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An Moritz von Dietrichstein

Hochgeborner
Hochzuverehrender Herr Graf.

Ew. Hochgeboren haben mir durch die übersendeten Lieder sehr viel Freude gemacht, und ich hoffe, daß Herr von Genz meinen vorläufigen Dank wird gefälligst abgetragen haben. Seit fünf Wochen befinde ich mich in Carlsbad, nicht ohne Hoffnung mich Ew. Hochgeboren persönlicher Bekanntschaft bey einem längern Aufenthalt in Böhmen vielleicht irgendwo zu erfreuen.

Da ich aber gegen Erwarten dießmal gleich wieder nach Hauß zurückkehre, so verfehle ich nicht, vorher meine Erkenntlichkeit selbst auszusprechen.

Ohne daß ich im Stande bin ein Kunsturtheil über jene Compositionen zu fällen, darf ich doch soviel sagen, daß mir sowohl ihre Anmut als eine gewisse Eigenheit des Charakters sehr viel Vergnügen gemacht hat. Es gibt zu interessanten Betrachtungen Anlaß, wenn man sieht, wie der Componist, indem er sich ein Lied zueignet und es auf seine Weise belebt, der Poesie eine gewisse Vielseitigkeit ertheilt, die sie an [113] und für sich nicht haben kann; woraus denn erhellt, daß etwas Einfaches und beschränkt scheinendes, wenn es nur wirksam ist, zu den mannigfaltigsten Productionen Anlaß geben kann. Sehr angenehm würde es mir seyn, diese Lieder von dem Componisten selbst oder in seiner Gegenwart vorgetragen zu hören, weil sie dadurch gewiß nur gewinnen können.

Indessen haben unsere Sänger und Musiker sie mit viel Liebe und Aufmerksamkeit behandelt und mir dadurch manche vergnügte Stunde gemacht. Der ich in der angenehmen Hoffnung Hochdenenselben irgendwo einmal zu begegnen, mich mit der vollkommensten Hochachtung zu unterzeichnen die Ehre habe.

Ew. Excellenz

Carlsbad

ganz gehorsamster Diener

den 23. Juny

J. W. v. Goethe.

1811.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1811. An Moritz von Dietrichstein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6BEB-0