317. Die »oberschwäbische Hochzeit.«

1. Brautbewerbung.

Hat der junge heiratslustige Bauer ein Auge auf des nahen oder weiter gelegenen Hofbauern Tochter, so geht die Sache also vor sich: Mit Rat des Vaters und der Mutter und der Seinigen schickt er einen Werber; bald ist's ein Freund und guter Bekannter, bald ein naher Vetter, dem Bauern in's Haus und läßt anfragen. Diese Anfrage ist aber so gehalten, daß man durchaus nichts von einer Brautwerbung [320] verlauten läßt. Der Bauer, der Vater des Mädchens, versteht die Sache doch ganz gut, wo es hinaus will, und gibt williges Gehör. Der Werber fragt vorerst, wie viel Vieh im Stall sei, mit der Deutung, man möchte ihm's auch zeigen. Jezt wird der Ankömmling in den Stall geführt und ihm der Viehstand gezeigt. Vom Stalle geht's in die Stube, in die Kammern, in alle Gemächer hinauf bis auf den Fruchtboden unter'm Dache, alles wird eingesehen und visitirt. In Stuben, Stubenkammern, Schlafkammern werden Kästen und derartige Tröge und Behälter aufgeschlossen, das Bettzeug, Weißzeug besehen, die Wandschränke geöffnet. Nach dieser Besichtigung läßt sich der Werber allmählig vernehmen, was seines Thuns hier sei, und sagt's dem Vater des Mädchens zuerst. Hat man die Runde von oben bis unten und umgekehrt gemacht, so schickt sich das Bauernmädchen, um dessentwillen all das ist, an, einen kräftigen Kaffee zu machen. Mit demselben wird Honig und Butter vorgesezt und die Unterhaltung wird recht lebhaft. Bis jezt wird immer noch nicht gesagt, in wessen Namen die Sache eingefädelt wird. Erst beim Abgang des Werbers läßt er von sich hören, in wessen Namen und Auftrag er gekommen sei, und gibt zu verstehen, es wäre ihm eine Antwort jezt gleich am liebsten, wenn es auch nur eine Antwort halbwegs, d.h. eine kleine Zusicherung für heute wäre. Es tritt 8-10tägige Bedenkzeit ein. Der Nämliche, der vor acht Tagen da war, kommt wieder und die Sache will bereinigt sein. Es wird jezt schon vertrauter mit einander gesprochen. Die gegenseitigen Aufklärungen über Familienverhältnisse, wozu der Werber die nötigen Instruktionen hat, werden verhandelt, in Erwägung gezogen und hin- und herbesprochen. Ein Hauptpunkt ist der Schuldenstand: [321] die Schulden, die etwa auf Haus und Hof und Gut lasten. Hat sich der Hofbauer gut angelassen und sich nicht abgeneigt gezeigt in den Heiratsangelegenheiten, so nimmt der Werber die frohe Botschaft mit heim und überbringt alles dem jungen Bauer, der heiraten will.

Nach zwei oder drei Tagen kommt der junge Bauer selber in einem noblen Chaischen vor des Hofbauern Haus angefahren und steigt ab. Man begleitet ihn herauf und es gibt jezt einen hübschen Tag. Er wird wacker bewirtet; die Familienverhältnisse werden nochmals eingänglich besprochen, und nach diesem schickt sich der Bräutigam oder Hochzeiter, wie er jezt heißt, an, heimzufahren. Die Braut zieht sich festlich an und er nimmt sie mit in seinen Hof. Wo das Fuhrwerk des Hochzeitpaares vorbeifährt, bekommen Kinder und Arme, die am Wege sich aufstellen, Geld reichlich. Geht's durch Höfe oder an solchen vorbei, wo viele Ehalden, Mägde und Knechte dienen, so kommen sie heraus und halten die Pferde an und stellen sich um das Fuhrwerk. Der junge Bauer muß zur Tasche greifen, das weiß er schon, und brav blechen; dann erst darf er wieder weiter fahren. Dieses Recht haben die Dienstboten seit alten Zeiten. Je näher es seinem Hofe zugeht, desto feierlicher wird's. Böllerschüsse knallen aus allen Höfen, an denen sie vorbeifahren.

2. In des Bräutigams Haus.

Angekommen in des Bräutigams Hof, wird der junge Hochzeiter freudig empfangen und in die Stube begleitet. Ein Essen ist schon in Bereitschaft gehalten. Küchle, die in ganz Schwaben eine große Rolle spielen, und zwar Aepfelküchlein, geräuchertes Fleisch, Brodschnitten, ähnlich wie die sog. Funkenringe in Eierteig wiederholt getaucht und geprägelt [322] und gebacken, bilden so diesmal die Hauptspeisen. Eine Stunde später als die Hochzeitleute, jedoch zum Essen noch recht, kommen der Hochzeiterin ihr Vater und Bruder. Nachdem auch noch Nudeln, Kaffee, geräuchertes Rind-, Schweine- und sog. Hagenfleisch nebst Branntwein, Butter, Honig aufgetischt worden, läßt man sich's »weidle« schmecken. Der Bauer hat dieses Fleisch alles eigen. Es werden jährlich zwei bis drei Mal Rinder, besonders auch Farren abgeschlachtet für das Haus und eben so viele oder noch mehr Schweine. Es gibt das Jahr über beim Hofbauern in Oberschwaben immer gutes Fleisch; das geräucherte Fleisch ist dem Bauern so notwendig als nur irgend etwas. Hier will ich gleich bemerken, daß bei diesem Abschlachten der Pfarrer sehr gut, was Qualität und Quantität anlangt, bedacht wird.

Nach dem Essen beginnt im Hause gleichfalls die Runde von unten bis oben, wie in der Hochzeiterin Haus. Dieses Geschäft, traditionell wie fast nichts Anderes, hat den eigenen Ausdruck »besehen« (bsẽə). Zuerst geht's in den Stall, von da in die Kammern an Kästen, Wandschränke etc., Alles wird besehen, besprochen und nach diesem die gegenseitige Einwilligung zur Heirat recht und ernstlich und kräftig gegeben. Bemerken muß ich noch, daß der Volksausdruck für die genannten Brodschnitten, die in eingeschlagenen Eiern umgedreht werden, »Sträuble« ist, ein auch im benachbarten Baiern bräuchiges Wort.

3. Die Stuhlfeste, bis zur Hochzeit 1.

Nach feierlicher beiderseitiger Einwilligung macht man [323] gleich den althergebrachten »Festwein« aus;Stuhlfeste heißt die Feier im Allgäu. Es ist diese Sitte überall; wie sie aber allerorts genannt wird, weiß ich nicht. Die Stuhlfeste ist die Feier, die auf beiderseitige Einwilligung folgen muß und selbige bekräftigt. Die Festlichkeit wird gewöhnlich in der Hochzeiterin Heimat, aber nur im Wirtshause abgehalten. Die ganze Familie des Hochzeiters, Eltern, Geschwister erscheinen in der Hochzeiterin Heimat. Gewöhnlich richtet man den »Festwein« auf den Samstag, an dem das Hochzeitpaar zum Pfarrer geht, sich erklärt und das Brautexamen hat. Da wird darauf los gebacken und gebraten, alles im Vollauf besezt. Braten und Salat nebst den im Allgäu bekannten nackten Würsten sind da. Alles läßt sich's im Essen und Trinken weidlich schmecken, und Fröhlichkeit herrscht überall um und um. Kehrt der Hochzeiter mit den Seinigen heim, so werden von allen Höfen Böller losgelassen.

Vom Festwein oder der Stuhlfeste an bis zur Hochzeit findet das »Laden« zur Hochzeit, die Einladung statt. Bald, wie im Allgäu, geht Hochzeiter und Hochzeiterin selber herum mit einander und laden ein; bald geht der sog. Werber, dessen Geschäft wir schon kennen lernten, herum und ladet ein. Er ist festlich angekleidet, in der Hand einen knotigen Haselstock, mit einer blauen, hellroten Masche verziert. Ich mache hier aufmerksam auf die Haselstaude, die in Hochzeitsachen eine Rolle spielt. Auch in andern Gegenden Schwabens habe ich es schon getroffen. Die Bedeutung der Nüsse als erotischer Symbole ist anerkannt, das zeigen zahllose Hochzeitssitten und Bräuche. Daher erhält denn auch die [324] Haselstaude des Hochzeitläders Sinn und Bedeutung. Diese Bedeutung erweiterte sich. Die Symbole der Fruchtbarkeit und Liebe erweiterten sich zu Symbolen des Lebens, der Unsterblichkeit, woher die Haselruten in Gräbern der deutschen und keltischen Vorzeit zu erklären sind. Das Nähere, hieher Gehörige findet sich, wenn ich nicht irre, in der Wolf-Mannhart'schen mytholog. Zeitschrift, in Mannharts Aufsatz: »Fro – Donarcult« (III. Bd.). Fernere Auszeichnung des Hochzeitladers ist die Rose, mit Bändern umhangen im Rockknopfloch, nebst einer Masche (Schlaufe von Bändern). In Niederschwaben, z.B. im Rottenburgischen, ladet der Hochzeitlader blos auswärts; im Dorfe selbst besorgen die Hochzeiterin und ihre »Gschpiel« (Brautführerin) das Geschäft, und zwar leztere in höchst feierlichem Anzug, wobei der Kleesamen-Rock bemerkenswert ist, sowie die Schappel, das Schäppele. Der Kleesamen-Rock ist ein gelblicher, braungesprekelter Festrock, seit alten Zeiten bräuchig in Wurmlingen; jezt verschwindet er vor den langen Kleidern. Neben dem Kleesamen-Rock ist der ganz hellgrüne, ebenfalls festliche Rock zu nennen, der noch häufiger getragen wird. Interessant und hübsch ist der schöne, glänzende, aus kleinen Messingschildchen und Messingschuppen gebildete Gürtel, der nicht fehlen darf, an dem ein Sackmesser angebracht; ob jezt noch, weiß ich nicht genau mehr.

Das Sprechen und Absingen von Sprüchen beim Hochzeitladen ist dem oberschwäbischen Hochzeitläder (Allgäu) eigen, der niederschwäbische Brauch ist nicht nachzuweisen; hier kommen nur noch am Hochzeittage selbst Sprüche und Reimereien vor. Der oberschwäbische Hochzeitläder beginnt beim Eintritt in's Haus mit dem Gruße von den Brautleuten; nach diesem kommt ein sinniger Spruch, der manchmal ein hohes [325] Alter und traditionelles Ansehen hat, manchmal aber auch nur vom Läder für seinen Bedarf zusammengestoppelt ist. Ich konnte leider in meiner Ferienreise zu diesem Zwecke keines wichtigen älteren Spruches habhaft werden, der sich hier schön einfügen ließe. Aus der Saulgauer Gegend folgen mehrere weiter unten.

Eigentümlich ist, daß die Braut während ihrer Einladungszeit nie ohne Armkorb ausgeht. Sie hat da drinnen Nastücher, und wem bei ihrer Einladung ein solches gegeben wird, der ist eingeladen zum Hochzeitessen. Leztere Sitte, das Schenken von Nastüchern, traf ich sonst oft; in meiner Heimat ist es auch bräuchig. Da bekommt sogar der Pfarrer des Nachmittags vom Bräutigam und den Gesellen eigenhändig ein Nastuch und eine Maas Wein. In andern Gegenden (z.B. sah ich es so im Wildbad) wird ein nobles Sacktuch herausgetanzt. Bei dieser Nastüchersitte ist es so, daß Jeder, der ein solches erhält, schon vornherein zu einer wertvollen Schenke, Schenkung an die Brautleute verpflichtet ist. Wo die Braut, die oberschwäbische Hochzeiterin, während der drei Wochen vor der Hochzeit hinkommt, erhält sie Werg, eine »Dock«, ein »Knittel« geheißen. Dies ist so ziemlich alles Geschenkte, mit Ausnahme einiger Porzellangeschirre. Ein Unterschied hierin ist zwischen Nieder-und Oberschwaben, indem dort die Sitte des Schenkens eine umfassende, hier eine unbedeutende ist. In Niederschwaben ist der Hochzeittag sonach ein Gewinntag, in Oberschwaben mit vielen Auslagen verknüpft.

Fußnoten

1 »Stul veste« Augsb. Stadtrecht Bl. 13b. Sp. 2. »Stul vöstin« Ulm. Hochzeitsordg. bei Hausleutner II. 213. 3. Vestwein Gloss. z. Augsb. Stadtrecht Bl. 10a. Vgl. Schmeller I. 576. 191. Schmid 517. 191. Rixner II. 236.

4. Die Hochzeit.

Mit anbrechendem Morgen wird die Hochzeiterin von ihrem Hochzeiter mit großem Gefolge theils zu Wagen, theils [326] zu Pferd abgeholt. Es mögen allemal so etwa zehn bis zwölf Reiter sein. Es geht theils bis in der Braut Heimathof, theils nur halbwegs, weil man gleichzeitig manchmal von den Höfen abzieht. Hat die Braut, was jedoch nicht oft vorkommt, ihr Kränzlein verloren, so fehlen die Reiter bei der Abholung. Bei der Begegnung findet bei Braut und Bräutigam der Kuß statt, wolgemerkt, äußerst züchtig, gewiß nie auf den Mund, sondern immer auf die Stirne. Diese Sitte des Abholens finde ich fast überall in Schwaben, nur fehlt ihr das Naive, möchte ich sagen, das Patriarchalische der oberschwäbischen Hofbauernhochzeit. Das Hereinheiraten von Außen, es kann natürlich bei den Hofbauern gar nicht anders sein, wird im übrigen Schwaben verschieden angesehen und auch mit verschiedenen Sitten begangen. »Verschieden angesehen«, sage ich, weil man es in jeder Gegend wieder mit andern Augen betrachtet. Ein reicher Bauernflecken sezt seine äußersten Kräfte ein, um eine Reiche nicht hinauszulassen; bei andern Gemeinden hält man es wieder für eine Ehre. Es ist natürlich wieder das Geld der Punkt, um den sich Alles dreht; ist eine arm, so mag sie ungestört einen Burschen vom andern Nachbarorte heiraten, es hat ihr Niemand was dawider; ist sie reich, so fehlt es an zahlreichen Conflikten zwischen den Burschen beider Nachbarorte nicht; es wird aufgepaßt, der Fremde hinausgeprügelt etc. Diese Scenen wiederholen sich im sog. Gäu, Baisingen und Seebronn z.B. öfters. Dieses Alles ist bei der oberschwäbischen Hochzeit nicht. Die Bräuche bei einer Hochzeit im übrigen Schwaben sind wiederum anders, wenn eine hereinheiratet aus der Nachbarschaft. In Wendelsheim wurde einstmalen viel Festlichkeit veranstaltet, viele Sprüche und Reime hergesagt, was bei einheimischer Braut [327] nie geschah. In Hohenstadt auf der Alb wird ebenfalls nur dann um die Henne geritten, wenn eine Fremde herein heiratet. Dieses Alles ändert die oberschwäbische Hochzeit nicht im Geringsten. Wenn ich oben von der Züchtigkeit im Kusse sprach, den sich die Brautleute geben, so muß dieses wirklich bewundert werden. Daran halten sie fest: Dieser Kuß auf den Mund gilt als verräterisch und sie nennen ihn geradezu den Judaskuß. Ueberhaupt, wenn man den oberschwäbischen Anstand in dieser Beziehung kennen lernen will, so darf man nur zu einer solchen Hochzeit gehen. – Ist man bei der Pfarrkirche oder vielmehr an dem Orte, wohin der Bräutigam eingepfarrt ist, angekommen, so beginnt vorerst die Morgensuppe. Im Allgäu heißt man dieses Hochzeitmorgenessen, in Ober- und Niederschwaben Morgensuppe. In meiner Heimat spielte ehedem an diesem Essen das sog. »Voressen« eine große Rolle; es sind darunter saure Kutteln, Knöchele etc. zu verstehen und war bis jezt immer sehr beliebt beim Landvolke. Die oberschwäbische Morgensuppe besteht in einer Nudelsuppe, Fleisch mit nackten Würsten, Sauerkraut, Küchlein, Kaffee.

Nach dem Essen, nach der Morgensuppe trägt der Hochzeitläder seinen traditionellen Tischspruch vor, und auf diesen sezt sich der Zug nach der Kirche in Bewegung. Das Schöne ist noch dieses: derselbe Hochzeitläder (Gsell) gibt in der Kirche allen Hochzeitleuten Weihwasser, ein trefflicher religiöser Zug und ein Beweis für den kräftigen Glauben, der noch in diesem Volk lebt.

Nach der Copulation geht's wieder in festlicher Ordnung dem Wirtshause zu, allwo gleich der Tanz beginnt. Der erste Tanz gehört der Braut. Sie tanzt mit dem Ehrengesellen drei Tänze. In andern Gegenden eröffnen Braut [328] und Bräutigam den Tanz. Im Wildbad sah ich den Ehrengesellen gleichfalls zuerst mit der Braut das Ehrentüchlein heraustanzen, das man auf einem weißen Teller darbrachte; ich glaube, es war die Brautführerin. – Den Tag über wird bei einer oberschwäbischen Hochzeit sehr viel getanzt, wie es überhaupt dem Oberschwaben und der Oberschwäbin eines ihrer allerliebsten Vergnügen ist. Die sog. Freitänze sind arg im Schwang. Immer und immer rufen die Musikanten solche aus. In der Regel werden sie zu Ehren eines bedeutenden ankommenden Gastes veranstaltet. Dies ist der Fall, wenn des hochwürdigen Pfarrers Schwester, oder seine Haushälterin, oder die Frau Lehrerin kommen. Zwei Maas Wein werden aufzutragen befohlen; die eine bekommt das ausgerufene Tänzerpaar, die andere gehört den Musikanten zu. Alle andern tanzenden Paare müssen auf den Augenblick des Freitanzausrufes einhalten und haben das Zusehen. Nach jeder Tour wird das Weinglas kräftig gehandhabt und gar weidlich getrunken bis auf den Grund. Sodann beginnen auf des Freitänzers Wink und auf seine Erlaubniß hin alle umstehenden Paare ihren Reigen wieder, und zwar bis wieder ein Freitanz ausgerufen wird, was in der Regel nicht gar lange ansteht. So können oft an einem Nachmittag 50-60 Freitänze vorkommen. Die Freitänze in Niederschwaben in und um meine Heimat sind nicht gar so häufig und haben die Motive des Anstandes nicht immer zu ihrer Grundlage, wie die oberschwäbische Hochzeit sie hat. Wie ich immer es beobachtete in meinen Studentenjahren während der Ferien, bekam der am meisten Freitänze, der seine Thaler und Gulden recht prahlhansmäßig springen ließ auf der Musikantenbank.

Ein recht hübscher Zug ist bei der oberschwäbischen Hochzeit [329] der, daß der Hochzeiter in keiner andern Kopfbedeckung als in der Zipfelkappe, meistens der schwarzen, tanzen darf, und in der That, man sieht ihn auch nie anders.

Unter Tags sizt der Hochzeiter nie bei seiner neuen Ehehälfte, seiner Braut, sondern immer zu unterst am Ehrentische. Die Braut selbst aber sizt nie ganz oben am selbigen Tische, sondern immer an der Ecke des Tisches; im sog. Tischwinkel sizt sie ganz »zumpferle« (zümpferle) und bescheiden in höchstem Anstand und Züchtigkeit. Von dieser Sache geht das Sprüchwort aus, oder vielmehr die Redensart im Volke: »Du sitzscht im Tischwink'l wie d'Braut«, wenn Jemand recht bescheiden, halberschrocken dasizt.

Nachmittags kommt der Herr Pfarrer und hat seit uralten Zeiten immer die Ehre, oben an dem Ehrentische zur Rechten der Braut sitzen zu dürfen. Den ganzen Tag darf die Mutter der Hochzeiterin sich nie sehen lassen. Worin diese Sitte ihren tieferen Grund hat, vermag ich nicht zu sagen.

Von der Hochzeitschenke haben wir schon gesprochen. In diesem Punkte spekuliren die oberschwäbischen Bauern nicht so besonders angelegentlich, wie die andern Schwaben thun. Sie wollen ihren Hochzeitstag nicht als Gewinntag feiern, es kostet die Hochzeit da mehr, als die andern Schwaben geschenkt bekommen an diesem Tage.

Der Pfarrer bekommt von alten Zeiten her bei der oberschwäbischen Hochzeit von den Reichen 1 Pfund Zucker, 1 Pfund Kaffee und dazu etwa noch eine seidene Weste, ein seidenes Halstuch; Aermere bringen gerne Nastücher. Das Schenken an die Brautleute, das, wie gesagt, in Werg, Porzellan zu bestehen pflegt, alles ohne viel Kosten und Aufwand, heißt im Volksmund ständig »goben« [330] (gåbə) 1. Um 12 oder gleich nach 12 Uhr ist Alles im Heimgehen begriffen. Während der lezten Tour sind des Bräutigams ledige Kameraden beisammen und singen ein herzzerreißendes Abschiedslied, worauf das Hochzeitpaar zu weinen anfängt, und dann geht's nach Hause mit zahlreicher Begleitung bis vor die Thüre. In der Regel fährt man auf den Hof.

Dieser rührende Schluß der Hochzeit findet sich, so viel ich weiß, in den meisten Gegenden Schwabens. In Wendolsheim existirt ein altes Ehestandslied, das der alte Adlerwirt Thoma jedesmal sang, so oft die Hochzeit aus war. Er stand auf dem Tisch, und dieser Gesang, in welchen alle Burschen einfielen, ist ganz traditionell geworden. In dieser meiner Heimatgegend sangen des Hochzeiters Kameraden und alle Ledigen, die noch da waren, auf der ganzen Strecke bis nach Haus. »Heimsingen« ist der volksthümliche, stehende Ausdruck dafür. Dieses Heimsingen findet allemal so gegen Tagesanbruch, selten bälder statt.

Eine eigenthümliche Schlußsitte ist bei Dewangen zu Hause. Es wird da der Braut vor dem Heimgehen ein Teller Sauerkraut vorgesezt, was seit alter Zeit geschah, damit ihr jezt auch das Herbe des Ehestandes vorgeführt werden sollte. Sie weint dabei bitterlich.

Auf der schwäbischen Alp im Münsingischen, in Magolsheim, Justingen etc. sollen die ledigen Bursche sammt den Musikanten noch mit in's Bräutigams Haus ziehen, und da geht's erst noch wild her. Die Musikanten spielen wieder [331] und es wird fortgetanzt bis in den anbrechenden Tag hinein. Gesänge, wildes Gejol und Schreien bringen ein eigentümliches Durcheinander von Tönen hervor, das nichts weniger als angenehm ist für die Nachbarn.

Fußnoten

1 In Lucas Rems Tagebuch (1494-1541), von Greiff herausgegeben 1861. Augsb. (26. Jahresbericht des histor. Vereins in Schwaben und Neuburg für 1860), kommt »goben« unzähligemal vor = zur Hochzeit schenken.

5. Nach der Hochzeit. Die Schenke.

Man darf hier das Wort »Schenke« nicht mißverstehen; ich habe kurz vorher gesagt, daß das Schenken bei der Hochzeit in Oberschwaben ganz unbedeutend ist. Die Schenke ist etwas ganz Anderes. Ich glaube, sie ist im Allgäu besonders im Schwang. Heiraten z.B. Braut und Bräutigam aus ihrer Heimat in eine andere Ortschaft, so wird 8-14 Tage allemal des Sonntags bei den Wirten, die bei der Hochzeit nicht berücksichtigt werden konnten, eine Art Nachhochzeit von dem jungen Ehepaar veranstaltet und alle Verwandten dazu geladen. Die Schenke soll auch Wirten, die in die Verwandtschaft gehören, gleichsam ein Ersatz sein, weil die Hochzeit nicht bei ihnen war. Also ist die Schenke so eine Art Entschädigung, die das junge Ehepaar geben will. Es wird bei Gelegenheit der Schenke gerade so gezecht und gefeiert, wie an dem Hochzeittag selber. Der Tanz darf natürlich nicht fehlen. Es kommen zur Schenke doch fast durchgängig nur Unverheiratete. Die Fahrt dahin ist ganz großartig und die Reiter fehlen auch da nicht. Eine lange Reihe von Chaischen und Wagen sind zu sehen. Dieser Tag kostet in der Regel den Neuverheirateten ordentlich Batzen. Hier darf die Mutter des jungen Weibes auch anwesend sein, wogegen die des jungen Mannes zu Hause bleiben muß. Die Väter unterliegen der Strenge dieser Sitte nicht.

[332] 6. Das Brautfuder.

Unter »Brautfuder« versteht man die Aussteuer der Braut, die nach der Hochzeit auf einem mit vier Rossen bespannten Wagen nach dem Hofe und der Heimat des neuen Ehepaares gefahren wird. Es ist dies ein wahrer Triumphwagen. Pferde, Wagen, Peitsche, alles flattert voll von Bändern, Maschen etc. in festlichem Schmucke. Oben auf dem hochaufgethürmten Wagen steht die urdeutsche Kunkel mit angelegtem Werg, ebenfalls festlich ausstaffirt. Daneben sizt der Schreiner, der die Möbelsachen des Bauers und der Bäurin verfertigte. Von allen Höfen, wo's vorbeigeht, knallen Böller- und Pistolenschüsse. Alles jauchzt dem Wagen entgegen und in allen Höfen herrscht fröhliches und heiteres Leben und Treiben. Da, wo das Brautfuder schon vor der Hochzeit, was das regelmäßigere ist, abfährt, fahren Braut und Bräutigam schon Vormittags durch, was ebenfalls in den Höfen, die es angeht, festlich begangen wird. Knechte und Mägde, Alles ist im Festgewande zu sehen. Wieder in andern Gegenden kommt das Brautpaar erst nach dem Wagen. Die Braut bleibt selbige Nacht bei des Bräutigams Leuten und wird erst am folgenden Tage wieder heimgefahren. Ueberall, wo sie vorbeikommen, Begrüßungen und Beglückwünschungen. Geld wird viel an Kinder und Arme unterwegs ausgetheilt.

Dieser Hochzeitwagen spielt eine große Rolle im schwäbischen Volksleben. Auf der Alb im Münsinger Oberamte, in Justingen, Magolsheim etc. sind die Hochzeitbetten aufgemacht und vollständig gerichtet oben auf dem Brautwagen, so daß man gerade hineinliegen könnte. Ebenfalls steht eine Kunkel droben, aber nicht mit Werg angelegt, sondern mit [333] allen möglichen Hochzeitsgeschenken behangen: Kessel, Kupfergeschirre, Waschbecken, meistens Eisen- und Blechgerätschaften.

Die Züge aus der oberschwäbischen Hochzeit sind aus der Gegend von Bodnegg, Kißlegg, Haßlach, Eisenharz, Grünkraut etc.

7. Die Tobiasnächte.

Eine wunderschöne, auf der Bibel beruhende Sitte im Allgäu (z.B. Christatzhofen, Egloffs) war, ob's jezt noch so ist, weiß ich nicht, die Sitte, die »Tobiasnächte« zu halten. Nach Tobias 6, 22., wo es heißt: »Nach Verlauf der dritten Nacht aber nimm zu dir die Jungfrau in der Furcht des Herrn« etc., halten nämlich die Neuverheirateten ebenfalls die drei ersten Nächte nach der Hochzeit ohne Beischlaf. Die Ehe wird glücklicher ausfallen, weil ihr in Folge dieser Enthaltung der Teufel nichts anhaben könne.

8. Benediction des Brautbettes, sowie des Hauses.

Eines der vielen Zeichen, das die tiefe religiöse Anschauung des unverdorbenen oberschwäbischen Bauernvolkes bekundet, ist das traditionelle Festhalten an Segnungen und Weihungen, überhaupt an den Sakramentalien. Kein junges Ehepaar bezog die neue Wohnung, noch betrat es das Brautbett, wenn nicht der Pfarrer es gesegnet hatte. Die Kirche ist zwar allezeit bereit, diese Wünsche wo möglich zu erfüllen, allein vielfache Mißverhältnisse, die auch im Landvolke eingreifen, lassen doch immer wünschen, daß mit Klugheit den Forderungen des Volkes Gewähr geleistet werde.

Sonntags vor der Hochzeit ist des künftigen Ehepaares Haus festlich geschmückt und gereinigt. Alles Notwendige [334] ist blank aufgestellt und hergerichtet, was in's Haus gehört. Die Hochzeitbetten, Schuhe, Stiefel darunter, stehen aufgepuzt da. Kurz, es ist Alles in höchster Festlichkeit zu sehen. Nach der Vesper nimmt der Pfarrer die Benediction des Hauses, seiner Gemächer, der Betten und Gerätschaften vor. In einzelnen Gegenden hält man so fest an diesem religiösen Akt, daß ohne ihn kein Theil des Ehepaares auch nur einziehen würde.


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TextGrid Repository (2012). Birlinger, Anton. 317. Die »oberschwäbische Hochzeit.«. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-06A5-D