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An August von Goethe

Carlsbad den 3. Juni 1808.

Deinen Brief vom 23. May überreichte mir der PostSecretär heute früh als ich nach dem Brunnen ging. Er war mir um so angenehmer, als ich wirklich[70] seit einigen Tagen briefdurstig bin: denn außer einem laconischen Blatt von der Mutter und einem Leipziger Brief von Cotta habe ich die ganze Zeit meines Hierseyns von Freunden nichts weiter vernommen. Seit dem 15. Vorigen Monats sind wir hier. Ich befinde mich sehr Wohl, besser als seit langer Zeit, und besteige die Berge wie ehedem. Der größte Teil der Wege und Promenaden ist schon durchgemacht, sogar habe ich den drey Kreuzberg erstiegen.

Du kannst dir denken daß der Frühling in Carlsbad besondere Reize haben muß, vorzüglich der dießjährige bey so gar schönem Wetter. Die blühenden Bäume und des junge Gelbgrün zwischen und vor den alten grauen Felsen, der finstern Fichtenwäldern, machten sich sehr gut. Nun aber ist alles abgeblüht und alles macht schon eine ernsthaftere Sommermiene.

Die Wände unserer Zimmer, die du noch weiß gekannt hast, sind recht freundlich in bunte Felder abgetheilt und mit lustigen Einfassungen versehen. Dabey will ich sogleich einer Zimmerverzierung gedenken, die wir dieser Tage im Hause des Amtmanns gesehen haben. Dem Geschmack derselben im Ganzen muß man etwas Willkührliches und wenn du willst, Fratzenhaftes nachsehen; aber die Behandlung des Einzelnen ist das vorzüglichste was ich in dieser Art gesehen habe, viel besser als du dich's aus Bolza's [71] Zimmern erinnerst. Besonders sind die Musseline Points, Spitzen und dergl., der Taft, sodann Gefäße von möglichen und unmöglichen Metallen mit so außerordentlichem Effect gemalt, daß man sich nicht satt sehen kann. Ein paar Prager Decorateurs haben es gemalt, die eine außerordentliche Practik haben, aus deren Sicherheit auch die Sicherheit des Effects entspringt.

Anfangs fanden wir nur die Carlsbader Einwohner. Mit den wenigen Gästen hab ich kein Verhältniß. Die schöne kleine Frau und Mattoni erkundigten sich nach dir. Der dicke Hühner Mönch im blauen Hechte füttert noch immer seine Untergebenen; wenn er sie aber uns aufopfert, läßt er sie teuer bezahlen. Er nimmt für ein kleines gebratnes Huhn zwey Kopfstücke.

Im Ganzen sind die Preise etwas gestiegen, seit vorm Jahre. Das kommt aber daher, weil das Papier wieder gefallen ist. Wir erhalten für 100 Gulden Sächs. 216 fl. Banknoten.

Mehrere Gäste kommen nach und nach an. Schon stehn 73 Partien in der Liste. Die Gesellschaft verspricht sehr zahlreich zu werden; auch sind schon einige Reitpferde hier die dir Lust machen würden.

Der Sprudel jedoch nimmt sich gegen die herbeyeilenden Gäste nicht zum höflichsten und macht im Gegentheil denen zu diesem Amte bestellten Bauherrn viele Händel; nicht allein, daß er an der Stelle, wo [72] du den Ausbruch vorm Jahre sahst, aus dem Flusse selbst noch stark hervorquillt, so hat er sich auch unter der Sprudelbrücke nach dem Gäßchen zu das auf den Markt führt, unter den freylich durch die Länge der Zeit verfaulten Brettern und Balken, gewaltsam hervorgewühlt und man ist mit Sandsäcken, Moos, Balken, Keilen, Steinen, Klammern und sonst beschäftigt ihn wieder zum schweigen zu bringen. An seiner eigenen Stelle sprudelt er gegenwärtig nicht hoch; doch giebt er immer noch Wasser genug.

Wir leben nach unserer alten Weise still und fleißig, in allem etwas mäßiger als vorm Jahre, besonders auch was den Wein betrifft; wobey mir denn lieb ist, aus deinem Briefe zu sehen, daß du dich auch vor diesem so sehr zur Gewohnheit gewordenen Getränk in Acht nimmst, das mehr als man glaubt einem besonnenen heitern und thätigen Leben entgegenwirfst.

Eben so lobe ich, daß du nur wenige Stunden besuchst. Es kommt beym Studiren alles darauf an, daß man über das, was man sich zueignen will, Schritt vor Schritt Herr bleibe. Sobald einem das Überlieferte über den Kopf wächst; so wird man entweder dumpf oder verdrießlich, und kommt gar zu leicht in Versuchung alles abzuschütteln.

Daß auch deine Studien einen Historischen Gang nehmen ist mir sehr angenehm. Zu erfahren wie die Zustände nach und nach auf eine irdisch menschliche[73] Weise herangekommen, was verloren gegangen, was geblieben, was fortwirkt ist so belehrend als erfreulich, und die Jugend, die das Glück hat, das Vergangene auf diese Weise zu ergreifen, anticipirt das Alter und bereitet sich ein heiteres Leben. Das Allgemeine giebt sich auf diesem Wege von selbst: denn in dem irdischen Kreise ist denn doch alles wiederkehrend.

Daß du deiner eignen Natur nach auf diesem Wege bleiben wirst ist mir sehr erfreulich, da ich nicht zu befürchten habe, daß du dich auf die philosophischen und religiosen Fratzen einlassen möchtest, welche jetzt in Deutschland sogar manchen guten Kopf verwirren und doch zuletzt auf nichts als auf einen abstrusen Selbstdünkel hinausführen. Lebe besonnen und vergnügt auf dem Segmente der Erdkugel wo dich dein gutes Geschick hinführt. An Spiralen und noch wunderlichern Linien ist ohnehin kein Mangel.

Empfiehl mich Herrn Hofrath Thibaut vielmals und danke ihm auf das beste in meinem Namen. Es gehört auch mit unter die Wirkungen deines Glücksterns, daß du durch einen so gründlichen und angenehmen Lehrer in das academische Wesen eingeleitet wirst.

Hast du ihn noch nicht hören auf dem Pianoforte spielen, so siehe, daß du dazu gelangst. Du wirst ihn auch auf diesem Instrumente bewunderns- und liebenswürdig finden.

Frage doch nach ob etwa künftigen Winter über[74] Spittlers Entwurf der Geschichte der europäischen Staaten gelesen wird. Es ist dieses Werk neu abgedruckt und von unserm Sartorius gar trefflich bis auf die neusten Zeiten fortgesetzt worden. Ein solches Collegium würde dich in die neuere Weltgeschichte einführen, dir einen Begriff der verschiedenen Regierungsformen geben und die frühern wunderlichen und jetzt höchst seltsamen Verhältnisse der europäischen Staaten zu einander deutlich machen, und würde dir im Verfolg der alten Staatengeschichte recht nützlich seyn.

Auch ohne mein Ermahnen wirst du fortfahren in der Gegend Entdeckungswanderungen zu machen. Die guten academischen Jahre auch in einer herrlichen Gegend und merkwürdiger Nachbarschaft zuzubringen, ist ein Glück das ich nicht genossen habe, da ich drey Jahre in dem steinernen, auf der Fläche wo nicht im Sumpf doch am Sumpfe liegenden Leipzig zubrachte. Wenn die Früchte nun hinter einander reif werden; so wirst du auch dieser Segensfülle mit Dank genießen.

Von Bergern ist es recht freundlich, daß er dich besuchte. Sein Recept lag nicht bey; auch bedarf ich dessen jetzt nicht und hoffentlich überhaupt nicht mehr. Wer weiß wo du diesen ewig wandernden Halbstudenten noch irgend einmal wieder antriffst, wobey ihr euch denn freylich manches früh zusammengenossenen Guten und Lustigen erinnern könnt.

Gedenke meiner im Vossischen Hause und danke unserm Professor schönstens für den Brief an Riemer, [75] der uns auch manches löbliche von dir erfahren läßt. Er soll mir doch auch ja bald schreiben: denn hier in der Einsamkeit thut ein freundschaftliches Wort von außen gar wohl.

Da noch Raum üblich ist, so will ich noch einiges Carlsbadische hinzufügen. Prochaska ist nicht mehr hier. Man hat ihm die erste Kreis Commissairstelle in Eger gegeben, wo er denn auch nach seiner Weise im Aufräumen begriffen ist. Der neue heißt Hoch, der von Prag für die Curzeit zur Inspection herkommt. Ich bin neugierig, ob er sein Amt eben so gut führt. Bis jetzt sehen die Polizeydiener noch sehr schmutzig aus; die Kinder machen entsetzlichen Lärm, auf der Wiese ist noch kein Sand angefahren und bey den Brunnen und auf den Promenaden finden sich Bettler ein. Doch das alles wird anders werden, wenn das Kreisamt anrückt, welches in diesen Tagen von Elbogen herüber zieht.

Graf Bolza und sein goldnes Schild sind noch in völligem Glanze. Die Carlsbader jungen Frauen und Mädchen loben ihn sehr. Er hat diesen Winter ein Casino gehalten, wozu die Männer, jeder monatlich 12 gr., die Frauen 8 gr. unsres Geldes beytrugen. Wöchentlich war zweymal Ball und sie waren recht vergnügt, bis es sich zuletzt auf eine kleinstädtische Weise mit Zank der Frauen und mit Pasquillen endigte.

Der Steinschneider Müller ist in seinem 83. Jahre[76] frischer als je, und immer bey aller Witterung auf den Füßen. Von mehrern ältern dir bekannten Steinarten hat er wieder sehr schöne Exemplare zusammengebracht, weil er die Felder im Herbst und Frühjahr, eh' sie bestellt waren, sorgfältig abgesucht hat. Auch ist ihm manches neue unter die Hände gekommen, besonders sehr schöner Hornstein mit vegetabilischen Resten, die ich für eine Art von Farrenkräutern ansprechen muß. Die Höhlungen in denen manche Stängel saßen gehen jetzt wie Kanäle durch den Hornstein durch und durch. Kennst du Jemand, dem mit solchen Dingen gedient wäre; so wollte ich von dem bedeutendsten etwas zusammenmachen. Hätte er meinen Aufsatz gesehen, so dürfte er nur die Nummern bezeichnen, an denen ihm vorzüglich gelegen wäre. Der Aufsatz steht im Leonhardischen Taschenbuch, das gewiß in Heidelberg ist.

Die Chaussée gegen Eger zu ist um ein gutes Stück gewachsen. Die von Prag her steht noch auf der Stelle über dem Wirtshause still, wo du sie gelassen hast. Die letztere bleibt ein herrlicher Spaziergang, besonders Abends, wenn die Sonne untergeht. Am meisten aber bin ich doch auf dem Chotekischen Wege zu finden, der mir beym Gebrauch des Schloßbrunnens zunächst und am bequemsten liegt. So sehr man auch die Gegend kennt, so wird man doch immer durch ihre bedeutende Mannigfaltigkeit überrascht. Sie kommt mir jetzt vor, wie ein höchst interessantes Mährchen,[77] das man oft gehört hat, und nun wieder vernimmt. Die Verwunderung ist abgestumpft; aber man fährt doch immer fort zu bewundern und man weiß nicht recht, wie einem zu Muthe ist.

Das Wetter war die Zeit her anhaltend schön; Gewitter und Regen nur vorübergehend und oft ganz heitere wolkenlose Tage.

Außer mancherley Arbeiten, die wir schon vollbracht und angefangen, haben wir Cicero's Briefe, übersetzt von Wieland, Spittlers Geschichte der europäischen Staaten und Friedrich Schlegel über Sprache und Weisheit der Indier gelesen.

Frau von Stael hat mich nach Dresden eingeladen, wo sie sich in diesen Tagen aufhält; ich konnte aber aus mehrern Ursachen diesem Ruf nicht folgen. Nun weißt du so viel von uns als wenn du unmittelbar neben uns lebtest. Laß uns auch bald wieder von dir etwas vernehmen.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1808. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7062-8