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An Charlotte von Stein

[Wartburg, 13. – 17. September 1777.]

Wartburg d. 13. S. 77 abends 9. Hier wohn ich nun liebste, und finge Psalmen dem Herrn der mich aus Schmerzen und Enge wieder in Höhe und Herrlichkeit gebracht hat. der Herzog hat mich veranlasst heraufzuziehen, ich habe mit den Leuten unten, die ganz gute Leute seyn mögen nichts gemein, und sie nichts mit mir, einige sogar bilden sich ein, sie liebten mich, es ist aber nicht gar so. Liebste diesen Abend denck ich mir Sie in Ihrer tiefe um Ihren Graben im Mondschein beym Wachfeuer denn es ist kühl. In Wilhelmsthal ist mirs zu tief und zu eng, und ich darf doch noch in der Kühle und Nässe nicht in die Wälder die ersten Tage. Hieroben! Wenn ich Ihnen nur diesen Blick der mich nur kostet aufzustehn vom Stuhl hinüberseegnen könnte. In dem grausen linden Dämmer des Monds die tiefen Gründe, Wiesgen, Büsche, Wälder und Waldblösen, die Felsen Abgänge davor, und hinten die Wände, und wie der Schatten des Schlossbergs und Schlosses unten alles finster hält und drüben an den sachten Wänden sich noch anfasst wie die nackten Felsspizzen im Monde [175] röthen und die lieblichen Auen und Thäler ferner hinunter, und das weite Thüringen hinterwärts im dämmer sich dem Himmel mischt. Liebste ich hab eine rechte fröhlichkeit dran, ob ich gleich sagen mag dass der belebende Genuss mir heute mangelt, wie der lang gebundne reck ich erst meine Glieder. Aber mit dem ächten Gefühl von Danck, wie der Durstige ein Glas Wasser nimmt, und die Liebheit der Welt, nur nebenweg schaut.

Wenns möglich ist zu zeichnen, wähl ich mir ein beschränckt Eckgen, denn die Natur ist zu weit herrlich hier auf ieden Blick hinaus! Aber auch was für Eckgens hier! – O man sollte weder zeichnen noch schreiben! – Indess wollt ich doch dass Sie wüssten dass ich lebe, und Sie gleich wieder recht liebe da mirs anfängt wieder wohl zu seyn – Und zu trost in der Öde bild ich mir ein, Sie freuen sich über einen Brief oder sonst ein Gekrizel von mir.

Sontags d. 14. Nach Tische.

Da hab ich einen Einfall: mir ists als wenn das Zeichnen mir ein Saugläppgen wäre, dem Kind in Mund gegeben, dass es schweige, und in eingebildeter Nahrung ruhe.

Diese Wohnung ist das herrlichste was ich erlebt habe, so hoch und froh, dass man hier nur Gast seyn muss, man würde sonst für Höhe und Frölichkeit zu nicht werden.

[176] Den ganzen Morgen hab ich für Sie gekrabelt auf dem Papiere. O der Armuth! – Wenn ich mir einen der Meister dencke, die vor so alten Trümmern sassen, und zeichneten und mahlten, als wenn sie die Zeit selbst wären, die das so abgestumpft, und in die Lieblichkeit der Natur wieder, aus dem rauhen groben Menschensinn, verbunden hätten.

Lieber Gott! Die Pfade der Zeit, des Bedürfnisses wie unbemerckbaar den Menschen und den Künstlern. In uns ist Leben und – ich weis wohl was ich will aber wie sagen?

Eben krieg ich Ihr Briefgen vom 11ten.

Nachts halb 12. Eben komm ich wieder aus der Stadt herauf. Noch eine gute Nacht. – Im Mondschein den herrlichen Stieg auf die Burg! – Gestern sagt ichs dem Herzog als erhoben bey mir war: Es sey mir merckwürdig: dass, in unsrer Wirthschafft, alles abenteuerliche natürlich werde. So seltsam mirs vor 4 Wochen geklungen hätte auf der Wartburg zu wohnen, so natürlich ist mir's iezt, und ich bin schon wieder so zu Hause wie im Nest.

Mont. d. 15. Nachts! wieder herauf! Wenn Sie nur einmal zum Fenster hinaus mit mir sehen könnten! Heut haben wir unser Vogelschiesen dum geendigt. ohngefähr auf den funfzigten Schuß lag ein Bursche, von den Zuschauern, auf der Erde, so todt als ie einer, und ein andrer verwundt am Arm. [177] Und hätte, nach den Umständen, ieder von uns können todt schiesen und todt geschossen werden.

Morgen hab ich Misels heraufgebeten. Sie versichern mir alle dass sie mich lieb haben, und ich versichere sie sie seyen Charmant. Eigentlich aber möchte iede, so einen von uns, wer er auch seye, haben, und dadrüber werden sie keinen kriegen.

Dienst. d. 16. Heute früh war wieder alles neu. Philip weckte mich und lies mich ans Fenster gehn! es lagen unten alle Thäler im gleichen Nebel, und es war völlig See, wo die vielen Gebürge, als Ufer, hervorsahen. Darnach hab ich gezeichnet. Wenn ichs fertig nicht verderbe werden Sie Freude dran haben.

Mir ist gestern was aufgefallen. in meinem Diarium steht so offt: ich habe gezeichnet, und es will sich immer nichts finden was ich gezeichnet habe, auser den Paar Dingen die Sie haben.

Adieu. Ich weis dass Sie an mich dencken, denn sonst denck ich nicht so viel an Sie. Ich weiss dass Sie mich lieben, ich spürs daran, dass ich Sie so lieb habe.

Adieu Gold. Ihr Seegen ist eingetroffen, Eisenach und die Sau Wirthschafft schindt mich nicht. Ich sehe täglich mehr dass weniger aber länger zu leiden ist in diesem Mansch. Schreiben Sie mir was von den kleinen und Petern. Sagen Sie Kästnern ich wollte noch einen Tag Zahnweh haben das viel [178] gesagt ist wenn ich ihm könnte den Spas machen, den folgenden hier oben mit mir zuzubringen, wenn er besonders so herrlich wäre wie heut ist. Addio.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1777. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-809D-3