alle Ancker, Mast und besten Seegel verlohren, und zum allergrösten Unglücke ging mit der 6ten Woche nicht allein das süsse Wasser, sondern auch fast aller Proviant zum Ende, doch hatte der ehrliche Schimmer die Vorsicht gebraucht, in unsere Kammer nach und nach heimlich so viel einzutragen, worvon wir und seine Freunde noch einige Wochen länger als die andern gut zu leben hatten; dahingegen Alexander, Gallus und andere allbereit anfangen musten, Leder und andere noch eckelere Sachen zu ihrer Speise zu suchen.
Endlich mochte ein schändlicher Bube unsere liebeSabina an einem harten Stücke Zwieback haben nagen sehen, weßwegen so gleich ein Lermen entstund, so, daß viele behaupten wolten, es müste noch vor alle Vorrath genug vorhanden seyn. Derowegen rotteten sich etliche zusammen, brachen in unsere Kammer ein, und da sie noch vor etwa zehn Personen auf 3. Wochen Speise darinnen fanden, wurden wir dieser wegen erbärmlich, ja fast biß auf den Tod von ihnen geprügelt. Mons. Schimmer hatte dieses Lerm nicht so bald vernommen, als er mit seinen Freunden herzu kam, und uns aus ihren Händen retten wolte, da aber so gleich einer von seiner Partey darnieder gestochen wurde, kam es zu einem solchen entsetzlichen Blutvergiessen, daß, wenn ich noch daran gedencke, mir die Haare zu [334] Berge stehen. Alexander und Gallus, welche sich nunmehro als öffentliche Rädels-Führer und abgesagte Feinde darstelleten, auchSchimmern ziemlich ins Haupt verwundet hatten, musten alle beyde von seinen Händen sterben, und da die andern seiner Löwen-mäßigen Tapfferkeit nachahmeten, wurden ihre Feinde binnen einer Stunde meistens vertilget, die übrigen aber baten mit Aufzeigung ihrer blutigen Merckmahle um Gnade und Leben.
Es waren nunmehro in allen noch 25. Seelen auf dem Schiffe, worunter 5. Mohren und das schändliche Weibs-Bild begriffen waren, diese letztere wolteSchimmer durchaus ins Meer werfen, allein auf mein und meiner Schwester Bitten ließ ers bleiben. Aller Speise-Vorrath wurde unter die Guten und Bösen in zwey gleiche Theile getheilet, ohngeacht sich der Frommen ihrer 14. der Bösen aber nur 11. befanden, nachdem aber das süße Wasser ausgetrunken war, und wir uns nur mit zubereiteten See-Wasser behelfen musten, riß die schädliche Kranckheit, nehmlich der Schaarbock, als mit welchen ohnedem schon viele befallen worden, auf einmahl dermassen hefftig ein, daß in wenig Tagen von beyden Theilen 10. Personen sturben. Endlich kam die Reihe auch an meine liebe Schwester, welche ich mit bittern Thränen und Sabinens getreuer Hülffe auf ein Bret band, und selbige den wilden Fluthen zum Begräbniß übergab. Es folgten ihr kurtz darauf noch 5. andere, die theils vom Hunger, theils von der Kranckheit hingerafft wurden, und da wir übrigen, nemlich: Ich, Sabina, Schimmer, Larson, Rawkin, [335] Schmerd, Hulst, Farding, und das schändliche Weibs-Bild, die sich Clara nennete, auch nunmehro weder zu beissen, noch zu brocken hatten, über dieses von erwehnter Kranckheit hefftig angegriffen waren, erwarteten wir fast täglich die letzte Stunde unseres Lebens. Allein, die sonderbare gnädige Fügung des barmhertzigen Himmels führete uns endlich gegen diesen von aussen wüste scheinenden Felsen, in der That aber unsern werthen Errettern in die Hände, welche keinen Augenblick versäumten, die allerelendesten Leute von der gantzen Welt, nemlich uns, in beglücktern, ja in den allerglückseeligsten Stand auf Erden zu versetzen. Schmerd, Hulst undFarding, die 3. redlichen und frommen Leute, musten zwar so wohl als die schandbare Clara, gleich in den ersten Tagen allhier ihren Geist aufgeben, doch wir noch übrigen 5., wurden durch GOttes Barmhertzigkeit und durch die gute Verpflegung dieser frommen Leute erhalten. Wie nachhero ich meinem liebsten Alberto, der mich auf seinem Rücken in dieses Paradies getragen, und wie diese liebe Sabina ihrem GemahlStephano, der ihr eben dergleichen Gütigkeit erwiesen, zu Theile worden, auch was sich weiter mit uns damahls neu angekommenen Gästen zugetragen, wird vielleicht ein andermal bequemlicher zu erzehlen seyn, wiewohl ich nicht zweyffele, daß es mein liestber Schwieger-Vater geschickter als ich verrichten wird. Voritzo bitte nur mit meinem guten Willen zufrieden zu seyn.
Also endigte die angenehme Matrone vor dieses mahl ihre Erzehlung, weil es allbereits ziemlich späte[336] war. Wir danckten derselben darvor mit einem liebreichen Hand-Kusse, und legeten uns hernach sämmtlich zur Ruhe, nahmen aber nächstfolgenden Morgen unsere Lust-Fahrt auf Christians-Raum zu. Hieselbst waren nicht mehr als 10. wohl erbauete Feuer-Stätten, nebst darzu gehörigen Scheuern, Ställen, und ungemein schönen Garten-Wercke anzutreffen, anbey die Haupt-Schleusen des Nord-Flusses, nebst dem Canal, der das Wasser zu beliebiger Zeit in die kleine See zu führen, durch Menschen-Hände ausgegraben war, wohl Betrachtenswürdig. Diese Pflanz-Stadt lag also zwischen den Flüssen ungemein lustig, hatte zwar in ihrem Bezirck keine Weinberge, hergegen so wohl als andere ein vortrefflich wohlbestelltes Feld, Holtzung, Wild und herrlichen Fischfang. Vor die gute Aufsicht, und Besorgung wegen der Brücken und Schleusen, musten ihnen alle andern Einwohner der Insul sonderlich verbunden seyn, auch davor einen gewissen Zoll an Weine, Saltz und andern Dingen, die sie nicht selbst in der Nähe haben konten, entrichten.
Wir hielten uns allhier nicht lange auf, sondern reiseten, nachdem wir ihnen das gewöhnliche Geschencke gereicht, und die Mittags-Mahlzeit eingenommen hatten, wieder zurück. Abends, zu gewöhnlicher Zeit aber, fing David Rawkin auf Erinnerung des Alt-Vaters denen Versammleten seine Lebens-Geschicht folgender massen zu erzehlen an:
Ich stamme, sagte er, aus einem der vornehmsten Lords-Geschlechte in Engelland her, und bin [337] dennoch im Jahr 1640. von sehr armen Eltern in einer Bauer-Hütte auf dem Dorffe gebohren worden, weiln das Verbrechen meiner Vor-Eltern, so wohl väterlicher als mütterlicher Seite, ihre Nachkommen nicht allein um alles Vermögen, sondern so gar um ihren sonst ehrlichen Geschlechts-Nahmen gebracht, indem sie denselben aus Noth verläugnen, und sich nachhero schlecht weg Rawkins nennen müssen, um nur in einer frembden Provinz ohne Schimpff ruhig, obschon elend, zu leben. Meine Eltern, ob sie gleich unschuldig an allen Ubelthaten der Ihrigen gewesen, waren doch durch derselben Fall gäntzlich mit niedergeschlagen worden, so, daß sie, einem fürchterlichen Gefängnisse und andern Beschwerlichkeiten zu entgehen, mit ihren besten Sachen die Flucht genommen hatten. Doch, wenn sich das Verhängniß einmahl vorgesetzt hat, unglückseelige Menschen nachdrücklich zu verfolgen, so müssen sich auch auf der allersichersten Strasse ihre Feinde finden lassen. So war es meinen Eltern ergangen, denn da sie allbereit weit genung hinweg, also von ihren Verfolgern sicher zu seyn vermeinen, werden die armen Leute des Nachts von einer Rotte Strassen-Räuber überfallen, und biß aufs blosse Hembde ausgeplündert und fortgejagt, so, daß sie kaum mit anbrechenden Tage eine Mühle antreffen können, in welche sie von der barmhertzigen Müllerin aufgenommen und mit etlichen alten Kleidern bedeckt werden. Weiln aber der darzu kommende närrische Müller hierüber scheele Augen macht, und sich so wenig durch meiner Eltern gehabtes Unglück, als durch meiner Eltern [338] Schönheit und Zärtlichkeit zum Mitleiden bewegen lässet, müssen sie, nachdem er doch aus besondern Gnaden ihnen ein halbes Brod und 2. Käse gegeben, ihren Stab weiter setzen, werden aber von einer Vieh-Magd, die ihnen die barmhertzige Müllerin nachgeschickt, in eine kleine Bauer-Wohnung des nächst-gelegenen Dorffs geführet, anbey wird ihnen eine halbe Guinee an Gelde überreicht, und der Bauers-Frau befohlen, diese Gäste auf der Müllerin Unkosten bestens zu bewirthen.
Also haben meine armen Eltern allhier Zeit genung gehabt, ihr Unglück zu bejammern, anbey aber dennoch die besondere Vorsorge GOttes und die Gütigkeit der Müllerin zu preisen, welche fromme Frau meine Mutter wenigstens wöchentlich ein paar mal besucht, und unter der Hand wider ihres Mannes Wissen reichlich versorget, weiln sie als eine betagte Frau, die weder Kinder noch andere Erben, als ihren unvernünfftigen Mann, dem sie alles zugebracht hatte, sich ein Vergnügen machte, armen Leuten von ihrem Uberflusse gutes zu thun.
In der dritten Woche ihres dasigen Aufenthalts kömmt meine Mutter mit mir ins Wochen-Bette, die Müllerin nebst andern Bauers-Leuten werden zu mei nen Tauff-Zeugen erwehlet, welche erstere die gantze Ausrichtung aus ihren Beutel bezahlet, und meiner Mutter aufs äuserste verbietet, ihr grosses Armuth niemanden kund zu geben, sondern jedermann zu bereden, ihr Mann, als mein Vater, sey ein von einem unruhigen Bischoffe vertriebener Schulmeister.
[339] Dieser Einfall scheinet meinem Vater sehr geschicklich, seinen Stand, Person und gantzes Wesen, allen erforderlichen Umständen nach, zu verbergen, derowegen macht er sich denselben von Stund an wohl zu Nutze, und passieret auch solcher Gestalt vor allen Leuten, als ein abgedanckter Schulmeister, zumal da er sich eine darzu behörige Kleidung verfertigen lässet. Er schrieb eine sehr feine Hand, derowegen geben ihm die daherum wohnenden Pfarr-Herren und andere Gelehrten so viel abzuschreiben, daß er das tägliche Brod vor sich, meine Mutter und mich damit kümmerlich verdienen kan, und also der wohlthätigen Müllerin nicht allzu beschwerlich fallen darff, die dem ohngeacht nicht unterließ, meine Mutter wöchentlich mit Gelde und andern Bedürffnissen zu versorgen.
Doch etwa ein halbes Jahr nach meiner Geburth legt sich diese Wohlthäterin unverhofft aufs krancken Bette nieder, und stirbt, nachdem sie vorhero meine Mutter zu sich kommen lassen, und derselben einen Beutel mit Gold-Stücken, die sich am Werthe höher als 40. Pfund Sterlings belaufen, zu meiner Erziehung eingehändiget, und ausdrücklich gesagt hatte, daß wir dieses ihres heimlich gesammleten Schatz-Geldes würdiger und bedürfftiger wären, als ihr ungetreuer Mann, der ein weit mehreres mit Huren durchgebracht, und vielleicht alles, was er durch die Heyrath mit ihr erworben, nach ihrem Tode auch bald durchbringen würde.
Mit diesem kleinen Capitale sehen sich meine Eltern bey ihren damahligen Zustande ziemlich geholffen, [340] und mein Vater läst sich in den Sinn kommen, seine Frau und Kind aufzupacken, und mit diesem Gelde nach Holland oder Franckreich überzugehen, um daselbst entweder zu Lande oder zur See Kriegs-Dienste zu suchen, allein, auf inständiges Bitten meiner Mutter, läst er sich solche löbliche Gedancken vergehen, und dahin bringen, daß er den erledigten Schulmeister-Dienst in unsern Dorffe annimmt, der jährlich, alles zusammen gerechnet, etwa 10. Pfund Sterlings Einkommens gehabt.
Vier Jahr lang verwaltet mein Vater diesen Dienst in stillen Vergnügen, weil sich sein und meiner Mutter Sinn nun gäntzlich in dergleichen Lebens-Art verliebet. Jedermann ist vollkommen wohl mit ihm zufrieden und bemühet, seinen Fleiß mit ausserordentlichen Geschencken zu vergelten, weßwegen meine Eltern einen kleinen Anfang zu Erkauffung eines Bauer- Gütgens machen, und ihr bißhero zusammen gespartes Geld an Ländereyen legen wollen, weil aber noch etwas weniges an den bedungenen Kauff-Geldern mangelt, siehet sich meine Mutter genöthiget, das letzte und beste gehänckelte Gold-Stück, so sie von der Müllerin bekommen, bey ihrer Nachbarin zu versetzen.
Diese falsche Frau gibt zwar so viele kleine Münze darauf, als meine Mutter begehret, weil sie aber das sehr kennbare Gold-Stück sehr öffters bey der verstorbenen Müllerin gesehen, über dieses mit dem Müller in verbothener Buhlschafft leben mag, zeiget sie das Gold-Stück dem Müller, der dasselbe gegen ein ander Pfand von ihr nimmt, zum [341] Ober-Richter trägt, meinen Vater und Mutter eines Diebstahls halber anklagt, und es dahin bringt, daß beyde zugleich plötzlich, unwissend warum, gefangen und in Ketten und Banden geschlossen werden.
Anfänglich vermeynet mein Vater, seine Feinde am königlichen Hofe würden ihn allhier ausgekundschafft und feste gemacht haben, erschrickt aber desto hefftiger, als man ihn so wohl als meine Mutter wegen des Diebstahls, den sie bey der verstorbenen Müllerin unternommen haben solten, zur Rede setzt. Sintemal aber in diesem Stücke beyde ein gutes Gewissen haben, und fernere Weitläufftigkeiten zu vermeiden, dem Ober-Richter die gantze Sache offenbaren, wer den sie zwar nach fernern weitläufftigen Untersuchungen von des Müllers Anklage loß gesprochen, jedennoch so lange in gefänglicher Hafft behalten, biß sie ihres Standes und Wesens halber gewissere Versicherungen einbrächten, weiln das Vorgeben wegen eines vertriebenen Schulmeisters falsch befunden worden, und der Ober-Richter, ich weiß nicht was vor andere verdächtige Personen, in ihrer Haut gesucht.
Mittlerweile lieff ich armer 6. jähriger Wurm in der Irre herum, und nehrete mich von den Brosamen, die von frembder Leute Tische fielen, hatte zwar öffters Erlaubniß, meine Eltern in ihren Gefängnisse zu besuchen, welche aber, so offt sie mich sahen, die bittersten Thränen vergossen, und vor Jammer hätten vergehen mögen. Da ich nun solcher Gestalt wenig Freude bey ihnen hatte, kam [342] ich künfftig desto sparsamer zu ihnen, gesellete mich hergegen fast täglich zu einem Gänse-Hirten, bey dem ich das Vergnügen hatte, im Felde herum zu lauffen, und mit den mir höchst angenehmen Creaturen, nemlich den jungen und alten Gänsen, zu spielen, und sie hüten zu helffen, wovor mich der Gänse-Hirte mit aller Nothdurfft ziemlich versorgte.
Eines Tages, da sich dieser mein Wohlthäter an einen schattigten Orte zur Ruhe gelegt, und mir dasCommando über die Gänse allein überlassen hatte; kam ein Cavalier mit zweyen Bedienten geritten, welchen ein grosser englischer Hund folgte. Dieser tummelte sich unter meinen Gänsen lustig herum, und biß fast in einem Augenblick 5. oder 6. Stück zu Tode. So klein als ich war, so hefftig ergrimmte mein Zorn über diesen Mörder, lieff derowegen als ein junger Wüterich auf denselben loß, und stieß ihm mit einen bey mir habenden spitzigen Stock dermassen tieff in den Leib hinein, daß er auf der Stelle liegen blieb. Der eine Bediente des Cavaliers kam derowegen schrecklich erbost zurück geritten, und gab mir mit der Peitsche einen ziemlichen Hieb über die Lenden, weßwegen ich noch ergrimmter wurde, und seinem Pferde etliche blutige Stiche gab.
Hierauf kam so wohl mein Meister als der Cavalier selbst herbey, welcher letztere über die Herzhafftigkeit eines solchen kleinen Knabens, wie ich war, recht erstaunete, zumahlen ich denjenigen, der mich geschlagen hatte, noch immer mit grimmigen Gebärden ansahe. Der Cavalier aber ließ sich [343] mit dem Gänse-General in ein langes Gespräch ein, und erfuhr von demselben mein und meiner Eltern Zustand. Es ist Schade, sagte hierauf der Cavalier, daß dieser Knabe, dessen Gesichts-Züge und angeborne Herzhafftigkeit etwas besonderes zeigen, in seiner zarten Jugend verwahrloset werden soll. Wie heissest du, mein Sohn? fragte er mit einer liebreichen Miene, David Rawkin gab ich gantz trotzig zur Antwort. Er fragte mich weiter: Ob ich mit ihm reisen, und bey ihm bleiben wolte, denn er wäre ein Edelmann, der nicht ferne von hier sein Schloß hätte, und gesinnet sey, mich in einen weit bessern Stand zu setzen, als worinnen ich mich itzo befände. Ich besonne mich nicht lange, sondern versprach ihm, gantz gern zu folgen, doch mit dem Bedinge, wenn er mir vor dem bösen Kerl Friede schaffen, und meinen Eltern aus dem Gefängniß helffen wolte. Er belachte das erstere, und versicherte, daß mir niemand Leyd zufügen solte, wegen meiner Eltern aber wolle er mit denn Ober-Richter reden.
Demnach nahm mich derjenige Bediente, welcher mein Feind gewesen, nunmehro mit sehr freundlichen Gebärden hinter sich aufs Pferd, und folgten dem Cavalier, der dem Gänse-Hirten 2. Hände voll Geld gegeben, und befohlen hatte, meinen Eltern die Helffte davon zu bringen, und ihnen zu sagen, wo ich geblieben wäre.
Es ist nicht zu beschreiben, mit was vor Gewogenheit ich nicht allein von des Edelmanns Frau und ihren zwey 8. biß 10. jahrigen Kindern, als einem Sohne und einer Tochter, sondern auch von [344] dem gantzen Hauß-Gesinde angenommen wurde, weil mein munteres Wesen allen angenehm war. Man steckte mich so gleich in andere Kleider, und machte in allen Stücken zu meiner Auferziehung den herrlichsten Anfang. Mein Herr nahm mich wenig Tage hernach mit sich zum Ober-Richter, und würckte so viel, daß meine Eltern, die derselbe im Gefängnisse fast gantz vergessen zu haben schien, auf neue zum Verhör kamen. Kaum aber hatte mein Herr meinen Vater und Mutter recht in die Augen gefasset, als ihm die Thränen von den Wangen rolleten, und er sich nicht enthalten konte, vom Stuhle aufzustehen, sie beyderseits zu umarmen.
Mein Vater sahe sich solcher Gestalt entdeckt, hielt derowegen vor weit schädlicher, sich gegen dem Ober-Richter ferner zu verstellen, sondern offenbarete demselben seinen gantzen Stand und Wesen. Mein Edelmann, der sich Eduard Sadby nennete, sagte öffentlich: Ich bin in meinem Hertzen völlig überzeugt, daß diese armen Leute an dem Laster der beleydigten Majestät, welches ihre Eltern und Freunde begangen haben, unschuldig sind, man verfähret zu scharff, indem man die Straffe der Eltern auch auf die unschuldigen Kinder ausdehnet. Mein Gewissen läst es unmöglich zu, diese Erbarmens-würdigen Standes-Personen mit verdammen zu helffen, ohngeacht ihre Vorfahren seit hundert Jahren her meines Geschlechts Todt-Feinde gewesen sind.
Mit allen diesen Vorstellungen aber konte der ehrliche Eduard nichts mehr ausrichten, als daß [345] meinen Eltern alle ihre verarrestirten Sachen wiedergegeben, und sie in einer, ihrem Stande nach, leidlichern Verwahrung gehalten wurden, weil der Ober-Richter zu vernehmen gab, daß er sie, seiner Pflicht gemäß, nicht eher völlig loß geben könne, biß er die gantze Sache nach Londen berichtet, und von da her Befehl empfangen hätte, was er mit ihnen machen solte. Hiermit musten wir vor dieses mahl alle zu frieden seyn, ich wurde von ihnen viele hundert mahl geküsset, und muste mit meinem gütigen Pflege-Vater wieder auf sein Schloß reisen, der mich von nun an so wohl als seine leiblichen Kinder zu verpflegen Anstalt machte, auch meine Eltern mit hundert Pfund Sterlings, ingleichen mit allerhand Standes-mäßigen Kleidern und andern Sachen beschenckte.
Allein, das Unglück war noch lange nicht ermüdet, meine armen Eltern zu verfolgen, denn nach etlichen Wochen lieff bey dem Ober-Richter ein Königlicher Befehl ein, welcher also lautete: Daß ohngeacht wider meine Eltern nichts erhebliches vorhanden wäre, welches sie des Verbrechens ihrer Verwandten, mitschuldig erklären könne, so solten sie dem ohngeacht, verschiedener Muthmassungen wegen, in das Staats-Gefängniß nach London geliefert werden.
Diesemnach wurden dieselben unvermuthet dahin geschafft, und musten im Tour, obgleich als höchst-unschuldig befundene, dennoch ihren Feinden zu Liebe, die ihre Güter unter sich getheilet, so lange schwitzen, biß sie etliche Monate nach des Königs Enthauptung, ihre Freyheit nebst der Hoffnung [346] zu ihren Erb-Gütern, wieder bekamen; allein der Gram und Kummer hatte seit etlichen Jahren beyde dermassen entkräfftet, daß sie sich in ihren besten Jahren fast zugleich aufs Krancken-Bette legten, und binnen 3. Tagen einander im Tode folgeten.
Ich hatte vor dem mir höchst-schmerzlichen Abschiede noch das Glück, den Väterlichen und Mütterlichen letzten Seegen zu empfangen, ihnen die Augen zuzudrücken, anbey ein Erbe ihres gantzen Vermögens, das sich etwa auf 150. Pfund Sterl. nebst einem grossen Sacke voll Hoffnung belieff, zu werden.
Eduard ließ meine Eltern Standes-mäßig zur Erden bestatten, und nahm sich nachhero meiner als ein getreuer Vater an, allein, ich weiß nicht, weßwegen er hernach im Jahre 1653. mit dem Protector Cromwel zerfiel, weßwegen er ermordet, und sein Weib und Kinder in ebenso elenden Zustand gesetzt wurden, als der meinige war.
Mit diesem Pfeiler fiel das gantze Gebäude meiner Hoffnung, wiederum in den Stand meiner Vor-Eltern zu kommen, gäntzlich darnieder, weil ich als ein 13. Knabe keinen eintzigen Freund zu suchen wuste, der sich meiner mit Nachdruck annehmen möchte. Derowegen begab ich mich zu einem Kauffmanne, welchen Eduard meinetwegen 200. Pfund Sterlings auf Wucher gegeben hatte, und verzehrete bey ihm das Interesse. Dieser wolte mich zwar zu seiner Handthierung bereden, weil ich aber durchaus keine Lust darzu hatte, hergegen entweder ein Gelehrter oder ein Soldat werden wolte, [347] muste er mich einem guten Meister der Sprachen übergeben, bey dem ich mich dergestalt angriff, daß ich binnen Jahres Frist mehr gefasset, als andere, die mich an Jahren weit übertraffen.
Eines Tages, da ich auf denjenigen Platz spatzieren ging, wo ein neues Regiment Soldaten gemustert werden solte, fiel mir ein Mann in die Augen, der von allen andern Menschen sonderbar respectieret wurde. Ich fragte einen bey mir stehenden alten Mann: Wer dieser Herr sey? und bekam zur Antwort: Daß dieses derjenige Mann sey, welcher der gantzen Nation Freyheit und Glückseeligkeit wieder hergestellet hätte, der auch einem jeden Unterdrückten sein rechtes Recht verschaffte. Wie heisset er mit Nahmen? war meine weitere Frage, worauf mir der Alte zur Antwort gab: Er heisset Oliverius Cromwell, und ist nunmehro des gantzen Landes Protector.
Ich stund eine kleine Weile in Gedancken, und fragte meinen Alten nochmals: Solte denn dieser Oliverius Cromwell im Ernste so ein redlicher Mann seyn?
Indem kehrete sich Cromwell selbst gegen mich, und sahe mir starr unter die Augen. Ich sahe ihn nicht weniger starr an, und brach plötzlich mit unerschrockenem Muthe in folgende Worte aus: Mein Herr, verzeihet mir! ich höre, daß ihr derjenige Mann seyn sollet, der einem jeden, er sey auch wer er sey, sein rechtes Recht verschaffe, derowegen liegt es nur an euch, dieserwegen eine Probe an mir abzulegen, weil schwerlich ein geborner vornehmer Engelländer härter und unschuldiger gedrückt ist als eben ich.
[348] Cromwell ließ seine Bestürzung über meine Freimüthigkeit deutlich genug spüren, fassete aber meine Hand, und führete mich abseits, allwo er meinen Nahmen, Stand und Noth auf einmahl in kurtzen Worten erfuhr. Er sagte weiter nichts darzu, als dieses: Habt kurze Zeit Gedult, mein Sohn! ich werde nicht ruhen, biß euch geholffen ist, und damit ihr glaubet, daß es mein rechter Ernst sey, will ich euch gleich auf der Stelle ein Zeichen davon geben. Hiermit führete er mich mitten unter einen Troupp Soldaten, nahm einem Fähndrich die Fahne aus der Hand, übergab selbige an mich, machte also auf der Stätte aus mir einen Fähndrich, und aus dem vorigen einen Lieutenant.
Mein Monathlicher Sold belieff sich zwar nicht höher als auf 8. Pfund Sterlings, doch Cromwells Freygebigkeit brachte mir desto mehr ein, so, daß nicht allein keine Noth leiden, sondern mich so gut und besser als andere Ober-Officiers aufführen konte. Immittelst verzögerte sich aber die Wiedereinsetzung in meine Güter dermassen, biß Cromwell endlich darüber verstarb, sein wunderlicher Sohn Richard verworffen, und der neue König, Carl der andere, wiederum ins Land geruffen wurde. Bey welcher Gelegenheit sich meine Feinde aufs neue wider mich empöreten, und es dahin brachten, daß ich meine Kriegs-Bedienung verließ, und mit 400. Pfund Sterl. baaren Gelde nach Holland überging, des festen Vorsatzes, mein, mir und meinen Vorfahren so widerwärtiges Vaterland nimmermehr wieder mit einem Fusse zu betreten.
Ich hatte gleich mein zwanzigstes Jahr erreicht, [349] da mich das Glücke nach Holland überbrachte, allwo ich binnen einem halben Jahre viele schöne Städte besahe, doch in keiner derselben einen andern Trost vor mich fand, als mein künfftiges Glück oder Unglück auf der See zu suchen. Weil aber meine Sinnen hierzu noch keine vollkommene Lust hatten, so setzte meine Reise nach Teutschland fort, um selbiges als das Hertz von gantz Europa wohl zu betrachten. Mein Haupt-Absehen aber war entweder unter den Kayserl. oder Chur-Brandenburgl. Völckern Kriegs-Dienste zu suchen, jedoch zu meinem grösten Verdrusse wurde eben Friede, und mir zu gefallen wolte keinem einzigen wiederum Lust ankommen, Krieg anzufangen.
Inzwischen passirete mir auf dem Wege durch den beruffenen Thüringer Wald, ein verzweiffelter Streich, denn als ich eines Abends von einem grausamen Donner-Wetter und Platz-Regen überfallen war, so sahe mich bey hereinbrechender Nacht genöthiget, vom Pferde abzusteigen und selbiges zu führen, biß endlich, da ich mich schon weit verirret und etwa gegen Mitternacht mit selbigen meine Ruhe unter einem grossen Eichbaume suchen wolte, der Schein eines von ferne brennenden Lichts, durch die Sträucher in meine Augen fiel, der mich bewegte meinen Gaul aufs neue zu beunruhigen, um dieses Licht zu erreichen. Nach verfliessung einer halben Stunde war ich gantz nahe dabey, und fand selbiges in einem Hause, wo alles herrlich und in Freuden zugieng, indem ich von aussen eine wunderlich schnarrende Music hörete, und durch das Fenster 5. oder 6. paar Menschen im Tantze erblickte. Mein [350] vom vielen Regen ziemlich erkälteter Leib, sehnete sich nach einer warmen Stube, derowegen pochte an, bat die heraus guckenden Leute um ein Nacht-Quartier, und wurde von ihnen aufs freundlichste empfangen. Der sich angebende Wirth führete mein Pferd in einen Stall, brachte meinen blauen Mantel-Sack in die Stube, ließ dieselbe warm machen, daß ich meine nassen Kleider trocknen möchte, und setzte mir einige, eben nicht unappetitliche Speisen für, die mein hungeriger Magen mit gröster Begierde zu sich nahm. Nachhero hätte mich zwar gern mit drey anwesenden ansehnlichen Manns-Personen ins Gespräche gegeben, da sie aber weder Engel- noch Holländisch, vielweniger mein weniges Latein verstehen konten, und mit zerstückten Deutschen nicht zufrieden seyn wolten, legte ich mich auf die Streu nieder, und zwar an die Seite eines Menschen, welchen der Wirth vor einen bettlenden Studenten ausgab, blieb auch bey ihm liegen, ohngeacht mir der gute Wirth nachhero unter dem Vorwande, daß ich allhier voller Ungeziefer werden würde, eine andere Stelle anwiese.
Ich hatte die Thorheit begangen, verschiedene Gold-Stücke aus meinem Beutel sehen zu lassen, jedoch selbige nachhero so wol als mein übriges Geld um den Leib herum wol verwahret, meinen Mantel-Sack unter den Kopf, Pistolen und Degen aber neben mich gelegt. Allein dergleichen Vorsicht war in so weit vergeblich, da ich in einen solch tiefen Schlaf verfalle, der, wo es GOTT nicht sonderlich verhütet, mich in den Todes-Schlaf versenckt hätte. Denn kaum zwey Stunden nach meinem [351] niederliegen, machten die drey ansehnlichen Manns-Personen, welches in der That Spitzbuben waren, einen Anschlag auf mein Leben, hätten mich auch mit leichter Mühe ermorden können, wenn nicht der ehrliche neben mir liegendestudiosus, welches der nunmehro seelige Simon Heinrich Schimmer war, im verstellten Schlafe alles angehöret, und mich errettet hätte.
Die Mörder nehmen vorhero einen kurtzen Abtritt aus der Stube, derowegen wendet Schimmer allen Fleiß an, mich zu ermuntern, da aber solches unmöglich ist, nimmt er meine zum Häupten liegenden Pistolen und Degen unter seinen Rock, welcher ihm zur Decke dienete, vermerkt aber bald, daß alle drey wieder zurück kommen, und daß einer mit einem grossen Messer in der Hand, mir die Kehle abzuschneiden,miene macht.
Es haben sich kaum ihrer zwey auf die Knie gesetzt, einer nemlich, mir den tödlichen Schnitt zu geben, der andere aber Schimmers-Bewegung in acht zu nehmen, als dieser Letztere plötzlich aufspringet, und fast in einem tempo alle beyde zugleich darnieder schiesset, weil er noch vor meinem niederliegen wahr genommen, daß ich die Pistolen ausgezogen und jede mit 2. Kugeln frisch geladen hatte. Indem ich durch diesen gedoppelten Knall plötzlich auffuhr, erblickte ich, daß der dritte Haupt-Spitz-Bube von Schimmern mit dem Degen darnieder gestochen wurde. Dem ohngeacht hatten sich noch 3. Mannes- und 4. Weibs-Personen vom Lager erhoben, welche uns mit Höltzernen Gewehren darnieder zuschlagen vermeyneten, allein da ich unter Schimmers [352] Rocke meinen Degen fand und zum Zuge kam, wurde in kurtzen reine Arbeit gemacht, so, daß diese 7. Personen elendiglich zugerichtet, auf ihr voriges Lager niederfallen musten. Am lächerlichsten war dieses bey dem gantzen Streite, daß mich eine Weibs-Person, mit einer ziemlich starck angefüllten Katze voll Geld, über den Kopf schlug, so daß mir fast hören und sehen vergangen wäre, da aber diese Amazonin durch einen gewaltigen Hieb über den Kopff in Ohnmacht gebracht, hatte ich Zeit genung, mich ihres kostbaren Gewehrs zu bemächtigen, und selbiges in meinem Busen zu verbergen.
Mittlerweile da Schimmer, mit dem von mir geforderten Kraut und Loth, die Pistolen aufs neue pfefferte, kam der Wirth mit noch zwey Handfesten Kerln hertzu, und fragte: Was es gäbe? Schimmer antwortete: Es giebt allhier Schelme und Spitzbuben zu ermorden, und derjenige so die geringste miene macht uns anzugreiffen, soll ihnen im Tode Gesellschafft leisten. Demnach stelleten sich der Wirth nebst seinen Beiständen, als die ehrlichsten Leute von der Welt, schlugen die Hände zusammen und schryen: O welch ein Anblick? Was hat uns das Unglück heute vor Gäste zugeführet? Allein Schimmer stellete sich als ein anderer Hercules an, und befahl, daß der Wirth sogleich mein Pferd gesattelt hervor führen solte, mittlerweile sich seine zwey Beistände als ein paar Hunde vor der Stuben-Thür niederlegen musten. Wir beyde kleideten uns inzwischen völlig an, liessen mein Pferd heraus führen, die Thür eröffnen, und durch [353] den Wirth den Mantel-Sack aufbinden, reiseten also noch vor Tages Anbruch hinweg, und bedachten hernach erstlich, daß der Wirth vor grosser Angst nicht ein mahl die Zehrungs-Kosten gefordert hatte, vor welche ihm allen Ansehen nach 3. oder 4. Todte, und 6. sehr Verwundete hinterlassen waren.
Wir leiteten das Pferd hinter uns her, und folgeten Schritt vor Schritt, ohne ein Wort miteinander zu reden, dem gebähnten Wege, auch unwissend, wo uns selbiger hinführete, biß endlich der helle Tag anbrach, der mir dieses mal mehr als sonsten, mit gantz besonderer Schätzbarkeit in die Augen leuchtete. Doch da ich mein Pferd betrachtete, befand sich's, daß mir der Wirth, statt meines blauen Mantel-Sacks, einen grünen aufgebunden hatte. Ich gab solches dem redlichen Schimmer, mit dem ich auf dem Wege in Erwegung unserer beyderseits Bestürzung noch kein Wort gesprochen hatte, so gut zu verstehen, als mir die Lateinische Sprache aus dem Munde fliessen wolte, und dieser war so neugierig als ich, zu wissen, was wir vor Raritäten darinnen antreffen würden. Derowegen führeten wir das Pferd seitwärts ins Gebüsche, packten den Mantel-Sack ab, und fanden darinnen 5. verguldete silberne Kelche, 2. silberne Oblaten-Schachteln, vielerley Beschläge so von Büchern abgebrochen war, nebst andern kostbarn und mit Perlen gestickten Kirchen-Ornaten, gantz zuletzt aber kam uns in einem Bündel zusammen gewickelter schwartzer Wäsche, ein lederner Beutel in die Hände, worinnen sich 600. Stück species Ducaten befanden.
[354] Schimmern überfiel bey diesem Funde so wol als mich, ein grausamer Schrecken, so daß der Angst-Schweiß über unsere Gesichter lieff, und wir beyderseits nicht wusten was mit diesen mobilien anzufangen sey. Endlich da wir einander lange genung angesehen, sagte mein Gefährte: Wehrter Frembdling, ich mercke aus allen Umständen daß ihr so ein redliches Hertze im Leibe habt als ich, derowegen wollen wir Gelegenheit suchen, die, zu GOttes Ehre geweyheten Sachen und Heiligthümer, von uns ab- und an einen solchen Orth zu schaffen, von wannen sie wiederum an ihre Eigenthümer geliefert werden können, denn diejenigen, welche vergangene Nacht von uns getödtet und verwundet worden, sind ohnfehlbar Kirchen-Diebe gewesen. Was aber diese 600 spec. Ducaten anbelanget, so halte darvor daß wir dieselben zur recreation vor unsere ausgestandene Gefahr und Mühe wol behalten können. Saget, sprach er, mir derowegen euer Gutachten.
Ich gab zu verstehen daß meine Gedancken mit den Seinigen vollkommen überein stimmeten, also packten wir wiederum auf, und setzten unsern Weg so eilig, als es möglich war, weiter fort, da mir denn Schimmer unterweges sagte: Ich solte mich nur um nichts bekümmern, denn weil ich ohne dem der teutschen Sprache unkundig wäre, wolte er schon alles so einzurichten trachten, daß wir ohne fernere Weitläufigkeit und Gefahr weit genug fortkommen könnten, wohin es uns beliebte.
Es kam uns zwar überaus Beschwerlich vor den gantzen Tag durch den fürchterlichen Wald, [355] und zwar ohne Speise und Tranck zu reisen, jedoch endlich mit Untergang der Sonnen erreichten wir einen ziemlich grossen Flecken, allwo Schimmer sogleich nach des Priesters Wohnung fragte, und nebst mir, vor derselben halten blieb.
Der Ehrwürdige, etwa 60. jährige Priester kam gar bald vor die Thür, welchen Schimmer in Lateinischer Sprache ohngefehr also anredete: Mein Herr! Es möchte uns vielleicht vor eine Unhöfflichkeit ausgelegt werden, bey euch um ein Nacht-Quartier zu bitten, indem wir als gantz frembde Leute in das ordentliche Wirtshaus gehören, allein es zwinget uns eine gantz besondere Begebenheit, in Betrachtung eures heiligen Amts, bey euch Rath und Hülffe zu suchen. Derowegen schlaget uns keins von beyden ab, und glaubet gewiß, daß in uns beyden keine Boßheit, sondern zwey redliche Hertzen befindlich. Habt ihr aber dieser Versicherung ohngeacht ein Mißtrauen, welches man euch in Erwegung der vielen herum schweiffenden Mörder, Spitzbuben und Diebe zu gute halten muß, so brauchet zwar alle erdenckliche Vorsicht, lasset euch aber immittelst erbitten unser Geheimniß anzuhören.
Der gute ehrliche Geistliche machte nicht die geringste Einwendung, sondern befahl unser Pferd in den Stall zu führen, uns selbst aber nöthigte er sehr treuhertzig in seine Stube, allwo wir von seiner Haußfrau, und bereits erwachsenen Kindern, wohl empfangen wurden. Nachdem wir, auf ihr hefftiges Bitten, die Abend-Mahlzeit bey ihnen eingenommen, führete uns der ehrwürdige Pfarrer auf [356] seine Studier-Stube, und hörete nicht allein die in vergangener Nacht vorgefallene Mord-Geschicht mit Erstaunen an, sondern entsetzte sich noch mehr, da wir ihm das auf wunderbare Weise erhaltene Kirchen-Geschmeide und Geräthe aufzeigeten, denn er erkannte sogleich an gewissen Zeichnungen, daß es ohnfehlbar aus der Kirche einer etwa 3 Meilen von seinem Dorffe liegenden Stadt seyn müsse, und hofte, deßfalls sichere Nachricht von einem vornehmen Beamten selbiger Stadt zu erhalten, welcher Morgendes Tages ohnfehlbar zu ihm kommen und mit einer seiner Töchter Verlöbniß halten würde.
Schimmer fragte ihn hierauff, ob wir als ehrliche Leute genung thäten, wenn wir alle diese Sachen seiner Verwahrung und Sorge überliessen, selbige wiederum an gehörigen Ort zu liefern, uns aber, da wir uns nicht gern in fernere Weitläufftigkeiten verwickelt sähen, auf die weitere Reise machten. Der Priester besonne sich ein wenig, und sagte endlich: Was massen er derjenig nicht sey, der uns etwa Verdrießlichkeiten in den Weg zu legen oder gar aufzuhalten gesonnen, sondern uns vielmehr auf mögliche Art forthelffen, und die Kirchen-Güter so bald es thunlich, wieder an ihren gehörigen Orth bringen wolte. Allein meine Herrn, setzte er hinzu, da euch allen beyden die Redlichkeit aus den Augen leuchtet, eure Begebenheit sehr wichtig, und die Auslieferung solcher kostbaren Sachen höchst rühmlich und merckwürdig ist; warum lasset ihr euch einen kleinen Auffenthalt oder wenige Versäumniß abschrecken, GOTT zu Ehren und der[357] Weltlichen Obrigkeit zum Vergnügen, diese Geschichte öffentlich kund zu machen? Schimmer versetzte hierauff: Mein Ehrwürdiger Herr! ich nehme mir kein Bedencken, euch mein gantzes Herz zu offenbaren. Wisset demnach, daß ich aus der Lippischen Grafschafft gebürtig bin, und vor etlichen Jahren auf der berühmten Universität Jena dem studieren obgelegen habe, im Jahr 1655. aber hatte das Unglück, an einem nicht gar zu weit von hier liegenden Fürstlichen Hofe, allwo ich etwas zu suchen hatte, mit einem jungen Cavalier in Händel zu gerathen, und denselben im ordentlichen Duell zu erlegen, weßwegen ich flüchtig werden, und endlich unter Kayserlichen Kriegs-Völckern mit Gewalt Dienste nehmen muste. Weil mich nun dabey wohl hielt, und über dieses ein ziemlich Stück Geld anzuwenden hatte, gab mir mein Obrister gleich im andern Jahre den besten Unter-Officiers Platz, nebst der Hoffnung, daß, wenn ich fortführe mich wohl zu halten, mir mit ehesten eine Fahne in die Hand gegeben werden solte. Allein vor etwa 4. Monathen, da wir in Oesterreichischen Landen die Winter-Quartiere genossen, machte mich mein Obrister über alles vermuthen zum Lieutenant bey seiner Leib-Compagnie, welches plötzliche Verfahren mir den bittersten Haß aller andern, denen ich solchergestalt vorgezogen worden, über den Hals zohe, und da zumalen ein Lutheraner bin, so wurde zum öfftern hinter dem Rücken vor einen verfluchten Ketzer gescholten, der des Obristen Hertz ohnfehlbar bezaubert hätte. Mithin verschworen sich etliche, mir bey ehester Gelegenheit das Lebens-Licht auszublasen, [358] wolten auch solches einesmahls, da ich in ihre Gesellschafft gerieth, zu Wercke richten, allein das Blat wendete sich, indem ich noch bey zeiten mein Seiten-Gewehr ergriff, zwey darnieder stieß, 3. sehr starck verwundete, und nachhero ebenfalls sehr verwundete in Arrest kam.
Es wurde mir viel von harquibousieren vorgeschwatzt, derowegen stellete mich, ohngeacht meine Wunden bey nahe gäntzlich curieret waren, dennoch immer sehr kranck an, biß ich endlich des Nachts Gelegenheit nahm zu entfliehen, meine Kleider bey Regensburg mit einem armen Studioso zu verwechseln, und unter dessen schwarzer Kleidung in ärmlicher Gestalt glücklich durch, und biß in diejenige Mord-Grube des Thüringer Waldes zu kommen, allwo ich diesen jungen Engelländer aus seiner Mörder-Händen befreyen zu helffen das Gluck hatte. Sehet also mein werther Herr, verfolgte Schimmer seine Rede, bey dergleichen Umständen will es sich nicht wol thun lassen, daß ich mich um hiesige Gegend lange aufhalte, oder meinen Nahmen kund mache, weil ich gar leicht, den vor 5. Jahren erzürneten Fürsten, der seinen erstochenen Cavalier wol noch nicht vergessen hat, in die Hände fallen könte. In Detmold aber, allwo meine Eltern seyn, will ich mich finden lassen, und bemühet leben meine Sachen an erwehnten Fürstlichen Hofe auszumachen.
Habt ihr sonsten keine Furcht versetzte hierauff der Priester, so will ich euch bey GOTT versichern, daß ihr um diese Gegend vor dergleichen Gefahr so sicher leben könnet, als in eurem Vaterlande. [359] Da er auch über dieses versprach, mit seinem zukünfftigen Schwieger-Sohne alles zu unsern weit grössern Vortheil und Nutzen einzurichten, beschlossen wir, uns diesem redlichen Manne völlig anzuvertrauen, die 600. spec. Ducaten aber, biß auf fernern Bescheid, zu verschweigen, als welche ich nebst der im Streit eroberten Geld-Katze, in welcher sich vor fast dritthalb hundert teutscher Thaler Silber-Müntze befand, in meine Reit-Taschen verbarg, und Schimmern versprach, so wohl eins als das andre, redlich mit ihm zu theilen.
Mittlerweile schrieb der Priester die gantze Begebenheit an seinen zukünfftigen Eidam, und schickte noch selbige Nacht einen reitenden Boten zu selbigem in die Stadt, von wannen denn der hurtige und redliche Beamte folgenden Morgen bey guter Zeit ankam, und die Kirchen-Güter, welche nur erstlich vor drey Tagen aus dasiger Stadt-Kirchen gestohlen worden, mit grösten Freuden in Empfang nahm. Schimmer und ich liessen uns sogleich bereden mit ihm, nebst ohngefähr 20. wohl bewehrten Bauern zu Pferde, die vortreffliche Herberge im Walde noch einmahl zu besuchen, welche wir denn gegen Mitternacht nach vielen suchen endlich fanden. Jedoch nicht allein der verzweiffelte Wirth mit seiner gantzen Familie, sondern auch die andern Galgen-Vögel waren alle ausgeflogen, biß auf 2. Weibs- und eine Manns-Person, die gefährlich verwundet in der Stube lagen, und von einer Stein alten Frau verpflegt wurden. Diese wolte anfänglich von nichts wissen, stellete sich auch gäntzlich taub und halb blind an, doch endlich nach scharffen Drohungen [360] zeigete sie einen alten wohlverdeckten Brunnen, aus welchen nicht allein die vier käntlichen Cörper, der von uns erschossenen und erstochenen Spitzbuben, sondern über dieses, noch 5. theils halb, theils gäntzlich abgefaulte Menschen-Gerippe gezogen wurden. Im übrigen wurde so wol von den Verwundeten als auch von der alten Frau bekräfftiget, daß der Wirth, nebst den Seinigen und etlichen Gästen, schon gestrigen Vormittags mit Sack und Pack außgezogen wäre, auch nichts zurück gelassen hätte, als etliche schlechte Stücken Hauß-Geräthe und etwas Lebens-Mittel vor die Verwundeten, die nicht mit fortzubringen gewesen. Folgenden Tages fanden sich nach genauerer Durchsuchung noch 13. im Keller vergrabene menschliche Cörper, die ohnfehlbar von diesem höllischen Gastwirthe und seinen verteuffelten Zunfftgenossen ermordet sein mochten, und uns allen ein wehmüthiges Klagen über die unmenschliche Verfolgung der Menschen gegen ihre Neben-Menschen auspresseten. Immittelst kamen die, von dem klugen Beamten bestellte 2. Wagens an, auf welche, da sonst weiter allhier nichts zu thun war, die 3. Verwundeten, nebst der alten Frau gesetzt, und unter Begleitung 10. Handfester Bauern zu Pferde, nach der Stadt zugeschickt wurden.
Der Beambte, welcher, nebst uns und den übrigen, das gantze Hauß, Hoff und Garten nochmals eiffrig durchsucht, und ferner nichts merckwürdiges angetroffen hatte, war nunmehro auch gesinnet auf den Rückweg zu gedencken, Schimmer aber, der seine in Händen habende Rade-Haue von ohngefähr [361] auf den Küchen-Heerd warff, und dabey ein besonderes Getöse anmerckte, nahm dieselbe nochmals auf, that etliche Hiebe hinein, und entdeckte, wider alles Vermuthen, einen darein vermaureten Kessel, worinnen sich, da es nachhero überschlagen wurde, 2000. Thlr. Geld, und bey nahe eben so viel Gold und Silberwerck befand. Wir erstauneten alle darüber, und wusten nicht zu begreiffen, wie es möglich, daß der Wirth dergleichen kostbaren Schatz im Stich lassen können, muthmasseten aber, daß er vielleicht beschlossen, denselben auf ein ander mal abzuholen. Indem trat ein alter Bauer auf, welcher erzehlete: Daß vor etliche 40. Jahren in Kriegs-Zeiten ebenfalls ein Wirth aus diesem Hause, Mord und Dieberey halber, gerädert worden, der noch auf dem Richt-Platze, kurtz vor seinem unbußfertigen Ende, versprochen hätte, einen Schatz von mehr als 4000. Thlr. Werth zu entdecken, daferne man ihm das Leben schencken wolle. Allein die Gerichts-Herren, welche mehr als zu viel Proben seiner Schelmerey erfahren, hätten nichts anhören wollen, sondern das Urtheil an ihm vollziehen lassen. Demnach könne es wol seyn, daß seine Nachkommen hiervon nichts gewust, und diesen unverhofft gefundenen Schatz also entbehren müssen.
Der hierdurch zuletzt noch ungemein erfreute Beamte theilete selbigen versiegelt in etliche Futter-Säcke der Bauren, und hiermit nahmen wir unsern Weg zurück, er in die Stadt, Schimmer und ich, nebst 4. Bauern aber, zu unsern gutthätigen Pfarrer, der über die fernere Nachricht unserer Geschicht [362] um so viel desto mehr Verwunderung und Bestürzung zeigte.
Wir hatten dem redlichen Beamten versprochen, seiner daselbst zu erwarten, und dieser stellete sich am 3ten Tage bey uns ein, brachte vor Schimmern und mich 200. spec. Ducaten zum Geschencke mit, angleichen ein gantz Stück Scharlach nebst allem Zubehör der Kleidungen, die uns zwey Schneiders aus der Stadt in der Pfarr-Wohnung sogleich verfertigen musten. Mittlerweile protocollierte er unsere nochmahlige Außsage wegen dieser Begebenheit, hielt darauff sein Verlöbniß mit des Priesters Tochter, welches Freuden-Fest wir beyderseits abwarten musten, nachhero aber, da sich Schimmer ein gutes Pferd erkauft, und unsere übrige Equippage völlig gut eingerichtet war, nahmen wir von dem guthertzigen Priester und den Seinigen danckbarlich Abschied, liessen uns von 6. Handfesten, wohlbewaffneten und gut berittenen Bauern zurück durch den Thüringer Wald begleiten, und setzten nachhero unsere Reise ohne fernern Anstoß auf Detmold fort, allwo wir von Schimmers Mutter, die ihren Mann nur etwa vor 6. oder 8. Wochen durch den Tod eingebüsset hatte, hertzlich wol empfangen wurden.
Hierselbst theileten wir die, auf unserer Reise wunderbar erworbenen Gelder, ehrlich miteinander und lebten über ein Jahr als getreue Brüder zusammen, binnen welcher Zeit ich dermassen gut Teutsch lernete, daß fast meine Mutter-Sprache darüber vergaß, wie ich mich denn auch in solcher Zeit zur Evangelisch-Lutherischen Religion wandte, [363] und den verwirrten Englischen Secten gäntzlich absagte.
Schimmers Bruder hatte die Väterlichen Güter allbereit angenommen, und ihm etwa 3000. teutscher Thaler heraus gegeben, welche dieser zu Bürgerlicher Nahrung anlegen, und eine Jungfrau von nicht weniger guten Mitteln erheyrathen, mich aber auf gleiche Art mit seiner eintzigen schönen Schwester versorgen wolte. Allein zu meinem grösten Verdrusse hatte sich dieselbe allbereits mit einem wohlhabenden andern jungen Menschen verplempert, so daß meine zu ihr tragende aufrichtige Liebe vergeblich war, und da vollends meines lieben Schimmers Liebste, etwa 3. Wochen vor dem angestellten Hochzeit-Feste, durch den Tod hinweg gerafft wurde; fasseten wir beyderseits einen gantz andern Schluß, nahmen ein jeder von seinem Vermögen 1000. spec. Ducaten, legten die übrigen Gelder in sichere Hände, und begaben uns unter die Holländischen Ost-Indien-Fahrer, allwo wir auf zwey glücklichen Reisen unser Vermögen ziem lich verstärckten, derowegen auch gesonnen waren, die dritte zu unternehmen, als uns die verzweiffelten Verräther, Alexander und Gallus, das Maul mit der Hoffnung eines grossen Gewinstes wässerig machten, und dahin brachten, in ihrer Gesellschafft nach der Insul Amboina zu schiffen.
Was auf dieser Fahrt vorgegangen, hat meine werthe Schwägerin, des Alberti II. Gemahlin, mit behörigen Umständen erzehlet, derowegen will nur noch dieses melden, daß Schimmer und ich eine heimliche Liebe auf die beyden tugendhafften [364] Schwestern, nemlich Philippinen und Judith geworffen hatten, ingleichen daß sich Jacob Larson, der unser dritter Mann und besonderer Hertzens-Freund war, nach Sabinens Besitzung sehnete. Doch keiner von allen dreyen hatte das Hertze, seinem Geliebten Gegenstande die verliebten Flammen zu entdecken, zumahlen da ihre Gemüther, durch damahlige ängstliche Bekümmernisse, einmahl über das andere in die schmerzlichsten Verdrießlichkeiten verfielen. In welchem elenden Zustande denn auch die fromme und keusche Philippine ihr junges Leben kläglich einbüssete, welches Schimmern als ihren ehrerbietigen Liebhaber in geheim 1000. Thränen auspressete, indem ihm dieser Todes-Fall weit heftiger schmertzte, als der plötzliche Abschied seiner ersten Liebste. Ich und Larson hergegen verharreten in dem festen Vorsatze, so bald wir einen sichern Platz auf dem Lande erreicht, unsern beyden Leit-Sternen die Beschaffenheit und Leydenschafft der Hertzen zu offenbaren, und allen Fleiß anzuwenden, ihrer ungezwungenen schätzbaren Gegen-Gunst theilhafftig zu werden. Dieses geschahe nun so bald wir auf hiesiger Felsen-Insul unsere Gesundheit völlig wieder erlangt hatten. Der Vortrag wurde nicht allein guthertzig aufgenommen, sondern wir hatten auch beyderseits Hoffnung bey unsern schönen Liebsten glücklich zu werden. Doch Amias und Robert Hüll brachten es durch vernünfftige Vorstellungen dahin, daß wir insgesamt guter Ordnung wegen unsere Hertzen beruhigten, und selbige auf andere Art vertauschten. Also kam meine innigst geliebte Middelburgische Judith an Albertum [365] II. Sabina an Stephanum, Jacob Larson bekam zu seinem Theile, weil er der älteste unter uns war, auch die älteste Tochter unsers theuren Altvaters, Schimmer nahm mit grösten Vergnügen von dessen Händen die andere, und ich wartete mit innigsten Vergnügen auf meine, ihren zweyen Schwestern an Schönheit und Tugend gleichförmige Christina bey nahe noch 6. Jahr, weil ihr beständig zarter und kränklicher Zustand unsere Hochzeit etliche Jahr weiter, biß ins 1674te hinaus verschobe. Wie vergnügt wir unsere Zeit beyderseits biß auf diese Stunde zugebracht, ist nicht auszusprechen. Mein Vaterland, oder nur einen einzigen Ort von Europa wieder zu sehen, ist niemals mein Wunsch gewesen, derowegen habe mein weniges zurück gelassenes Vermögen, so wohl als Schimmer, gern im Stich gelassen und frembden Leuten gegönnet, bin auch entschlossen, biß an mein Ende dem Himmel unaufhörlichen Danck abzustatten, daß er mich an einen solchen Ort geführet, allwo die Tugenden in ihrer angebornen Schönheit anzutreffen, hergegen die Laster des Landes fast gäntzlich verbannet und verwiesen sind.
Hiermit endigte David Rawkin die Erzehlung seiner und seines Freundes Schimmers Lebens-Geschicht, welche wir nicht weniger als alles Vorige mit besondern Vergnügen angehöret hatten, und uns deßwegen aufs höfflichste gegen diesen 85. jährigen Greiß, der seines hohen Alters ohngeacht noch so frisch und munter, als ein Mann von etwa 40. Jahren war, auffs höfflichste bedanckten. Der Altvater aber sagte zu demselben: Mein werther [366] Sohn, ihr habt eure Erzehlung voritzo zwar kurtz, doch sehr gut gethan, jedennoch seid ihr denen zuletzt angekommenen lieben Freunden den Bericht von euren zweyen Ost-Indischen Reisen annoch schuldig blieben, und weil selbiger viel merkwürdiges in sich fasset, mögen sie euch zur andern Zeit darum ersuchen. Was den Jacob Larson anbelanget, so will ich mit wenigen dieses von ihm melden: Er war ein gebohrner Schwede, und also ebenfalls Lutherischer Religion, seines Handwercks ein Schlösser, der in allerhand Eisen- und Stahl-Arbeit ungemeine Erfahrenheit und Kunst zeigete. In seinem 24. Jahre hatte ihn die gantz besondere Lust zum Reisen aufs Schiff getrieben, und durch verschiedene Zufälle zum fertigen See-Manne gemacht, Ost-und West-Indien hatte derselbe ziemlich durchkrochen, und dabey öffters grossen Reichthum erworben, welchen er aber jederzeit gar plötzlich und zwar öffters aufs gefährlichste, nicht selten auch auf lächerliche Art wiederum verlohren. Dennoch ist er einmahl so standhafft als das andere, auf Besehung frembder Länder und Völker geblieben, und ich glaube, daß er nimmermehr auf dieser Insul Stand gehalten, wenn ihm nicht meine Tochter, die er als seine Frau sehr hefftig liebte, sonderlich aber die bald auf einander folgenden Leibes-Erben, eine ruhigere Lebens-Art eingeflösset hätten. Es ist nicht auszusprechen, wie nützlich dieser treffliche Mann mir und allen meinen Kindern gewesen, denn er hat nicht allein Eisen- und Metall-Steine allhier erfunden, sondern auch selbiges ausgeschmelzt und auf viele Jahre hinaus nützlicheInstrumenten daraus [367] verfertiget, daß wir das Schieß-Pulver zur Noth selbst, wiewohl nicht so gar fein als das Europäische, machen können, haben wir ebenfalls seiner Geschicklichkeit zu dancken, ja noch viel andere Sachen mehr, welche hinführo den Meinigen Gelegenheit geben werden seines Nahmens Gedächtniß zu verehren. Er ist nur vor 6. Jahren seiner seeligen Frauen im Tode gefolget, und hat den seeligen Schimmer etwa um 3. Jahre überlebt, der vielleicht auch noch nicht so bald gestorben wäre, wenn er nicht durch einen umgeschlagenen Balcken bey dem Gebäude seiner Kinder, so sehr beschädigt und ungesund worden wäre. Jedoch sie sind ohnfehlbar in der ewig seeligen Ruhe, welche man ihnen des zeitlichen Lebens wegen nicht mißgönnen muß.
Nunmehro aber meine Lieben, sagte hierbey unser Altvater, wird es Zeit seyn, daß wir uns sämmtlich der Ruhe bedienen, um Morgen geliebtes Gott des seel. Schimmers und seiner Nachkommen Wohnstädte in Augenschein zu nehmen. Demnach folgten wir dessen Rathe in diesem Stück desto williger, weil es allbereit Mitternacht war, folgenden Morgens aber, da nach genossener Ruhe und eingenommenen Früh-Stück, der jüngere Albertus, Stephanus und David mit ihren Gemahlinnen, dieses mal Abschied von uns nahmen, und wiederum zu den ihrigen kehreten, setzten wir übrigen nebst dem Altvater die Reise auf Simons-Raum fort.
Allda nahmen wir erstlich eine feine Brücke über den Nord-Fluß in Augenschein, nebst derjenigen[368] Schleuse, welche auf den Nothfall gemacht war, wenn etwa die Haupt-Schleusen in Christians-Raum nicht vermögend wären den Lauf des Flusses, welcher zu gewissen Zeiten sehr hefftig und schnelle trieb, gnugsamen Widerstand zu thun. Die Pflanz-Stadt selbst bestunde aus 13. Wohnhäusern, worunter aber 3. befindlich, die vor junge Anfänger nur kürtzlich neu aufgebauet, und noch nicht bezogen waren. Ihr Haußhaltungs Wesen zeigte sich denen übrigen Insulanern, der Nahrhafftigkeit und accuratesse wegen, in allen gleichförmig, doch fanden sich ausserdem etliche Künstler unter ihnen, welche die artigsten und nützlichsten Geschirre, nebst andern Sachen, von einem vermischten Metall sauber giessen und ausarbeiten, auch die Formen selbst darzu machen konten, welches der seel. Simon Heinrich Schimmer durch seine eigene Klugheit, und Larsons Beyhülffe erfunden und seine Kinder damit belehret hatte. Im übrigen waren alle, in der Bau-Kunst und andern nöthigen Handthierungen, nach dasiger Art ungemein wohl erfahren.
Nachdem wir allen Haußwirthen daselbst eine kurtze Visite gegeben, und ihr gantzes Wesen wohl beobachtet hatten, begleiteten uns die Mehresten in den grossen Thier-Garten, den der Altvater bereits vor langen Jahren in der Nord-Ost-Ecke der Insul angelegt, und einiges Wild hinein geschaffet hatte, welches nachhero zu einer solchen Menge gediehen und dermassen Zahm worden, daß man es mit Händen greiffen und schlachten konte, so offt man Lust darzu bekam. Dieser schöne Thier-Garten [369] wurde von verschiedenen kleinen Bächlein durchstreifft, die aus der kleinen Oestlichen See gerauschet kamen, und sich in den äusersten Felsen Löchern verlohren. Wir nahmen ermeldte kleine See, welche etwa tausend Schritte im Umfange hatte, wohl in Augenschein, passierten über den Ost-Fluß vermittelst einer verzäunten Brücke, und bemerckten, daß sich selbiger Fluß mit entsetzlichen Getöse in die holen Felsen-Klüffte hinein stürtzte, worbey uns gesagt wurde, was massen er ausserhalb nicht als ein Fluß, sondern in unzehlige Strudels zertheilt, in Gestalt der allerschönsten fontaine wiederum zum Vorscheine käme, und sich solchergestalt in die See verlöhre. Die andere Seite der See, nach Ost-Süden zu, war wegen der vielen starcken Bäche, die ihren Ursprung im Walde aus vielen sumpffigten Oertern nahmen, und durch ihren Zusammenfluß die kleine See machten, nicht wohl zu umgehen, derowegen kehreten wir über die Brücke des Ost-Flusses, durch den Tier-Garten zurück nach Simons-Raum, wurden von dasigen Einwohnern herrlich gespeiset und getränckt, reichten ihnen die gewöhnlichen Geschencke, und kehreten nachhero zurücke. Herr Mag. Schmelzer nahm seinen Weg in die Davids-RaumerAlleé, um daselbst seine Catechismus-Lehren fortzusetzen, wir aber kehreten zurück und halffen biß zu dessen Zurückkunfft am Kirchen-Bau arbeiten, nahmen nachhero auf der Albertus-Burg die Abend-Mahlzeit ein, worauff der Altvater, uns Versammleten den Rest seiner vorgenommenen Lebens-Geschicht mitzutheilen, folgender massen anhub:
[370] Nunmehro wisset, ihr meine Geliebten, wer diejenigen Haupt-Personen gewesen sind, die ich im 1668ten Jahre mit Freuden auf meiner Insul ankommen und bleiben sahe. Also befanden wir uns sämtliche Einwohner derselben 20. Personen starck, als 11. männliches Geschlechts, unter welchen meine beyden jüngsten Zwillinge, Christoph und Christian im 13den Jahre stunden, und dann 9. Weibs-Bilder, worunter meine 11. jährige Töchter Christina und Roberts zwey kleinen Töchter, annoch in völliger Unschuld befindlich waren. Unsere zuletzt angekommenen Frembdlinge machten sich zwar ein grosses Vergnügen mit an die erforderliche Nahrungs-Arbeit zu gehen, auch bequemliche Hütten vor sich zu bauen, jedennoch konten weder ich und die Meinigen, nochAmias und Robert eigentlich klug werden, ob sie gesinnet wären bey uns zu bleiben, oder ihr Glück anderwärts zu suchen. Denn sie brachten nicht allein durch unsere Beyhülffe ihr Schiff mit gröster Mühe in die Bucht, sondern setzten selbiges binnen kurtzer Zeit in Seegelfertigen Zustand. Endlich, da der ehrliche Schimmer alles genauer überlegt, und von unserer Wirtschafft völlige Kundschafft eingezogen hatte, Verliebte er sich in meine Tochter Elisabeth, und brachte seine beyden Gefährten, nemlich Jacob und David dahin, daß sie sich nicht allein auf sein, sondern der übrigen Frembdlinge Zureden, bewegen liessen, ihre beyden Geliebten an meine ältesten Zwillinge abzutreten, hergegen ihre Hertzen auf meine zwey übrigen Töchter zu lencken. Demnach wurden im 1669ten Jahre, Jacob Larson mit Maria, [371] Schimmer mit Elisabeth, mein ältester Sohn mit Judith, und Stephanus mit Sabinen, von mir ehelich zusammen gegeben, der gute David aber, dessen zugetheilte Christina noch allzu jung war, geduldete sich noch etliche Jahr, und lebte unter uns als ein unverdrossener redlicher Mann.
Die Lust ein neues Schiff zu bauen war nunmehro so wol dem Amias, als uns andern allen vergangen, indem das zuletzt angekommene von solcher Güte schiene, mit selbigem eine Reise um die gantze Welt zu unternehmen, jedoch es wurden alle Schätze an Gelde und andern Kostbarkeiten, Waaren, Pulver und Geschütze gäntzlich ausgeladen und auf die Insul, das Schiff selbst aber an gehörigen Orth in Sicherheit gebracht. Nachhero ergaben wir uns der bequemlichsten Hauß-Arbeit und dem Land-Baue dermassen, und mit solcher Gemächlichkeit, daß wir zwar als gute Hauß-Wirthe, aber nicht als eitele Bauch- und Mammons-Diener zu erkennen waren. Das ist so viel gesagt, wir baueten uns mehrere und beqvemlichere Wohnungen, bestelleten mehr Felder, Gärten und Weinberge, brachten verschiedene Werckstädten zur Holz-Stein-Metall- und Saltz-Zurichtung in behörige Ordnung, trieben aber damit nicht den geringsten Wucher, und hatten solchergestalt gar keines Geldes von nöthen, weil ein jeder mit demjenigen, was er hatte, seinen Nächsten umsonst, und mit Lust zu dienen geflissen war.
[372] Im übrigen brachten wir unsere Zeit denmassen vergnügt zu, daß es keinem einzigen gereuete, von dem Schicksal auf diese Insul verbannet zu seyn. Meine liebe Concordia aber und ich waren dennoch wohl die allervergnügtesten, da wir uns nunmehro über die Einsamkeit zu beschweren keine fernere Ursache hatten, sondern unserer Kinder Familien im besten Wachsthum sahen, und zu Ende des 1670ten Jahres allbereit 9. Kindes-Kinder, nehmlich 6. Söhne und 3. Töchter küssen konten, ohngeacht wir dazumahl kaum die Helffte der schrifftmäßigen menschlichen Jahre überschritten hatten, also gar frühzeitig Groß-Eltern genennet wurden.
Unser dritter Sohn, Johannes, trat damahls in sein zwantzigstes Jahr, und ließ in allen seinen Wesen den natürlichen Trieb spüren, daß er sich nach der Lebens-Art seiner älteren Brüder, das ist, nach einem Ehe-Gemahl, sehnete. Seine Mutter und ich liessen uns dessen Sehnsucht ungemein zu Hertzen gehen, wusten ihm aber weder zu rathen noch zu helffen, biß sich endlich der alte Amias des schwermüthigen Jünglings erbarmete, und die Schiff-Fahrt nach der Helenen-Insul von neuem aufs Tapet brachte, sintemahl ein tüchtiges Schiff in Bereitschafft lag, welches weiter nichts als behörige Ausrüstung bedurffte. MeineConcordia wolte hierein anfänglich durchaus nicht willigen, doch endlich ließ sie sich durch die trifftigsten Vorstellungen der meisten Stimmen so wohl als ich überwinden, und willigte, wiewohl mit thränenden Augen, darein, daß Amias, Robert, Jacob, [373] Simon, nebst allen unsern 5. Söhnen zu Schiffe gehen solten, um vor die 3. Jüngsten Weiber zu suchen, wo sie selbige finden könnten. David Rawkin, weil er keine besondere Lust zum Reisen bezeugte, wurde von den andern selbst ersucht, seiner jungen Braut wegen zurück zu bleiben, hergegen gaben sich Stephani, Jacobs und Simons Gemahlinnen von freyem Willen an, diese Reise mit zu thun, und bey ihren Männern gutes und böses zu erfahren. Roberts und Alberts Weiber aber, die ebenfalls nicht geringe Lust bezeigten, dergleichen Fahrt mit zu wagen, wurden genöthiget, bey uns zu bleiben, weil sie sich beyde hoch-schwangern Leibes befanden.
Dennoch gingen binnen wenig Tagen alle Anstalten fast noch hurtiger von statten, als unsere vorherige Entschliessung, und die erwehnten 12. Personen waren den 14. Januar 1671. überhaupt mit allen fertig in See zu gehen, weil das Schiff mit gnugsamen Lebens-Mitteln, Gelde, nothdürfftigen Gütern, Gewehr und dergleichen vollkommen gut ausgerüstet, auch weiter nichts auf demselben mangelte, als etwa noch 2. mahl so viel Personen.
Jedoch der tapffere Amias, als Capitain dieses wenigen Schiffs-Volcks, war dermassen muthig, daß die übrigen alle mit Freuden auf die Stunde ihrer Abfahrt warteten.
Nachdem also Amias, Robert, Jacob und Simon mir einen theuren Eyd geschworen, keine weitern Abendtheuern zu suchen, als diejenigen, so unter uns abgeredet waren, im Gegentheil meine Kinder, so bald nur vor dieselben 3. anständige [374] Weibs-Personen ausgefunden, eiligst wieder zurück zu führen, gingen sie den 16ten Jan. zur Mittags-Zeit freudig unter Segel, stiessen unter unzehligen Glückwünschungen von dieser Insul ab, und wurden von uns Zurückbleibenden mit thränenden Augen und ängstlichen Gebärden so weit begleitet, biß sie sich nach etlichen Stunden sammt ihren Schiffe gäntzlich aus unsern Gesichte verlohren.
Solcher Gestalt kehreten ich, David, und die beyden Concordien zurück in unsere Behausung, allwoJudith und meine jüngste Tochter Christina, auf die kleinen 9. Kinder Achtung zu haben, geblieben waren. Unser erstes war, so gleich sämmtlich auf die Knie nieder zu fallen, und GOTT um gnädige Erhaltung der Reisenden wehmüthigst anzuflehen, welches nachhero Zeit ihrer Abwesenheit alltäglich 3. mahl geschahe. David und ich liessen es uns mittlerweile nicht wenig sauer werden, um unsere übrigen Früchte und den Wein völlig einzuerndten, auch nachero so viel Feld wiederum zu bestellen, als in unsern und der wohlgezogenen Affen Vermögen stund. Die 3. Weiber aber durfften vor nichts sorgen, als die Küche zu bestellen, und die unmündigen Kinder mit Christinens Beyhülffe wohl zu verpflegen.
Jedoch weil sich ein jeder leichtlich einbilden kan, daß wir die Hände allerseits nicht werden in Schooß gelegt haben, und ich ohnedem schon viel von unserer gewöhnlichen Arbeit und Haußhaltungs-Art gemeldet, so will voritzo nur erzehlen, wie es meinen See-fahrenden Kindern ergangen. Selbige [375] hatten biß in die 8te Woche vortrefflichen Wind und Wetter gehabt, dennoch müssen die meisten unter ihnen der See den gewöhnlichen Zoll liefern, allein, sie erholen sich deßfalls gar zeitig wieder, biß auf die eintzige Elisabeth, deren Kranckheit dermassen zunimmt, daß auch von allen an ihren Leben gezweyffelt wird. Simon Schimmer hatte seine getreue eheliche Liebe bey dieser kümmerlichen Gelegenheit dermassen spüren lassen, daß ein jeder von seiner Aufrichtigkeit und Redlichkeit Zeugniß geben können, indem er nicht von ihrer Seite weicht, und den Himmel beständig mit tränenden Augen anflehet, das Schiff an ein Land zu treiben, weil er vermeinet, daß seine Elisabeth ihres Lebens auf dem Lande weit besser als auf der See versichert seyn könne. Endlich erhöret GOtt dieses eyffrige Gebet, und führet sie im mittel der 6ten Woche an eine kleine flache Insel, bey welcher sie anländen, jedoch weder Menschen noch Thiere, ausgenommen Schild-Kröten und etliche Arten von Vögeln und Fischen darauf antreffen. Amias führet das Schiff um so viel desto lieber in einen daselbst befindlichen guten Hafen, weil er und Jacob, als wohlerfahrene See-Fahrer, aus verschiedenen natürlichen Merckzeichen, einen bevorstehenden starcken Sturm muthmassen. Befinden sich auch hierinnen nicht im geringsten betrogen, da etwa 24. Stunden nach ihrem Aussteigen, als sie sich bereits etliche gute Hütten erbauet haben, ein solches Ungewitter auf der See entstehet, welches leichtlich vermögend gewesen, diesen wenigen und theils schwachen Leuten den Untergang zu befördern.
[376] In solcher Sicherheit aber, sehen sie den entsetzlichen Sturm mit ruheriger Gemächligkeit an, und sind nur bemühet, sich vor dem öffters anfallenden Winde und Regen wohl zu verwahren, welcher letztere ihnen doch vielmehr zu einiger Erquickung dienen muß, da selbiges Wasser weit besser und annehmlicher befunden wird, als ihr süsses Wasser auf dem Schiffe.Amias, Robert und Jacob schaffen hingegen in diesem Stücke noch bessern Rath, indem sie an vielen Orten eingraben, und endlich die angenehmsten süssen Wasser-Brunnen erfinden. An andern erforderlichen Lebens-Mitteln aber haben sie nicht den geringsten Mangel, weil sie mit demjenigen, was meine Insul Felsenburg zur Nahrung hervor bringet, auf länger als 2. Jahr wohl versorgt waren.
Nachdem der Sturm dieses mahl vorbey, auch die krancke Elisabeth sich in ziemlich verbesserten Zustande befindet, halten Amias und die übrigen vors rathsamste, wiederum zu Schiffe zu gehen, und ein solches Erdreich zu suchen, auf welchem sich Menschen befänden, doch Schimmer, der sich starck darwider setzt, und seine Elisabeth vorhero vollkommen gesund sehen will, erhält endlich durch hefftiges Bitten so viel, daß sie sämmtlich beschliessen, wenigstens noch 8. Tage auf selbiger wüsten Insul zu verbleiben, ohngeacht dieselbe ein schlechtes Erdreich hätte, welches denen Menschen weiter nichts zum Nutzen darreichte, als einige schlechte Kräuter, aber desto mehr theils hohe, theils dicke Bäume, die zum Schiff-Bau wohl zu gebrauchen gewesen.
Meine guten Kinder hatten nicht Ursach gehabt,[377] diese ihre Versäumniß zu bereuen, denn ehe noch diese 8. Tage vergehen, fällt abermahls ein solches Sturm-Wetter ein, welches das vorige an Grausamkeit noch weit übertrifft, da aber auch dessen 4. tägige Wuth mit einer angenehmen und stillen Witterung verwechselt wird, hören sie eines Morgens früh noch in der Demmerung ein plötzliches Donnern des groben und kleinen Geschützes auf der See, und zwar, aller Muthmassungen nach, gantz nahe an ihrer wüsten Insul. Es ist leicht zu glauben, daß ihnen sehr bange um die Hertzen müsse gewesen seyn, zumahlen da sie bey völlig herein brechenden Sonnen-Lichte gewahr werden, daß ein mit Holländischen Flaggen bestecktes Schiff von zweyen Barbarischen Schiffen angefochten und bestritten wird, der Holländer wehret sich dermassen, daß der eine Barbar gegen Mittag zu Grunde sincken muß, nichts desto weniger setzet ihm der Letztere so grausam zu, daß bald hernach der Holländer in letzten Zügen zu liegen scheinet.
Bey solchen Gefährlichen Umständen vermerckenAmias, Robert, Jacob und Simon, daß sie nebst den Ihrigen ebenfalls entdeckt und verlohren gehen würden, daferne der Holländer das Unglück haben solte, unten zu liegen, fassen derowegen einen jählingen und verzweiffelten Entschluß, begeben sich mit Sack und Pack in ihr mit 8. Canonen besetztes Schiff, schlupffen aus dem kleinen Hafen heraus, gehen dem Barbar in Rücken, und geben zweymahl tüchtig Feuer auf denselben, weßwegen dieser in entsetzliches Schrecken geräth, der Holländer aber neuen Muth bekömmt, und seinen Feind mit [378] frischer recht verzweiffelter Wuth zu Leibe gehet. Die Meinigen lösen ihre Canonen in gemessener Weite noch zweymahl kurtz auf einander gegen den Barbar, und helffen es endlich dahin bringen, daß derselbe von dem Holländer nach einem rasenden Gefechte vollends gäntzlich überwunden, dessen Schiff aber mit allen darauf befindlichen Gefangenen an die wüste und unbenahmte Insel geführet wird.
Der Hauptmann nebst den übrigen Herren des Holländischen Schiffs können kaum die Zeit erwarten, biß sie Gelegenheit haben, meinen Kindern, als ihren tapffern Lebens-Errettern, ihre danckbare Erkänntlichkeit so wohl mit Worten als in der That zu bezeugen, erstaunen aber nicht wenig, als sie dieselben in so geringer Anzahl und von so wenigen Kräfften antreffen, erkennen derohalben gleich, daß der kühne Vorsatz nebst einer geschickten und glücklich ausgeschlagenen List das beste bey der Sache gethan hätten.
Nichts desto weniger bieten die guten Leute den Meinigen die Helfte von allen eroberten Gut und Geldern an, weil aber dieselben ausser einigen geringen Sachen sonsten kein ander Andencken wegen des Streits und der Holländer Höflichkeit annehmen wollen; werden die letztern in noch weit grössere Verwunderung gesetzt, indem sich die ihnen zugetheilte Beute höher als 12000. Thlr. belauffen hatte.
Immittelst, da die Holländer sich genöthiget sehen, zu völliger Ausbesserung ihres Schiffs wenigstens 14. Tage auf selbiger Insul stille zu liegen, [379] beschliessen die Meinigen anfänglich auch, biß zu deren Abfahrt allda zu verharren. Zumahlen, da Amias gewahr wird, daß sich verschiedene, theils noch gar junge, theils schon etwas ältere Frauens-Personen unter ihnen befinden. Er sucht so wohl als Robert, Jacob undSimon, mit selbigen ins Gespräch zu kommen; doch der Letztere ist am glücklichsten, indem er gleich andern Tags darauf, eine, von ermeldten Weibs-Bildern, hinter einem dicken Gesträuche in der Einsamkeit höchst betrübt und weinend antrifft. Schimmer erkundigt sich auf besonders höfliche Weise nach der Ursach ihres Betrübnissses, und erfährt so gleich, daß sie eine Wittbe sey, deren Mann vor etwa 3. Monaten auf diesem Schiffe auch in einem Streite mit den See-Räubern todt geschossen worden, und die nebst ihrer 14. jährigen Stieff-Tochter zwar gern auf dem Cap der guten Hoffnung ihres seel. Mannes hinterlassene Güter zu Gelde machen wolte, allein, sie würde von einem, auf diesem Holländischen Schiffe befindlichen Kauffmanne, dermassen mit Liebe geplagt, daß sie billig zu befürchten hätte, er möchte es mit seinem starcken Anhange und Geschencken also listig zu Karten trachten, daß sie sich endlich gezwungener Weise an ihm ergeben müsse. Schimmer stellet ihr vor, daß sie als eine annoch sehr junge Frau noch gar füglich zur andern Ehe schreiten, und einen Mann, der sie zumahlen hefftig liebte, glücklich machen könne; ob auch derselbe ihr eben an Gütern und Vermögen nicht gleich sey; Allein die betrübte Frau spricht: Ihr habt recht, mein Herr! ich bin noch nicht veraltert, weil sich mein [380] gantzes Lebens-Alter wenig Wochen über 24. Jahr erstreckt, und ich Zeit meines Ehe-Standes nur zwey Kinder zur Welt gebracht habe. Derowegen würde mich auch nicht wegern, in die andere Ehe zu treten, allein, mein ungestümer Liebhaber ist die allerlasterhaffteste Manns-Person von der Welt, der sich nicht scheuen solte, Mutter, Tocher und Magd auf einmahl zu lieben, demnach hat mein Herz einen recht natürlichen Abscheu vor seiner Person, ja ich wolte nicht allein meines seel. Mannes Verlassenschafft, die sich höher als 10000. Thlr. belauffen soll, sondern noch ein mehreres darum willig hergeben, wenn ich entweder in Holland, oder an einem andern ehrlichen Orte, in ungezwungener Einsamkeit hinzubringen Gelegenheit finden könte.
Schimmer thut hierauf noch verschiedene Fragen an dieselbe, und da er diese Frau vollkommen also gesinnet befindet, wie er wünscht, ermahnet er sie, ihr Herz in Gedult zu fassen, weil ihrem Begehren gar leicht ein Genügen geleistet werden könne, daferne sie sich seiner Tugend und guten Raths völlig anvertrauen wolle. Nur müste er vorhero erstlich mit einigen seiner Gesellschaffter von dieser Sachen reden, damit er etwa Morgen um diese Zeit und auf selbiger Stelle fernere Abrede mit ihr nehmen könne.
Die tugendhaffte Wittbe fängt hierauf gleich an, diesen Mann vor einen ihr von GOTT zugeschickten menschlichen Engel zu halten, und wischet mit hertzlichen Vertrauen die Thränen aus ihren bekümmerten Augen. Schimmer verläst also dieselbe, [381] und begiebt sich zu seiner übrigen Gesellschafft, welcher er diese Begebenheit gründlich zu Gemüthe führet, und erwehnte Wittbe als ein vollkommenes Bild der Tugend heraus streicht. Amias bricht solcher Gestalt auf einmahl in diese Worte aus: Erkennet doch, meine Kinder, die besondere Fügung des Himmels, denn ich zweiffele nicht, die schöne Wittbe ist vor unsern Johannem, und ihre Stieff-Tochter vor Christoph bestimmt, hilfft uns nun der Himmel allhier noch zu der dritten Weibs-Person vor unsern Christian, so haben wir das Ziel unserer Reise erreicht, und können mit Vergnügen auf eine fügliche Zurückkehr dencken.
Demnach sind sie allerseits nur darauf bedacht, der jungen Wittbe eine gute Vorstellung von ihrem gantzen Wesen zu machen, und da dieselbe noch an eben demselben Abend von Marien und Sabinen in ihre Hütte geführet wird, um die annoch etwas kränckliche Elisabeth zu besuchen, kan sich dieselbe nicht gnungsam verwundern, daselbst eine solche Gesellschafft anzutreffen, welche ich, als ihr Stamm-Vater, wegen der Wohlgezogenheit, Gottesfurcht und Tugend nicht selbst weitläufftig rühmen mag. Ach meine Lieben! rufft die fromme Wittbe aus, sagt mir doch, wo ist das Land, aus welchen man auf einmahl so viel Tugendhaffte Leute hinweg reisen lässet? Haben euch denn etwa die gottlosen Einwohner desselben zum Weichen gezwungen? Denn es ist ja bekannt, daß die böse Welt fast gar keine Frommen mehr, sie mögen auch jung oder alt seyn, unter sich leiden will. Nein, meine schöne Frau, fällt ihr der alte Amias hierbey [382] in die Rede, ich versichere, daß wir, die hier vor euren Augen sitzen, der Tugend wegen noch die geringsten heissen, denn diejenigen, so wir zurück gelassen, sind noch viel vollkommener, und wir leben nur bemühet, ihnen gleich zu werden. Dieses war nun (sagte hierbey unser Alt-Vater Albertus) eine starcke Schmeicheley, allein, es hatte dem ehrlichen Amias damahls also zu reden beliebt, die Dame aber siehet denselben starr an, und spricht: Mein Herr! euer Ehrwürdiges graues Haupt bringet vielen Respect zu wege, sonsten wolte sagen, daß ich nicht wüste, wie ich mit euch dran wäre, ob ihr nemlich etwa mit mir schertzen, oder sonsten etwas einfältiges aus meinen Gedancken locken woltet?
Diese Reden macht sich Amias zu Nutze, und versetzt dieses darauf: Madam! dencket von mir was ihr wollet, nur richtet meine Reden nicht ehe nach der Schärffe, biß ich euch eine Geschicht erzehlet, die gewiß nicht verdrüßlich anzuhören, und dabey die klare Wahrheit ist. Hierauf fängt er an, als einer, der meine und der Meinigen gantze Lebens-Geschicht vollkommen inne hatte, alles dasjenige auf dem Nagel her zu sagen, was uns passieret ist, und worüber sich die Dame am Ende vor Verwunderung fast nicht zu begreifen weiß. Hiermit aber ist es noch nicht genung, sondern Amias bittet dieselbe, von allen dem, was sie anitzo gehöret, bey ihrer Gesellschafft nichts kundbar zu machen, indem sie gewisser Ursachen wegen, sonst Niemanden als ihr alleine, dergleichen Geheimnisse wissen lassen, vielmehr einem jeden bereden [383] wolten, sie hätten auf der Insul St. Helenae ein besonderes Gewerbe auszurichten. Virgilia van Catmers, so nennet sich diese Dame, verspricht nicht allein vollkommene Verschwiegenheit, sondern bittet auch um GOttes willen, sie nebst ihrer Stief-Tochter, welches ein Kind guter Art sey, mit in dergleichen irdisches Himmelreich (also hatte sie meine Felsen-Insul genennet) zu nehmen, und derselben einen tugendhaften Mann heyrathen zu helffen. Ich vor meine Person, setzt sie hinzu, kan mit Wahrheit sagen, daß ich mein übriges Leben eben so gern im tugendhafften ledigen Stande, als in der besten Ehe zubringen wolte, weil ich von Jugend an biß auf diese Stunde Trübsal und Angst genug ausgestanden habe, mich also nach einem ruhigern Leben sehne. Meine Stieff-Tochter aber, deren Stieff-Mutter ich nur seit 5. Jahren bin, und die ich ihres sonderbaren Gehorsams wegen als mein eigen Kind liebe, möchte ich gern wohl versorgt wissen, weil dieselbe, im Fall wir das Cap der guten Hoffnung nicht erreichen solten, von ihrem väterlichen Erbtheile nichts zu hoffen hat, als diejenigen Kostbarkeiten, welche ich bey mir führe, und sich allein an Golde, Silber, Kleinodien und Gelde ohngefähr auf 16000. Ducaten belaufen, die uns aber noch gar leicht durch Sturm oder See-Räuber geraubt werden können.
Amias antwortet hierauf, daß dergleichen zeitliche Güter bey uns in grosser Menge anzutreffen wären, doch aber nichts geachtet würden, weil sie auf unserer Insul wenigen oder gar keinen Nutzen [384] schaffen könten, im übrigen verspricht er binnen 2. Tagen völligeResolution von sich zu geben, ob er sie nebst ihrer Tochter unter gewissen Bedingungen, ohne Gefahr, und mit guten Gewissen, mit sich führen könne oder nicht, lässet also die ehrliche Virgiliam vor dieses mahl zwischen Furcht und Hoffnung wiederum von der Gesellschafft Abschied nehmen.
Folgende zwey Tage legt er unter der Hand, und zwar auf gantz klügliche Art, genaue Kundschafft auf ihr von Jugend an geführtes Leben und Wandel, und erfähret mit Vergnügen, daß sie ihn in keinem Stücke mit Unwahrheit berichtet habe. Demnach fragt er erstlich den Johannem, ob er die Virgiliam zu seiner Ehe-Frau beliebte, und so bald dieser sein treuhertziges Ja-Wort mit besondern fröhlichen Gemüths-Bewegungen von sich gegeben, sucht er abermahlige Gelegenheit, Virgiliam nebst ihrer Tochter Gertraud in seine Hütten zu locken, welche letztere er als ein recht ungemein wohlgezogenes Kind befindet.
Demnach eröffnet er der tugendhafften Wittbe sein gantzes Hertze, wie er nemlich gesonnen sey, sie nebst ihrer Stieff-Tochter mit grösten Freuden auf sein Schiff zu nehmen, doch mit diesen beyden Bedingungen, daß sie sich gelieben lassen wolle, den Johannem, welchen er ihr vor die Augen stellet, zum Ehe-Manne zu nehmen, und dann sich zu bemühen, noch die 3te keusche Weibs-Person, die ohnfehlbar in ihrer Aufwärterin Blandina anzutreffen seyn würde, mit zu führen. Im übrigen dürffte keines von ihnen vor das Heyraths-Gut [385] sorgen, weil alles, was ihr Herz begehren könne, bey den Seinigen in Uberfluß anzutreffen wäre.
Meine Herren! versetzt hierauf Virgilia, ich mercke und verstehe aus allen Umständen nunmehro zur Gnüge, daß es euch annoch nur an 3. Weibs-Personen mangelt, eure übrigen und ledigen Manns-Personen zu beweiben, derowegen sind euch, so wohl meine Stieff-Tochter, als meine 17. jährige Aufwärterin hiermit zugesagt, weil ich gewiß glaube, daß ihr sonderlich die erstere mit dem Ehestande nicht übereilen werdet. Was meine eigene Person anbetrifft sagt sie ferner, so habe ich zwar an gegenwärtigen frommen Menschen, der, wie ihr sagt, Johannes Julius heisset, und ehrlicher Leute Kind ist, nicht das allergeringste auszusetzen; allein, ich werde keinem Menschen, er sey auch wer er sey, weder mein Wort noch die Hand zur Ehe geben, biß mein Trauer-Jahr, um meinen seeligen Mann, und einen 2. jährigen Sohn, der nur wenig Tage vor seinem Vater verstorben, zu Ende gelauffen ist. Nach diesem aber will ich erwarten, wie es der Himmel mit meiner Person fügen wird. Ist es nun bey dergleichen Schlusse euch anständig, mich, nebst meiner Tochter und Magd, vor deren Ehre ich Bürge bin, heimlich mit hinweg zu führen, so soll euch vor uns dreyen ein Braut-Schatz, von 16000. Ducaten werth, binnen wenig Stunden eingeliefert werden.
Amias will so wohl, als alle die andern, nicht das geringste von Schätzen wissen, ist aber desto erfreuter, daß er ihrer Personen wegen völlige Versicherung erhalten, nimmt derowegen diesen und [386] den folgenden Tag die sicherste Abrede mit Virgilien, so, daß weder der in sie verliebte Kauffmann, noch jemand anders auf deren vorgesetzte Flucht Verdacht legen kan.
Etliche Tage hernach, da die guten Holländer ihr Schiff, um selbiges desto bequemer auszubessern, auf die Seite gelegt, die kleinern Boote nebst allen andern Sachen aufs Land gezogen, und ihr Pulver zu trocknen, solches an die Sonne gelegt haben; kömmtAmias zu ihnen, und meldet, wie es ihm zu beschwerlich falle, bey diesem guten Wetter und Winde allhier stille zu liegen. Er wolle demnach, in Betrachtung, daß sie wenigstens noch 3. biß 4. Wochen allhier verharren müsten, seine Reise nach der Insel S. Helenæ fortsetzen, seine Sachen daselbst behörig einrichten, nachhero auf dem Rückwege wiederum allhier ansprechen, und nebst den Seinigen in ihrer Gesellschafft mit nach einer Ost-Indischen guten Insul schiffen. Inzwischen wolle er sie, gegen baare Bezahlung, um etwas Pulver und Bley angesprochen haben, als woran es ihm ziemlich mangele.
Die treuhertzigen Holländer setzen in seine Reden nicht das geringste Mißtrauen, versprechen einen gantzen Monat auf ihn zu warten, weil erwehnte Insel ohnmöglich über 100. Meilen von dar liegen könne, verehren dem guten Manne 4. grosse Faß Pulver, nebst etlichen Centnern Bley, wie auch allerhand treffliche Europäische Victualien, welche er mit andern, die auf unserer Insul gewachsen waren, ersetzet, und dabey Gelegenheit nimmt, von diesem und jenen allerhand Sämereyen, Frucht-Kernen [387] und Blumen-Gewächse auszubitten, gibt anbey zu verstehen, daß er ohnfehlbar des 3ten Tages aufbrechen, und unter Seegel gehen wolte; Allein der schlaue Fuchs schiffet sich hurtiger ein, als die Holländer vermeynen, und wartet auf sonst nichts, als die 3. bestellten Weibes-Personen. Da sich nun diese in der andern Nacht mit Sack und Pack einfinden, lichtet er seine Ancker und läufft unter guten Winde in die offenbare See, ohne daß es ein eintziger von den Holländern gewahr wird. Mit anbrechende Tage sehen sie die wüste Insul nur noch in etwas von ferne, weßwegen Amias 2. Canonen löset, um von den Holländern ehrlichen Abschied zu nehmen, die ihm vom Lande mit 4. Schüssen antworten, woraus er schliesset, daß sie ihren kostbaren Verlust noch nicht empfänden, derowegen desto freudiger die Seegel aufspannet, und seinen Weg auf Felsenburg richtet.
Die Rück-Reise war dermassen bequem und geruhig gewesen, daß sie weiter keine Ursach zu klagen gehabt, als über die um solche Zeit gantz ungewöhnliche Wind-Stille, welche ihnen, da sie nicht vermögend gewesen, der starcken Ruder-Arbeit beständig obzuliegen, eine ziemlich langsame Fahrt verursachet hatte.
Es begegnet ihnen weder Schiff noch etwas anderes merckwürdiges, auch will sich ihren Augen weder dieses oder jenes Land offenbaren, und da nachhero vollends ein täglicher, hefftiger Regen und Nebel einfällt, wird ihr Kummer noch grösser, ja die meisten fangen an zu zweiffeln, die Ihrigen auf der Felsen-Insul jemahls wieder zu sehen zu kriegen. [388] DochAmias und Jacob lassen wegen ihrer besondern Wissenschafft und Erfahrenheit im Compass, See-Charten und andern zur Schiff-Fahrt gehörigen Instrumenten den Muth nicht sincken, sondern reden den übrigen so lange tröstlich zu, biß sie am 9ten Maji, in den Mittags-Stunden, dieses gelobte Land an seinen von der Natur erbaueten Thürmern und Mauern von weiten erkennen. Jacob, der so glücklich ist, solches am ersten wahrzunehmen, brennet abgeredter massen, gleich eine Canone ab, worauf die im Schiff befindlichen 15. Personen sich so gleich versammlen, und zu allererst in einer andächtigen Bet-Stunde dem Höchsten ihr schuldiges Danck-Opffer bringen.
Es ist ihnen selbiges Tages unmöglich, die Felsen-Insul zu erreichen, weßwegen sie mit herein brechender Nacht Ancker werffen, um bey der Finsterniß nicht etwa auf die herum liegenden verborgenen Klippen und Sand-Bäncke aufzulauffen. Indem aber hiermit erstlich eine, kurtz darauf 2. und abermals 3. Canonen von ihnen gelöset wurden, muste solches, und zwar eben, als wir Insulaner uns zur Ruhe legen wolten, in unsere Ohren schallen. David kam mir demnach in seinem Nacht-Habit entgegen gelauffen, und sagte: Mein Herr! wo ich nicht träume, so liegen die Unserigen vor der Insel, denn ich habe das abgeredte Zeichen mit Canonen vernommen. Recht, mein Sohn! gab ich zur Antwort, ich und die übrigen haben es auch gehöret. Alsofort machten wir uns beyderseits auf, nahmen etliche Raqueten nebst Pulver und Feuer zu uns, lieffen auf die Höhe des Nord-Felsens, [389] gaben erstlich aus zweyen Canonen Feuer, zündeten hernach 2. Raquetten an, und höreten hierauff nicht allein des Schiffs 8. Canonen lösen, sondern sahen auch auf demselben allerhand artige Lust-Feuer, welches uns die gewisse Versicherung gab, daß es kein anders als meiner Kinder Schiff sey. Diesem nach verschossen wir, ihnen und uns zur Lust, alles gegenwärtige Pulver, und giengen um Mitternachts Zeit wieder zurück, stunden aber noch vor Tage wieder auf, verschützten die Schleuse des Nord-Flusses, machten also unsere Thor-Fahrt trocken, und giengen hinab an das Meer-Ufer, allwo in kurtzen unsere Verreiseten glücklich an Land stiegen, und von mir und David die ersten Bewillkommungs-Küsse empfingen. So bald wir nebst ihnen den fürchterlichen hohlen Felsen-Weg hinauff gestiegen waren, und unsere Insul betraten, kam uns meine Concordia mit der gantzen Familie entgegen, indem sie die 9. Enckel auf einen grossen Rollwagen gesetzt, und durch die Affen hierher fahren lassen. Nunmehro gieng es wieder an ein neues Bewillkommen, jedoch es wurden auf mein Zureden nicht viel Weitläufftigkeiten gemacht, biß wir ingesamt auf diesem Hügel in unsern Wohnungen anlangeten.
Ich will, meine Lieben! sagte hier unser Altvater, die Freuden-Bezeugungen von beyden Theilen, nebst allen andern, was biß zu eingenommener Mittags-Mahlzeit vorgegangen, mit Stillschweigen übergehen, und nur dieses Berichten: Daß mir nachhero die Meinigen einen umständlichen Bericht von ihrer Reise abstatteten, worauff die mit [390] angekommene junge Wittbe ihren wunderbaren Lebens-Lauff weitläufftig zu erzehlen anfieng. Da aber ich, meine Lieben! entschuldigte sich der Altvater, mich nicht im Stande befinde, selbigen so deutlich zu erzehlen, als er von ihrer eigenen Hand beschrieben ist, so will ich denselben hiermit meinem lieben Vetter Eberhard einhändigen, damit er euch solche Geschicht vorlesen könne.
Ich Eberhard Julius empfieng also, aus des Altvaters Händen, dieses in Holländischer Sprache geschriebene Frauenzimmer-Manuscript, welches ich sofort denen andern in Teutscher Sprache also lautend herlaß:
Im Jahr Christi 1647. bin ich, von Jugend auf sehr Unglückseelige, nunmehro aber da ich dieses auf der Insul Felsenburg schreibe, sehr, ja vollkommen vergnügte Virgilia van Cattmers zur Welt gebohren worden. Mein Vater war ein Rechts-Gelehrter undProkurator zu Rotterdam, der wegen seiner besondern Gelehrsamkeit, die Kundschafft der vornehmsten Leute, um ihnen in ihren Streit-Sachen beyzustehen erlangt, und Hoffnung gehabt, mit ehesten eine vornehmere Bedienung zu bekommen. Allein, er wurde eines Abends auf freyer Strasse Meuchelmörderischer Weise, mit 9. Dolch-Stichen ums Leben gebracht, und zwar eben um die Zeit, da meine Mutter 5. Tage vorher abermals einer jungen Tochter genesen war. Ich bin damahls 4. Jahr und 6. Monat alt gewesen, weiß mich aber noch wohl zu erinnern, wie jämmerlich es aussahe: Da der annoch starck blutende Cörper meines Vaters, von darzu bestellten Personen besichtiget, [391] und dabey öffentlich gesagt wurde, daß diesen Mord kein anderer Mensch angestellet hätte, als ein Gewissen loser reicher Mann, gegen welchen er Tags vorhero einen rechtlichen Process zum Ende gebracht, der mehr als hundert tausend Thaler anbetroffen, und worbey mein Vater vor seine Mühe sogleich auf der Stelle 2000. Thaler bekommen hatte.
Vor meine Person war es Unglücklich genung zu schätzen, einen treuen Vater solchergestalt zu verlieren, allein das unerforschliche Schicksal hatte noch ein mehreres über mich beschlossen, denn zwölff Tage hernach starb auch meine liebe Mutter, und nahm ihr jüngst gebohrnes Töchterlein, welches nur 4. Stunden vorher verschieden, zugleich mit in das Grab. Indem ich nun die eintzige Erbin von meiner Eltern Verlassenschafft war, so fand sich gar bald ein wohlhabender Kauffmann, der meiner Mutterwegen, mein naher Vetter war, und also nebst meinem zu Gelde geschlagenen Erbtheile, die Vormundschafft übernahm. Mein Vermögen belief sich etwa auf 18000. Thlr. ohne den Schmuck, Kleyder-Werck und schönen Hauß-Rath, den mir meine Mutter in ihrer wohlbestellten Haußhaltung zurück gelassen hatte. Allein die Frau meines Pflege-Vaters war, nebst andern Lastern, dem schändlichen Geitze dermassen ergeben, daß sie meine schönsten Sachen unter ihre drey Töchter vertheilete, denen ich bey zunehmenden Jahren als eine Magd auffwarten, und nur zufrieden seyn muste, wenn mich Mutter und Töchter nicht täglich aufs erbärmlichste mit Schlägen tractirten. Wem[392] wolte ich mein Elend klagen, da ich in der gantzen Stadt sonst keinen Anverwandten hatte, frembden Leuten aber durffte mein Herz nicht eröffnen, weil meine Aufrichtigkeit schon öffters übel angekommen war, und von denen 4. Furien desto übler belohnet wurde.
Solchergestalt ertrug ich mein Elend biß ins 14. Jahr mit gröster Gedult, und wuchs zu aller Leute Verwunderung, und bey schlechter Verpflegung den noch starck in die Höhe. Meiner Pflege-Mutter allergröster Verdruß aber bestund darinne, daß die meisten Leute von meiner Gesichts-Bildung, Leibes-Gestalt und gantzen Wesen mehr Wesens und rühmens machten als von ihren eigenen Töchtern, welche nicht allein von Natur ziemlich heßlich gebildet, sondern auch einer geilen und leichtfertigen Lebens-Art gewohnt waren. Ich muste dieserwegen viele Schmach-Reden und Verdrießlichkeiten erdulden, war aber bereits dermassen im Elende abgehärtet, daß mich fast nicht mehr darum bekümmerte.
Mittlerweile bekam ich ohnvermuthet einen Liebhaber an dem vornehmsten Handels-Diener meines Pflege-Vaters, dieses war ein Mensch von etliche 20. Jahren, und konte täglich mit Augen ansehen, wie unbillig und schändlich ich arme Wäyse, vor mein Geld, welches mein Pflege-Vater in seinen Nutzen verwendet hatte, tractiret wurde, weiln ihm aber alle Gelegenheit abgeschnitten war, mit mir ein vertrautes Gespräch zu halten, steckte er mir eines Tages einen kleinen Brief in die Hand, worinnen nicht allein sein hefftiges Mitleyden wegen [393] meines Zustandes, sondern auch die Ursachen desselben, nebst dem Antrage seiner treuen Liebe befindlich, mit dem Versprechen: Daß, wo ich mich entschliessen wolte eine Heyrath mit ihm zu treffen; er meine Person ehester Tages aus diesem Jammer-Stande erlösen, und mir zu meinem Väter- und Mütterlichen Erbtheile verhelffen wolle, um welches es ohnedem itzo sehr gefährlich stünde, da mein Pfleg-Vater, allem Ansehen nach, in kurtzer Zeit banquerot werden müste.
Ich armes unschuldiges Kind wuste mir einen schlechten Begriff von allen diesen Vorstellungen zu machen, und war noch darzu so unglücklich, diesen aufrichtigen Brief zu verlieren, ehe ich denselben weder schrifftlich noch mündlich beantworten konte. Meine Pflege-Mutter hatte denselben gefunden, ließ sich aber nicht das geringste gegen mich mercken, ausserdem daß ich nicht aus meiner Kammer gehen durffte, und solcher gestalt als eine Gefangene leben muste, wenig Tage hernach aber erfuhr ich, daß man diesen Handels-Diener früh in seinem Bette tod gefunden hätte, und wäre er allen Umständen nach an einem Steck-Flusse gestorben.
Der Himmel wird am besten wissen, ob dieser redliche Mensch nicht, seiner zu mir tragenden Liebe wegen, von meiner bösen Pflege-Mutter mit Gifft hingerichtet worden, denn wie jung ich auch damals war, so konte doch leichtlich einsehen, was vor eine ruchlose Lebens-Art, zumahlen in Abwesenheit meines Pflege-Vaters im Hause vorgieng. Immittelst traff dennoch ein, was der verstorbene Handels-Diener[394] vorher geweissaget hatte, denn wenig Monathe hernach machte sich mein Vetter oder Pflege-Vater aus dem Staube und überließ seinen Gläubigern ein ziemlich ausgeleertes Nest, dessen Frau aber behielt dennoch ihr Hauß nebst andern zu ihm gebrachten Sachen, so daß dieselbe mit ihren Kindern annoch ihr gutes Auskommen haben konte. Ich vor meine Person muste zwar bey ihr bleiben, durffte mich aber niemals unterstehen zu fragen, wie es um mein Vermögen stünde, biß endlich ihr ältester Sohn aus Ost-Indien zurück kam, und sich über das verkehrte Hauß-Wesen seiner Eltern nicht wenig verwunderte. Er mochte von vertrauten Freunden gar bald erfahren haben, daß nicht so wohl seines Vaters Nachläßigkeit als die üble Wirtschafft seiner Mutter und Schwestern an diesem Unglück Schuld habe, derowegen fieng er als ein tugendhafftiger und verständiger Mensch gar bald an, ihnen ihr übles Leben anfänglich ziemlich sanfftmüthig, hernach aber desto ernstlicher zu Gemüthe zu führen, allein die 4. Furien bissen sich weidlich mit ihm herum, musten aber doch zuletzt ziemlich nachgeben, weil sie nicht Unrecht vermuthen konten, daß er durch seinen erworbenen Credit und grosses Gut, ihr verfallenes Glück wiederum hertzustellen vermögend sey. So bald ich dieses merckte, nahm ich auch keinen fernern Aufschub, diesem redlichen Manne meine Noth zu klagen, und da es sich eben schickte, daß ich ihm eines Tages auf Befehl seiner Mutter ein Körbgen mit sauberer Wäsche überbringen muste, gab solches die beste Gelegenheit ihm meines Hertzens-Gedancken zu [395] offenbaren. Er schien mir diesen Tag etwas aufgeräumter und freundlicher als wohl sonsten gewöhnlich, nachdem ich ihm also meinen Gruß abgestattet, und die Wäsche eingehändiget hatte, sprach er: Es ist keine gute Anzeigung vor mich, artige Virgilia, da ihr das erste mal auf meiner Stube mit einem Körbgen erscheinet, gewiß dieses solte mich fast abschrecken, euch einen Vortrag meiner aufrichtigen und ehrlichen Liebe zu thun. Ich schlug auf diese Reden meine Augen zur Erden nieder, aus welchen alsofort die hellen Thränen fielen, und gab mit gebrochenen ängstlichen Worten so viel darauff. Ach mein Herr! Nehmet euch nicht vor, mit einer unglückseeligen Person zu schertzen, erbarmet euch vielmehr einer armen von aller Welt verlassenen Waise, die nach ihren ziemlichen Erbtheil, nicht ein mal fragen darff, über dieses vor ihr eigen Geld als die geringste Magd dienen, und wie von Jugend auf, so noch biß diesen Tag, die erbärmlichsten Schläge von eurer Mutter und Schwestern erdulden muß. Wie? Was hör ich? gab er mir zur Antwort, ich vermeine euer Geld sey in Banco gethan, und die Meinigen berechnen euch die Zinsen davon? Ach mein Herr! versetzte ich, nichts weniger als dieses, euer Vater hat das Capital nebst Zinsen, und allen meinen andern Sachen an sich genommen, wo es aber hingekommen ist, darnach habe ich biß auf diese Stunde noch nicht fragen dürffen, wenn ich nicht die erbärmlichsten Martern erdulden wollen. Das sey dem Himmel geklagt! schrye hierauff Ambrosius van Keelen, denn also war sein Nahme, schlug anbey die Hände [396] über dem Kopffe zusammen, und saß eine lange Zeit auf dem Stuhle in tieffen Gedancken. Ich wuste solchergestalt nicht wie ich mit ihm daran war, fuhr derowegen im Weinen fort, fiel endlich nieder, umfassete seine Knie und sagte: Ich bitte euch um GOttes willen mein Herr, nehmet es nicht übel, daß ich euch mein Elend geklagt habe, verschaffet nur daß mir eure Mutter, auf meine gantze gerechte Forderung, etwa zwey oder drey hundert Thaler zahle, so soll das übrige gäntzlich vergessen seyn, ich aber will mich alsobald aus ihrem Hause hinweg begeben und andere Dienste suchen, vielleicht ist der Himmel so gnädig, mir etwa mit der Zeit einen ehrbaren Handwerks-Mann zuzuführen, der mich zur Ehe nimmt, und auf meine Lebens-Zeit ernehret, denn ich kan die Tyranney eurer Mutter und Schwestern ohnmöglich länger ertragen. Der gute Mensch konte sich solchergestalt der Thränen selbst nicht enthalten, hub mich aber sehr liebreich von der Erden auf, drückte einen keuschen Kuß auf meine Stirn, und sagte: Gebt euch zufrieden meine Freundin, ich schwere zu GOTT! daß mein gantzes Vermögen, biß auf diese wenigen Kleider so ich auf meinem Leibe trage, zu eurer Beruhigung bereit seyn soll, denn ich müste befürchten, daß GOTT, bey so gestalten Sachen, die Mißhandlung meiner Eltern an mir heimsuchte, indessen gehet hin und lasset euch diesen Tag über, weder gegen meine Mutter noch Geschwister nicht das geringste mercken, ich aber will noch vor Abends eures Anliegens wegen mit ihnen sprechen, und gleich morgendes Tages Anstalt machen, [397] daß ihr Standesmäßig gekleidet und gehalten werdet.
Ich trocknete demnach meine Augen, gieng mit getrösteten Hertzen von ihm, er aber besuchte gute Freunde, und nahm noch selbigen Abend Gelegenheit mit seiner Mutter und Schwestern meinetwegen zu sprechen. Wiewohl nun dieselben mich auf sein Begehren, um sein Gespräch nicht mit anzuhören, beyseits geschafft hatten, so habe doch nachhero vernommen, daß er ihnen das Gesetz ungemein scharff geprediget, und sonderlich dieses vorgeworffen hat: Wie es zu verantworten stünde, daß sie meine Gelder durchgebracht, Kleider und Geschmeide unter sich getheilet, und über dieses alles, so jämmerlich gepeiniget hätten? Allein auf solche Art wurde die gantze Hölle auf einmahl angezündet, denn nachdem Ambrosius wieder auf seine Stube gegangen, ich aber meinen Henckern nur entgegen getreten war, redete mich die Alte mit funckelnden Augen also an: Was hastu verfluchter Findling vor ein geheimes Verständniß mit meinen Sohne? und weßwegen willstu mir denselben auf den Halß hetzen? Ich hatte meinen Mund noch nicht einmal zur Rechtfertigung aufgethan, da alle 4.Furien über mich herfielen und recht Mörderisch mit mir umgingen, denn ausserdem, daß mir die helffte meiner Haupt-Haare ausgeraufft, das Gesichte zerkratzt, auch Maul und Nase Blutrünstig geschlagen wurden, trat mich die Alte etliche mahl dergestalt hefftig auf den Unter-Leib und Magen, daß ich unter ihren Mörder-Klauen ohnmächtig, ja mehr als halb todt liegen blieb. Eine alte Dienst-Magd [398] die dergleichen Mord-Spiel weder verwehren, noch in die Länge ansehen kan, laufft alsobald und rufft den Ambrosius zu Hülffe. Dieser kömmt nebst seinem Diener eiligst herzu, und findet mich in dem allererbärmlichsten Zustande, läst derowegen seinem gerechten Eiffer den Zügel schiessen, und zerprügelt seine 3. leiblichen Schwestern dergestalt, daß sie in vielen Wochen nicht aus den Betten steigen können, mich halb todte Creatur aber, trägt er auf den Armen in sein eigenes Bette, lässet nebst einem verständigen Artzte, zwey Wart-Frauen holen, machte also zu meiner besten Verpflegung und Cur die herrlichsten Anstalten. Ich erkannte sein redliches Gemüthe mehr als zu wohl, indem er fast niemals zu meinem Bette nahete, oder sich meines Zustandes erkundigte, daß ihm nicht die hellen Thränen von den Wangen herab gelauffen wären, so bald er auch merckte daß es mir unmöglich wäre, in diesem vor mich unglückseeligen Hause einige Ruhe zu geniessen, vielweniger auf meine Genesung zu hoffen, ließ er mich in ein anderes, nächst dem seinen gelegenes Hauß bringen, allwo in dem einsamen Hinter-Gebäue eine schöne Gelegenheit zu meiner desto bessern Verpflegung bereitet war.
Er ließ es also an nichts fehlen meine Genesung aufs eiligste zu beförderen, und besuchte mich täglich sehr öffters, allein meine Kranckheit schien von Tage zu Tage gefährlicher zu werden, weilen die Fuß-Tritte meiner alten Pflege-Mutter eine starcke Geschwulst in meinem Unterleibe veruhrsacht hatten, welche mit einem schlimmen Fieber vergesellschafftet war, so, daß der Medicus [399] nachdem er über drey Monat an mircuriret hatte, endlich zu vernehmen gab: es müsse sich irgendwo ein Geschwür im Leibe angesetzt haben, welches, nachdem es zum Aufbrechen gediehen, mir entweder einen plötzlichen Todt, oder baldige Genesung verursachen könte.
Ambrosius stellete sich hierbey gantz Trostloß an, zumahlen da ihm sein Compagnon aus Amsterdam berichtete: wie die Spanier ein Holländisches Schiff angehalten hätten, worauff sich von ihren gemeinschafftlichen Waaren allein, noch mehr als 20000. Thlr. Werth befänden, demnach müsse sich Ambrosius in aller Eil dahin begeben, um selbiges Schiff zu lösen, weiln er, nemlich der Compagnon, wegen eines Bein-Bruchs ohnmöglich solche Reise antreten könte.
Er hatte mir dieses kaum eröffnet, da ich ihn umständig bat, um meiner Person wegen dergleichen wichtiges Geschäffte nicht zu verabsäumen, indem ich die stärckste Hoffnung zu GOTT hätte, daß mich derselbe binnen der Zeit seines Abwesens, vielleicht gesund herstellen würde, solte ich aber ja sterben, so bäte mir nichts anders aus, als vorhero die Verfügung zu machen, daß ich ehrlich begraben, und hinkünfftig dann und wann seines guten Andenckens gewürdiget würde. Ach! sprach er hierauff mit weinenden Augen, sterbt ihr meine allerliebste Virgilia, so stirbt mit euch alles mein künfftiges Vergnügen, denn wisset: Daß ich eure Person eintzig und allein zu meinem Ehe-Gemahl erwehlet habe, soferne ich aber euch verlieren solte, ist mein Vorsatz, nimmermehr zu Heyrathen, saget derowegen, [400] ob ihr nach wieder erlangter Gesundheit meine getreue Liebe mit völliger Gegen-Liebe belohnen wollet? Ich stelle, gab ich hierauff zur Antwort, meine Ehre, zeitliches Glück und alles was an mir ist, in eure Hände, glaubet demnach, daß ich als eine arme Waise euch gäntzlich eigen bin, und machet mit mir, was ihr bey GOTT, eurem guten Gewissen und der ehrbaren Welt verantworten könnet. Uber diese Erklärung zeigte sich Ambrosius dermassen vergnügt, daß er fast kein Wort vorzubringen wuste, jedoch erkühnete er sich einen feurigen Kuß auf meine Lippen zu drücken, und weiln dieses der erste war, den ich meines wissens von einer Manns-Person auf meinen Mund empfangen, ging es ohne sonderbare Beschämung nicht ab, jedoch nachdem er mir seine beständige Treue aufs heiligste zugeschworen hatte, konte ich ihm nicht verwehren, dergleichen auf meinen blassen Wangen, Lippen und Händen noch öffter zu wiederholen. Wir brachten also fast einen halben Tag mit den treuhertzigsten Gesprächen hin, und endlich gelückte es mir ihn zu bereden, daß er gleich Morgendes Tages die Reise nach Spanien vornahm, nachdem er von mir den allerzärtlichsten Abschied genommen, 1000. Stück Ducaten zu meiner Verpflegung zurück gelassen, und sonsten meinetwegen die eiffrigste Sorgfalt vorgekehret hatte.
Etwa einen Monat nach meines werthen Ambrosii Abreise, brach das Geschwür in meinem Leibe, welches sich des Artzts, und meiner eigenen Meynung nach, am Magen und Zwerchfell angesetzt hatte, in der Nacht plötzlich auf, weßwegen etliche Tage [401] nach einander eine erstaunliche Menge Eiter durch den Stuhlgang zum Vorschein kam, hierauff begunte mein dicker Leib allmählig zu fallen, das Fieber nachzulassen, mithin die Hoffnung, meiner volligen Genesung wegen, immer mehr und mehr zuzunehmen. Allein das Unglück, welches mich von Jugend an so grausam verfolget, hatte sich schon wieder aufs neue gerüstet, mir den allerempfindlichsten Streich zu spielen, denn da ich einst um Mitternacht im süssen Schlummer lag, wurde meine Thür von den Gerichts-Dienern plötzlich eröffnet, ich, nebst meiner Wart-Frau in das gemeine Stadt-Gefängniß gebracht, und meiner grossen Schwachheit ohngeacht, mit schweren Ketten belegt, ohne zu wissen aus was Ursachen man also grausam mit mir umginge. Gleich folgendes Tages aber erfuhr ich mehr als zu klar, in was vor bösen Verdacht ich arme unschuldige Creatur gehalten wurde, denn es kamen etliche ansehnliche Männer im Gefängnisse bey mir an, welche, nach weitläufftiger Erkundigung meines Lebens und Wandels, endlich eine roth angestrichene Schachtel herbey bringen liessen, und mich befragten: Ob diese Schachtel mir zugehörete, oder sonsten etwa känntlich sey? Ich konte mit guten Gewissen und freyen Muthe Nein darzu sagen, so bald aber dieselbe eröfnet und mir ein halb verfaultes Kind darinnen gezeiget wurde, entsetzte ich mich dergestalt über diesen eckelhaften Anblick, daß mir Augenblicklich eine Ohnmacht zustieß. Nachdem man meine entwichenen Geister aber wiederum in einige Ordnung gebracht, wurde ich aufs neue befragt: Ob dieses [402] Kind nicht von mir zur Welt gebohren, nachhero ermordet und hinweggeworffen worden? Ich erfüllete das gantze Gemach mit meinem Geschrey, und bezeugte meine Unschuld nicht allein mit hefftigen Thränen, sondern auch mit den nachdrücklichsten Reden, allein alles dieses fand keine statt, denn es wurden zwey, mit meiner seel. Mutter Nahmen bezeichnete Teller-Tüchlein, zwar als stumme, doch der Richter Meynung nach, allergewisseste Zeugen dargelegt, in welche das Kind gewickelt gewesen, ich aber konte nicht läugnen, daß unter meinem wenigen weissen Zeuge, eben dergleichen Teller-Tücher befindlich wären. Es wurde mir über dieses auferlegt mich von zwey Weh-Müttern besichtigen zu lassen, da nun nichts anders gedachte, es würde, durch dieses höchste empfindliche Mittel, meine Unschuld völlig an Tag kommen, so muste doch zu meinem allergrösten Schmertzen erfahren, wie diese ohne allen Scheu bekräfftigten, daß ich, allen Umständen nach, vor weniger Zeit ein Kind zur Welt geboren haben müsse. Ich beruffte mich hierbey auf meinen bißherigen Artzt so wol, als auf meine zwey Wart-Frauen, allein der Arzt hatte die Schultern gezuckt und bekennet, daß er nicht eigentlich sagen könne, wie es mit mir beschaffen gewesen, ob er mich gleich auf ein innerliches Magen-Geschwür curieret hätte, die eine Wart-Frau aber zog ihren Kopf aus der Schlinge und sagte: Sie wisse von meinem Zustande wenig zu sagen, weil sie zwar öffters bey Tage, selten aber des Nachts bey mir gewesen wäre, schob hiermit alles auf die andere Wart Frau, die so wohl als ich in Ketten und Banden lag.
[403] O du barmhertziger GOTT! rieff ich aus, wie kanstu zugeben, daß sich alle ängstlichen Umstände mit der Boßheit der Menschen vereinigen müssen, einer höchst unschuldigen armen Waise Unglück zu befördern. O ihr Richter, schrye ich, übereilet euch nicht zu meinem Verderben, sondern höret mich an, auf daß euch GOtt wiederum höre. Hiermit erzehlete ich ihnen meinen von Kindes Beinen an geführten Jammer-Stand deutlich genung, allein da es zum Ende kam, hatte ich tauben Ohren geprediget und sonsten kein ander Lob davon, als daß ich eine sehr gewitzigte Metze und gute Rednerin sey, dem allen ohngeacht aber solte ich mir nur keine Hoffnung machen sie zu verwirren, sondern nur bey Zeiten mein Verbrechen in der Güte gestehen, widrigenfalls würde ehester Tage Anstalt zu meiner Tortur gemacht werden. Dieses war der Bescheid, welchen mir die allzuernsthafften Inquisiteurs hinterliessen, ich armes von aller Welt verlassenes Mägdlein wuste mir weder zu helffen noch zu rathen, zumahlen, da ich von neuen in ein solches hitziges Fieber verfiel, welches meinen Verstand biß in die 4te Woche gantz verrückte. So bald mich aber durch die gereichten guten Artzeneyen nur in etwas wiederum erholet hatte, verhöreten mich die Inquisiteurs aufs neue, bekamen aber, Seiten meiner, keine andere Erklärung als vormals, weßwegen sie mir noch drey Tage Bedenck-Zeit gaben, nach deren Verlauff aber in Gesellschafft des Scharff-Richters erschienen, der sein peinliches Werckzeug vor meine Augen legte, und mit grimmigen Gebärden sagte: Daß er mich in kurtzer Zeit zur [404] bessern Bekänntniß meiner Boßheiten bringen wolle.
Bey dem Anblicke so gestallter Sachen veränderte sich meine gantze Natur dergestalt, daß ich auf einmahl Lust bekam, ehe tausendmal den Tod, als dergleichen Pein zu erleiden, demnach sprach ich mit gröster Herzhafftigkeit dieses zu meinen Richtern: Wohlan! ich spüre, daß ich meines zeitlichen Glücks, Ehre und Lebens wegen, von GOTT und aller Welt verlassen bin, auch der schmählichen Tortur auf keine andere Art entgehen kan, als wenn ich alles dasjenige, was ihr an mir sucht, eingestehe und verrichtet zu haben auf mich nehme, derowegen verschonet mich nur mit unnöthiger Marter, und erfraget von mir was euch beliebt, so will ich euch nach eurem Belieben antworten, es mag mir nun zu meinem zeitlichen Glück und Leben nützlich oder schädlich seyn. Hierauff thaten sie eine klägliche Ermahnung an mich, GOtte, wie auch der Obrigkeit ein wahrhaftiges Bekenntniß abzustatten, und fiengen an, mir mehr als 30. Fragen vorzulegen, allein so bald ich nur ein oder andere mit guten Gewissen und der Wahrheit nach vermeinen, und etwas gewisses zu meiner Entschuldigung vorbringen wolte, wurde alsobald der Scharff-Richter mit seinen Marter-Instrumenten näher zu treten ermahnet, weßwegen ich aus Angst augenblicklich meinen Sinn änderte und so antwortete, wie es meineInquisiteurs gerne hören und haben wolten. Kurtz zu melden, es kam so viel heraus, daß ich das mir unbekannte halb verfaulte Kind von Ambrosio empfangen, zur Welt gebohren, selbst ermordet, und solches durch meine [405] Wart-Frau in einen Canal werffen lassen, woran doch in der That Ambrosius und die Wart-Frau, so wohl als ich vor GOTT und allen heiligen Engeln unschuldig waren.
Solchergestalt vermeynten nun meine Inquisiteurs ihr Ammt an mir rechtschaffener Weise verwaltet zu haben, liessen derowen das Gerüchte durch die gantze Stadt erschallen, daß ich nunmehro in der Güte ohne alle Marter den Kinder-Mord nebst allen behörigen Umständen solchergestalt bekennet, daß niemand daran zu zweiffeln Ursach haben könnte, demnach war nichts mehr übrig als zu bestimmen, auf was vor Art und welchen Tag die arme Virgilia vom Leben zum Tode gebracht werden solte. Immittelst wurde noch zur Zeit kein Priester oder Seel Sorger zu mir gesendet, ohngeacht ich schon etliche Tage darum angehalten hatte. Endlich aber, nachdem noch zwey Wochen verlauffen, stellete sich ein solcher, und zwar ein mir wohl bekandter frommer Prediger bey mir ein. Nach gethanem Grusse war seine ernsthaffte und erste Frage: Ob ich die berüchtigte junge Raben-Mutter und Kinder-Mörderin sey, auch wie ich mich so wohl in meinem Gewissen als wegen der Leibes-Gesundheit befände? Mein Herr! gab ich ihm sehr freimüthig zur Antwort, in meinem Gewissen befinde ich mich weit besser und gesunder als am Leibe, sonsten kan ich GOTT eintzig und allein zum Zeugen anruffen, daß ich niemals eine Mutter, weder eines todten noch lebendigen Kindes gewesen bin, vielweniger ein Kind ermordet oder solches zu ermorden zugelassen habe. Ja, ich ruffe nochmals GOTT zum Zeugen [406] an, daß ich niemals von einem Manne erkannt und also noch eine reine und keusche Jungfrau bin, jedoch das grausame Verfahren meiner Inquisiteurs und die grosse Furcht vor der Tortur, haben mich gezwungen solche Sachen zu bekennen, von denen mir niemals etwas in die Gedancken kommen ist, und noch biß diese Stunde bin ich entschlossen, lieber mit freudigen Hertzen in den Tod zu gehen, als die Tortur auszustehen. Der fromme Mann sahe mir starr in die Augen, als ob er aus selbigen die Bekräfftigung meiner Reden vernehmen wolte, und schärfte mir das Gewissen in allen Stücken ungemein, nachdem ich aber bey der ihm gethanen Aussage verharrete, und meinen gantzen Lebens-Lauff erzehlet hatte, sprach er: Meine Tochter, eure Rechts-Händel müssen, ob GOTT will, in kurtzen auf andern Fuß kommen, ich spreche euch zwar keineswegs vor Recht, daß ihr, aus Furcht vor der Tortur, euch zu einer Kinder- und Selbst-Mörderin machet, allein es sind noch andere eurer Einfalt unbewuste Mittel vorhanden eure Schuld oder Unschuld ans Licht zu bringen. Hierauff setzte er noch einige tröstliche Ermahnungen hinzu, und nahm mit dem Versprechen Abschied, mich längstens in zweyen Tagen wiederum zu besuchen.
Allein gleich folgenden Tages erfuhr ich ohnverhofft, daß mich GOTT durch zweyerlei Hülffs-Mittel, mit ehesten aus meinem Elende heraus reissen würde, denn vors erste war meine Unschuld schon ziemlich ans Tages Licht gekommen, da die alte Dienst-Magd meiner Pflege-Mutter, aus eigenem Gewissens-Triebe, der Obrigkeit angezeiget [407] hatte, wie nicht ich, sondern die mittelste Tochter meiner Pflege-Mutter das gefundene Kind gebohren, selbiges, vermittelst einer grossen Nadel, ermordet, eingepackt, und hinweg zu werffen befohlen hätte, und zwar so hätten nicht allein die übrigen zwey Schwestern, sondern auch die Mutter selbst mit Hand angelegt, dieweiln es bey ihnen nicht das erste mahl sey, dergleichen Thaten begangen zu haben. Meine andere tröstliche Zeitung war, daß mein bester Freund Ambrosius vor wenig Stunden zurück gekommen, und zu meiner Befreyung die äusersten Mittel anzuwenden, allbereits im Begriff sey.
Er bekam noch selbigen Abends Erlaubniß, mich in meinem Gefängnisse zu besuchen, und wäre bey nahe in Ohnmacht gefallen, da er mich Elende annoch in Ketten und Banden liegen sahe, allein, er hatte doch nach Verlauff einer halben Stunde, so wohl als ich, das Vergnügen, mich von den Banden entlediget, und in ein reputierlicher Gefängniß gebracht zu sehen. Ich will mich nicht aufhalten zu beschreiben, wie jämmerlich und dennoch zärtlich und tröstlich diese unsere Wiederzusammenkunfft war, sondern nur melden, daß ich nach zweyen Tagen durch seine ernstliche Bemühung in völlige Freyheit gesetzt wurde. Uber dieses ließ er es sich sehr viel kosten, wegen meiner Unschuld hinlängliche Erstattung des erlittenen Schimpffs von meinen allzu hitzigen Inquisiteurs zu erhalten, empfing auch so wohl von den geistlichen als weltlichen Gerichten die herrlichsten Ehren-Zeugnisse vor seine und meine Person, am allermeisten aber erfreuete [408] er sich über meine in wenig Wochen völlig wieder erlangte Gesundheit.
Nach der Zeit bemühete sich Ambrosius, seine lasterhafte Mutter und schändliche Schwestern, vermittelst einer grossen Geld-Summe, von der fernern Inquisition zu befreyen, zumahlen da ich ihnen das mir zugefügte Unrecht von Hertzen vergeben hatte, allein, er konte nichts erhalten, sondern muste der Gerechtigkeit den Lauff lassen, weil sie nach der Zeit überzeugt wurden, daß dieses schon das dritte Kind sey, welches seine zwey ältesten Schwestern gebohren, und mit Beyhülffe ihrer Mutter ermordet hätten, weßwegen sie auch ihren verdienten Lohn empfingen, indem die Mutter nebst den zwey ältesten mit dem Leben büssen, die jüngste aber in ein Zucht-Haus wandern muste.
Jedoch, ehe noch dieses geschahe, reisete mein Ambrosius mit mir nach Amsterdam, weil er vermuthlich dieses traurige Spectacul nicht abwarten wolte, ließ sich aber doch noch in selbigem Jahre mit mir ehelich verbinden, und ich kan nicht anders sagen, als daß ich ein halbes Jahr lang ein recht stilles und vergnügtes Leben mit ihm geführet habe, indem er eine der besten Handlungen mit seinem Compagnon daselbst anlegte. Allein, weil das Verhängniß einmahl beschlossen hatte, daß meiner Jugend Jahre in lauter Betrübniß zugebracht werden solten, so muste mein getreuerAmbrosius über Vermuthen den gefährlichsten Anfall der rothen Ruhr bekommen, welche ihn in 17. Tagen dermassen abmattete, daß er seinen Geist darüber aufgab, und im 31. Jahre seines Alters mich zu [409] einer sehr jungen, aber desto betrübtern Wittbe machte. Ich will meinen dieserhalb empfundenen Jammer nicht weitläufftig beschreiben, genung, wenn ich sage, daß mein Herz nichts mehr wünschte, als ihm im Grabe an der Seite zu liegen. Der getreue Ambrosius aber hatte noch vor seinem Ende vor mein zeitliches Glück gesorget, und meine Person so wohl als sein gantzes Vermögen an seinen Compagnon vermacht, doch mit dem Vorbehalt, daß, wo ich wider Vermuthen denselben nicht zum Manne verlangete, er mir überhaupt vor alles 12000. Thlr. auszahlen, und mir meinen freyen Willen lassen solte.
Wilhelm van Cattmer, so hieß der Compagnon meines seel. Ehemannes, war ein Mann von 33. Jahren, und nur seit zweyen Jahren ein Wittber gewesen, hatte von seiner verstorbenen Frauen eine eintzige Tochter, Gertraud genannt, bey sich, die aber, wegen ihrer Kindheit, seinem Hauß-Wesen noch nicht vorstehen konte, derowegen gab er mir nach verflossenen Trauer-Jahre so wohl seine aufrichtige Liebe, als den letzten Willen meines seel. Mannes sehr beweglich zu verstehen, und drunge sich endlich durch tägliches Anhalten um meine Gegen-Gunst solcher Gestalt in mein Hertz, daß ich mich entschloß, die Heyrath mit ihm einzugehen, weil er mich hinlänglich überführete, daß so wohl der Wittben-Stand, als eine anderweitige Heyrath mit Zurücksetzung seiner Person, vor mich sehr gefährlich sey.
Ich hatte keine Ursach über diesen andern Mann zu klagen, denn er hat mich nach der Zeit in unsern [410] 5. jährigen Ehe-Stande mit keiner Gebärde, vielweniger mit einem Worte betrübt. Zehen Monat nach unserer Vereheligung kam ich mit einer jungen Tochter ins Kind-Bette, welche aber nach anderthalb Jahren an Masern starb, doch wurde dieser Verlust bald wiederum ersetzt, da ich zum andern mahle mit einem jungen Sohne nieder kam, worüber mein Ehemann eine ungemeine Freude bezeigte, und mir um so viel desto mehr Liebes-Bezeugungen erwiese. Bey nahe zwey Jahr hernach erhielt mein Wilhelm die betrübte Nachricht, daß sein leiblicher Vater auf dem Cap der guten Hoffnung Todes verblichen sey, weil nun derselbe in ermeldten Lande vor mehr als 30000. Thaler werth Güter angebauet und besessen hatte; als beredete er sich dieserwegen mit einem einzigen Bruder und einer Schwester, fassete auch endlich den Schluß, selbige Güter in Besitz zu nehmen, und seinem Geschwister zwey Theile des Werths heraus zu geben. Er fragte zwar vorhero mich um Rath, auch ob ich mich entschliessen könte, Europam zu verlassen, und in einem andern Welt-Theile zu wohnen, beschrieb mir anbey die Lage und Lebens-Art in selbigem fernen Lande aus dermassen angenehm, so bald ich nun merckte, daß ihm so gar sehr viel daran gelegen wäre, gab ich alsofort meinen Willen drein, und versprach, in seiner Gesellschafft viel lieber mit ans Ende der Welt zu reisen, als ohne ihn in Amsterdam zu bleiben. Demnach wurde aufs eiligste Anstalt zu unserer Reise gemacht, wir machten unsere besten Sachen theils zu Gelde, theils aber liessen wir selbige [411] in Verwahrung unsers Schwagers, der ein wohlhabender Jubelier war, und reiseten in GOttes Nahmen von Amsterdam ab, demCap der guten Hoffnung, oder vielmehr unserm Unglück entgegen, denn mittlerweile, da wir an den Canarischen Insuln, uns ein wenig zu erfrischen, angelandet waren, starb unser kleiner Sohn, und wurde auch daselbst zur Erde bestattet. Wenig Tage hierauf wurde die fernere Reise fortgesetzt, und mein Betrübniß vollkommen zu machen, überfielen uns zwey Räuber, mit welchen sich unser Schiff ins Treffen einlassen muste, auch so glücklich war, selbigen zu entgehen, ich aber solte doch dabey die allerunglückseeligste seyn, indem mein lieber Mann mit einer kleinen Kugel durch den Kopff geschossen wurde, und dieserwegen sein redliches Leben einbüssen muste.
Der Himmel weiß, ob mein seeliger William seinen tödtlichen Schuß nicht vielmehr von einem Meuchel-Mörder als von den See-Räubern bekommen hatte, denn alle Umstände kamen mir dabey sehr verdächtig vor, jedoch, GOtt verzeihe es mir, wenn ich den Severin Water in unrechten Verdacht halte.
Dieser Severin Water war ein junger Holländischer, sehr frecher, und wollüstiger Kaufmann, und hatte schon öffters in Amsterdam Gelegenheit gesucht, mich zu einem schändlichen Ehe-Bruche zu verführen. Ich hatte ihn schon verschiedene mahl gewarnet, meine Tugend mit dergleichen verdammten Ansinnen zu verschonen, oder ich würde mich genöthiget finden, solches meinem Manne [412] zu eröffnen, da er aber dennoch nicht nachlassen wolte, bat ich würcklich meinen Mann inständig, seine und meine Ehre gegen diesen geilen Bock zu schützen, allein, mein William gab mir zur Antwort: Mein Engel, lasset den Haasen lauffen, er ist ein wollüstiger Narr, und weil ich mich eurer Tugend-vollkommen versichert halte, so weiß ich auch, daß er zu meinem Nachtheil nichts bey euch erhalten wird, indessen ist es nicht rathsam, ihn noch zur Zeit zum offenbaren Feinde zu machen, weil ich durch seine Person auf dem Cap der guten Hoffnung einen besonderen wichtigen Vortheil erlangen kan. Und eben in dieser Absicht sahe es auch mein William nicht ungern, daß Severin in seiner Gesellschafft mit dahin reisete. Ich indessen war um so viel desto mehr verdrüßlich, da ich diesen geilen Bock alltäglich vor mir sehen, und mit ihm reden muste, er führete sich aber bey meines Mannes Leben noch ziemlich vernünfftig auf, jedoch gleich etliche Tage nach dessen jämmerlichen Tode, trug er mir sogleich seine eigene schändliche Person zur neuen Heyrath an. Ich nahm diese Leichtsinnigkeit sehr übel auf, und bat ihn, mich zum wenigsten auf ein Jahr lang mit dergleichen Antrage zu verschonen, allein er verlachte meine Einfalt, und sagte mit frechen Gebärden: Er frage ja nichts darnach, ich möchte schwanger seyn oder nicht, genung, er wolle meine Leibes-Frucht vor die seinige erkennen, über dieses wäre man auf den Schiffen der Geistlichen Kirchen-Censur nicht also unterworfen, als in unsern Vaterlande, und was dergleichen Geschwätzes mehr war, mich zu [413] einer gleichmäßigen schändlichen Leichtsinnigkeit zu bewegen, da ich aber, ohngeacht ich wohl wuste, daß sich nicht die geringsten Zeichen einer Schwangerschafft bey mir äuserten, dennoch einen natürlichen Abscheu so wohl vor der Person als dem gantzen Wesen dieses Wüstlings hatte, so suchte ihn, vermöge der verdrüßlichsten und schimpfflichsten Reden, mir vom Halse zu schaffen; Allein, der freche Bube kehrete sich an nichts, sondern schwur, ehe sein gantzes Vermögen nebst dem Leben zu verlieren, als mich dem Witwen-Stande oder einem andern Manne zu überlassen, sagte mir anbey frey unter die Augen, so lange wolle er noch Gedult haben, biß wir das Cap der guten Hoffnung erreicht hätten, nach diesem würde sich zeigen, ob er mich mit Güte oder Gewalt ins Ehe-Bette ziehen müsse.
Ich Elende wuste gegen diesen Trotzer nirgends Schutz zu finden, weil er die Befehlshaber des Schiffs so wohl als die meisten andern Leute durch Geschencke und Gaben auf seine Seite gelenckt hatte, solcher Gestalt wurden meine jämmerlichen Klagen fast von jedermann verlacht, und ich selbst ein Spott der ungehobelten Boots Knechte, indem mir ein jeder vorwarff, meine Keuschheit wäre nur ein verstelltes Wesen, ich wolte nur sehr gebeten seyn, würde aber meine Tugend schon wohlfeiler verkauffen, so bald nur ein junger Mann – – – –
Ich scheue mich, an die lasterhafften Reden länger zu gedencken, welche ich mit gröster Hertzens-Quaal von diesen Unflätern täglich anhören muste, über dieses klagte mir meine Aufwärterin Blandina [414] mit weinenden Augen, daß ihr Severin schändliche Unzucht zugemuthet, und versprochen hätte, sie auf dem Cap der guten Hoffnung nebst mir, als seine Kebs-Frau, beyzubehalten, allein, sie hatte ihm ins Angesicht gespyen, davor aber eine derbe Maulschelle hinnehmen müssen. Meiner zarten und fast noch nicht mannbaren Stieff-Tochter, der Gertraud, hatte der Schand-Bock ebenfalls seine Geilheit angetragen, und fast Willens gehabt, dieses fromme Kind zu nothzüchtigen, der Himmel aber führete mich noch bey Zeiten dahin, diese Unschuldige zu retten.
Solcher Gestalt war nun mein Jammer-Stand abermals auf der höchsten Stuffe des Unglücks, die Hülffe des Höchsten aber desto näher. Ich will aber nicht weiter beschreiben, welcher Gestalt ich nebst meiner Tochter und Aufwärterin von den Kindern und Befreunden des theuren Alt-Vaters Albert Julii aus dieser Angst gerissen und errettet worden, weil ich doch versichert bin, daß selbiger solches alles in seiner Geschichts-Beschreibung so wohl als mein übriges Schicksal, nebst andern mit aufgezeichnet hat, sondern hiermit meine Lebens-Beschreibung schliessen, und das Urtheil darüber andern überlassen. GOTT und mein Gewissen überzeugen mich keiner muthwilligen und groben Sünden, wäre ich aber ja eine lasterhaffte Weibs-Person gewesen, so hätte thöricht gehandelt, alles mit solchen Umständen zu beschreiben, woraus vielleicht mancher etwas schlimmeres von mir muthmassen könte.
[415] * * *
Dieses war also alles, was ich Eberhard Julius meinen Zuhörern, von der Virgilia eigenen Hand geschrieben, vorlesen konte, worauf der Alt-Vater seine Erzehlung folgender massen fortsetzte:
Unsere allseitige Freude über die gewünschte Wiederkunfft der Meinigen war gantz unvergleichlich, zumahlen da die mitgekommene junge Wittbe nebst ihrer Tochter und einer nicht weniger artigen Jungfrau bey unserer Lebens-Art ein vollkommenes Vergnügen bezeugten. Also wurde der bevorstehende Winter so wohl als der darauf folgende Sommer mit lauter Ergötzlichkeit zugebracht. Das Schiff luden meine Kinder aus, und stiessen es als eine nicht allzu nöthige Sache in die Bucht, weil wir uns nach keinen weitern Handel mit andern Leuten sehneten. Dahingegen erweiterten wir unsere alten Wohnungen, baueten noch etliche neue, versperreten alle Zugänge zu unserer Insul, und setzten die Hauß-Wirthschafften in immer bessern Stand. Amias hatte von einem Holländer ein Glaß voll Lein-Saamen bekommen, von welchen er etwas aussäete, um Flachs zu zeugen, damit die Weiber Spinnwerck bekämen, über dieses war seine gröste Freude, daß diejenigen Blumen und andere Gewächse zu ihrer Zeit so schön zum Vorschein kamen, zu welchen er die Saamen, Zwiebeln und Kernen von den Holländern erbettelt und mitgebracht hatte. Seiner Vorsicht, guter Wartung und besonderen Klugheit habe ich es eintzig und allein zu dancken, daß mein grosser Garten, zu welchen er im Jahr 1672 den Grund gelegt, in guten Stande ist.
[416] Doch eben in selbigem Jahre, ließ sich die tugendhafte Virgilia van Cattmers, und zwar am 8. Jan., nemlich an meinem Gebuhrths-Tage, mit meinem Sohne Johanne durch meine Hand ehelich zusammen geben, und weil der jüngste Zwilling, Christian, seine ihm zugetheilte Blandina an seinen ältern BruderChristoph gutwillig überließ, anbey aber mit ruhigem Hertzen auf die Gertraud warten wolte, so geschahe dem Christoph und der Blandina, die einander allem Ansehen nach recht hertzlich liebten, ein gleiches, so, daß wir abermals zwey Hochzeit-Feste zugleich begingen.
Im Jahre 1674 wurden endlich die letzten zwey von meinen leiblichen Kindern vereheliget, nemlich Christian mit Gertraud, und Christina mit David Rawkin, als welcher letztere genungsam Proben seiner treuen und geduldigen Liebe zu Tage gelegt hatte. Demnach waren alle die Meinigen dermassen wohl begattet und berathen, daß es, unser aller vernünfftigen Meinung nach, unmöglich besser erdacht und ausgesucht werden können, jedoch waren meine Concordia und ich ohnstreitig die allervergnügtesten zu nennen, denn alle die Unserigen erzeigten uns aus willigen ungezwungenen Hertzen den allergenausten Gehorsam, der mit einer zärtlichen Ehrerbietung verknüpfft war, wolten auch durchaus nicht geschehen lassen, daß wir uns mit beschwerlicher Arbeit bemühen solten, sondern suchten alle Gelegenheit, uns derselben zu überheben, von selbst, so, daß eine vollkommene Liebe und Eintracht unter uns allen anzutreffen war. Der Himmel erzeigte sich auch dermassen gnädig gegen uns [417] von allen andern abgesonderte Menschen, daß wir seine barmhertzige Vorsorge in allen Stücken gantz sonderbar verspüren konten, und nicht die geringste Ursache hatten, über Mangel oder andere dem menschlichen Geschlecht sonst zustossende betrübte Zufälle zu klagen, hergegen nahmen unsere Familien mit den Jahren dermassen zu, daß man recht vergnügt überrechnen konte, wie mit der Zeit aus denselben ein grosses Volck entstehen würde.
Im Jahr 1683. aber begegnete uns der erste klägliche Zufall, und zwar solcher Gestalt: Wir hatten seit etlichen Jahren her, bey müßigen Zeiten, alle diejenigen Oerter an den auswendigen Klippen, wo wir nur vermerckten, daß jemand dieselben besteigen, und uns überfallen könte, durch fleißige Hand-Arbeit und Sprengung mit Pulver, dermassen zugerichtet, daß auch nicht einmahl eine Katze hinauf klettern, und die Höhe erreichen können, hergegen arbeiteten wir zu unserer eigenen Bequemlichkeit 4. ziemlich verborgene krumme Gänge, an 4. Orten, nehmlich: Gegen Norden, Osten, Süden und Westen zu, zwischen den Felsen-Klippen hinab, die niemand so leicht ausfinden konte, als wer Bescheid darum wuste, und dieses geschahe aus keiner andern Ursache, als daß wir nicht die Mühe haben wolten, um aller Kleinigkeiten wegen, die etwa zwey oder drey Personen an der See zu verrichten hätten, allezeit die grossen und gantz neu gemachten Schleusen auf- und zu zu machen. Jedoch, wie ihr meine Lieben selbst wahrgenommen habt, verwahreten wir den Aus- und Eingang solcher bequemlicher Wege mit tieffen [418] Abschnitten und an dern Verhindernissen, solcher Gestalt, daß niemanden, ohne die herab gelassenen kleinen Zug-Brücken, die doch von eines eintzigen Menschen Händen leicht zu regieren sind, weder herüber- noch hinüber zu kommen vermögend ist. Indem nun alle Seiten und Ecken durch unermüdeten vieljährigen Fleiß in vollkommen guten Stand gesetzt waren, biß auf noch etwas weniges an der West-Seite, allwo, auf desAmias Angeben, noch ein ziemlich Stück Felsen abgesprengt werden solte, versahe es der redliche Mann hierbey dermassen schlimm, daß, da er sich nicht weit genung entfernet hatte, sein linckes Bein durch ein grosses fliegendes Stein-Stücke erbärmlich gequetscht und zerschmettert wurde, welcher Schade denn in wenig Tagen diesem redlichen Manne, ohngeacht aller angewandten kräfftigen Wund-Mittel, die auf unserer Insul in grosser Menge anzutreffen sind, und die wir so wohl aus des Don Cyrillo Anweisung, als aus eigener Erfahrung ziemlich erkennen gelernet, sein edles Leben, wiewohl im hohen Alter, doch bey gesunden Kräfften und frischem Hertzen, uns allen aber noch viel zu früh, verkürtzte.
Es war wohl kein eintziger, ausgenommen die gantz jungen Kinder, auf dieser Insel anzutreffen, der dem guten Robert, als dessen Bruders Sohne, im wehmüthigsten Klagen, wegen dieses unverhofften Todes und Unglücks-Falles, nicht eifrige Gesellschafft gelei stet hätte, Jacob, Simon und David, die alle drey in der Tischler-Arbeit die geschicktesten waren, machten ihm einen recht schönen Sarg nach Teutscher Art, worein wir den zierlich [419] angekleideten Cörper legten, und an denjenigen Ort, welchen ich vor längst zum Begräbniß der Todten ausersehen, ehrlich zur Erde bestatteten.
Robert, der in damahligem 19ten Jahre seines Ehestandes mit der jüngern Concordia allbereit 11. Kinder, als 3. Söhne und 8. Töchter, gezeuget hatte, war nunmehro der erste, der sich von uns trennete, und vor sich und sein Geschlechte eine eigene Pflantz-Stadt, jenseit des Canals gegen Osten zu, anlegte, weil uns der Platz und die Gegend um den Hügel herum, fast zu enge werden wolte. Mein ältester Sohn, Albert, folgte dessen Beyspiele mit seiner Judith, 6. Söhnen und 2. Töchtern am ersten, und legte seine Pflanz-Stadt Nordwerts an. Diesem that Stephanus mit seiner Sabina, 4. Söhnen und 5. Töchtern, ein gleiches nach, und zwar im Jahr 1685, da er seine Wohnung jenseit des West-Flusses aufschlug. Im folgenden Jahre folgte Jacob und Maria mit 3. Söhnen und 4. Töchtern, ingleichen Simon mit 3. Söhnen und 2. Töchtern, auch Johannes mit der Virgilia, 2. Söhnen und 5. Töchtern.
Ich ersahe meine besondere Freude hieran, und weil sie alle als Brüder einander im Hauß-Bauen und an dern Dinge redlich zu Hülffe kamen, so machte auch ich mir die gröste Freude daraus, ihnen kräfftige Handreichung zu thun. Bey uns auf dem Hügel aber wohnete also niemand mehr, als David und Christina mit 3. Söhnen und 3. Töchtern, Christoph mit 3. Söhnen und 4. Töchtern, und letztlich Christian mit 2. Söhnen und einer Tochter, ingesamt, meine Concordia und mich [420] mit gerechnet, 24. Seelen, ausserhalb des Hügels aber 59. Seelen. Summa, im Jahr 1688. da die erstere Haupt-Vertheilung vollendet wurde, aller auf dieser Insul lebenden Menschen, 83. Nehmlich 39. Mannes- und 44. Weibs-Personen.
Ich habe euch aber, meine Lieben, diese Rechnung nur dieserwegen vorgehalten, weil ich eben im 1688ten Jahre mein Sechzigstes Lebens-Jahr, und das Vierzigste Jahr meines vergnügt geführten Ehestandes zurück gelegt hatte, auch weil, ausser meinem letzten Töchterlein, biß auf selbige Zeit kein einziges noch mehr von meinen Kindern oder Kindes-Kindern gestorben war, welches doch nachhero eben so wohl unter uns, als unter andern sterblichen Menschen-Kindern geschahe, wie mein ordentlich geführtes Todten-Register solches bezeuget, und auf Begehren zur andern Zeit vorgezeiget werden kan.
Nun solte zwar auch von meiner Kindes-Kinder fernerer Verheyrathung ordentliche Meldung thun, allein, wem wird sonderlich mit solchen allzu grossen Weitläufftigkeiten gedienet seyn, zumahlen sich ein jeder leichtlich einbilden kan, daß sie sich mit Niemand anders als ihrer Väter und Mütter, Brüders- und Schwester-Kindern haben vereheligen können, welches, so viel mir wissend, Göttlicher Ordnung nicht gäntzlich zuwider ist, und worzu mein erster Sohnes-Sohn, Albertus der dritte allhier, anno 1689. mit Roberts ältesten Tochter den Anfang machte, welchen die andern Mannbaren, zu gehöriger Zeit, biß auf diesen Tag nachgefolget sind.
[421] Es mag aber, ließ sich hierauf der Alt-Vater hören, hiermit auf diesen Abend sein Bewenden haben, doch Morgen, geliebt es GOtt, und zwar nach verrichteten Morgen-Gebeth und eingenommenen Frühstück, da wir ohnedem einen Rast-Tag machen können, will ich den übrigen Rest meiner Erzehlung von denjenigen Merckwürdigkeiten thun, die mir biß auf des Capitain Wolffgangs Ankunfft im Jahr 1721. annoch Erzehlens-würdig scheinen, und ohngefähr beyfallen werden.
Demnach legten wir uns abermals sämmtlich zur Ruhe, da nun dieselbe nebst der von dem Alt-Vater bestimmten Zeit abgewartet war, gab er uns den Beschluß seiner bißhero ordentlich an einander gehenckten Erzehlung also zu vernehmen:
Im Jahr 1692. wandten sich endlich die 3. letzten Stämme auch von unserm Hügel, und baueten an selbst erwehlten Orten ihre eigene Pflantz-Städten vor sich und ihre Nachkommen an, damit aber meine liebe Concordia und ich nicht alleine gelassen würden, schickte uns ein jeder von den 9. Stämmen eins seiner Kinder zur Bedienung und Gesellschafft zu, also hatten wir 5. Jünglinge und 4. Mägdleins nicht allein zum Zeitvertreibe, sondern auch zu täglichen Lust-Arbeitern und Küchen-Gehülffen um und neben uns, denn vor Brodt und andere gute Lebens-Mittel durfften wir keine Sorge tragen, weil die Stamm-Väter alles im Uberflusse auf den Hügel schafften. Die Affen machten bey allen diesen neuen Einrichtungen die liederlichsten Streiche, denn ob ich gleich dieselben ordentlich als Sclaven meinen Kindern zugetheilet, [422] und ein jeder Stamm die seinigen mit einem besondern Halß-Bande gezeichnet hatte, so wolten sich dieselben anfänglich doch durchaus nicht zertheilen lassen, sondern versammleten sich gar öffters alle wieder auf dem Hügel bey meinen zweyen alten Affen, die ich vor mich behalten hatte, biß sie endlich theils mit Schlägen, theils mit guten Worten zum Gehorsam gebracht wurden.
Im Jahr 1694. fingen meine sämmtlichen Kinder an, gegenwärtiges viereckte schöne Gebäude auf diesem Hügel vor mich, als ihren Vater und König, zurResidentz aufzubauen, mit welchen sie erstlich nach 3en Jahren völlig fertig wurden, weßwegen ich meine alte Hütte abreissen und gantz hinweg schaffen ließ, das neue hergegen bezohe, und es Albertus-Burg nennete, nachhero habe in selbigem, durch den Hügel hindurch biß in des Don Cyrillo unterirrdische Höle, eine bequemliche Treppe hauen, den auswendigen Eingang derselben aber biß auf ein Lufft-Loch vermauren und verschütten lassen, so daß mir selbige kostbare Höle nunmehro zum herrlichsten Keller-Gewölbe dienet.
So bald die Burg fertig, wurde der gantze Hügel mit doppelten Reihen der ansehnlichsten Bäume in der Rundung umsetzt, ingleichen der Anfang von mir gemacht, zu den beyden Alléen, zwischen welchen Alberts-Raum mitten inne liegt, und die nunmehro seit etliche 20. Jahren zum zierlichsten Stande kommen sind, wie ich denn nebst meiner Concordia manche schöne Stunde mit Spatzieren-gehen darinne zugebracht habe.
[423] Im 1698ten Jahre stieß uns abermals eine der merckwürdigsten Begebenheiten vor. Denn da David Rawkins drey ältesten Söhne eines Tages den Nord-Steg hinnab an die See gestiegen waren, um das Fett von einem ertödteten See-Löwen auszuschneiden, erblicken sie von ohngefähr ein Schiff, welches auf den Sand-Bäncken vor unsern Felsen gestrandet hatte. Sie lauffen geschwind zurück und melden es ihrem Vater, welcher erstlich zu mir kam, um sich Raths zu erholen, ob man, daferne es etwa Nothleidende wären, ihnen zu Hülffe kommen möchte? Ich ließ alle wehrhaffte Personen auf der Insul zusammen ruffen, ihr Gewehr und Waffen ergreiffen, und alle Zugänge wohl besetzen, und begab mich mit etlichen in eigener Person auf die Höhe. Von dar ersahen wir nun zwar das gestrandete Schiff sehr eigentlich, wurden aber keines Menschen darauf gewahr, ohngeacht einer um den andern mit des seel. Amias hinterlassenen Perspectiv fleißig Acht hatte, biß der Abend herein zu brechen begunte, da wir meisten uns wiederum zurück begaben, doch aber die gantze Nacht hindurch die Wachten wohl bestellet hielten, indem zu besorgen war, es möchten etwa See-Räuber oder andere Feinde seyn, die vorigen Tages unsere jungen Leute von ferne erblickt, derowegen ein Boot mit Mannschafft ausgesetzt hätten, um den Felsen auszukundschafften, mitlerweile sich die übrigen im Schiffe verbergen müsten.
Allein wir wurden weder am andern, dritten, vierdten, fünfften noch sechsten Tage nichts mehr gewahr als das auf einer Stelle bleibende Schiff, [424] welches weder Masten noch Segel auf sich zeigte. Derowegen fasseten endlich am siebenten Tage David, nebst noch 11. andern wohl bewaffneten starcken Leuten, das Hertze, in unser grosses Boot, welches wir nur vor wenig Jahren zu Ausübung unserer Strand-Gerechtig keit verfertiget, einzusteigen, und sich dem Schiffe zu nähern.
Nachdem sie selbiges erreicht und betreten, kommen dem David sogleich in einem Winckel zwey Personen vor Augen, welche bey einem todten menschlichen Cörper sitzen, mit grossen Messern ein Stück nach dem andern von selbigen abschneiden, und solche Stücken als rechte heißhungerige Wölffe eiligst verschlingen. Uber diesen gräßlichen Anblick werden alle die Meinigen in nicht geringes Erstaunen gesetzt, jedoch selbiges wird um so viel mehr vergrössert, da einer von diesen Menschen-Fressern jählings aufspringet, und einen von Davids Söhnen mit seinem grossen Messer zu erstechen sucht, doch da dieser Jüngling seinen Feind mit der Flinte, als einen leichten Stroh-Wisch zu Boden rennet, werden endlich alle beyde mit leichter Müh überwältiget und gebunden hingelegt.
Hierauff durchsuchen sie weiter alle Kammern, Ecken und Winckel des Schiffs, finden aber weder Menschen, Vieh, noch sonsten etwas, wovor sie sich ferner zu fürchten Ursach hätten. Hergegen an dessen statt einen unschätzbaren Vorrath an kostbaren Zeug und Gewürtz-Waaren, schönen Thier-Häuten, zugerichteten Ledern und andern vortrefflichen Sachen. Uber dieses alles trifft David auf die fünfftehalb Centner ungemüntzet Gold, 14. Centner [425] Silber, 2. Schlag- Fässer voll Perlen, und drey Kisten voll gemüntztes Gold und Silber an, von dessen Glantze, indem er an seiner Jugend-Jahre gedenckt, seine Augen gantz verblendet werden.
Jedoch meine guten Kinder halten sich hierbey nicht lange auf, sondern greiffen zu allererst nach den kostbarn Zeug- und Gewürtz-Waaren, tragen so viel davon in das Boot als ihnen möglich ist, nehmen die zwey Gebundenen mit sich, und kamen also, nachdem sie nicht länger als etwa 4. Stunden aussen gewesen, wieder zurück, und zwar durch den Wasser-Weg, auf die Insul. Wir vermerckten gar bald an den zweyen Gebundenen, daß es rasende Menschen wären, indem sie uns die gräßlichsten Gebärden zeigten, so oft sie jemand ansahe, mit den Zähnen knirscheten, diejenigen Speisen aber, welche ihnen vorgehalten wurden, hurtiger als die Kraniche verschlungen, weßwegen zuAlberts-Raum, ein jeder in eine besondere Kammer gesperret, und mit gebundenen Händen und Füssen aufs Lager gelegt, dabey aber allmählig mit immer mehr und mehr Speise und Tranck gestärckt wurde. Allein der schlimmste unter den Beyden, reisset folgende Nacht seine Bande an Händen und Füssen entzwey, frisset erstlich allen herum liegenden Speise-Vorrath auf, erbarmt sich hiernächst über ein Fäßlein, welches mit einer besondern Art von eingemachten Wurtzeln angefüllet ist, und frist selbiges ebenfalls biß auf die Helffte aus, bricht hernach die Thür entzwey, und läufft dem Nord-Walde zu, allwo er folgendes Tages gegen Abend, jämmerlich zerborsten, gefunden, und auf selbiger Stelle begraben wurde. [426] Der andere arme Mensch schien zwar etwas ruhiger zu werden, allein man merckte doch, daß er seines Verstandes nicht mächtig werden konte, ohngeacht wir ihn drey Tage nach einander aufs Beste verpflegten. Endlich am 4ten. Tage, da ich Nachmittags bey ihm in der Kammer gantz stille saß, kam ihm das Reden auf einmahl an, indem er mit schwacher Stimme rief: JESUS, Maria, Joseph! Ich fragte ihn erstlich auf Deutsch, hernach in Holländischer und letztlich in Englischer wie auch Lateinischer Sprache: Wie ihm zu Muthe wäre, jedoch er redete etliche Spanische Worte, welche ich nicht verstund, derowegen meinen Schwieger-Sohn Robert herein ruffte, der ihn meine Frage in Spanischer Sprache erklärete, und zur Antwort erhielt: Es stünde sehr schlecht um ihn und sein Leben. Robert versetzte, weil er JESUM zum Helfer angerufft, werde es nicht schlecht um ihn stehen, er möge sterben oder leben. Ich hoffe es mein Freund, war seine Antwort, dahero ihn Robert noch ferner tröstete, und bat: wo es seine Kräffte zuliessen, uns mit wenig Worten zu berichten: Was es mit ihm und dem Schiffe vor eine Beschaffenheit habe? Hierauf sagte der arme Mensch: Mein Freund! das Schiff, ich und alles was darauff ist, gehöret dem Könige von Spanien. Ein hefftiger Sturm hat uns von dessen West-Indischen Flotte getrennet, und zweyen Raub-Schiffen entgegen geführet, denen wir aber durch Tapfferkeit und endliche Flucht entgangen sind. Jedoch die fernern Stürme haben uns nicht vergönnet, einen sichern Hafen zu finden, vielweniger den Abgang unserer Lebens-Mittel [427] zu ersetzen. Unsere Cameraden selbst haben Verrätherisch gehandelt, denn da sie von ferne Land sehen, und selbiges mit dem übel zugerichteten Schiffe nicht zu erreichen getrauen, werffen sich die Gesunden ins Boot und lassen etliche Krancke, ohne alle Lebens-Mittel zurücke. Wir wünschten den Tod, da aber selbiger, zu Endigung unserer Marter, sich nicht bey allen auf einmahl einstellen wolte, musten wir uns aus Hunger an die Cörper derjenigen machen, welche am ersten sturben, hierüber hat unsere Kranckheit dermassen zugenommen, daß ich vor meine Person selbst nicht gewust habe, ob ich noch lebte oder allbereits todt wäre.
Robert versuchte zwar noch ein und anderes von ihm zu erforschen, da aber des elenden Spaniers Schwachheit allzugroß war, musten wir uns mit dem Bescheide: Er wolle Morgen, wenn er noch lebte, ein mehreres reden, begnügen lassen. Allein nachdem er die gantze Nacht hindurch ziemlich ruhig gelegen, starb er uns, mit anbrechende Tage, sehr sanfft unter den Händen, und wurde seiner mit wenig Worten und Gebärden bezeigten christlichen Andacht wegen, an die Seite unseres Gottes-Ackers begraben. Solchergestalt war niemand näher die auf dem Schiff befindlichen Sachen in Verwahrung zu nehmen, als ich und die Meinigen, und weil wir dem Könige von Spanien auf keinerley Weise verbunden waren, so hielt ich nicht vor klug gehandelt, meinen Kindern das Strand-Recht zu verwehren, welche demnach in wenig Tagen das gantze Schiff, nebst allen darauff befindlichen Sachen, nach und nach Stückweise auf die Insul brachten.
[428] Ich theilete alle nützliche Waaren unter dieselben zu gleichen Theilen aus, biß auf das Gold, Silber, Perlen, Edelgesteine und Geld, welches von mir, um ihnen alle Gelegenheit zum Hoffart, Geitz, Wucher und andern daraus folgenden Lastern zu benehmen, in meinen Keller zu des Don Cyrillo und andern vorhero erbeuteten Schätzen legte, auch dieserwegen von ihnen nicht die geringste scheele mine empfieng.
Der erste Jan. im Jahre Christi 1700. wurde nicht allein als der Neue Jahres-Tag und Fest der Beschneidung Christi, sondern über dieses als ein solcher Tag, an welchen wir ein neues Jahr hundert, und zwar das 18te nach Christi Gebuhrt antraten, recht besonders frölich von uns gefeyert, indem wir nicht allein alle unsere Canonen löseten, deren wir auf dem letztern Spanischen Schiffe noch 12. Stück nebst einem starcken Vorrath an Schieß-Pulver überkommen hatten, sondern auch nach zweymahligen verrichteten Gottesdienste, unsere Jugend mit Blumen-Kräntzen ausziereten, und selbige im Reyhen herum singen und tantzen liessen. Folgendes Tages ließ ich, vor die junge Mannschafft, von 16. Jahren und drüber, die annoch gegenwärtige Vogel-Stange aufrichten, einen höltzernen Vogel daran häncken, wornach sie schiessen musten, da denn diejenigen, welche sich wohl hielten, nebst einem Blumen-Crantze verschiedene neue Kleidungs-Stücke, Aexte, Sägen und dergleichen, derjenige aber so das letzte Stück herab schoß, von meinerConcordia ein gantz neues Kleid, und von mir eine kostbare Flinte zum Lohne bekam. Diese Lust ist nachhero alljährlich [429] einmahl um diese Zeit vorgenommen worden.
Am 8. Jan. selbigen Jahres, als an meinen Gebuhrts- und Vereheligungs-Tage, beschenckte mich der ehrliche Simon Schimmer mit einem neugemachten artigen Wagen, der von zweyen zahmgemachten Hirschen gezogen wurde, also sehr bequem war, mich und meine Concordia von einem Orte zum andern spatzieren zu führen. Schimmer hatte diese beyden Hirsche noch gantz jung aus dem Thier-Garten genommen, und selbige durch täglichen unverdrossenen Fleiß, dermassen Kirre gewöhnet, daß sie sich Regieren liessen wie man wolte. Ihm haben es nachhero meine übrigen Kinder nach gethan, und in wenig Jahren viel dergleichen zahme Thiere auferzogen.
Nun könte ich zwar noch vieles anführen, als nemlich: von Entdeckung der Insul Klein-Felsenburg. Von Erzeugung des Flachses, und wie unsere Weiber denselben zubereiten, spinnen und wircken lernen. Von allerhand andern Handwercken, die wir mit der Zeit durch öffteres Versuchen ohne Lehrmeisters einander selbst gelehret und zu Stande bringen helffen. Von allerhand Waaren und Geräthschafften, die uns von Zeit zu Zeit durch die Winde und Wellen zugeführet worden. Von meiner 9. Stämme Vermehrung und immer besserer Wirtschaffts-Einrichtung im Acker-Garten- und Wein-Bau. Von meiner eigenen Wirthschafft, Schatz- Rüst- und Vorraths-Kammer und dergleichen; Allein meine Lieben, weil wir doch länger beysammen bleiben, und GOTT mir hoffentlich [430] noch das Leben eine kleine Zeit gönnen wird, so will selbiges biß auf andere Zeiten versparen, damit wir in künfftigen Tagen bey dieser und jener Gelegenheit darüber mit einander zu sprechen Ursach finden, vor jetzo aber will damit schliessen, wenn ich noch gemeldet habe, was der Tod in dem eingetretenen 18den Seculo vor Haupt-Personen, aus diesem unsern irrdischen, in das Himmlische Paradieß versetzt hat, solches aber sind folgende:
1. Johannes mein dritter leiblicher Sohn starb 1706. seines Alters 55. Jahr.
2. Maria meine älteste Tochter, starb 1708. ihres Alters 58. Jahr.
3. Elisabeth meine zweyte Tochter, starb 1711. ihres Alters 58. Jahr.
4. Virgilia van Cattmers Johannis Gemahl. starb 1713. ihres Alters 66. Jahr.
5. Meine seel. Ehe-Gemahlin Concordia, starb 1715. ihres Alters im 89ten Jahre.
6. Simon Heinrich Julius, sonst Schimmer, starb 1716. seines Alters 84. Jahr.
7. Die jüngere Concordia und
8. Robert Julius, sonst Hilter, sturben binnen 6. Tagen, als treue Ehe-Leute. 1718. ihres Alters, sie im 72. und Er im 84. Jahre.
9. Jacob Julius, sonst Larson, starb 1719. seines Alters 89. Jahr.
10. Blandina, Christophs Gemahl. starb 1719. ihres Alters 65. Jahr.
11. Gertraud, Christians Gemahl. starb 1723. ihres Alters 66. Jahre.
Nunmehro, mein Herr Wolffgang! sagte hierauff[431] der Altvater Albertus, indem er sich, wegen Erinnerung seiner verstorbenen Geliebten, mit weinenden Augen zum Capitain Wolffgang wandte, werdet ihr von der Güte seyn, und dasjenige anführen, was ihr binnen der Zeit eurer ersten Anwesenheit auf dieser Insul angetroffen und verbessert habt.
Demnach setzte selbiger redliche Mann des Altvaters und seine eigene Geschicht folgender massen fort: Ich habe euch, meine werthesten Freunde, (sagte er zu Herr Mag. Schmeltzern und mir,) meine Lebens-Geschicht, zeitwährender unserer Schiffahrth biß dahin wissend gemacht: Da ich von meinen schelmischen Gefährten an diesen vermeintlichen wüsten Felsen ausgesetzt, nachhero aber von hiesigen frommen Einwohnern erquickt und aufgenommen worden. Diese meine merckwürdige Lebens Erhaltung nun, kan ich im geringsten nicht einer ohngefähren Glücks-Fügung, sondern eintzig und allein der sonderbaren Barmhertzigen Vorsorge GOTTES zuschreiben, denn die Einwohner dieser Insul waren damahls meines vorbey fahrenden Schiffs so wenig als meiner Aussetzung gewahr worden, wusten also nichts darvon, daß ich elender Mensch vor ihrem Wasser-Thore lag, und verschmachten wolte. Doch eben an demselben Tage, welchen ich damahligen Umständen nach, vor den letzten meines Leben hielt, regieret GOTT, die Hertzen 6. ehrlicher Männer aus Simons- und Christians Geschlechte, mit ihrem Gewehr nach dem in der Bucht liegenden Boote zu gehen, auf selbigen eine Fahrt nach der West-Seite zu thun, und [432] allda auf einige See-Löwen und See-Kälber zu lauren. Diese waren also, kurtz gesagt, die damahligen Werckzeuge GOTTES zu meiner Errettung, indem sie mich erstlich durch den Wasser-Weg zurück in ihre Behausung führeten, völlig erquickten, und nachhero dem Altvater von meiner Anwesenheit Nachricht gaben. Dieser unvergleichliche Mann, den GOTT noch viele Jahre zu meinem und der Seinigen Trost erhalten wolle, hatte kaum das vornehmste von meinen Glücks- und Unglücks-Fällen angehöret, als er mich sogleich hertzlich umarmete, und versprach: Mir meinen erlittenen Schaden dreyfach zu ersetzen, weil er solches zu thun wohl im Stande sey, und da ich keine Lust auf dieser Insul zu bleiben hätte, würde sich mit der Zeit schon Gelegenheit finden, wieder in mein Vaterland zurück zu kommen. Immittelst nahm er mich sogleich mit auf seinen Hügel, gab mir eine eigene wohl zubereitete Kammer ein, zog mich mit an seine Tafel, und versorgte mich also mit den köstlichsten Speisen, Geträncke, Kleidern, ja mit allem, was mein Hertz verlangen konte, recht im überflusse. Ich bin jederzeit ein Feind des Müßiggangs gewesen, derowegen machte mir alltäglich, bald hier bald dar, genung zu schaffen, indem ich nicht allein etliche 12. biß 16. jährige Knaben auslase, und dieselben in allerhand nützlichen Wissenschafften, welche zwar allhier nicht gäntzlich unbekannt, doch ziemlich dunckel und Beschwerlich fielen, auf eine weit leichtere Weise unterrichtete, sondern auch den Acker- Wein- und Garten-Bau fleißig besorgen halff. Mein Wohlthäter bezeugte [433] nicht allein hierüber seinen besondern Wohlgefallen, sondern ich wurde bey weiterer Bekandtschafft von allen Einwohnern, Jung und Alt, fast auf den Händen getragen, weßwegen ein Streit in meinen Hertzen entstund: Ob ich bey ereigneter Gelegenheit diese Insul verlassen, oder meine übrige Lebens-Zeit auf derselben zubringen wolte, als welches Letztere alle Einwohner sehnlich wünscheten, allein meine wunderlich herum schweiffenden Sinnen konten zu keinem beständigen Schlusse kommen, sondern ich wanckte zwey gantzer Jahre lang von einer Seite zur andern, biß endlich im dritten Jahre folgende Liebes-Begebenheit mich zu dem festen Vorsatze brachte: alles Guth, Ehre und Vergnügen, was ich etwa noch in Europa zu hoffen haben könte, gäntzlich aus dem Sinne zu schlagen, und mich allhier auf Lebens-Zeit feste zu setzen: Der gantze Handel aber fügte sich also: Der Stamm-VaterChristian hatte eine vortreffliche schöne und tugendhaffte Tochter, Sophia genannt, um welche ein junger Geselle, aus dem Jacobischen Geschlecht, sich eifrig bemühete, dieselbe zur Ehe zu haben, allein da diese Jungfrau denselben, so wohl als 4. andere, die schon vorhero um sie angehalten hatten, höflich zurück wiese, und durchaus in keine Heyrath mit ihm willigen wolte, bat mich der Vater Christian eines Tages zu Gaste, und trug mir an: Ob ich, als ein kluger Frembdling, nicht etwa von seiner Tochter ausforschen könne und wolle, weßwegen sie diesen Junggesellen, der ihrer so eiffrig begehrte, ihre eheliche Hand nicht reichen möchte; Ich nahm diese Commission willig auf, begab mich mit guter manier [434] zu der schönen Sophie, welche im Garten unter einem grünen schattigen Baume mit der Spindel die zärtesten Flachs-Faden spann, weßwegen ich Gelegenheit ergriff mich bey ihr nieder zu setzen, und ihrer zarten Arbeit zuzusehen, welche ihre geschickten und saubern Hände gewiß recht anmuthig verrichteten.
Nach ein und andern schertzhafften jedoch tugendhafften Gesprächen, kam ich endlich auf mein propos, und fragte etwas ernsthaffter: Warum sie denn so eigensinnig im Lieben sey, und denjenigen Jungen Gesellen, welcher sie so hefftig liebte, nicht zum Manne haben wolle. Das artige Kind erröthete hierüber, wolte aber nicht ein Wort antworten, welches ich vielmehr ihrer Schamhafftigkeit, als einer Blödigkeit des Verstandes zurechnen muste, indem ich allbereit zur Gnüge verspüret, daß sie einen vortrefflichen Geist und aufgeräumten Sinn hatte. Derowegen setzte noch öffter an, und brachte es endlich durch vieles Bitten dahin, daß sie mir ihr gantzes Hertz in folgenden Worten eröffnete: Mein Herr! sagte sie, ich zweiffele nicht im geringsten, daß ihr von den Meinigen abgeschickt seyd, meines Hertzens Gedancken auszuforschen, doch weil ich euch vor einen der redlichsten und tugendhafftesten Leute halte, so will ich mich nicht schämen euch das zu vertrauen, was ich auch meinem Vater und Geschwister, geschweige denn andern Befreundten, zu eröffnen Scheu getragen habe. Wisset demnach, daß mir unmöglich ist einen Mann zu nehmen, der um so viele Jahre jünger ist als ich, bedencket doch, ich habe allbereit mein 32stes Jahr zurück gelegt, [435] und soll einen jungen Menschen Heyrathen, der sein zwantzigstes noch nicht ein mal erreicht hat. Es ist ja Gottlob kein Mangel an Weibs-Personen auf dieser Insul, hergegen hat er so wohl als andere noch das Auslesen unter vielen, wird also nicht unverheyratet sterben dürffen, wenn er gleich mich nicht zur Ehe bekömmt, solte aber ich gleich ohn verheyrathet sterben müssen, so wird mir dieses weder im Leben noch im Tode den allergeringsten Verdruß erwecken. Ich verwunderte mich ziemlicher massen über dieses 32. jährigen artigen Frauenzimmers resolution, und hätte, ihrem Ansehen und gantzen Wesen nach, dieselbe kaum mit guten Gewissen auf 20. Jahr geschätzet, doch da ich in ihren Reden einen lautern Ernst verspürete, gab ich ihr vollkommen Recht und fragte nur: Warum sie aber denn allbereit 4. andere Liebhaber vor diesem letztern abgewiesen hätte? Worauff sie antwortete: Sie sind alle wenigstens 10. biß 12. Jahr jünger gewesen als ich, derowegen habe unmöglich eine Heyrath mit ihnen treffen können, sondern viel lieber ledig bleiben wollen.
Hierauff lenckte ich unser Gespräch, um ihren edlen Verstand ferner zu untersuchen auf andere Sachen, und fand denselben so wohl in geistlichen als weltlichen Sachen dermassen geschärfft, daß ich so zu sagen fast darüber erstaunete, und mit innigsten Vergnügen so lange bey ihr sitzen blieb, biß sich unvermerckt die Sonne hinter die hohen Felsen-Spitzen verlohr, weßwegen wir beyderseits den Garten verliessen, und weil ich im Hause vernahm, daß sich der Vater Christian auf der Schleusen-Brücke [436] befände, wunschete ich der schönen Sophie nebst den übrigen eine gute Nacht, und begab mich zu ihm. Indem er mir nun das Geleite biß auf die Alberts-Burg zu unserm Altvater gab, erzehlete ich ihm unterwegens seiner tugendhafften Tochter vernünfftiges Bedencken über die angetragene Heyrath, so wohl als ihren ernstlich gefasseten Schluß, worüber er sich ebenfalls nicht wenig verwunderte, und deßfalls erstlich den Altvater um Rath fragen wolte. Derselbe nun that nach einigen überlegen diesen Ausspruch: Zwinge dein Kind nicht, mein Sohn Christian, denn Sophia ist eine keusche und Gottesfürchtige Tochter, deren Eigensinn in diesem Stück unsträflich ist, ich werde ihren Liebhaber Andream anderweit berathen, und versuchen ob ichNicolaum, deines seel. Bruders Johannis dritten Sohn, der einige Jahre älter ist, mit der frommen Sophie vereheligen kan.
Wir geriethen demnach auf andere Gespräche, allein ich weiß nicht wie es so geschwinde bey mir zugieng, daß ich auf einmahl gantz tieffsinnig wurde, welches der liebe Altvater sogleich merckte, und sich um meine jählinge Veränderung nicht wenig bekümmerte, doch da ich sonst nichts als einen kleinen Kopff-Schmertzen vorzuwenden wuste, ließ er mich in Hoffnung baldiger Besserung zu Bette gehen. Allein ich lage lange biß nach Mitternacht, ehe die geringste Lust zum Schlafe in meine Augen kommen wolte, und, nur kurtz von der Sache zu reden, ich spürete nichts richtiges in meinem Hertzen, als daß es sich vollkommen in die schöne und tugendhaffte Sophie verliebt hätte. Hergegen machten mir des [437] lieben Altvaters gesprochene Worte: Ich werde versuchen, ob ich Nicolaum mit der frommen Sophie vereheligen kann, den allergrösten Kummer, denn erstlich hatte ich als ein elender Einkömmling noch die gröste Ursach zu zweiffeln, ob ich der schönen Sophie Gegen-Gunst erlangen, und vors andere schwerlich zu hoffen, daß mich der Altvater seinem Enckel Nicolao vorziehen würde. Nachdem ich mich aber dieserwegen noch eine gute Weile auf meinem Lager herum geworffen, und meiner neuen Liebe nachgedacht hatte, fassete ich endlich den festen Vorsatz keine Zeit zu versäumen, sondern meinem aufrichtigen Wohlthäter mein gantzes Hertze, gleich morgen früh zu offenbaren, nachhero, auf dessen redliches Gutachten, selbiges der schönen Sophie ohne alle Weitläufftigkeiten ehrlich anzutragen.
Hierauff liessen sich endlich meine Furcht und Hoffnungs-volle Sinnen durch den Schlaff überwältigen, doch die Einbildungs-Kräffte machten ihnen das Vergnügen, die schöne Sophie auch im Traume darzustellen, so, daß sich mein Geist den gantzen übrigen Theil der Nacht hindurch mit derselben unterredete, und so wohl an ihrer äuserlichen schönen Gestalt, als innerlichen vortreflichen Gemüths-Gaben ergötzte. Ich wachte gegen Morgen auf, schlief aber unter dem Wunsche, dergleichen Traum öffter zu haben, bald wieder ein, da mir denn vorkam, als ob meine auf der Insul Bonair seelig verstorbene Salome, die tugendhaffte Sophie in meine Kammer geführet brächte, und derselben ihren Trau-Ring, den ich ihr mit in den [438] Sarg gegeben hatte, mit fröhlichen Gebärden überlieferte, hernach zurücke gieng und Sophien an meiner Seiten stehen ließ. Hierüber erwachte ich zum andern mahle, und weil die Morgen-Röthe bereits durch mein von durchsichtigen Fisch-Häuten gemachtes Fenster schimmerte, stund ich, ohne den Altvater zu erwecken, sachte auf, spazierete in dessen grossen Lust-Garten, und setzte mich auf eine, zwischen den Bäumen gemachte Rasen-Banck, verrichtete mein Morgen-Gebeth, sung etliche geistliche Lieder, zohe nach diesen meine Schreib-Tafel, die mir nebst andern Kleinigkeiten von meinen Verräthern annoch in Kleidern gelassen worden, hervor, und schrieb folgendes Lied hinnein.
1.
Unverhoffte Liebes-Netze
Haben meinen Geist bestrickt.
Das, woran ich mich ergötze,
Hat mein Auge kaum erblickt;
Kaum, ja kaum ein wenig Stunden,
Da der güldnen Freyheit Pracht
Ferner keinen Platz gefunden,
Darum nimmt sie gute Nacht.
2.
Holder Himmel! darff ich fragen:
Wilst du mich im Ernst erfreun?
Soll, nach vielen schweren Plagen,
Hier mein ruhigs Eden seyn?
O! so macht dein Wunder-Fügen,
Und die süsse Sklaverey,
Mich von allen Mißvergnügen,
Sorgen, Noth und Kummer frey.
[439] 3.
Nun so fülle, die ich liebe,
Bald mit Glut und Flammen an,
Bringe sie durch reine Triebe
Auf die keusche Liebes-Bahn,
Und ersetze meinem Hertzen,
Was es eh'mals eingebüßt;
Denn so werden dessen Schmertzen
Durch erneute Lust versüßt.
Kaum hatte ich diesen meinen poëtischen Einfall zurechte gebracht, als ich ihn unter einer bekandten weltlichen Melodey abzusingen etliche mahl probierte, und nicht vermerckte, daß ich an dem lieben Altvater einen aufmercksamen Zuhörer bekommen, biß er mich sanfft auf die Schulter klopffte und sagte: Ist's möglich mein Freund, daß ihr in meine Auffrichtigkeit einigen Zweiffel setzen und mir euer Liebes-Geheimniß verschweigen könnet, welches doch ohnfehlbar auf einem tugendhafften Grunde ruhet? Ich fand mich solchergestalt nicht wenig betroffen, entschuldigte meine bisherige Verschwiegenheit mit solchen Worten, die der Wahrheit gemäß waren, und offenbarete ihm hierauff mein gantzes Hertze. Es ist gut, mein Freund versetzte der werthe Altvater dargegen, Sophia soll euch nicht vorenthalten werden, allein übereilet euch nicht, sondern machet vorhero weitere Bekanntschafft mit derselben, untersuchet so wohl ihre als eure selbst eigene Gemüths-Neigungen, wann ihr so dann vor thunlich befindet, eure Lebens-Zeit auf dieser Insul mit einander zuzubringen, soll euch erlaubt [440] seyn, mit selbiger in den Stand der Ehe zu treten, doch das sage ich zum voraus: Daß ihr so wohl, als meine vorigen Schwieger-Söhne einen cörperlichen Eyd schweren müsset, so lange als meine Augen offen stehen, nichts von dieser Insel, vielweniger eines meiner Kinder eigenmächtiger oder heimlicher Weise hinweg zu führen. Nächst diesem, war seine fernere Rede, hat mir ohnfehlbar der Geist GOttes ein besonderes Vorhaben eingegeben, zu dessen Ausführung mir keine tüchtigere Person von der Welt vorkommen können, als die eurige. Ich danckte dem lieben Altvater nicht allein vor dessen gütiges Erbiethen, sondern versprach auch, was so wohl den Eyd, als alles andere beträffe, so er von mir verlangen würde, nach meinem äusersten Vermögen ein völliges Genügen zu leisten. Derselbe aber verlangte vorhero nochmahls eine umständliche Erzehlung meiner Lebens-Geschichte, worinnen ich ihm noch selbigen Tage gehorsamete, und ohngefähr mit erwehnete: Wie ich in einer gewissen berühmten Handels-Stadt, unter andern auch mit einem Kauffmanne in Bekandtschafft gerathen, der ebenfalls den Zunahmen Julius geführet hätte, doch, da ich von dessen Geschlecht und Herkommen keine fernere Nachricht zu geben wuste, erseuffzete der liebe Altvater dieserwegen, und wünschte, daß selbiger Kauffmann ein Befreundter von ihm, oder gar ein Abstammling von seinen ohnfehlbar nunmehro seel. Bruder sein möchte; Allein, ich konte, wie bereits gemeldet, hiervon so wenig, als von des Kaufmanns übriger Familie und dessen Zustande [441] Nachricht geben. Derowegen brach endlich der werthe Altvater loß, und hielt mir in einer weitläufftigen Rede den glückseeligen Zustand vor, in welchen er sich nebst den Seinigen auf dieser Insul von GOtt gesetzt sähe. Nur dieses eintzige beunruhige sein Gewissen, daß nemlich er und die Seinigen ohne Priester seyn, mithin des heiligen Abendmahls nebst anderer geistlichen Gaben beraubt leben müsten: Uber dieses, da die Anzahl der Weibs-Personen auf der Insul stärcker sey, als der Männer, so wäre zu wünschen, daß noch einige zum Ehe-Stande tüchtige Handwercker und Künstler anhero gebracht werden könnten, welches dem gemeinen Wesen zum sonderbaren Nutzen, und manchen armen Europäer, der sein Brod nicht wohl finden könte, zum ruhigen Vergnügen gereichen würde. Und letztlich wünschte der liebe Alt-Vater, vor seinem Ende noch einen seiner Bluts-Freunde aus Europa bey sich zu sehen, um demselben einen Theil seines fast unschätzbaren Schatzes zuzuwenden, denn, sagte er: Was sind diese Glücks-Güter mir und den Meinigen auf dieser Insul nütze, da wir mit niemanden in der Welt Handel und Wandel zu treiben gesonnen? Und gesetzt auch, daß dieses in Zukunfft geschehen solte, so trägt diese Insul so viele Reichthümer und Kostbarkeiten in ihrem Schosse, wovor alles dasjenige, was etwa bedürfftig seyn möchte, vielfältig eingehandelt werden kan. Demnach möchte es wohl seyn, daß sich meines Bruders Geschlecht in Europa in solchem Zustande befände, dergleichen Schätze besser als wir zu gebrauchen und anzulegen;[442] Warum solte ich also ihnen nicht gönnen, was uns überflüßig ist und Schaden bringen kan? Oder solche Dinge, die GOtt dem Menschen zum löblichen Gebrauch erschaffen, heimtückischer und geitziger Weise unter der Erden versteckt behalten?
Nachdem er nun noch sehr vieles von diesen Sachen mit mir gesprochen, schloß er endlich mit diesen treuhertzigen Worten: Ihr wisset nunmehro, mein redlicher Freund Wolffgang, was mir auf dem Hertzen liegt, und euer eigener guter Verstand wird noch mehr anmercken, was etwa zu Verbesserung unseres Zustandes von nöthen sey, darum saget mir in der Furcht GOttes eure aufrichtige Meinung: Ob ihr euch entschliessen wollet, noch eine Reise in Europam zu unternehmen, mein Hertz und Gewissen, gemeldten Stücken nach, zu beruhigen, und nach glücklicher Zurückkunfft Sophien zu ehligen. An Gelde, Gold, Silber und Kleinodien will ich zwey biß drey mahl hundert tausend Thaler werth zu Reise-Kosten geben, was sonsten noch darzu erfordert wird, ist nothdürfftig vorhanden, wegen der Reise-Gesellschafft und anderer Umstände aber müsten wir erstlich genauere Abrede nehmen, denn mit meinem Willen soll keines von meinen Kindern seinen Fuß auf die Europäische Erde setzen.
Ich nahm nicht den geringsten Aufschub, dem lieben Alt-Vater, unter den theuresten Versicherungen meiner Redlichkeit und Treue, alles einzuwilligen, was er von mir verlangte, weil ich mir so gleich die feste Hoffnung machte, GOtt würde mich auf dieser Reise, die hauptsächlich seines [443] Diensts und Ehre wegen vorgenommen sey, nicht unglücklich werden lassen. Derowegen wurden David und die andern Stamm-Väter zu Rathe gezogen, und endlich beschlossen wir ingesammt, unser leichtes Schiff in guten Stand zu setzen, auf welchen mich David nebst 30. Mann biß auf die Insul St. Helenæ bringen, daselbst aussetzen, und nachhero mit seiner Mannschafft sogleich wieder zurück auf Felsenburg seegeln solte.
Mittlerweile, da fast alle starcke Leute keine Zeit noch Mühe spareten, das Schiff nach meinem Angeben auszubessern, und Segel-fertig zu machen, nahm ich alle Abend Gelegenheit, mich mit der schönen Sophie in Gesprächen zu vergnügen, auch endlich die Kühnheit, derselben mein Hertz anzubieten, weil nun der liebe Alt-Vater allbereit die Bahne vor mich gebrochen hatte, konte mein verliebtes Ansinnen um desto weniger unglücklich seyn, sondern, kurtz zu sagen, wir vertauschten bey einem öffentlichen Verlöbnissse unsere Hertzen mit solcher Zärtlichkeit, die mir auszusprechen unmöglich ist, und verschoben die Vollziehung dieses ehelichen Bündnisses biß auf meine, in der Hoffnung, glückliche Zurückkunfft.
Gegen Michaelis-Tag des verwichenen 1724ten Jahres wurden wir also mit Ausrüstung unseres Schiffs, welches ich die Taube benennete, und demselben Holländische Flaggen aufsteckte, vollkommen fertig, es war bereits mit Proviant und allem andern wohl versehen, der gute alte David Julius, der jedoch an Leibes- und Gemüths-Kräfften es noch manchem jungen Manne zuvor that, hielt sich [444] mit seiner auserlesenen und wohl bewaffneten jungen Mannschafft alltäglich parat, einzusteigen, exercierte aber dieselben binnen der Zeit auf recht lustige und geschickte Art. Da es demnach nur an meiner Abfertigung lage, ließ mich der Alt-Vater, weil er eben damahls einiges Reissen in Knien hatte, also nicht ausgehen konte, vor sein Bette kommen, und führete mir nochmahls alles dasjenige, was ich ihm zu leisten versprochen, liebreich zu Gemüthe, ermahnete mich anbey GOtt, ihm und den Seinigen diesen wichtigen und eines ewigen Ruhms würdigen Dienst, redlich und getreu zu erweisen, welchen GOTT ohnfehlbar zeitlich und ewig vergelten würde. Ich legte hierauf meine lincke Hand auf seine Brust, die rechte aber richtete ich zu GOTT im Himmel in die Höhe, und schwur einen theuren Eyd, nicht allein die mir aufgetragenen 3. Haupt-Puncte nach meinem besten Vermögen zu besorgen, sondern auch alles andere, was dem gemeinen Wesen zur Verbesserung gereichlich, wohl zu beobachten. Hierauf lieferte er mir denjenigen Brief ein, welchen ich euch, mein Eberhard Julius, in Amsterdam annoch wohl versiegelt übergeben habe, und wiese mich zugleich in eine Kammer, allwo ich aus einem grossen Pack-Fasse an Geld, Gold und Edel-Steinen so viel nehmen möchte, als mir beliebte. Es befanden sich in selbigen am Werth mehr denn 5. biß 6. Tonnen Schatzes, doch ich nahm nicht mehr davon als 30. runde Stücken gediehenes Goldes, deren ich jedes ohngefähr 10. Pfund schwer befand, nächst diesen an Spanischer Gold-und Silber-Müntze [445] 50000. Thlr. werth, ingleichen an Perlen und Kleinodien ebenfalls einer halben Tonne Goldes werth. Ich brauchte die Vorsicht, die kostbarsten Kleinodien und grossen güldnen Müntzen so wohl in einen bequemen Gürtel, den ich auf den blossen Leibe trug, als auch in meine Unter-Kleider zu verwahren, die grossen Gold-Klumpen aber wurden zerhackt, und in die mit den allerbesten Rosinen angefülleten Körbe vertheilet und verborgen. Mit den Perlen thaten wir ein gleiches, das gemüntzte Geld aber vertheilete ich in verschiedene Lederne Beutel, und verwahrete es also, daß es zur Zeit der Noth gleich bey der Hand seyn möchte. Dem Alt-Vater gefielen zwar meine Anstalten, jedennoch aber war er der Meynung, ich würde mit so wenigen Gütern nicht alles ausrichten können. Doch, da ihm vorstellete, wie es sich nicht schicken würde, mit mehr als einem Schiffe wieder zurück zu kehren, also ein überflüßiges Geld und Gut mir nur zur Last und schlimmen Verdacht gereichen könne; überließ er alles meinerConduite, und also gingen wir nach genommenen zärtlichen Abschiede unter tausend Glückwünschen der zurück bleibenden Insulaner am 2ten Octobr. 1724. vergnügt unter Seegel, wurden auch durch einen favorablen Wind dermassen hurtig fortgeführet, daß wir noch vor Untergang der Sonnen Felsenburg aus den Augen verlohren.
Unterwegs, nachdem diejenigen, so des Reisens ungewohnt, der See den bekannten verdrüßlichen Tribut abgestattet, und sich völlig erholet hatten, war unser täglicher Zeitvertreib, daß [446] ich meine Gefährten im richtigen Gebrauch des Compasses, der See Charten und andern Vortheilen bey der Schiffs-Arbeit, immer besser belehrete, damit sie ihren Rückweg nach Felsenburg desto leichter zu finden, und sich bey ereignenden Sturme oder andern Zufällen eher zu helffen wüsten, ohngeacht sich desfalls bey einigen, und sonderlich bey dem guten alten David, der das Steuer-Ruder beständig besorgte, bereits eine ziemliche Wissenschafft befand.
Solchergestalt erreichten wir, ohne die geringste Gefahr ausgestanden zu haben, die Insul St. Helenæ noch eher, als ich fast vermuthet hatte, und traffen daselbst etliche 20. Engell- und Holländische Schiffe an, welche theils nach Ost-Indien reisen, theils aber, als von dar zurück kommende, den Cours nach ihren Vater-Lande nehmen wolten. Hier wolte es nun Kunst heissen, Rede und Antwort zu gestehen, und doch dabey das Geheimniß, woran uns allen so viel gelegen, zu verschweigen, derowegen studierte ich auf allerhand scheinbare Erfindungen, welche mit meinen Gefährten abredete, und hiermit auch so glücklich war, alle diejenigen, so sich um mein Wesen bekümmerten, behörig abzuführen. Von den Holländern traff ich keinen eintzigen bekandten Menschen an, hergegen kam mir ein Englischer Capitain unvermuthet zu Gesichte, dem ich vor Jahren auf der Fahrt nach West-Indien einen kleinen Dienst geleistet hatte, diesem gab ich mich zu erkennen, und wurde von ihm aufs freundlichste empfangen und tractiret. Er judicirte anfangs aus meinem äuserlichen Wesen, [447] daß ich ohnfehlbar unglücklich worden, und in Nöthen stäcke? Weßwegen ich ihm gestund, daß zwar einige unglückliche Begebenheiten mich um mein Schiff, keines weges aber um das gantze Vermögen gebracht, sondern ich hätte noch so viel gerettet, daß mich im Stande befände, eine neue Ausrüstung vorzunehmen, so bald ich nur Amsterdam erreichte. Er wandte demnach einige Mühe an, mich zu bereden, in seiner Gesellschafft mit nach Java zu gehen, und versprach bey dieser Reise grossen Profit, auch bald ein Schiffs-Commando vor mich zu schaffen, allein, ich danckte ihm hiervor, und bat dargegen, mich an einen seiner Lands-Leute, die in ihr Vater-Land reiseten, zu recommendieren, um meine Person und Sachen vor gute Bezahlung biß dahin zu nehmen, weil ich allbereit so viel wüste, daß mir meine Lands-Leute, nehmlich die Holländer, diesen Dienst nicht leisten könten, indem sie sich selbsten schon zu starck überladen hätten. Hierzu war der ehrliche Mann nun gleich bereit, führete mich zu einem nicht weniger redlichen Patrone, mit welchen ich des Handels bald einig wurde, meine Sachen, die in Ballen, Fässer und Körbe eingepackt waren, zu ihm einschiffte, und den Vater David mit den Seinigen, nachdem sie sonst nichts als frisches Wasser eingenommen hatten, wieder zurück schickte, unter dem Vorwande, als hätten dieselben noch viele auf der Insul Martin Vas vergrabene und ausgesetzte Waaren abzuholen, mit welchen sie nachhero ebenfalls nach Holland segeln und mich daselbst antreffen würden. Allein, wie ich nunmehro vernommen, [448] so haben sie den Rückweg nach Felsenburg so glücklich, als den nach St. Helena, wieder gefunden, auch unterwegs nicht den geringsten Anstoß erlitten. Mir vor meine Person gieng es nicht weniger nach Wunsche, denn, nachdem ich nur 11. Tage in allen, vor St. Helena, stille gelegen, lichtete der Patron seine Ancker, und segelte in Gesellschafft von 13. Engell- und Holländischen Schiffen seine Strasse. Der Himmel schien uns recht ausserordentlich gewogen zu seyn, denn es regte sich nicht die geringste widerwärtige Lufft, auch durfften wir uns vor feindlichen Anfällen gantz nicht fürchten, indem unser Schiff von den andern bedeckt wurde. Doch, da ich in Canarien einen bekandten Holländer antraff, der mich um ein billiges mit nach Amsterdam nehmen wolte, über dieses mein Engelländer sich genöthiget sahe, um sein Schiff auszubessern, allda in etwas zu verbleiben, so bezahlte ich dem letztern noch ein mehreres, als das Gedinge biß nach Engelland austruge, schiffte mich vieler Ursachen wegen höchst vergnügt bey dem Holländer ein, und kam am 10. Febr. glücklich in Amsterdam an.
Etwas recht nahdenckliches ist, daß ich gleich in dem ersten Gast-Hause, worinnen ich abtreten, und meine Sachen hinschaffen wolte, einen von denjenigen Mord-Buben antraff, die mich, dem Jean le Grand zu gefallen, gebunden und an die Insul Felsenburg ausgesetzt hatten. Der Schelm wolte, so bald er mich erkandte, gleich entwischen, weil ihm sein Gewissen überzeugte, daß er den Strick um den Halß verdienet hätte. Derowegen [449] trat ich vor, schlug die Thür zu, und sagte: Halt, Camerad! wir haben einander vor drey Jahren oder etwas drüber gekandt, also müssen wir mit einander sprechen: Wie hälts? Was macht Jean le Grand? hat er viel auf seinen gestohlnen Schiffe erworben? Ach, mein Herr! gab dieser Strauch-Dieb zur Antwort, das Schiff und alle, die darauf gewesen, sind vor ihre Untreu sattsam gestrafft, denn das erstere ist ohnweit Madagascar geborsten und versuncken, Jean le Grand aber hat nebst allen Leuten elendiglich ersauffen müssen, ja es hat sich niemand retten können, als ich und noch 3. andere, die es mit euch gut gemeynet haben. So hast du es, versetzte ich, auch gut mit mir gemeynet? Ach, mein Herr! schrye er, indem er sich zu meinen Füssen warff, ist gleich in einem Stücke von mir Boßheit verübt worden, so habe doch ich hauptsächlich hintertreiben helffen, daß man euch nicht ermordet hat, welches, wie ihr leichtlich glauben werdet, von dem gantzen Complot beschlossen war. Ich wuste, daß dieser Kerl zwar ein ziemlicher Bösewicht, jedoch keiner von den allerschlimmsten gewesen war, derowegen, als mir zugleich die Geschicht Josephs und seiner Brüder einfiel, jammerte mich seiner, so, daß ich ihn aufhub und sagte: Siehe, du weist ohnfehlbar, welches dein Lohn seyn würde, wenn ich die an mir begangene Boßheit gehöriges Orts anhängig machen wolte; Allein, ich vergebe dir alles mit Mund und Hertzen, wünsche auch, daß dir GOtt alle deine Sünde vergeben möge, so du jemals begangen. Mercke das Exempel der Rache GOttes an deinen unglücklichen [450] Mitgesellen, wo du mich anders nicht beleugst, und bessere dich. Mit mir habt ihrs böse zu machen gedacht, aber GOtt hats gut gemacht, denn ich habe voritzo mehr Geld und Güter, als ich jemahls gehabt habe. Hiermit zohe ich ein Gold-Stück, am Werth von 20 deutschen Thalern, aus meinem Beutel, verehrte ihm dasselbe, und versprach, noch ein mehreres zu thun, wenn er mir diejenigen herbringen könne, welche sich nebst ihm von dem verunglückten Schiffe gerettet hätten. Der neubelebte arme Sünder machte mir also aufs neue die demüthigsten und danckbarlichsten Bezeugungen, und versprach, noch vor Abends zwey von den erwehnten Personen, nehmlich Philipp Wilhelm Horn, und Adam Gorques, zu mir zu bringen, den dritten aber, welches Conrad Bellier gewesen, wisse er nicht mehr anzutreffen, sondern glaubte, daß derselbe mit nach Gröenland auf den Wall-Fisch-Fang gegangen sey. Ich hätte nicht vermeynet, daß der Vogel seyn Wort halten würde, allein, Nachmittags brachte er beyde erst erwehnten in mein Logis, welche denn, so bald sie mich erblickten, mir mit Thränen um den Halß fielen, und ihre besondere Freude über meine Lebens-Erhaltung nicht genung an den Tag zu legen wusten. Ich hatte ebenfalls nicht geringe Freude, diese ehrlichen Leute zu sehen, weiln gewiß wuste, daß sie nicht in den Rath der Gottlosen eingestimmet hatten, sonderlich machte mir Horns Person ein grosses Vergnügen, dessen Klugheit, Erfahrenheit undCourage mir von einigen Jahren her mehr als zu bekandt war. Er hatte sich ohnlängst wiederum [451] in Qualität eines Quartiermeisters engagiret, und zu einer frischen Reise nach Batavia parat gemacht, jedoch, so bald er vernahm, daß ich ebenfalls wiederum ein Schiff ausrüsten, und eine neue Tour nehmen wolte, versprach er, sich gleich morgenden Tag wiederum loß zu machen, und bey mir zu bleiben. Ich schenckte diesen letztern zweyen, so bald sich der erste liederliche Vogel hinweg gemacht, jeden 20. Ducaten, Horn aber, der zwey Tage hernach wieder zu mir kam, und berichtete, daß er nunmehro frey und gäntzlich zu meinen Diensten stünde, empfing aus meinen Händen noch 50. Ducaten zum Angelde, und nahm alle diejenigen Verrichtungen, so ich ihm auftrug, mit Freuden über sich.
Ich heuerte mir ein bequemer und sicherer Quartier, nahm die vor etlichen Jahren in Banco gelegten Gelder zwar nicht zurück, assignierte aber dieselben an mein Geschwister, und that denselben meine Anwesenheit in Amsterdam zu wissen, meldete doch anbey, daß ich mich nicht lange daselbst aufhalten, sondern ehestens nach Ost-Indien zurück reisen, und alldorten Zeit Lebens bleiben würde, weßwegen sich niemand zu mir bemühen, sondern ein oder der andere nur schreiben dürffte, wie sich die Meinigen befänden. Mittlerweile muste mir Horn die Perlen und einige Gold-Klumpen zu gangbaren Gelde machen, wovor ich ihm die vortrefflichen Felsenburgischen Rosinen zur Ergötzlichkeit überließ, aus welchen er sich denn ein ziemlich Stück Geld lösete.
Hierauf sahe ich mich nach einem Nagel-neuen[452] Schiffe um, und da ich dergleichen angetroffen und baar bezahlet hatte, gab ich ihm den Nahmen der getreue Paris, Horn aber empfing von mir eine punctation, wie es völlig ausgerüstet, und mit was vor Leuten es besetzt werden solte. Ob ich nun schon keinen bösen Verdacht auf diesen ehrlichen Menschen hatte, so muste er doch alle hierzu benöthigten Gelder von einem Banquier, der mein vertrauter Hertzens-Freund von alten Zeiten her war, abfordern, und eben diesen hatte ich auch zum Ober-Aufseher meiner Angelegenheiten bestellet, bevor ich die Reise, mein Eberhard, nach eurer Geburths-Stadt antrat. Dieselbe nun erreichte ich am verwichenen 6ten Maji. Aber, o Himmel! wie erschrack mein gantzes hertze nicht, da ich auf die erste Frage, nach dem reichen Kaufmanne Julius, von meinem Wirthe die betrübte Zeitung erfuhr, daß derselbe nur vor wenig Wochen unvermuthetbanquerot worden, und dem sichersten Vernehmen nach, eine Reise nach Ost- oder West-Indien angetreten hätte. Ich kan nicht anders sagen, als daß ein jeder Mensch, der auf mein weiteres Fragen des Gast-Wirths Relation bekräfftigte, auch dieses redlichen Kaufmanns Unglück beklagte, ja die vornehmsten wolten behaupten: Es sey ein grosser Fehler und Ubereilung von ihm, daß er sich aus dem Staube gemacht, i assen allen seinen Creditoren bekandt, daß er kein liederlicher und muthwilliger Banquerotteur sey, dahero würde ein jeder gantz gern mit ihm in die Gelegenheit gesehen, und vielleicht zu seinem Wiederaufkommen etwas beygetragen haben. Allein, was konten mir nunmehro [453] alle diese sonst gar wohl klingenden Reden helffen, der Kauffmann Julius war fort, und ich konte weiter nichts von seinem gantzen Wesen zu meinem Vortheil erfahren, als daß er einen eintzigen Sohn habe, der auf der Universität in Leipzig studiere. Demnach ergriff ich Feder und Dinte, setzte einen Brief an diesen mir so fromm beschriebenen Studiosum auf, um zu versuchen, ob ich der selbst eigenen Reise nach Leipzig überhoben seyn, und euch, mein Eberhard, durch Schrifften zu mir locken könte. Der Himmel ist selbsten mit im Spiele gewesen, darum hat mirs gelungen, ich setzte euch und allen andern, die ich zu Reise-Gefährten mitnehmen wolte, einen sehr kurtzen Termin, glaubte auch nichts weniger, als so zeitlich von Amsterdam abzusegeln, und dennoch muste sich alles nach Hertzens Wunsche schicken. Meiner allergrösten Sorge aber nicht zu vergessen, muß ich melden, daß mich eines Mittags nach der Mahlzeit auf den Weg machte, um dem Seniori des dasigen Geistl. Ministerii eine Visite zu geben, und denselben zu bitten, mir einen feinenExemplarischen Menschen zum Schiffs-Prediger zuzuweisen; weil ich aber den Herrn Senior nicht zu Hause fand, und erstlich folgenden Morgen wieder zu ihm bestellet wurde, nahm ich einen Spazier-Gang ausserhalb der Stadt in einem lustigen Gange vor, allwo ich ohngefähr einen schwartz-gekleideten Menschen in tieffen Gedancken vor mir hergehend ersahe. Derowegen verdoppelten sich meine Schritte, so, daß er von mir bald eingeholet wurde. Es ist gegenwärtiger Herr Mag. Schmeltzer, und ohngeacht ich [454] ihn zuvor niemahls gesehen, sagte mir doch mein Hertze sogleich, daß er ein Theologus seyn müste. Wir grüsseten einander freundlich, und ich nahm mir die Freyheit, ihn zu fragen: Ob er ein Theologus sey. Er bejahete solches, und setzte hinzu, daß er in dieser Stadt zu einer Condition verschrieben worden, durch einen gehabten Unglücks-Fall aber zu späte gekommen sey. Hierauf fragte ich weiter: Ob er nicht einen feinen Menschen zuweisen könne, der da Lust habe, als Prediger mit mir zu Schiffe zu gehen. Er verfärbte sich deßwegen ungemein, und konte mir nicht so gleich antworten, endlich aber sagte er gantz bestürzt: Mein Herr! Ich kan Ihnen bey GOtt versichern, daß ich voritzo allhier keinen eintzigen Candidatum Ministerii Theologici kenne, denn ich habe zwar vor einigen Jahren bey einem hiesigen Kauffmanne, Julius genannt, die Information seines Sohnes gehabt, da aber nach der Zeit mich wiederum an andern Orten aufgehalten, und nunmehro erstlich vor 2. Tagen, wiewohl vergebens, allhier angekommen bin, ist mir unbewußt, was sich anitzo von dergleichen Personen allhier befindet.
Ich gewann den werthen Herrn Mag. Schmelzer unter währenden diesen Reden, und zwar wegen der wunderbaren Schickung GOttes, dermassen lieb, daß ich mich nicht entbrechen konte, ferner zu fragen: Ob er nicht selbsten Belieben bey sich verspürete, dieStation eines Schiffs-Predigers anzunehmen, zumahlen da ich ihm dasjenige, was sonst andere zu gemessen hätten, gedoppelt zahlen wolte? Hierauf gab er zur Antwort: GOtt, der [455] mein Hertze kennet, wird mir Zeugniß geben, daß ich nicht um zeitlichen Gewinstes willen in seinem Weinberge zu dienen suche, weil ich demnach dergleichen Beruff, als itzo an mich gelanget, vor etwas sonderbares, ja Göttliches erkenne, so will nicht weigern, demselben gehorsame Folge zu leisten, jedoch nicht eher, als biß ich durch ein behöriges Examen darzu tüchtig befunden, und dem heiligen Gebrauche nach zum Priester geweyhet worden.
Es traten unter diesen Reden mir und ihm die Thränen in die Augen, derowegen reichte ich ihm die Hand, und sagte weiter nichts als dieses: Es ist genung, mein HErr! GOtt hat Sie und mich berathen, derowegen bitte, nur mit mir in mein Logis zu folgen, allwo wir von dieser Sache umständlicher mit einander sprechen wollen. So bald wir demnach in selbigem angelanget, nahm ich mir kein Bedencken, ihm einen wahrhafften und hinlänglichen Bericht von dem Zustande der Felsenburgischen Einwohner abzustatten, welchen er mit gröster Verwunderung anhörete, und betheurete, daß er bey so gestallten Sachen die Reise in besagtes Land desto vergnügter unternehmen, auch sich gar nicht beschweren wolte, wenn er gleich Zeit Lebens daselbst verbleiben müste, daferne er nur das Glück hätte, dem dort versa leten Christen-Häuflein das Heil ihrer Seelen zu befördern. Hierauf, da er mir eine kurtze Erzehlung seiner Lebens-Geschicht gethan, nahm ich Gelegenheit, ihn wegen des Kauffmanns, Franz Martin Julii, und dessen Familie ein und anderes zu befragen, und erfuhr,[456] daß Herr Mag. Schmelzer von Anno 1716. biß bey demselben als Informator seines Sohns Eberhards und seiner Tochter Julianæ Luise in Condition gewesen wäre, ja er wuste, zu meinem desto grössern Vergnügen, mir die gantze Geschicht des im 30. jährigen Kriege enthaupteten Stephan Julii so zu erzehlen, wie ich dieselbe von dem lieben Altvater Alberto in Felsenburg bereits vernommen hatte, und zu erweisen, daß Franz Martin Julius des Stephani ächter Enckel im dritten Gliede sey, immassen er die gantze Sache von seinem damahligen Patron Franz Martin Julio sehr öffters erzehlen hören, und im guten Gedächtnisse erhalten.
Ich entdeckte ihm hierauff treuhertzig: wie ich den jungen Eberhard, der sich sichern Vernehmen nach, itzo in Leipzig aufhielte, nur vor wenig Tagen durch Briefe und beygelegten Wechsel zu Reise-Geldern, nach Amsterdam in mein Logis citieret hätte, und zweiffelte nicht, daß er sich gegen Johannis Tag daselbst einfinden würde, wo nicht? so sähe mich genöthiget selbst nach Leipzig zu reisen und denselben aufzusuchen. Nachdem wir aber gantz bis in die späte Nacht von meinen wichtigen Affairen discuriret, und Herr Mag. Schmeltzer immer mehr und mehr Ursachen gefunden hatte, die sonderbaren Fügungen des Himmels zu bewundern, auch mir endlich zusagte: seinen Vorsatz nicht zu ändern, sondern GOTTES Ehre und den seligen Nutzen so vieler Seelen zu befördern, mir redlich dahin zu folgen, wohin ich ihn haben wolte; legten wir uns zur Ruhe, und giengen folgenden Tag in [457] aller Frühe mit einander zum Seniori des geistlichen Ministerii. Dieser sehr fromme Mann hatte unsern Vortrag kaum vernommen, als er noch 3. von seinen Ammts-Brüdern zu sich beruffen ließ, und nebst denselben Herrn Mag. Schmeltzern, in meiner Gegenwart 4. Stunden lang aufs allerschärffste examinirte, und nach befundener vortrefflicher Gelehrsamkeit, zwey Tage darauf in öffentlicher Kirche ordentlich zum Priester weyhete. Ich fand mich bey diesem heiligen Actu von Freude und Vergnügen über meinen erlangten kostbaren Schatz dermassen gerühret, daß die hellen Thränen die gantze Zeit über aus meinen Augen lieffen, nachdem aber alles vollbracht, zahlete ich an das geistliche Ministerium 200 spec. Ducaten, in die Kirche und Armen-Casse aber eine gleichmäßige Summe, nahm also von denen Herrn Geistlichen, die uns tausendfachen Seegen zu unsern Vorhaben und Reise wünschten zärtlichen Abschied.
Herrn Mag. Schmeltzern hätte ich zwar von Hertzen gern sogleich mit mir nach Amsterdam genommen, da aber derselbe inständig bat ihm zu vergönnen, vorhero die letzte Reise in sein Vaterland zu thun, um von seinen Anverwandten und guten Freunden völligen Abschied auch seine vortreffliche Bibliothec mitzunehmen, zahlete ich ihm 1000. Thlr. an Golde, und verabredete die Zeit, wenn und wo er mich in Amsterdam antreffen solte, so, daß ich noch bisdato Ursach habe vor dessen accuratesse danckbar zu seyn.
Ich vor meine Person setzte immittelst meine Rückreise nach Amsterdam gantz bequemlich fort, [458] und nahm unterwegs erstlich den Chirurgum Kramern, hernach Litzbergen, Plagern, Harkert und die übrigen Handwercks Leute in meine Dienste, gab einem jeden 5. Französische Louis d'or auf die Hand, und sagte ihnen ohne Scheu, daß ich sie auf eine angenehme fruchtbare Insul führen wolte, allwo sie sich mit ihrer Hand-Arbeit redlich nehren, auch da es ihnen beliebig, mit daselbst befindlichen schönen Jungfrauen verheyrathen könten, doch nahm ich von jedweden einen Eyd, diese Sache weder in Amsterdam, noch bey dem andern Schiffs-Volcke ruchtbar zu machen, indem ich nur gewisse auserlesene Leute mit dahin zu nehmen vorhabens sey. Zwar sind mir ihrer 3. nachhero zu Schelmen worden, nemlich ein Zwillich-macher, Schuster und Seiffensieder, allein sie mögen diesen Betrug bey GOTT und ihren eigenen Gewissen verantworten, ich aber habe nachhero erwogen, daß ich an dergleichen Betrügern wenig eingebüsset, immassen unsere Insulaner diese Künste nach Nothdurfft selbst, obschon nicht so zierlich und leicht verrichten können.
Am 11. Jun. gelangete ich also mit meinen angenommenen Leuten glücklich in Amsterdam an, und hatte eine besondere Freude, da mein lieber getreuerHorn und Adam Gorques, unter Aufsicht meines werthen Freundes des Banquiers G.v.B. das Schiff nebst allem Zubehör in völlige, ja bessere Ordnung als ich vermuthet, gebracht hatten. Demnach kaufften wir noch das Vieh und andere Sachen ein, die ich mit anhero zu nehmen vor höchst nöthig hielt. Ein jeder von meinen Neu angeworbenen [459] Künstlern und Handwerckern bekam so viel Geld, als er zu Anschaffung seines Werckzeugs und andern Bedürffnissen begehrte, und da, zu meinem gantz besondern Vergnügen, der liebe Eberhard Julius sich wenig Tage nach meiner Ankunfft bey mir einfand, bekam er etliche Tage nach einander ebenfalls genung zu thun, die ihm vorgeschriebenen Waaren an Büchern und andern nöthigen Stücken einzuhandeln. Endlich am 24. Jun. gelangte die letzte Person, auf die ich allbereit mit Schmertzen zu hoffen anfieng, nemlich Herr Mag. Schmeltzer bey mir an, und weil Horn indessen die Zahl der Matrosen und Freywillig-Mitreisenden voll geschafft hatte, hielt ich des folgenden Tages General Musterung im Schiffe, und fand weiter nicht das geringste zu verbessern, demnach musten alle Personen im Schiffe verbleiben, und auf meine Ankunfft warten, ich aber machte meine Sachen bey der Ost-Indischen Compagnie vollends richtig, empfieng meine sichern Pæsse, Handels- und Frey-Briefe, und konte solchergestalt, über alles Verhoffen, um eben dieselbe Zeit von Amsterdam ablauffen, als ich vor etlichen Monaten gewünschet hatte.
Auf der Insul Teneriffa, allwo wir nach ausgestandenen hefftigen Sturm unser Schiff auszubessern und uns mit frischen Lebens-Mitteln zu versehen, einige Tage stille lagen, zohe ich eines Abends meinen Lieutenant Horn auf die Seite, und sagte: Höret mein guter Freund, nunmehro ist es Zeit, daß ich mein gantzes Hertz offenbare, und euch zum wohlhabenden Manne mache, daferne ihr mir vorhero [460] einen leiblichen Eyd zu schweren gesonnen, nicht allein dasjenige Geheimniß, welches ich sonsten niemanden als euch und dem redlichen Gorques anvertrauen will, so viel als nöthig, zu verschweigen, sondern auch die billige Forderung, so ich an euch beyde thun werde, zu erfüllen. Horn wurde ziemlich bestürtzt, doch auf nochmahliges Ermahnen, daß ich von ihm nichts sündliches, unbilliges oder unmögliches verlangte, schwur er mir einen leiblichen Eyd, worauff ich ferner also redete: Wisset mein Freund, daß ich nicht Willens bin mit nach Ost-Indien zu gehen, sondern ich werde mich ehester Tages an einem mir gelegenen Orte nebst denen darzu bestimmten Personen und Waaren aussetzen lassen, euch aber will ich nicht allein das Schiff, sondern auch alles darzu gehörige erb-und eigenthümlich schencken, und eure Person statt meiner zum Capitain und Patron denen übrigen vorstellen, weil ich hierzu laut meiner Pæsse und Frey Briefe von denen Häuptern der Ost-Indischen Compagnie sattsame Gewalt und Macht habe. Hergegen verlange ich davor nichts, als daß ihr dem Adam Gorques, welcher an eure statt Lieutenant werden soll, nicht allein seinen richtigen Sold zahlet, sondern ihm auch den 3ten Theil von demjenigen, was ihr auf dieser Reise profitiret, abgebet, auf der Rückreise aber, die ihr doch ohnfehlbar binnen 2. oder drittehalb Jahren thun werdet, euch wiederum durch etliche Canonen-Schüsse an demjenigen Orte meldet, wo ich mich werde aussetzen lassen, im übrigen aber von meinem Auffenthalt weder in Europa noch sonst anderswo ruchtbar machet.
[461] Der gute Horn wuste mir anfänglich, ohne Zweiffel wegen verschiedener deßfalls bey ihm entstandener Gemüths-Bewegungen, kein Wort zu antworten, jedoch nachdem ich mich noch deutlicher erkläret, und ihm eine Specification derer Dinge eingehändiget, welche er bey seiner Rück-Reise aus Ost-Indien an mich mitbringen solte; schwur er nochmals, nicht allein alles, was ich von ihm begehrte, redlich zu erfüllen, sondern danckte mir auch dermassen zärtlich und verbindlich, daß ich keine Ursache habe, an seiner Treue und Erkänntlichkeit zu zweiffeln. Ich habe auch die Hoffnung daß ihn GOTT werde glücklicher seyn lassen, als den Bösewicht Jean le Grand, denn solchergestallt werden wir, durch seine Hülffe, alles was wir etwa noch in künfftigen Zeiten aus Europa vonnöthen haben möchten, gar beqvem erlangen können, und uns darbey keiner Hinterlist und Boßheit sonderlich zu befürchten haben.
Wie es mit unserer fernern Reise und glücklichen Ankunfft auf dieser angenehmen Insul beschaffen gewesen, ist allbereit bekannt, derowegen will nur von mir noch melden, daß ich nunmehro den Haafen meiner zeitlichen Ruhe und Glückseligkeit erreicht zu haben verhoffe, indem ich den lieben Altvater gesund, alle Einwohner in unveränderten Wohlstande, und meine liebe Sophia getreu und beständig wieder gefunden. Nunmehro aber, weil mir der liebe Altvater, und mein gutes Gewissen, alle glücklich ausgelauffene Anstalten auch selbsten Zeugniß geben, daß ich alles redlich und wohl ausgerichtet habe, werde ein Gelübde thun: ausser der äusersten [462] Noth und besonders wichtigen Umständen nicht wieder aus dieser Gegend in ein ander Land zu weichen, sondern die übrige Lebens-Zeit mit meiner lieben Sophie nach GOTTES Willen in vergnügter Ruhe hinbringen. Der liebe Altvater inzwischen wird mir hoffentlich gütig erlauben, daß ich künfftigen Sonntags nach vollbrachten GOttes Dienste mich mit meiner Liebsten durch den Herrn Mag. Schmeltzern ehelich zusammen geben lasse, anbey das Glück habe, der erste zu seyn, der auf dieser Insul, christlichem Gebrauche nach, seine Frau von den Händen eines ordinirten Priesters empfängt. Thut was euch gefällig ist, mein werther Hertzens Freund und Sohn, antwortete hierauff der Altvater Albertus, denn eure Redlichkeit verdienet, daß ihr allhier von niemanden Erlaubniß bitten oder Befehle einholen dürffet, weil wir allerseits vollkommen versichert sind, daß ihr GOTT fürchtet, und uns alle hertzlich liebet. Diesem fügte der Altvater annoch seinen kräfftigen Seegen und sonderbaren Wunsch zu künfftigen glücklichen Ehe-Stande bey, nach dessen vollendung Herr Mag. Schmeltzer und ich, ebenfalls unsere treugesinnten Glückwünsche bey dem Herrn Wolffgang abstatteten, nachhero aber ihm einen schertzhafften Verweiß gaben, daß er weder unterwegs, noch Zeit unseres hierseyns noch nicht das allergeringste von seinen Liebes-Angelegenheiten entdeckt, vielweniger uns seine Liebste in Person gezeiget hätte, welches doch billig als etwas merckwürdiges angeführet werden sollen, da wir am verwichener Mittwochen die Pflantz-Stadt Christians-Raum [463] und seines Schwieger-Vaters Wohnung in Augenschein genommen.
Herr Wolffgang lächelte hierüber, und sagte: Es ist, meine werthesten Freunde, aus keiner andern Ursache geschehen, als hernach die Freude unter uns auf einmal desto grösser zu machen. Meine Liebste hielt sich an vergangener Mittewochen verborgen, und man hat euch dieserwegen auch nicht einmal entdeckt, daß die neu erbaute Wohnung, welche wir besahen, Zeit meines Abwesens vor mich errichtet worden. Doch diesen Mittag, weil es bereits also bestellet ist, werden wir das Vergnügen haben, meinen Schwieger-Vater Christian Julium, nebst meiner Liebsten Sophie bey der Mahlzeit zu sehen.
Demnach aber der bißherige Capitain, Herr Leonhard Wolffgang, solchergestallt seine völlige Erzehlung geendiget, mithin die Mittags-Zeit heran gekommen war, stelleten sich Christian Julius und dessen Tochter Sophie bey der Mahlzeit ein, da denn, so wohl Herr Mag. Schmeltzer, als ich, die gröste Ursach hatten, der letztern besondere Schönheit und ausnehmenden Verstand zu bewundern, anbey HerrnWolffgangs getroffene Wahl höchst zu billigen.
Gleich nach eingenommener Mittags-Mahlzeit, begleiteten wir ingesammt Herrn Mag. Schmeltzern in die Davids-Raumer Alleé, um abgeredter massen das Glaubens-Bekänntniß aller dererjenigen öffentlich anzuhören, die des morgenden Tages ihre Beichte thun, und folgendes Tages das Heil. Abendmahl empfangen wolten, und vermerckten [464] mit grösten Vergnügen: daß so wol Alt als Jung in allen Haupt-Articuln und andern zur christlichen Lehre gehörigen Wissenschafften vortrefflich wohl gegründet waren. Als demnach alle und jede ins besondere von Herrn Magist. Schmeltzern aufs schärffste tentiret und examiniret worden, welches bis zu Untergang der Sonnen gewähret hatte, confirmirte er diese seine ersten Beicht-Kinder durch ein andächtiges Gebeth und Auflegung der Hand auf eines jeglichen Haupt, und nach diesen nahmen wir mit ihm den Rück-Weg nach der Albertus-Burg.
In der Mittags-Stunde des folgenden Tages, als Sonnabends vor dem I. Advent-Sonntage, begab sich Herr Mag. Schmeltzer in die schöne Lauber-Hütte der Davids-Raumer Alleé, welche unten am Alberts-Hügel, vermittelst Zusammenschliessung der dahin gepflantzten Bäume, angelegt war, und erwartete daselbst seine bestellten Beicht-Kinder. Der Altvater Albertus war der erste, so sich in heiliger Furcht und mit heissen Thränen zu ihm nahete und seine Beichte ablegte, ihm folgten dessen Sohn, Albertus II, David Julius, Herr Wolffgang nebst seiner LiebstenSophie, ich Eberhard Julius und diejenigen so mit uns aus Europa angeko en waren, hernachmals aus den Alberts- und Davids-Raumer Gemeinden alle, so 14. Jahr alt und drüber waren.
Es daurete dieser Heil. Actus biß in die Nacht, indem sich Herr Mag. Schmeltzer bey einem jeden mit dem absolviren sehr lange aufhielt, und sich dermassen abgemattet hatte, daß wir fast zweiffelten, [465] ob er Morgen im Stande seyn würde eine Predigt zu halten. Allein der Himmel stärckte ihn unserm Wunsche nach aufs allerkräfftigste, denn als der erste Advent-Sonntag eingebrochen, und das neue Kirchen-Jahr mit 6. Canonen-Schüssen allen Insulanern angekündiget war, und sich dahero dieselben an gewöhnlicher Stelle versammlet hatten, trat Herr Mag. Schmeltzer auf, und hielt eine ungemein erbauliche Predigt über das gewöhnliche Sonntags Evangelium, so von dem Einzuge des Welt-Heylandes in die Stadt Jerusalem handelt. Das Exordium generale war genommen aus Ps. 118 v. 24. Diß ist der Tag, den der HERR macht, lasst uns freuen etc. Er redete in der Application so wohl von den Ursachen, warum sich die Insulaner freuen solten, als auch von der geistl. Freude, welche sie über die reine Predigt des Worts GOttes, und andere Mittel des Heyls, so ihnen in Zukunfft reichlich würden verkündiget und mitgetheilet werden, haben solten. In dem Exordio speciali, erklärete er die Worte Esaia c. 62 v. 11. Saget der Tochter Zion etc. Wieß in der Application, daß die Insulaner auch eine geistliche Tochter Zion wären, zu welchen itzo Christus mit seinem Worte und Heil. Sacramenten käme. Darauff stellete er aus dem Evangelio vor:
Die erfreute Tochter Zion,
und zwar:
(1) Worüber sich dieselbe freuete? als:
(a) über den Einzug des Ehren-Königs JEsu Christi
[466] (b) über das Gute, so sie von ihm geniessen solte, aus den Worten: Siehe dein König etc.
(2) Wie sich dieselbe freuete? als:
(a) Wahrhafftig.
(b) Hertzlich.
Nachdem er alles vortrefflich wohl ausgelegt, verschiedene erbauliche Gedancken und Ermahnungen angebracht, und die Predigt also beschlossen hatte, wurde das Lied gesungen: GOTT sey danck durch alle Welt etc. Hierauf schritt Herr Magist. Schmeltzer zurConsecration der auf einer güldenen Schale liegenden Hostien, und des ebenfalls in einem güldenen grossen Trinck-Geschirr zu rechts gesetzten Weins, nahm eine Hostie in seine Hand, und sprach: Mein gekreutzigter Heyland, ich empfange anitzo aus deinen, wiewohl unsichtbaren Händen, deinen wahrhafftigen Leib, und bin versichert, daß du mich, jetzigen Umständen nach, von den gewöhnlichen Ceremonien deiner reinen Evangelisch-Lutherischen Kirche entbinden, anbey mein Dir geweyhetes Hertze und Sinn betrachten wirst, es gereiche also dein heiliger Leib mir und niemanden zum Gewissens-Scrupel, sondern stärcke und erhalte mich im wahren und reinen Glauben zum ewigen Leben Amen!
Hierauff nahm er die gesegnete Hostie zu sich, und bald darauff sprach er: Auf eben diesen Glauben und Vertrauen, mein JESU! empfange ich aus deinen unsichtbaren Händen dein warhafftes Blut, welches du am Stamm des Creutzes vor [467] mich vergossen hast, das stärcke und erhalte mich in wahren Glauben zum ewigen Leben Amen! Nahm also den gesegneten Wein zu sich, kniete nieder und Betete vor sich, theilete hernachmals das Heil. Abendmahl allen denenjenigen aus, welche gestriges Tages gebeichtet hatten, und beschloß den Vormittäglichen Gottesdienst nach gewöhnlich Evangelisch-Lutherischer Art.
Nachmittags, nachdem wir die Mahlzeit ingesammt auf Morgenländische Art im grünen Grase, bey ausgebreiteten Teppichen sitzend, eingeno en, und uns hierauff eine kleine Bewegung gemacht hatten, wurde zum andern mahle GOttes-Dienst gehalten, und nach Vollbringung dessen Hr. Wolffgang mit Sophien ehelich zusammen gegeben, auch ein paar Zwillinge, aus dem Jacobischen Stamme, getaufft, welche Tab. VII bezeichnet sind.
Solchergestallt wurde alles mit dem Lob-Gesange: HERR GOTT dich loben wir etc. beschlossen, Mons. Litzberg und ich gaben, mit Erlaubniß des Altvaters, noch 12. mal Feuer aus denen auf dem Albertus Hügel gepflantzten Canonen, und nachdem HerrWolffgang verkündigen lassen, wie er G.G. den 2tenJanuar. nächstfolgenden 1726ten Jahres, von wegen seiner Hochzeit, allen Insulanern ein Freuden-Fest anrichten wolte, kehrete ein jeder, geistlich und leiblich vergnügt, in seine Wohnung.
Herr Mag. Schmeltzer hatte bereits verabredet: Daß die Stephans- Jacobs- und Johannis-Raumer Gemeinden, den Andern Advent-Sonntag, [468] die Christophs- und Roberts Raumer den 3ten, und letzlich die Christians- und Simons-Raumer, den 4ten Advent zum Heil. Abendmahle gehen solten, daferne sich jede Gemeinde die Woche vorhero behörig versammlen, und die Catechismus-Lehren also, wie ihre Vorgänger, die Alberts- und Davids-Raumer, annehmen wolte; Weil nun alle hierzu eine heisse Begierde gezeiget hatten, wartete der unermüdete Geistliche alltäglich seines Ammts getreulich, wir andern aber liessen unsere aller angenehmste Arbeit seyn, den Kirchen-Bau aufs eiferigste zu befördern, worbey der Altvater Albertus beständig zugegen war, und nach seinem Vermögen die materialien herbey bringen halff, auch sich, ohngeacht unserer trifftigen Vorstellungen wegen seines hohen Alters, gar nicht davon abwenden ließ.
Eines Morgens, da Herr Mag. Schmeltzer unsere Arbeit besahe, fiel ihm ein: daß wir vergessen hätten einige schrifftliche Urkunden, der Nachkommenschafft zum Vergnügen, und der Gewohnheit nach, in den Grund-Stein einzulegen, da nun der Altvater sich erklärete, daß hieran noch nichts versäumet sey, sondern gar bald noch ein anderer ausgehöhlter Stein, auf den bereits eingesenckten gelegt werden könte, auch sogleich den Seinigen deßwegen Befehl ertheilete, verfertigte indessen Herr Magist. Schmeltzer eine Schrifft, welche in Lateinischer, Deutscher und Englischer Sprache abgeschrieben, und nachhero mit Wachs in den ausgehölten Grund-Stein eingedruckt wurde. Es wird hoffentlich dem geneigten Leser nicht zu wider seyn, wenn ich dieselbe Lateinisch und Deutsch mit beyfüge:
[469] Hic lapis
ab
ALBERTO JULIO,
Vero veri Dei cultore,
Anno CIƆIƆCCXXV.
d. XVIII. Novembr.
fundamenti loco positus,
ædem Deo trinuno consecratam,
sanctum cœlestium ovium ovile,
inviolabile Sacramentorum, baptismi & sacræ
cœnæ domicilium,
immotamque verbi divini sedem,
suffulcit ac suffulciet:
Machina qvot mundi posthac durabit in annos,
Tot domus hæc duret, stet, vigeatque Dei!
Semper sana sonent hic dulcis dogmata Christi,
Per qvem credenti vita salusque datur!
Deutsch:
Dieser
von ALBERTO JULIO
Im Jahr Christi 1725. den 18. November.
gelegte Grund-Stein,
unterstützet und wird unterstützen:
eine dem Dreyeinigen GOTT gewidmete Kirche,
einen heiligen Schaaf-Stall christlicher
Schaafe,
eine unverletzliche Behausung der Sacramenten
der Taufe und des Heil. Abendmahls,
und einen unbeweglichen Sitz des Worts
GOTTES.
[470] So lange diese Welt wird unbeweglich stehen
So lange soll diß Haus auch nicht zu Grunde gehen!
Was hier gepredigt wird, sey Christi reines Wort,
Wodurch ein Gläubiger, erlangt den Himmels-Port!
* * *
Herr Wolffgang bezohe immittelst, mit seiner Liebste, das in Christians-Raum vor dieselben neuerbauete Hauß, ließ aber nicht mehr als die nöthigsten von seinen mitgebrachten mobilien dahin schaffen, und das übrige auf der geraumlichen Albertus-Burg in des Altvaters Verwahrung. Unsere mitgebrachten Künstler und Handwercks-Leute bezeugten bey solcher Gelegenheit auch ein Verlangen den Ort zu wissen, wo ein jeder seine Werckstatt aufschlagen solte, derowegen wurden Berathschlagungen angestellet, ob es besser sey, vor dieselben eine gantz neue Pflantz-Stadt anzubauen? oder Sie in die bereits angebaueten Pflantz-Städte einzutheilen? Demnach fiel endlich der Schluß dahinaus, daß, da in Erwegung des vorhabenden Kirchen-Baues anitzo keine andere Bau-Arbeit vorzunehmen rathsam sey, die Neuangekommenen an solche Orte eingetheilet werden möchten, wie es die Umstände ihrer verschiedenen Profeßionen erforderten.
Diese Resolution war ihnen sämtlich die allerangenehmste, und weil Herr Wolffgang von dem [471] Altvater freye Macht bekommen hatte, in diesem Stücke nach seinem Gutbefinden zu handeln, so wurden die sämtlichen neu-angekommenen Europäer folgender massen eingetheilet: Mons. Litzberg der Mathematicus bezohe sein Quartier in Christophs-Raum bey HerrWolffgangen. Der wohlerfahrene Chirurgus Mons. Kramer, in Alberts-Raum. Mons. Plager, und Peter Morgenthal der Kleinschmidt, in Jacobs-Raum.Harckert der Posamentirer in Roberts-Raum. Schreiner, der sich bey dem Tohne als ein Töpffer selbsteinlogirt hatte, in Davids-Raum. Wetterling der Tuchmacher, in Christophs-Raum. Kleemann der Pappier-Müller, in Johannis-Raum. Herrlich der Drechßler, und Johann Melchior Garbe der Böttcher, in Simons-Raum. Lademann der Tischler, und Philipp Krätzer der Müller, in Stephans-Raum.
Solchergestalt blieben Herr Magist. Schmeltzer und ich Eberhard Julius nur allein bey dem AltvaterAlberto auf dessen sogenannter Alberts-Burg, welcher annoch beständig 5. Jünglinge und 4. Jungfrauen von seinen Kindes-Kindern zur Bedienung bey sich hatte. Herr Mag. Schmeltzer und Herr Wolffgang ermahneten die abgetheilten Europäer, eine Gottesfürchtige und tugendhaffte Lebens-Art unter ihren wohlerzogenen Nachbarn zu führen, stelleten ihnen dabey vor, daß: Daferne sie gesinnet wären, auf dieser Insul zu bleiben, sich ein jeder eine freywillige Ehe-Gattin erwehlen könte. Derjenige aber, welchem diese Lebens[472] Art nicht anständig sey, möchte sich nur aller geilen und boßhafften Außschweiffungen gäntzlich enthalten, und versichert seyn: daß er solchergestalt binnen zwey oder 3. Jahren nebst einem Geschencke von 2000. Thlrn. wieder zurück nach Amsterdam geschafft werden solte.
Es gelobte einer wie der andere dem Altvater Alberto, Hrn. Mag. Schmeltzern als ihren Seel-Sorger, und Herrn Wolffgangen als ihren leiblichen Versorger, treulich an, sich gegen GOTT und den Nächsten redlich und ehrlich aufzuführen, seiner Hände Werck, zu GOTTES Ehren und dem gemeinschafftl. Wesen, ohne Verdruß zu treiben, übrigens den Altvater Albertum, Hrn. Wolffgangen, und Herrn Magist. Schmeltzern, vor ihre ordentliche Obrigkeit in geistlichen und weltlichen Sachen zu erkennen, und sich bey ein und andern Verbrechen deren Vermahnungen und gehörigen Strafen zu unterwerffen.
Es soll von ihrer künfftigen Aufführung, und Vereheligung, im Andern Theile dieser Felsenburgischen Geschicht, des geneigten Lesers curiosität möglichste Satisfaction empfangen. Voritzo aber habe noch zu melden, daß die sämtlichen Bewohner dieser Insul am 11. Decembr. dieses ablauffenden 1725ten Jahres, den allbereit vor 78. Jahren, von dem Altvater Alberto angesetzten dritten grossen Bet und Fast-Tag biß zu Untergang der Sonnen celebrirten, an welchen Herr Mag. Schmeltzer den 116ten Psalm in zweyen[473] Predigten ungemein tröstlich und beweglich auslegte. Die übrigen Stämme giengen an den bestimmten Sonntagen gemachter Ordnung nach, aufs andächtigste zum Heil. Abendmahle, nach diesen wurde das eingetretene Heil. Christ-Fest erfreulich gefeyret und solchergestalt erreichte damals das 1725te Jahr, zu aller Einwohner hertzlichen Vergnügen, vorjetzo aber bey uns der Erste Theil der Felsenburgl. Geschichts-Beschreibung sein abgemessenes
ENDE.