9/2811.

An Jakob Friedrich von Fritsch

Hochwohlgeb. Freyherr
Insonders hochzuehrender
Herr Geheimrath,

Ew. Excellenz werden aus beyliegendem unterthänigen Berichte die Ausenseite von dem was in diesen Tagen vorgekommen zu ersehen geruhen. Schon dreymal habe ich ihn verändert, eben so oft einen Brief an Ew. Excellenz angefangen und noch weiß ich nicht wie die Sache welche beynahe in jeder Stunde ein ander Ansehn gewinnt, sich endigen werde. Mein Wunsch ist sie noch ganz abzuthun, wozu sich die Hofnung bald nähert bald entfernt.

Ich müßte ein Buch Papier verschreiben, wenn ich alles was mir in diesen Tagen vorgekommen, und vertraut worden ist aufzeichnen wollte. Denn leider ist das gegenwärtige Geschwür nicht die Kranckheit, sondern die Anzeige eines tiefer liegenden complicirten Übels.

[188] Das Mißverhältniß der Jägercompagnie zu ihrer hiesigen Bestimmung und zum Commandanten kennen Ew. Excellenz. Besonders scheint der Feldwebel Wachtel, eben der unkluge Anführer am 4. März, Relationen zu haben die ihn trozig und gegen den Major wie den Capitain widersprüchig machen.

Die jungen Studirenden waren äussert aufgebracht und vielleicht war es nötig sie an jenem Abend durch feyerliche Zusage der eklatantesten Satisfaction worauf sie jetzt bestehen zu begütigen, man hat sich aber freylich dadurch kompromittirt und ihre Prätensionen hochgespannt.

Ich kann Ew. Excellenz im Vertrauen sagen daß Hofr. Loder in diesem Falle zu seyn scheint, ob ich gleich auch gestehen muß daß er diese Tage seinen ganzen Einfluß gebraucht hat um die jungen Leute ins Gleis zu bringen, der Prorecktor, ich selbst haben auf eine schickliche Weise ihnen zuzureden gesucht, man hätte auch wahrscheinlich reüssirt wenn nicht (und wie sogar verlauten will, dem ich jedoch wie hundert andern Sagen keinen Glauben beimeße, von Professoren selbst) die jungen Leute aufs neue aufgehetzt und sie mit Gründen gegen unsere Vorstellungen unterstützt worden wären.

Ohngeachtet alles dieses hätte ich heute früh einen entscheidenden Schritt gethan und die Bentheimische Sentenz exequiren lassen, wenn nicht Griesbach selbst, der bißher und noch gestern Nacht halb zwölfe standhafter [189] Gesinnungen war, nun sich auch, ganz wieder Erwarten, auf jene Seite geneigt hätte, welche sich zu sehr für den Studenten zu fürchten scheint. Könnte ich noch vierzehn Tage hier bleiben, so hätte ich es doch durch zu setzen gesucht und für die Folgen gestanden. Es kommt nun noch darauf an was der Prorecktor ausrichtet. Es muß sich biß heute Abend entscheiden.

Überhaupt habe ich in diesen wenigen Tagen eine Verwicklung von Personen, Leidenschaften, Umständen und Zufällen auseinander zu setzen und mir deutlich zu machen gehabt um nicht falsche Schritte zu thun, daß ich keinen Augenblick zur Ruhe gekommen bin. Ich habe auch deßwegen Protokolle und Registraturen zu führen so wenig möglich als räthlich gehalten. Schon die erste Session war so stürmisch indem Bentheim mit wenigem Menagement allen seinen Griefs gegen Lodern Lust ließ und ich viel zu thun hatte sie a l'ordre du jour zurückzubringen und den Faden durch das Labyrinth so vieler Mißverhältnisse fest zu halten. Nachher habe ich alles diskursive tracktirt, und das beste ist in einzelnen Gesprächen oder Nachtische ausgemacht worden.

Ich fand bey meiner Ankunft die Acten der Mil. Gerichte instruirt, die Sentenz gefällt und mein ganzes Geschäft bestand in Negotiationen ob es räthlich und thulich sey die Sentenz zu exequiren oder die Entscheidung ins weitere zu spielen.

[190] So eben verläßt mich der Prorecktor und die Sache scheint eine nicht ganz ungünstige Wendung zu neh men. Er hat die laesos gesprochen, die sich sehr artig bezeigt, für die bißherigen Bemühungen gedanckt, auch ihre Personen versichert haben: »daß sie geneigt seyen nachzugeben, allein sie seyen nicht im Stande, ohne die Menge gegen sich selbst aufzuhetzen, gegen dieselben diese Gesinnungen zu äussern, da man von Seiten der Commission, der Akademie, der Militairgerichte, glaubte das mögliche gethan zu haben, so bäten sie daß man ihnen erlauben möchte sich mit ihrer Beschwerde an Serenissimum unmittelbar zu wenden und ihm die ganze Sache in die Hände zu legen. Sie bäten nur um Sicherheit gegen das Militare biß zu Austragen der Sache.«

Ich glaube nicht daß ihnen das auf irgend eine Weise zu verwehren seyn möchte, vielmehr beschäftigt und besänftigt sie dieser Gedancke wieder und es wird Serenissimo leicht fallen sie ganz und gar zu befriedigen.

Ich laße indessen Wachteln hier in Arrest und schicke auch die Militargerichts Akten nebst der Sentenz nur blos zur Notiz ein, wie ich auch die Geh. Canzl. Ackten remittire. Und bitte: daß nichts in der Sache möge beschlossen werden ohne daß man zuvor des Prorecktors Sentiment darüber gehört hat, denn die Sache steht auf einer zarten Spitze. Keinen Tumult erregen sie wahrscheinlich, aber zu einer starcken Emigration könnte es Anlaß geben.

[191] Indeß wünsche ich daß ein verehrtes Ministerium meine Bemühungen nicht ganz für unnütz erkennen möge. Auch darf ich mir schmeicheln daß die Lage der Sache seit meiner Anwesenheit nicht schlimmer geworden. Durch den Ernst den man gezeigt ihnen wenigstens eine Satisfaction geben zu wollen, durch das was man ihnen bey dieser Gelegenheit vorstellen können, durch die Ehre die man den Wortführern erzeigt sind die Gemüther um vieles besänftigt, die Anführer, die Verletzten sind gewonnen, die Argumente pro und contra kursiren unter den jungen Leuten, ein großer Theil der Studirenden ist doch bey der Sache nicht interessirt, von den übrigen wird ein Theil auf Ostern fortgehen, zum Theil sich abkühlen.

Nur muß ich wiederhohlen: reel wird die Satisfaction seyn müssen die man ihnen giebt. Denn wenn sie auch nicht, wie man glaubt, instigirt und instruirt werden, so sind sie selbst so sehr kompromittirt und werden nun schon wie man hört hier und da von Bürgern pp. vexirt worinn denn ihre große Satisfaction bestehen werde.

Bentheim gesteht in Vertrauen selbst: daß wenn es seine eignen Leute gewesen wären er strenger verfahren hätte.

Noch bemercke ich daß ich rem integerrimam zu erhalten gesucht habe, daß ich auch eben deßwegen Wachteln nicht hinüberschicke damit jeder Weg offen bleibe den man erwählen möchte.

[192] Den wunderlichen Vorfall beym Militar daß die Jäger im Begriff waren auszutreten wird Lieutenant Trütschler erzählt haben. Der gute Major war ganz ausser sich. Gestern Abend fingen zwey Jäger an zu wetzen, die Wache ging nach ihnen fand sie nicht, Studenten arretirten sie und brachten sie dem Capitain ins Hauß. Es ist eine Ordnung in dieser Anarchie die oft ins Lächerliche fällt.

Ew. Excellenz empfehle ich mich mit diesem zu Gnaden und bitte Herrn Geh.R. Schnaus und Schmidt mich gleichfalls bestens zu empfehlen. Da mir nun nichts zu thun übrig bleibt, so will ich mit anhoffender Genehmigung meine Reise Morgen frühe weiter fortsetzen.

Ich bitte nur die Eile und Verwirrung meines Schreibens zu entschuldigen und versichert zu seyn daß ich mit lebenswürdiger Verehrung mich unterzeichnen darf

Ew. Excellenz

Jena,

ganz gehorsamen

d. 12. März 1790.

Goethe.


N. S. Noch muß ich des Vorfalls beym Jägerkorps mit einem Worte gedencken wovon Lieutenant Trütschler Ew. Excellenz schon wird benachrichtiget haben. Es hatte sich unter den Jägern die Sage verbreitet als wenn sie mit harter Leibesstrafe angesehen werden sollten. Sie versammelten sich also, [193] kamen Haufenweis zum Hauptmann, baten um Erlaubniß nach Weimar gehen zu dürfen, andre kamen zum Major, andre hatten sich schon wie man sagte auf den Weg nach Weimar gemacht, ich war im Begriff Ew, Excellenz einen reitenden Boten zu schicken, als alles wieder bald im Gleise war. Der alte Major war außer sich, Trütschler betreten und ich im Moment dieser Gährung für die gelindesten Mittel und für die gelindeste Art die Sache anzusehn. Heute bey der Parade hat der Hauptmann die Leute im Schloßhof einen Kreis schließen laßen und sie haranguirt, auch ist alles ruhig. Der Lieutenant ist hinüber um mündlichen Rapport abzustatten, den Major habe ich ersucht nichts davon zu melden und versprochen die allenfallsige Verantwortung über mich zu nehmen. In diesen Momenten ist Gelindigkeit und Festigkeit nötig, um nicht alles durcheinander zu werfen.

So eben geht Rupprecht ein Franckfurter, der Masaniello dieses Moments von mir. Er kam wohl geputzt mir in dem Nahmen aller Beleidigten, Verletzten und Interessirten für die Mühe zu dancken die ich mir hätte in ihrer Angelegenheit nehmen wollen. Sie erkannten daß meine Absicht gewesen sey ihnen Genugthuung zu verschaffen, daß es aber nicht an mir sondern an den Umständen gelegen habe daß sie biß her nicht hätten befriedigt werden können, sie hätten sich deßwegen den Weg an Sereniss. zu gehen vorgenommen pp.

[194] Was sagen Ew. Excellenz zu dieser Manier? Ich sagte ihm was ich in dem Augenblicke dienlich hielt und entließ ihn.

Ich würde nicht endigen wenn ich alle interessante Scenen dieser Tage erzählen sollte und es thut mir in diesem Augenblicke manchmal leid mich zu entfernen, ob ich gleich in gewißem Betracht Gott dancken will wenn ich dießmal die Rasenmühle hinter mir habe.

Mich wie im Briefe angelegentlich empfehlend.

G.


Ich endige auch würcklich noch nicht.

Eins muß ich noch bemercken. Es ist ein Vorschlag gethan, worden, den man plausibel findet, der aber mir die gefährlichsten Folgen zu haben scheint. Die Studenten wollen selbst patroulliren und Unfug verhüten.

Ich brauche die Consequenzen nicht Ew. Excellenz zu detailliren. Leider haben sie schon Gestern zwey Jäger, wie oben gesagt, arretirt und abgeliefert, das war im Augenblick gut und doch wollte ich wir wären nicht in dem Falle. Leipzig hieß sonst klein Paris, Jena verdiente jetzt wohl eher diesen Nahmen.

Verzeihen Ew. Excellenz dieses entstellte Blatt, es fehlte nichts als daß ich noch in der Eile das Dintenfaß darüber schüttete. Ich kann es nicht abschreiben sondern muß siegeln weil die Botenmädchen warten.

[195]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1790. An Jakob Friedrich von Fritsch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7B65-C