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An Johann Gottfried Herder

[Straßburg, Sommer 1771?]

Es geht mir mit diesem Briefe, wie unfleißigen Knaben mit der Lection; sie fagen an zu lernen, wenn sie aufsagen sollen.

Die Post geht und hier ist Schäkespear. Es war mir leichter ihn zu haben, als ich glaubte; in einem Anfall von hypochondrischer Großmuth hätte mir mein Mann die Haare vom Kopf gegeben, besonders da es vor Sie war.

Hierbei kommt ein Brief von Jungen; der arme Mensch ! Alle Gleichnisse aus Weissens »Julie« von Mehlthau, Maifrost, Nord und Würmern könne die Landplage nicht ausdrücken, die Kästners Schlangenstab über den treuherzigen Jung gedeckt hat.

Ich sehe aus seinem Brief an Sie, mehr als aus unserem Gespräch über die Materie, wie aufgebracht er ist; eigentlich versichere ich Sie, Kästner ist in der Sache so zu Werke gegangen, daß ich ihn nicht schelten kann. Jung fühlt das freilich lebhafter als ich; hält das [256] für Satiren, was Indigitationen sind, und das für Handwerksneid, was Professorcritik ist.

Denn er hat nichts gethan, als er schickt ihm das Buch mit einem Briefe, worin er ihm weitläufig darthut, warum das Skarteckgen in Göttingen keinen Verleger finden konnte.

Ferner folgen einige Blätter Anmerkungen, worinnen 1) (daß ich recht ordentlich verfahre, wie Jung) Erstlich, sag' ich der Herr Professor das mystisch-metaphysisch-mathematische Unkraut des Jungianismi mit Gärtnershand aus diesem Ländchen gätet.

Dann die Unbequemlichkeiten des Instruments, die Vorzüge der Tabulae Sinuum auslegt, und mit Allegirung verschiedner Autoren schließt, deren ähnliche Erfindungen durch die Tabulas außer Mode gekommen sind.

Ich glaub Ihnen, da ich Jungs Brief gelesen hatte, diese Relation schuldig zu seyn.

Nachdem Sie fort sind, bin ich sein Heiliger, und ich habe mich recht aus dem innersten Herzen heraus gebrüstet, da ich meinen Namen, hinter dem Ihrigen mit einem so honorabeln Ein staffirt fand. Es ist das erstemal, daß ich dieses gelehrte Von vor meinen sechs Buchstaben sehe. Nun hab' ich doch zur Eruditionsbaronie die nächste Anwartschaft, ich meine die Multiplication meines edlen Selbst; Die Clodiusse, die Schüblern sollen sehen –

Adieu, lieber Herder, ich fange an närrisch zu werden. Behalten Sie mich lieb und es wird immer nur officium, nicht beneficium bleiben; denn Sie fühlen, wie lieb ich Sie habe.

[257] Herr Salzmann läßt Sie grüßen.

Noch was. Ich habe einen Specht ausgestopft gesehen. Das ist kein gemeiner Vogel.

Und ich bin, ganz wie ich bin, Ihr Freund

Am Tage, da Pegelow schrieb.

Goethe. [258]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1771. An Johann Gottfried Herder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6BB0-1