1185. Der Schwarzkünstler.

(S. Ey, Harzmärchenbuch S. 107.)


In Osterode kamen vor langer Zeit zwei Schwarzkünstler zusammen; es war am Markt in dem großen Gasthaus, das jetzt noch an der Sonnenseite steht. Der eine hieß Teufelsklaue und hatte seinen zwölfjährigen Sohn bei sich, der andere nannte sich Höllenblut und war allein. Letzterer wollte nach Göttingen, ersterer nach Clausthal, um seine Künste sehen zu lassen. Beide aber waren auch Meister in ihrem Fache; denn wer sie spielen sah, der sagte, sie ständen mit dem Teufel im Bündnisse. Nachdem sich Beide begrüßt und in einem Nebenzimmer über das dumme Volk sich bei einer Flasche Wein lustig gemacht hatten, ließen sie sich Karten geben und fingen an zu spielen. Sie spielten aber recht hoch um vieles Geld; als sie aufhörten, war Höllenblut ganz kahl, er hatte seinen letzten Thaler verloren. Voll verbissenen Groll ging er nun mit Racheplänen zur Ruhe. Beide sahen sich nicht mehr, denn am folgenden Morgen war Teufelsklaue nach dem Harze abgereist. Höllenblut aber reiste auch statt nach Göttingen nach Clausthal, um jenem eine unverhoffte tüchtige Schlappe beizubringen. Nachdem Teufelsklaue bekannt gemacht hatte, worin seine Künste beständen, wann und wo er spielen wollte, strömte Alles hin um das nie Gehörte und Gesehene, wie es der Zettel angab, mit eigenen Augen wahrzunehmen. Eine halbe Stunde vor dem eigentlichen Beginne der Kunstvorstellung war der Saal und alle Plätze gepreßt voll, so daß Teufelsklaue an der Kasse keinen mehr einließ. Viele mußten, ohne ihre Neugier zu befriedigen, wieder nach Hause gehen. Mit dem Schlage sechs verschloß der Künstler den Saal, so daß Keiner ein noch aus konnte. Jetzt begann die Vorstellung. Als der Vorhang aufging, strahlte ein Lichtmeer von der Bühne und erleuchtete den ganzen Saal. Zwischen vielen blanken, farbigen und merkwürdig gestalteten Gefäßen, die alle schön geordnet aufgestellt waren, befand sich in der Mitte eine Blumenvase mit drei wunderschönen Rosen. Hinter jeder dieser Blumen sah man auf einem Springholze in der Mitte oben eine Taube, rechts einen Habicht und links eine Eule. Alle drei Vögel waren lebendig, kümmerten sich aber nicht um einander. Die erste Abtheilung der Kunstvorstellung begann mit allerlei nicht so sehr wichtigen Kunststücken, endigte jedoch mit großem Beifall. Dann folgte aber die zweite Abtheilung, in der ganz Unerhörtes geleistet wurde, z.B. ein Mann auf dem ersten Platze hatte die Uhr in der Tasche von einem, der auf dem dritten Range saß. Ein goldbetreßter vornehmer Adliger hatte mit einem Male einen alten Schachtkittel an, während der Bergmann die goldbetreßte Kleidung des Adligen trug. Auf einmal schrie einer auf dem dritten Range: »Kerl, Du host jo zwö Käpp!« und Alle blickten dorthin und lachten; auf dem ersten Platze saß einer ohne Kopf, neues Erstaunen. Auf dem zweiten Platze streckte ein Mädchen die Arme empor und schrie: »Was soll ich mit sechs Händen?« Ein Herr im ersten Range hatte vier Augen und zwei Hörner; eine Dame zwei Nasen, und ein allerliebstes Mädchen saß plötzlich da mit kohlschwarzem Barte. Man kann sich leicht denken, welche ungeheure Angst für die wenigen entstand, welche davon etwas gelöst hatten, [956] welche Heiterkeit auch für diejenigen, die nichts dabei hatten. Kurze Zeit dauerte dieser Zustand, dann aber war auf Befehl des Künstlers mit einem Zauberschlage Alles zu Ende. Der dritte Akt sollte allem die Krone aufsetzen, denn darin nahm der Künstler seinen eigenen Körper und machte damit fürchterliche Kunststücke, z.B. er stand auf der Bühne, bewegte den einen Arm und zum Schrecken aller Zuschauer flog derselbe von der Bühne einem Herrn im ersten Range auf den Schooß. Ebenso ging es mit dem andern Arme und der grausige Mann stand da ohne Arme und aus den Löchern der Schulter quoll dickes Blut hervor. Doch auf's Commando kamen beide Arme wiedergeflogen und verfügten sich an ihre Plätze, als wäre nichts geschehen. Darauf nahm Teufelsklaue eine große Stopfnadel durchstach das Fleisch des Unterarms, dann das des Oberarms, ließ beides mit dem starken durchzogenen Zwirn fest zusammenziehen und nach einer kurzen Weile war Ober- und Unterarm zusammengewachsen. Hierauf nahm er ein Messer und trennte beides wieder von einander. Alsbald entblößte er seine Füße, holte zolllange Nägel herbei, schnitt sich das Fleisch von den Fußsohlen, nahm dann die Nägel und schlug dieselben in die blutenden Fußsohlen hinein, tanzte ganz vergnügt wohl drei Minuten auf der Bühne umher und wischte in einem Nu die Nägel aus ihren Löchern und beide Füße waren heil wie zuvor. Dann kamen noch andere schreckliche Künste, die aber vergessen sind. Zuletzt nahm Teufelsklaue seinen Sohn, der ein schmächtiger blasser Knabe war, entblößte dessen Hals, band ihm ein Tuch um seine Augen, legte ihn auf die Tafel und trennte mit einem furchtbaren Hiebe dessen Haupt vom Rumpfe, der sofort auf eine Schüssel sprang. Allgemeines »Ach« erfüllte den Saal; man tröstete sich aber damit, daß da alles gelungen wäre, so würde auch dieses Kunststück gerathen. Einige Minuten darauf nahm Teufelsklaue das Haupt seines Sohnes, aus dem das Blut noch strömte, richtete mit dem andern Arme den todten Leib auf und versuchte das Haupt darauf zu setzen. Vor Schrecken wurde er blaß, denn der Kopf wollte nicht sitzen. Voll Verzweiflung schrie er in den Saal hinein: »Um Gottes Willen, Du, der Du hier im Saale bist und das Leben meines Sohnes bedrohest, laß ab von dem schrecklichen Unternehmen, hebe den höllischen Zauber auf.« Seine Bitte war aber vergebens, der Kopf wollte und konnte nicht festsitzen. Da sprang Teufelsklaue ans Fenster und riß es auf, machte ein verzweifeltes Zeichen, kam dann eilig zurück, riß eine Rose von den dastehenden, hinter welcher die Taube saß, heraus und zerschnitt sie in zwei Theile, worauf die Taube todt niederfiel und auch das Leben des Sohnes verloren war. Dann riß er die zweite Rose heraus, fing an Blatt für Blatt abzuschneiden, wobei ein fürchterliches Geschrei im Saale entstand, und die Eule alle ihre Federn verlor. Gleich darauf that er einen kräftigen Schnitt in die Rose und der Rumpf der Eule wie deren Kopf stürzte nun und mit ihm zugleich ein menschlicher Körper im Zuschauerraume zu Boden. Hierauf nahm er die dritte Rose, that einen kräftigen Schnitt hinein und der Habicht mit dem Künstler fielen todt zur Erde.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Zweiter Band. Hannover. 1185. Der Schwarzkünstler. 1185. Der Schwarzkünstler. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-3F08-6