[59] 46/196a.

An den König Ludwig I. von Bayern

[Concept.]

[11. Januar 1830.]

Allerdurchlauchtigster pp.
pp.

Indem ich nunmehro hoffen darf daß Allerhöchstdieselben dem 29. Theil meiner Werke allergnädigste Aufmerksamkeit gewidmet haben, darf ich mich wohl überzeugen, es werde in dem darin enthaltenen Bericht von meinem zweyten längeren Aufenthalt in Rom Allerhöchstdenselben genügende Antwort auf die mit unschätzbare Theilnahme an mich erlassenen Fragen geworden seyn.

Ja ich wage mir zu schmeicheln Ew. Königl. Majestät werde die beschränkte Mühseligkeit bey ernstem Wollen, welches sich in diesen Bogen überall ausspricht, mit einiger Rührung betrachtet haben, und fasse die Überzeugung daß Allerhöchstdieselben einem Zeitgenossen Leben und Bildung auf eine bedeutende Weise großmüthig erleichtert hätten.

Wie dem auch sey, so darf ich hoffen daß Allerhöchstdieselben nach Durchlesung dieses Bändchens mir nicht weniger als vorher ein unschätzbares Wohlwollen werde angedeihen lassen.

Gleichermaßen hoff ich Verzeihung daß ich dieselbe Gunst in einer Zuschrift in Anspruch genommen, welche ich dem Briefwechsel zwischen mir und meinem so [59] theuren Freunde anzufügen mich erdreistete. Wem konnte ich wohl diese offenbare Geheimschriften am gehörigsten und nothwendigsten darbringen als demjenigen der die großen Verdienste jenes Mannes um Bildung seiner Nation so gründlich zu schätzen wußte.

Alsdann vernehme ich, Ew. Majestät verlange zu wissen warum ich einigen meiner älteren Lieder die Bezeichnung Cophtische gegeben; dieses zu erklären nehme mir die Freyheit zu eröffnen daß das große ausführliche Lustspiel, welches den Titel der Groß-Cophta führt, nach der ersten Intention als Oper erscheinen sollte, welche in Arien und Gesammtstücken schon so weit vorgerückt war daß Capellmeister Reichardt eine Composition derselben unternehmen konnte.

Die wenigen, unter der Rubrik Cophtische Lieder aufbewahren Gedichte sind die Trümmer jener Arbeit, welche bey abgeändertem Vorsatz übrig geblieben, wie denn auch ihr Inhalt zeugt daß sie nicht von dem sittlichsten Sterblichen ihren eigentlichen Ursprung herleiten.

Was den freylich einigermaßen paradoxen Titel der Vertraulichkeiten aus meinem Leben Wahrheit und Dichtung betrifft, so ward derselbige durch die Erfahrung veranlaßt, daß das Publicum immer an der Wahrhaftigkeit solcher biographischen Versuche einigen Zweifel hege. Diesem zu begegnen, bekannte ich mich zu einer Art von Fiction, gewissermaßen [60] ohne Noth, durch einen gewissen Widerspruchs-Geist getrieben, denn es war mein erstestes Bestreben das eigentliches Grundwahre, das, insofern ich es einsah, in meinem Leben obgewaltet hatte, möglichst darzustellen und auszudrücken. Wenn aber ein solches in späteren Jahren nicht möglich ist, ohne die Rückerinnerung und also die Einbildungskraft wirken zu lassen, und man also immer in den Fall kommt gewissermaßen das dichterische Vermögen auszuüben, so ist es klar daß man mehr die Resultate und, wie wir uns das Vergangene jetzt denken, als die Einzelnheiten, wie sie sich damals ereigneten, aufstellen und hervorheben werde. Bringt ja selbst die gemeinste Chronik nothwendig etwas von dem Geiste der Zeit mit, in der sie geschrieben wurde. Wird das vierzehnte Jahrhundert einen Kometen nicht ahnungsvoller überliefern als das neunzehnte? Ja ein bedeutendes Ereigniß wird man, in derselben Stadt, Abends anders als des Morgens erzählen hören.

Dieses alles, was dem Erzählenden und der Erzählung angehört, habe ich hier unter dem Worte: Dichtung, begriffen, um mich des Wahren, dessen ich mir bewußt war, zu meinem Zweck bedienen zu können. Ob ich ihn erreicht habe überlass' ich dem günstigen Leser zu entscheiden, da denn die Frage sich hervorthut: ob das Vorgetragene congruent sey? ob man durchaus den Begriff stufenweiser Ausbildung einer, durch ihre Arbeiten schon bekannten Persönlichkeit sich zu bilden vermöge.

[61] In jeder Geschichte, selbst einer diplomatisch vorgetragenen, sieht man immer die Nation, die Parthey durchscheinen wozu der Schreibende gehörte. Wie anders klingen die Mittheilungen der Franzosen über englische Geschichte als die Engländer.

So ist mir auch in der letzten Zeit höchst merkwürdig geworden der Herzog von St. Simon in seinen Memorien; diese ausführlichen Berichte eines durchaus unterrichteten, Wahrheit liebenden Mannes sind nicht völlig genießbar, wenn man nicht zugiebt es sey ein Duc & Pair der das niederschreibt. Es ist jene Zeit die sich in einem Vornehmen abspiegelt, der weniger zu gewinnen findet als er zu verlieren befürchten muß.

Möge mir diese Ausführlichkeit verziehen seyn; hätte ich das Glück von Ew. Majestät in Gegenwart gehört zu werden, so würde ich gleichmäßig Geist und Herz aufzuschließen gnädigste Genehmigung hoffen.

Mit gleichem Gefühl hab' ich es gewagt Allerhöchstdenenselben den nunmehr abgeschlossenen Briefwechsel mit meinem edlen Freunde zutraulich darzubringen; denn ich darf wohl betheuren daß ich, gerade mit diesen schätzbaren Reliquien beschäftigt, Ew. Majestät immer im Sinn und Auge behalten habe. Eben so ging es mir bey schließlicher Redaction meines zweyten Aufenthaltes in Rom. Hier schildern freylich die Briefauszüge ein mühsameres Benehmen, für Künstler und Kunstfreunde gewissermaßen bänglich, welche durch Höchstderoselben Theilnahme in der neueren Zeit, auf [62] eine so grandiose Weise in Freyheit gesetzt worden, und ein wohlwollendes Lächeln werden Allerhöchstdieselben dem Bekenntniß gönnen: daß jener Schmerz, die schätzenswerthe Statue der Tänzerin damals zurückgelassen zu haben, sich doppelt und dreyfach erneute, wenn ich mir nunmehro vorstellen konnte, daß sie einen würdigen Platz unter den übrigen versammelten Schätzen in der wichtigen Pinakothek hätte finden sollen. Und so ergiebt sich denn, wenn wir das Hin- und Widerwogen des Vergangenen und Gegenwärtigen vergleichen, doch immer zuletzt das tröstliche Resultat: es sey, wenn das was wir gewünscht sich endlich ergeben gesucht, mit gefördert worden, und zwar in einem Sinn daß uns die erwartete Erscheinung noch immer blendend entgegen tritt.

Ew. Königlichen Majestät gnädigsten Beyfall darf ich sodann auch hoffen, wenn ich vertrauensvoll bekenne: wie ich fortfahre die Absichten und Einleitungen meines verewigten gnädigsten Herrn immerfort im Auge zu haben und dahin zu trachten, das Bestehende zu erhalten, das Fortschreitende zu verfolgen und immerfort so zu handeln als wenn man ihm davon Rechenschaft zu geben hätte.

In diesem guten Vorsatz und treuem Handeln begünstigt mich der höhere Sinn und das fortgesetzte Vertrauen unsres jetzt obwaltenden Fürstlichen Paares von welchem ich gleiche Nachsicht und gleiche Förderniß zu rühmen habe.

[63] Unmöglich ist es mir daher an dieser Stelle zu übergehen, welche dankbare Beruhigung auch ich persönlich empfinde wenn Allerhöchstdieselben eine Familie, die dem Unvergeßlichen so nahe verwandt war, und sich nunmehr aus den bisherigen Fugen gerückt sah, in den großen herrlichen sichern Kreis mit aufnehmen wollen, und ihnen nicht nur Schutz und Ruhe, sondern auch unter den gegebenen Umständen das möglichste Behagen gewähren und eine längst erprobte Theilnahme fortsetzen mögen.

So wie Allerhöchstdieselben an der hohen Stelle gewiß nichts Gutes ohne die heilsamsten Wirkungen verfügen und ausführen, so ist auch dieses gnädigst Gewährte in manchen Sinne von den schönsten Folgen; denn es ist kein Verehrer des immer zu früh Abgeschiedenen, der nicht hier eine Fortsetzung von Gunst und Gnade, an der man sonst sogar im Leben zu zweifeln pflegt, auch über das Grab hinaus durch anerkennende Theilnahme so liebenswürdig erstreckt sieht.

Auch dieses Geäußerte wird gnädigst aufgenommen und verziehen seyn, denn ich fühle in meinem Innersten daß ich eben dieses, im gegenwärtigen Augenblick, mündlich mit aller schuldigen Bescheidenheit zu äußern das unbeschränkte Vertrauen würde gehabt haben.

Weimar d. 17. Decbr. 1829.

[64] In eben diesen Sinne und Gefühl darf ich nun wohl fortfahren schuldigst zu vermelden, daß unser guter Geh. Rath und Canzler von Müller, Ew. Königlichen Majestät anhänglichster Verehrer, von seiner zwar flüchtigen aber doch wohlgenutzten Reise zurückkommend sich's zur ersten Angelegenheit machte, den höchst schätzbaren Abguß, der eigentlich durch seine Vermittelung an mich gelangen sollte, zu schauen und in Betrachtung zu ziehen; da wir denn beyde und auf's neue darüber entzückend, dankbarlichst aussprachen, welche Gnadengabe dadurch nicht nur mir und meinem Hause, sondern auch der Stadt, den Bewohnern der Umgegend und den Besuchenden geworden. Wodurch sich denn abermals bethätigt, daß, da Vortreffliches immer neu bleibt, auch die Dankbarkeit gegen den Verleihenden bey jedem Genuß sich erneuern wird.

Leider hab' ich nunmehr am Schlusse einer Angelegenheit zu erwähnen die mir schwer auf dem Herzen liegt; es ist das Befinden Ew. Majestät von dem uns nur ungewisse Nachrichten zugehen. Unser Glück gemeinsam mit soviel Tausend Angehörigen muß es seyn Allerhöchstdieselben nicht nur erhalten, sondern auch in wie großer und behaglicher Thätigkeit zu wissen. Möchte uns doch bald eine Geist und Herzerhebende Nachricht zu Theilen werden.

Und so darf ich wohl, die unverbrüchlichste Anhänglichkeit betheuernd, Vorstehendes wiederholt entschuldigen und mich verehrungsvoll unterzeichnen.

Weimar d. 27. Decbr. 1829.

[65]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1830. An den König Ludwig I. von Bayern. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-88C4-D