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An Carl Friedrich Zelter

Fortsetzung.

Von dem Zweige deiner Liedertafel zu sprechen, mit dem du nicht unzufrieden bist, möchte ich sagen: daß diese guten jungen Leute, der fortschreitenden Zeit gemäß, natürlicherweise auch vorwärts wollen; aber [2] wohin? das ist die Frage. Wir andern, wie alle unsre Lieder zeugen, verlangten eine gesellig-abgegränzte Heiterkeit und setzen uns in die unschuldige Opposition mit den Philistern. Diese sind zwar weder überwunden noch vertilgt, aber sie kommen nicht mehr in Betracht. Nun suchen sich die neuen Muntern auf einer höhern Stufe ihre Gegner, und es sollte mich wundern, wenn deine Schüler nicht auf die Sprünge von Béranger kämen. Das ist freylich ein Feld, wo noch was zu thun ist und wo sie uns überbieten können, vorausgesetzt daß sie soviel Talent haben als der Genannte; dieses aber so wie manches Andere sey den Dämonen empfohlen, die ihre Pfoten in all dem Spiel haben.

Daß Bürgers Talent wieder zur Sprache kommt, wundert mich nicht; es war ein entschiedenes deutsches Talent, aber ohne Grund und ohne Geschmack, so plat wie sein Publicum. Ich habe gewiß, als junger Enthusiast, zu seinem Gelingen vor der Welt viel beygetragen; zuletzt aber war mir's doch gräßlich zu Muthe, wenn eine wohlerzogene Hofdame, im galantesten Négligé, die Frau Fips oder Faps, wie sie heißt, mit Entzücken vordeclamirte. Es ward bedenklich den Hof, den man ihr zu machen angefangen hatte, weiter fortzusetzen, wenn sie auch übrigens ganz reizend und appetitlich aussah.

Schiller hielt ihm freylich den ideellgeschliffenen Spiegel schroff entgegen, und in diesem Sinne kann man sich Bürgers annehmen; indessen konnte Schiller [3] dergleichen Gemeinheiten ohnmöglich neben sich leiden, da er etwas Anderes wollte, was er auch erreicht hat.

Bürgers Talent anzuerkennen kostete mich nichts, es war immer zu seiner Zeit bedeutend; auch gilt das Echte, Wahre daran noch immer und wird in der Geschichte der deutschen Literatur mit Ehren genannt werden.

Daß unsre sechs Bändchen, die du nun verschlungen hast, dich im Innern zugleich erfreuen und peinigen, liegt in der Natur der Sache. Wenn du nun überlegst, daß Schiller gerade in der rechten Zeit von hinnen ging und uns die Epoche von 1806 u.s.w. auf dem Halse ließ, so kannst du allerlei denken, da dir diese Folge auch genugsam gelastet hat.

Meine Farbenlehre war bis etwa in den 10. Bogen abgedruckt, die dazu gehörigen Papiere waren das Erste, was ich rettete. Wundersam genug fand sich, daß irgend jemand anders auch dieses Asyl für bedeutende Dinge gesucht, mein Geflüchtetes beseitigt hatte. Es war auch so gerettet. Ich fand mich in Stand gesetzt, das ganze Werk nach bester Überzeugung vier Jahre hernach herauszugeben, ich wüßte noch jetzt nicht viel daran zu ändern. Was zu suppliren war, hab ich anderwärts gethan, und noch weiß vielleicht niemand vollkommen, was er damit machen soll.

Mit diesem Besondern sprech ich aus: daß wir seit Schillers Ableben nicht aufgehört haben uns tausendfach zu bemühen, bis auf den heutigen tag, der nach seiner Art gleichfalls auf uns lastet.

[4] Erlaube mir diese wunderbar hin- und herspringende manier, es gibt sonst kein Gespräch und keine Unterhaltung; ich erlaube dir desgleichen ohne viel Besinnen.

Es gilt am Ende doch nur Vorwärts!

W. d. 6. Nov. 1830.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1830. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8BE3-D