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An Carl Friedrich Zelter

Und so ist es denn recht und wahr, jeder hat zu schaffen und zu thun, es sey in die Breite oder Tiefe, wenn man auch nicht gerade in die Höhe will. Es freut mich dich immer, nach alter Art, resolut und wacker zu sehen, auch in dem Welttreiben rührig theilnehmend, worauf ich denn freylich längst verzichtete.

Deine guten Potsdamer Egoisten sind freylich nicht die einzigen die sich abschließen um etwas zu gelten. Genau besehen ist es wirklich ein Rettungsmittel gegen das ungeheuere Treiben der Welt, und man mag es ein Glück heißen wenn junge Leute nicht einsehn daß jetzt eigentlich niemand geboren werden kann, der dem Tag und der Stunde gewachsen wäre. Jedermann mag also se defendendo und offendendo sehen wie er sich durchhilft.

Deine Briefe von den Jahren 1828 und 1829 liegen nunmehr sehr ordentlich geheftet vor mir; sende nun deshalb die meinigen der beiden Jahre damit die älteren Codices, die so wohl ausgefertiget worden, nicht[208] unvollständig bleiben. Der Abschreiber wird ohnehin damit ein Vierteljahr zu thun haben. Dagegen sehn wir aber auch an der Schillerischen Correspondenz, daß ernsten Freunden der Tag immer das Beste bringt, wodurch denn zuletzt das summirte Jahr einen incalculablen Vortheil gewährt. Die Einzelnheiten sind eigentlich das Leben, die Resultate mögen schätzbar seyn, aber sie setzen mehr in Erstaunen als sie nutzen.

Unter diesem kommt nun dein werther Brief vom 9. Januar an, worauf freundlich erwidere: wie mir sehr wohl erinnerlich ist daß du dem Schalk von Thimnath von jeher einige Neigung zugewendet hast, wobey ich deinen Muth bewunderte daß du dich für Samsons Rival zu erklären nicht Anstand nahmst.

Bey Milton durfte, dem antiken Sinne gemäß, nach der haß-kräftigen Scene die Dame nicht wieder auftreten; daß der Musikus sie weiter nöthig hat begreife ich, nicht weniger daß man neuerer Zeit eine vollständige Auflösung, es sey zum Glück oder Unglück, fordert. Ich will nachfragen ob vielleicht die Partitur, von alten Zeiten her, noch auf dem Hofamte liegt und mich an fernerer Vergleichung ergötzen.

Die allgemeine Schneelast ruht auch auf uns. Ich komme kaum aus meiner Stube und sehe den Garten wie mit einem großen Teppich überdeckt, weder Beete noch Rabatten sichtbar, kaum die Wege zu unterscheiden. Die Streifen Buchsbaum erscheinen kaum [209] als geringe Wülstchen und zu allem diesem sind die atmosphärischen Erscheinungen aus aller Regel getreten. Barometer- und Thermometerstand, Windfahne und Wolkenzüge, nichts trifft mehr zusammen. Die Fuhrleute bleiben unterwegs liegen, die Eilposten werden ausgeschaufelt, und so wird es denn vollkommen bey Euch dasselbe seyn. Glücklicherweise stört es mich nicht in meinem Thun und Betreiben, wovon dir denn doch zuletzt wohl einiges Vernügliche zugehen wird.

Herr Canzler v. Müller hat uns, aus Italien zurückkehrend, viel Gutes zu erzählen; er drang eilig nach Rom vor und schlug sich durch diese Hauptstadt der Welt in fünf Tagen durch. Mit seiner Art zu sehen und aufzufassen hat er wirklich Wunder geleistet.

Hiemit nun das freundlichste Lebewohl!

Weimar den 12. Januar 1830.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1830. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9561-6