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An Carl Friedrich Zelter

Auf das Publicandum habe nichts zu erwidern. Leider erneuert sich dabey der alte Schmerz, daß man diesen vorzüglichsten Mann, bis in sein fünf und vierzigstes Jahr, sich selbst, dem Herzog von Weimar und seinem Verleger überließ, wodurch ihm eine, zwar mäßige, aber doch immer beschränkte Existenz gesichert war und ihm erst einen breitern Zustand anzubieten dachte, der ihm früher nicht einmal gemäß gewesen wäre, nun aber gar nicht mehr in Erfüllung gehen konnte.

Hiebey werde ich veranlaßt dir etwas wunderliches zu vermelden und zu vertrauen; daß ich nämlich, nach einer strengen schnellen Resolution, alles Zeitungslesen abgeschafft habe und mich mit dem begnüge, was mir das gesellige Leben überliefern will. Dieses [43] ist von der größten Wichtigkeit. Denn genau besehen ist es, von Privatleuten, doch nur eine Philisterey, wenn wir demjenigen zuviel Antheil schenken was uns nichts angeht.

Seit den sechs Wochen daß ich die sämmtlichen französischen und deutschen Zeitungen unter ihrem Kreuzband liegen lasse, ist es unsäglich was ich für Zeit gewann und was ich alles wegschaffte.

Die letzten Bände meiner Werke sind nun in den Händen und Drucker, die nöthigsten Briefe und Antworten sind fast alle beseitigt. Und dann darf ich dir wohl in's Ohr sagen: ich erfahre das Glück, daß mir in meinem hohen Alter Gedanken aufgehen, welche zu verfolgen und in Ausübung zu bringen eine Wiederholung des Lebens gar werth wäre. Also wollen wir uns, so lange es Tag ist, nicht mit Allotrien beschäftigen.

Hab ich schon gesagt daß das Paquet der Briefe von 1829 glücklich angelangt und unter der Feder ist?

Ein wackerer Mann Dr. Lautier hat mir ein Büchlein zugeschickt, dabey ein Heft und einen erläuternden Brief, woraus ich wohl ersehen kann daß der Gute sich auch mit Problemen, womit sich die Welt seit ihrem Besonnenwerden beschäftigt, tüchtig herumgefochten hat. Da er sich auf dich beruft so grüß ihn zum schönsten.

Leider darf ich mich gegenwärtig mit Abstractem nicht abgeben, des Concreten liegt mir soviel auf, daß [44] es meine Schultern und Kniee kaum fortschleppen. Es ist nichts natürlicher als daß ein solcher Mann, der, auf seine eigne Weise, in die zu erforschenden Tiefen eindringen will, sich eine eigne Sprache machen muß. Diese zu verstehen wird nun für einen andern im Anfange ein mühsames Geschäft, ob es gleich in der Folge lohnt wenn das Glück gut ist.

Nun aber habe die Gefälligkeit und sende mir das allerrealste Werk von der Welt, den Adreßcalender für die königlichen Haupt- und Residenz-Städte Berlin und Potsdam, die neuste Ausgabe, welche zu haben ist. Ich komme denn doch manchmal mit dortigen Behörden in Verhältniß und möchte, nach wohlbesorgtem Inhalt meiner Briefe, doch auch an den zu beachtenden Äußerlichkeiten es nicht fehlen lassen.

und so fortan!

Weimar den 29. April 1830.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1830. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-76F1-7