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An Christian Heinrich Schlosser

[Concept.]

[23. Januar 1815.]

Auf Ihren lieben Brief will ich gleich etwas erwidern, um auch ein älteres Blatt flott zu machen, das schon längst für Sie daliegt; fahren Sie ja fort, unser wechselseitiges Wircken immer lebendig zu erhalten!

Für Ihre Äußerungen über die beyden bewußten Bücher sage ich verbindlichsten Dank, und bewundere den ruhigen, scharfen Blick, mit dem Sie, auch noch in solchen mitunter stürmischen Halbfinsternissen, umherschauen. Aufrichtig gesagt so haben Sie mir erst den Sinn dieser Arbeiten aufgeschlossen: denn ich verhalte mich gegen solche Geistesproducte völlig wie ein gemeiner Leser; was mich anmuthet, eigne ich mir zu, und erbaue mich daran in meinem Sinne; das Übrige lasse ich liegen, als jenem Individuum, der Zeit und den Umständen wohl gemäß, obgleich mir nicht eingänglich.

[163] Was Sie mir über Ihr Verhältniß zu meiner Art und Weise sagen, ist mir tröstlich und kräftigend: denn ich bin mir bewußt, daß Sie an dem Gebäude, das ich mir zur Wohnung auferbaute, keinen schroffen Abschluß, sondern, in Hoffnung der Zukunft, gar manche angebrachte Verzahnung (pierres d'attente) finden werden, wo Sie, da Ihnen Local und Nachbarschaft nicht mißfällt, Sich ohne weiteres, auch in Ihrem Sinne anschließen können.

Will jemand sich nach eigner Lust einen Platz wählen, so ist auch nichts dagegen zu sagen; soviel ist aber gewiß, daß, wenn sich die Garten-Besitzer um Frankfurt hätten vereinigen können, ihre Lusthäuser in reihen zu setzen, so würde es nicht leicht schönere Vorstädte geben.

Was ich aber jetzo beynahe ausschließlich beschäftigt, gesteh ich Ihnen am liebsten, da ich dabey mit Freude Ihrer gedenken kann. Ich habe mich nämlich, mit aller Gewalt und allem Vermögen, nach dem Orient geworfen, dem Lande des Glaubens, der Offenbarungen, der Weissagungen und Verheißungen. Bey unserer Lebens- und Studien-Weise, vernimmt man soviel von allen Seiten her, begnügt sich mit encyklopädischen Wissen und den allgemeinsten Begriffen; dringt man aber selbst in ein solches Land, um die Eigenthümlichkeiten seines Zustandes zu fassen, so gewinnt alles ein lebendigeres Ansehen.

[164] Ich habe mich gleich in Gesellschaft der persischen Dichter begeben, ihren Scherz und Ernst nachgebildet. Schiras, als den poetischen Mittelpunct, habe ich mir zum Aufenthalte gewählt, von da ich meine Streifzüge, (nach Art jener kleinen Dynasten, nur unschuldiger wie sie) nach allen Seiten ausdehne.

China und Japan hatte ich vor einem Jahre fleißig durchreist, und mich mit jenem Riesenstaat ziemlich bekannt gemacht. Nun will ich mich innerhalb der Grenzlinie der Eroberungen Timurs halten, weil ich dadurch an einem abermaligen Besuch im jugendlieben Palästina nicht gehindert werde.

Wenig fehlt, daß ich noch arabisch lerne, wenigstens soviel will ich mich in den Schreibezügen üben, daß ich die Amulette, Talismane, Abraxas und Siegel in der Urschrift nachbilden kann.

In keiner Sprache ist vielleicht Geist, Wort und Schrift so uranfänglich zusammengekörpert.


[Beilage.]

In diesen Tagen ist mir etwas besonders Vergnügliches begegnet. Ich wußte nämlich schon lange, daß Herr Staatsrath Schulz in Berlin, ein vorzüglicher Mann in jeder Rücksicht, meine Farbenlehre mit Neigung ergriffen und besonders den physiologischen Theil weiter bearbeitet, jedoch seine Bemerkungen nur notirt, und weil er erst noch weiter vorschreiten wolle, nicht redigirt habe. Nun hat er, auf mein [165] dringendes Ansuchen, die Sache, wie sie gegenwärtig vor ihm liegt, als ein gewandter Geschäftsmann, mit großer Klarheit darzustellen die Gefälligkeit gehabt, und Resultate sowohl als einzelne Erfahrungen zusammenzufassen und aufzuzeichnen. Es ist das erste Mal, daß mir widerfährt zusehen, wie ein vorzüglicher Geist, der nicht früher mit mir in Verbindung gestanden, meine Grundlagen gelten läßt, sie erweitert, darauf in die Höhe baut, gar manches berichtigt, supplirt und neue Aussichten eröffnet. Es sind bewunderns-und beneidenswerthe Apperçus und Folgerungen, welche zu großen Hoffnungen berechtigen.

Die Reinheit seines Ganges ist ebenso klar als die Ramification seiner Methode. Die größte Aufmerksamkeit auf sehr zarte, im Subject vorgehende Erscheinungen, Scharfsinn ohne Spitzfindigkeit, dabey große Belesenheit, so daß es nur von ihm abhängt, meinen historischen Theil höchst schätzbar zu bereichern. Wenn ich die Erlaubniß von ihm erhalte, den Aufsatz drucken zu lassen, so wird er gewiß, auch schon in seiner jetzigen Gestalt als Entwurf, sehr wirksam werden.

Kurz darauf hat mir mein Freund und vieljähriger Mitarbeiter, Doctor Seebeck, gegenwärtig in Nürnberg, einen sehr bedeutenden Aufsatz über solche Farben gesendet, welche im Innern von Glaswürfeln erscheinen, wenn man sie gewissen Reflexionen aussetzt. Über diese wichtige Erscheinung gab und giebt das Schweiggerische Journal nähere Auskunft. Ob [166] ich nun gleich gegenwärtig diese schöne und lustige Farbenlehre zu bearbeiten abgehalten bin, so freut mich doch höchlich die Thätigkeit wohlgesinnter Freunde, und ich sehe schon zum voraus, daß durch solche neue Ansichten und Entdeckungen, in wenig Jahren, gar manche Lücke, die ich in meiner Darstellung, wissentlich und unbewußt, offen ließ, glücklich wird ausgeführt seyn, und ich kann mich indessen auf meine eigentlichsten Fächer einschränken.

Diese Tage that man mir einen ernstlichen Antrag Hamanns Schriften herauszugeben, er kam von unserem Freunde Nicolovius. Jedoch hab ich diesen Werthen selbst dazu ermuntert, und ihm alles mitzutheilen zugesagt, was ich von jenem trefflichen Mann besitze. Eine solche Herausgabe mußte sich bis auf unsere Tage verziehen, wo sie den Deutschen gewiß eine reiche Schatzkammer eröffnen wird.

Für einen jungen, thätigen accuraten Mann, der wohlbestellte Druckereyen in seiner Nähe hat, und welcher dem Abdruck mit Genauigkeit und Geschmack vorstehen mag, ist die darauf zu verwendende Arbeit gewiß an sich selbst belohnend.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1815. An Christian Heinrich Schlosser. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7A88-6