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An Johann Kaspar Lavater

Du bist immer braver als man denckt, weil du doch immer am Ende das äusserste thust, aber dafür deswegen auch kein Poet, wie neulich iemand sehr wohl von deiner Offenbaarung bemerckte, wo du denn doch eine gewaltsame Streifung in das Gebiete der Dichtkunst geführt hast.

Lass mich bald hören dass du wieder wohl bist.

Noch ist von Wasern nichts angekommen ich bitte drum.

Ein Geistlicher auf dem Harz hat geweisagt dass ihr alle untergehn sollt vom Gotthart bis an den Mayn.

[227] Mit dem Fürsten von Dessau habe ich neulich in Leipzig über dich gesprochen. Er wird dir schreiben und dir selbst sagen dass er dich liebt und schäzt. Ob er sich gleich auch zu Anfang in die Dedication nicht zu finden wusste. Er ist auch einer von denen die sich iezo verwundern dass man sich von dem falschen Propheten die Eingeweide konnte bewegen lassen. Alle, auf die der Kerl gewirkt hat, kommen mir vor wie vernünftige Menschen, die einmal des Nachts vom Alp beschweert worden sind, und bei Tage sich davon keine Rechenschaft zu geben wissen.

Mit den Nachrichten von Wasern thust du mir eine wahre Wohlthat. Ich erwarte sie mit vielem Verlangen.

Vielleicht schik ich dir ehstens ein Portrait von dem Herzog Bernhardt aus dem hiesigen Haus um mir's von Lipfen stechen zu lassen. Wenn er aber, wie du schreibst balde verreist, so muss ich damit einen andern Weeg nehmen. Ich scharre nach meiner Art Vorrath zu einer Lebensgeschichte dieses als Helden und Herrschers wirklich sehr merkwürdigen Mannes, der in seiner kurzen Laufbahn ein Liebling des Schiksaals und der Menschen gewesen ist, zusammen und erwarte die Zeit wo mirs vielleicht glüken wird, ein Feuerwerk draus zu machen. Seine Jahre fallen, wie du wahrscheinlich nicht weisst, in den dreissig-Jährigen Krieg. Sein und seiner Brüder Familien-Gemählde interessirt mich noch am meisten da ich ihren [228] Urenkeln, in denen so manche Züge leibhaftig wieder kommen, so nahe bin. Übrigens versuche ich allerlei Beschwörungen und Hocus pocus um die Gestalten gleichzeitiger Helden und Lumpen in Nachahmung der Hexe zu Endor wenigstens bis an den Gürtel aus dem Grabe zu nöthigen, und allenfalls irgend einen König der an Zeichen und Wunder glaubt ins Bokshorn zu iagen.

Die regierende Herzogin musst du in der ganzen Silhouette nicht erkannt haben. Es ist die stehende Frau die mit dabei ist. Die Sizende ist die Herzogin Mutter.

Das Kupfer nach Juels Bild ist sehr fatal. Nicht eben an der Phisiognomie, aber mir kommts vor, als wenn ein Geist hätte wollen eines guten Freundes Gestalt anziehen, und hätte damit nicht können zurecht kommen, und gukte einen aus bekannten Augen mit einem fremden Blik an, so dass man zwischen Bekanntschaft und Fremdheit in einer unangenehmen Bewegung hin und wieder gezogen wird.

Wegen des Portos wollen wir's künftig so machen dass wir etwas zusammensparen und es auf einmal schiken.

Was du von Albrecht Dürern neuerdings wieder gekriegt hast schik mir ia alles bei Gelegenheit her. Ich gebe die deinen nicht heraus biss sie kompletter ist als iezt. Müller aus Rom schreibt mir dass sie iezt in grossem Werthe drinne stehn.

[229] Die apokalyptische Vignetten sind sehr kleinlich gegen den grossen Inhalt und deine grosse Manier.

In weniger Zeit wird Herr von Knebel, der bei dem Prinzen Constantin ist und nun eine kleine Reise vor sich macht zu dir kommen. Du wirst viel Vergnügen an seinem Umgang haben und begegne ihm wohl.

Weimar d. 5. Juni 1780.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1780. An Johann Kaspar Lavater. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9478-B