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An Charlotte von Stein

[Gosla]r, d. 6. [und 7.] Dez. 77.

Mir ists eine sonderbaare Empfindung, unbekannt in der Welt herumzuziehen, es ist mir als wenn ich mein Verhältniss zu den Menschen und den Sachen weit wahrer fühlte. Ich heise Weber, bin ein Mahler habe iura studirt, oder ein Reisender überhaupt, betrage mich sehr höflich gegen iedermann, und bin überall wohl aufgenommen. Mit Frauens hab ich noch gar nichts zu schaffen gehabt. Eine reine Ruh und Sicherheit umgiebt mich, bisher ist mir noch alles zu Glück geschlagen, die Lufft hellt sich aus, es wird diese Nacht sehr frieren. Es ist erstes viertel. ich hab einen Wunsch auf den Vollmond, wenn ihn die Götter erhöhren, wärs grosen Dancks werth. Ich nehm auch nur mit der Hälfte vorlieb. Heut wollt ich zeichnen,[192] ein lieblich Fleck, es ging gar nicht. Mir ists ein vor alle mal unbegreiflich, dass ich Stunden habe wo ich so ganz und gar nichts hervorbringe. – –

Ich drehe mich auf einem sehr kleinen aber sehr merckwürdigen Fleckgen Welt herum. Die kurzen Tage machen alles weiter. Und es ist gar ein schön Gefühl wenn von Plaz zu Plaz aus Abend und Morgen Ein Tag wird. – Schlafen thu ich ganz ohne Maas.

d. 7. Heute früh hab ich wahrhafftig schon heimweh, es mir als wenn mir mein Thal wie ein Kloz an gebunden wäre. Ich bin immer um unsre Gegenden. und treffe Sie vermuthlich da an. Es ist kalt und heitrer Himmel, heut will ich hier weg, und rücke Ihnen schon wieder einigermassen näher.

um 10 Uhr. Mir ist ganz wunderlich als wenn michs von hier wegpeitschte. Ich hab das Essen früher bestellt und will gleich fort. Adieu dieser Brief geht erst Morgen ab. Adieu.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1777. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6AB8-A