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An Charlotte von Stein

Meiningen d. 12ten Apr.

Dein lieber Brief den ich hier fand hat mir einen freundlichen Willkommen gegeben. Ich logire bey Bibra, und meine Sachen gehn gut. Die Herzoge wenden [306] Erde und alte Mauern um, und machen Thorheiten die ich ihnen gern verzeihe weil ich mich meiner eignen erinnere. Sie fragen mich um Rath, und ich habe gelernt nicht mehr zu rathen als was ich sehe daß auszuführen ist.

Die Frau v. Hendrich leidet viel um ihren ältsten Sohn, ich habe ihr wenig Hoffnung für das Kind geben können, es ist aus seiner innersten Natur heraus ohnmächtig und schleppt ein Hülfloses Leben. Sie will mir seines Zustandes Geschichte aufsetzen und ich soll Huflanden konsultiren. Der Frau von Bibra verschreib ich eine Mamsell von Lausanne, und habe noch eine Menge eben so ungleicher Aufträge übernommen, du siehst daß ich Wort halte.

O liebe Lotte was sind die meisten Menschen so übel dran! Wie eng ist ihr Lebenskreis und wo lauft es hinaus! Wir beyde haben dagegen Schätze daß wir Könige auskaufen könnten, laß uns im Stillen des bescheerten geniessen.

Stein wird schweer geheilt werden, du dauerst mich. Wenn du noch von dieser Seite beruhigt wärest, so würden wir die Last der Welt wenig fühlen. Ich habe mich diese Tage her recht bemüht meine Gedancken auf die Erdschollen zu konzentriren, und bin nur überzeugter daß ein Mensch der seine Lebzeit am Spieltisch zugebracht hat, nicht ein Bauer werden kann. Man muß ganz nah an der Erde gebohren und erzogen seyn um ihr etwas abzugewinnen.

[307] Es ist ein erhabnes, wundervolles Schauspiel wenn ich nun über Berge und Felder reite, da mir die Entstehung und Bildung der Oberfläche unsrer Erde und die Nahrung welche Menschen draus ziehen zu gleicher Zeit deutlich und anschaulich wird; erlaube wenn ich zurückkomme daß ich dich nach meiner Art auf den Gipfel des Felsens führe und dir die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit zeige.

Morgen geh ich auf Barchfeld und bleibe da biß Dienstag früh. Laß mich Dienstag Abend ia ein Wort in Illmenau finden und eine Hoffnung auf den Donnerstag. Er wird ia auch kommen, und mir wohlthätig seyn, es ist mir ia bisher alles so gut gegangen.

Die arme Herzoginn dauert mich von Grund aus. Auch diesem Übel seh ich keine Hülfe. Könnte sie einen Gegenstand finden der ihr Herz zu sich lenckte, so wäre, wenn das Glück wollte, vielleicht eine Aus sicht vor sie. Die Gräfinn ist gewiss liebenswürdig, und gemacht einen Mann anzuziehen und zu erhalten. Die Herzoginn ists auch, nur daß es bey ihr wenn ich so sagen darf immer in der Knospe bleibt. Der Zugeschlossne schliesst alle zu, und der offne öffnet, vorzüglich wenn Superiorität in beyden ist. Man kann nicht angenehmer seyn als die Herzoginn ist, wenn es ihr auch nur Augenblicke mit Menschen wohl wird; auch sogar wenn sie aus Raisonnement gefällig ist, das neuerdings mehrmals geschieht, ist ihre Gegenwart wohlthätig.

[308] Wenn ich komme sag ich dir noch viel hierüber, auch über die Gräfinn was ich weis.

O du beste! wer kann der Liebe vorschreiben? Dem einfachsten und dem grilligsten Dinge in der grillenhafften Zusammensetzung die man Mensch nennt. Dem Kinde das bald mit elendem Spielzeuge zu führen ist, bald mit allen Schätzen nicht angelockt werden kann. Dem Gestirn dessen Weeg man bald wie die Bahn der Sonne auf den Punckt auszurechnen im Stande ist, und das offt schlimmer als Comet und Irrlicht den Beobachter trügt.

Hier beste ein Epigramm, davon die Dichtung dein ist. Du wirst dich verwundern wie Herr Jourdain, qui faisoit de la prose sans le scavoir.

Königen sagt man hat die Natur vor andern Gebohrnen,
Zu des Reiches Heil längere Arme verliehn.
Doch auch mir geringen gab sie das fürstliche Vorrecht,
Denn ich fasse von fern und halte dich Psyche mir fest.

Nun hab ich noch ein Conzert und ein Souper auszustehn.

Mit den Prinzessinnen hoff ich soll es schon besser gehn, besonders da sie die kleine Thunger bey sich haben der ich gut bin. Nicht wahr du erlaubst mir freundlich und artig zu seyn, denn ich bringe dir doch immer den Ganzen wieder zurück. Tausendmal Adieu.

G. [309]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1782. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8CA5-2