109. Das Goarsbett und das Hänseln zu St. Goar.

(Nach Dielhelm S. 687. 700. Geib S. 616.)


In der Nähe von Goarshausen in der Mitte zwischen Oberwesel und dem letztgenannten Orte hart am Rhein liegt ein Felsen, den man das Goarsbett nennt, in welchem in einiger Höhe von der Erde ein viereckiges Loch eingehauen ist, worin der h. Goar seine Wohnung aufgeschlagen haben soll. Uebrigens befindet sich in dem nach ihm St. Goar genannten Städtchen, in der Kirche unter dem Chor eine Art zweite Kirche auf sechs marmornen Säulen ruhend und die Gruft genannt. Darin ist das Bildniß und die Statue des h. Goar in Lebensgröße zu sehen, wie er in der rechten Hand die von ihm erbaute Kirche hält. Die ihm sonst noch zugehörenden, früher hier aufbewahrten kostbaren Heiligthümer sind jedoch nicht mehr hier.

St. Goar der Heilige scheint als Patron der Gastfreundschaft betrachtet worden zu sein, denn den Mönchen des nach ihm genannten Klosters lag die Pflicht ob, gegen alle vorüberziehende Pilger und Wanderer gastfrei zu sein und weil dieselben behaupteten, Karl der Große habe ihrem Kloster eine jährliche Schenkung von 20 Mark hinterlassen, um davon die Fremden mit Rheinwein zu bewirthen, so gab dies Anlaß zu dem Gebrauche des sogenannten Hänselns, der sich bis auf die neuere Zeit erhalten haben soll. Wenn nämlich ein Fremder zum ersten Male nach St. Goar kam und gastfreundlich aufgenommen sein wollte, so mußte er sich einen oder zwei Pathen wählen, die ihm dann ein in der Nähe des Weberthors am Zollhause befestigtes Band um den Hals legten und die Frage thaten: »Wollt Ihr in Wasser oder in Wein getauft werden?« Entschied er sich nun für den Wein, so ward ein silberner Humpen damit gefüllt, diesen mußte er dreimal auf das Wohl des Kaisers Karls des Gr., des Landesherrn, oder des fürstlichen Hauses Hessen-Kassel, der Königin von England oder Schweden, die einst den Becher bei ihrer Durchreise geschenkt haben soll und der Gesellschaft leeren. Nachdem bekam er noch einen zweiten Becher, welchen das fürstliche Haus Hessen-Rheinfels dahin gestiftet hatte, und mußte aus demselben die schon genannten Gesundheiten wiederholen. Auf letzterem standen die Verse:


Zu Ehren St. Goar am Rhein

Ist gar wohl und fein,

Der Landgräflichen Verhennse Stadt

Dieß Trinkgeschirr gemacht.


[125] Alsdann setzte man ihm eine vergoldete Krone auf und las ihm die Gesetze des bacchantischen Ordens vor, worauf er die Fischerei auf dem Lurleiberg und die Jagd auf der Bank im Rhein (scherzweise erstere zu Land, letztere zu Wasser) als Lehen empfing. Nach diesen seltsamen Ceremonien schrieb er seinen Namen und den seines Taufpathen nebst Tag und Jahreszahl in das mit einer Menge von Namen, Sprüchen und Reimen seit Jahrhunderten versehene Hänselbuch ein und gab in die dabeistehende Büchse eine freiwillige Beisteuer, wie auch etwas in diejenige, so sich neben dem Halsband (früher an der Hauptwache, später am Zollhause) befand. Diese Beisteuer ward alsdann zur Verpflegung der armen Vorbeireisenden aus dasigem alten Spital verwendet. Hatte er dagegen gesagt: mit Wasser, so ward ihm plötzlich ein ganzer Eimer voll Wasser über den Kopf gestürzt. Das Halsband selbst soll sehr alt sein. Es wird auch das Burschband genannt und soll von Kaiser Karl V., nach Andern aber von Karl des Großen zwei Prinzen, Karl und Pipin, dorthin gestiftet sein, als an den Ort ihrer Versöhnung und ihres brüderlichen Vertrags. Es war anfangs von Eisen, als aber Churfürst Friedrich V. von der Pfalz seine Gemahlin aus England holte, hat er zwar ein silbernes Band oder Ring dahin verehren wollen, aus Furcht aber, daß dasselbe gestohlen werden möchte, ein messingenes machen lassen, welches noch da ist.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Zweiter Band. Die Rheinprovinz. 109. Das Goarsbett und das Hänseln zu St. Goar. 109. Das Goarsbett und das Hänseln zu St. Goar. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-37D7-0