37/8.

An Carl Friedrich von Reinhard

Höchst erquicklich waren mir die lieben Gedichte, höchst erfreulich die Nachricht von dem Doppelfeste; möge mir in dem erneuten Leben Ihre freundschaftliche Neigung für und für erhalten seyn.

Und nunmehr im Vertrauen das Bedeutendste, dessen ich nur in stiller Bescheidenheit zu erwähnen mich getraue.

Sogleich am zehnten Tage, als mein körperliches Daseyn den Ärzten gerettet schien, dacht ich an den[6] Erzbischof von Toledo und that im Stillen die Frage: ob mich wohl das große allwaltende Wesen, in gleichem Falle, für gleichem Schicksal bewahr haben möchte?

Wohl überzeugt, daß niemand außer mir selbst die Antwort hierauf ertheilen könne, fing ich an, obgleich ohne Scheu und Sorge, mein geistiges Wesen, wie es konnte und wollte, für sich walten zu lassen. Sie gestehen mir gewiß, daß es eine schwierige Sache ist solche psychische Beobachtungen gegen sich selbst auszuüben, indessen scheint es wohl zu gelingen; ich arbeitete zuerst das nächste aufgeschwollene Gleichgültigere weg, die abschließliche Redaction der Hefte, deren Druck während meiner Krankheit fortgegangen, deutete mir nach allen Seiten; in verschiedenen Fächern unterstützten die Freunde mich thätig, und so habe ich mich mit jedem Tage freyer und heiterer befunden, ja viel glücklicher und entschiedener als vor dem Eintritt der Krankheit, von der ich denn doch einige Vorahndung hatte, ohne zu wissen, wie ich ihr entgehen oder ihr vorbeugen sollte.

Nehmen Sie dieses Bekenntniß, mein Theuersten so freundlich auf, als es mir wichtig scheinen muß denn in dieser letzten Zeit war doch nur eine geistige Unterhaltung nach allen Seiten mein einziger Genuß, ja das Element meines Daseyns, worauf zu verzichten schwer gefallen wäre. Wir wollen indessen in Demuth und Bescheidenheit dem Fernern entgegen gehen, was uns die Unerforschlichen zubereitet haben mögen.

[7] Beyliegendes Gedicht gibt zu erkennen, daß es eines bedeutenden Seitensprungs bedurfte, um dem Tartaren aus dem Wege zu kommen und ihm noch eine Weile hintennach zu sehen. Das nächste Stück von Kunst und Alterthum bringt noch mancherley, das ich Ihnen und Ihrer theuren Gräfin Tochter, so wie mich selbst, bestens empfehlen darf.

and so for ever

treulichst

Weimar den 10. April 1823.

J. W. v. Goethe.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1823. An Carl Friedrich von Reinhard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8B72-B