5/1453.

An den Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha

Durchlauchtigster Herzog,
Gnädigster Herr.

Eben erhalte ich von dem iungen Tischbein einen Brief, den ich in Abschrift beilege, weil das Original nicht ganz orthographisch und leserlich geschrieben war. Mich rührt der Zustand des Menschen, und ich überlasse [313] mich denen Gedanken über ihn um so lieber, da die Gnade von Ew. Durchl. mich hoffen läßt, ihn künftig glücklich zu sehn. Ich bin völlig überzeugt, daß er jede Unterstützung verdient, und es war mir nie deutlicher, wie hohl und eitel der ganze caffelische Kunst- und Alterthumskram sei, als in dem Augenblicke, da ich den Werth dieses verschmähten Zöglings erkenne.

Die Portraits, deren der Brief erwähnt, stehen bei mir und sind das beste Zeugniß, was er ist und was er werden kann, wenn man das Bekenntniß, das er von sich ablegt, und den Gesichtspunkt, woraus er sich betrachtet, mit dazu nimmt. In wenigen Tagen werden diese Bilder nachfolgen und für sich selbst sprechen. Wollten mir nunmehr Ew. Durchl. einen Vorschlag erlauben, so hielte ich für das Rathsamste, wenn man ihn kommen ließe. Durchl. könnten alsdann verschiedene Portraits von ihm fertigen lassen und ihn gegenwärtig beurtheilen.

Sodann würde ich bitten, mir ihn auf einige Zeit herüber zu geben, ich wollte ihn in meinem Hause aufnehmen, ihn Verschiedenes zeichnen und malen lassen, und mit meinem besten Dichter- und Künstlersegen weiter befördern. Ich brenne für Verlangen, ihn über gewisse Sachen zu sprechen, um ihn auf diejenigen Theile der Kunst zu weisen, die ich, nach Anleitung der größten Meister, für die wesentlichen und höchsten zu halten genöthigt bin.

[314] Zu allem Vergnügen, das Ew. Durchl. durch diesen jungen Mann bevorsteht, der nach seiner Kunst und seinem Herzen ein wahrer Schatz ist, wünsche ich zum Voraus Glück, und ich bin versichert, daß auf diesen Eckstein, den die Bauleute verworfen haben, Ew. Durchl. eine wohlgegründete Schule aufrichten werden.

Die Liebe und Freundschaft, womit mein gnädigster Herr Ew. Durchl. zugethan ist, hält ganz allein den kleinen Neid zurück, der bei diesem Anlasse beinahe hervorsprießen möchte.

In Erwartung fernerer Befehle unterzeichne ich mich

Ew. Durchl.

Weimar,

unterthänigster

den 22. Apr. 1782.

Goethe.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1782. An den Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6C76-E