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An Carl Friedrich Zelter

Du thust mir einen wahren Freundschaftsdienst, wenn du mir manchmal das lebendige Berliner Treiben, als Schattenspiel, durch meine Einsiedeley führst; kaum das ich mein kleines Hinterzimmer verlasse, das du kennst, Tag und Nacht beschäftigt die Kräfte zu nutzen die mir geblieben sind. Gar manche Forderungen, von innen und von außen, setzen sich fort, erneuern sich auch wohl, und so geht ein Tag, oft ein Theil der Nacht hin, wo ich deiner viel gedenke und oft wünschte mich mit dir auszureden; wozu deine Briefe gar löblichen Text enthalten. Und so will ich denn das Nächstvergangene vornehmen.

Die werthe Milder habe einen Augenblick bey mir gesehen, leider aber nicht gehört; in's Theater komm ich nicht mehr und ein Concert bey mir einzurichten wollte sich nicht machen. Auch deine früher empfohlene Frau v. Wohl, wie mir Ottilie meldet, aus Italien munter und wohl zurückgekehrt, konnt ich dießmal nicht sprechen. Laß mich entschuldigt seyn. Fremde Zustände mir zu vergegenwärtigen, will mir nicht mehr gefallen; ich habe an meinen eignen zu richten und zu schlichten.

Mich freut daß du v. Humboldt, wegen seiner Äußerungen über meinen römischen Aufenthalt, etwas Freundlich-Dankbares gesagt hast, mir haben sie zu[308] Erinnerung und Nachdenken viel Gelegenheit gegeben. Es ist merkwürdig, wie er alles an- und aufregt, wie er sich in die dortigen Zustände versenkt hat und mich daselbst betrachtet. Ihm von innen heraus entgegen zu gehen fand ich alle Ursache, und bin auf mancherlei Betrachtungen über mich selbst dadurch zurückgeführt worden.

Wie gern möcht ich in eurem unschätzbaren Museum mein Erkennen und Wissen recapituliren, meine Unwissenheit gestehen, meine Begriffe bereichern und vervollständigen, am meisten aber einen freyen Genuß einmal, ohne Kritik und Geschichte, mir gewinnen. Das Denken über ein Kunstwerk ist eine schöne Sache; der Beyfall aber muß vorausgehen und das Urtheil folgen.

In meiner Beschränkung mußte ich mir, um vorwärts zu kommen, ganz besondere Wege eröffnen; so habe ich mich auf die Perlenfischerey gelegt, d.h. zu versuchen: ob, aus klaffenden Schaalen und halbverfaulten Massen, nicht etwa ein Juwel zu erlangen sey; und das ist mir gelungen. Ich habe besonders Zeichnungen gewonnen von der Art die man sein Lebenlang nicht wieder von sich läßt. Von Jul. Roman ein ausgeführtes Blatt, vorstellend den Genius der Poesie, vollkommen dem tüchtigen, im Ernste halb ironischen Sinne jenes Meisters gemäß. Der hingelehnte Jüngling in sich versenkt scheint auf eine gute Eingebung zu harren, indeß der Pegasus gelangweilt [309] daneben steht und an den Zweigen des Lorbeerhaines knuspert. Anderes Unschätzbare dieses Blattes berühr ich, ja verrath ich nicht, wenn die guten Dämonen dich wieder zu uns führen, so sollst du es sehen und erstaunen.

Und so muß ich mich denn am Geiste der Erfindung in diesem Fache ganz im Stillen befriedigen, indem ich dir dein rauschend harmonisches Leben von Herzen gönne. Hiemit sey für dießmal geschlossen; manches andere zunächst.

Deshalb so fort an!

Weimar den 29. October 1830.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1830. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7E70-7