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An David Friedländer

Ew. Wohlgeb.

angenehme Sendung habe ich gerade zu Ende des Jahrs erhalten und ich bin Ihnen abermals vielen Dank schuldig, daß Sie mir und meinen Freunden zu manchen Betrachtungen Anlaß gegeben haben.

Der rothe Marmor, woraus das Kunstwerk verfertigt ist, so wie die Arbeit selbst deutet auf die Zeit[223] Hadrians. Es hat freylich, bis es zu uns gelangen können, von seiner ersten Schönheit gar viel verloren.

Die Herme wie sie vor uns steht, giebt sich als bärtiger Bacchus zu erkennen, der im Alterthum öfters vorkommt. Sie ist ohne Hinterhaupt und war ursprünglich eine Doppelherme, die man durchgesägt hat, weil entweder das zweyte Angesicht sehr beschädigt war, oder weil man für die Kabinette gleich ein paar Gegenbilder erhielt; ein Fall, der in Museen nicht einzig ist. An den Haaren und dem Bart kann man einige Gewaltsamkeit, so wie die Einwirkung der Zeit und gelinder Säuren bemerken, und es wäre zu wünschen, daß es mit den freyen Theilendes Gesichts der gleiche Fall wäre. Dieses ist zwar frey von aller gewaltsamen Beschädigung geblieben; allein gewiß war es wo nicht von kleinen Pockengruben angegriffen, doch wenigstens mit einiger Rauheit überzogen worden.

Als man nun diese Halbherme in den gegenwärtigen Stand versetzte, das Haar der rechten Seite restaurirte und sie auf den Sockel von moderner Lumachelle (Muschelmarmor) beseitigte, so glaubte man dieses Bildchen besser zu empfehlen, wenn man die nackten Theile des Gesichts glättete. Diese Operation ist aber demselben zu großem Unheil gerathen: denn durch Wegnahme der ersten Epiderme ist der zarte Kunsthauch zugleich mit weggenommen, der Ansatz der Barthaare gegen die Wange ist zu einem Theaterbart[224] geworden, das Profil hat sich verstumpft, und ob man gleich die Intention der ersten Formen durchaus noch recht gut erkennen kann, so sind sie doch vergröbert, gewissermaßen geistlos und maskenhaften geworden und es braucht erst Zeit und Nachdenken, sich damit zu befreunden und das mir der Seele zu ergreifen, was den Augen versagt ist. Dergleichen Reste des Alterthums sind echt zur Verzweiflung der Liebhaber da, das äußere Anschaun setzt sich in Widerspruch mit dem innern Sinn, man kann ihnen die Verdienste nicht wieder geben, die sie verloren haben, und die übriggebliebenen nicht ableugnen.

Aus allem diesen werden Ew. Wohlgeb. ersehn, daß ich mir den Besitz dieses schätzbaren Restes mit Vergnügen zueigne; ich wünsche nur, daß meine Gegensendung Sie und Ihren Herrn Sohn einigermaßen befriedigen möge. Hiezu erbitte ich mir einige Wochen Frist: denn ich möchte meine Sammlungen gern durchgehn und etwas Ausgesuchtes übersenden.

Der ich mit nochmaligem Dank für die baldige Gewährung meines Wunsches mich zu geneigtem Andenken empfehle.

Ew. Wohlgeb.

ergebenster Diener

J. W. v. Goethe.

Weimar den 4. Januar 1813.
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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An David Friedländer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8B7B-A