[195] 171.

Wenn man einer Leiche nicht die gebührende Achtung erweist, wenn namentlich die Feierlichkeit, welche den Gestorbenen aus aller Gemeinschaft mit den Lebenden loslöst und der ewigen Ruhe übergeben soll, wenn die Beerdigung nicht nach Recht und Sitte vor sich geht, so bringt man den Toten nicht zur Ruhe, er kommt wieder und fordert sein Recht. So geht der Tote wieder, wenn man ihm seine volle Totenkleidung nicht mitgibt; wenn man ihm die Hobelspäne vom Sarg und die Nadel, mit welcher das Totenhemd genäht ist, nicht in den Sarg legt (Saterld.); wenn man nicht, sobald die Leiche aus dem Hause getragen ist, sofort das Herdfeuer ausgießt (Stollhamm); wenn im Hause, während die Leiche über der Erde steht, etwas rundum geht (Holle); wenn die Leiche nicht tief genug begraben wird (636); wenn man die Leichen beraubt oder mit den Gebeinen Begrabener Spott und Unfug treibt. Pflückt man von einem Grabe eine Blume ab, so spukt es dort, wo die Blume schließlich hingeworfen wird.

a.

Eine Verstorbene, der man aus Sparsamkeit nur einen Aermel in das Totenhemd genäht hatte, ging allnächtlich wieder, weil ihr nicht ihr Recht geschehen war. Endlich reichte man einen Hemdärmel hin. Sie nahm ihn an und verschwand auf immer (Hammelwarden). – Eine Frau hatte bestimmt, sie wolle in dem Hemde, das sie während der Krankheit getragen, begraben werde. Die Verwandten kamen dem Wunsche nicht nach. Seitdem ist die Verstorbene in jeder Nacht zwischen 12 und 1 Uhr gekommen und hat sich weinend vor den Leinenkoffer hingestellt. Schließlich haben die Hausleute das Hemd, das die Frau als Kranke getragen, auf den Koffer gelegt. Als in der folgenden Nacht die weiße Gestalt wieder erscheint und das Hemd sieht, hat sie es an sich genommen, gelacht, und ist davongegangen und nie wieder gekommen (Zwischenahn).

b.

Einst ging ein Verstorbener wieder und kam immer näher, zuletzt so nahe, daß er sich auf die Eimer setzte, woraus das Vieh trank. Da holte man katholische Geistliche, um den Spuk zu bannen, aber sie richteten nichts aus, bis endlich ein ganz junger Pastor kam. Als der Geist wieder erschien, nahm der Pastor eine Bibel unter den Arm, zog mit einem Stocke einen Kreis auf dem Fußboden und sprach: »Bis hierher und nicht weiter!« und der Geist stand still. Der Pastor fragte: »Was willst du?« Der Geist erwiderte: »Sie haben mir versprochen, mir das Leichentuch mitzugeben, und haben es nicht getan.« Der [196] Pastor ließ sich das Leichentuch bringen und hielt es dem Geiste hin. Dieser faßte es am Zipfel, der Zipfel riß ab, und der Geist verschwand, ist auch nicht wiedergekommen. Das Tuch ohne den Zipfel wurde noch lange aufbewahrt, aber es war nicht möglich, einen Zipfel wieder daran zu nähen, weil er stets sofort wieder abfiel. (Westerstede.)

c.

Eine arme Frau zu Harrien bei Brake vertraute auf ihrem Sterbebette einer andern Frau, daß in ihrem Bettstroh fünfzehn Taler verborgen seien, wofür sie anständig beerdigt werden wolle. Die Frau versprach zwar, für die Beerdigung sorgen und das Geld dazu verwenden zu wollen, aber nachdem die Kranke verstorben war, nahm sie das Geld und behielt es für sich. So wurde denn die Verstorbene von Armen wegen in einem platten Sarge begraben. Seitdem erschien sie allnächtlich wieder und sah nach dem Gelde im Bettstroh, bis sie endlich von einem Pater auf den Harrier Sand gebannt sein soll.

d.

In einem Dorfe unweit Hage in Ostfriesland verstarb einst eine alte Frau, welche auf ihrem Sterbebette den dringenden Wunsch ausgesprochen hatte, man möge bei ihrem Grabe ein Kreuz eingraben. Die Angehörigen hatten versprochen, den Wunsch zu erfüllen, aber es verging ein Tag nach dem andern, ohne daß sie dazu kamen. Da erschien der Geist der Verstorbenen und bald fast jeden Abend und beunruhigte die Hinterbliebenen. Endlich faßte die Tochter Mut und redete eines Abends den Geist an: »Was ist dein Begehr, daß du uns jeden abend in unsrer Ruhe störst?« Da antwortete der Geist: »Nicht ich störe euch, sondern ihr beraubt mich meiner süßen Grabesruhe, indem ihr euer Versprechen nicht erfüllt und zögert, ein Kreuz auf mein Grab zu setzen!« Nun beeilten sich die Angehörigen, das Kreuz herzurichten, und seitdem ist der Geist nicht wieder erschienen.

e.

Ein Mann hatte bestimmt, daß aus einem von ihm ausgewählten Eichbaum seines Gehölzes nach seinem Tode sein Sarg angefertigt werde. Es kam aber nicht dazu, der Baum blieb stehen, sei es, weil man auf den Wunsch des Verstorbenen nichts gab oder weil der Wunsch in Vergessenheit geraten war. Seitdem hatte der Mann keine Ruhe im Grabe. Des Abends stieß er die obere Haustür offen und zur selben Zeit hörte man im Gehölz, wo der Eichbaum stand, ein Klopfen, als wenn Holz geschlagen werde. Später ließ der Erbe das Gehölz [197] abschlagen, damit hörte das Klopfen auf. Die Haustür flog noch eine zeitlang offen, dann hörte auch dies auf. (Zwischenahn.)

f.

Eines Pastoren Frau wurde sehr krank an einem Beine, und alle ärztliche Hilfe war vergebens. Da ließ der Pastor einen Wunderdoktor kommen und gab diesem die Frau in Behandlung. Dieser erklärte, die Frau könne wohl gesund werden, aber dann müsse ihr das Bein abgenommen und dafür ein goldenes angesetzt werden. Der Pastor ließ schnell ein goldenes Bein machen und der Wunderdoktor setzte es an die Stelle des kranken. Nun wurde die Frau gesund. Nach längerer Zeit jedoch wurde die Frau abermals krank und starb, und als sie begraben wurde, legte ihr der Pastor das goldene Bein mit in den Sarg. Die Magd aber, die das goldene Bein bei Lebzeiten oft gesehen und nun auch gesehen hatte, daß es mit in das Grab gekommen war, ging des Abends heimlich zum Grabe und holte das Bein wieder heraus, nahm es mit nach Hause und verschloß es in ihre Kiste. Als sie am nächsten Abend sich auskleidete, hörte sie vor ihrem Kammerfenster eine Stimme, die rief: »Min golden Been, min golden Been!« Die Magd fürchtete sich und ging schnell zu Bette. Am andern Morgen erzählte sie dem Pastoren, was sie gehört, sagte aber nicht, daß sie das goldene Bein genommen habe. Der Pastor antwortete: »Wenn du die Stimme wieder hörst, so frage: Wär hett din golden Been?« Als nun am Abend die Stimme wieder rief: »Min golden Been, min golden Been!« fragte die Magd: »Wär hett din golden Been?« Da rief die Stimme: »Du hest min golden Been!« Die Fenster wurden zertrümmert, eine weiße Gestalt stand vor der Magd und gab ihr einen Schlag, daß sie tot zu Boden sank, dann nahm der Geist das goldene Bein aus der Kiste und verschwand. (Jeverld.)

g.

Aus der Begräbniskapelle zu Oldenburg waren einst mehrere wertvolle Sachen gestohlen, daher stellte man nachts Schildwachen dort auf. Es war ein schlechter Posten, und mancher Soldat hat ihn verlaufen, weil er die vorspukenden Leichenzüge und andere Spukereien nicht hat sehen mögen. Einmal erscheint dem Posten auch eine weiße Gestalt und winkt ihn heran. Der Soldat flieht und macht dem Offizier der Wache Anzeige. Der kommt sofort und sieht auch die weiße Gestalt, geht aber nicht hin. Andern Tags liegt auf [198] der Stelle, wo der Geist gestanden, ein goldener Ring, einer der gestohlenen Ringe.

h.

»Einmal hatte ich die Leiche einer Frau anzukleiden. Die Verstorbene trug an der Hand zwei Ringe, und eine Verwandte, welche die Sachen im Hause besorgte, gab mir auf, die Ringe herunterzuziehen. Die Ringe saßen aber sehr fest, und ich mußte mich ordentlich dabei abquälen, bis ich endlich nach vielem Ziehen die Ringe von den Fingern herabkrigte. In den folgenden Nächten aber verspürte ich in meinen eigenen Fingern ein Ziehen und Strecken, das sehr schmerzhaft war, und ich hatte eine Empfindung, als wenn eine kalte Totenhand sich an meine Hand lege. Das kam mehrere Nächte wieder, sodaß ich zuletzt ganz krank davon wurde. Endlich ging ich zu jener Verwandten und klagte ihr meine Not, und sie war so gütig, daß sie die beiden Ringe der Toten wieder in den Sarg legte. Seitdem verschwanden die Schmerzen, und ich wurde nicht weiter beunruhigt.« (Oldenbg.)

i.

Als einst ein Mann von Isens den alten Waddenser Kirchhof passierte, der außerhalb Deiches liegt und von den Wellen blosgespült ist, fand er einen langen menschlichen Beinknochen, griff ihn auf und sprach, indem er seinen Weg fortsetzte: »Du sollst mein Handstock sein.« Aber plötzlich befiel ihn ein unsäglicher Schmerz im Beine, hörte auch nicht eher wieder auf, als bis der Mann den Beinknochen wieder an seinen früheren Ort brachte (Var. Oldenb. auf der Oldenb. Bibliothek, Waddensia).

k.

In Golzwarden saßen einst spät abends Zecher im Wirtshause. Da kam die Rede auf Gespenster und einer meinte, er fürchte sich nicht vor den Toten. Zuletzt wettete er, daß er in der Mitternachtsstunde auf den Kirchhof gehen und einen Totenkopf aus dem Leichenhause holen wolle. Er ging auch hin und griff unter den Knochen herum, bis er einen Totenkopf fand. »Den hebb ick funnen,« sagte er für sich. Da antwortete eine Stimme: »Dat is min Kopp.« Er warf ihn fort, suchte und fand einen zweiten und sagte: »Da hebb ick wedder een.« Gleich erklang es: »Dat is min Vader sin Kopp.« Der Mann warf den Kopf fort und suchte den dritten. »Da hebb ick den drüdden,« rief er, als er wieder einen gefunden hatte. Da erklang es zum dritten Male: »Dat is min Grotvader sin Kopp.« »Un wenn he den Deuwel sine Grotmoder [199] tohört, so nehm ick'n doch mit,« rief er und eilte mit dem Kopfe davon, aber Angst hatte er doch, und als er bei seinen Genossen ankam, war er im Schweiß gebadet. (Wird auch in Dinklage erzählt.)

l.

Einst wurde zu Großenmeer ein Verbrecher an einem Kreuzwege gehängt und unter dem Galgen eingescharrt. Viele Jahre nachher ritt ein Landmann aus Oldenbrok in trunkenem Zustande abends spät vom Oldenburger Pferdemarkte nach Hause. Als er an die Grabstätte des Gehängten kam, rief er: »Jan, wolltu mit?« »Ich kam all,« scholl eine Antwort zurück, und gleich darauf fühlte der Reiter jemand hinter sich auf dem Pferde, der ihn mit beiden Armen umfaßte. Da gab er seinem raschen Fuchse die Sporen, und scharf setzte sich derselbe in sausenden Galopp. Ein Glück für den Reiter, daß er seinem Hause so nahe war, doch leider war der Rollbaum vor dem Gehöfte geschlossen. Aber der Fuchs ging in mächtigem Satze über ihn hin und stand bald keuchend vor der noch offenen Haustür. Der Reiter sprang rasch vom Pferde und sah zurück, da stand der Unhold, der ihn begleitet hatte, über den Rollbaum gelehnt und winkte ihm Abschied nehmend zu. Nie hat dieser Landmann später den Gehenkten wieder zum Mitreiten eingeladen. –


Vgl. 184 i-m.


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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 171. [Wenn man einer Leiche nicht die gebührende Achtung erweist, wenn]. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-2346-6