264. An Maria Anderson

264. An Maria Anderson


Wiedensahl 2 April 1875.


Die Schildbürger hatten mal'n Rathhaus gebaut, aber die Fenster vergeßen, und 's war recht dunkel drin. Man lief auf den Markt mit Schaufeln, Eimern, Säcken, ließ die Sonne hinein scheinen und dann hurtig damit in 's Rathhaus 'nein. Sehr brav! Aber am besten von Allen hat mir doch der Herr Stadtschreiber gefallen. Der war der Listigste! Er fing richtig einen Sonnenstrahl in der Mausfalle. – Wie heißt der Baumeister? Weiß ich nicht. Wo steht das Rathhaus? Auf dem obersten Halswirbel. Wie nennt man die Mausfalle? Vergleich. – Ach, meine liebe Frau Anderson! Werden wir jemals die Wahrheit in Worten fangen? – Nie! – Unsere Philosophie nach dem dreißigsten Jahr heißt Glaube. –– Ich glaube, daß schlechte Verse die beste Poesie verzwicken; (ich sehe, Sie glauben es auch.) Aber ich glaube ebenso fest und gewiß, daß die schönste Poesie einen rhythmischenGang und eine melodische Stimme hat, – wie das schönste der Mädchen.

Im Holländischen hoff' ich Fortschritte zu machen; ich hoff' es zu lernen; wie das Englische und Französische; aber fühlen werd' ich es nie. – Um eine Sprache von Herzen sein eigen zu nennen, muß man,glaub ich, etwas drin erlebt haben, etwas sehr Wichtiges – nämlich die Kindheit. In diesem Sinn hab' ich zwei Sprachen: Hochdeutsch und Plattdeutsch. Nur was in diesen Sprachen, in den Sprachen meines Paradieses, geschrieben ist, kann michrühren, d.h. in innerster Seele rühren; denn ich weiß wohl, daß es ein »Paradise lost« giebt, welches hinter der ganzen Menschheit liegt. – Mathematiker, Physiker, Zoologen – die mögen in fremden Sprachen schreiben, – wer zum Herzen dringen will, der schreib in seiner Muttersprache. – Und nun Ihre »Typen«? Sollt' ich die wohl beurtheilen können? Nein, Madam, ich glaub es nicht!

Es scheint, ich habe Sie das letzte Mal zu schnell absolvirt. – Sie wißen den Namen deßen, der geschrieben hat:

Are not the mountains, waves and skies
Of me and of my soul, as I of them a part?

etc. Stellen Sie denn, auch im Scherz, mich nicht wieder in die Nähe eines Namens, den ich hier nicht nennen will; sonst müßt ich mir ja das Vergnügen[137] versagen, Ihre Briefe aufzubewahren! Nicht, daß es mir gar so weh thäte, so Was zu hören! O nein; im Gegentheil. Sehr angenehm! Nur darf es Keiner sehn. Und so ein Brief – weiß der Teufel – wer ihn in die Klauen kriegt. – Stehlen, Lieben, Morden, Schweine schlachten – gut! – Aber – pst!!! Alles in tiefster Verborgenheit – auch Schmeichelei.

Ich möchte wohl wißen wie Sie »spreeuw« aussprechen. In meinem lieben Plattdeutsch heißt das Vöglein: Sprä.

Freundlichen Gruß von meinen Flötenspielern und Ihrem ergebensten

Wilh. Busch.


P S. Nächsten Sonntag reis' ich auf 4-6 Wochen nach Wolfenbüttel.
Adreße: Wolfenbüttel (Forsthaus.)

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Busch, Wilhelm. Briefe. 264. An Maria Anderson. 264. An Maria Anderson. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-2466-B