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An Sophie von La Roche

[Frankfurt, 20. November 1774.]

Ich antworte Ihnen gleich liebe Mama. Ihre Max hab ich in der Komödie gesprochen den Mann auch, er hatte all seine Freundlichkeit zwischen die spizze[204] Nase und den spizzen Kiefer zusammengepackt. Es mag eine Zeit kommen da ich wieder ins Haus gehe. Das Meer verlangt Feigen! sag ich noch iezzo, und lasse mich davon.

Lavater wird die Porzellan Fabrique bezahlen, und zu ruhigerer Zeit wollen wir rechnen. Heut schlägt mir das Herz. Ich werde diesen Nachmittag zuerst den Oel Pinsel in die Hand nehmen! – Mit welcher Beugung Andacht und Hoffnung, drück ich nicht aus, das Schicksaal meines Lebens hängt sehr an dem Augenblick, es ist ein trüber Tag! Wir werden uns im Sonnenscheine wiedersehen. – Hier ein kurzes Rezipe für des werthen Baron v. Hohenfelds Griechisches Studium! »So Du einen Homer hast ist's gut, hast du keinen kauffe Dir den Ernestischen da die Clärckische wörtliche Uebersezzung beygefügt ist; sodann verschaffe Dir Schaufelbergs Clavem Homericam, und ein Spiel weisse Karten. Hast Du dies beysammen so fang an zu lesen die Ilias, achte nicht auf Accente, sondern lies wie die Melodey des Hexameters dahinfliest und es Dir schön klinge in der Seele. Verstehst Du's; so ist alles gethan, so Du's aber nicht verstehst, sieh die Uebersezzung an, lies die Uebersezzung, und das Original, und das Original und die Uebersezzung, etwa ein zwanzig dreisig Verse, biss Dir ein Licht aufgeht über Construcktion, die im Homer reinste Bilderstellung ist. Sodann ergreife Deinen Clavem wo Du wirst Zeile vor Zeile die Worte analisirt [205] finden, das Praesens und den Nominativum, schreibe sodann auf die Karten, steck sie in Dein Souvenir, und lerne dran zu Hause und auf dem Feld, wie einer beten mögt, dem das Herz ganz nach Gott hing. Und so immer ein dreisig Verse nach dem andern, und hast Du zwey drey Bücher so durchgearbeitet, versprech ich Dir, stehst Du frisch und franck vor Deinem Homer, und verstehst ihn ohne Uebersezzung Schaufelder und Karten.« Probatum est!

Im Ernst liebe Mama, warum das alles so und so, und just Karten seyn müssen. Nicht untersucht ruft der Artzt! Warum muss das eben Nesseltuch seyn worin das Huhn gestoft wird. Sagen Sie dem hochwürdigen Schüler zum Troste, Homer sey der leichteste Griechische Autor, den man aber aus sich selbst verstehen lernen muss.

Empfehlen Sie mich Hrn. Geheimderath – Kommen kann ich nicht – Auch ists besser, Sie haben Friz allein –

Gerne gar gerne mögt ich Hrn. v. Hohenfeld sprechen und das bey Ihnen, und weil ich's wünsche wird's auch wohl geschehen.

Grus an Lolo, die kleinen, Trossen und Cordel. Klopstock ist ein edler grosser Mensch über dem der Friede Gottes ruht! –

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1774. An Sophie von La Roche. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6DF4-C