77.

Jährlich am ersten Sonntag nach der Fastnacht versammeln sich die jungen Bursche beim Rathaus, an diese schließen sich die Kinder an. Auf einmal vertheilen sie sich nach allen Winden in der Stadt und rufen: Holz, Holz, Holz! Nun wird aus jedem Haus ein Stück Holz, gleichviel, ob klein oder groß, hergegeben; Arm und Reich steuern bei, denn es zöge die Verweigerung den allgemeinen Ausruf nach sich: »Die N.N. ist eine Hexe.« Das so gesammelte Holz wird nun beim Rathaus abgelegt und nachher unter allgemeinem Jubel auf den Platz geführt, wo der Funke [66] abgebrannt wird. Hier angekommen, wird eine große Stange aufgerichtet und oben mit einem Wisch Stroh (sogleich Hexe getauft) versehen. Hernach wird das Holz und Stroh etc. um die Stange aufgestellt und aufgebeugt. Nun zieht Alles nach Haus bis zum Eintritt der Dämmerung. Während dieser, für Manche ewig dauernden Zeit werden indessen die Funkenstecken, häselne Stecken, hergerichtet und bei den Wagnern die Scheibchen gekauft (von Buchenholz, etwas größer als ein halbes Octavblatt). Beim Eintritt der ersehnten Dämmerungszeit strömt Alles nach dem Funken. Hier angekommen, wird derselbe unten angezunden und dann ein Vaterunser abgebetet. Ist dieses geschehen, so geht's an's Scheibenschlagen. Zuerst wird die Scheibe an den Stecken gesteckt, am Feuer angezunden, dann recht oft in der Luft herumgeschwungen, damit die Entzündung gleich und schön wird. Hierauf wird die Scheibe auf einem schiefstehenden Brettchen mit größter Kraft in die Luft geschlagen, daß sie bis bereits in die Stadt fliegt. Während dessen wird folgende Strophe halb singend, halb schreiend der oder dem Bekannten gewidmet:


Scheib aus, Scheib ein,
Wem soll diese Scheibe sein?
Sie soll meim N.N. beim Lädele nei.

Die Zuschauer haben indessen mit der Hexe zu thun. Ihr Fall ist bedeutungsvoll. In der Richtung, wo sie fällt, sollen das ganze Jahr die Gewitter ihren Zug nehmen und nicht schlagen. Ist die Hexe gefallen, dann ist mit ihr der Funke aus und Alles begibt sich nach Haus, wo sodann Funkenküchlein aufgetischt werden.

Diese Funken sollen noch aus der Heiden- oder Pestzeit [67] herrühren, als Zeichen, daß da und da die Menschen nicht ausgestorben 1. So in der Wurzacher Gegend die Sitte.

Fußnoten

1 Nach dem Funkentag zu rechnen, war ein alter Brauch. So z.B. heißt es im Kißlegger Klosterrodel (Mscpt.): »Item als man gezelt 1655 jahrs den 16. Hornung Ann dem Zinstag nach dem ›Funkhentag‹ hat vnser herzliebe verehrliche Mutter Anna etc.«


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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Birlinger, Anton. 77. [Jährlich am ersten Sonntag nach der Fastnacht]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-0A83-8