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An Charlotte Kestner, geb. Buff

[Frankfurt und Langen, 26. – 31. August 1774.]

Wer geht den Augenblick aus meiner Stube? Lotte, liebe Lotte, das räthst du nicht. Räthst ehr von berühmten und unberühmten Leuten eine Reihe als die Frau Catrin Lisbet, meine alte Wetzlarer Strumpfwaschern, die Schwäzzern die du kennst die dich lieb hat wie alle die um dich waren dein Lebenlang, sich nicht mehr in Wetzlar halten kann, der meine Mutter einen Dienst zu schaffen hofft. Ich hab sie mit herauf genommen in meine Stube, sie sah deine Silhouette, und rief: Ach das herzelieb Lottgen, in all ihrer Zahnlosigkeit voll waren Ausdrucks. Mir hat sie zum Willkomm in voller Freude Rock und Hand geküsst. und mir erzählt von dir wie du so garstig warst, und ein gut Kind hernach und nicht verschwäzt hättest, wie sie um dich zum Lieutenant Meyer führte der in [190] deine Mutter verliebt war, und dich sehn und dir was schencken wollte, das sie aber nicht litt pp. alles alles. Du kannst dencken wie werth mir die Frau war, und dass ich für sie sorgen will. Wenn Beine der Heiligen, und leblose lappen die der Heiligen Leib berührten, Anbetung und bewahrung und Sorge verdienen, warum nicht das Menschengeschöpf das dich berührt, dich als Kind aufm Arm trug, dich an der Hand führte, das Geschöpf das du vielleicht um manches gebeten hast? Du Lotte gebeten. Und das Geschöpf sollte von mir bitten! Engel vom Himmel. Liebe Lotte noch eins. Das machte mich lachen. Wie du sie oft geärgert hast mit denen schlocker Händgen, die du so machst, auch wohl noch, sie machte mir sie vor, und mir wars als wenn dein Geist umschwebte. Und von Carlinen, Lehngen allen, und was ich nicht gesehn und gesehn habe, und am Endlichen Ende war doch Lotte und Lotte und Lotte und Lotte, und Lotte und ohne Lotte nichts und Mangel und Trauer und der Todt. Adieu Lotte. kein Wort heut mehr. 26. Aug.

Ich habe gestern den 26. einen Brief an dich angefangen, hier sitz ich nun in Langen zwischen Franckfurt und Darmstadt, erwarte Merken, den ich hierher beschieden habe, und mir ist im Sinn an dich zu schreiben. Heut vor zwey Jahren sas ich bey dir fast den ganzen Tag da wurden Bohnen geschnitten biss[191] um Mitternacht, und der 28te feyerlich mit Thee und freundlichen Gesichtern begann o Lotte, und du versicherst mich mit all der Offenheit und Leichtigkeit der Seele, die mir so werth immer war an dir, dass ihr mich noch liebt, denn sieh es wäre gar traurig wenn auch über uns der Zeiten Lauf das Uebergewicht neh men sollte. Ich werde dir ehestens ein Gebetbuch, Schatzkästgen oder wie du's nennen magst schicken, um dich Morgends und Abends zu stärken in guten Erinnerungen der Freundschaft und Liebe. Morgen denckt Ihr gewiss an mich. Morgen bin ich bey euch, und die liebe Meyern hat versprochen mir ihr Geistgen zu schicken mich abzuhohlen. Ein herrlicher Morgen ists, der erste lang ersehnte Regen nach einer Dürre über vier Wochen, der mich erquickt wie das Land, und dass ich ihn auch eben auf dem Lande geniesse! Vorgestern war Gotter da, er geht mit zwey Schwestern nach Lyon, dort eine Schwester zu besuchen, ist immer gut, und sehr krank, doch munter, es ward unser altes Leben rekapitulirt, er grüste herzlich dein Schattenbild, ich schwäzt ihm allerley vor pp. und so ging er wieder. Darinn hab ich's gut, wenn meine Freunde halbweg reisen so müssen sie zu mir, bey mir vorbey und zollen.

d. 31. Aug. Hier herein gehört meine Liebe, beyliegendes Blättchen das ich in Langen schrieb letzten Samstag eh Merck kam. Wir verbrachten einen glücklichen [192] Tag, der Sonntag war leider sehr trocken. doch die Nacht traumt ich von dir wie ich wäre wieder zu dir gekommen und du mir einen herzlichen Kuss geben hättest. Solang ich von dir weg binn hab ich weder wachend noch träumend, dich so deutlich vor mir gesehn. Adieu. von den Silhouetten hierbey ist eine für euch, für Meyers, für Zimmermann. Kestner soll mir doch auch wieder einmal schreiben. Adieu Lotte ich danke dir dass du wohl lesen magst was ich schreibe und drucken lasse, hab ich dich doch auch lieb. Küss mir den Buben. und wenn ich kommen kann, ohne viel zu reden, und schreiben, steh ich wieder vor dir, wie ich einst von dir verschwand, darüber du dann nicht erschröcken, noch mich ein garstig Gesicht schelten magst. Grüs Meyers. Ich möchte dich doch sehen den Buben aufm Arm. Adieu Adieu.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1774. An Charlotte Kestner, geb. Buff. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8338-2