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An Sulpiz Boisserée

Es ist mir ein unangenehmes, beynahe trauriges Gefühl wenn ich in einer Jahreszeit, wo wir sonst froh, theilnehmend und glücklich zusammen unter schönen Constellationen wandelten und haus'ten, einen Ablauf nehmen muß, um Ihnen endlich einmal zu sagen, daß ich mit aufrichtiger Theilnahme fort und fort Ihrer gedenke. Sogar daß Sie mit Herrn von Cotta in einer Stadt leben, wo es Ihnen also an meinen neuesten Productionen nicht fehlen kann, ist Ursache daß ich weniger sendete und schrieb.

Ein ausgezeichnetes Exemplar meines Divans zu übersenden, war meine entschiedene Absicht. Den Druck haben die Jenenser unverantwortlich verspätet und ich selbst kann mit dem prosaischen Nachtrag nicht fertig werden. Möge alles zusammen, zur guten Stunde, Sie rück- und vorwärts erfreuen.

Die Anwesenheit Ihro Majestät der Kaiserin von Rußland und die mir auferlegte Einleitung der Festfreunden nahm das letzte Viertel des vorigen Jahrs hinweg. So gut ich auch secundirt ward, so ist doch für mich die Epoche dieser Späße vorbey und ich darf mich freuen daß Anlage und Ausführung noch heiter und ergötzlich genug waren; die Gedichte zeugen davon und wir wollen es nun dabey bewenden lassen.

[189] Das vierte Stück von Kunst und Alterthum ist Ihnen nun auch bekannt. Indem ich mancherley vergangene Arbeiten wieder belebe, ist es freylich eine ganz besondere Rückkehr in vergangene Zustände. Die Lebenszerstreuung, die mich von einem Gegenstand, von einer Arbeit zur andern riß, wird mir dabey nur allzudeutlich, die Actenhefte und Papierbündel, wie ich sie durchsehe und aufschnüre, machen mich oft den Kopf schütteln. Wie manches Gute, auch auf Ihre Unternehmungen und Thätigkeit bezüglich, liegt hier verschüttet.

Da bleibt nun weiter nichts übrig als sich nicht zu besinnen, und immer nur das Nöthigste vor die Hand zu nehmen. An der Morphologie, Naturwissenschaft u.s.w. wird auch immer sachte fortgedruckt. Ich erinnere mich bey dieser Gelegenheit eines Vorwurfs den ich von Lavatern in ähnlichem Falle hören mußte, er sagte: »Du thust auch als wenn wir dreyhundert Jahre alt werden wollten.«

Und doch ist, besonders in wissenschaftlichen Dingen, kaum anders zu handeln; wenn man sich nicht alle Jahre zurücknehmen will, so darf man nur mit sich selbst reden. Glücklicherweise hab ich in diesen Dingen nichts zurückzunehmen, und doch gesteh ich: man sollte manchmal einen kühnen Gedanken auszusprechen wagen, damit er Frucht brächte.

Meine Kinder sind nach Berlin und Dresden; ich mag sie gern in bewegtem gegenstandreichen Leben[190] wissen; sie haben mir einen Knaben zurückgelassen, der mit vierzehn Monaten ein gesundes, geregeltes, heiter auffassendes Wesen bethätigt, das sind denn gute Dinge, und so scheint für jedes Alter gesorgt zu seyn, versteht sich, wenn es für sich selbst sorgt.

Willemer war vor geraumer Zeit bey uns auf einer Reise nach Berlin; ich freute mich sehr ihn in meinem häuslichen Cirkel zu sehen, nun ließ er nichts weiter von sich hören; er muß auf einem andern Wege in sein Land zurückgekehrt seyn. Sie sehen, ich denke Sie wie immer noch am Neckar und Mayn.

Allerley hübsche bedeutende Kunstsachen habe die Zeit erworben, einiges unter das Beste zu stellen was ich besitze. Und nun noch zur Frage, wo ich diesen Sommer hingedenke? Seitdem die Dämonen, auf eine so unartige Weise, meinen raschen Flug zu Ihnen unterbrochen, bin ich mehr als jemals gewohnt den Tag walten zu lassen. Daß ich auf einige Monate mich ins Freye, vielleicht in ein Bad begebe, ist nothwendig; wohin? bin ich unentschlüssig. Neben jeder Lockung seh ich schon etwas Bedrohliches und vermisse die schöne Zeit wo man in den Tag hinein nach Freud und Leid hascht.

Lassen Sie sich durch gegenwärtiges Blatt zu einer baldigen Mittheilung aufregen; geben Sie mir von Ihren Zuständen frohe Kunde, so ergiebt sich wohl im Laufe der Zeit wieder eine lebhaftere Mittheilung. Grüßen Sie mir die lieben Ihrigen, Freunde und Wohlwollende. [191] Mögen Sie mir von Danneckers Christus vertraulich eröffnen was davon zu erwarten und zu hoffen ist. Mög es Ihnen wohl und nach Wunsch gehen.

und so treulichst fortan

Weimar den 18. Juni 1819.

J. W. v. Goethe.


Herr von Cotta, dem ich mich bestens zu empfehlen bitte, theilt Ihnen wohl freundlich die Aushängebogen mit, die von Zeit zu Zeit in seine Hände kommen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1819. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-838A-C