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An Dorothea von Knabenau

Der Morgenstern, der mir diese Tage aufgegangen ist, ward besonders deshalb freundlich begrüßt und höchlich gepriesen, weil er die purpurnen Blätter über mich ausschüttet, die Ihre zarten Fingerchen mir bestimmt hatten. Und nun will ich auch Ihnen ohne weiteres Zaudern und Sinnen sogleich für Ihre Güte danken, obgleich der große Weltstrom immer noch um uns braust und die hohe Fluth von Kaisern Königen und Fürsten unsere Gegend noch nicht wieder verlassen hat. In Erfurt machte man uns hoffen, Ihre theure Fürstinn würde sich auch daselbst einfinden; worauf ich mich lebhaft freute. Es ist nicht geschehen und nun muß ich mich damit begnügen, die Versicherung meiner Abhängigkeit und Verehrung in die Ferne zu senden.

Ältere Bekanntschaften und Freundschaften haben vor neuen hauptsächlich das voraus, daß man sich einander schon viel verziehen hat; nun scheint es, liebenswürdige Freundinnen, als wenn wir unser Verhältniß recht geschwind volljährig machen wollten. Mir war schon manches zu verzeihen; aber auch Sie wollen nicht zurückbleiben, Sie setzen mich in den Fall Ihnen auch Ihren letzten schönen bezaubernden Brief zu vergeben, da ich nicht geschwind finde, wie ich mich rächen soll.

[177] Als eine wahre Taschenspielerin und Tausendkünstlerinn sagen Sie mir voraus, daß Sie mich ärgern wollen. Sie lassen der Feder ganz natürlich ihren Lauf, ich folge mit den Augen und dem Herzen ihren Zügen, vergesse gutmüthig Ihre Drohungen und ärgere mich wirklich ehe ich's mich versehe. Da ich weiß, daß Ihnen dieses mein Bekenntniß Freude macht, so thue ich es gern; dafür werden Sie mir aber auch unsere verehrte Fürstin versöhnen, versöhnt erhalten und sie auf alle Ihnen mögliche Weise überzeugen, wie sehr ich von dem gnädigen Versprechen eines unschätzbaren Denkzeichens gerührt bin, das mir ungeachtet meiner Verirrungen werden soll.

Nach so viel Äußerungen von Freundlichkeit und Gnade, Liebenswürdigkeit und Güte die Ihr süßer Brief enthält, merke ich wohl, war es für unsere liebe künstlerische Freundinn eine schwere Aufgabe mich gleichfalls zu strafen und zu schonen, mich zu verletzen und zu heilen. Sie wählt also nach ihrer ungeduldigen Art den kürzeren Weg, nimmt ein doppelt erfreuliches Versprechen zurück und entreißt mir mit dürren Worten die Hoffnung, ein mit Sehnsucht erwartetes Bild zugleich mit einem schätzenswerthen Musterstück ihrer Kunst zu sehen.

Doch eben dieser Lakonismus belebt meine Hoffnung; denn ich vermuthe hinter dem ernsten Blick, den finstern Augenbrauen auch nur eine quälerische Schalkheit und lebe der festen Zuversicht, daß mir[178] von Osten (nicht aus dem Orient mit dem ich nicht in Verbindung stehe sondern von Löbichau) nach dem willkommneren Morgenstern nunmehr die Sonne der Gnade, Freundschaft und Liebe recht heiter durch die überhandnehmenden Herbstnebel durchbrechen werde.

Sie, meine freudespendende geliebte Freundinn, werden gewiß das Ihrige dazu beytragen. Erscheinen Sie mir ja bald, wie es schon zugesagt ist, und Sie sollen als die wohltäthigste aller Horen immerfort angebetet werden. Von meiner Seite will ich nicht verfehlen einiges zu senden, womit ich hoffe Ihnen willkommen zu seyn. Fahren Sie fort mir manches zu verzeihen, so wie auch dieses, daß ich durch eine fremde Hand schreibe. Wenn ich im Zimmer auf und abgehe, mich mit entfernten Freunden laut unterhalten kann und eine vertraute Feder meine Worte auffängt; so kann etwas in die Ferne gelangen. Mich hinzusetzen und selbst zu schreiben, hat etwas peinliches und ängstliches, das mir den guten Humor, ja ich möchte beynahe sagen die Vertraulichkeit lähmte. Rechnen Sie also auch diese Freyheit, die ich mir nehme, zu den Rechten der Monate und Jahre, die wir uns schon kennen sollten.

Ihr lieber Brief so oft ich ihn wiederlese, versetzt mich unmittelbar in Ihren Kreis und erregt in mir eine unendliche Sehnsucht. Schreiben Sie mir ja oft an [179] der Heiterkeit Ihres Wesens erfreue und die Leichtigkeit Ihrer Feder beneide.

Wie manches hätte ich Ihnen noch zu sagen und doch wollen wir dießmal das Blatt nicht umwenden. Daß ich der freundlichen Gnade, womit Ihre lieben Prinzessinen die Unterhaltung einiger Abende aufgenommen, noch recht lebhaft eingedenk bin, versteht sich von selbst; doch bitte ich es in meinem Namen auszusprechen und mich ihnen sowie der dritten durchlauchtigen Schwester, deren Fest ich leider versäumt, auf das angelegenste und anmuthigste zu empfehlen.

Weimar am 2. Jahrstag der Schlacht von Jena.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1808. An Dorothea von Knabenau. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6B57-D