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An Carl Friedrich Zelter

Dein lieber Brief vom 19. April trifft mich den 2. May in Carlsbad und erfreut mich gar höchlich. Zuvörderst will ich zu eurem Rafaelischen Fest Glück wünschen, es war gut ausgedacht und hat sich gewiß auch so ausgenommen; es macht es euch niemand so leichte nach. Laßt es immer Sitte werden, daß man die Heroen aller Art feyert, welche über die Atmosphäre des Neides und des Widerstrebens erhoben sind.

Die Musik hätte ich wohl hören mögen. Zu dem was du sagst kann ich mir wenigstens einen Begriff aufstellen. Die reinste und höchste Mahlerey in der Musik ist die, welche du auch ausübst, es kommt darauf an, den Hörer in die Stimmung zu versetzen, welche das Gedicht angiebt, in der Einbildungskraft bilden sich alsdann die Gestalten nach Anlaß des Textes, sie weiß nicht wie sie dazu kommt. Muster davon hast du gegeben in der Johanna Sebus, Mitternacht, Über allen Gipfeln ist Ruh, und wo nicht überall? Deute mir an, wer außer dir dergleichen geleistet hat. Töne durch Töne zu mahlen: zu donnern, zu schmettern, zu plätschern und zu patschen, ist detestabel. Das Minimum davon wird als Tüpfchen auf's i in obigen Fällen weislich benutzt, wie du auch thust. Und so verwandle ich, Ton- und Gehörloser, [9] obgleich Guthörender, jenen großen Genuß in Begriff und Wort. Ich weiß recht gut, daß mir deshalb ein Drittel des Lebens fehlt; aber man muß sich einzurichten wissen.

Vom 23. April an habe ich acht schöne Tage verlebt, vollkommen heiteres Wetter, leidlich Befinden, zur Beobachtung aufgelegt, Wetterzustand und Wolkenbildung mit Theilnahme betrachtend. In Alexandersbad besah ich mir die titanischen Felsenverstürzungen, die vielleicht ohne Gleichen sind. Seit dreißig Jahren, daß ich sie nicht gesehen habe, hat man sie durch architektische Gärtnerkünste spazierbar und im Einzelnen betrachtlich gemacht. Das Andenken eurer Königin schwankt und schwebt wundersam dazwischen.

Dann besuchte ich Marienbad, eine neue bedeutende Anstalt, abhängig vom Stifte Töpel. Die Anlage des Orts ist erfreulich; bey allen dergleichen finden sich schon fixirte Zufälligkeiten, die unbequem sind; man hat aber zeitig eingegriffen. Architekt und Gärtner verstehen ihr Handwerk und sind gewohnt mit freyem Sinn zu arbeiten. Der letzte, sieht man wohl, hat Einbildungskraft und Praktik, er fragt nicht wie das Terrain aussieht, sondern wie es aussehen sollte: abtragen und auffüllen rührt ihn nicht, und ein solcher ist besonders in gegenwärtigem Falle nötig. Mir war es übrigens, als wäre ich in den nordamerikanischen Einsamkeiten, wo man Wälder aushaut, um in drey Jahren eine Stadt zu bauen. Die niedergeschlagene[10] Fichte wird als Zulage verarbeitet, der zersplitterte Granitfels steigt als Mauer auf und verbindet sich mit den kaum erkalteten Ziegeln; zugleich arbeiten Tüncher, Stuccaturer und Mahler, von Prag und andern Orten, im Accord, gar fleißig und geschickt; sie wohnen in den Gebäuden die sie in Accord genommen und so geht alles unglaublich schnell. Ein Haus, das noch nicht unter Dach ist, soll im August schon zum Theil wohnbar seyn, ich mag wenigstens nicht hinein ziehen. Diese Eile jedoch und der Zudrang von Baulustigen (denn alle Baustellen nach einem regelmäßigen Plan sind schon vergeben) wird eigentlich dadurch belebt, daß ein Haus, sobald es fertig ist, im nächsten Sommer zehn Procent trägt; es kommt nun auf die Dauer an. Das Wasser läßt sich verschicken und geht auch schon stark nach Berlin. Schreib mir doch, ob Jemand von deinen Freunden Gebrauch davon machte? ich habe gutes Zutrauen dazu.


Profit vom gestrigen Jahrmarkt.

Parabel.


Zu der Apfel-Verkäuferinn
Kamen Kinder gelaufen,
Alle wollten kaufen!
Mit munterm Sinn
Griffen sie in die Hauffen; –
Sie hörten den Preis,
[11] Und warfen sie wieder hin
Als wären sie glühend heiß.
Was der für Käufer haben sollte,
Der alles gratis geben wollte.

Carlsbad d. 2. May 1820.

Nächstens mehr

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1820. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7FA6-7