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An Friedrich August Wolf

Da man eine Gelegenheit die sich darbietet, ein langes Schweigen zu unterbrechen, ja nicht aus der Hand lassen soll, so will ich einem jungem Manne der nach Berlin geht, ein Empfehlungs Schreiben an Sie verehrter Freund, nicht versagen. Sein Name ist Schopenhauer, seine Mutter die Frau Hofrath Schopenhauer, welche sich schon mehrere Jahre bey uns aufhält. Er hat eine Zeit lang in Göttingen studirt, und soviel ich mehr durch andere als durch mich selbst weiß, hat er sichs Ernst seyn lassen. In seinen Studien und Beschäftigungen scheint er einige Mal variirt zu haben. In welchem Fach und wie weit er es gebracht, werden Sie sehr leicht beurtheilen, wenn Sie ihm, aus Freundschaft zu mir, einen Augenblick schenken, und ihm sofern er es verdient, die Erlaubniß ertheilen wollen, Sie wieder zu sehen.

Ich würde das Nähere von ihm schreiben können, wenn er von Göttingen aus über Weimar nach Berlin ginge, wie ich anfangs glaubte, und mich hauptsächlich dadurch bewegen ließ, Madam Schopenhauer diesen Brief zuzusagen: denn ich wollte Ihnen wenigstens einen Theil der Bücher zusenden, die Ihnen gehören und deren Ich mich in Carlsbad bemächtigt habe. Die kleinen Schriften des Plutarch waren [171] gerade recht am Ort: sie unterhielten uns mehrere Wochen fast ganz allein, und ich habe mich so darein verliebt, daß Sie diese Übersetzung wohl schwerlich wiedersehen werden. Denn was sollte sie Ihnen auch, da das mir zugeschlossene Original Ihnen frey und offen steht. Ein paar Bändchen von dem Nachdruck der Wercke Ihres Freundes und ein paar andere, die mit Recht nicht einer Biene, sondern einer Hummel zugeschrieben würden, sollen Ihnen auf irgend eine Weise zukommen.

Was ich treibe, ist immer ein offenbares Geheimniß. Es freut mich, daß meine Farbenlehre als Zankapfel die gute Wirkung thut. Meine Gegner schmatzen daran herum, wie Karpfen an einem großen Apfel den man ihnen in den Teich wirft. Diese Herren mögen sich gebärden, wie sie wollen, so bringen sie wenigstens dieses Buch nicht aus der Geschichte der Physik heraus. Mehr verlang' ich nicht; es mag übrigens, jetzt oder künftig, wirken was es kann.

Zu Michaelis werden Sie mich auf einem wunderlichen Unternehmen ertappen. Ich sage davon weiter nichts, als daß ich's der Zeit ganz gemäß halte, das Faß in dem man gewohnt, auf und abrollen, damit man nicht müßig zu seyn scheine.

Aber warum ziehen Ihre Wolken nicht über uns her? Sind sie auch so hartnäckig, wie die Wolken des physischen Himmels, die uns ihre erquickliche [172] Gegenwart so lange entzogen? Wir hoffen darauf von einem Tage zum andern: lassen Sie uns nicht länger schmachten.

Überhaupt wäre es recht schön und freundlich wenn Sie die gegenwärtige Anregung nicht verklingen ließen, und mir einige Nachricht gäben, wie sie sich befunden, und was Sie auf Reisen und zu Hause merkwürdiges erlebt, auch was Ihre Universität für Hoffnungen giebt. Gar oft wünsche ich nur einige Tage vertraulichen Umgangs, um mich wohl im Leben als im Wissen, wie sonst wieder einmal gefördert zu sehen. Möge ich doch immer das Beste von Ihnen vernehmen. Was mich betrifft, so kann ich wohl sagen, daß meine körperlichen Zustände mich hindern nach meiner Art thätig zu seyn und den mäßigen Forderungen Genüge zu leisten, die ich und andre an mich machen.

Unser guter Wieland hat einen großen Unfall erlebt, wie Sie werden vernommen haben. Durch den Sturz eines Wagens ist er, bey seinen Jahren, über alle Erwartung. Der Fall an sich und die ihn begleitenden Umstände haben uns alle höchlich geschmerzt.

Nun, zum Ersatz, lassen Sie mich nicht lange ohne Nachricht, daß Sie vortrefflich befinden.

Weimar den 28. September 1811.

G. [173]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1811. An Friedrich August Wolf. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7253-7