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An Johann Isaak von Gerning

Eh ich das mir Übersendete der Expedition unserer Jenaischen Literatur-Zeitung zuschicke, fühle ich mich gedrungen, Ihnen, theuerster Freund! und den verehrten Theilnehmenden, welchen mich gehorsamst zu empfehlen bitte, Folgendes zur Überlegung anheim zu geben.

Ein solcher, gegen eine Recension gerichteter Aufsatz wird, als Antikritik, den Gesetzen und dem Herkommen gemäß, sogleich dem Recensenten im Manuscripte mitgetheilt. Nun ist aber Gegenwärtiges dergestalt beschaffen daß ich es einem Gegner nicht in die Hände geben möchte. Denn so gründlich auch der Inhalt und so gut der Vortrag genannt werden kann; so fände doch wohl ein böser Wille Gelegenheit, aus der doppelten Hand und aus den vielen wieder corrigirten Correcturen einige Bolzen zu schnitzen, die [315] er, mit sophistischer Wendung, zu seiner Vertheidigung brauchen könnte.

Wäre dieses jedoch das einzige Bedenken, so hätte ich sogleich eine Copie fertigen und der Behörde zugehen lassen. Da aber die Berichtigung von der Art ist, daß dadurch wirklich, für den unbefangenen Leser, mysteria iniquitatis aufgedeckt werden; so steht zu befürchten, daß man durch irgend eine Wendung entweder den Druck ablehnen, oder die Wirkung desselben auf andere Weise zu entkräften suchen werde, wie ich denn nicht leicht erlebt habe, daß ein Recensent in seiner Erklärung auf eine Antikritik sein Unrecht eingestanden.

Mein unmaßgeblicher Rath wäre daher, das Manuscript nochmals abschreiben zu lassen, solches genau durchzugehen, indem die Darstellung hie und da noch mehrere Klarheit, zu völliger Überzeugung des Lesers, vielleicht gewinnen könnte, und alsdann diese Berichtigung nach Halle an die Allgemeine Literatur-Zeitung direct zu senden, welche als eine Gegnerin der Jenaischen kein Bedenken tragen wird, gegen die Gebühr, diesen Aufsatz ohne beygefügte Widerrede einzurücken. Will der Jenaische Recensent sich alsdenn vertheidigen, so geschieht es doch nicht in demselbigen Blatte, und ist in manchem Sinne vortheilhafter.

Auch dieses würde ich, aus Liebe zur Wahrheit und aus wahrer Hochachtung für die interessirten Personen sogleich selbst gethan haben, wenn nicht mein[316] Verhältniß zu beyden Literaturzeitungen mir einen solchen Schritt verböte.

Durch alle diese Betrachtungen und bey näherer Überlegung der Sache entschließe mich daher, nicht erst eine Antwort abzuwarten, sondern, da die Publication des Aufsatzes keinen Aufschub leidet, denselben nebst den Beylagen sogleich zurücksenden, wobey ich aufrichtig bekenne, daß es mir leid thut, hiebey nicht mitwirken zu dürfen, weil ich schon bey meinem Frankfurter Aufenthalt in dieser Sache, im Sinn der Berichtigung belehrt worden.

Zum Schlusse, mein Werthester! muß ich noch für die schöne Übersetzung danken. Sie liest sich gar angenehm und in so wilden, kriegrischen Zeiten ist die Heiterkeit des glücklichen Römers höchst willkommen. Knebel wird selbst vermelden, wie sehr ihn diese Arbeit gefreut hat. Sie kam zu den gegenwärtigen schönen Frühlingstagen recht gelegen, und hiemit will ich mich Ihnen und meinen sämmtlichen lieben Landsleuten herzlich empfohlen haben.

Weimar d. 8. May 1815.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1815. An Johann Isaak von Gerning. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7EA0-C