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An August von Goethe

[Carlsbad, 17. – 23. Mai 1820.]

In augenblicklicher Ermanglung des Briefpapiers ein in folio.

Mittwoch den 17. May. Doctor Schütz überbringt mir deinen Brief und Beylage. Die Noth, welche dir des Kutschers Krankheit gemacht, habe ich viel bedauert; daß aber Walther die Masern hat, freut mich gar sehr. Ein zufälliges Übel, das aber doch einmal nothwendig ist, kann man nicht geschwind genug los werden; möge er glücklich durchkommen und an Wachsthum und Entwickelung gewinnen, so daß besonders Ottilie für Sorge und Pflege viel Freude erlebe.

Stadelmann hat sich schon Mühe gegeben wegen eines Quartiers für Frau und Lyncker; es sind auch mehrere nach Wunsch zu haben, niemand aber will sich seinen Monat zerreißen, welches den Leuten nicht zu verdenken ist. Man muß sich nun weiter umsehen.

Donnerstag den 18. May. Gestern mußte ich leider, wegen eingefallenem Regenwetter, meine bestellte Fahrt nach Schlackenwalde aufgeben, indessen findet sich auch hier manches Interesse. Wegen der schönen [35] Prager Straße gehen viele Reisende durch, die nur kurz verweilen. Herr von Richthof besuchte mich noch spät am Abend mit einem Gefährten; da er des andern Morgens bey Zeiten wegging, weiß ich nicht, ob es sich weiter umgesehen und für die Hauptcurzeit Quartier bestellt hat. Andere merkwürdige Personen sind gleichfalls nur vorübergegangen, und war mir angenehm, daß sie mich aufsuchten.

Die Prager Straße wird von mir fleißig bey Sonnenuntergang besucht; dergleichen An- und Aussicht findet sich selten. Herr Conta ist wohl und nimmt Theil an mineralogischen Excursionen, er hat es sich schon zur Pflicht gemacht, die Carlsbader Nummernfolge zusammenzubringen.

Auch die Zeitungen nehmen wieder einige Stunden weg, und so kommt man nach und nach in Gefahr, bey zunehmender Menschen-Bewegung abermals in den Strudel gezogen zu werden. Die Hauptsache ist, daß ich keine Einladung zur Mittagstafel angenommen habe, durch diese kleine Vorsicht bleibt man Herr von seiner Zeit.

Sonnabend den 20. May. Heute beehrte mich der Fürst von Thurn und Taxis mit seiner Suite, die schnell und wohl ausgestattete Sammlung anzusehen. Man schien mit meinem Vortrag zufrieden; ich gab den Begriff vom Ganzen, den verschiedenen Abtheilungen, und das Einzelne ergab sich von selbst in dem, was in die Augen fiel oder sonst durch irgend einen Bezug [36] als nützlich und angenehm hervorgehoben zu werden verdient.

Von Morgen an mache ich Anstalt, mich loszulösen, alles einzupacken und zu besorgen: denn grade in diesen acht Tagen fällt wahrscheinlich etwas neu Verbindendes und Anregendes vor, da man sich denn für einer Schluß-Verwirrung und Verführung hüten muß. Mein Befinden ist gut und so denke es auch wieder glücklich nach Hause zu bringen.

Nach vielen Bemühungen und abschläglichen Resolutionen sind es Stadelmann zufällig gelungen, der Frau von Lyncker ein wünschenswerthes Quartier zu verschaffen; ihr Verlangen ist erfüllt und der Preis für die Jahreszeit und Lage (selbst mit dem verglichen, was ich bezahle) sehr billig. Ich habe die Leute versichert, es seyen zwey der liebenswürdigsten Damen von Weimar, welche bey ihnen einkehrten; da werden nun gewiß beide Schönheiten, Mutter und Tochter, das Möglichste thun, uns in den besten Credit zu setzen. Beyliegendes Blatt zeigt das Nähere und macht die Übereinkunft sicher und gewiß.

Die ganze Woche verehren sie den heiligen Johannes von Nepomuk mit Gesängen auf der nahen Brücke, welche Andacht in stillen Abendstunden denn doch sehr lästig ist; nun folgt Pfingsten, das in der Kirche, und Trinitatis, welches bey der Dreyeinigkeits-Säule auf dem Markt gefeyert wird; Frohnleichnam bald darauf, und so geht das Leben in lauter Festlichkeiten [37] hin, ohne daß man recht eigentlich ein Fest gewahr werde.

Die wöchentliche Rechnung der Fr. von Lyncker ist also:


Wohnung 18 f. Silber 20 f. Fuß = 12 rh.
Pferde pp 12 f. Wiener Währung= 3:5 Gr
rh. 15:5 Sächsisch.

Sonntag den 21. May. In der Nacht war ein heftiger Platzregen gefallen, welcher, auf den Schindeldächern hin- und widerschlagend, den Schlaf einige Zeit verhinderte; früh konnte man aber doch an den Brunnen gehn, wo sich nach und nach viel Gesellschaft einfindet. Ich besuchte Prinz Carl von Schwarzburg, welcher sowohl als seine Gemahlin sich freundlich und wohlwollend unterhielten. Dann beschäftigte ich mich zu Hause mit Ordnen, Schreiben und Abschreiben, des baldigen Scheidens gedenkend. Die Professoren Hermann und Poelitz aus Leipzig besuchten mich. Leider haben sie eine so wunderliche Bergwohnung genommen, daß man sie auch bey dem schönsten Wetter kaum besuchen kann.

Abends richtete ich mich eben, die Frau Herzogin von Curland zu besuchen, als der gewaltsamste und allgemeinste Landregen einfiel.

Montag den 22. May. Heute klärt es sich schon wieder auf, die Luft ist lauwarm und sehr angenehm, nur muß man sich bey solcher Feuchtigkeit wohl in Acht nehmen.

[38] Und so will ich nun für dießmal schließen. Meine Absicht ist, Sonntag den 28. in Eger zu seyn. Was ich von da aus den Umständen gemäß finden werde, wüßte ich selbst nicht zu sagen. Im Lauf dieser Woche schreibe noch einmal und dann hoffe ich euch bald und fröhlich wieder zu sehen.

Dienstag, den 23.ten May, vermelde daß ein Kistchen mit 30 kleinen Flaschen Marienbader Kreuzbrunn ankommen wird, welches auszupacken und den Inhalt im Keller aufzubewahren bitte. Was an Serenissimum angekommen, überliefre. Die wenigen Tage giebts noch mancherley zu thun. Schönstens grüßend

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1820. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-82A5-1