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An Sulpiz Boisserée

Mit langen Intervallen sich freundlich zu schreiben ist wohl recht und gut, ja es läßt sich fast nicht anders thun. Dießmal aber, in ruhiger Stunde Ihr liebes Blatt erhaltend, fühl ich mich angeregt einiges, wie sonst, sogleich behaglich zu erwidern.

Ich will gestehen daß, bey meiner neuen Ausgabe, für mich, unter mancherlei Gutem, der größte Gewinn dadurch entsteht, daß ich zu meinen Freunden unmittelbar hinzutrete. Bedenk ich manchmal daß man gelegentlich ganze Strecken eines angenehm genutzten Lebens mit dem einen und dem andern tagtäglich, stundstündlich zusammen war und recht gätliche Fäden mit einander zwirnte; so will es fast seltsam erscheinen, wenn nachher ein jeder auf eigenen Weg, in besonderer Weise fortmühen und streben muß, ohne daß man sich auf irgend eine Weise berühre oder merke daß man einander angehöre.

[122] Daher denk ich bey allem was ich thue, treibe und dichte, wie das wieder einmal eben zu jenen Freunden gelangen möge; sagen sie mir's nun daß dieß gelungen sey, so ist es ein freudiges Ereigniß, ein geistiges Händereichen über eine ungeheure Kluft. Ich empfehle Ihnen auch in diesem Sinne das 23. Bändchen der Recensionen; ich komme mir selbst darin oft wunderbar vor, denn ich erinnere mich ja nicht mehr daß ich diesem oder jenem Werke, dieser oder jener Person zu seiner Zeit eine solche Aufmerksamkeit geschenkt; ich erfahr es nunmehr als eine entschiedene Neuigkeit und freue mich nur über die honette, treue Weise womit ich früher oder später dergleichen Dinge genommen.

Sie fragen nach dem wöchentlichen Blatte, das Ottilie redigirt; es ist von mehr Bedeutung als man glaubt für unsern Kreis; alles dichtet und will sich gedruckt sehen, auch haben wir manche Subjecte, Auswärtige und Einheimische um uns her, die gar wohl Anspruch darauf machen dürfen. Dieß ist nun für einen geselligen Kreisel ein gar artiges Abschnurren, gibt mehrfaches Interesse, erregt auch manchmal kleine Differenzien und was man zum geselligen Leben verlangt. Ich habe weder an dem Vornehmen noch an der Ausführung im geringsten Theil, sey aber gerne, theile sowohl eigne Kleinigkeiten, als Fremdes was mir zur Hand kommt, mit und so ist das neckische Volk mit schätzenswerther Beharrlichkeit schon bis zum [123] 38. Blatte gelangt. Das Blatt führt den Titel Chaos. Dabey ist gesetzlich: daß die Societät wenigsten in drey Sprachen sich in jedem Blatte müssen hören lassen. Deutsch, Französisch und Englisch ist das Herkömmliche, doch haben sich auch schon Italiänisch und die älteren Sprachen blicken lassen.

Gedenken Sie, mein Theuerster, Theil daran zu nehmen; so senden Sie irgend einen prosaischen Aufsatz, von allgemeinerem Interesse, der einige Quartspalten füllte, und Sie erhalten, wenigstens von dieser Ihrer Nummer an, nach und nach die Mittheilungen der folgenden, auch von der vorhergehenden, wenn noch Exemplare übrig sind. Denn es wurden im Anfang sehr wenige gedruckt, sodann wie sich die Gesellschaft vermehrte vermehrten sich die Abdrücke, daher kommt's daß wenig vollständige Exemplare sich finden möchten. Auch werden die einmal eingetretenen Theilnehmer wohlthun, wenn sie von Zeit zu Zeit durch neue Sendungen sich in Erinnerung bringen, weil sonst die Mittheilung der Nummernreihe stocken, wo nicht gar aufhören möchten. Dieses Wunderliche gehört zu dem Wunderlichen und Willkürlichen der ganzen Anstalt. Ein Hauptgesetz, was Ihnen doch beschwerlich seyn dürfte, ist: daß außer dem abgeschlossenen geselligen Kreise niemand auch nur ein Blatt vorgewiesen werden darf. Soviel von dem eigenthümlichen, aber in unserem kleinen Kreise wirklich bedeutenden und höchst unterhaltenden artigen Geschäfte.

[124] Mögen Sie Herrn Cornelius etwas Freundliches von mir ausrichten! Ich bin nicht sowohl wegen seiner, als wegen München überhaupt in Verlegenheit. Es kann Ihnen nicht unbekannt seyn wie unfreundlich man dort in sämmtlichen Tages- und Wochenblättern gegen mich und die Meinigen verführt; was wir denken ist nicht richtig, was wir empfinden falsch; loben wir so ist es nicht für hinreichend, tadeln wir nicht für gegründet zu achten. Freylich sollte es mir leid thun, wenn ich mein Leben zugebracht hätte um zu denken wie der Augsburger Kunst- und Literaturblätter und ich verzeihe ihnen gern jede Feindseligkeit, weil sie ja auch nach ihrer Art leben, wirken und gelten wollen. Aber mir wird man gewiß beystimmen, wenn ich fest entschlossen bin, kein Urtheil über irgend ein Kunst-und Dichtwerk, was dort entsprungen ist, dahin zu äußern und zu erwidern. Ehrfurcht und Dankbarkeit gegen Ihro Majestät den König fordert von mir daß ich bey den Unarten der Seinigen schweige, welches ich um so leichter kann als ich sie ja nur zu ignoriren brauche. Verzeihen Sie mir diese Äußerung, Ihnen aber bin ich sie schuldig.

Dagegen kann ich Sie zu gleicher Zeit versichern daß ich mich thätig an Arbeiten halte, die Ihnen dereinst auch Freude machen sollen.

Dieses Blatt lag einige Tage, und wie ich's wieder vornahm überlegte ich ob ich's nicht zurückhalten sollte? Da aber hier nicht von einem vorübergehenden, sondern [125] einem bleibendem Mißverhältniß die Rede ist, welches im Einzelnen immer hervortreten wird, so scheint es mir doch wohlgethan mit einem so innigen Freunde hierüber zu sprechen.

Um nur bey diesem Fall zu bleiben, müßte man nicht rügen daß ein junger Kupferstecher nicht gleich auf den Irrthum aufmerksam gemacht wurde, dem er sich hingab: man könne ein solches Bild in der Art von Mark-Anton stechen. Mark-Anton ist Meister, aber nicht Muster für alle Fälle und Zeiten, er stach nur noch Zeichnungen, so wie die Mantuaner; was sie thaten ist Epoche, nicht Lehre. Auch dieß sind traurige Folgen des deutschen Rückschritts in's Mittelalter, an dem noch manches schöne Talent verkümmern wird. 1830 wird gefordert, was Longhi, Anderloni und Toschi leisten. Haben Sie, mein Freund, die Probedrücke vom Spasimo di Sicilia gesehen? Mehr kann ich nicht sagen, ist das vielleicht zu viel. Secretiren Sie es und brauchen es zum allgemeinen Frieden. Ich habe jetzt die Hauptlebenspuncte der Kunst, Literatur, der Wissenschaft im Auge. Berlin, Wien, München, Mailand beschäftigen mich besonders. Paris, London und Edinburg in ihrer Art. Die Einzelnen wissen durchaus nicht woran sie sind; es wäre aber schlimm wenn ich mir, durch mein vieljähriges Mühen, nicht sollte ein vielseitige Aussicht nach den verschiedenen Himmelsgegenden erworben haben, die ich um so reiner bewahren kann als ich sie nur mir selbst zu nutzen suche.

[126] Verzeihung allem diesem, ich sende es fort, ohne zu wissen das ich wohl thue.

Und noch mit etwas Merkantilem zu schließen: ich werde mit Herrn Helbig die Angelegenheit besprechen und Ihnen alsdann das Geld senden; diese Leistungen werden nach dem Tode unsres höchstseligen Herrn meiner Casse zugemuthet.

Alles Liebe und Gute! Hiebey ein paar Blätter zum Andenken.

Und nun scheint es denn wirklich daß dieser Brief nicht endigen solle, da mir beygeht daß ich Sie noch zu bitten habe: mir ein halb Ries des bewußten braunen Papiers zuzusenden. Wollten Sie es in ein Kästchen, gegen Nässe wohl verwahrt, einpacken lassen und solches auf die fahrende Post geben, so erhalt ich solches ungesäumt und bezahle diese Schuld, mit der andern, dankbar und gern.

Weil wir aber so weit sind, und weiß Papier, wie leere Zeit, zu Mittheilung anregt; so will ich noch einiges längst Versäumtes nachbringen. Ich besitze eine kleine Zeichnung, den Anblick vorstellend [wo der Engel] die drey schlafenden weisen Könige im Traume anmahnt einen andern Weg zu ziehen. Sie mag aus dem Ende des 17. Jahrhunderts seyn, ich wüßte sie keiner besondern Schule zuzueignen; aber sie ist ganz allerliebst gedacht und mit leichter Hand ausgeführt. Ich wollte sie Ihnen schon längst durchgezeichnet zuschicken und fragen: ob Ihnen dieser Gegenstand [127] schon irgendwo ausgeführt vorgenommen, damit man vergleichen könnte.

Ferner ist mir ein alter Holzschnitt zu Handen gekommen, den heiligen Christoph vorstellend, wie er bey'm Anlanden von der heiligen Last dergestalt an's Ufer gequetscht wird daß er sich kaum zu retten weiß, indeß ihn das Kind freundlich segnet. Die Stellung grenzt an Carricatur, ist aber ganz ernst genommen und hat mich, als eine neue dem Gegenstand abgewonnene Seite, sehr ergötzt.

Zu meinen Medaillen aus dem 15. Jahrhundert hab ich ein wichtiges Stück erhalten; Sie erinnern sich daß Mahomet II. nach Eroberung von Constantinopel italiänische Künstler dahin kommen ließ um sein Bildniß zu verfertigen. Diese Medaille, in Bronze gegossen, ist nach der Inschrift von Bartholdus, einem berühmter Florentiner, reichliche vier Zoll im Diameter und von unschätzbar gemüthlicher Arbeit; der Tyrann in Profil, stattliche Züge aber den tristest-innigen orientalischen Ausdruck des Auges! Auf der Rückseite führt ein Triumphwagen Asien, Trapezunt und Griechenland heftig mit sich fort. Übrigens sehr gut erhalten. Wo so ein Werk sich mag herumgedreht haben bis es doch endlich zu mir kommen mußte.

Ich will nicht untersuchen, ob dieser zu seiner Zeit geschickte und berühmte Künstler mit in Constantinopel gewesen, oder ob er sein Porträt nach mitgebrachten Originalzeichnungen anderer gefertigt, genug der Ausdruck [128] ist erfreulich-unmittelbar und man genießt gern des Anblicks wie es vorliegt.

Noch hätt ich viel zu sagen aber zum Schlusse

das herzlich-treuste

Lebewohl.

Weimar den 3. Juli 1830.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1830. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7449-F