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An Carl August Varnhagen von Ense

Weimar den 3. October 1830.

Es war im eigentlichen Sinne des Worts recht liebenswürdig von Ihnen und der Direction, daß Sie meine Rezension nach der Ihrigen abdrucken ließen; ich erinnere mich dabey der venetianischen Rechtspflege wo der eine Advocat die Sache ruhig und gründlich vorträgt, damit man wisse wovon die Rede sey, der andere aber in lebhafter Peroration das Publicum auf eine leichtere Weise in's Interesse zu ziehen sucht. Verfasser und Verleger können zufrieden seyn, denn wer wird dieß Buch jetzt nicht lesen.

[270] Wundersam deutet schon im Februar der Zwiespalt zweyer Naturforscher auf den ungeheuren Zwiespalt des Reiches zu Ende Juli, davon uns denn die Nachricht obruiren und unser Interesse verschlingen, da ja überdieß die Folgen uns selbst zu Leibe gehn.

Glücklicherweise hatt ich, gleich im ersten Anlauf, das Ganze was zu thun wäre überdacht und in seinen wichtigsten Puncten fertig geschrieben. Nun muß ich erst aufpassen wenn der rechte Moment sich einstellt, wo mit einer Fortsetzung hervorzutreten wäre. Abschließen werden und wollen wir nicht. Wir haben Widersacher, sind aber keine Widersacher, wir haltenan der Sache, sind für die Sache, insofern es den Menschen gegeben ist.

Herrn A. v. Humboldt kann dieses Ereigniß nicht freuen. Zu componiren ist nicht in diesem Streite, alles käme darauf an daß beide Theile sich einander gelten ließen. Das geht aber nicht, niemand mag sich gern bescheiden, und dem Streite folgt wohl der Sieg; da denn dem Überwindenden Ehre, Ruf, Ruhm, Ansehn und Pfründen zu Theil werden. Die vergangenen und gegenwärtigen Zustände aufzuklären wird meine Bemühung seyn.

Die von Herrn Minister v. Humboldt zugegangene Auszeichnung und die Hoffnung ihn wieder in äußerer Thätigkeit zu sehen, freut auch mich von Herzen. Seine Anzeige meines 29. Bandes hat mir viel Vergnügen [271] gebracht. Sich wieder einmal in einem verwandten, so lange geprüft verbundenem Geiste zu spiegeln ist vollkommen behaglich fördernd.

Die bildende Kunst ist eine Asträa die einmal aus himmlischen Regionen mit ihren Fußspitzen auf den Erdball getippt, bald aber weiß man nicht wo sie hingekommen ist. Mir hat zunächst Eugen Neureuther durch seine Randzeichnungen zu meinen Balladen und Romanzen und einige Tyroler Liedern besondere Freude gemacht. Kann ich in diesen Tagen einige ruhige Stunden finden, so sende Ihnen davon eine An zeige. Bey diesen Heften kann man wenigstens sagen: was es ist, ist vollkommen, Bewunderung erregend, überraschend und zum Erstaunen hinreißend. Hier liegt die Erklärung bedeutender Kunstregel ganz nah, ich werde mich wohl aber hüten das Wort auszusprechen, das den Menschen oft noch räthselhafter vorkommt als das Räthsel selbst.

Soll ich aufrichtig gestehen so ist mein Antheil an der neueren Kunst jetzt ganz eigentlich symbolisch, ich sehe immer mehr worauf die Arbeiten hindeuten, als was sie sind. Ob auf Geist? that is the question.

Verzeihung diesen extemporirten Äußerungen! wer kann sagen daß er sich in diesen Augenblicken völlig rein zusammenfasse? Und doch soll man nicht säumen freundliche Mittheilungen treulichst zu erwidern wie es der Augenblick geben will.

[272] Auch des Monuments zu Igel bin ich eingedenk und hege es meiner Gegenwart. Ferneres Ein- und Mitwirken mir erbittend; die Nächsten und Nahen zum schönsten grüßend.

Und so fort an, Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1830. An Carl August Varnhagen von Ense. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9508-0