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An August von Goethe

Nun bin ich so ziemlich eingerichtet, ich wohne allerliebst, aber theuer, esse gut und wohlfeil, Wein habe ich von Frankfurt verschrieben und werde mich also in diesen Hauptpuncten bald wohl versorgt finden. Morgens, nach köstlichem Schwalbacher Wasser, habe ich in dem heilsamen Wiesbade, das alles bekommt mir recht gut und ich kann dabey thätig seyn. Neapel rückt vor, so wie Sicilien; diese lustigen Erinnerungen unterhalten mich, ohne die mindeste Anstrengung. Ich habe sie so oft erzählt daß es Zeit ist sie auf dem Papier zu befestigen. OberbergrathCramer und Bibliothekar Hundeshagen sind freundlich, theilnehmend, hülfreich, wie voriges Jahr. Major von Luck aus Maynz hat mich schon besucht, von niemand weiter habe ich gehört und lebe also in der erwünschtesten Einsamkeit. Des Tages gehe ich zweymal spazieren, die Gegend erscheint herrlicher, je mehr man sie sieht und schätzt.

Es ist das heiterste Wetter, freylich zum Schaden des Land- und Gartenbaues, sie haben in zehn Wochen keinen anhaltenden Regen gehabt. Indessen genießt man schon hier Schotenerbsen, auch ausgelieferte; was aber besonders erfreulich ist wird doch immer der Salmen bleiben, dessen Portion mit trefflicher Gelée man, zu jeder Stunde, für 30 Kreuzer im Cursaal haben kann. Es ist jetzt grade seine rechte Zeit, ich muß mich nur in Acht nehmen daß ich mich nicht daran überesse. Herzkirschen stehen schon, in großen Körben, an allen Ecken.

Unter den Pflanzen ist mit eine gefüllte Lychnis vorgekommen, als Gartenschmuck das schönste was man sehen kann, auf den Herbst hoffe ich soll man uns Pflanzen schicken. Die Rosen blühen vollkommen, die Nachtigallen singen wie man nur wünscht und so ist es keine Kunst sich nach Schiras zu versetzen. Auch sind die neuen Glieder des Divans reichlich eingeschaltet und ein frischer Addreßcalender der ganzen Versammlung geschrieben, die sich nunmehr auf hundert beläuft, die Beygänger und kleine Dienerschaft nicht gerechnet.

Und so sind denn die Tage der Reise und des hiesigen Aufenthalts froh und nützlich zugebracht. Die Fortsetzung nächstens.


Sonntag den 4. Juni.

Nun bin ich volle acht Tage hier und alles läßt sich sehr gut an. Ich trinke das Weilbacher Schwefelwasser mit Milch, bade täglich und dictire dabey immerfort. Nach der Badeliste sind schon vierhundert Gäste hier, die ich nicht bemerke: der Ort ist groß, sie sind alle wahrhaft krank und dann komme ich auch weder an öffentliche Tische noch Orte. Bergrath Cramers bedeutendes Kabinett unterhält mich wie voriges Jahr, schon weiß ich mir die metallreichen Gegenden, bis nach der Grafschaft Mark hin, besser zu vergegenwärtigen und der Umgang mit diesem biedern, verständigen, unterrichteten Mann ist mir belehrend und erheiternd.

Die hiesige Bibliothek, alle Zeitungen, Staatsblätter und Journale anschaffend, sie in der schönsten Ordnung mittheilend, bewirkt gleichfalls eine für den Fremden sehr günstige Unterhaltung.

Das Zimmer, worin diese sämmtlichen Neuigkeiten, in schöne Pappen geheftet, auf Pulten umherliegen, ist wirklich reizend zu sehen und muß den Zeitungslustigen doppelt ergötzen. Heute gehe ich nach Biebrich und so wäre denn die erste Woche feyerlich beschlossen.

Nun muß ich dir vorläufig berichten daß wir ein Unicum, ein Hysterolith, so groß wie diejenigen die du einzeln besitzest, in und am Gestein zu Handen gekommen!! Schon ist er in Baumwolle gepackt, daß ihm ja kein Schade widerfahre. Dabey sind noch einzelne, ferner ein wunderschöner Pectinit, klein, aber zweyschalig, wie die Jacobsmuscheln, oben flach unten [7] gehöhlt, ferner noch einige andere Exemplare jener gegliederten verkiesten Würmer im Dach-Schiefer von Dillenburg, die sich sehr rar machen.

Ich hoffe an Curiosis dieser Gegend auch dießmal reich nach Hause zu kommen, nur bedaure ich nicht mobil zu seyn. Wenn ich die Gegenden selbst besuchte, würde ich nicht allein den anschaulichsten Begriff wegtragen, sondern auch manches köstliche Product, welches mir dort die Freunde zudenken. Dieses sogenannte Übergangsgebirge ist mir höchst merkwürdig, weil ich seine Eigenthümlichkeiten erst jetzt kennen lerne, der ich sonst nur im Ur- und [in seinem Gegensatz] dem Flötzgebirge verweilte.

Brentanos haben mich, auf einen Augenblick, besucht. Georg und dessen Frau, auch Franz; dieser aber als Wittwer, alle in tiefer Trauer: denn die schöne Person, der du dich wohl erinnerst, starb in den Tagen meiner Reise nach Frankfurt. Für mich war es glücklich daß ich durcheilte und nicht in einen so zerstörten Zustand hineinrannte.

Wie viel man thun kann, anhaltend, in sechzehn bis siebenzehn Stunden, sich selbst gelassen und mit entschiedenem Zweck, erfahre ich wieder, seit langer Zeit zum erstenmale. Die sicilische Reisegeschichte geht ihnen lustigen Gang, ich dictire sogar im Bade. Dieß aber wird ganz allein möglich durch die bedeutende Vorarbeit, die ich, mit Ulinen, vor'm Jahr in Berka zu Stande brachte, woraus der vollkommne Calender[8] meiner Reise sich reihte. Dieß giebt mir ein Anhalten, welches auf andere Weise nicht denkbar wäre.

Nach Beuthers Arbeiten, der das hiesige Theater einrichtete, habe ich sogleich nachgefragt. Herr Geheimerath von Pfeiffer, dem die hiesigen Theatergeschäfte untergebend sind, hat die ganz besondere Gefälligkeit mir, an schicklichen Abenden, nach Beendigung des Schauspiels, wenn die Erleuchtung noch vollständig ist, mehrere Decorationen, aber wenigstens Hintergründe zu zeigen, wo ich denn das im Großen sehe, was mir im Kleinern schon kennen und was bey uns größer ausgeführt werden soll. Woraus erhellt, daß der Mann auf dem rechten Wege ist und daß wir auf jede Weise Freude an ihm haben werden.

Soweit möge es für diesmal genug seyn. Nahst du dich Ihro Königl. Hoh. der Fr. Grosherzoginn, so dancke Ihr auf das angelegenste, daß Sie mich zu meinem Heil hierher beordert, und richte theilnehmende Empfehlungen der Bibricher Herrschaften aus. Gleichfalls empfiel mich dem Erbgroßherzog und wo man mein freundlich gedenckt. Hofr. Meyer, Riemers, v. Müller und Peucer. Von dir hoffe ich auch bald zu hören. In Beyliegendem 1 wird G. wegen des [9] Nachbarhauses aufmercksam gemacht. Und somit lebe deine Tage so sachte hin. Auch hier ist alles wie im tiefsten Frieden.

Wiesb. Donnerst. d. 8. Jun. 1815.

G.


Note:

[10] [9]1 Ich habe mich besonnen und will lieber Genasten nicht schreiben. Sprich mit ihm und veranlasse ihn mir zu schreiben. Über Theatersachen, auch über jene Sache an der mir viel liegt!

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1815. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-909A-C