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An Carl Friedrich von Reinhard

[12. März 1830.]

Durch Ihre geneigte Vermittelung, verehrter Freund, bereitet sich Demoiselle Jacobi nach Paris zu gehen, und ich gedenke dabey heut an meine Sünde, so lange eine Antwort schuldig geblieben zu sehn.

Hiernächst habe ich also zu gestehen, wie ich, seit dem neuen Jahre, mich für insolvent erklären müssen und meine Freunde zu bitten habe, mir einen billigen Accord auf geringere Procente nicht zu versagen.

Zur Entschuldigung möge dienen: daß die letzte Lieferung meiner Werke zu Ostern in den Druck gebracht werden soll, daß Arbeiten bisher zurückgeschoben, nunmehro unvermeidlich herandringen; wozu denn noch der unglückliche Fall unsrer Frau Großherzogin-Mutter sich gesellte, der uns in banger, immer wachsender Sorge schwebend hielt und zuletzt in höchst peinliche Trauer versetzte. Ein solcher geistlähmender Zustand wird nun noch Geschäftliches hervorthut, und so manches im Alltagsleben und Thun gefordert wird, [268] daß man zuletzt nicht mehr weiß, ob man sich noch selbst angehört.

In bedeutender Anzahl liegen die seit einem Vierteljahr angekommenen Briefe, zwar in guter Ordnung geheftet, aber eben deßwegen als eine desto bedrohlichere Schuldenmasse, aus der man sich nicht retten kann, ohne, wie schon gesagt, seine Insolvenz zu erklären.

Wenn ich daher der freundlich anfragenden Dame nicht geantwortet, so werden Sie die Güte haben, auch diese zum Concurs einzuladen. Zuerst lag mir das Hinderniß einer schicklichen Erwiderung in dem Zweifel: was ich etwa den dieser Gelegenheit zu sagen hätte, und dann kam noch die Forderung der französischen Sprache hinzu, vor der ich, wenn vom Schreiben die Rede ist, immer zurückweiche. Bedenk ich nun, daß seid sechzig Jahren Übersetzer, Extrahenten und sonstige Nachbilder meiner Arbeiten sich ganz nach Belieben bedienen, ohne daß ich deßhalb weder abnoch zurathen können, so fühl ich mich ermuthigt, den verehrten Freund auf's dringendste zu bitten: auch hier sein Bestes zur Ausgleichung zu thun.

Demoiselle Jacobi geht ungefähr ab wie sie gekommen ist. Die Natur gab ihr klare Einsicht in die Persönlichkeiten und sonstige Verhältnisse der weltlichen Dinge, dabey ein festes Beharren auf sich selbst und ihren Begriffen; dagegen aber versagte sie ihr alle Anlage zu einer liebevollen Nachsicht, wodurch [269] man geneigt wird sich in andere zu schicken, daher sie denn wohl zu dulden nicht aber sich zu fügen weiß. Ich habe ihr in den letzten Tagen ihren Zustand deutlich zu machen gesucht, das mag gelungen seyn; wo aber soll die Sinnesänderung herkommen, von der ganz allein für die Zukunft einige Hoffnung zu fassen wäre. Möge sie die Vortheile nicht verscherzen, welche die ihr angekündigte Situation anbietet und verspricht.

Nun aber habe ich auch mich vorzüglich zu erfreuen, daß mein Bild, durch David aufgestellt, Ihre Zustimmung erhalten hat; es muß mir höchst erwünscht um der Sache, um des Manns willen seyn, der, wie natürlich, großen Werth auf Ihr Zeugniß legt und sich dessen höchlich rühmt. Ein solches Unternehmen muß gelingen, wenn man es billigen soll; eine weite Reise, eine Arbeit in großem Maßstab, viel verwendet Zeit, schwieriger und gefährlicher Transport und was sonst für Chancen dazwischen traten und treten können, das alles verdient als Lohn die Zustimmung der Einsichtigen und den Beyfall der Menge.

Höchst geschickt und gewandt ist unser Künstler auch im Kleinen, dies bezeugen eine Anzahl Medaillons, die er mir eben sendet. So viele oft genannte und gerühmte Menschen, in ihren wohlempfundenen Individualitäten porträtirt, vor sich zu sehen, ist höchst erfreuend und belehrend.

[270] Ihrer Frau Tochter hab ich nur mit Bedauern zu er wähnen: die hiesige Lage konnte ihr freylich keine Zufriedenheit geben, kaum wird sie solche anderswo finden. Vermuth ich richtig, so ist die Trennung von ihrem Gemahl ihr das Peinlichste.

Gegenwärtiges dachte ich Demoiselle Jacobi mitzugeben, doch verzieht sich ihre Abreise, und ich sende es voraus. Gedenken sie mein, verehrter Mann, in alter Liebe und Freundschaft. Empfehlen Sie mich der Frau Gemahlin auf's beste, und so darf ich wohl zum Schluß hinzufügen: wie ich mit aufrichtigem Antheil vernehme, daß Ihr Herr Sohn, an seiner bedeutenden Stelle, sich verdiente Gunst bey seinen Vorgesetzten zu erwerben weiß.

and so for ever!

Weimar den 11. März 1830.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1830. An Carl Friedrich von Reinhard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7A53-D