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An Johann Friedrich Rochlitz

Um auf Ihren erfreulich erquicklichen Brief sogleich auch nur weniges dankbar zu erwidern bringe das zu Papiere was schon längst Ihnen zuzusenden die Absicht war.

In jenen traurigen Stunden, wo wir keine Hoffnung auf die Erhaltung unsrer verehrten Fürstin mehr haben konnten, sie aber doch noch am Leben wußten und uns immer noch mit irgend einem Wiederaufathmen einer so lang geprüften Natur schmeicheln mochten, war Ottilie bey mir auf dem Zimmer und Ihre neusten Bände lagen eben vor. Sie ergriff einen und las in dem heiter geschriebenen Leben das wunderlich unschuldige Benehmen des seltsamen Organisten, sodann das Urtheil über die Reichardtischen Lieder und was sonst noch folgte, das alles unsre Aufmerksamkeit fesseln und unsre Neigung anziehen konnte, dergestalt daß ich diesen wahren geistreichen Darstellungen in solchen Tagen und Stunden sehr viel schuldig geworden.

Dieses wollte ganz einfach vermelden und hinzufügen: wie sehr es mich gefreut hat meine italiänische Reise von Ihnen so von Grund aus reproduzirt zu sehen. Wie möchten wir denn vergangene Zustände uns selbst wieder hervorrufen und der Welt getrost mittheilen, wenn wir nicht Glauben und Überzeugung [7] hätten es werden sich begabte Geister finden, die das alles aufnehmen wie es gegeben ist, in welchen gleiche Gesinnungen auf- und absteigen, gleiche Erfahrungen zu denselben Resultaten führen.

Und so bin ich mit meinen ältern und neuern Productionen in diesem Sinne gar wohl zufrieden. Ich habe mich möglichst vor allem Didactischen gehütet und es durchaus in ein poetisches Leben einzugeisten gesucht. Nun muß es mich höchlich freuen wenn ein so löblich Mitarbeitender, Mitlebender auch sich selbst und Verwandtes in meinen Heften findet, sich an den Mängeln wie an den Tugenden erbaut; weil das Ganze zuletzt von einem redlichen Streben nach einem edlen Zwecke Zeugniß gibt, der, nie erreicht, aber immer im Augen behalten, den Muth gibt Kräfte zu steigern, um sich und andern, bald einsam bald gesellig, einen Weg zu bahnen, der, zurückgelegt, selbst schon als erreichter Zweck betrachtet werden kann.

Hier muß ich aufhören um nicht gar in's Abstruse zu gelangen, ob ich gleich mich in keine Region begeben könnte, wohin Sie mich nicht, mit Beystimmung und Zufriedenheit, begleiten möchten.

Eilig sey dieß Blatt zusammengelegt um nicht einen Posttag länger zu verweilen. Mit den treusten Wünschen von Herzen angehörig

Weimar den 6. April 1830.

J. W. v. Goethe. [8]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1830. An Johann Friedrich Rochlitz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8F4D-1