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An Johann Heinrich Meyer

[17. August.]

Jede Zeitepoche überhaupt und so auch die unsrige läßt sich einem Piknik vergleichen, wozu jeder das Seinige, nach dem bekannten Geschmack der Gäste, beytragen will. So auch einer Illumination wo neben den lebhaftesten und brillantesten Feuern auch wohl ein unscheinbares Lämpchen angezündet wird. Eben so scheint es mir, daß wir, in diesen tumultuarischen und dislocirenden Tagen, doch auch an unserer Seite nicht stillsitzen und die National Wanderungen, indem wir wenigstens von Haus zu Haus ziehn, wenigstens [147] einigermaßen nachahmen wollen. Haben Sie also recht vielen Dank, daß Sie, als ein weiser Mann, sich in den Geist der Zeit finden und ihm nicht wiederstreben mögen. Und wenn die Veränderungen Unbequemlichkeiten für Sie mit sich führen, so suchen Sie die Umstände so viel möglich zum Vortheile der Sache zu nutzen. Sollte nicht eben gerade jetzt eine Sichtung recht am Platze seyn? so wie Sie auch Niemanden erlauben werden sich willkürlich zu placiren, sondern vielleicht mit Anschreibung der Namen oder Nummern nach verdienst oder Schicklichkeit die Plätze vertheilen werden. Da ich nicht weiß, wie nah oder fern diese Veränderung ist, und ich vor Hälfte Septembers wohl schwerlich nach Hause komme; so überlasse ich Ihnen alles nach Ihrer Einsicht einzurichten. Sehen Sie wenn es möglich ist, gleich ein Holzdeputat zu erhalten, wenn es auch nur zuerst für diesen Winter wäre: denn bey einer solchen neuen Einrichtung kann man den daraus herfließenden Aufwand nicht übersehen, und es ist immer gut dergleichen zu Anfang zur Sprache zu bringen. Wenn wir Mittel finden sollen manche Schwierigkeit zu heben, so ist es billig daß man andrerseits auch mit eingreife.

Die geschnittenen Steine habe ich alle viere nicht weglassen können. Freylich mußte ich über Ihre Schätzung hinausgehen; doch wenn man eins ins andre rechnet, so werden Sie mich nicht tadeln. Alle viere sind unstreitig antik, wohlerhalten, schöne Steine [148] zwey gefaßt, und werden durchaus besser, je genauer man sie betrachtet. Die beyden Kinder und der alte Kopf sind genugsam ausgeführt, der Merkur sehr naiv, und die Faunetti gar lustig. In diesen steckt eine verborgene Ungezogenheit, um derentwillen dieser Stein, übrigens der geringste, am theuersten gehalten wurde. Da ich sie alle vier nahm, so kann ich sie einzeln rechnen, wie ich will. Abdrücke in schwarzem Wachs liegen für Sie bereit; doch konnte ich sie noch nicht zu Ihnen bringen. Es sind diesmal so wenige Personen hier aus jenen Gegend.

Kaaz von Dresden ist hier und unterrichtet uns in einer Art von Mittelgouache, einer gar hübschen und heiteren Manier, worin man auf eine bequeme Weise gerade soviel leisten kann, als man versteht, indem man durch Überlasiren und Aufhöhen den Effect nach Belieben verstärken, verändern und das bedeutende zuletzt geistreich aufsetzen kann, da zum Aussparen eine sichre Einlage von vorn herein, viel Abstraction und eine vollendete Technik gehört. Sie sprachen kurz vor meiner Abreise von etwas Ähnlichem und ich habe deshalb um desto lieber zugegriffen. Kaaz wird auch wohl etwas zu Ihrer Ausstellung schicken. Es ist ein gar tüchtiger guter Mensch, der mit dem was ihm die Natur gegeben hat, ernstlich und rasch nach seinem Ziele hinschreitet.

Vor einiger Zeit hat mir Bury's Gegenwart auch viel Freude gemacht. Er ist noch immer der alte [149] und sowohl in Kunst als in Leben immer noch ein Sturmlaufender. Alles ist noch beynahe convulsiv; doch haben sich sein Charakter und seine Weltansichten gar hübsch und rein ausgebildet. Was die höheren Kunstansichten betrifft; so entspringen sie, wie fast bey allen Künstlern, aus der Reflexion und nicht aus der Erfindungskraft; wodurch denn ein Schwanken zwischen dem Wahrhaft- und zwischen dem Scheinbarbedeutenden entsteht, das sich bey jedem einzelnen Falle erneuert. Ich habe meiner Frau etwas geschickt was er hier gemacht hat. Wenn ich nicht irre, so werden Sie ihn von seiner besten Seite darin wieder erkennen.

Sonst ist mir nichts begegnet was uns gemeinsam interessiren könnte. Ich bin auf allerley Weise fleißig und denke die drey vier Wochen, welche ich noch auswärts bleibe, bestens zu nutzen. Leben Sie recht wohl und gedenken mein, bis wir wieder an unsre gemeinsamen Betrachtungen und Arbeiten gehen können.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1808. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8EBC-D