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An Carl Ludwig Woltmann

[Concept.]

Damit es mir mit Ew. Hochwohlgeb. Briefe nicht ergehe wie mit so manchen werthen Zuschriften, die ich so lange wiederholt im Kopfe beantworte, bis endlich nichts von allem dem was ich sagen wollte, auf's Papier kommt; so will ich lieber gleich für das Übersendete meinen schuldigen Dank abtragen und Ihr gütiges Vertrauen aufrichtig erwidern. Zu Ihrer Monatsschrift Beyträge zu liefern bin ich leider durch mancherley gehindert, ich muß mich möglichst concentriren [272] und darf keine neuen Obliegenheiten eingehn, wenn ich dasjenige nur einigermaßen leisten will, was ich mir vorgenommen habe, wenn so manches dichterisch und wissenschaftlich Vorgearbeitete nicht unbrauchbar bleiben und verloren gehen soll. Die unausweichlichen Forderungen, die der Tag an uns macht, sind ohnehin dringend und störend genug.

Hiezu noch eins. Je älter man wird, je weniger wird es uns möglich, in Gesellschaft an's Publicum zu reden. Ich kann nicht verlangen daß ein Redacteur Aufsätze ausschließen soll, die meinem Sinn widersprechen, aber mir kommt es gar zu wunderlich vor, in Einem Heft meine Überzeugungen und das Gegentheil davon zu lesen, schließ ich mich aber in ein Bändchen ein, so laß ich jeden gern in seinen Bänden und auf seinen Blättern mir nach Belieben widersprechen, ich seh mich kaum danach um, kommt es mir aber zufällig in die Hände so übe und belehre ich mich daran so gut als es gehn will.

Da ich eben dieses einigen werthen Freunden seit etlichen Wochen habe antworten und sagen müssen, so verzeihe Sie mir gewiß dieser meiner Lage und meinen Kräften ganz angemessene Erklärung.

Nehmen Sie nur aber den besten und aufrichtigsten Dank für das, was Sie über meine biographische Arbeit haben äußern wollen. Der gründliche und freydenkende Historiker ist freylich am ersten im Fall, solche problematische Productionen zu beurtheilen und [273] zu würdigen, er stößt sich daran, daß man ihm Dichtung und Wahrheit anbietet, da er weiß, wie viele Dichtung er von bedeutenden historischen Monumenten anziehn muß, um die Wahrheit übrig zu behalten. Die deutschen haben die eigne Art, daß sie nichts annehmen können, wie man's ihnen giebt, reicht man ihnen den Stiel des Messers zu, so finde sie ihn nicht scharf, bietet man ihnen die Spitze, so schreyen sie über Verletzung. Sie haben so unendlich viel gelesen und für neue Formen fehlt ihnen die Empfänglichkeit. Erst wenn sie sich mit einer Sache befreunden, dann sind sie einsichtig, gut und wahrhaft liebenswürdig. Als Autor hab ich mich daher jederzeit isolirt gefunden, weil nur mein Vergangenes wirksam war und ich zu meinem Gegenwärtigen keine Theilnehmer finden konnte. Hieraus ersehn Sie, wie hoch ich Ihre so freundliche als einsichtsvolle Einleitung schätzen muß, die Sie meiner letzten Arbeit gönnen wollen.

Sodann bin ich für die Fortsetzung des Tacitus höchlich verbunden und werde mit der Abhandlung über Leben, Geist und Werke dieses vortrefflichen Schriftstellers mich sogleich beschäftigen und es dankbar erkennen, daß Sie mich wieder zu ihm führen. Vor zwey Jahren in Carlsbad war es das letzte Mal daß ich ihn zur Hand nahm.

Die Tragödie werd ich mit Bedacht lesen und die denen Personen mittheilen, welche bey der Aufführung neuer Stücke hauptsächlich mitwirken und das Thuliche [274] und Mögliche manchmal besser beurtheilen als ich selbst, weil ihnen die technischen Mittel und die Gesinnungen des Publicums bekannter sind.

Unsern guten Wieland haben wir nun auch verloren. Er trug die Unfälle der letzten Jahre mit Gleichmuth, wie das Glück der frühern. Er lebte nach seiner Weise thätig und gesellig bis an's Ende. Einen gleichern Lebensfaden hat die Parze kaum gesponnen.

Leben Sie recht wohl! und lassen uns, bis der unsrige abgeschnitten wird, das alte gute Verhältniß manchmal erneuern, und die Zeit so anwenden, daß jenes in früheren Jahren allenfalls Versäumte durch spätere Kraftanwendung einigermaßen nachgeholt werde.

Mich zu fernerem freundlichen Andenken bestens empfehlend

Weimar den 5. Febr. 1813.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An Carl Ludwig Woltmann. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9089-0