[176] 196) Die Hexenriecherin und die Hexenstecknadeln. 1

Es hat sich in Potsdam in der Mitte der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts eine Wittwe, mit Namen Katharina Brückmannin, deren Mann, ein Maurer seiner Profession, in einer andern Stadt in der Mark Brandenburg gewesen war, aufgehalten. Jener hatte durch einen unglücklichen Fall bei der Reparatur des Stadtthurms sein Leben geendigt und die Wittwe noch etliche Jahre in dieser ihrer Vaterstadt zugebracht. Während der Zeit aber wollte diese gute Frau eine Entzückung gehabt haben, durch welche sie zu einem Erkenntniß gekommen sey, alle Hexen und Hexenmeister nicht allein prüfen zu können, sondern sie wollte von solchen sogar den Geruch haben. Welches freilich wohl etwas lächerlich erscheint, ja die gute Frau ging in dieser ihrer unschuldigen Einfalt zu weit, indem sie sich auf ihre gehabte Entzückung zu viel verließ, zumal zwar bekannt ist, daß den Aposteln und ihren Nachfolgern unterschiedliche Gnaden versprochen worden sind, doch von Kenntniß der Hexen und dergleichen Geheimnisse nirgendwo etwas geschrieben steht. Diese aber, ob sie sich schon sowohl bei geistlichen als weltlichen Gerichten wegen ihrer vermeint erlangten Gnade gemeldet, ist doch als Närrin verlacht und abgewiesen worden. Ja sie ging so weit in dieser ihrer Einbildung, daß sie dem regierenden Herrn dieses Orts selbst aufpaßte und selbigem ein ganzes Register von dergleichen Hexengeheimniß hersagte und eine und die andere Person darunter mit Namen nannte, welche aus der Zucht Levi wohl bei vernünftigen Leuten hätten sollen verschwiegen bleiben. Und obwohl der Fürst zu allen diesen Dingen lachte, zumal die Reformirten nur wenig von dergleichen zu halten pflegen, so war doch die Anklage der vermeint Beleidigten desto schwerer und mußte der Fürst, um den Titel eines Landesvaters zu erhalten, diese Anklägerin der Justiz überliefern, welche selbige mit Eisen belegt in den finstern Thurm bei Wasser und Brot zur Satisfaction der vermeint Beleidigten werfen ließen. Und da sie eine geraume Zeit in diesem elenden Stande hat bleiben müssen, wurde ihr auferlegt, eine öffentliche Kirchenbuße nebst Abbitte zu thun und darauf ward sie auf ewig des Landes verwiesen, nach welcher Zeit sie sich nach Potsdam mit ihrer Tochter gewendet, und weil sie auch der reformirten Religion angehört, ist sie von der Geistlichkeit allda aus der Almosenbüchse unterhalten worden. Kaum war sie aber in dieser Stadt angekommen, hob sie an aus dem alten Ton zu pfeifen und erzählte öffentlich zur Bescheinigung des ihr angethanen Unrechts, was mit ihr in ihrer Geburtsstadt passirt war. Dadurch ist sie denn in großen Ruf gekommen, und sie hat in vielen Häusern erscheinen müssen, um Alles zu erzählen, hat auch manches Almosen durch ihre Erzählungen zu ihrer hinlänglichen Nothdurft erhalten. Kurzum sie hat sogar in das Haus eines der Prediger in der Stadt Potsdam Zutritt erlangt, derselbe hat auch ihre Tochter in Dienst genommen, die im Jahre 1739 noch am Leben war, auch die Mutter, da sie das Jahr vorher (1738) gestorben, begraben lassen. Kurz vor ihrem Tode ereignete sich aber in ihrer Geburtsstadt folgender merkwürdiger Zufall. Der reformirte Hofprediger daselbst, welcher im Jahre 1739 noch am Leben war, ging eines Tages mit seiner Frau und Kindern [177] zu der gewöhnlichen Mittagsmahlzeit, und nach gehaltenem Gebete, da der gute Prediger für sich und seine Kinder ein großes hausbackenes Brot aufschneiden wollte, sah er mit Verwunderung, da er mit dem Messer nicht durchkommen konnte, aus demselben eine große Menge Stecknadeln herausfallen, welker Anblick, wie leicht zu erachten, ihn in ein nicht geringes Erstaunen setzen mußte. Er besah die Nadeln an allen Orten, konnte aber nichts anderes finden, als daß es kein Blendwerk, sondern rechte natürlich Nadeln waren, und zwar in solcher Menge, daß vielleicht, weil die Predigerfrauen nicht viel von Putz halten sollen, in seinem ganzen Vermögen nicht so viel vor handen waren. Er raffte diese in ein Papier zusammen und legte sie auf's Fenster, bei sich, wie er anfänglich auch sagte, vermeinend, daß sie ihm eine gewisse Freundin zum Schabernack in den Teig geworfen habe. Er legte also dies Brot bei Seite und ließ durch die älteste Tochter ein anderes Brot aus der Speisekammer holen, welches die Predigerfrau selbst aufschnitt, ohne in demselbigen etwas zu finden, und da sie ihrem Ehegemahl seine Portion vorlegte und selber mit dem Messer ein Stückchen davon herunterschneiden wollte, fuhren wieder sieben ganz rostige Stecknadeln heraus, ohne daß in der Frau oder in der Kinder Stückchen nur die geringste Spur zu finden war, als welche auch das Ihrige mit gutem Appetit hineinaßen und dem guten Prediger als Hausvater das Nachsehen hinterließen, welcher, er mochte Brot schneiden oder brechen, mehr und mehr dergleichen Nadelkonfekt vor sich liegen sah, welches auch den Mitanwesenden allen fernern Appetit benahm, wie dies leicht zu glauben sein wird. Der gute Prediger sah nun wohl in seiner Gelassenheit, daß dieses Bescheidessen für seine Person allein zugerichtet wäre, es war aber über seinen Horizont, dies widernatürlichen Ursachen zuzuschreiben, wie er denn als ein reformirter Geistlicher an teufelische Dinge weder glauben noch etwas davon reden oder drucken lassen durfte. Was war also zu thun? Er durste das was er dachte, daß es nämlich ein Affenspiel des leidigen Satanas sei, nicht einmal seiner Frau, Kindern und Dienstboten kundgeben, seinem eigenen hausbackenen Brote wollte er auch nicht weiter trauen, weil er sich fest einbildete, daß das ganze Gebäck für seine Person allein mit dergleichen stachlichem Gewürze versehen sei; er schickte also zu dem entlegensten Bäcker in der Stadt und ließ sich ein frisches Brot holen. Da er aber dasselbe aufschnitt, war eben derselbe Vorrath wie in dem eignen hausbackenen für seine Person zu finden, wenn aber die Predigersfrau in dasselbe schnitt, waren nicht die geringsten Spuren davon zu sehen. Er hielt es zwar für Blendwerk, schob also einen Brocken in den Mund, welches ihm schier gar übel bekommen wäre, zumal die Stecknadeln sich am Gaumen festsetzten und zwischen den Zähnen knirschten. Dieses Brot kam unserem guten Prediger sehr unappetitlich vor, er ließ es also fallen, war auch nicht im Stande zu beten, wie es in solchen Zufällen zu geschehen pflegt. Er wagte aber auch von der Sache nicht zu reden, damit in einer Stadt, wo obgedachte Brückmannin so scharf gestraft worden war, nicht durch ihn selbst, einen reformirten Prediger, die Hexerei eingeführt zu werden scheinen möchte und man in dergleichen gottesfürchtigen Städten, wo die reformirte Religion allein florirt, von den Werken des Teufels nicht das Geringste wissen will. Der gute Prediger mußte also eine Wolfsnatur annehmen und entweder mit bloßem Fleisch sich sättigen oder aber seinen [178] Hunger mit anderer Vorkost zu befriedigen suchen. Die gute Predigersfrau that aber alles Mögliche um diesem Unheil abzuhelfen, sie siebte das Mehl eigenhändig, sie knetete den Teig ein, schob ihn selbst in den Ofen, blieb dabei bis er ausgebacken war, schnitt das gebackene Brot auf, fand auch nicht die geringste Spur einer Nadel, sobald es aber der Prediger nur in die Hand nahm, davon schnitt oder abbrach, so fielen dieselben wie vorhin heraus. So war also auch diese Vorsorge vergebens und kein anderes Mittel übrig, als von andern Bäckern sowohl durch ihre eignen Hausgenossen als durch Freunde, ja sogar vom Lande Brot holen zu lassen. Aber die Sache blieb beim Alten! In diesen betrübten Umständen hat dieses wunderliche Gerücht nothwendig durch die ganze Stadt erschallen müssen und daraus wider der Meisten eigenen Willen ein neuer Glaubensartikel statuirt werden müssen, daß ein neuer reformirter Teufel in diese vermeinte heilige Gemeinde sich eingedrungen habe. Endlich mußte nothwendig auch der Fürst davon Kunde bekommen, welcher, je weniger er nach seinen Grundsätzen davon glauben konnte, es doch auch nicht begriff, die Sache selbst aber nicht in Zweifel zu ziehen wagen durfte, weil sie eben einem seiner eigenen Geistlichen widerfahren war. Der gute Fürst wollte also selbst eine Probe thun, ob die Sache sich wirklich so verhalte. Es mußte also seine eigene Gemahlin nebst ihren Hofdamen in Beisein der Oberhofmeisterin das Mehl sieben, und damit alle Vorsicht gebraucht werde, so mußte diese durchlauchtigste und hochadelige Bäckerzunft sich dabei so in Negligé einstellen, daß sie nach geschehener Arbeit, welche ihnen gewiß nicht eine gewöhnliche war, gleich kurzum zu Bette gehen konnte, damit ja keine Stecknadel von ohngefähr in das Mehl oder den Teig fallen möchte. Ja, dieser eifrige Verfechter seiner Religion wollte selbst dabei sein, wie das Brot in den Ofen geschoben und wie es wiederum herausgenommen wurde, damit ja kein Versehen dabei oder Betrug von einem oder dem andern Deputirten aus dem Hexencollegio vorgehen möchte. Zum Ueberfluß mußte das gebackene Brot in Papier versiegelt, von seinem ersten Adjutanten in Beisein eines Obersten lutherischer Religion, der ein sehr christlicher Mann war, dem Prediger überbracht, in ihrem Beisein von dem Prediger entsiegelt und angeschnitten werden. Die zwei abgesandten Offiziere machten nicht kleine Augen, da sie gleich bei dem ersten Anschnitt Stecknadeln nebst rostigen Nähnadeln herausfallen sahen, und da der Prediger mit dem Messer im Schneiden nicht fortkonnte, und dasselbe Stück abgebrochen werden mußte, sah man mit Verwunderung, daß eine große Stecknadel quer durch das Brot ging, als wenn diese die Heckemutter aller dieser Nadeln wäre, über welchen Anblick die Herren Offiziere nicht wußten, was sie für einen Rapport abstatten sollten. Doch weil sie von Allem augenscheinliche Zeugen waren, durften sie freilich der Wahrheit dieser Sache nicht zuwidergehen, nahmen also die Stecknadel nebst dem übrigen Gepäck zu sich und legten es ihrem Fürsten unter die Augen, daß es, wovon sie augenscheinliche Zeugen waren, nämlich in dem Brote, welches sie versiegelt empfangen, gefunden worden wäre. Der gute Fürst machte freilich große Augen, weil er an der Wahrheitsliebe seiner Abgesandten keinen Zweifel haben konnte, wußte aber auch kein Mittel dieser Sache abzuhelfen, befahl also eine Quantität von diesem stachlichen Brotgewürz an das höchste geistliche Tribunal zu schicken, daß selbiges mit diesem eine Aufschließung dieser kitzlichen [179] Materie durch ihre Weisheit geben möchte. Aber diese wollten auch in dieser Sache keine Hand anlegen, weil es wider den allgemeinen Styl der reformirten Kirche sei, und sie überhaupt in einem ihnen unbekannten Geisterprozesse keine Schiedsrichter seien, und so ist denn unter schwerer Strafe verboten worden, von dieser ganzen Sache überhaupt zu sprechen oder auch die geringste Untersuchung deshalb anzustellen. Nachdem diese Comödie bereits die siebente Woche gespielt, hat sie entweder von selbst aufgehört oder ist durch Gegenmittel einer vielleicht noch stärkern Hexe vertrieben worden.

Fußnoten

1 S. Monatl. Unterred. Bd. III. S. 609 etc.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Die Marken. 196. Die Hexenriecherin und die Hexenstecknadeln. 196. Die Hexenriecherin und die Hexenstecknadeln. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-5B52-D