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An Pierre Jean David

[Concept.]

Um bald möglichst, mein werthgeschätztester Herr, Ihnen für die überraschende Sendung schönstens zu danken, bedien ich mich meiner Muttersprache, da ich mich in der Ihrigen nicht so bequem auszudrücken fähig bin; Sie finden in Ihrer Nähe gewiß einen Freund, der Ihnen meine Gesinnungen treulich dolmetscht. Herr Deschamps, dem ich mich vorläufig bestens empfehle, übernimmt ja wohl freundlich ein solches Geschäft.

Lassen Sie mich also ohne Übertreibung sagen: daß ihre wichtige Sendung wahrhaft Epoche in meinem häuslichen und Freundes-Kreise gemacht hat, doppelt und dreyfach erfreulich, weil wir zugleich mit[261] neuen Ansichten uns die schönen Zeiten vergegenwärtigt sehen, wo wir des Vorzugs genossen Sie bey uns zu besitzen.

Wenn Sie sich , mein Geehrtester, lebhaft erinnern, wie sehr ich mich an den drey Profilen vorzüglicher Männer erfreute, die Sie mir dazumal mitbrachten, so werden Sie wohl mitempfinden, welches hohe Interesse die nunmehr gesendete reichhaltige Sammlung für mich haben muß. Den physiologischen und kraniologischen Lehren Lavaters und Galls nicht abgeneigt, fühl ich das lebhafteste Bedürfniß, solche Personen, deren Verdienste mir auf irgend eine Weise bekannt geworden, auch individuell im Bilde näher kennen zu lernen und die Gestalt mit dem Werke, mit der That vergleichen zu können. Und wer kann einen solchen Wunsch eher befriedigen als der Bildhauer, der, bey einem rein-lebendigem Blick in die Natur, einer vollkommenen Technik Meister ist, um dasjenige, was er angeschaut und aufgenommen hat, unmittelbar wieder uns vor Augen zu stellen? Als einen solchen haben wir Sie kennen lernen, als einen solchen beweisen Sie sich in diesen vielfachen, durch mehrere Jahre hindurch gefertigten Bildnissen.

Hiebey scheint mir höchst merkwürdig, daß jedes Gesicht, gleichsam in seiner eigenen Art, durch eine andere Behandlung ausgesprochen worden; die kindlich glatte der Delphine Gay und die mannichfaltig geschmackvoll umgebene M. L'escot scheinen von zwey [262] verschiedenen Händen zu seyn. Ein Gleiches würde von Alten und Jungen und von beiden unter sich wohl durchgeführt werden können.

Höchst angenehm war mir's, Poeten, Künstler, Schriftsteller, deren Arbeiten und Namen mir mehr oder weniger bekannt sind, hier im Bilde zu sehen und in ihren Zügen und Mienen das Complement ihrer Werke mir auszuführen. Gar manches wäre hierüber zu sagen, und mehr wird zu sagen seyn, wenn ich mit einer so ansehnlichen und trefflichen Gesellschaft mich näher werde bekannt gemacht und mich derselben näher befreundet haben.

Nun aber lassen Sie mich vermelden: zu welcher Freude und Beruhigung uns ein Brief des Herrn Grafen Reinhard dieser Tage gereicht, durch welchen wir erfahren: die Form meiner, mit so großem Fleiß und anhaltender Aufmerksamkeit hier am Ort gefertigten Büste sey glücklich bey Ihnen angelangt, auch der Ausguß derselben wohlgerathen ausgestellt.

Wenn Sie von dem Interesse überzeugt sind, welches sowohl ich als meine Freunde, unter welchen der vorzüglich talentreiche Ober-Baudirector Coudray zu nennen ist, an Ihrer Arbeit genommen, wie sehr wir solche zu schätzen gewußt; so wird Ihnen nicht entgehen, welche Sorge uns die Verzögerung des Transportes machen müssen, und wie sehnlich wir nach der Nachricht verlangt, die uns nun durch jenen würdigen Freund zugegangen, der, in entschiedenen [263] Ausdrücken, die größte Zufriedenheit mit einem Werke zu erkennen gibt, das um so mehr den Beyfall der Kenner und die Theilnahme des Publicums verdienen wird, als dergleichen vollgültige Zeugnisse einer glücklich gelungenen Ähnlichkeit dem kunstmäßig Dargestellten auch die höchste Annäherung an Natur und Wirklichkeit bezeugen und begründen.

Hier will ich abbrechen, um gegenwärtiges Blatt nicht zu verspäten, und Sie, mein Theuerster, nur dringend gebeten haben, den vorzüglichen Männern, die mich durch Zusendung ihrer Werke beehrt, vorläufig verpflichteten Dank abzustatten. Herrn Deschamps ersuche besonders zu versichern, daß er mir durch seine Vorrede ein großes Geschenk verliehen, indem ich, auf den Gang der neueren und erneuten Literatur Frankreichs höchst aufmerksam, einen durch ihn mit großer Mäßigkeit und Umsicht eröffneten Überblick mir zu Nutzen mache, welches um so eher geschehen kann, als ich den Inhalt dieses schönen Aufsatzes mit meinen Überzeugungen zusammentreffend, sie erweiternd und bestärkend finde.

Weimar den 8. März 1830.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1830. An Pierre Jean David. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-92B7-D